44 2. Presse: die schwarze Kunst „Neuen Zeitungen" übertrug sich der Begriff seit dem 17. Jahrhundert auf verschiedene periodische Presseformen. Erst im 19. und 20. Jahrhundert verengte sich der Zeitungsbegriff auf die Tages- und Wochenpresse. In einer älteren, aber immer noch gültigen Formel definierte Emil Dovifat: „Die Zeitung vermittelt jüngstes Gegenwartsgeschehen in kürzester regelmäßiger Folge der breitesten Öffentlichkeit."68 Die „Zeitschrift" ist begriffsgeschichtlich als „Schrift der Zeit" gedeutet worden. Belegt ist die Verbindung der Hauptworte „Schrift" und „Zeit" erstmalig Ende des 17. Jahrhunderts. Sie bezeichnete zunächst chronikgleiche Periodika. Folglich wurden Jahreschronisten im 17. Jahrhundert bisweilen als „Zeitschreiber" bezeichnet. Noch Zedlers Universallexikon behandelte Mitte des 18. Jahrhunderts Zeitschriften unter dem Stichwort „Zeitung" und bezeichnete sie dabei wechselweise als „gelehrte Zeitungen" oder „Monats-Schriften". Der erste, der von „Zeitschriften" sprach, war offensichtlich Peter Freiherr von Hohenthal (1726-1794), der Herausgeber der „Oeconomischen Nachrichten" (1749-1763).69 „Zeitschrift" übersetzte das französische und englische „journal". In Deutschland fand die Bezeichnung „Journal" noch bis ins 19. Jahrhundert für so verschiedenartige Periodika wie Chronik, Zeitung und Zeitschrift Verwendung. Weitere Begriffe werden im Rahmen der Darstellung der neuen Medien erläutert. Die Bedeutung der Vorgeschichte Johannes Gutenberg ist der Erfinder des Drucks mit beweglichen Lettern, selbst wenn in mancher Mediengeschichte Anderes zu lesen ist. Zum Beleg wird dann auf chinesische oder koreanische Drucke verwiesen. So richtig der Hinweis auf die ostasiatischen Erfindungen ist, er verkennt zweierlei: einerseits den Wesenszug der Gutenbergschen Erfindung, andererseits die Bedeutung der kulturellen Umgebung für eine Erfindung. Beides hängt eng miteinander zusammen, und darauf hinzuweisen, wertet Gutenberg weder auf noch ab. Denn das Paradoxe seiner Erfindung ist: • Sie war nicht als solche bedeutend, sondern erst im Zusammenhang mit den Umgebungsbedingungen der Erfindung. Dovifat, Emil: Zeitungswissenschaft, 2 Bde., Berlin/ Leipzig 1931, Bd. 1, S. 9. Kosch-witz, H.: Zeitschrift, in: Publizistik, 13/1968, S. 41-43. Vgl. zur damals allgemein gebräuchlichen Begriffsverwendung in: Zedlers Universal-Lexikon, Bd. 61, Sp. 911f. Grundzüge: Entstehung und Verbreitung der Presse 45 • Nur in Kulturkreisen, in denen Buchstaben gebräuchlich waren, konnte der Buchdruck mit beweglichen Lettern (Letter = Buchstabe) erfunden werden. Die Erkenntnis ist keineswegs banal: Das Alphabet ist die zentrale Umgebungsbedingung, weil nur Schriftsysteme, in welchen die Worte in Buchstaben zerlegt werden, einen genügend hohen Abstraktionsgrad aufweisen, um mit wenigen Zeichen das komplette Universum der Sprachen ausdrücken zu können. Die chinesischen Drucke basierten hingegen auf einer mehrere Tausend Zeichen umfassenden Bilderschrift. Gleiches gilt für die ersten koreanischen Drucke; doch wurde die früheste koreanische, alphabetähnliche Druckschrift erst nach Gutenberg gebraucht. Die wichtigste Voraussetzung für die Bedeutung der Gutenbergschen Erfindung - das Alphabet - wurde also nicht von ihm gelegt. Die Phönizier erfanden es im 8. Jahrhundert v. Chr. Das soll Gutenbergs Bedeutung nicht schmälern, sondern nur die des „richtigen" kulturellen