1 OPENING WINDOWS OF OPPORTUNITY Lobbying von Umweltorganisationen im Rahmen der EU- Energiepolitik Kim Muntinga/1407014 Miles Ahlemann/0800657 Ina Maria Sattlegger/1046762 Katharina Zangerl/0815093 Yiyi Shen/1369315 066 824 Master Politikwissenschaft Universität Wien 210132-1 M11 Forschungpraktikum Umkämpfte Globalisierung: Zur Rolle von sozialen Bewegungen und NGOs Ulrich Brand und Melanie Pichler, SS 2015 2 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................................................................................ 4 2. Methoden........................................................................................................................................... 10 3. NGO-Einflussnahme auf die Energiepolitik der Europäischen Union.............................................. 11 3.1. EU Institutionen, Energiepolitik und Methoden: Vergangenheit und Gegenwart in einer Nussschale............................................................................................................................................. 11 4. Lobbyismus ....................................................................................................................................... 22 4.1. Definition........................................................................................................................................ 22 4.2. Typen von Lobbyisten.................................................................................................................... 23 4.3. Formen & Strategien des Lobbyismus ........................................................................................... 26 4.3.1. Allianzen ..................................................................................................................................... 27 4.3.1.1. Concentric Ccoalitions ............................................................................................................. 29 4.3.1.2. Issue Management Coalition.................................................................................................... 29 4.3.1.3. Unlikely Coalitions................................................................................................................... 30 4.3.1.4. Kumpel Allianzen..................................................................................................................... 30 4.3.2. Netzwerke.................................................................................................................................... 30 4.3.3. Timing ......................................................................................................................................... 32 4.3.4. Sprache, Nationalität & Kultur.................................................................................................... 32 4.4. Zugänglichkeit und Attraktivität europäischer Institutionen für die Einflussnahme durch NGOs. ............................................................................................................................................................... 33 4.4.1. Die Europäische Kommission..................................................................................................... 35 4.4.2. Das Europäische Parlament......................................................................................................... 37 4.4.3. Der Rat der Europäischen Union................................................................................................. 39 4.5. Die vier Lobbyebenen .................................................................................................................... 40 4.5.1. Die Beobachtungsebene: Monitoring – inklusive Vor- und Frühwarnfunktion.......................... 41 4.5.2. Die Analyseebene: Politische Bewertung und Strategieentwicklung.......................................... 42 4.5.3. Die Ausführungsebene: Aktives Lobbying – Einsatz von Maßnahmen...................................... 45 4.5.4. Die Überwachungsebene: aktives Überwachen der Komitologie und Implementation.............. 46 5. Die Beziehungen von Interessensgruppen zu EU Institutionen aus NGO-Perspektive..................... 47 5.1. Lobbying in der Europäischen Kommission .................................................................................. 47 5.2. Lobbying im Parlament der Europäischen Union .......................................................................... 51 5.3. Lobbying im Rat der Europäischen Union..................................................................................... 54 6. ENGO-Lobbying aus angewandter Perspektive................................................................................ 57 6.1. Die Akteure .................................................................................................................................... 58 3 6.1.1. Green 10 ...................................................................................................................................... 58 6.1.2. Greenpeace European Unit und Friends of the Earth Europe...................................................... 60 6.2. Analyse der Interviews: Dichotomien............................................................................................ 61 6.2.1. Strategisches Planen vs. Ad-Hoc-Agieren................................................................................... 62 6.2.2. ‚Love your Enemy’ vs. dichotome Feindbilder: Die sekundäre Rolle öffentlicher Kampagnen: Zuerst wird immer geredet. ................................................................................................................... 63 6.2.3. Funktion als dritte Partei und integrierter Akteur gleichzeitig.................................................... 64 6.2.4. Abhängigkeit vs. Proaktives Handeln ......................................................................................... 66 7. Schlussfolgerungen ........................................................................................................................... 68 Interviews.............................................................................................................................................. 71 Literaturverzeichnis............................................................................................................................... 72 Legende: Katharina – 1. & 2. Yiyi – 3. Kim – 4. bis 4.3.4. & 4.5. & 7. Miles – 4.4. & 5. & 7. Ina – 6. & 7. 4 1. Einleitung Im Rahmen unseres Forschungspraktikums haben wir uns unter anderem mit den verschiedenen Rollen, Funktionen und Erscheinungsformen von zivilgesellschaftlichen Akteuren auseinandergesetzt. Im Besonderen mit Interessensartikulation, welche außerhalb von Parlamenten, in unterschiedlichen Ausprägungen von Protest, sozialen Bewegungen hin zu sich etablierenden Akteuren, auftritt (Teune 2008). Wir befassen uns in dieser Ausarbeitung mit einer institutionalisierten, besonderen Prägung von außerparlamentarischer Interessensartikulation, der von Nicht-Regierungsorganisationen/ Non-Governmental Organisations (NGOs). Die Motivation für unsere Forschung und das grundlegende Interesse unserer Ausarbeitung lässt sich zum einen auf die Feststellung der „Entparlamentarisierung“ im Zusammenhang mit dem Kompetenzzuwachs der europäischen Institutionen zurückführen. Die Entparlamentarisierungsthese (Goetz, Meyer 2008) attestiert den nationalen Parlamenten eine limitierte Rolle im Politikgestaltungsprozess der Europäischen Union. Es wird hier davon ausgegangen, dass im Zuge der europäischen Integration, Exekutivagenturen auf nationaler und europäischer Ebene einen Machtzuwachs erfahren haben. Dies bedeutet somit, dass die Repräsentation der WählerInnen im Gesetzgebungsprozess der EU, durch ihre parlamentarischen InteressensvertreterInnen eingeschränkt ist. Kathrin Auel beschreibt die Folgen dieses Machtverlusts wie folgt: „Nationale Parlamente sind zwar für die Implementierung europäischer Richtlinien zuständig […] aber für die Gesetzgebung auf der europäischen Ebene sind Vertreter der nationalen Regierungen im Rat verantwortlich. Die Folge ist ein stetiger Verlust an