23 Thema 'Ausländer' im Mediendiskurs. Zur Typisierung und Erklärung von Fremdenfeindlichkeit Von Georg Ruhrmann Nur wenige Themen haben die öffentliche Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland seit der Vereinigung so sehr beschäftigt wie das Thema Fremdenfeindlichkeit. Einfache Erklärungsmuster wie Orientierungslosigkeit, Arbeitslosigkeit und die Suche nach 'Sündenböcken' als Ursachen für Fremdenfeindlichkeit greifen zu kurz. Auch der Vorwurf einiger Politiker vor allen in Wahlkämpfen, erst und vor allem die Medien hätten durch ihre Berichterstattung die Fremdenfeindlichkeit herbeigeredet, geht an der Sache vorbei. In dieser Hinsicht ist auch die Wissenschaft ihrer Aufgabe bisher nicht gerecht geworden: Bis heute fehlen in Deutschland - mit einigen wenigen Ausnahmen1 - systematische und valide kommunikationswissenschaftliche Studien zur Darstellung von Fremden und Fremdenfeindlichkeit. Wir wissen besonders wenig über die "indirekten Wirkungsrisiken"2 der Mediendarstellungen von Gewalt 1 Siehe dazu vor allem die neueren empirischen Studien von: Hans-Bernd Brosius/Frank Esser, Eskalation durch Berichterstattung? Massenmedien und fremdenfeindliche Gewalt, Opladen 1995; Josef Eckhardt/Imme Horn, Fremde Kulturen im Fernsehen. Ergebnisse einer qualitativen ARD/ZDF-Grundlagenstudie, in: Media Perspektiven, 1. 1995, S. 2-10; Walter Hömberg/Sabine Schlemmer, Fremde als Objekt. Asylberichterstattung in deutschen Tageszeitungen, in: Media Perspektiven, 1. 1995, S. 11-20; Peter Funk/ Hans-Jürgen Weiß, Ausländer als Medienproblem? Thematisierungseffekte der Medienberichterstattung über Ausländer, Asyl und Rechtsextremismus in Deutschland, in: Media Perspektiven, 1. 1995, S. 21-30; Georg Ruhrmann u.a., Das Bild der Ausländer in der Öffentlichkeit. Eine theoretische und empirische Analyse zur Fremdenfeindlichkeit, Opladen 1995 (im Druck); zur internationalen Forschung: Teun A. van Dijk, Selective Bibliography on Ethnic Minorities, Racism and the Mass Media, Version 4.0, (University of Amsterdam, Critics, Program of Discourse Studies) Amsterdam 1995. 2 Jo Groebel, Medien, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, in: Beate Winkler (Hg.), Was heißt denn hier fremd. Thema Ausländerfeindlichkeit: Macht und Verantwortung der Medien, München 1994, S. 16-25, hier: S. 16. 24 und Fremdenfeindlichkeit bzw. darüber, wie Rezipienten tagtäglich Nachrichten erinnern.3 Ziel der folgenden Ausführungen ist es, − Fremdenfeindlichkeit im Mediendiskurs und in der Bevölkerungsmeinung4 zu beschreiben und auf Befunde früherer Inhaltsanalysen zur Ausländerberichterstattung einzugehen; − zu fragen, wie Kampagnen gegen Fremdenfeindlichkeit bei der Bevölkerung ankommen und hier erste Ergebnisse einer eigenen Studie vorzustellen und −Perspektiven der weiteren Forschung aufzuzeigen. Fremdenfeindlichkeit im Mediendiskurs Die Rolle der Medien bei der Darstellung von Fremdenfeindlichkeit wird in der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sehr unterschiedlich eingeschätzt. Der These, die Medien hätten eine große Wirkung, sie verstärkten Vorurteile und erzeugten Fremdenfeindlichkeit, steht die gut begründete Einschätzung gegenüber, die Medien hätten eine eher geringe und nur langfristig meßbare Wirkung, sie könnten daher Einstellungen kaum direkt verändern.5 Bezogen auf unsere Themenstellung steht die Frage im Mittelpunkt, wie die 3 Helmut Giegler/Georg Ruhrmann, Remembering the News. A LISREL Mode, in: European Journal of Communication, 5. 