Umfelds betonen. Die asiatischen „Vor"-Erfindungen blieben aber auch wegen der Abgeschiedenheit Chinas und Koreas ohne Konsequenz für die übrige Welt. Die Europäer hingegen gingen kurz nach der Erfindung des Buchdrucks auf Entdeckungsfahrt, leiteten eine erste Phase der „Globalisierung" ein und trugen ihre kulturellen Leistungen (sowie wirtschaftliche und kriegerische Mentalität) in alle Welt. Auch Bücher wurden schon vor Gutenberg gedruckt. Die ältesten in Europa gedruckten Bücher nennt man Blockbücher, deren Vorlagen samt Abbildung und Text aus Holzblöcken geschnitten waren. Die älteren Blockbücher wurden nicht auf Pressen gedruckt, sondern als Bürstenabzüge hergestellt. Weil die Papiere auf eingefärbte Holzformen angelegt und die Rückseite mit einer Bürste glattgestrichen wurde, konnten sie nur einseitig gefärbt werden. Bei den meisten der seit 1350 hergestellten Blockbücher handelt es sich um Andachtstexte von geringem Seitenumfang. Trotz der Vorläufer sind Fernwirkungen der Erfindung kaum zu überschätzen: Gutenberg erfand um 1440 mehr als ein Mediensystem, er erfand eine Kulturtechnik. Ohne seine Erfindung ist die Neuzeit kaum vorstellbar. Dennoch ereigneten sich weitere folgenreiche Veränderungen an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit: der Untergang Ostroms, der Aufstieg des Osmanischen Reichs, die Entdeckungsfahrten und die Wiederentdeckung der Antike, die Renaissance. In kulturgeschichthcher Hinsicht ist Gutenbergs Erfindung sicherlich ebenso bedeutend gewesen: • Sie bewahrte das Wissen der Griechen, 46 2. Presse: die schwarze Kunst • verbreitete die Kenntnisse der neuen Welt, • versah Renaissance und Humanismus mit Durchschlagskraft • und legte damit den Grundstein für die stürmische und andauernde Entwicklung der Wissenschaften. 2.1.2 Erfindung und technische Weiterentwicklungen Gutenbergs Erfindung Gutenberg entstammte einer angesehenen Mainzer Patrizierfamilie. Von Beruf war er Goldschmied. Damit verfügte er über die notwendigen metallurgischen Fähigkeiten, die für die Herstellung von Drucktypen nötig waren. Da Goldschmiede von ihren Schmuckstücken Probeabdrücke nahmen, um deren Qualität zu kontrollieren, war ihm auch eine Form des „Drückens" geläufig. Die Druckerpresse hatte er von den Weinpressen der rheinischen Winzer abgeschaut und seinen Bedürfnissen angepasst. Die hölzerne Handpresse blieb seit dem späten 15. Jahrhundert für beinahe 350 Jahre nahezu unverändert. Gutenbergs Leistung bestand daher im Transfer, d.h. in der Verbindung von Bekanntem mit Neuem und der Verbesserung des Bewährten.70 Gutenbergs genuine Erfindung war ein Gießinstrument, das die gleichförmige Reproduktion von Druckbuchstaben erlaubte. Die Druckbuchstaben mussten aus einem Metall mit niedrigem Schmelzpunkt gegossen werden, zugleich sollte es hart genug sein, um sich nicht schnell abzunutzen. Nach längerem Experimentieren fand Gutenberg eine Legierung aus Blei, Zinn, Wismut und Antimon. Die Mischung härtete schnell aus und ermöglichte damit den Guss vieler gleichförmiger Typen, die im Setzkasten abgelegt wurden. Vor dem Setzer stand der Setzkasten mit den Typenfächern. Der Setzer fügte nun Buchstabe für Buchstabe in den Winkelhaken. Jede fertige Zeile wurde mit gekonntem Schwung auf das Satzschiff, eine Metallplatte, die der Druckseite entsprach, befördert. Gedruckt wurde auf angefeuchtetem Hanebutt-Benz, Eva-Maria; Gutenbergs Erfindungen - Die technischen Aspekte des Drückens mit vielfachen Lettern auf der Buchdruckerpresse, in: Dies. (Hg.): Gutenberg, aventur und kunst. vom Geheimunternehmen zur ersten Medienrevolution. Katalog zur Ausstellung der Stadt Mainz anlässlich des 600. Geburtstages von Johannes Gutenberg 14. April-3. Oktober 2000, S. 158-189. Grundzüge: Entstehung und Verbreitung der Presse 47 Papier. Das Satzschiff wurde mit Druckerschwärze, einer Mischung aus Ruß und Fett, bestrichen. Der Papierbogen wurde mit einer Spindelpresse gegen die bestrichene Vorlage gepresst. Die Gutenbergschen Drucker gingen sehr sorgfältig zu Werke. Mit dem Typenguss hatte Gutenberg unbewusst die erste Massenproduktion vollständig identischer Kopien eingeführt. Doch um die Revolutionierung der Industrieproduktion ist es ihm wohl kaum gegangen, vielleicht nicht einmal um die Erfindung eines „Kopierapparats", sondern - so wird von einem Teil der Literatur behauptet - um Ästhetik. Dieser Gedanke ist, betrachtet man die Perfektion der 42-zeiligen Bibel, bestechend, unterschätzt allerdings Gutenbergs ökonomisches Kalkül. Gedruckt wurde um 1800 noch immer auf der Handpresse, gesetzt wurde im Handsatz, die Nachrichten überbrachten wie seit alter Zeit persönliche Boten. Das gilt in ganz Europa. Honore de Balzac (1799-1850) beginnt seinen Roman „Verlorene Illusionen" mit dem Satz: „Zu der Zeit, da unsere Geschichte beginnt [in der Französischen Revolution], fand man in den kleinen Druckereien der Provinz weder die Stanhopsche Presse noch die Walzen zum Auftragen der Farbe."71 Allerdings war die ursprüngliche Holzkonstruktion der Presse nach und nach durch Metallteile ersetzt worden. Metall entzog der Druckerfarbe keine Feuchtigkeit, damit blieb die Presse formstabil.72 Neue Drucktechniken Um 1800 begann eine Phase stürmischer Entwicklungen. Die Veränderungen betrafen alle technischen Bereiche. Kapazität und Qualität des Drucks wurde verbessert. Die Konsequenzen für die Arbeitsorganisation in Verlagen und Redaktionen, für die Verbreitung der Presse, für die Schnelligkeit und Reichhaltigkeit der übermittelten Inhalte und damit nicht zuletzt auch für den Einfluss der Presse auf das alltägliche Leben und das gesellschaftliche Miteinander waren enorm. Die Ausgangslage am Ende des 18. Jahrhunderts nimmt sich allerdings nur aus der Rückschau bescheiden aus. Hätten Zeitgenossen der Wende vom 15. auf das 16. Jahrhundert vergleichend vorausschauen können, wären sie ebenso erstaunt 71 Balzac, Honore de: Verlorene Illusionen, Berlin 1983, S. 7. 72 Welke, Martin/ Fuchs, Boris: Zeitungsdruck. Die Entwicklung der Technik vom 17. zum 20. Jahrhundert, hg. von Hans Bohrmann (Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung, Bd. 58), München 2000, S. 11-23. 48 2. Presse: die schwarze Kunst über die massenhafte Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften gewesen, wie Zeitgenossen Napoleons I. fassungslos vor dem Stand der Massenmedien an der Wende zum 21. Jahrhundert stehen würden. Schon in der Frühen Neuzeit hatten verschiedene Druckverfahren nebeneinander existiert. Man unterscheidet • den Hochdruck, • den Tiefdruck • und den Flachdruck. Bei dem Hochdruck wird die Druckfarbe auf die erhabenen Teile der Druckplatte aufgebracht. Typische Hochdruckanwendungen sind der Druck von Holzschnitten sowie insbesondere Gutenbergs Druck mit beweglichen Lettern. Beim Tiefdruck wird hingegen die Farbe in