Das Kreuz d Advent. Eine Vielfalt an Weihnachtsmärkten in Wi Österreichs Autor der Stunde, Thomas Glavinic, n t • Uber zwei wichtige Termine des Jahres beginne ich mir schon Monate zuvor Gedanken zu machen: Weihnachten und Silvester. Die Frage ist zunächst die gleiche: Wo? Wo sollen wir feiern? Im Detail wird es haarig. Silvester ist vergleichsweise einfach zu besprechen, es geht darum, herauszufinden, mit wem wir feiern wollen, dann ist die Frage nach dem Ort sehr schnell geklärt, bei denen - oder bei uns. Mit Weihnachten geht das nicht. Weihnachten, das ist die Frage: Bei den Eltern meiner Freundin? Oder bei der eigenen Familie? Ich bin 35 Jahre alt. Ich habe noch nie einen eigenen Weihnachtsbaum aufgestellt. Immer war ich eingeladen. entweder bei der Verwandtschaft meiner jeweiligen Lebensabschnittspartnerin oder bei meiner eigenen. Mir geht das auf die Nerven. Aber seit ungefähr fünfzehn Jahren höre ich, wie wichtig es ist, Weihnachten da oder dort zu verbringen, denn wer weiß, wie lange dieser oder Jener Verwandter noch lebt. Ich frage mich, seit wann dieses Argument in meiner Familie verwendet wird. Mir gegenüber noch nicht so lange, seit fünfzehn Jahren eben, aber was ist mit der Generation über meiner? Meine Freundin Renate hatte eine neunzigjährige Großmutter, deren acht Töchter und Söhne jedes Jahr zu allen möglichen wichtigen Feiertagen bei ihr versammelt wurden mit dem Hinweis darauf, es sei vielleicht das letzte Weihnachten, das sie erlebt, das letzte Osterfest, der letzte Muttertag, der letzte Geburtsoder Namenstag, Pfingsten war auch nie unwichtig, überhaupt die katholischen Feiertage, da mussten alle einrücken. Ich habe den Verdacht, diesen Verweis auf das fortgeschrittene Alter eines Verwandten gibt es seit Jahrzehnten, wenn nicht noch länger. Jetzt sind es diese Großeltern. Irgendwann hatten die ihre Eltern noch, und irgendwann davor gab es auch noch deren Großeltern, man kann sehr weit zurückgehen, immer war jemand sehr alt und musste geschont werden. lit Weihnachten sn und Niederösterreich macht den Winter bunter und heimeliger, lacht sich seine eigenen Gedanken zur Weihnachtszeit. Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Weder der Oma meiner ehemaligen Freundin noch irgendjemandem aus meiner eigenen Verwandtschaft wünsche ich Böses. Ich habe zwei Opas, zwei Omas, sechs Großtanten, zwei Großonkel, alle von ihnen sind über achtzig, einige über neunzig, alle sind kerngesund, und alle erwarten, meine Freundin, unsere zwei kleinen Töchter und unseren Sohn sowie natürlich mich zu Weihnachten zu sehen. Und zwar am 24. Nicht am 25. Am 24. Und ich würde sie auch gern sehen, ich bin ja allen in familiärer Zuneigung verbunden. Aber die Eltern meiner Freundin wollen uns auch sehen. Und nicht nur die, auch die Großeltern metner „Überall diese ernst-würdigen Feiertagsgesichter, und in jedes könnte man hineinhauen." Freundin, die wollen uns erst recht sehen. Es scheint so etwas zu geben wie moralische Erpressung durch Alter. Ob man dazu einen stehenden Begriff kennt? Müsste wohl etwas mit potestas und senectutes zu tun haben. Jedenfalls bin ich Ende September, wenn ich mit meinen Feiertagsüberlegungen beginne, genauso schlau wie Anfang oder Mitte Dezember, wenn es langsam Zeit wird, eine Entscheidung zu fällen. Sogar Silvester wird immer schwieriger. Mit Kindern kann man nur Leute einladen, die selbst Kinder haben, kinderlose Raucher z. B. braucht man nicht einzuladen, die haben nicht das geringste Verständnis für die Maßnahmen, die man aus Jugendschutzgründen trifft. Und man selbst kann keine Einladungen von Menschen annehmen, die keine Kinder haben, es sei denn, man will um 22 Uhr zuhause sein. Aber wer will das schon? Ich nicht. Ich will mich wie ein lebendiger Mensch fühlen, obwohl ich Vater bin. Und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das möglich ist. Zu Weihnachten ist es genau umgekehrt: Ich will mich wie ein lebendiger Mensch fühlen, obwohl ich Sohn bzw. Enkel resp. Großneffe binl Ich will leben, mein Gott! Ich will Herr meiner Entscheidungen sein, nicht ausschließlich besümmt von Rücksichtnahmen! Man ist immer das eine oder das andere, entweder verpflichteter Vater oder verpflichteter Sohn, das gefällt mir nicht. Ich würde sogar sagen, dieses Jahr gefällt es mir so wenig, dass ich zu einem revolutionären Akt imstande bin: Ich traue mir zu, zuhause zu bleiben. Doch allein zuhause mit der Freundin und den Kindern, wer weiß, ob sich da nicht Lagerkoller einstellt. Immerhin muss man sich ja zuhause einbunkem am 24. Kein Radio aufdrehen, denn da jaulen und wimmern die Chöre, die ich mit Inbrunst hasse, und in die Nähe des Fernsehers braucht man auch nicht zu kommen, denn wenn man den nur antippt, schaut einem ein feierliches Gesicht entgegen, das zu Spendenfreude mahnt. Überall, wohin man schaut, diese ernst-würdigen Feiertagsgesichter, und in jedes könnte man hineinhauen. Aus all diesen Gründen wäre es ratsam, mit Freundin und Kindern zuhause zu bleiben und Freunde einzuladen. Aber da taucht nun wieder das Silvesterproblem auf. Ich habe nicht viele Freunde, die Kinder haben und so mutig sind wie wir, zu Weihnachten nicht zu ihren Verwandten zu fahren. Trotzdem, ich gebe die HofTnung nicht auf: Heuer feiere ich zu Weihnachten eine Party. Mit Freunden. Waihnachtan in Wim und Ni*dsrött«rr*ich Termine siehe Tipps ctuS :