MUSIKALISCHE FIGUREN Die Figuren entstanden in der Zeit der „Musica Reservata” und des Madrigals. Nach Cartesius, einem Freund von Mersennus, gibt es 6 Grundformen des menschlichen Affektes: Verwunderung, Liebe, Haß, Verlangen, Freude und Trauer. Durch Mischung lassen sich unendlich viele Nuancen erzielen. Insgesamt sind etwa 150 Figuren bekannt. Im Folgenden werden ca. 100 Figuren erklärt. Die Einfügung von Notenbeispielen ist geplant. Zum Thema sei außerdem hingewiesen auf das bedeutsame Buch von Walter Heinz Bernstein: “Die Musikalischen Figuren als Artikulationsträger der Musik von etwa 1600 bis nach 1750”, Ebert Musikverlag, ISMN M-2052-0441-9. Darin werden die in den 15 Inventionen Johann Sebastian Bachs vorkommenden Figuren minutiös dargestellt, mit immensen Auswirkungen auf Artikulation und Tempo. ABRUPTIO Unerwartetes Abbrechen des musikalischen Kontextes anstelle des Eintretens einer Auflösung. Ohne rhetorisches Vorbild.. Mit der Ellipsis verwandt. a) Bernhard 1650, Walther 1732: Melodie endet auf der Quarte ohne Terzauflösung und der Baß führt die Kadenz allein zu Ende. b) Bernhard: Pause statt Verlängerungspunkt. c) Koch 1802: Abbrechen des Satzes, z.B. als Generalpause nach Subdominante-Dominante vor der Tonika. d) Burmeister 1606: = Aposiopesis. e) Nucius 1613: = Homoioteleuton. f) Janovka: = Tmesis. ACCENTUS Gesangsmanier im Rezitativstil um 1600. a) Praetorius: Ausfüllung eines Intervallsdurch 1-5 Zwischennoten, deren letzte oft den Zielton vorwegnimmt. Der Accentus kann durch Verkürzung sowohl der ersten als auch der zweiten Hauptnote gewonnen werden. b) Bernhard: „Bey Endigung einer Note mit einem gleichsam nur anhenckendem Nachklange geformieret.” = Superiectio/Figurae superficiales. c) Marpurg: Nachschlag. d) Carl Philipp Emanuel Bach: Langer Vorschlag. e) Leopold Mozart: Langer Vorschlag. ANABASIS Prononciert aufwärts führende melodische Bewegung, auch bei entsprechenden Textstellen. Bei mehrmaliger Wiederholung auf jeweils anderer (höherer) Stufe: Climax. Gegensatz: Katabasis. ANADIPLOSIS Emphatische Wiederholungsfigur, z.B. „singet und rühmet, rühmet und lobet!”. a) Vogt: Wiederholung einer Schlußwendung am Beginn eines neuen Abschnittes. b) Auch als doppelte Mimesis definiert, bzw. als eine der vier Formen des Noema. c) Vgl. Epanadiplosis, Complexio. ANALEPSIS Aufeinanderfolge zweier Noemata, die im Unterschied zur Mimesis auf gleicher Tonhöhe stehen. Vgl. Epanalepsis, Repetitio. ANAPHORA a) In der Rhetorik die Wiederholung eines Wortes zu Beginn aufeinander folgender Satzabschnitte oder Sätze. b) Eine Form der Fuge, worin ein Thema in einigen, aber nicht allen Stimmen wiederholt wird. c) Burmeister 1606: Durchführung (Wiederholung) eines soggetto nur in einigen Stimmen. d) Thuringus 1625: Ostinate Führung des Basses, z.B. in Chaconnas. e) Nucius 1613: = Repetitio. ANAPLOKE In mehrchörigen Sätzen wird ein Noema ein- bis mehrmals so wiederholt: mit Clausula des Chori I erklingt der Beginn des Noema in Choro II (Rhetorik:Ploke). ANTICIPATIO Vorausnahme: a) Vorherige Andeutung einer folgenden Harmonie; der verfrühte Eintritt bewirkt eine Dissonanz (Harmonielehre!). b) ”Pathetische” (Moser), eigentlich rhythmische Vorausnahme. Durch den Ausdruck bedingtes verfrühtes Eintreten. c) Vorausnahme der folgenden Melodienote innerhalb des Wertes der vorangegangenen Note, oft bei der vorletzten Note einer Schlußkadenz mit Triller. Verzierung besonders des 17. Jahrhunderts: „Anticipatio della nota”. d) Ist die Anticipatio an die vorangehende Note gebunden (Nachschlag), heißt sie Aspiration, Plainte, Chute. „Anticipatione della sillaba” ist eine Art des Vorschlages in der barocken Gesangspraxis, wird an die folgende Hauptnote gebunden und nimmt deren Textsilbe voraus. ANTITHETON „Ich schlafe, aber mein Herz wachet”. Kontrast zwischen Thema und Gegenthema (simultan). Abschnittskontraste im Wechsel der Bewegung, Klanglagen und -gruppen, polyphon-homophon, Dur-Moll, ChromatikDiatonik (successive). APOKOPE Elision eines Buchstabens oder einer Silbe am Wortende. Burmeister 1606: Unvollständige Fuga, d.h. das Imitationsmotiv erfährt in einer Stimme eine Verkürzung, wird also nicht immer ganz durchgeführt. Thuringus 1625: Verkürzung des Finaltones. Walther 1732: „Abgeschnappte Harmonie.” APOSIOPESIS Oberbegriff für Homoioteleuton und Homoioptoton. Unvermitteltes Verstummen, auch Schweigen ohne formalen Schluß oder Kadenz. Vgl. aber Homoioteleuton! Homoioptoton = Epistrophe. Siehe auch Abruptio und Tmesis. ASCENSUS „Aufstieg”. Gegenteil: Descensus. AUXESIS siehe Climax. BOMBO Aus mehreren raschen Tonwiederholungen bestehende Figur der Instrumentalmusik (Vokalmusik: Triller). Auch Schwärmer oder Rauscher (Türk 1789) genannt. Keine eigentliche rhetorische Figur, sondern eher Setzmanier, wie etwa der „springende Schwärmer” bei Marpurg (1755). CADENTIA Bernhard: Ungewöhnliche Dissonanzvor den Schlußnoten einer Kadenz. DURIUSCULA CATABASIS „Abstieg”. Deutlich sich abhebender Abwärtsgang einer Stimme zur bildhaften Darstellung von „Hinabfahren”, „Hölle”, „Erniedrigung”, „Knechtschaft”. Vgl. Paronomasia. Gegensatz: Anabasis. CATACHRESE a) Dissonanz wird auf außerordentliche oder harte Art aufgelöst. Rhetorik: Verwendung eines Wortes in einer anderen als seiner eigentlichen Bedeutung. b) Synkopendissonanz wird nicht durch folgende Konsonanz eine Sekunde tiefer aufgelöst. c) Fälschliche Verwendung der Quarte als Unterstimme eines Zusammenklanges. d) Bernhard 1606: Syncopatio catachrestica. CERCAR DELLA Gesangsverzierung des 17. Jahrhunderts mit der ersten Textsilbe (vgl. Anticipatio). NOTA CIRCULATIO Kreisende Melodiebewegung, angewandt bei Wörtern wie „Erde”, „Krone”, etc. a) Circolo mezzo: Doppelschlag. „4 Noten bilden beim Schreiben einen halben Kreis”(Printz 1696), wobei auf- oder absteigend entweder die 1. und 3. oder die 2. und 4. Note denselben Ort haben. b) Circolo: „Zweene Circoli mezzi also aneinander gehänget..., daß, so sie übereinander gesetzt werden sollten, sie einen vollkommen Circul darstellen würden.” (Walther 1732). CLIMAX „Steigerung”. Wiederholung