parlamentarischen Entscheidungskompetenzen in der europäischen Politik“. (Auel 2006 : 243) Des Weiteren wurden die Befugnisse der europäischen Organe zur Politikgestaltung in den Mitgliedsstaaten kontinuierlich erweitert. Im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) wurde die Umstrukturierung der bisherigen Drei-Säulen Aufteilung der EU-Zuständigkeiten verankert. Es wurden hiermit Zuständigkeiten zur Rechtssetzung zwischen den EU-Organen und den Mitgliedsstaaten geklärt. Daraus ergibt sich, dass die Europäische Union nun über drei unterschiedliche Arten von Zuständigkeiten verfügt. In den jeweiligen Bereichen entscheiden die Organe der Europäischen Union nun mit ausschließlicher Zuständigkeit (Art. 3/ AEUV), geteilter Zuständigkeit (Art. 4/AEUV) oder haben lediglich unterstützende, koordinierende Zuständigkeit (Art. 6/ AEUV). Im Bereich der gemeinsamen Energiepolitik 5 der Mitgliedsstaaten wurde der Europäischen Union geteilte Zuständigkeit übertragen. Dies bedeutet, die EU-Institutionen können in diesem Bereich bindend legislativ tätig werden, die Mitgliedsstaaten führen ihre Kompetenzen lediglich supplementär aus (EU-lex). Diese Kompetenzzuschreibung an die EU-Organe führt zu einer verstärkten Supranationalisierung der Legislativakte im Energiebereich. Dies ist vor allem sichtbar durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (OLP), welches durch die Zusammenarbeit von Rat und Parlament geprägt ist. Legislativakte werden innerhalb dieses Verfahrens auf Initiative und durch Zustimmung von beiden Legislativorganen der EU erlassen. Die genaue Vorgehensweiße dieses Gesetzgebungsprozesses wird in einem folgenden Kapitel beschrieben. Aus den vorangegangenen Ausführungen lässt sich schlussfolgern, dass die nationalen Interessensvertretungen an Einfluss auf die Gesetzgebungsakte der Europäischen Union verlieren und zugleich die Kompetenzen dieser Gesetzgebungsorgane mit dem Vertrag von Lissabon erweitert wurden. Wir haben uns im Zusammenhang mit dieser Feststellung die Frage gestellt, wie die in den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten stets präsenten Interessen, Forderungen, Wünsche und Sorgen in den Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union wirkungsmächtig gelangen können? Eine mögliche Form der Repräsentation von Interessen innerhalb der europäischen Gesellschaften sehen wir in Form von NGOs. Welche, wie bereits erwähnt, als etablierte, institutionalisierte Form der außerparlamentarischen Interessensvertretung fungieren können. Die zahlreichen weiteren Ausprägungen von Zivilgesellschaft und die vielfachen Strukturen im institutionellen System der Europäischen Union, welche gegen die Erscheinungsformen der Entparlamentarisierung wirken sollen, werden in der folgenden Ausarbeitung nicht weiter bearbeitet. Einen weiteren grundlegenden Ausgangspunkt in unserer Arbeit, finden wir in dem Phänomen des Lobbyismus. „[…] Lobbying [ist, AdV) von ständiger Natur in Brüssel und begleitet alle Gesetzgebungsprozesse- von der Agendabildung bis zur Implementierung des Gesetzes (Heitz 2011: 12).“ Die Anzahl von privaten und öffentlichen Gruppierungen, welche versuchen auf den Politikgestaltungsprozess in der Europäischen Union Einfluss zu nehmen, ist stetig angestiegen. Schätzungen zu Folge beläuft sich die Anzahl an Lobbyingorganisationen, die auf europäischer Ebene arbeiten auf über 2400 (Greenwood 2007 in: Hix, Bjørn 2011: 163). Diese Zählung beinhaltet verschiedenste Akteure, welche private und öffentliche Interessen auf EU-Ebene vertreten, wie interest-group associations, public affairs organizations, national interest-group associations und Firmenlobbiysten. (Hix, Bjørn 2011: 163) 6 Im Zuge der Recherche zu unserer Arbeit, sind wir auf viele Werke zum Thema des Lobbyismus gestoßen. Diese zahlreichen Ausarbeitungen beschäftigen sich mit den verschiedensten Aspekten dieses Phänomens und erlauben einen Überblick über die verschiedenen Strategien der Einflussnahme. Im Zuge unserer Ausarbeitung wollen wir jene Vorgehensweisen und Strategien vorstellen, welche im Lobbyingbereich auf EU-Ebene Anwendung finden. Wir beschäftigen uns in unserer Arbeit mit einer spezifischen Ausformung des Lobbyismus und stellen somit eine ganz bestimmte Form der politischen Einflussnahme von außerinstitutionellen InteressensvertreterInnen dar. Die detaillierte Auseinandersetzung mit dem Lobbyismusbegriff, sowie die Darstellung der zugehörigen Konzepte folgen in einem späteren Teil der Arbeit. Diese Ausarbeitung ermöglicht die Kontextualisierung und die Herstellung der relevanten Bezugsrahmen um unsere Arbeit. Es erlaubt uns zugleich, die Einordnung unserer Ergebnisse in die Beantwortung unserer Fragestellung. Um die Ausführung zur Forschungsfrage kohärent zu gestalten, definieren wir grundlegend die Interessensvertretung durch NGO’s anhand folgender Ausführungen: Lobbyismus gilt als die Einflussnahme von Akteuren außerhalb des institutionellen Systems eines politischen Gebildes auf politische Entscheidungen. Zahlreiche Interessensverbände wie Wirtschafts, - und Sozialverbände, Arbeitnehmerverbände und vor allem im Non-Profit Bereich die Umweltschutzorganisation versuchen ihre spezifischen Interessen in die politische Entscheidungsfindung mit einzubringen. Im Idealfall repräsentieren diese Interessensverbände die Vielfalt innerhalb der Gesellschaft, sodass hier diese Vielfalt bei der Entscheidungsfindung mitberücksichtigt werden kann. Tatsächlich verfügen die unterschiedlichsten Interessenverbände jedoch über sehr unterschiedliche Möglichkeiten und Voraussetzungen um diese Aufgaben wahrzunehmen. Es muss jedoch hier angemerkt werden, dass unser zentrales Forschungsinteresse in den strukturellen Zugangsmöglichkeiten dieser Interessenvertretung, sowie den strategischen Mitteln dieser liegt. Die faktischen legislativen Auswirkungen auf die Gesetzgebungsprozesse sind schwer messbar und finden daher nur kurz Erwähnung in unserer Arbeit. PolitikerInnen, sowie die BürokratInnen, in verschiedensten Funktionen und auf den unterschiedlichsten Ebenen erarbeiten und entscheiden über unzählig viele Belange, oftmals über äußerst spezifische Sachthemen. Diese Komplexität der Inhalte, sowie die notwendige Detailfokussierung im Legislativprozess verlangen einen hohen Kenntnisstand zum jeweiligen Thema. VertreterInnen der verschiedenen Interessenverbände verfügen in ihrem jeweiligen Bereich über dieses Spezialwissen und können somit dieses den 7 EntscheidungsträgerInnen zur Verfügung stellen. Der Nutzen des Lobbyismus kann somit im erleichtern und beschleunigen dieser Entscheidungsfindung liegen. Diese PolitikberaterInnen sammeln Informationen, bereiten diese auf und geben sie an die EntscheidungsträgerInnen weiter. Die Einflussnahme auf Politikgestaltung ist über vielerlei Kanäle möglich und umfasst die unterschiedlichsten Tätigkeiten. Es gilt daher die Aufgaben des Lobbyisten auch in der Herstellung von Kontakten und eröffnen des Zugangs zu Netzwerken zu sehen. Des Weiteren gilt es, die Machtgefüge innerhalb des komplexen Systems der Europäischen Union zu erfassen und Zugänge hierfür zu finden. Heitz beschreibt diese Ausprägung wie folgt: „Um diese formellen und informellen Strukturen der EU nutzen zu können, benötigen die Lobbyisten umfangreiches know-how, denn Macht und Einfluss sind in der EU nicht nur in den offiziellen formalen Hierarchien und Wegen existent.