STUDIENSTART IM CHAOS Odyssee der Erstsemester Von Sebastian Knauer Auf die Plätze... Bei der Vergabe von Studienplätzen regiert das Chaos. Es macht Studienanfänger zu superflexiblen Umzugsexperten und treibt der Bahn Kunden zu: Wenn die Wunsch-Uni verspätet zusagt, heißt es binnen Tagen die Stadt wechseln. Muss das wirklich sein? Der Studienanfänger Alexander Schröter, 23, war im rheinland-pfälzischen Trier gerade auf dem Weg zum Möbelladen, als ihn die frohe Botschaft erreichte. Kurz bevor er ein Bett, einen Schrank und einen Schreibtisch für seine neue Bude erwerben konnte, teilte ihm die Universität seiner Wahl im fernen Kiel mit, dass er doch noch einen Studienplatz in Politikwissenschaften bekommen hatte. Mit einem Abi-Notendurchschnitt von 2,8 war Schröter zunächst im Nachrückverfahren in Trier gelandet. Jetzt sollte alles wieder anders werden - obwohl das Semester schon begonnen hatte. Eilig packte Schröter den elterlichen Volvo wieder mit seinem Umzugsgut voll. Das Studentenwohnheim in Trier zeigte sich kulant und verzichtete auf die vertraglich zustehenden drei Monatsmieten. Schon am folgenden Tag zwischen 9 und 12 Uhr lief die letzte Frist zur Einschreibung in Kiel ab. Vor dem Erstsemester lagen über 700 Straßenkilometer auf dem Weg zur neuen Alma Mater. "Das war ein ganz schöner Parcours, ich bin die ganze Nacht durchgebrettert und um 4 Uhr morgens in Kiel angekommen", so Schröter. Lieber auf Nummer sicher mehrfach bewerben Zahlreiche Studienanfänger müssen sich mit ähnlichen Startproblemen herumschlagen. Das Bewerbungssystem für Erstsemester an deutschen Universitäten erweist sich in weiten Teilen als ineffizient, bürokratisch und kostentreibend, für Bewerber wie für die Hochschulen. Noch bis weit ins Semester hinein erhalten Studienbewerber Zu- oder Absagen verschiedener Unis. Dabei ist es für die Novizen schon schwierig genug, überhaupt das passende Fach zu wählen. Eine Übersicht der Hochschulrektorenkonferenz im Internet (mehr...) verzeichnet über 8800 unterschiedliche Fächer, von "Abfallwirtschaft und Altlasten, Bachelor, Dresden TU" bis zu "Zoologie, Magister, Kiel". Noch schlimmer: Jeder dieser Studiengänge hat seine eigenen Bewerbungsanforderungen, die Hälfte davon mit Zulassungsbeschränkungen. Da gehen viele Interessenten lieber auf Nummer Sicher und verschicken ihre Unterlagen gleich mehrfach. Für das vergangene Wintersemester waren etwa im Fach Jura 11.549 Studienplätze zu vergeben. Einschließlich der Mehrfachbewerbungen wurden 45.278 Zulassungsanträge eingereicht, von denen 34.600 positiv beantwortet wurden. Tatsächlich wurden schließlich nur 10.382 Studenten endgültig eingeschrieben. In anderen Fächern sieht es ähnlich aus. Die Novizen irren durch den Uni-Dschungel "Schon diese Zahlen belegen", sagt Bernhard Scheer, Sprecher der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) in Dortmund, "dass dieses Verfahren dringend verbessert werden muss." Ganze Generationen von Erstsemestern verirren sich im Dschungel des föderalen Bewerbungswahnsinns. Dabei war alles so gut gemeint, als die Monopolposition der vielgescholtenen ZVS auf Wunsch der 16 Kultusminister nach und nach aufgebrochen wurde. Fortan sollten sich die Unis ihre Studenten selbst aussuchen dürfen. Doch die Hochschulleitungen sind mit der neugewonnenen Freiheit vielfach überfordert - zum Nachteil der Studenten. Ein Opfer ist die Hamburgerin Lea-Sophie Borgmann, 20. In einem stetig wachsenden Leitz-Ordner hat die Abiturientin mit einem Gesamtdurchschnitt von 2,3 ihren Leidensweg dokumentiert. Ihre Bewerbung für einen Studienplatz in Kulturwissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg berücksichtigte alle Anforderungen der Verwaltung. Borgmann hatte selbst das Kleingedruckte gelesen und mit ordentlichen Häkchen ihre Checkliste abgearbeitet: "Datenerhebungsbogen", "Nachweis der gesetzlichen Krankenversicherung für die Einschreibung", "Zahlungsnachweise für Studentschaftsbeitrag (82,59 Euro), Studentenwerksbeitrag (41 Euro), Verwaltungskostenbeitrag, (75 Euro) sowie Studienbeiträge (500 Euro)." 