eines Melodieabschnittes in derselben Stimme eine Sekunde höher (= Spezialfall der Synonymia). Als Gradatio Sequenz, dabei Climax = Auxesis. Siehe auch Ascensus. COMPLEXIO Die Wiederholung am Melodieende oder eines ganzen musikalischen Abschnittes vom Anfang (Nucius). Kircher: = Symploce. Gottsched: = Epanalepsis. Vogt: = Epanadiplosis. COMMISSURA Durchgangsdissonanz. a) Burmeister: Als Figur nur im wert einer Minima (Hälfte des Taktes). b) Bernhard: Transitus irregularis ähnlich dem Quasitransitus; eine mit der Multiplicatio verbundene Art im rezitativischen Stil. c) Allgemein auch Wechselton (Wechselnote). COMMISSURA CADENS Transitus regularis : Thesis konsoniert, Arsis dissoniert. COMMISSURA DIRECTE Transitus irregularis : Auflösung einer dissonierenden Thesis in die Arsis. CONGERIES Ein 5-3 - Akkord bewegt sich nach 6-3 und wieder zurück, auf- und abwärts. CONGERIES DEFICIENTES Rhetorik: Häufung von Worten und Sätzen gleicher Bedeutung. Musik: Häufung vollkommener und unvollkommener Konsonanzen in gleichgerichteter Bewegung. Stufenweises Fortschreiten der Stimmen in mehrfachem Wechsel von Dreiklang und Sextakkorden auf- und abwärts. (Burmeister 1606). CONGERIES SUPERFLUAE siehe Congeries deficientes. DOPPELSCHLAG siehe Circulatio. EKPHONESIS = Exclamatio. ELLIPSIS Auslassung oder Verschweigung einer Konsonanz, wenn anstelle dieser eine Pause gesetzt wird, worauf eine Dissonanz folgt (Walther, Tab. X/F.5). Vgl. Abruptio. EPANADIPLOSIS siehe Complexio. EPANALEPSIS Rhetorik: Die Wiederholung des Anfangswortes am Ende desselben Satzes; oder auch kurz darauf, beim Schlusse des ganzen Satzes (Gottsched, Walther). Musik: Die emphatische Wiederholung einer Tongruppe zu Beginn einer Periode an deren Ende. Siehe Complexio und Symploke. EPISTROPHE „Umwendung”. a) Die emphatische Wiederholung eines Satzteils am Ende aufeinanderfolgender Wortgruppen, z.B. „singet dem Herren, rühmet den Herren, lobet den Herren!” b) Gleiche Schlußwendung aufeinanderfolgender Melodieteile. c) Kircher: = Homoioptoton. EPIPHORA = Epistrophe. EPIZEUXIS „Zusammenfügung”. Wiederholung eines Wortes oder einer kleinen Wortgruppe in unmittelbarer Aufeinanderfolge, verbunden mit einer gleichbleibenden Tongruppe, deren Wiederholung auf höherer oder tieferer Stufe erfolgen kann. EXCLAMATIO „Ausruf”. Walther 1732: Aufwärtsspringende kleine Sext. Scheibe 1745: Konsonierend oder dissonierend je nach freudigem oder traurigem Affekt. Mattheson 1739: Mehrere Arten. Nach allgemeiner Praxis können alle melodischen Sprünge auf- und abwärts, die größer als eine Terz sind, den Charakter der Exclamatio annehmen. Als dissonanter Sprung wird sie zuweilen Saltus duriusculus genannt. EXTENSIO „Ausdehnung”. Verlängerung einer Dissonanz über ihre reguläre Dauer. Vgl. Multiplicatio. FAUXBOURDON Parallelbewegung in Terzen und Sexten. Als Figur bei Burmeister 1606 und Thuringus 1625. FUGA ALIO NEMPE SENSU a) Burmeister 1606: „Dient dazu, aufeinanderfolgende Handlungen auszudrücken”: b) Janowka 1701: „Fuga in anderem Sinne”. Eine Figur, die