TEXTY A METODY 23. 3. 2022 Johannes Köck koeck@mail.muni.cz POSTKOLONIALE THEORIE 1)Ihre Zugänge (Einstieg) 2) Thematische Hinführung zu den Begriffen Kolonialismus, Postkoloniale Theorie 3)Definitionen zur Postkolonialen Theorie 4)Was bedeutet Orientalismus? 5)3-Minuten-Paper (Ausblick) Arbeitsgrundlage der heutigen Sitzung ◦ https://www.ash- berlin.eu/hochschule/lehrende/prof essor-innen/prof-dr-maria-do-mar- castro-varela/#c4722 1)Ihre Zugänge (Einstieg) ◦ Was verbinden Sie mit dem Begriff Kolonialismus? ◦ Schreiben Sie gemeinsam eine Definition ◦ Wie würden Sie den Begriff historisch einordnen ◦ Welche Länder hatten (keine)Kolonien? ◦ Welche Folgen hat der Kolonialismus für die Kolonialisierten und „Kolonialmächte“? ◦ Sind Begriffe wie Kolonialismus, bzw. Postkolonialismus auch für „Tschechien“, die „Slowakei“ „Deutschland“ relevant? Warum (nicht)? Mögl. Antwort auf die Relevanzfrage? ◦ Die Alltagswelt und Imaginationen auch der Länder, die nicht als (große) Kolonialmächte gelten, sind tief geprägt von der kolonialistischen Begegnung. So gehören nicht nur Produkte wie Kartoffeln, Zucker und Kaffee zur alltäglichen Nahrung, sondern auch rassistische Bilderwelten (Varela/Dawan, 2020:21).. ◦ Um 1914 2) Thematische Hinführung zu den Begriffen Kolonialismus, Postkoloniale Theorie Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen.“ Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 1995, S.21. Kolonialismus ◦ Kolonialismus – verstanden als Herrschafts- und Ausbeutungs-verhältnis – ist ein Tausende Jahre altes Phänomen. Wird der Begriff heute benutzt, ist weithin die Epoche des neuzeitlichen Kolonialismus gemeint, die im Zeitalter der „Entdeckungen“ im 15.Jahrhundert beginnt. Im Rahmen der „europäischen Expansion“ erreichte er im 19. und 20.Jahrhundert seinen Höhepunkt als weite Teile der Welt unter direkter oder indirekter europäi-scher Herrschaft standen. Gerechtfertigt wurde das europäische Ausgreifen häufig damit, den Rest der Welt durch und für europäische Werte zu „zivilisieren“. ◦ Der Kolonialismus war Bedingung und zentrale Ingredienz der politischen Ordnung der Welt, aber auch der rechtlichen und ideologischen Legitimierung dieser Ordnung (Conrad, 2011:5) ◦ https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/islam- lexikon/21492/kolonialismus/ Etymologischer Ursprung ◦ Zumeist wird angenommen, dass das Wort ›Kolonialismus‹ sich von dem lateinischen colonia ableiten lässt, was so viel wie ›Farm‹ oder ›Siedlung‹ bedeutet und vom römischen Imperium zur Beschreibung ihrer Siedlungen in anderen Ländern diente. V.Y. Mudimbe (1988: 1) macht allerdings auf eine andere mögliche Etymologie aufmerksam: das lateinische Wort colere, welches so viel wie ›kultivieren‹ oder ›gestalten‹ bedeute und die Wahrnehmung der Kolonien als frei gestaltbare Territorien nachzeichnet (Varela/Dawan, 2020:21). ◦ Lange Zeit hat sich die Forschung vor allem für die Auswirkungen der Herrschaft auf die abhängigen Nationen in Afrika, Lateinamerika und Asien interessiert. In jüngerer Zeit sind jedoch auch die Rückkoppelungen und Effekte auf die kolonisierenden Gesellschaften zunehmend in den Blick geraten. Imperiale Expansion setzte auch in Europa, Japan und den USA soziale Gruppen voraus, die sich mit diesem Ziel identifizierten; zugleich schuf die territoriale Ausweitung auch in den Metropolen ein koloniales Bewusstsein: Die Imperien waren immer auch „zu Hause“ präsent (Conrad 2012, 11) Postkoloniale Theorie (1) ◦ Die Postkoloniale Theorie ist eine Wissenschaft, die sich seit den 1970er Jahren (bzw. früher) mit dem Vermächtnis des Kolonialismus befasst. Ziel ist die Offenlegung und Bekämpfung der Effekte, die der Kolonialismus bis heute auf Gesellschaften in Nord und Süd hat. Postkoloniale Denker_innen (Said, Spivak, Bhabha etc.) haben aufgedeckt, wie Annahmen, die der Logik des Kolonialismus zugrunde lagen, bis heute präsent sind. Deshalb spricht man von kolonialen Kontinuitäten, die auch heute noch in Wissensproduktion, Sprache, Texten, Bildern, Wahrnehmungen vom globalen Süden präsent sind. ◦ Der europäische Kolonialismus ist auch einzigartig bezüglich der Verbindung