“ (Heitz 2011 : 13) Zu weiteren Aufgaben im Lobbying-Bereich zählen die Kontaktaufnahme mit EntscheidungsträgerInnen, das Verfassen von Vorlagen zu Gesetzesentwürfen, Organisieren von themenspezifischen Veranstaltungen, sowie die Mobilisierung der Öffentlichkeit durch Kampagnen und Presseerklärungen. Heitz verweist in seiner Dissertation auf die „Natur der Sache“ des Lobbyismus, (Heitz 2011: 25) welchem inne liegt, dass er sich nur äußerst schwer messen lässt und Aussagen hierzu nicht verallgemeinerbar sind. Lobbyismus ist per se nicht institutionalisiert, folgt somit keinen festen Regeln und ist daher schwer empirisch zu messen. Wir gehen jedoch zur Vereinfachung davon aus, dass Lobbyismus sich innerhalb eines rationalen Kosten-Nutzen Kalküls abspielt. Ausgehend hiervon, nehmen wir an, dass die Vorgehensweise der einzelnen Akteure, das Resultat von Abwägungen ist. Welche an folgende Faktoren angepasst sind:  das institutionelle System der EU im jeweiligen Politikbereich  an die Entscheidungsmacht der jeweiligen Institutionen und ihrer Repräsentanten  den Zugangsmöglichkeiten zu diesen  den spezifischen Forderungen der NGOs. Diesem Argument folgend, stellen wir in unserer Ausarbeitung diese Faktoren in Bezug auf die EU-Energiepolitik dar. Die folgende Ausarbeitung soll unsere Forschung zum Thema „Umkämpfte Globalisierung: Zur Rolle von sozialen Bewegungen und NGOs“ vorstellen. Wir haben zunächst einmal das 8 Ziel verfolgt, den Einfluss von zivilgesellschaftlichen Akteuren auf die EU-Gesetzgebung, darzustellen. Dieses Erkenntnisinteresse hat sich im Zuge unserer Arbeit sehr verengt. Je fortgeschrittener unsere Recherche zu diesem Thema, umso deutlicher wurde uns bewusst, dass die Wirkung, welche zivilgesellschaftliche Interessensartikulation innerhalb der EU auf bestimmte Politikgestaltung hat, nur schwer empirisch zu erfassen ist. Wir haben uns also im Verlauf darauf geeinigt, in unserer Forschung zum einen die Handlungs- und Möglichkeitsfelder und zum anderen die Hürden und Herausforderungen, welcher dieser Einflussnahme der zivilgesellschaftlichen Akteure entgegenstehen, zu betrachten. Nach mehreren Treffen konnten wir uns darauf festlegen, ein Politikfeld im Speziellen zu analysieren. Durch die große Anzahl an NGOs, welche im Rahmen der Europäischen Union ihre Interessen einzubringen versuchen, sowie die Vielzahl an Bereichen der EUGesetzgebung, war ein Beantworten dieser weitgefassten Fragestellung nicht möglich. Daher erschien es sinnvoll, sich auf ein markantes aktuelles Politikfeld zu beziehen, welches als solches in einer Momentaufnahme dargestellt werden kann. Aus diesem Grund entstand unser Anliegen, das Politikfeld der EU-Energiepolitik und hier im Genauen das Entstehen des 2030- framework1 zu betrachten. Dies erwies sich als bearbeitbar, da die Verhandlungen zu unserem Untersuchungsgegenstand bereits abgeschlossen waren und somit Vor- und Nachher Materialien zur Verfügung standen. Zum anderen finden sich stark divergierende Interessen in diesem Politikfeld zwischen den Mitgliedsstaaten, der Parteien in nationalen und im EUParlament, sowie wiederum konträre Interessen von Akteuren aus der Zivilgesellschaft. Aus dieser Annahme heraus, konnten wir ein hohes Maß an NGO-Präsenz vor- nach und in den Verhandlungen zu dem framework 2030 erwarten. Das sollte die Materialbeschaffung zu unserem Untersuchungsgegenstand erheblich erleichtern und ein notwendiges Maß an Kontrast von divergierenden Interessen sicherstellen. In den folgenden Kapiteln wird zum einen das institutionelle System der Europäischen Union, mit besonderem Fokus auf die Gegebenheiten der EU-Energiepolitik, dargestellt. Es soll hier veranschaulicht werden, welche Institutionen und Akteure in diesem Bereich Entscheidungskompetenzen haben. Des Weiteren fragen wir uns nach den daraus entstehenden Zugangsmöglichkeiten für NGOs. Diese Ausarbeitung ermöglicht die Darstellung der Einflussmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Akteure, welche sich aus der Beschaffenheit des politischen Systems der EU ergeben. Des Weiteren kann hiermit eine leitende Fragestellung unserer Forschung beantwortet werden, welche den weiteren Kontext 1 mehr hierzu im folgenden Kapitel 9 für unsere Ausarbeitung bildet. Welche Einflussmöglichkeiten bietet das politische System der EU für NGOs im Bereich Energiepolitik? Im Verlauf unserer Arbeit haben wir uns ferner auf die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten und Herausforderungen für die Einflussnahme der NGOs interessiert. In diesem Abschnitt wollen wir die unterschiedlichen Interessenslagen und Forderungen der NGOs in diesem Prozess darstellen. Außerdem wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten diese Akteure nutzen, um ihre Forderungen in den Prozess einzubringen. Auch die Vorgehensweise von NGOs, sowie die Wahl ihrer Mittel haben uns hier besonders interessiert. Mit Hilfe dieser Darstellung soll eine weitere forschungsrelevante Frage beantwortet werden. Welche Strategien entwickeln NGOs um ihre spezifischen Kenntnisse, Forderungen und Interessen in den legislativen Prozess einzubringen? Im weiteren Verlauf der Forschung, haben wir feststellen können, dass sich eine Allianz zwischen NGOs in diesem Bereich gebildet hat (GreenTen). Diese arbeiten auf mehreren Ebenen gemeinsam um Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess der EU nehmen zu können. Wir haben also ein weiteres Mal unsere Fragestellung spezifiziert und kommen zu folgender Forschungsfrage: Ausgehend vom 2030 Framework: Welche Einflussmöglichkeiten und Strategien nutzen die G10 um ihre Ziele* im institutionellen System der Europäischen Union durchzusetzen beziehungsweise einzubringen? *[hier werden im Zuge explorativen Interviews spezifische Schwerpunkte der GreenTen aufgezeigt) Wie somit ersichtlich, gilt unser Erkenntnissinteresse zweierlei Ebenen. Zum einen dem institutionellen System der EU im Bereich der Energiepolitik und den darin verankerten Einflussmöglichkeiten. Ein Teil der Arbeit ist somit der genauen Betrachtung des institutionellen Systems der EU gewidmet. Es werden in diesem Teil die Opportunitätsstrukturen aufgezeigt, welche sich aus dem institutionellen Aufbau der EU ergeben. Dies soll in weiterer Folge erlauben, die Bedeutung des Zugangs für Interessensgruppen zu klären und die Rolle der jeweiligen Institutionen in diesem Prozess zu beleuchten. Es soll des Weiteren in diesem Abschnitt aufgezeigt werden, in wie fern es für Interessensgruppen möglich ist, Einfluss auf den legislativen Output der EU nehmen zu können. Zum anderen betrachten wir die Ebene der Akteure, im Speziellen der Green 10 und ihren zentralen Interessen und den Strategiewahlen. Mit Hilfe einer theoretischen Einführung in den 10 Gegenstand des Lobbyings, werden Lobbyingstrategien vorgestellt. Im weiteren Verlauf, werden wir die Ergebnisse aus den durchgeführten Experteninterviews mit den vorgestellten Strategien verbinden. Die Strategieanalyse beachtet hierbei zum Einen Einflussnahme innerhalb der Institutionen und zum Anderen den formalen Rechtssetzungsprozess innerhalb der EU-Energiepolitik. Mit Hilfe des folgenden Aufbaus soll die Beantwortung unseres Forschungsinteresses, die Einflussmöglichkeiten für externe Akteure dargestellt werden. So soll zu Beginn eine Darstellung der EU-Energiepolitik stehen, welche im Besonderen das Entstehen des 2030-frameworks klärt. Darauf folgt die Ausführung im Bezug auf das institutionelle System der EU. Es soll hiermit möglich sein, zusammenfassend die Einflussmöglichkeiten für externe Akteure (Green 10) vorzustellen. Aufbauend auf diesen Überlegungen, stellen wir den zentralen Akteur unseres Forschungsdesigns vor. Die G10 als Repräsentanten einer starken Einflussgruppe im EUEnergiebereich und ihre zentralen Forderungen im Bezug auf das framework 2030. Diese Forderungen und zentralen Interessen der Gruppen konnten wir mit Hilfe der Positionspapiere ausarbeiten. Im Anschluss an diese Ausführungen, sollen die zentralen Strategien des Lobbyings im Speziellen, des Akteurs der Green 10 erläutert werden. Es wird Besonders auf die Hilfsmittel und Methoden für die Interessensartikulation geachtet. In Ergänzung zu den Ausführungen, welche sich aus dem institutionellen System der EU ergeben, sollen mit Hilfe der ausgewerteten Interviews auch die informellen Kanäle berücksichtigt werden. Zusammenfassend soll ein Überblick über die Einflussmöglichkeiten entstehen, welche die formellen, sowie informellen Einflussmöglichkeiten und die Strategien des Akteurs berücksichtigt. 