durch schnelle, flüchtige Bewegung einer oder mehrerer Stimmen gebildet wird. Verwendet bei Wörter, die ein Fliehen ausdrücken. Kein Zusammenhang mit der Fugenform. FUGA IMAGINARIA = Kanon. FUGA REALIS Regelhafte Fugenimitation. GRADATIO Siehe Climax. GROPPO Form des Doppelschlages. HETEROLEPSIS „Ergreifen eines anderen Gegenstandes”. Bernhard: Unregelmäßige Dissonanzbildung oder auflösung durch Springen zu einem Ton, der regelmäßig nur in einer anderen stimme erscheinen kann. Walther: „...wenn eine Stimme aus einer andern bisweilen einen Clavem hinweg nimmet, und den ihrigen unterdaß jener beraubten Stimme zukommen läßet”. HOMOIOPTOTON Siehe Aposiopesis, Epistrophe. HOMOIOTELEUTON „Das Gleichende”. Art der Aposiopesis. Walther: „Generalpause, die in der Mitte eines Stückes, vermittelst einer vorhergehenden Final-Cadenz … gemacht wird”. Siehe auch Abruptio. HYPALLAGE „Veränderung”. Rhetorik: Durch Vertauschen der grammatischen und semantischen Beziehung eines Adjektivs, z.B. „des Knaben lockige Unschuld” (Umkehrung der Zuordnung). Musik: Fugenimitation in Gegenbewegung = umgekehrte Intervallanordnung (Gegenfuge) HYPERBATON „Wortversetzung”. Versetzung eines Tones oder Motivs in eine andere Lage. Aus der Art und Heftigkeit des Affektes zu erklären. HYPERBOLE „Überwerfung”. Rhetorik: Übertreibung, z.B. „in Tränen zerfließen”. Musik: a) Verlassen des Notenliniensystems nach oben. Darstellung der Höhe. b) Überschreiten des Ambitus eines Modus. HYPOBOLE „Unterwerfung”. Unterschreiten des Notenliniensystems. Darstellung der Tiefe. HYPOTYPOSIS Sammelbezeichnung vieler Figuren, welche die Aufgabe des „Abschilderns” haben (Wortmalerei). INCHOATIO IMPERFECTA Harmonisches Anfangsintervall, das nicht perfekt ist. INTERROGATIO „Frage”. Bernhard: „Die Fragen werden gemeinsamem Brauche nach am Ende eine Secunde höher als die vorhergehende Sylbe gesetzt.” MAIUS SYMBLEMA Dissonanz in der zweiten Hälfte eines Halbtaktes im Wert einer Minima. Siehe Symblema = Commissura und Parrhesia. METABASIS „Überschreitung”. Wechselseitiges Sichübersteigen zweier oder mehrerer Stimmen = Transgressus. METABOLE = Mutatio. METALEPSIS „Vertauschung”. a) Das Folgende ist nur in Verbindung mit dem Vorausgegangenen (und umgekehrt) zu verstehen. b) Fuge mit zwei Themen (Burmeister 1606). MIMESIS „Nachahmung”. a) Aufeinanderfolge zweier Noemata, deren zweites im Unterschied zur Analepsis in veränderter Stimmlage erscheint. b) „Wenn ein gewisses Thema in einer Stimme immer wiederholt wird.” (Walther). MORA „Verzögerung”. Siehe Retardatio. „Umgekehrte Syncopatio” (Bernhard). MULTIPLICATIO „Vervielfältigung”. Aufteilung einer Note (bei Bernhard und Walther: einer Dissonanz) in mehrere kleinere Notenwerte. Vgl. Extensio. MUTATIO „Veränderung” = Metabole (ursprüngliche Bezeichnung). Plötzliche klangliche Veränderung aus expressiven Gründen. a) Mutatio per genus: Wechsel des Klanggeschlechtes. b) Mutatio per systema: Wechsel der Tonlage. c) Mutatio per modum vel tonum: Wechsel der Tonart. d) Mutatio per melopoeiam: Wechsel