die Vertiefungen der Druckplatte eingerieben, die Zwischenflächen und -Stege werden von der Farbe gereinigt. Typische Anwendungen sind Radierungen und Kupferstiche. Beim Flachdruck existiert zwischen den farbtragenden und den farbfreien Schichten kein Niveauunterschied. Die Effekte der Farbannahme und -abstoßung werden durch wechselseitige Abstoßung von Fett und Wasser erzielt. Typische Anwendungen sind Lithografie und Offset-Druck.73 Da Gutenbergs Presse nach dem Prinzip Fläche gegen Fläche druckte, hielten die Drucktypen nicht lange. Das Papier musste mit starkem Druck auf die Satzform gepresst werden, die Typen waren in wenigen Monaten breitgequetscht. Die Bogengröße konnte nicht beliebig gesteigert werden, denn der erforderliche hohe Anpressdruck ließ sich nur bei mäßig großen Formaten erzielen. So war Drucken körperlich anstrengend und die Druckgeschwindigkeit Heß zu wünschen übrig. Zudem wurden die Typen umständlich eingefärbt und hinterher wieder gesäubert. Nur eine radikal neue Drackmaschine konnte Druckgeschwindigkeit, Format und Lebensdauer der Schrifttypen steigern. Friedrich Gottlob Koenig (1774-1833) und Andreas Friedrich Bauer (1783-1860) ersetzten den Druck Fläche gegen Fläche durch Fläche gegen Zylinder - weiterhin im Hochdruck-Verfahren. Koenig erhielt erste grundlegende Patente 1810/11. Ein Jahr später war die erste Schnellpresse nach dem neuen Prin7.jp fertig. Die neue Konstruktion bot große Vorteile. Die Druckwalze drückte immer nur auf einen Bruchteil des Satzes, der niedrigere Andruck schonte die 73 Grandlegend: Koschatzky, Walten Die Kunst der Graphik. Technik, Geschichte, Meisterwerke, (dtv-Taschenbuch, Bd. 2868), 11. Aufl., München 1993. '*) Grundzüge: Entstehung und Verbreitung der Presse 49 Drucktypen, die Druckformate konnten gesteigert werden, der Druckvorgang beschleunigte sich. 1814 wurde die erste Zeitungsausgabe, die Londoner „Times", auf einer Schnellpresse gedruckt. Selbstbewusst verkündete der Leitartikel: „Our Journal of this day presents to the public the practical result of the greatest improvement connecting with printing, since the discovery of the art itsself."74 In Deutschland kaufte Johann Cot-ta (1764-1832) 1822 die erste Schnellpresse für die „Allgemeine Zeitung", ein Jahr später folgte die Berliner „Haude und Spenersche Zeitung". In größerer Zahl wurden sie seit den 1840er Jahren angeschafft.75 Rotationspressen nach dem Prinzip Zylinder gegen Zylinder kamen seit den 1870er Jahren vermehrt zum Einsatz. Die noch herkömmlich gesetzten Vorlagen wurden abgegossen, die Abgüsse dann auf die Rotationswalzen gespannt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Technik der Stereotypie eingebürgert. Dabei wurde von dem fertig gesetzten Seitenumbruch in einer Maschine ein Gipskartonabdruck, eine sogenannte „Mater" genommen. Die Mater wurde in eine weitere Maschine halbkreisförmig eingespannt und mit der gutenbergschen Bleilegierung ausgegossen. Auch dies Verfahren ist noch ein Hochdruckverfahren. Die verbesserten Drucktech n iken ermöglichten immer höhere Auflagen. Mit der Einführung der neuen Druckmaschinen vergrößerten die überregionalen Zeitungen seit den 1830er Jahren, die lokalen seit den 1840er und 1850er Jahren allmählich ihre Satzspiegel. Um 1900 waren in etwa die heute üblichen Formate erreicht. Nur neue Pressetypen wie die Boulevardpresse kehrten zu kleineren Formaten zurück, um der Leserschaft