1990, H. 4, S. 463-488. 4 Zur Unterscheidung von medial vermittelter öffentlicher Meinung sowie von demoskopisch erhobener Bevölkerungsmeinung: Friedhelm Neidhardt (Hg.), Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 34. 1994, S. 26 ff.; sowie: Georg Ruhrmann, Öffentliche Meinung, in: Klaus Dammann/Dieter Grunow/Klaus P. Japp (Hg.), Die Verwaltung des politischen Systems. Neuere systemtheoretische Zugriffe auf ein altes Thema (mit einem Gesamtverzeichnis der Veröffentlichungen Niklas Luhmanns 1958-1992), Opladen 1994, S. 40-52. 5 Vgl. Klaus Schönbach, Weder Allmacht noch Ohnmacht: Ergebnisse der Medienwirkungsforschung, in: Beate Winkler (Hg.), Was heißt denn hier fremd, S. 11-15. 25 Medien über 'Ausländer'6 berichten, wie sie das "soziale Gedächtnis" prägen7 und wie das Publikum die Medienaussagen wahrnimmt und interpretiert. Aufgrund einer langen Tradition der Nachrichtenforschung gilt die Aktualität als ein wichtiges Auswahlkriterium.8 Aktuell sind Themen dann, wenn sie überraschend und von allgemeinen Interesse sind. Und das sind in der Regel Meldungen über Konflikte, über Krisen9, über Normverstöße und vor allem personalisierte Nachrichten, in denen Stars und Fans, Opfer und Täter, Entscheider und Betroffene in einen kausalen Zusammenhang gebracht werden können. Das bedeutet, daß Themen wie 'Ausländer', Zuwanderung, Fremdenfeindlichkeit nur dann von den Medien wahrgenommen werden, wenn sie die Kriterien der Nachrichtenfaktoren erfüllen - und das tun in der Regel vor allem die schlechten Nachrichten. Systematische Inhaltsanalysen zeigen:10 6 Wir verwenden nachfolgend pauschal den Begriff 'Ausländer', wie er auch in einschlägigen Skalen verwendet wird. Alternativ hätte man die Befragten zunächst definieren lassen, was sie unter "Ausländern" (oder unter anderen "Leitbegriffen" wie "Aussiedler" oder "Asyl" oder "Fremdenfeindlichkeit" (vgl. Klaus J. Bade, Ausländer - Aussiedler Asyl: Eine Bestandsaufnahme, München 1994, S. 9ff., 175ff.) jeweils verstehen und diese Konstrukte bei weiteren Fragen spezifisch berücksichtigen können. Bei dem Begriff der "Ausländerfeindlichkeit" wurden die Befragten gebeten, diesen Begriff selbständig zu definieren (vgl. Ruhrmann u.a., Das Bild der Ausländer in der Öffentlichkeit, S. 196). Zu den weiteren methodologischen Implikationen eines derartigen Vorgehens: Anselm Strauss/Juliet Corbin, Basics of Qualitative Research. Grounded Theory Procedures and Techniques, London 1990. Ein solches Verfahren hätte zumindest den zeitlichen und finanziellen Rahmen der vorliegenden Untersuchung gesprengt. 7 Vgl. Aleida Assmann/Jan Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Opladen 1994, S. 114-140. 8 Vgl. Georg Ruhrmann, Ereignis, Nachricht und Rezipient, in: Ebenda, S. 237-256. 9 Vgl. ders., Ist Aktualität noch aktuell. Journalistische Selektivität und ihre Folgen, in: Martin Löffelholz (Hg.), Krieg als Medienereignis. Grundlagen und Perspektiven der Krisenkommunikation, Opladen 1993, S. 81-96. 10 Georg Ruhrmann/Jochem Kollmer, Ausländerberichterstattung in der Kommune. Inhaltsanalyse Bielefelder Tageszeitungen unter besonderer Berücksichtigung 'ausländerfeindlicher' Alltagstheorien, Opladen 1987; Georg Ruhrmann, Zum Problem der Darstellung fremder Kulturen in der deutschen Presse, in: Zeitschrift für Kulturaustausch, 41. 