der Manier. NOEMA „Gedanke”. Hervorhebung eines (Text-)Höhepunktes durch einen homophonen, nur aus Konsonanzen bestehenden Abschnitt innerhalb einer polyphonen Komposition. Rhetorik: Sentenz, deren Bedeutung aus dem Gesamtzusammenhang erschlossen werden muß. Ableitungen. Anadiplosis, Analepsis, Anaploke, MIMESIS PALILLOGIA „Wortwiederholung”. Wiederholung eines Melodieabschnittes oder dessen Anfanges in derselben Stimme und in der gleichen Tonhöhe. PAREMBOLE „Einfügung”. Rhetorik: Satz oder Satzteil, der ohne Gefährdung von Sinn und Zusammenhang der Rede weggelassen werden kann. Musik: Einfügung, die im Verband mit anderen thematischen Stimmen nichts zur Fuge beiträgt, sondern nur die zwischen den anderen Stimmen freigebliebenen Konkordanzplätze ausfüllt. Dadurch werden Klänge vermieden, denen Dreiklangstöne fehlen (Füllstimmen). PARONOMASIA „Bedeutungsabweichung”. Rhetorik: Zwei klangähnliche, aber bedeutungsverschiedene Wörter, z.B. „mit Rat und Tat”. Bei Gottsched 1751 auch die Wiederholung eines Wortes oder Satzteiles „mit einem Zusatze, der noch einen besonderen Nachdruck verursacht”, z.B. „ein Baum war’s, nur ein Baum”. Musik: „… Diese Zusätze können theils einzelne Töne betreffen, theils aber auch durch einen stärkeren oder verminderten Vortrag bewerkstelligt werden.” Vgl. Passus duriusculus. PARRHESIA „Redefreiheit”. Rhetorik: Eine verhaßte sache frei heraus sagen, aber auf erträgliche Art vortragen (Gottsched). Musik: Harmonisch und melodisch der Gebrauch verminderter und übermäßiger Intervalle („relationes non harmonicae”, Querstand), doch daß es keinen Übellaut verursachet (Walther 1732). zur Darstellung des Verderbten, Sündhaften, Schwankenden, Widrigen. PASSAGIO = Variatio . Ein Abschnitt vokaler Verzierungen, den Text hervorzuheben. PASSUS „Ein etwas harter Gang”. Querstand. DURIUSCULUS a) Wenn eine stimme einen Halbton steigt oder fällt; vgl. Paronomasia. b) Wenn in einer Stimme übermäßige Sekunde, verminderte Terz oder (sekundmäßig verminderte und übermäßige Quarte und Quinte vorkommen. c) Häufigste Form ist der chromatische Quartgang, in welchem sich das Regelwidrige und Affektvolle (Pathopoiia) zu einer der ausdrucksstärksten Figuren der Musica Poetica verbinden. Verwandt: Saltus duriusculus. PATHOPOIIA ”Erregung der Leidenschaften”. Einführung von Halbtönen, die nicht zur Tonart des Stückes gehören. Für Wörter wie „weinen”, „Schmerz”, „miserere” etc. Bei Bernhard heißt die Figur Passus duriusculus. PLEONASMUS „Überfluß”. Rhetorik: „Nasser Regen”, „einen Traum träumen”, etc. Musik: Ausweitung einer Klausel mittels dissonierender Durchgangstöne (Commissura ) und Synkopierungen (Syncopatio). POLYPTOTON „Mit vielen Fällen (casus)”. Wiederholung einer Melodiewendung auf anderer Tonhöhe und mit veränderter Fortführung. POLYSYNDETON „Reihung synonymer Glieder mittels Konjunktionen”. Wiederholung einer Melodiefloskel auf derselben Stufe zur Steigerung einer Aussage oder eines Affektes. PROLONGATIO Verlängerung einer normalen Dissonanzdauer durch Anbindung oder