2. Methoden Für die Beantwortung unseres Forschungsinteresses haben wir uns auf einen Methodenmix geeinigt. Dieser umfasst explorative ExpertInneninterviews mit Vertreterinnen von G10 und informelle Gespräche mit Ansprechpartnern innerhalb der EU. Die Experteninterviews wurden teilweise in persona und teilweise über Skype durchgeführt. Für diese Interviews sind wir mit Expertinnen im EU Lobbying Bereich in Kontakt getreten, welche als solche bei den 11 jeweiligen Organisationen beschäftigt sind und praktisch alltäglich mit diesem Thema arbeiten. Durch die ExpertInneninterviews war es uns möglich, auch auf die informellen Strukturen und schwer erfassbaren Einflussmöglichkeiten eingehen zu können. Die Interviews wurden als offene, leitfadenorientierte Interviews durchgeführt. Einige der Aussagen bekräftigen bestehende Erkenntnisse, viele neue, spannende Aspekte und Sichtweisen wurden jedoch im Zuge dieser Interviews sichtbar. Des Weiteren basieren wir unsere theoretische Einbettung mit Hilfe von Literaturanalysen. Diese sollen unter Anderem verhelfen, einen kritischen Vergleich zwischen den vorgestellten Ansätzen und dem praktisch Erfahrbaren, zu ziehen. Die spezifischen Forderungen und Interessen der Akteure G10, konnten wir mit Hilfe einer Dokumentenanalyse von Primärquellen erfassen. Es wurden im Zuge dieser Arbeit die Ausgangsdirektiven und Enddirektiven sowie die Positionspapiere untersucht. 3. NGO-Einflussnahme auf die Energiepolitik der Europäischen Union 3.1. EU Institutionen, Energiepolitik und Methoden: Vergangenheit und Gegenwart in einer Nussschale Trotz der Existenz vom Vertrag von Paris über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und von der Römischen Verträge über die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) aus den 1950er Jahren, wurde ein gemeinsamer Rahmen von Energiepolitik der EU erst im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhundert entwickelt, weil EGKS und Euratom mehr als soziales Instrument und für politische Rational jeweils anstatt Teil eines funktionierenden Mechanismus in Bezug auf Energie ausgedenkt wurde und dienen sollen.2 Gefordert durch die zunehmende Besorgnis über den globalen Klimawandel, der effektive Reduzierung von Kohlenstoffverbrauch und -emission benötigt, und durch die Aufmerksamkeit auf die teilweise von der EU-Osterweiterung verursachte Frage über der Energieversorgungs-sicherheit, wurde das Klima- und Energieprogramm der EU auf der Rechtsgrundlage vom Vertrag von Maastricht der Europäischen Union (EUV) im Jahr 1992 2 Buchan 2010: 359 12 aufgestellt, in dem die Transeuropäischen Netzwerke für eine bessere grenzüberschreitende Energieinfrastruktur verbessert werden zu erwartete.3 Es war zum ersten Mal auf der informellen Tagung des Europäischen Rates am 27. Oktober 2005 in Hampton Court vereinbart, eine gemeinsame europäische Stromnetz im Energiesektor auf gemeinsam als Europäische Union bearbeitet zu werden. Energie wurde als einer der zwei Bereiche berücksichtigt, auf denen mehrere EU-Schwerpunkt und Regulierung angetrieben sollen, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu verbessern und die Integration der europäischen Binnenmarkt zu erleichtern. Ein gemeinsamer Ansatz bei Energie wurde in den Diskussionen hervorgehoben, um konkrete Ergebnisse von Institutionen besser zu liefern und die EU-Politik zu modernisieren.4 Nachdem als Business auf dem noch gerade im Prozess vom Aufbau stehenden Gemeinsamen Markt für Jahren und Jahrzehnten betrachtet, wurde ein neues und besonderes Kapitel über das obligatorische und umfassende Energierahmen im europäischen Primärrecht im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), nämlich dem Vertrag von Lissabon eingeleitet.5 Der Artikel. 194 (1) über die Energie betont die "Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts und unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung und Verbesserung der Umwelt"6 , und zielt an: a) Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts; b) Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit in der Union; c) Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen d) Förderung der Interkonnektion der Energienetze. Trotz dem beobachteten Mangel an ausreichenden finanziellen und diplomatischen Instrumente, könnte immer die Solidarität, die unten den Mitgliedstaaten insbesondere im 3 Ibid.: 360 4 Die Pressekonferenz auf dem EU informellen Gipfel in Hampton Court am 27. Oktober 2005, gehostet von Tony Blair, damaliger britische Premierminister, und José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, mit den Führern der EU-Länder. Zuletzt zugänglich am 15.11.2015 unter http://www.le.ac.uk/eg/hvdc/Link%20pages/News%20 Items/Press%20conference_PM_%20Hampton%20Court.doc. 5 Braun 2011: 1 6 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Konsolidierte Fassung). Zuletzt zugänglich am 15.11. 2015 unter: http://eur-lex.europa.eu/legal- content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012E/TXT&from=DE. 13 Bereich von der internen integrierten Markt und den Umweltauswirkungen erforderlich ist, könnte durch die Einbeziehung von der Energie gewidmet Rechtsgrundlage im Vertrag von Lissabon noch besser gewährleistet, was dadurch die gemeinsame Verantwortung der EUEnergiepolitik zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten formalisiert.7 Die aufgeführten 4 Ziele erklärt in gewissem Maße die Grundsätze und die Leitlinie für die weitere Entwicklung der EU-Energiepakete in mittel- und langfristiger Zeit wie bis zum 2050, nämlich Binnenmarkt, Energieversorgungssicherheit, Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Diese Elemente wurden deutlich in der EU 2020 und 2030 Klima- und Energiepaket angegeben. Die beide zeigen konkrete Ziele in der Reduzierung von Emissionen der Greenhouse Gas (GHG) (gegenüber 1990), Anteil erneuerbarer Energien (RES) in den EUEnergiemix und Verbesserung der Energie Effizienz (EE) durch die Einführung Meinungsumfrage oder -beratung im Voraus, und die Annahme und den Vergleich von verschiedenen von quantitativ gebildeten Modellen unterstützten Szenarien. Die Strategien wurden definiert und orientierten sich nach der EU-2050 Low-Carbon-Roadmap, die darauf hindeutet, dass die EU mit der Beitrag von allen Bereichen, einschließlich Energieerzeugung, Gebäude, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft, die GHG-Emissionen auf weniger als 80% des Niveaus von 1990 reduzieren und in einen klimafreundlicher und weniger Energie verbrauchenden Wirtschaft Schritt für Schritt übergehen soll.8 Der aktuelle Schwerpunkt des Klima- und Energiestrategie, die 2030 Rahmen, wurde auf der 2020 Klima- und Energiepaket im Einklang mit der EU-Energiestrategie Roadmap von 2050 und das EU 2011 Weißbuch nach einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem für einen einheitlichen europäischen ausgelegt Verkehrsraum errichtet. Die 2030-Strategie zielt darauf ab, bis 2030 a) mindestens 40% Kürzungen bei GHG im Vergleich zum Niveau von 1990; b) mindestens 27% der Anteile für RES und c) mindestens 27% Verbesserung in der EE zu erreichen. Darüber hinaus ist es auch betont, die Auswirkungen der 2030-Paket auf den sozialen, wissenschaftlichen und finanziellen Aspekte, 7 Braun 2011: 2 8 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen Energiefahrplan 2050. Zuletzt zugänglich am 15.11. 2015 unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52011DC0885&from=EN. 14 die neue Beschäftigungsmöglichkeiten, Umwelt- und Vorteile für die Gesundheit, Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, und Investitionen usw. in die Betrachtung zu bringen.9 Eines der wichtigsten Instrumente, die neu institutionalisiert wurde, um eine transparente und dynamische Governance-System in eine effiziente und kohärente Weise zu unterstützen, ist eine elastische Energy Union.10 Sie liefert Engagement in den Aspekten von, wie z.B., Zusammenschaltung und Kommunikation, Europäische Emissionshandelssystem (ETS), Empowerment von Energieverbraucher und Eco-design Richtlinie.11 Die Energie Union wurde nach der Initiative vom Präsidenten des Europäischen Rates (Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen) von der Europäischen Kommission im Februar 2015 eingeführt, und am 19. März 2015 vom Europäischen Rat abgeschlossen. Der Europäische Rat wird vom Kopf der Regierungen von Mitgliedstaaten im Form von gelegentlichen Gipfeltreffen gebildet, und hat normalerweise keine hohe Kompetenz und Fachkenntnisse in der Politikdossiers, die umfassende Einblicke in die technische Komplexität, wie Energie, erfordert.12 