1991, S. 42-53; ders., Die Konstruktion des "Fremden" in den Medien. Struktur und Folge- 26 − Wenn überhaupt über 'ausländische' Arbeitnehmer berichtet wird, dann häufig im Zusammenhang mit Kriminalität. − Während die Presse in den achtziger Jahren das 'Ausländerproblem' als 'Türkenproblem' definierte, ist inzwischen von einem 'Asylantenproblem' die Rede. − Die Boulevardzeitungen berichten über besonders 'fremd' erscheinende Kulturen in einem exotischen Rahmen. − Bestimmte Gruppen und Nationalitäten sind überrepräsentiert. − Negative Ereignisse werden in Teilen der Presse dramatisiert. − In der Boulevardpresse werden Ausländer und Asylbewerber als mögliche Bedrohung unserer Kultur angesehen. − Folgen weltweiter Migrationsprozesse werden als Gefahr für "uns Deutsche" konstruiert. Zusammenfassend stellt sich die Frage, wie diese an Aktualität orientierte Negativ-Akzentuierung der Presse in der Bevölkerungsmeinung das Bild über fremde Kulturen und Ausländer konstruiert und ob sich die zweifelsohne durch die normale aktuelle Medienberichterstattung stabilisierten und variierten Vorurteile zumindest teilweise auflösen oder wenigstens kompensieren lassen. Kampagnen gegen Fremdenfeindlichkeit In den Mediendiskursen zum Thema Ausländer spielen Unternehmenskampagnen gegen Ausländerfeindlichkeit eine große Rolle. Die Unternehmen verfolgen damit in der Regel vor allem zwei Ziele11: Sie wollen erstens deutlich machen, daß sie als Unternehmen gegen Fremdenfeindlichkeit sind, und sie versuchen, damit einen möglichst langfristigen Image-Gewinn für ihr Unternehmen erreichen, um ihnen Glaubwürdigkeit und soziale Akzeptanz zu sichern. Zwei probleme, in: Siegfried Jäger/Jürgen Link (Hg.), Die vierte Gewalt. Rassismus in den Medien, Duisburg 1993, S. 190-212; Hömberg/Schlemmer, Fremde als Objekt. 11 Vgl. Georg Ruhrmann/Holger Sievert, Bewußtseinswandel durch Kampagnen gegen Ausländerfeindlichkeit? Zur Effektivität von Anzeigen und TV-Spots, in: pr-Magazin, 25. 1994, H. 12, S. 35-42. 27 tens wollen sie einen Bewußtseinswandel in der Bevölkerung (oder zumindest in ihrer Zielgruppe) erreichen; denn nur ein kulturell offenes Unternehmen gilt wirtschaftlich als konkurrenz- und überlebensfähig. Beide Ziele sind eng miteinander verknüpft. Nur dann, wenn es einem Unternehmen gelingt, den Eindruck zu erwecken, einen Bewußtseinswandel erreichen zu wollen, hat es auch Chancen, glaubwürdig zu sein. Zunächst ist festzuhalten: Die in Umfragen ermittelten Meinungen zum Thema Ausländer werden seit Beginn der 1990er Jahre zunehmend Schwerpunktthema oder 'Aufmacher' in den Medien. Diese Aktualisierung entspricht in der Regel der jeweiligen tagespolitischen Agenda.12 Um den geschilderten Zusammenhang zwischen Medienbewertung, Kampagnen und Einstellungen zu Ausländern in der Bevölkerung zu klären, wurden drei Printkampagnen gegen Fremdenfeindlichkeit untersucht,13 die hier kurz vorgestellt werden: a) Die Anzeige "live and work together" wurde im Rahmen der EspritKampagne "Was würdest Du tun?" veröffentlicht. Mit dieser Imagewerbung wollte das Modeunternehmen Esprit de Corp. GmbH (Düsseldorf) nach eigener Aussage "das soziale und ökologische Engagement des Unternehmens" unterstreichen. Die Anzeige erschien im Zeitraum Februar/März 1993 in verschiedenen Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von mehr als 5,2 Millionen Exem- plaren. b) Offizieller Start der Gemeinschaftsaktion des Bundes der deutschen Zeitungsverleger (BDZV) war der 12. Februar 1993. An diesem Tag wurde Zeitungen ein Aufkleber mit der Aufschrift "Ausländerhaß - Wir sagen Nein" beigelegt (vgl. Abb. 1). An der Kampagne beteiligten sich über 100 Zeitungen in den alten und neuen Bundesländern mit einer Gesamtauflage von rund 10 Millionen Exemplaren. 