2. Teil: Die Rein-und-Raus-Bewerber verstehen die akademische Welt nicht mehr Dazu kamen noch die schriftlichen Nachweise der praktischen Ausbildung und ehrenamtlichen Tätigkeiten, die bei der Bewerbung entscheidende Vorteile beisteuern können. Als ehemalige Schulsprecherin eines Hamburger Gymnasiums und Preisträgerin in einem Sprachenwettbewerb für Latein hoffte Borgmann auf Extrapunkte. Tatsächlich lag das erlösende Schreiben mit dem offiziellen Zulassungsbescheid für die Leuphana Universität Mitte August im Briefkasten. "Ich habe begonnen, mein zukünftiges Leben auf Lüneburg auszurichten", erzählt Borgmann. "Da gibt es ja einiges zu organisieren." Doch die Vorfreude wähnte nicht lange. Keine zehn Tage später kam die Mitteilung der Universität, dass die Zulassung wieder einkassiert werde, wegen einer "Neuberechnung Ihres Rangplatzes". Die Uni-Verwaltung habe festgesellt, dass die "außerschulischen Leistungen nicht vollständig nachgewiesen" seien. Düpierte Erstsemester Borgmann und rund 50 weitere Rein-und-Raus-Bewerber in Lüneburg verstanden die akademische Welt nicht mehr. Nach mehreren Telefonaten mit der Immatrikulationsstelle wurde präzisiert, dass die Mitgliedschaft in einem "Schulsprecher-Gremium" keine Punkte bringe, ebenso wenig wie ein "Gruppenpreis" für Fertigkeiten in Latein. "Woher soll ich das denn wissen?", ärgert sich Borgmann. Erst als sie sich bundesweit nach Alternativen umsah, bekam sie doch noch eine Zusage für das Wintersemester, da die Unterlagen jetzt ausreichend seien. In dem undurchsichtigen Bewerbungsparcours könnten nur noch "unbürokratische Lösungen" für die düpierten Erstsemester helfen, fordert Björn Glüsen, Sprecher des Allgemeinen Studentenausschuss in Lüneburg. Lange in der Warteschleife hing auch die Hamburger Abiturientin Clara Neumann. Trotz eines Abi-Durchschnitts von 1,2 und eines Praktikums bei der Deutschen Lufthansa wollte ihre Wunsch-Uni Freiburg zunächst keine Zusage für das Fach Psychologie aussprechen. Neumann erkundete alternative Studienorte wie Münster und Heidelberg, die verzögert einen Platz zusagten. Die Eltern mobilisierten den Freundeskreis für kurzfristige Unterkünfte und Wohnungstipps. Alles für die Katz, denn eine Woche vor Semesterbeginn gab es für Neumann einen Nachrückerplatz in Freiburg. Die Handlungsreisende in Sachen Studienplatz vermutet scherzhaft, dass "die Deutsche Bahn mit den Unis gemeinsame Sache macht" - sie profitiert von der Deutschland-Rallye der Studienbewerber. Wir können es besser, sagt die ZVS Wie das zersplitterte Bewerbungssystem übersichtlicher gemacht werden könnte, erläutert ZVS-Sprecher Scheer. Durch Beschluss der Kultusminister ließe sich die einst ungeliebte Zentralstelle in eine Stiftung umwandeln, die dann direkt mit den Hochschulen Dienstleistungsaufträge abschließen würde. Abiturienten könnten sich dann direkt bei der neuen ZVS bewerben. Sie würde als Vermittlungsagentur anhand der Bewerberdaten und den angebenen Prioritäten des Interessenten überprüfen, welche Uni ihn nehmen könnte. Zeitnah zur letzten Schulprüfung erhielte der künftige Student eine Liste von Unis, die für den Notendurchschnitt in Frage kommen könnten. Nach der Entscheidung für eine dieser Hochschulen würde nach deren Auswahlkriterien dann ein Zulassungsbescheid folgen. In Nordrhein-Westfalen werden so probeweise an Universitäten wie Münster, Köln oder Aachen bereits einige Studienplätze vermakelt. "Wir könnten morgen bundesweit loslegen", sagt ZVS-Sprecher Scheer, "man muss es nur wollen." Dann blieben Studienanfänger wie Alexander Schröter Reisen quer durch Deutschland erspart. Der unfreiwillige Umzugsexperte ist mittlerweile selbst in die Politik gegangen. Für die Junge Union arbeitet er als Kreisgeschäftsführer im schleswig-holsteinischen Stormarn. Spätere Karriere als Kultusminister nicht ausgeschlossen.