Die Idee der Kulturnation Ihren Niederschlag fand diese Tendenz in einigen für den Deutschlanddiskurs typischen Konstruktionen. Dass unter ihnen die Idee der Kulturnation zu finden ist, hat eine einfache Erklärung: Sie stellte sowohl eine für die zivilisierte Welt akzeptable Antwort auf die nazistisch korrumpierte Staatsauffassung dar, als auch eine Medizin, mit deren Hilfe man die Teilung der deutschen Nation in zwei ideologisch gegensätzliche Staaten verschmerzen konnte. Sie stimmte mit dem intellektuellen Kurs überein, der spätestens seit den 1960er Jahren vom Nationalstaat zur Kulturnation wies. Die Idee der Kulturnation manifestierte somit die Überzeugung, die Deutschen hätten keine andere menschlich vertretbare Option, als die Teilung in zwei Staaten zu akzeptieren, und darum das sie Verbindende, nämlich die gemeinsame Sprache und Kultur zu fördern. Diese Kompensation wäre freilich undenkbar ohne Idealisierung der Kultur wie auch der als kulturell apostrophierten deutschen Nation der Dichter und Denker. Außerdem schien in diesen Idealisierungen die geistige Sphäre der Kultur und Moral von der Politik unabhängig zu sein, ja ihr weit überlegen; für die moralische und kulturelle Größe hatte das politische Schicksal der jeweiligen Nation keine Aussagekraft, es sei denn eine ungerade. Eben dies zeigte sich als unheilvoll, denn es konnte auch kulturkritische Argumentationsmuster ins Leben rufen, in denen Kultur und Moralität der Nationen gegen deren politische Erfolge ausgespielt wurden (moralisch und kulturell entwickelte Nationen bräuchten nicht politisch erfolgreich zu sein, ja sie dürften es gar nicht sein; und politisch erfolgreiche Nationen seien in der Regel akulturell und unmoralisch). Im 20. Jahrhundert scheint die Idee der Kulturnation allenfalls als ein korrumpiertes Konzept von wissenschaftlichem Belang zu sein, dem darüber hinaus von Anfang an fragwürdige Hypothesen zugrunde gelegen hätten: Sprache und Kultur würden dem persönlichen Willen übergeordnet; die Nation werde nicht vom subjektiven Standpunkt der sich frei entscheidenden Individuen heraus definiert; für das Konstituieren der Nation sei deren Ursprung ausschlaggebend, auf die Zukunft komme es weniger an. Die Akzentuierung der Kultur, sosehr sie das verdienstvolle Bollwerk gegen den hypertrophierten Nationalismus zu sein scheint, bringt nichts, sobald sie strikt der Welt der Macht und Politik gegenübergestellt wird. So kann sie nämlich zur dezidiert apolitischen Haltung führen, die nicht nur politische Mittel prinzipiell meidet, sondern auch jede Kompromisssuche als nicht genug prinzipiell, ergo halbherzig politisiert ablehnt. Solche prinzipiell und grundsätzlich apolitische Haltung, die ihre Distanz zur Macht stets bewahrt, wurde in der deutschen Intellektuellengeschichte nicht selten als der einzige Weg hochgejubelt, der der Sendung des deutschen Geistes gerecht werde. 1) Wie verstehen sie die „Idee der Kulturnation“? 2) Wie verhält sich nach dieser Vorstellung die Politik zur Kultur? 3) Wie verhält sich nach dieser Vorstellung die Kultur zur Nation? 4) Was ist die Schwäche der apolitischen Haltung?