12 Vgl. Brosius/Esser, Eskalation durch Berichterstattung? 13 Vgl. Ruhrmann u.a., Das Bild der Ausländer in der Öffentlichkeit. 28 c) Die "Fairständnis"-Kampagne gehört zu einem 'Sofortprogramm gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit' der Innenminister von Bund und Ländern, das am 26. März 1993 gestartet wurde (vgl. Abb. 2). Zielgruppe des Programms unter dem Slogan "Fairständnis - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhaß" waren insbesondere Jugendliche. Sie wurde vor allem in Jugendund Szenezeitschriften mit einer Gesamtauflage von 4,3 Millionen Exemplaren veröffentlicht. Das von der Bevölkerung anläßlich ihrer Medienrezeption konstruierte Bild der 'Ausländer' wurde in einer umfangreicheren, im Frühsommer 1994 durchgeführten mündlichen Befragung nachgezeichnet.14 Ort der Untersuchung war die Stadt Dortmund, die hinsichtlich ihrer Größe und Sozialstruktur zumindest mit einigen anderen Großstädten in Deutschland vergleichbar ist. Im Vordergrund der Pilotstudie standen die Einstellungen der Befragten zu Kampagnen gegen Fremdenfeindlichkeit. Ein weiterer Schwerpunkt der Studie lag im Bereich der Mediennutzung der befragten Personen. Zur Grundgesamtheit zählten alle in Dortmund gemeldeten Personen, die zum Zeitpunkt der Untersuchung (Mai/Juni 1994) die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Nach dem Prinzip einer zweistufigen Zufallstichprobe wurde ein Sample von 263 Personen be- fragt. Um herauszufinden, was den Befragten von der bildlichen Gestaltung am ehesten ins Auge fällt, wurden ihnen von der Esprit-Kampagne zunächst nur das Bild, vom BDZV-Aufkleber nur das Symbol gezeigt. Danach sollten sie be- schreiben, − was sie gesehen hatten und ob sie die Seite vorher schon gesehen hatten, − wie die vermutete Kernaussage lautet, − wie die vermuteten Zielgruppe beschrieben wird, − inwieweit die Seite gefällt und wie dies begründet wird 14 Die im Rahmen eines viersemestrigen Lehrforschungsprojektes entstandene Studie wurde im Rahmen von Sachbeihilfen unterstützt von der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster e.V. und vom Zentrum für Türkeistudien (ZfT) an der Universität-GH Essen. 29 − und ob und warum (bzw. warum nicht) die Befragten den BDZV-Aufkleber von sich aus aufkleben würden. Typisierung von Fremdenfeindlichkeit Untersuchungsbereiche Variablenkomplexe Kampagnenbewertung • Einzelbewertungen • Bereitschaft zur Verwendung • Gesamteinschätzung Bewertung der Berichterstattung • TV-Nutzung • Information / Unterhaltung • Nutzung Tages- und Wochenzeitung • Umfang der Berichterstattung • Ausländerbild in TV • Ausländerdarstellung in der Presse Interaktion mit Ausländern • Art des persönlichen Kontaktes (7 Dummy-Variablen) • Medialer Kontakt (4 Dummy-Variablen) • Index "Kontaktqualität" Politische Orientierung • Bedeutung politischer Probleme • Inglehart-Index (zur generellen Werthaltung) • Selbstbild • Ausländeranteil DO und D • Parteienpräferenz • Links-Rechts-Skala (Selbsteinschätzung) Fremdenfeindlichkeit • Index: 9 diskriminierende Statements Soziodemographische Variablen • Alter • Schulbildung • Einkommen • sozialer Status 30 Mit Hilfe einer Clusteranalyse wurden fünf typische Muster der Kampagnenbewertung, der Mediennutzung und von Einstellungen gegenüber Ausländern ermittelt15. Sie unterscheiden sich hauptsächlich hinsichtlich der Merkmale zum Mediennutzungsverhalten, zur politischen Einstellung, zur Fremdenfeindlichkeit und zur Bewertung von Kampagnen gegen Fremdenfeindlichkeit. 