mit Rassismus als wissenschaftlich und gesamtgesellschaftlich gestützter Ideologie, die mit den kolonialen Eroberungen einherging und zu deren Legitimierung herangezogen wurde. ◦ ´Postkoloniale Theorie beschäftigt sich mit der historischen Kolonisierung sowie fortwährenden Prozessen der Dekolonisierung und Rekolonisierung. Kolonisierung wird dabei nicht nur als Besetzung und ökonomische Ausbeutung von Territorien verstanden, sondern als Konstruktions- und Formationsprozess, an deren Ende schliesslich «Europa» und seine «Anderen» stehen. Sie umfasst auch epistemische Gewalt – also Denken und Sprechen, das gewaltsam wirkt (Spivak 1999: 205). Post_koloniale Theorie betrifft nicht nur die Länder, die Kolonien hatten oder welche waren. Vielmehr sind heutige globale Machtverhältnisse von der Kolonialgeschichte und von weiterwirkenden kolonialen Diskursen geprägt – es geht darum, diese post_kolonialen Verhältnisse zu untersuchen und zu verändern (vgl. für den schweizerischen Kontext Purtschert et al. 2012; David et al. 2005; Fässler 2005; Stettler et al. 2004; vgl. auch Steyerl/Rodríguez 2003 ) ◦ (https://www.zhdk.ch/forschung/ehemalige- forschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/post-kolonialetheorie-und-dekoloniale-perspektiven-3836; letzter Zugriff: 19.3.22) (2) (3) Unter dem Begriff der Postkolonialen Theorie werden sehr unterschiedliche Theoretiker_innen zusammengefasst – hier seien mit Edward Said (2009[1978]), Gayatri Chakravorty Spivak (1988; 1999) und Homi K. Bhabha (1994) nur drei der prominentesten Figuren genannt. Theoretisch beeinflusst zeigt sich der Post_kolonialismus vor allem durch marxistische und poststrukturalistische Ansätze, wobei sein Zugang interdisziplinär ist. Poststrukturalistische Theorien sind die Basis für die Dekonstruktion essentialistischer und eurozentristischer Diskurse. Dabei werden scheinbar klare Oppositionen wie Inklusion-Exklusion, KolonisatorKolonisierter, Okzident und Orient, auf die sich Erzählungen und Repräsentationen zum Beispiel kultureller Differenz stützen, hinterfragt. Aus poststrukturalistischer Perspektive wird die kulturelle Produktion als integraler Teil gesellschaftlicher Prozesse von Differenzierung, Exklusion, Inklusion und Regeln aufgefasst. Dieser Ansatz ist interessiert an dem, was Repräsentation verhüllt und nicht an dem, was sie enthüllt. Die marxistische Perspektive nimmt die internationale Arbeitsteilung und die aktuellen Prozesse des Neokolonialismus und der Rekolonisierung in den Blick. Post_koloniale Theorie gilt als die kontinuierliche Verhandlung dieser beiden scheinbar gegensätzlichen Herangehensweisen (Castro Varela/Dhawan 2015). Hinführung ◦ Was bedeutet „Orient“? ◦ Welche Bilder haben Sie im Kopf, woran denken Sie konkret? ◦ Was unterscheidet möglicherweise „Orient“ und „Okzident“? ◦ Welche Darstellungen aus Filmen kennen Sie? Orientalismus (Said)? ◦ Als theoretischer Gründungstext des Postkolonialismus gilt das 1978 erschienene Buch „Orientalism“ despalästinensisch-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Edward W. Said. Darin macht der Autor,, die Verschränkung von Wissen und Herrschaft anhand der diskursiven Konstruktion orientalischer Fremdheit in westlicher Wissenschaft, Kunst und Literatur deutlich. Als Diskurs, der die westlichen Repräsentationen des Anderen beherrschte und es der westeuropäischen Kultur erlaubte, an „Macht und Identität zu gewinnen, indem sie sich von dem Orient als einer Art Ersatz und sogar Untergrundselbst absetzte“ (Said 1978, S.3), entstand laut Said der Orientalismus in der Zeit nach der Aufklärung. Wissenschaftliche und literarische Darstellungen des Okzidents als fortschrittlich, rational, zivilisiert, ja sogar biologisch überlegen und maskulin konnotiert, die in den folgenden Jahrhunderten produziert wurden, fungierten als Hintergrund für Repräsentationen des „Orients“ als rückständig, irrational, zivilisierungsbedürftig, rassisch unterlegen und dabei feminisiert– wodurch er zum legitimen Objekt europäischer (männlicher) Kolonialisierung und Kontrolle wurde (Boatcă, 2015). Mit Saids Analyse wird erstmals deutlich, dass Kolonialismus