Stattdessen soll der Europäische Rat nach dem Vertrag von Lissabon der Europäische Union die nötigen Impulse für ihre Entwicklung bieten und die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür festlegen, sowie die strategischen Interessen und Ziele der Europäischen Union identifizieren.13 . Ohne die Autorität, die legislativen Funktionen auszuüben, wurde prinzipiell der Präsident des Europäischen Rates (POTEC) aus dem Gesetzgebungsprozess über Energie ausgeschlossen. Jedoch dürfte die Position eine thematische Diskussion mit dem Thema Energie in nichtlegislative Prozess beim Europäischen Rat initiieren und die Initiative an der Generaldirektion Energie (GD ENER) in der Europäischen Kommission präsentieren.14 Die Europäische Kommission dient sowohl als Sekretariat und proto-Exekutive in das institutionelle System der EU, und übt ihre Aufgaben gemeinsam mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission (nach dem Vertrag von Nizza (TON), durch den Erhalt 9 2030 climate & energy framework. Zuletzt zugänglich on 15.11.2015 unter http://ec.europa.eu/clima/ policies/strategies/2030/index_en.htm 10 Ibid. 11 Energy Union and Climate change policy - One year on. Zuletzt zugänglich on 15.11.2015 unter http://ec.europa.eu/priorities/energy-union/docs/energy-union-1-year_en.pdf. 12 Braun 2011: 4 13 Ibid. 14 Braun 2011: 4 15 qualifizierter Mehrheit im Europäischen Rat gewählt und mit der Zustimmung des Europäischen Parlaments) und anderen 27 Kommissare aus jeder der aktuellen EUMitgliedstaaten, wer jeder die Verantwortung für eine Politik Portfolio übernehmen soll. Kommissare sind in der Regel von Mitgliedstaaten nominierten leitende Politiker oder hochrangigen Beamte, und sollen selbständig unter Eid, mit ihren eigenen "Kabinette" für eine fünfjährige Amtszeit im Haus und nach außen zu anderen Institutionen, einschließlich der Mitgliedstaaten, arbeiten.15 Der Kommissar für Energie Union, jetzt Maroš Šefčovič ab 1 November 2014, ist der zentrale Punkt der EU-Energiepolitik, der in der Europäischen Kommission die Führung des Projektteams "A Resilient Energy Union with a ForwardLooking Climate Change Policy" übernimmt. Das Projekt zielt darauf ab, seine Aufgaben in der energiebezogenen Infrastruktur, Gesetzgebung, Wirtschaft und Investitionen, die eine vielversprechende Entwicklung der Energiesicherheit, RES, EE und Treibhausgasemissionen für 2020 und 2030 zielt, zu erfüllen.16 Weitere 13 Europäischen Kommissare für Binnenmarkt, Klimaschutz, Regionalpolitik, Landwirtschaft, Verkehr, Sozialpolitik usw. sind Teil des Projektteams,17 was deutlich zeigt, dass die Dimension des Problem von Klima- und Energiepolitik das Mandat und die Verantwortung eines jeden einzelnen Kommissar für einer bestimmten, aber begrenzten Bereich transzendiert hat. Die Europäische Kommission wird auch in der Generaldirektion (GD) als öffentlicher Dienst organisiert, die Fachwissen über die ganze Europa in bestimmten Bereichen des politischen Aktivitäten anbieten, während die Komplexität der heutigen politischen Fragen auch die Koordinierung zwischen mehreren Generaldirektionen erfordert.18 GD ENER berichtet direkt an den Kommissar für Energie Union und der Kommissarin für Klimapolitik und Energie, und ist für Energiefragen und Task Force über Energie, die auch von der GD Außenbeziehungen übertragen werden könnten, verantwortlich.19 Es ist jedoch auch argumentiert, dass in Bezug auf externe Dimension der Energiepolitik, vor allem auf den europäischen Kerninteressen wie den südlichen Korridor und dem Mittelmeer-Solarplan, der Kommissar für Energie mehr zu sagen als der Hohe Vertreter für die Europäische Union in 15 Wallace 2010: 70-71 16 European Commission Vice-President (2014-2019), Maroš Šefčovič, Energy Union. Zuletzt zugänglich on 16.11.2015 unter https://ec.europa.eu/commission/2014-2019/sefcovic_en. 17 Für eine vollständige Liste der Kommissare im Projektteam: http://ec.europa.eu/about/structure/index_en. htm#te. Zuletzt zugänglich am 16.11.2015. 18 Wallace 2010: 71 19 Press Release: Commission creates two new Directorates-General for Energy and Climate Action, on 17 February 2010. Zuletzt zugänglich am 16.11.2015 unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-10- 164_en.htm?locale=en. 16 der Außen- und Sicherheitspolitik hat,20 was in mancher Gelegenheit auch die Zusammenarbeit und die Koordination zwischen DG ENER und dem Europäischen Auswärtigen Dienst führen würde.21 Dann wie wird eine Entscheidung über Energie vorgeschlagen und weitergegeben? Nehmen den 2030 Klima- und Energie Common Framework als Beispiel: Ende 2011 wurde eine quantitative Bewertung, die Treibhausgasemissionen, RES und EE als Indikatoren genommen hat, bereits angestoßen, um den neuen Europäischen Referenzszenario für das 2030-Paket zu aktualisieren. Die Europäische Kommission organisierte zwei Treffen mit Amtskollegen von der Mitgliedstaaten für die Diskussionen über den 2030 Rahmen zur Klimapolitik (am 19. Februar 2013) und Energiepolitik (am 14. März 2013) vor der Annahme des Grünbuchs am 27. März 2013. Am selben Tag kurz nach der Annahme wurde eine öffentliche Konsultation für alle interessierende Beteiligten eröffnet und dauerte bis zum 2. Juli 2013 mit dem Empfang von 557 Beiträge von Antwort. In der Zwischenzeit wurde eine gemeinsame Sitzung von dem informellen Energie und Umwelt Räte von den Ministern der Mitgliedstaaten am 23. April 2013 organisiert, und eine hochrangige Konferenz wurde am 19. Juni 2013 durch die Stakeholders und die Mitgliedstaaten mit mehr als 200 Besucher gehalten.22 Auf der anderen Seite wurde die Vorbereitungen auf die auf dem EU-Referenzszenario basierenden Impact Assessment (IA) für die 2030 Rahmen im April 2013 gestartet und durch eine Interservice Gruppe (ISG) gelenkt. Die notwendigen Ressourcen und die von der Europäischen Kommission in der Folgenabschätzung für die Rechtsvorschläge verwendete Informationen mit höhere Qualität stammte aus der Energiestatistik-System, das im Wesentlichen auf der rechtlich bindende Verpflichtung - Energiestatistik Verordnung - beruht.23 Im Fall des 2030-Paket, ISG trafen sich für 4 mal von Mai bis September 2013 für die Vorbereitung auf die IA, die am 24. Oktober 2013 fertig gestellt und vor der Impact Assessment Board (IAB) vorgelegt wurde. Nach mehreren Anhörungen und Revisionen hatte 20 Braun 2011: 5 21 Ibid. 22 SWD(2014) 15 final - Commission Staff Working Document Impact Assessment. Accompanying the document Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions: A policy framework for climate and energy in the period from 2020 up to 2030, p. 9-10. 23 The common energy policy of the European Union. Zuletzt zugänglich am 20.11.2015 unter http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/European_energy_statistics_system. 17 die IA eine positive Stellungnahme vom IAB auf Januar 2014. Die führenden Generaldirektionen waren GD des Klimaaktionen (GD CLIMA) und der GD ENER.24 Der Europäische Rat äußerte Begrüßungen auf das Grünbuch am 22. Mai 2013. Mit den Inputs von einer Reihe von öffentlichen Politikdebatten im März und Juni 2014, wurde die 2030 Klima- und Energierahmen von EU Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat am 24. Oktober 2014 vereinbart. Der Abschluss, der die wichtigen Fragen identifiziert und die wichtigsten Ergebnisse der Diskussionen reflektiert hat, muss an den Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament als Mitgesetzgeber vorgelegt werden.25 Deshalb initiierte die Europäische Kommission am 9. Dezember 2014 nach einer weiteren politischen Debatte von den Ministern über den neue Governance-Prozess und die wichtigsten Energieindikatoren die Legislativvorschläge für die Umsetzung auf Ende Februar 2015, weil eine nicht-legislative Entschließung zu dem 2030 Rahmen bereits vom Europäischen Parlament am 5. Februar 2014 angenommen wurde.26 Das Europäische Parlament hat derzeit 751 Sitze, die an Mitgliederstaaten nach ihre Bevölkerung und an 7 europäischen Parteiengruppen sowie fraktionslosen Mitgliedern verteilt werden. Es ist das einzige direkt gewählte Organ der EU und entscheidet über Gesetze gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union.27 Mitglieder des Europäischen Parlaments (MEP) sind aus verschiedenen Hintergrund von nationalen Politikern an Fachleute.28 Der Rat der Europäischen Union wurde sowohl für gemeinsame Funktionen und für die Regierungen der Mitgliedstaaten institutionalisiert. Der Rat wird ermächtigt, Entscheidungen über Thema innerhalb der EU-Mandat zu nehmen. Nationalen Minister aus jedem EUMitgliedstaaten treffen sich regelmäßig, um EU-Recht zu diskutieren, entwickeln und übernehmen, und um Politik von den diskutierten Themen, wie die einzelnen Regierungen vorgelegen zu entscheiden, zu entwickeln.29 24 Ibid, p. 9-12. 