1) Stark ausländerfeindliche, politisch rechts stehende Unterschicht - Dieses Cluster umfaßt 12% der Befragten und ist das kleinste und heterogenste aller Cluster. Die Befragten verfolgen überdurchschnittlich häufig Programmangebote der Privatsender RTL, SAT1 sowie PRO7. Tages- und Wochenzeitungen werden seltener gelesen. Die Befragten meinen, die Ausländer würden "zu positiv" in der Presse dargestellt. Sie sind deutschnational eingestellt, normativ und autoritätsgläubig. Sowohl für die Bundesrepublik (27,5%, tatsächlich 8,5%) als auch für die Stadt Dortmund (25%, tatsächlich 11.5%) wird der Anteil der hier lebenden Ausländer überschätzt. Man ist der Meinung, daß der Anteil in Dortmund "nicht in Ordnung" sei. Die Befragten glauben, den Ausländern gehe es in Deutschland wirtschaftlich erheblich besser als ihnen selbst; sie kommen selten mit Ausländern beruflich in Kontakt. Für die Ausländerproblematik sind nach ihrer Ansicht die Ausländer selbst verantwortlich; Kampagnen gegen Ausländer-/Fremdenfeindlichkeit werden nicht für notwendig gehalten. Politisch stehen die Befragten rechts. 2) Ausländerfreundliche Postmaterialisten mit Kontakten zu Ausländern - Die zweite Gruppe ist mit 26% der Befragten das größte aller Cluster. Die Angehörigen dieses Clusters sind jüngere, gut gebildete und eher links eingestellte Postmaterialisten, die regelmäßig ARD bzw. WEST3 sehen und eher Informationssendungen im Fernsehen bevorzugen. Den Mitgliedern dieses Clusters ist es nicht sehr wichtig, 'Deutsche' zu sein, eher ist es ihnen "peinlich". Die Befragten meinen, daß in Deutschland "zu wenige Leute politisch aktiv sind". Kampagnen gegen Ausländer-/Fremdenfeindlichkeit werden als notwendig er 15 Ziel der Clusteranalyse ist es, möglichst wenige und kohärente Cluster (statistische Gruppen) einander ähnlicher Merkmalsträger (in diesem Falle Befragte) zu ermitteln und auf diese Weise gruppenspezifische Besonderheiten zu entdecken. 31 achtet. Die Befragten leben in einer vergleichsweise großen 'sozialen Nähe' mit den Ausländern. Insgesamt äußern sie überdurchschnittlich wenig ausländerfeindliche (oder ambivalente) Einstellungen. 3) Jüngere unterhaltungsorientierte Gleichgültige - Dieses Cluster mit 22% der Befragten versammelt eher jüngere Zuschauer der privaten Fernsehkanäle RTL, SAT1 und PRO7. ARD und ZDF werden seltener gesehen, als Programmpräferenz werden Spielfilme und Unterhaltung angegeben. Den Befragten ist es explizit nicht wichtig, 'Deutscher' zu sein. Sie überschätzen sehr stark den Anteil der Ausländer in Dortmund (22%!). Kampagnen gegen Fremdenfeindlichkeit erachten sie für notwendig. Mitglieder dieses Clusters repräsentieren eine insgesamt ambivalente Einstellung zu Ausländern; besondere Kontakte zu Ausländern werden nicht aufgebaut oder gepflegt. 