Phraseologie 1.Phraseologie: Einleitung 2. Merkmale der Phraseologismen 3. Klassifizierung der Phraseologismen Übungen 1. Einleitung •Phraseologie – Teildisziplin der Lexikologie oder selbstständige Disziplin? •linguistische Disziplin, Wissenschaft oder Lehre, die sich mit der Erforschung der festen Wortgruppen/Wortverbindungen (Phraseologismen) beschäftigt •Bestand oder Inventar der Phraseologismen: Redewendungen, Redensarten, Phraseme, Phraseolexeme, Idiome… •Merkwürdige und komplizierte Erscheinung der Sprache: Einheiten des lexikalischen Systems (Wörter/Lexeme) können sich zu mehr oder weniger festen Wortgruppen vereinen, deren Bedeutung sich vielmals aus der Bedeutung einzelner Glieder nicht erschließen lässt, sondern ist an die neu entstandene Gesamtheit gebunden Beispiele: 1.Paul hatte einen Stein im Schuh und musste bei der Wanderung eine Pause machen. 2.Paul hat bei seinem Vater einen Stein im Brett, weil er ihm oft im Garten hilft. •bei jdm einen Stein im Brett haben – „bei jdm. große Sympathien genießen“ - feste Wortgruppe (etymologisch erklärbar – ein Tischspiel) •DUDEN 11: Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten Warum seit den 70er Jahren des 20. Jhs. wachsendes Interesse? •kommunikativ-pragmatische Wende – wichtige Funktionen in der Kommunikation •kognitive Wende: mentale Prozesse •Fremdsprachendidaktik – nicht nur ein phraseologisches Minimum, sondern ein phraseologisches Optimum (Phraseodidaktik): Der phraseologische Dreischritt: Erkennen – Verstehen – (Festigen) – Verwenden •Übersetzungspraxis: phraseologische WB (Phraseographie) •Wichtige Zentren: –Leipzig : W. Fleischer: Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen: Niemeyer 1997 –Zürich: H. Burger: Phraseologie: Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. Berlin: Erich Schmidt 2003 –International: D. Dobrovol´skij (R) •Christine Palm: Phraseologie. Eine Einführung. Tübingen: Narr 1995 •Phraseologie: ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Hrsg. von H. Burger… [et al.] Berlin: de Gruyter 2007 • Merkmale der Phraseologismen 1.Polylexikalität: mehrere Lexeme (mindestens zwei): Tüten kleben 2.Festigkeit/Stabilität – nicht austauschbare Struktur – relativ: Variationen und Modifikationen möglich: jdm Honig um den Mund, den Bart, ums Maul schmieren/jdm. *Marmelade… 3.Lexikalisierung und Reproduzierbarkeit: Im WB gespeichert 4.Idiomatizität – übertragene Bedeutung: • •Beispiele: •1. Otto hat sich ins gemachte Bett gelegt. • a) wörtlich • b) übertragene Bedeutung: durchsichtig • •2. Herr Müller hat an meiner Tochter einen Narren gefressen. • an jmdm. einen Narren gefressen haben (umg.) • übertragen, „undurchsichtig“ • • Idiome – die größte und wichtigste Gruppe •stilistische Vielfalt: Emotionalität, Expressivität, Bildlichkeit (metaphorisch), Anschaulichkeit, Kultursymbolik, semantische Abenteuerlichkeit (was sie bedeuten, woher sie stammen…) • •jdn übers Ohr hauen (umg.) •jdm einen Floh ins Ohr setzen •auf den Busch klopfen •jdn ins Bockshorn jagen •Perlen vor die Säue werfen •Eulen nach Athen tragen •jdm. einen Korb geben • 2. Klassifizierung der Phraseologismen •Phraseologismus – Oberbegriff für alle festen WortGruppen 1.Idiome: die größte und wichtigste Gruppe: Idiomatizität in verschiedenen Abstufungen: •Öl ins Feuer gießen •jmdm. einen Floh ins Ohr setzen •jmdn. ins Bockshorn jagen •1.1. verbale Idiome: jmdn. an der Nase herumführen •1.2. nominale Idiome: der blinde Passagier, schwarzes Schaf • (Substantiv, Adjektiv, Adverb: im Handumdrehen) •1.3. Sondergruppen (verschiedene Strukturen): •phraseologische Vergleiche: sich wie ein Elefant im Porzellanladen benehmen •Paarformeln/Zwillingsformeln: mit Kind und Kegel, gang und gäbe •feste Phrasen: Da liegt der Hund begraben. Phraseologie im weiteren Sinne: •2. Parömiologie: •Sprichwörter, geflügelte Worte, Zitate, Aphorismen, Bauern- und Wetterregeln: •Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. •Wer