auf dem Weg zur Arbeit die Lektüre zu erleichtern. Von besonderer Bedeutung für die moderne Drucktechnik ist das Flachdruckverfahren. Es entwickelte sich aus der Lithografie, die Ende des 18. Jahrhunderts durch Aloys Senefelder (1771-1834) erfunden worden war und mehrere Vorteile bot: Die Kalksteinplatten als Träger der Abbildungen waren wiederzuverwenden. Die Druckgeschwindigkeit war dreimal höher als beim Kupfertiefdruck. Die Abbildungen waren leichter zu korrigieren. Doch waren die Steine sehr brachempfindlich. Während sich die Lithografie im Karten-, Kunst- und Notendruck rasch durchsetzte, konnte sie sich für die Presse nur bei den Nachrichtenkorrespondenzen und den The Times, 29.11.1914, faksimiliert in: Bauer, Wilhelm: Die Öffentliche Meinung in der Weltgeschichte, Potsdam 1930, S. 350. Welke, M./ Fuchs, B.: Zeitungsdrack, S. 31-39. 50 2. Presse: die schwarze Kunst Bilderbogen für eine gewisse Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts die beherrschende Stellung sichern. Erst die Weiterentwicklung zum Rollenoffset-Druck, der Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und Deutschland gleichzeitig erfunden wurde, setzte sich im Zeitungsdruck durch. Der englische Name hebt auf „set off" = übertragen ab, wird in Deutschland aber erst nach dem Ersten Weltkrieg gebräuchlich. Der Offset-Druck basierte auf dem gleichen chemischen Grundprinzip wie die Lithografie, Farbträger waren allerdings keine Steine, sondern gummierte Walzen. Zunächst muss eine Druckvorlage - Texte und Bilder - erstellt und abgezogen werden. Das Gummituch übernimmt seitenverkehrt die Druckvorlage. Die einzufärbenden Stellen sind nicht farbabweisend, die freien abweisend. Das Gummi wird auf die Rotationswalze gespannt und überträgt die Vorlage auf das Papier. Noch vor dem Ersten Weltkrieg häuften sich die Patente für Zeitungs-Offset-Maschinen. Eine erste deutsche Tageszeitung erschien mit Offset-Druck-Bildern Ende der 1920er Jahre. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Druckprinzip in Deutschland zur beherrschenden Zeitungsdrucktechnik. Die Drucktechnik wurde weiter vervollkommnet, mit Satztechniken (s.u.) kombiniert und zu vollelektronischen Druckmaschinen entwickelt (seit 1990) ,76 Neue Satztechniken Die nächste Schwachstelle war der Handsatz. Ein Setzer Gutenbergs setzte am Tag etwa eine Druckseite. Dabei verwandte er nur ein Drittel seiner Zeit auf das Setzen selbst. Ein weiteres Drittel benötigte er für das Ausschließen der Zeilen, d.h. für die Herstellung des Randausgleichs. Um die Drucktypen nach dem Druck wiederverwenden zu können, mussten sie abschließend im Setzkasten abgelegt werden. Damit verging das letzte Drittel Zeit. Erste Verbesserungen richteten sich auf die Vereinfachung des Handsatzes. Bei den sogenannten Logotypensystemen wurden die gebräuchlichsten Buchstabenkombinationen zusammengegossen. Doch was die Logotypensysteme an Satzzeit einsparten, das verbrauchten sie mit der wesentlich komplizierteren Ablage. Erfinderwettbewerbe seit Beginn des 19. Jahrhunderts versuchten das Problem zu beheben. Etliche Tüftler rui- Welke, M./ Fuchs, B.: Zeitungsdruck, S. 4043. Grundzüge: Entstehung und Verbreitung der Presse 51 nierten dabei sich und ihre Geldgeber; Mark Twain (1835-1910) verlor praktisch sein gesamtes Vermögen. Erst dem Deutsch-Amerikaner Ottmar Mergenthaler (1854-1899) glückte, woran ca. 200 Erfinder vor ihm gescheitert