25 The European Council: The strategic body of the EU, p. 3. Zuletzt zugänglich am 17.11.2015 unter: http://www.consilium.europa.eu/en/documents-publications/publications/2015/european-council- strategic-body-of-eu/. 26 http://www.consilium.europa.eu/en/policies/climate-change/2030-climate-and-energy-framework/. Zuletzt zugänglich am 17.11.2015 27 The European Parliament: The Citizens's voice in the EU. Zuletzt zugänglich on 17.11.2015 unter: http://www.europarl.europa.eu/pdf/divers/EN_EP%20brochure.pdf 28 Wallace 2010: 82 29 Wallace 2010: 75 18 Die Minister der EU-Länder, die die Energiefragen übernehmen, treffen sich drei oder vier Mal jedes Jahr über die Themen im Verkehr, Telekommunikation und Energie mit den zuständigen Europäischen Kommissare, die für Energiegesetzgebung zuständig sind.30 Nationalen Beamten in den Ausschüssen und Arbeitsgruppen des Rates der Europäischen Union sind zur Herstellung von Tagungsagenda verantwortlich, von denen die wichtigsten die Ständige Vertretung der EU-Mitgliedstaaten bei der Europäischen Union sind.31 Ungefähr 250 Arbeitsgruppen im Rat vereinbart 70% der Rat Texte, und Ständigen Vertretungen nehmen anderen 10-15% über, während nur 10-15% wirklich die Minister selbst erreicht. 32 Der Rat betreibt Verhandlungen über die Vorschläge, die sehr oft von der Europäischen Kommission im Detail angeboten sind. Politische Entscheidungen kommen aus den Interaktionen unter der Kommission, dem Rat und dem Parlament, und die Dynamik des Prozesses ist abhängig von der Weise, wie die Koalitionen innerhalb des Rates und zwischen den Rat-Mitgliedern von den anderen EU-Institutionen entsteht.33 Das Ablaufdiagramm unten zeigt, nachdem Entscheidungen und Vorschläge in der Europäischen Kommission in seiner wöchentlichen Sitzungen durchaus, oder zumindest mit einfacher Mehrheit gefasst worden sind - was selten ist34 - wie wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren an und weiterhin durch der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament gemäß Artikel 294 des AEUV geht: 35 30 http://www.consilium.europa.eu/en/council-eu/configurations/tte/. Zuletzt zugänglich am 17.11.2015. 31 Wallace 2010: 76 32 Ibid.: 77 33 Ibid.: 78 34 Wallace 2010: 71 35 DNR 2001: 21 19 Der Vertrag von Lissabon hat festgelegt, auf welche Politikbereiche diese Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit und das ordentliche Gesetzgebungsverfahren angewendet werden soll.36 Gemäß Artikel 194 des AEUV wird es angegeben, dass "unbeschadet der Anwendung anderer Bestimmungen der Verträge erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Maßnahmen, die erforderlich sind", um die oben in genannten Ziele von Energiemarkts, Energieversorgungssicherheit, Energieeffizienz und erneuerbarer Energiequellen, sowie Interkonnektion der Energienetze zu verwirklichen.37 36 Extension of voting by qualified majority and the ordinary legislative procedure. Zuletzt zugänglich am 30.11.2015 unter: http://eur-lex.europa.eu/legal- content/EN/TXT/HTML/?uri=URISERV:ai0015&from=EN. 37 2008/C 115/01 Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Zuletzt zugänglich on 30.11.2015 unter: http://eur- lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2008:115:FULL&from=EN. 20 Es ist auch angezeigt, dass "der Erlass dieser Maßnahmen erfolgt nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen,"38 was aufweist die konkrete Rolle, die der Zivilgesellschaft ermächtigt worden ist, in der ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu spielen, aufweist.39 Auf der einen Seite werden die Legislative Richtlinien/Verordnungen sowie Änderungen im Einklang mit der Energiestrategien durch die effektive Zusammenarbeit zwischen dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament geschaffen, um, zum Beispiel, detaillierte Anforderungen zu erarbeiten, die verbindlicher/freiwillige quantitative Ziele für die betroffenen Parteien festlegen.40 Aber auf der anderen Seite muss man auch nicht vergessen, dass der Rat zu den Regierungen der Mitgliedstaaten gehört und in der von Mitgliedstaaten bevorzuger Weise arbeitet könnte. Nationalen Politik wird auf der Arena von Brüssel vertretet, und versucht, die Willen und das Interesse von der nationalen Regierungen, politischen Parteien und Wählerschaften der Minister zu erfüllen. Konsens muss durch kontinuierliche Verhandlungen und Abstimmungen festgelegt werden.41 Chalmers beschreibt die Repräsentation und die Interaktion unter dem Dreieck von der Kommission, dem Rat und dem Parlament, wie unten: "The Commission serves a largely apolitical and technocratic function and presumably requires a large amount of technical, operational and expert information. The Parliament, as the EU’s only elected supranational assembly, requires information that allows it to evaluate the Commission’s proposals from a ‘European perspective’. Finally, the Council is a wholly intergovernmental institution and carries out executive policy-making functions ...... requires information that can facilitate bargaining between member states."42 Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren bringt uns zu der Debatte über die Methoden von EU Policy Making über Energie. Es ist vom ordentliche Gesetzgebungsverfahren ausgelesen, dass Gemäß Artikel 294 des AEUV EU-Beschlüsse im Allgemeinen mithilfe der 38 Ibid. 39 Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) war im Jahr 1958 unter den Vertrag von Rom als ein beratendes Organ der Europäischen Union für die Überbrückung zwischen der offizielle Institution der EU und der organisierten Zivilgesellschaft zur Solidarität und Binnenmarkt aufgebaut. Die Zivilgesellschaft könnten dadurch an dem politischen Entscheidungsprozess durch institutionalisierte Kanal teilnehmen. Für mehrere Informationen: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.de.home. Zuletzt zugänglich am 30.11.2015. 40 The common energy policy of the European Unio. Zuletzt zugänglich am 20.11.2015 unter http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/European_energy_statistics_system. 41 Wallace 2010: 79 42 Chalmers: 41 f. 21 Gemeinschafts-methode verfolgen soll, in der folgende Hauptmerkmale hervorgegeben werden:  alleiniges Initiativrecht der Europäischen Kommission;  die Mitentscheidungsbefugnis zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament und  Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit im Rat.43 Allerdings mit der anhebenden Sorge besonders auf die Energiesicherheit, versuchen die Staats- und Regierungschefs der EU ein neues Konzept, bzw. eine neue Methode zu finden, die für "a combination of the Community Method and coordinated action by the Member States"44 steht. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in einer Rede bei der Eröffnungsfeier der 61. Schuljahr des Collège d'Europe in Brügge am 2. November 2010 darauf hingewiesen, dass in Bezug auf die Energiepolitik, "coordinated action in a spirit of solidarity – each of us in the area for which we are responsible but all working towards the same goal"45 notwendig bleiben soll. Sie nannte es “Union method”. Die Methode betont mehr Koordination sowohl auf der nationalen Ebene und auch auf der europäischen Ebene für die ökologische Nachhaltigkeit, Effizienz und Versorgungssicherheit. Sie erklärt, dass "Whatever progress we make at national level obviously benefits Europe as well. But thought also needs to be given to what additional contribution only Europe can make here."46 Mit dem Versuch, die mehr und verschiedenen Akteuren ins Bereich zusammen zu bringen, ist die EU-Energiepolitik nicht mehr nur die Interaktion innerhalb den EU-Institutionen und zwischen den Mitgliedstaaten. Zivilgesellschaft, bzw. NGOs versuchen auch, durch verschiedene Ansätze und Strategien eine größere Rolle in den Prozess zu spielen. 