Durchgangsnote. REPETITIO = Anaphora. Vgl. Analepsis. RETARDATIO „Verzögerung, Aufhaltung”. Bei Bernhard 1606 Mora . Später Begriff des Vorhaltes. Auflösung einer Dissonanz in die obere Sekunde. Bei Walther 1732 auch die Bedeutung einer Resolutio mediata, bei welcher zwischen Dissonanz und Auflösung andere Töne eingeschoben sind. Vgl. Pleonasmus. SALTUS „Etwas harter Sprung”. DURIUSCULUS Melodiesprung über eine Sexte, Septime oder ein vermindertes/übermäßiges Intervall. Vgl. Passus duriusculus und Exclamatio SUPERIECTIO „Überwurf”. Bedeutet eine Appoggiatura bzw. üblichen Vorschlag. SUSPIRATIO „Seufzer”. Abbruch der Melodie durch Pausen (Textdarstellung). SYMPLOCE „Verflechtung”. Wiederholung des Anfanges einer Periode an deren Ende (Nucius). Bei Burmeister die gleichzeitige Verwendung von # und b in einem Zusammenklang.Vgl. Complexio, Epanadiplosis, Epanalepsis. SYNCOPATIO Im weiteren Sinne wie Synkope: konsonante Einführung, Dissonanz auf betonter Zeit, Auflösung durch Sekundschritt abwärts. Als Synhaeresis und Ligatura in die Figurenlehre einbezogen. Vgl. Multiplicatio, Pleonasmus, Prolongatio, Quasi- Syncopatio (Auflösung mit vorausnehmendem Portament), Retardatio und Catachrese. SYNCOPATIO CATACHRESTICA Synkopendissonanz wird nicht durch folgende Konsonanz, die eine Sekunde tiefer liegt, aufgelöst. SYNCOPE Normale Zusammenziehung. SYNHAERESIS „Zusammenziehung” zweier Silben auf einen Ton oder zweier Töne auf eine Silbe (Vogt). Burmeister: = Syncope. SYNONYMIA Wiederholung eines Melodieteiles auf verschiedenen Tönen in derselben Stimme (Walther). Wie später Sequenz. TIRATA ”Zug”. Verzierung , die als diatonischer Lauf auf- oder abwärts zwei übergeordnete Melodietöne miteinander verbindet oder nach kurzer Pause auf einen akzentuierten, längere anhaltenden Melodieton hinzielt („Pfeil”, „Spießschuß”). Tirata piccola: Terzumfang. Tirata mezza: Quart- und Quintumfang. Tirata defectiva: Sext- und Septimumfang. Tirata perfecta: Oktavumfang. Tirata excedens: Umfang größer als Oktave. TMESIS „Trennung, Zerschneidung” eines textlichen oder musikalischen Zusammenhanges durch eine Pause = Suspiratio. Vgl. Abruptio. TRANSGRESSUS Siehe Metabasis. TREMOLO Zittern, z.B. bei Furcht. TRILLO a) Wie Tremolo , besonders, wenn es, wie Conforti 1593 angibt, auf einem Ton (aber mit Nachschlag) ausgeführt wird. b) Emphatische Hervorhebung einer Melodienote. VARIATIO Bernhard 1606: „Anstatt einer großen Note (eilen) mehr kleinere durch allerhand Gänge und Sprünge zu der nächstfolgenden Note.” (= Passagio) © Wolfgang Weller 1998 - 2010 Wiki: Die wichtigsten historischen Quellen zur Figurenlehre • Joachim Burmeister: Hypomnematum musicae poeticae. Rostock, 1599. • ders.: Musica autoschediastike. Rostock, 1601. • ders.: Musica poetica. Rostock, 1606. • Johannes Nucius: Musices poeticae sive de compositione cantus. Neisse, 1613. • Joachim Thuringus: Opusculum bipartitum de primordiis musicis. Berlin, 1624. • Athanasius Kircher: Musurgia universalis. Rom, 1650. • Elias Walther: Dissertatio musica. Tübingen, 