4) Nationalbewußte Oberschicht mit Kontakt zu Ausländern - Das vierte Cluster mit 15% der Befragten repräsentiert gebildete, eher konservative und gut verdienende Angehörige der oberen sozialen Schichten. Die Befragten bevorzugen Printmedien und Informationssendungen im Fernsehen. Wenn die Angehörigen dieses Clusters an Deutschland denken, empfinden sie eher Stolz. Politisch stehen sie den Regierungsparteien CDU/CSU und FDP nahe, deutliche Antipathien bringt man der SPD und dem Bündnis90/Die Grünen entgegen. Die Befragten geben an, überdurchschnittlich häufig die Möglichkeit zu haben, mit Ausländern in persönlichen Kontakt zu treten. 5) Unterschicht mit wenig Kontakt und ambivalente Haltung zu Ausländern Dieses zweitgrößte Cluster mit 25% der Befragten repräsentiert Angehörige der Unterschicht mit geringer Bildung. Den Befragten ist es persönlich sehr wichtig, 'Deutscher' zu sein. Der politische Problembereich Kriminalität gilt den Befragten als ein sehr wichtiges Thema. Besonders selten finden sie Kontakt zu Ausländern in Arbeit und Beruf, aber auch in Freundschaften. Die Befragten verfügen über weniger Schulbildung und einen vergleichsweise geringeren sozialen Status und vertreten ein eher materialistisches Wertesystem. Zumindest eine ambivalente Einstellung zu Ausländern wird sichtbar. 32 Die Untersuchung des Einflusses einzelner Merkmale (Variablen) auf die Clusterbildung ergab hohe Werte für: − den Index 'Ausländerfeindlichkeit', − die Wichtigkeit, 'deutsch' zu sein, − das Alter der Befragten, − den Index "soziale Schicht", − den Index zur Werthaltung, − Präferenzen der Privatsender RTL und SAT1 und − den Index zur Qualität des Kontaktes mit Ausländern. Einen vergleichsweise geringen Einfluß auf das Zustandekommen der Cluster haben u.a. Vorschläge der Befragten zur "Lösung" des Ausländerproblems, die Bewertungen des Ausländerbildes in Fernsehen und Presse sowie die Präferenzen für die SPD. Zusammenfassend läßt sich bisher sagen, daß man nicht (mehr) von der Fremdenfeindlichkeit sprechen kann, sondern daß zumindest ansatzweise ein differenzierteres Muster sozialer, psychologischer und medialer Merkmale herangezogen werden muß, um dieses Phänomen empirisch angemessen zu beschreiben: Die fünf Gruppen von Befragten, die in Bezug auf mehr als 40 relevante Merkmale in sich relativ homogen sind, unterscheiden sich als Cluster jedoch deutlich voneinander. "Erklärung" von Fremdenfeindlichkeit: Regressionsmodell Die - gerade in einer zugespitzten medienpolitischen Diskussion - häufig gestellte Frage nach den Faktoren, die Fremdenfeindlichkeit zu erklären vermögen, kann mit Hilfe einer Regressionsanalyse der Zusammenhänge zwischen fremdenfeindlichen Einstellungen (als angenommener abhängiger Variable) und den diese beeinflussenden Merkmale beantwortet werden.16 Sie zeigt, daß eine 16 Siehe dazu ausführlicher: Georg Ruhrmann/Johannes Kollbeck/Wolfgang Möltgen, Fremdverstehen, in: Publizistik, 40. 1995, H. 4. 33 recht große Erklärung der Varianz (43%) von Fremdenfeindlichkeit mit den zuvor in der Clusteranalyse typisierten Variablen möglich ist. Den größten Beitrag dazu leisten die politischen Orientierungen der Befragten, vor allem die Einstellung zum Pluralismus: Befragte, die der Aussage "Auswandern statt Kritisieren" zustimmten, äußerten sich auch diskriminierender gegenüber Ausländern. Auch die Einstellung zum politischen Engagement in der Bundesrepublik und die Selbsteinstufung in der politischen Links-Rechts-Skala leisten einen Beitrag zur Erklärung von Fremdenfeindlichkeit: Befragte, die der Meinung waren, es gebe zu wenig politisch Aktive, und die sich eher politisch links einstuften, waren signifikant weniger ausländerfeindlich. Eine weitere wichtige Einflußgröße für Fremdenfeindlichkeit