waren. Er versuchte keine Typensetzmaschine zu konstruieren, sondern verband Setzen und Gießen (1885/6).77 Der Setzer schrieb auf einer schreibmaschinenähnlichen Tastatur, die Gussvorlagen wanderten aus dem Magazin in eine Zeile, die mit Blei ausgegossen und im Satzschiff abgelegt wurde. Die nicht mehr benötigten Gussformen fielen nach jedem Zeilenguss ins Magazin zurück. Mergenthaler nannte die Erfindung „Linotype" - line of types. Auf die Dauer konnte sich neben der Linotype nur noch eine andere Satzmaschine behaupten: die lochkartengesteuerte Monotype des Erfinders Tolbert Lanston (1844-1913) - 1887 patentiert. Die Satzmaschinen boten mehrere Vorteile: Die Satzgeschwindigkeit stieg um das Drei- bis Vierfache. Die Buchstaben nutzten sich nicht ab. Dadurch blieb der Satz gleichmäßig. Nachteilig schlug allerdings die beschränkte typografische Vielfalt zu Buche. Die ersten Baumuster konnten nur eine einzige Schriftart und Größe bewältigen. Erst 1907 kam eine Doppelmagazin-Linotype (für zwei Schriften), 1911 eine mit dreifachem Magazin (für drei Schriften) auf den Markt. Setz-Gießmaschinen eigneten sich für einfache Satzaufgaben, für sogenannten „glatten Satz", wie er bei Standardtexten anfällt. Zudem waren die Maschinen teuer. Eine Linotype kostete 1910 in Deutschland 12.000 bis 13.000 Mark - ein mittleres Bürgerhaus. Weil nur große Verlage die Maschinen finanzieren konnten, mussten kleinere sich zusammenschheßen, Konzentrationsprozesse kamen in Gang. Insgesamt dürften jedoch trotz Linotype und Monotype vor dem Ersten Weltkrieg noch zwei Drittel aller Texte von Hand gesetzt worden sein. Die Typen- und Zeilengießmaschinen wurden im 20. Jahrhundert weiter verbessert.78 Zum einen kombinierte man die Linotype und ähnliche Setzmaschinen mit Lochstreifen und -karteneingaben. Die Lochkarten wurden vorher in speziellen Maschinen kodiert und waren in einer elekt-romechanischen Vorform des Computers gebräuchlich. Daneben wurden Foto-Setzmaschinen entwickelt, welche die einzelnen Buchstaben und Ziffern auf Glasträgern oder Fotoscheiben enthielten und sequentiell auf 77 RPat 32586 und 40857. 78 Welke, M./ Fuchs, B.: Zeitungsdruck, S. 44-48. 52 2. Presse: die schwarze Kunst eine lithografische oder Offset-Vorlage übertrugen. Hier musste die Vorlage nicht mehr gegossen werden. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das Fotosatzverfahren weitgehend ausgereift. Allerdings wurden beide Satzverfahren, das auf dem Bleisatz und das auf dem Fotosatz basierende, nach 1945 weiterentwickelt. Seit den 1950er Jahren wurden die unterschiedlichen Satztechniken mit der aufkommenden Datenverarbeitung kombiniert. Statt Lochkarteneinlese setzten sich nun Eingaben mit Elektronenrechnern durch. In den 1960er Jahren wurden erste Satzrechner entwickelt, die Wortabstände, Randausgleich und andere Formatierungen automatisch berechnen konnten. Digitale Setzmaschinen übernahmen von Band oder Diskette die Satzvorlage. Setzmaschinen wurden in der Folgezeit Computern immer ähnlicher. Sie erhielten Monitore und Textspeicher, so dass simultane Kontrolle und nachträgliche Korrektur durchführbar wurden. Diese Verfahren haben sich einerseits bis zum Desktop-Publishing-Verfahren (seit den 1980ern) weiterentwickelt und den Weg sogar in die Büros mittlerer und kleiner Unternehmer sowie den „Home-User"-Bereich gefunden. Im professionellen Druckgewerbe ermögüchte das sogenannte Computer-to-plate-Verfahren (seit den späten 1970ern) den umweglosen Druck aus dem Computer auf die Druckmaschine, ohne Zwischenkopien zu benötigen. Vom Arbeitsprozess ist dies der Kombination aus PC und Drucker im Heimanwenderbereich vergleichbar. In Verbindung mit Glasfaserkabel- und Satellitentechnik ließen sich auf diese Weise die Druckzentren verteilen und somit der Vertrieb vereinfachen. Nur so konnte seit 1982 die „USAtoday" als erste überregionale Zeitung in Nordamerika erscheinen. 