1664. • Christoph Bernhard: Tractatus compositionis augmentatus. Datierung unsicher: nach 1657. • ders.: Ausführlicher Bericht vom Gebrauche der Con- und Dissonantien. Datierung unsicher: nach 1663. • Wolfgang Caspar Printz: Phrynis Mytilenaeus oder Satyrischer Componist. Dresden/Leipzig, 1696. • Johann Georg Ahle: Musicalisches Frühlings-, Sommer-, Herbst-, und Winter-Gespräche. Mühlhausen, 1695–1701. • Thomas Balthasar Janowka: Clavis ad thesaurum magnae artis musicae. Prag, 1701. • Mauritius Johann Vogt: Conclave thesauri magnae artis musicae. Prag, 1719. • Johann Gottfried Walther: Praecepta der musicalischen Composition, 1708. • ders.: Musicalisches Lexicon, oder Musicalische Bibliothec. Leipzig, 1732. • Johann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister. Hamburg, 1739. • Meinrad Spiess: Tractatus musicus compositorio-practicus. Augsburg, 1745. • Johann Adolf Scheibe: Der Critische Musicus. Leipzig, 1745. • Johann Nikolaus Forkel: Allgemeine Geschichte der Musik. Göttingen, 1788. Siehe auch • Sinnbild (Musik) • Affektenlehre • Interpretation (Musik) • Motiv • Soggetto • Rhetorik Literatur • Dietrich Bartel: Handbuch der musikalischen Figurenlehre. 4. rev. Auflage. Laaber, Laaber 1997, ISBN 3-89007-340-9. • Wolfgang Budday: Musikalische Figuren als satztechnische Freiheiten in Bachs Orgelchoral „Durch Adams Fall ist ganz verderbt“. In: Hans-Joachim-Schulze, Christian Wolff (Hrsg.): BachJahrbuch. Jahrgang 63, 1977, S. 139 ff. • Carl Dahlhaus: Die Figurae superficiales in den Traktaten von Christoph Bernhard. In: Wilfried Brennecke et al. (Hrsg.): Bericht über den Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongress Bamberg 1953 (= Kongressbericht Bamberg 1953.) Bärenreiter, Kassel 1954, S. 135–138. • Carl Dahlhaus: Musica poetica und musikalische Poesie. In: Archiv für Musikwissenschaft. 23, 1966, S. 110–124. • Carl Dahlhaus: Seconda pratica und musicalische Figurenlehre. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Claudio Monteverdi – Festschrift Reinhold Hammerstein zum 70. 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Bärenreiter, Kassel 2006, ISBN 3-7618-1869-6). • Janina Klassen: Musica Poetica und musikalische Figurenlehre – ein produktives Missverständnis. In: Günter Wagner (Hrsg.): Jahrbuch des staatlichen Instituts für Musikforschung Preussischer Kulturbesitz. Metzler, Stuttgart 2001, S. 73–83. • Hartmut Krones: Musik und Rhetorik. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. band 7. 2. neubearb. Ausgabe. Bärenreiter/Metzler, Kassel ab 1994, Sp. 814–852. • Ulrich Michels: dtv-Atlas zur Musik. Band 2: Historischer Teil: Vom Barock bis zur Gegenwart. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1985, ISBN 3-423-03023-2. • Siegfried Oechsle: Musica Poetica und Kontrapunkt: Zu den musiktheoretischen Funktionen der Figurenlehre bei Burmeister und Bernhard. In: Schütz-Jahrbuch. 1998, S. 7–24. • Arnold Schering: Die Lehre von den musikalischen Figuren im 17. und 18. Jahrhundert. 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