ist der persönliche Kontakt der Befragten zu Ausländern. Je eher sie der Meinung waren, es gebe zu viele oder zu positive Berichte über Ausländer in der Presse, um so mehr stimmten sie auch diskriminierenden Aussagen über Ausländer zu. Ein ähnlich großer Einfluß der Bewertung der Fernsehberichterstattung zu Ausländern ist nicht festzustellen. Die plausible Annahme, daß Befragte, die sich durch zu viele Kampagnen gegen Fremdenfeindlichkeit gestört oder etwa provoziert fühlen, auch eher ausländerfeindlich eingestellt sind, kann empirisch nicht belegt werden. Ausblick Im Sinne einer modernen Kommunikationspolitik17 läßt sich daraus schließen: Wer nur pauschal mit veralteten Metaphern oder kruden Wirkungsannahmen ("die Medien schüren die Ausländerfeindlichkeit") fremdenfeindliche Eskalationen erklären oder gar therapieren will, wer die typischen fremdenfeindlichen Einstellungen innerhalb differenzierter sozialer Gruppen bzw. sozialer 17 Siehe dazu statt anderer: Helmut Schmalen, Kommunikationspolitik Werbeplanung, Stuttgart/Berlin/Köln 1992; Heribert Meffert/Joachim Bolz, Internationales MarketingManagement, Stuttgart/Berlin/Köln 1994; siehe auch: Anke Derieth, Unternehmenskommunikation. Eine Analyse zur Kommunikationsqualität von Wirtschaftsorganisationen, Opladen 1995; sowie mit einer Bewertung von social advertising: Ruhrmann/ Sievert, Bewußtseinswandel durch Kampagnen gegen Ausländerfeindlichkeit? 34 Milieus18 nicht interpretieren kann, dürfte kaum in der Lage sein, mit effektiven Kommunikationsstrategien für mehr Verständnis zu sorgen oder Vorurteilsstrukturen aufzulösen. Angesichts nicht nur hypothetisch riskanter Imageprobleme des Standortes Bundesrepublik Deutschland aufgrund fremdenfeindlicher Anschläge in den letzten Jahren erscheint eine Intensivierung der Forschung und verstärkte wissenschaftlich fundierte Politikberatung dringend erforderlich. Weiterführende Studien hätten sich detaillierter mit Kampagnen, insbesondere im Fernsehen mit unterhaltenden Aussagen über hier lebende Ausländer, auseinanderzusetzen. Fernsehen ist spätestens in den 1990er Jahren zu einem wichtigen Katalysator des sozialen Wandels geworden und verdient eine entsprechende sozialwissenschaftliche Berücksichtigung.19 Auf der Basis einer weitaus größeren Zahl von Befragten wäre der Zusammenhang − zwischen diesen Medienangeboten, − verschiedenen Formen öffentlicher Diskurse, − den individuellen Konstruktionen und Bezeichnungen von Fremden ("Ausländer", "Asylant", "Gastarbeiter" usw.), − den Alltagswelten, Lebensstilen und psychographischen Strukturen der Zu- schauermotivationen20 − sowie ihren politischen Einstellungen im Rahmen von längeren, auch qualitativen Tiefeninterviews zu untersuchen. Gesellschaftspolitisch engagierte Unternehmen, Ministerien, TV-Redaktionen und Wissenschaftler sind aufgerufen, die Realisierung einer solchen erweiterten Fragestellung zu forcieren und mit angemessenen Mitteln zu ermöglichen. 18 Vgl. Berthold-Bodo Flaig/Thomas Meyer/Jörg Uelzhöffer, Alltagsästhetik und politische Kultur. Zur ästhetischen Dimension politischer Bildung und politischer Kommunikation, Bonn 1993. 19 Vgl. Thomas Bruns/Frank Marcinkowski/Jörg-Uwe Nieland/Georg Ruhrmann/Thomas Schierl, Fern-Sehen und sozialer Wandel. Duisburg (RISP Arbeitspapier, Nr. 1) 1994. 20 Vgl. Georg Ruhrmann, Fernsehen im Alltag, Duisburg 1995 (Manuskript). 35 Abb. 1: Ausländerhaß - Wir sagen Nein 36 Abb. 2: Fairständnis