L1-L2-L3-Beziehungen als Interferenzquelle

 

Die Beziehungen zwischen der Muttersprache und der ersten Fremdsprache thematisieren Vertreter einer anderen Erwerbstheorie, der Identitätshypothese (Dula/ Burt 1974, Wode 1978, Corder 1978, Krashen 1983). Sie gehen davon aus, dass die Fremdsprachen ähnlich wie die Muttersprache erlernt werden. Fehler werden als notwendige Entwicklungsstadien, als Ausdruck fehlender Kompetenzen angesehen. Die f Falsche Übertragung einiger Elemente aus der L1 auf [b1] die L2 spielt e keine wichtige Rolle, denn die meisten Fehler seien intralingualer Art. Die Lerner nehmen einige zentrale Prozesse vor:

Diese Prozesse müssen jedoch nicht immer zu Fehlern führen. Corder (1967) und Selinker (1972), Vertreter der Interlanguage-Hypothese, haben versucht, unterschiedliche Erklärungsansätze zu verbinden. Gerade an der Fehlerentwicklung haben sie gezeigt, wie sich die Lernersprache entwickelt. Die Schüler testen Annahmen über Eigenschaften und Regelmäßigkeiten der neuen Sprachen, verändern sie oder bestätigen sie dementsprechend (Kleppin 1998:39). Es entstehen Interferenzen zwischen L1 und L2[1], falls aber die Schüler weitere Fremdsprachen lernen, können diese auch untereinander interferieren. Wandruszka (1979, S. 329) behauptet sogar, dass rund die Hälfte aller unserer Fehler Interferenzfehler sind, wobei ihre Quelle keineswegs nur die Muttersprache ist.

Die zunehmende kognitionswissenschaftliche Ausrichtung der Linguistik in den 70er Jahren trug zur Erkenntnis bei, dass mehrere Sprachen untereinander vernetzt gespeichert werden, dass die Aufnahme neuer Informationen stets mit dem vorhandenen Wissen verknüpft wird und dass deshalb L2- und L3-Lerner grundsätzlich auf Wissensbestände in anderen erlernten Sprachen zurückgreifen (Scherfer 1990:30).

Erklärungen für die Rolle der L2 bei den Transferleistungen in der[b2]  L3 findet man u.a. bei Williams und Hammarberg (1998) in ihrem DSR-Modell (default supplier role model). Dieses Modell versucht, die Bedingungen für den Transfer aus der Muttersprache bzw. einer anderen Fremdsprache aufzuzeigen. Die Autoren legen vier Transferarten fest:

  1. Interlingualer Transfer (eine fremdsprachliche Einheit wird an die L3-Phonologie oder Morphologie angepasst, z.B. jumpt[2] und intendierte Kodewechsel (z.B. Horse; intendiert deswegen, weil der Lerner bewusst eine L2-Einheit zur Abdeckung seiner Wissenslücke im Deutschen anwendet);
  2. Vermeidungsstrategien, die von der Sprachkompetenz des Lerners abhängen;
  3. metalinguistischer Kommentar (in einem Gespräch: What is…); und
  4. automatischer Kodewechsel (z.B. for < for > für).

Williams und Hammarberg unterscheiden zwischen zwei Rollen der Sprache, zwischen Sprache als „instrumental“ und Sprache als „default supplier“. Die instrumental-Sprache habe eine metalinguistische Funktion in der Sprachproduktion eines Lerners und verursache oft die intendierten Übertragungen (z.B. metalinguistischer Kommentar oder Entlehnung von Inhaltswörtern). Wichtiger sei die Sprache, die die default-supplier-Rolle übernimmt. Auf diese Sprache werde dann zurückgegriffen, wenn eine (nicht-intendierte) Transfererscheinung manifestiert wird. Die Entscheidung, welche Sprache die Stelle des default supplier annimmt, hänge von vier Hauptfaktoren ab:

  1. von der etymologischen Distanz der Sprachen (Typologie),
  2. von der Kompetenz in den beherrschten Sprachen,
  3. von der Präsenz der jeweiligen Sprachen und
  4. von ihrem Status als eine L2.