zuletzt lacht, lacht am besten. •Über die Toten soll man nur Gutes sagen. (Chilón) – De mortuis nihil nisi bene •Veni, vidi, vici. Alea iacta est/sunt (Cäsar) •Viel Nebel im Februar bringt Regen oft im Jahr. •3. Kollokationen, Funktionsverbgefüge: •den Tisch decken,Maßnahmen treffen, Hilfe leisten •4. Kommunikative Formeln: •Grüße, Wünsche, Flüche: Gute Fahrt! Du lieber Himmel! Lass mich in Frieden! Verdammt noch mal! Merkmale der Phraseologismen –Polylexikalität (Mehrgliedrigkeit) • •- mindestens zwei Lexeme: Potemkinsche Dörfer, Kohldampf schieben, Trübsal blasen, hops sein •- über feste Phrasen: Da beißt die Maus keinen Faden ab. •- bis zu kleinen Texten: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagte der Ochse, als er gebraten wurde. (Sprichwörter – Wellerismen) • •- Schwierigkeiten im Wörterbuch – jmdm. Sand in die Augen streuen – unter Sand, Auge oder streuen ? • •- Problem – sog. Einwortphraseme: Löwenanteil, Altweibersommer, Schwarzmarkt, Sisyphosarbeit, Papierkrieg – • Metaphern • Stabilität (Festigkeit) •feste Verbundenheit einer bestimmten Bedeutung mit einer polylexikalischen Form •relativ zu verstehen •Beispiel: nicht alle Tassen im Schrank haben •(Tassen nicht austauschbar durch Teller, Gläser... •jedoch .... im Schrank/im Spind...) • •territoriale Dubletten: den Rahm abschöpfen - *die Sahne abschöpfen • •Aspekte der phraseologischen Stabilität: •a)strukturelle Festigkeit – morho-syntaktische Gesichtspunkte: •Besonderheiten der Flexion: auf gut Glück •Fehlen des Artikels: auf Draht sein •Rektionsanomalien: mit jdm. ist nicht gut Kirschen essen • • Weitere Restriktionen: •nicht passivfähig: *Die Flinte wurde von ihm ins Korn geworfen. •kein Imperativ: *Beiße ins Gras! •Attribute nicht üblich: *Da liegt der große Hund begraben. •b)lexikalisch-semantische Festigkeit- Variationen möglich (im WB angeführt): - Modifikationen – okkasionell •jmdm. Honig um den Mund/Bart/das Maul schmieren - *nicht Marmelade, Butter... •aus/auf dem letzten Loch pfeifen •Mäuse merken/riechen („Verdacht schöpfen“) • c) unikale Komponenten: oft Archaismen •aus dem Stegreif •mit Kind und Kegel • am Hungertuch nagen • sich nicht lumpen lassen... • • Idiomatizität •die Gesamtbedeutung lässt sich nicht additiv aus der Summe der Bedeutungen der einzelnen Komponenten erschließen, sondern ist an die Gesamtheit gebunden •nicht regulär interpretierbare Gesamtbedeutung einer Verbindung, sondern übertragene Bedeutung – semantische Transformationsprozesse •z.B. einen Kater haben – „sich nach übermäßigen Alkoholgenuss schlecht fühlen“ • die Katze im Sack kaufen – „etwas unbesehen, ungeprüft kaufen und dabei übervorteilt werden“ •unterschiedliche Relationen zwischen der freien Bedeutung der Komponenten und der phraseologischen Gesamtbedeutung: • Grade der Idiomatizität • vollidiomatisch: Haare auf den Zähnen haben – „von schroffer, herrschsüchtiger, streitbar-agressiver Art sein“ (Frauen) • ins Fettnäpfchen treten • bei jmdm. einen Stein im Brett haben • teilidiomatisch: einen Streit vom Zaune brechen – „grundlos einen Streit beginnen“ • Blut und Wasser schwitzen • Arten der Idiomatizität: Metaphorisierungsprozesse •durchsichtige Metaphorisierung: metaphorische Prozesse nachvollziehbar: jmdm. den Kopf waschen •grünes Licht geben •undurchsichtige Metaphorisierung: nicht (mehr) nachvollziehbar •(Etymologie): in die Binsen gehen • auf der Bärenhaut liegen • Idiomatizität und Konnotationen: •Konnotationen – die die denotative Bedeutung überlagernden Bedeutungselemente, zusätzliche stilistische Markierungen, die die Phraseme semantisch anreichern •Konnotierung betrifft: •die kommunikative Ebene (Stilebene, -schicht) des Phrasemgebrauchs: • umg.: schon zum alten Eisen gehören • leben wie Gott in Frankreich • salopp: den Löffel abgeben • die Latschen stehen lassen • jn in die Pfanne hauen • einen in der Krone haben • die große Klappe schwingen • ein ungewaschenes Maul haben • • Konnotationen: •vulgär, derb: am Arsch der Welt sein • zum Kotzen sein • jm die Fresse polieren • jm geht der Arsch mit Grundeis • •gehoben, feierlich: das Zeitliche segnen • aus dem Leben abberufen werden • seine Hände in Unschuld waschen • den bitteren Kelch bis zur Neige leeren • müssen •offiziell: kraft seines Amtes etw. tun • etw. ad acta legen • jn abschlägig bescheiden • Emotionale Bedingungen des Phrasemgebrauchs: Stilfärbungen • scherzhaft: im Adamskostüm sein • jn hat der Esel im Galopp verloren • Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. • zu etw. kommen wie die Jungfrau zum Kind • das älteste Gewerbe der Welt •ironisch: passen wie die Faust aufs Auge • Da blieb kein Auge trocken •verhüllend, euphemistisch: über den Jordan gehen • einen Seitensprung machen • Tüten kleben •abwertend, negativ, pejorativ: im trüben fischen • jm einen Strick drehen •wohlwollend, anerkennend: jn auf Händen tragen • mit jm Pferde stehlen können • Funktionsbereiche des Phrasemgebrauchs: •juristisch: an Eides Statt • etw. unter Beweis stellen • von Tisch und Bett getrennt • Sport: ein Eigentor schießen • Medizin: örtliche Betäubung • ans Bett gefesselt sein •soziale Geltung des Phrasemgebrauchs: • Jugendsprache: null Bock haben, eine Schnecke angraben • Familie: Pipi machen, klein machen, in die Waagerechte gehen • • Bildungssprache: wie ein Damoklesschwert über jm hängen • ein Ritter von der traurigen Gestalt • conditio sine qua non , cherchez la femme Regionalität des Phrasemgebrauchs: •österreichisch: sich ziehen wie ein Strudelteig, ein/kein Leiberl haben •schweizerdt.: ein Extrazüglein fahren •berlinisch: etw. aus Daffke tun •ostmitteldt.: auf der Plauze liegen Zeitgebundenheit des Phrasemgebrauchs: •Archaismen: den Bund der Ehe eingehen • auf Gedeih und Verderb • von der Wiege bis zur Bahre • Maulaffen feilhalten • in die Bredouille geraten •Neologismen: ganz down sein • 3. Kontrastive/Konfrontative Phraseologie •die vergleichende (interlinguale) Untersuchung der phraseologischen Systeme von zwei oder mehr Sprachen •Herausarbeiten der Gemeinsamkeiten und Unterschiede •Ergebnisse: neue Einsichten für die (intralinguale) Betrachtung einer Einzelsprache •Quellen- und Zielsprache: Suche nach einem Äquivalent (einer Entsprechung) Äquivalenztypen: 1.Volläquivalenz •morphosyntaktische und lexisch-semantische •Identität in der Quellen- und Zielsprache (Dt.-Tsch.) –den Teufel an die Wand malen – malovat čerta na zeď –den Bock zum Gärtner machen – udělat kozla zahradníkem –sich den Kopf zerbrechen – romperse la cabeza (Dt.-Spanisch) 2.Teiläquivalenz •kleinere morphosyntaktische und lexisch-semantische Unterschiede: –jdm. den Floh ins Ohr setzen - tsch.: nasadit brouka do hlavy („jdm. den Käfer in den Kopf setzen“) – sp.: echar a alguien la pulga tras la oreja („jdm. einen Floh hinter das Ohr setzen/geben) • Äquivalenztypen: 3.semantische Äquivalenz: unterschiedlich konstruierte Phraseme – unterschiedliche Bilder bei der Bedeutungsidentität: •nicht auf den Mund gefallen sein – tsch: mít dobře proříznutou pusu/hubu („den Mund/das Maul gut aufgeschnitten haben“) - no tener pelos en la lengua („keine Haare auf der Zunge haben“) • Nulläquivalenz: 4.Nulläquivalenz: Fehlen eines phraseologischen Äquivalents: –Paraphrase durch ein Verb, eine Umschreibung: –jdn. auf den Arm nehmen – dělat si z někoho legraci („sich lustig machen über jdn.“) –jdm. auf die Schliche kommen – někoho prokouknout („jdn. durchschauen“) •Jmdm. blauen Dunst vormachen – balamutit, mlžiit „falsche Freunde“ 4.„falsche Freunde“ –„faux amis“: formal (fast) identisch – Bedeutungen nichts miteinander zu tun: –auf einen grünen Zweig kommen – být na větvi („auf dem Zweig sein“ – sehr aufgeregt über etw. sein) –die Ohren steifhalten – nastražit uši (die Ohren spitzen), –jmdm. durch die Finger sehen – dívat se na někoho skrz prsty: „jdn. scheel ansehen“ •