Viertes Kapitel Die Europäische Menschenrechtskonvention als gemeineuropäischer Grundrechtsstandard I. Bedeutung der EMRK Auf der Grundlage eines Entwurfes der Beratenden Versammlung des Europarates wurde 1950 in Rom die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet. Sie ist im Jahr 1953 nach der Ratifizierung durch zehn Staaten in Kraft getreten. Alle 40 Mitgliedstaaten des Europarates einschließlich Rußlands (Ratifikation am 5. Mai 1998) sind Vertragsstaaten der Konvention. Die Europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet elementare Menschenrechte (Recht auf Leben, Folterverbot, Verbot von Sklaverei und Zwangsarbeit), den Schutz persönlicher Freiheit, Justizgrundrechte (rechtsstaatliche Verfahrensgarantien), besondere Freiheitsrechte (Schutz der Privatsphäre, Gewissens- und Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinsfreiheit) sowie das Recht auf Ehe und Familie. Ergänzt worden sind diese Gewährleistungen durch eine Reihe von Zusatzprotokollen, die (für die ihnen beigetretenen Staaten) weitere Garantien enthalten. Von besonderer Bedeutung ist etwa das Protokoll Nr. 1, mit dem der Schutz des Eigentums gewährleistet ist (Art. 1), und das Protokoll Nr. 6 mit dem Verbot der Todesstrafe (Art. 1). Die überragende Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes liegt darin, daß damit zum ersten Mal effektive Durchsetzungsmechanismen für den Menschenrechtsschutz auf internationaler Ebene im Rahmen eines justizförmig geordneten Verfahrens geschaffen worden sind. (...) II. Konventionsorgane Ursprünglich war das Rechtsschutzsystem der Konvention zweistufig ausgestaltet. Mit der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg waren zwei (quasi-)richteriiche Organe geschaffen worden; deren Funktionsweise einen ähnlich ausdifferenzierten Rechtsschutz gewährleisteten, wie er aus dem innerstaatlichen Recht bekannt ist. Die Kommission hatte bei der Behandlung von Beschwerden eine wichtige Filter- und Vermittlungsfunktion. Das Verfahren vor der Kommission (die eine Beschwerde auch verbindlich zurückweisen konnte) war stets einer endgültigen Entscheidung durch den Gerichtshof vorgelagert. Die Zweistufigkeit dieses Rechtsschutzsystems (in dem neben dem Gerichtshof auch das Ministerkomitee des Europarates eine subsidiäre Zuständigkeit hatte) hat sich für die Bewältigung der Verfahrensflut als zu schwerfällig erwiesen. Das 11. Protokoll zur EMRK (BGBl. 1995 B, S. 578) gestaltet das Rechtsschutzsystem der Konvention grundlegend um. Das Protokoll sieht vor, daß Kommission und bisheriger Gerichtshof zu einem einheitlichen Organ verschmelzen: dem neuen ständigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (An. 19 EMRK). Dieser Gerichtshof hat im November 1998 seine Tätigkeit aufgenommen. Die Zahl der (nunmehr hauptamtlichen) Richter entspricht der Zahl der Konventionsstaaten (Art. 20 EMRK). Das neue System kennt drei verschiedene 35