Die Autoren behaupten, dass die default-supplier-Sprache zur Hauptquelle interlingualen Einflusses wird, bis die Kompetenz in der L3 gewachsen ist und selbst diese Rolle übernehmen kann (Marx 2000:online). „Eine schon beherrschte Fremdsprache nimmt beim Lernen einer zweiten Fremdsprache den Vorrang gegenüber der Muttersprache ein, und zwar aus zwei Gründen: Die Art des L3-Erwerbs gleicht eher der Art des L2-Erwerbs als der des L1-Erwerbs; und der Lerner versucht, seine L1 zu unterdrücken, um zumindest irgendetwas Fremdsprachliches zu verwenden“ (Williams/ Hammarberg 1998:323). Die sprachliche Verwandtschaft spielt nach Williams und Hammarberg nicht mehr die Hauptrolle, die Aufmerksamkeit müsse auch anderen Faktoren gewidmet werden. Zusammenfassend kann man unseres Erachtens folgende Faktoren nennen:

All diese Faktoren können die Häufigkeit der Transfer- und Interferenzerscheinungen beeinflussen. Obwohl Interferenzen einen Problembereich in Fremdsprachenlehr- und lernforschung darstellen, muss an dieser Stelle betont werden, dass ihr Stellenwert nicht überbetont werden darf (Meißner/ Reinfried 1998:23-44). Die Gemeinsamkeiten innerhalb einer Sprachengruppe überwiegen gegenüber den Unterschieden, die Verbundenheit verwandter Sprachen bietet mehr Vor- als Nachteile (Reinfried 1998:38). Es lässt sich jedoch nur kompliziert beobachten und beschreiben, inwieweit die Lerner der L3-Sprache ihre schon vorhandenen Englischkenntnisse und die Ähnlichkeiten zwischen dem Englischen und dem Deutschen nutzen. Da das Englische als germanische Sprache dem Deutschen näher steht als das Tschechische, kann man annehmen, dass in Unsicherheitsfällen eher ein englisches als tschechisches Element in die Produktion des Deutschen übertragen wird.

Storch (2001:46) vetritt die Meinung, dass die kritische Ähnlichkeit zwischen den Strukturen beider Sprachen zu Interferenzfehlern führt. Der interlinguale Transfer gewinnt nach Reinfried (1998:23) um so mehr an Gewicht, je größer die genetische Verwandtschaft zwischen zwei Sprachen ist. Dies gelte nicht nur für den Einfluss der Muttersprache auf eine Zweit- oder Fremdsprache, sondern auch für reziproke Einwirkungen zwischen den Fremdsprachen. Es sei nicht nur unmöglich, sondern auch unökonomisch, diese gegenseitigen Einflüsse ausschalten zu wollen. Das ist auch ein wichtiger Grund dafür, warum wir uns mit den Interferenzfehlern befassen.

 

 

[1]    Nach Juhász (Juhász 1970:9) ist Interferenz „die durch die Beeinflussung von anderen sprachlichen Elementen verursachte Verletzung einer sprachlichen Norm bzw. der Prozess der Beeinflussung“. In der heutigen Forschung wird u.a. auch die Terminologie positiver - negativer Transfer gebraucht bzw. zwischen "Prozess des Transfers" einerseits und "Produkt dieses Prozesses", der Interferenz, unterschieden (vgl. WODE 1985:21). Viele Autoren sprechen allerdings über zwischensprachliche Interaktionen (RAUPACH 1995; 474, Dentler 1998:31f.; Hufeisen 1991:15), womit Prozess und Produkt des Transfers bezeichnet werden. Der interlinguale Transfer wird auch als cross-linguistic influences (Kellerman/Sharwood Smith 1986) bezeichnet. Für EICKMANS (1989:38) sind Interferenzen „Arten negativen, d.h. fehlerverursachenden Transfers“.

[2]    In der modernen Jugendsprache ist es übrigens Übrigens in der modernen Jugendsprache ist es bereits als Anglizismus möglich, so wie etwa surfen oder chatten etc.

[3]    In meinem Habilitationsforschungsvorhaben bin ich zu dem Schluss dazu gekommen, dass es prinzipiell günstiger ist, wenn die tschechischen Lerner früh mit der deutschen Sprache anfangen und erst dann Englisch als L3 lernen (vgl. Andrášová 2013:185-189). Das belegen u.a. auch Krumm (2004:107), Gogolin (2003:77-85), Le Pape Racine (2007:51) u.a.


 [b1]in

 [b2]der oder die?