2.1.3 Die Verbreitung der Pressemedien Mit einem etwas schiefen Vergleich hat man für die Jahrhunderte seit Gutenberg von einer „Explosion des gedruckten Wortes" gesprochen. Das mag vielleicht auf ein Urteil des englischen Philosophen Francis Bacon (1561-1626) zurückgehen, der meinte, nichts habe die Welt so verändert wie das Dreigestirn aus Schießpulver, Kompass (wg. der Entdeckungen) und Buchdruck. Voraussetzung war die rapide Ausbreitung der Technik. Schon vor 1462, als Gutenberg Mainz verlassen musste, hatten dort drei Buchdruckerwerkstätten bestanden. Durch die städtischen Wirren vertrieben, flüchteten die Gesellen und eröffneten in Deutschland sowie im Aus- Grundzüge: Entstehung und Verbreitung der Presse 53 land Druckereien. Ein Mainzer Konkurrent von Gutenberg war schon zuvor nach Bamberg übergesiedelt und druckte dort seit 1461, vielleicht schon seit 1456. In Straßburg wurde ebenfalls seit 1456 (wieder) gedruckt, in Rom seit 1464, in Augsburg und Basel seit 1468. Als Gutenberg im Februar 1468 starb, existierten in Europa mindestens neun, höchsten zwölf Druckereien. In den 1470er Jahren wurden in Frankreich, Holland, Flandern, Spanien und England Druckereien eröffnet, nicht wenige von deutschen Druckern. In Dänemark und Schweden wurden die ersten Druckereien in den 1480er Jahren errichtet. Um 1500 gab es in sechzig deutschen Städten bereits insgesamt 300 Druckereien, in Italien schon 150, mehr als 40 in Frankreich. Zunächst konnten die deutschen Drucker im Ausland ihre Vorherrschaft behaupten, in Rom sogar bis Anfang des 16. Jahrhunderts.79 Die folgende Tabelle gibt Schätzungen aller periodischen und nichtperiodischen Schriften bis an die Wende zur Moderne wieder. Tabelle 2-1: Steigerung der Druckschriftenproduktion im alten Reich80 geschätzte Zahl geschätzte Gesamtauflage 15. Jh. 15.000-30.000 zwischen 1,5-4,5 und 20 Mio. 16. Jh. 120.000 bis 150.000 zwischen ca. 70-90 und 100-150 Mio. 17. Jh. 265.000 200-300 Mio. 18. Jh. 500.000 750 Mio. bis 1 Milliarde Unperiodische Flugblätter und Nachrichtenmedien wurden in den wichtigen Handels-, Verkehrs- und damit Nachrichtenzentren ihrer Zeit gedruckt: An der Spitze lagen die oberdeutschen Städte Nürnberg und Augsburg. In den zentralisierteren westeuropäischen Staaten England und Frankreich waren die Hauptstädte auch Hauptdruckorte. In jedem Land wirkten andere politische Ereignisse als Katalysators zur Verbreitung der neuen Medien: In Deutschland waren es die Reformation nach 1517 und der Bauernkrieg 1524/25, in Frankreich die Bürgerkriege im 16. Jahrhundert und der Adelsaufstand der „Fronde" um die Mitte des 17. Jahrhun- 79 Eisenstein, Elisabeth L.: Die Druckerpresse. Kulturrevolutionen im frühen modernen Europa, Wien/ New York 1997, S. 12-17; Giesecke, M.: Buchdruck, S. 212f. 80 Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Einführung - Systematik - Glossar, (Uni-Papers, Bd. 8), Konstanz 2000, S. 260.