43 Gemeinschaftsmethode und Regierungszusammenarbeit. Zuletzt zugänglich am 30.11.2015 unter: http://eur-lex.europa.eu/summary/glossary/community_intergovernmental_methods.html?locale=de. 44 Speech by Federal Chancellor Angela Merkel at the opening ceremony of the 61st academic year of the College of Europe in Bruges on 2 November 2010. Zuletzt zugänglich am 30.11.2015 unter http://www.bruessel.diplo.de/contentblob/2959854/Daten/. 45 Ibid. 46 Ibid. 22 4. Lobbyismus In diesem Abschnitt werden wir sowohl den Begriff Lobbyismus als auch die unterschiedlichen Formen vorstellen, da dieser eine große Rolle für unser Untersuchungsobjekt spielt. Nach einer Definition werden wir einige Strategien vorstellen und genauer auf den Lobbyismus in der Europäischen Union eingehen. Dabei konzentrieren wir uns auf die Lobbymöglichkeiten von NGOs einerseits bei den unterschiedlichen Institutionen und andererseits beim Rechtsetzungsverfahren, genauer dem für die Energiepolitik relevanten Mitentscheidungsverfahren, der Europäischen Union. 4.1. Definition In der Öffentlichkeit, vor allem in Deutschland und dem europäischen Kontinent, ist der Begriff des Lobbyismus sehr häufig negativ behaftet. Der deutsche Politikwissenschaftler Ulrich von Aleman schreibt dazu: „Der Begriff weckt immer noch pejorative Assoziationen – wie manipulierte Machenschaften von Interessenvertretern, illegitime Einflussnahme in Hinterzimmern, wenn nicht gar Anklänge an Patronage und Korruption (von Alemann 2000: 1).“ Diese allgemeine negative Sicht des Lobbyings in der Öffentlichkeit ist eine der Gründe, warum das Europäische Parlament eine lange Zeit so große Probleme bei der Formulierung einer einheitlichen Definition für den Begriff des Lobbyings hatte. Mittlerweile hat das Europäische Parlament die sehr einfache Definition für die Ebene der Europäischen Union von der Kommission übernommen. Diese definiert Lobbying als „[…] alle Tätigkeiten, mit denen auf die Politikgestaltung und den Entscheidungsprozess der europäischen Organe und Einrichtungen Einfluss genommen werden soll (Stubb 2008).“ Andere Definitionsversuche beschreiben Lobbyismus knapp „[…] als der Versuch der Beeinflussung von Entscheidung von Entscheidungsträgern durch Dritte“ oder „[...] das Einwirken auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse durch präzise Information (Heitz 2011: 63).“ Im letzten Versuch einer Definition fällt dabei mit dem Mittel der Information erstmals ein Hinweis auf eine Methode beziehungsweise eine Taktik des Lobbyismus. Horst Heitz stellt in seiner Dissertation nach diesen und weiteren Definitionsansätzen den Versuch auf, eine 23 allumfassende Begriffserklärung für den Lobbyismus zu erreichen. Er erfasst den Lobbyismus dabei als eine: „Tätigkeit durch Akteure, die in der Regel nicht direkt oder indirekt Teil des Entscheidungsprozesses sind, die darin besteht, rechtzeitig Einfluss zu nehmen, um direkt oder indirekt auf Prozesse der Ausarbeitung, Anwendung oder Auslegung gesetzlicher Maßnahmen, Normen und Vorschriften oder ganz allgemein auf jede Intervention oder Entscheidung öffentlicher Stellen hinzuwirken. Die Mittel können dabei Wahlstimmen, monetäre Leistungen, Informationen (der bedeutendste Faktor) und Verzicht auf wirtschaftliche Machtausübung sein. Lobbying zielt auf die punktuelle Beeinflussung von Entscheidungen ab. Ziel ist es, für sich selbst oder Dritte bei spezifischen Einzelentscheidungen, in seltenen Fällen auch bei Entscheidungen, die System - verändernd oder stabilisierend sind, Vorteile zu erlangen oder Nachteile zu verhindern (Heitz 2011: 65f.).“ Gleichzeitig betont Heitz, dass es wahrscheinlich nie eine allgemein anerkannte Definition für den Begriff des Lobbyismus geben wird, da der Begriff sehr dynamisch ist und sich ständig im Wandel befindet. Man kann ihn entweder zu generell oder zu spezifisch definieren, wodurch es jedoch jeweils zu Problemen führen kann (Heitz 2011: 66). 4.2. Typen von Lobbyisten Es gibt vor allem in der Europäischen Union ein großes und breites Spektrum an Lobbyisten. Daher bestehen auch viele Möglichkeiten, LobbyistInnen zu klassifizieren (EU TransparenzRegister 2015). Ein wichtiger Aspekt ist dabei die vorherige Definition, was ein Lobbyist ist und an welcher Stelle Lobbyismus beginnt oder endet. Wie vorher schon beschrieben, fiel den Organen der Europäischen Union eine solche Definition sehr schwer und durchlief immer wieder Veränderungen. Im Bericht über den Aufbau des Regelungsrahmens für die Tätigkeit von Interessenvertretern (Lobbyisten) bei der Europäischen Union vom 2. April 2008 von Alexander Stubb (kurz: Stubb-Bericht) nennt das EU-Parlament folgende Akteure als Lobbyisten: 24 „ […] professionelle Lobbyisten, interne Unternehmenslobbyisten, nichtstaatliche Organisationen, Denkfabriken, Berufsverbände, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, gemeinnützige und nicht gemeinnützige Organisationen sowie Anwälte, deren Tätigkeit in erster Linie darauf abzielt, Einfluss auf die Politikgestaltung und weniger darauf, in Rechtsprechung zu nehmen (Stubb 2008).“ Dafür wurden „Regionen und Städte der Mitgliedsstaaten, politische Parteien auf nationaler und europäischer Ebene und jene Körperschaften, die nach den Verträgen über einen Rechtsstatus verfügen (Stubb 2008)“ explizit ausgenommen. Daneben wurde der Antrag abgelehnt, Kirchen, philosophische und nicht konfessionell gebundene Organisationen den Status als offiziell anerkannte Lobbyisten zu geben (Heitz 2011: 106). Justin Greenwood versucht, der komplexen Vielfalt der Akteure des europäischen Lobbyismus anhand einer Kategorisierung nach einer organisatorischen Form gerecht zu werden. Dabei verzichtet er in seiner Aufzählung auf kommerzielle LobbyistInnen oder staatliche Akteure. Da die kommerziellen Lobbyisten nur im fremden Auftrag handeln, vertreten sie keine eigenen Interessen und sind somit nur als indirekte Akteure zu titulieren:  „Individual firm  Coalition (industry, territorial)  National trade association  National federation  European specific coalition (e.g. direct firm membership, informal collective)  European federation of national federation (super federation) (Heitz 2011: 107).” Es gibt jedoch auch andere Klassifizierungen, die staatliche Akteure ausdrücklich mit involvieren. Dazu gehören beispielsweise Vertreter von Bundesländern oder auch ständige Vertretungen der Mitgliedsstaaten beziehungsweise Bundesländer. Vielfach ist deren Arbeit mit denen eines LobbyistInnen gleichzusetzen. Die Art der Interessen der jeweiligen LobbyistInnen bietet eine weitere sehr gute Möglichkeit, um eine unterschiedliche Klassifizierung aufzuzeigen. Die Interessen werden dabei einerseits Sektor übergreifend in sektorale oder horizontale und andererseits nach individuellen (das Interesse einer einzelnen Organisation) oder multilateralen / kollektiven (das Interesse einer Gruppe von Organisationen) Interessen eingeteilt (Buholzer 1998: 14). 25 Eine besondere Eigenheit ist durch das politische System der Europäischen Union, dem MehrEbenen-System gegeben. Die meisten Lobbygruppen entstanden auf der nationalen Ebene und haben die EU-Ebene für sich als aktives Spielfeld entdeckt. Sie verfolgen somit eine Doppelstrategie und lobbyieren sowohl auf der nationalen als auch auf der europäischen Ebene, um ihre Interessen zu vertreten (Binderkrantz / Rasmussen 2015: 552). Jörg Teuber beschreibt diese Entstehung der nationalen Verbände folgendermaßen: „Es entwickelte sich eine Europäisierung der materiellen Interessen und strategischen Orientierung der nationalen Verbände, allerdings nicht im Sinne eines Kompetenztransfers auf die europäischen Dachverbände, sondern einer Erweiterung des eigenen Aktionsrahmens (Heitz 2011: 113).