nicht nur eine soziale Praxis von Herrschaft darstellt, sondern er der Herrschaft auch als „Diskurs über (vermeintliche) Unterschiede mit dem Ziel gegenseitiger Abgrenzung“ (Zimmerer 2013, S.15) zugrunde liegt. Für viele gehört der mit Said eingeläutete und bald darauf von indischen HistorikerInnen wie Ranajit Guha, Dipesh Chakrabartyund Partha Chatterjee sowie von LiteraturwissenschaftlerInnen wie Gayatri C. Spivak und Homi K.Bhabha und SoziologInnen wie Stuart Hall und Paul Gilroy weitergeführte, theoretische postcolonial turndeshalb zu den wirkmächtigsten Paradigmenwechseln des 20. Jahrhunderts, der erstmals von Intellektuellen aus den ehemals kolonisierten Peripherien ausging und die epistemologische Dominanz des globalen Nordens in Frage stellte (Zimmerer 2013)/ (Boatcă, 2015). . ◦ Kritik an: Repräsentation des Orients und die damit verbundene bewusst statische Konstruktion eines homogenen und minderwertigen Anderen in Form des Orientalen. ◦ Das Buch zeigt mittels einer Diskursanalyse von wissenschaftlichen Texten, journalistischen Beiträgen, Reiseberichten und Belletristik britischen und französischen Ursprungs auf, wie der Orient durch sogenannte Experten und vermeintliche Kenner erst produziert worden ist. ◦ Seit dem 18. Jahrhundert existierte in Europa eine akademische Disziplin namens Orientalismus oder Orientalistik, die sich der wissenschaftlichen Erforschung von Indien, Persien, dem heutigen Nahen Osten und Nordafrika annahm. In den Werken etlicher Maler und Dichter dieser Zeit, wie zum Beispiel auch Johann Wolfgang von Goethe, lässt sich nachvollziehen, wie fasziniert diese von der angenommenen Exotik, Sinnlichkeit oder gleich der Mentalität der dortigen Gesellschaften waren. ◦ Philosophen wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Friedrich Nietzsche oder Karl Marx bezogen sich wiederum auf den Orient als eine Region, von deren Rückständigkeit und der ihr zugrunde liegenden Kultur sich ein aufstreben-des Europa zu emanzipieren habe. ◦ Die Zuschreibungen, die aus diesen oberflächlichen Betrachtungen oder reinen Vorstellungen entsprangen, sorgten für die Konstruktion einer offensichtlich anderen Kultur und prägten die gesellschaftlichen Diskurse insbesondere in den expansionistischen Kolonialstaaten Europas (Richter 2015: 314). . ◦ Das Problem, auf das Said hier so vehement hinweist, ist nicht, dass es eine falsche Darstellung des Orients gäbe, die man nur durch das Zusammentragen von Fakten richigstellen könne. Das Problem ist vielmehr, dass es den Orient gar nicht gibt, sondern er eine soziale Konstruktion ist, die hierarchische Strukturen produziert und stützen hilft. Said spricht hier von » imaginativer Geografie « (Said 1979, S. 49), die scheinbar vollkommen verschiedene Welten erschafft und letztlich dazu führt, den so konstruierten Anderen als Bedrohung ausgrenzen oder/und im Sinne eines zivilisatorischen Projekts vereinnahmen zu können (Richter 2015: 315). Literatur ◦ Boatcă, Manuela (2015): Postkolonialismus und Dekolonialität. Abrufbar unter: file:///Users/johanneskock/Downloads/Boatca.PostkolonialismusundDekolonialitat.2015-1.pdf (letzter Zugriff: 21. 03. 22). ◦ Castro Varela, María do Mar/Dhawan, Nikita, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung (3., komplett überarbeitete und erweiterte Auflage), Bielefeld: transcript 2020. ◦ Conrad, Sebastian (2012). Kolonialismus und Postkolonialismus. Aus Politik und Zeitgeschichte62. Jahrgang · 44–45/2012 · 29. Oktober 2012, bpp. ◦ Post_koloniale Theorie und dekoloniale Perspektiven. Abrufbar unter: https://www.zhdk.ch/forschung/ehemaligeforschungsinstitute-7626/iae/glossar-972/post-koloniale-theorie-und-dekoloniale-perspektiven-3836 (letzter Zugriff: 22. 3. 22). ◦ Richter, Carola (2015). Orientalismus und das Andere. In: Handbuch Cultural Studies und Medienanalyse, Wiesbaden: Springer VS, S.313-321. ◦ Said, E. (1978). Orientalism. New York: Vintage Books. 3-Minute Paper bzw. stille Abschlussreflexion 1. Themen/Inhalte des Workshops (in Stichpunkten) 2. Das war mir bereits bekannt (in ausformulierten Sätzen) 3. Das habe ich neu erfahren (in ausformulierten Sätzen)