“ 26 4.3. Formen & Strategien des Lobbyismus Aufgrund des breiten und großen Spektrums an unterschiedlichen Typen von LobbyistInnen bestehen natürlich auch viele verschiedene Formen und Strategien des Lobbyismus. Unsere Arbeit wird thematisch hauptsächlich den Lobbyismus von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) behandeln. Diese NGOs übernehmen dabei eine sehr wichtige Aufgabe. Sie fungieren für die Gesellschaft als eine Art Instanz, die die Abläufe und Entscheidungen der Politik kritisch hinterfragt, stört und versucht eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Sie sind somit ein Bestandteil der politischen Willensbildung. Für ihre Strategien und ihre Form des Lobbyismus ist es wichtig, dass sie einen deutlich besseren Ruf im Bereich der Interessensvertretung genießen. Sie gelten als unabhängig und werden oftmals als LobbyistInnen für Gerechtigkeit bezeichnet. Dabei ist jedoch zu beachten, dass ihr Einfluss in den verschiedensten Politikbereichen unterschiedlich groß ist. Beispielsweise verfügen sie über einen sehr hohen Einfluss im Bereich der internationalen Politik und der Menschenrechtsarbeit, in denen sie unverzichtbare Informationsarbeit sowie Denkanstöße im Agenda-Setting und Standard-Setting leisten. Dieses große Vertrauen in die Lobbyarbeit der NGOs beruht unter anderem auf dem Idealismus ihrer Tätigkeit und der Vertretung der öffentlichen, gemeinwohlorientierten und oftmals unzureichend berücksichtigen Interessen. In der Öffentlichkeit ist dies eine der wahrscheinlich unterschätztesten und wichtigsten Taktiken der NGOs in der Lobbyarbeit. Wenn sich eine NGO oder gar mehrere NGOs für ein Thema öffentlich stark einsetzen, sollte man ihnen vertrauen, da sie die Wahrheit sagen, weil sie schließlich das Gemeinwohl als Interesse repräsentieren. Dafür haben sie beispielsweise gegenüber LobbyistInnen von Unternehmen oder Dienstleister meistens einen finanziellen und personellen Nachteil (Strasser / Meerkamp 2015: 224f.). Das Internet hat das Lobbying ergänzt und erleichtert mitsamt den sozialen Medien die Lobbyarbeit von NGOs enorm. Eine NGO kann dadurch eine größere Reichweite als vorher erreichen und auf schnellerem Weg die User informieren, involvieren und mobilisieren. Dies ist insbesondere hilfreich bei Aktionen oder Kampagnen. Daraus kann eine sogenannte Graswurzelbewegung entstehen. Dies bezeichnet eine politische oder gesellschaftliche Initiative, die aus der Basis der Bevölkerung entsteht (Strasser / Meerkamp 2015: 227). Lobbying sollte flexibel und individuell sein. Jede Arbeit von Lobbying sollte jeweils an das Thema, die Situation und den Zeitpunkt angepasst sein. Dazu hat jede europäische Institution seinen eigenen Zugang und ist damit individuell zu lobbyieren. In Brüssel befinden sich ungefähr 20000 oder sogar mehr Menschen, die auf irgendeine Art oder Weise als mögliche Schlüsselkontaktpersonen in Frage 27 kommen würden. All diese Personen und deren Kontaktinformationen befinden sich in der European Public Affairs Directory (EPAD). Ein erfolgreicher Lobbyist muss jedoch nicht im Kontakt mit all diesen Personen stehen oder sich mit ihnen in Verbindung setzen, sondern er muss wissen, welche Personen für seine spezifische Kampagne oder Thematik eine Rolle spielen. Dafür sind exakte Kenntnisse über den Prozess entscheidend. Nach dieser Detektivarbeit ist es seine Aufgabe sich mit diesen Personen in Kontakt zu setzen, diesen Kontakt zu erhalten und zu beaufsichtigen, ob diese Personen im Laufe der Gesetzgebung auch weiterhin für die Thematik relevant sind und das gesamte Spektrum abdecken. In der Formulierung ihrer Interessen sollten LobbyistInnen von Anfang an klare Ziele formulieren. Als LobbyistIn sollte man an mehreren Ebenen versuchen, seinen Einfluss auszuüben. Das Ziel nach einem jeden Treffen ist für LobbyistInnen das Schaffen einer Win-Win-Situation. Beide Parteien sollten das Gefühl haben, dass sie erfolgreich aus dem Gespräch herausgegangen sind (Schwalba 2014: 38ff.). Das Outside und Inside Lobbying stellt zwei verschiedenartige Lobbyingstrategien dar. Das Outside Lobbying steht für den Gang an die Öffentlichkeit. Dazu gehören unter anderem öffentliche Medienkampagnen, um Menschen zu mobilisieren und allgemein Demonstrationen zu bewirken. Das Inside Lobbying ist hingegen eher der Versuch Zugang zu den entscheidenden Institutionen zu erhalten (Weller / Brändli 2015: 746f.). Eine Strategie der Gewinnung von Unterstützern für einen Politiksachverhalt ist das Framing. Framing bedeutet, dass man Themen durch eine selektive Betonung oder Attributierung bestimmter Inhalte hervorhebt und diese der Zielgruppe somit besser vermarkten kann. Die Identifizierung der Ursachen nennt man hierbei Naming und die Benennung der Verursacher Shaming. Wenn in diesem Sinne bestimmte Problemlösungen öffentlich verbreitet werden, nennt man dies Campaigning (Take 2015: 307f.). Alexander Bilgeri schreibt hierzu: „Entsprechend der Situation kann ein Lobbyist durch Framing organisatorische Akteure mit unterschiedlichsten Interessen für sein lobbyistisches Thema gewinnen und Unterstützung generieren (Bilgeri 2001: 58 f.). 4.3.1. Allianzen Eine Strategie für NGOs ist beim Lobbying die Bildung von Allianzen. Diese können dafür sorgen, dass eine Thematik auf eine neue höhere Ebene gestellt wird und somit der Repräsentationsgrad gesteigert wird. Allianzen erwirken, dass hinter einem einzelnen 28 Interesse mehr Masse und Gewicht gelegt wird. Speziell eine Verbindung aus unterschiedlichen Mitgliedsstaaten erwirkt, dass das gemeinsame dieser Organisationen europäischer wirkt. Dahinter steckt die einfache Theorie, dass je mehr Personen dieses Anliegen repräsentieren, umso tiefer ist es erstens in der Gesellschaft verankert und umso glaubwürdiger ist es zweitens von Relevanz und allgemeinen Interesse, sprich es dient dem Allgemeinwohl. Eine Schaffung von Koalitionen gilt auf der einen Seite als kostenaufwendig und wird daher immer nach dem Nutzen-Kosten-Verhältnis abgewogen. Der Nutzen einer solchen Koalition bezieht sich jedoch nicht nur auf die gesteigerte Repräsentativität, sondern kann auch noch ganz andere Faktoren haben. Ebenso muss man die Ressourcenverteilung sowie die Arbeitsaufteilung mit einfließen lassen. Zu der Ressourcenteilung gehört ganz essentiell die Nutzung der fremden Netzwerke, deren Wichtigkeit man zu keiner Zeit unterschätzen darf. Auf diese Weise lassen sich langfristig Kosten einsparen und mehrere Themen gleichzeitig bearbeiten, für die man ansonsten nicht die Ressourcen gehabt hätte. Dabei muss man jedoch immer bedenken, dass der Ursprung in einer Zusammenarbeit in den gemeinsamen politischen Ideen liegt. Zudem kann es jederzeit zu einem Ende einer Allianz kommen, da man jederzeit in einer anderen Thematik als Gegner dastehen könnte (Heitz 2011: 251f.). Die Wirtschaftskammer Österreich schreibt dazu: „Die europäische Dimension entsteht durch Abstimmung, Koordinierung und Allianzenbildung mit Verbänden in anderen Ländern mit gleich gerichteten Interessen: Entweder bilateral oder im Rahmen europäischer Verbände. (Heitz 2011: 251)“ Die Europäische Union bietet nicht nur ein breites Spektrum an LobbyistInnen, sondern auch unterschiedliche Formen von Koalitionen sind in Brüssel vertreten. Ein paar möchten wir an dieser Stelle vorstellen. 29 4.3.1.1. Concentric Ccoalitions Die oncentric coalitions sind vor allem auf langfristige Zusammenarbeit ausgelegt. Die Grundidee dahinter ist die Steigerung der Repräsentativität, um einen höheren Rückhalt in der Gesellschaft zu erreichen und mehr Gewicht hinter den eigenen vertretenen Interessen zu legen. Die Idee der dauerhaften Koalition zwischen zwei oder mehreren Organisationen hat jedoch mit einer mangelnden Flexibilität und vor allem einer schlechten Konsensbildung zu kämpfen. Letzteres Problem steigt mit der Anzahl der koalierenden Organisationen (Heitz 2011: 253). 4.3.1.2. Issue Management Coalition Als Kontrast zur langfristig angelegten concentric coalition gibt es ebenso die issue management coalition, die vor allem ad hoc zu einem jeweiligen Politikthema gebildet wird. Diese Koalition ist demnach sehr kurzfristig nur für das eine Thema angelegt. Insbesondere Unternehmen haben ein Interesse an einer solchen Allianz, da ihre Meinung mit Hilfe von branchenfremden Firmen oder gar gemeinnützigen Organisationen eine höhere Berechtigung erreichen kann (Heitz 2011: 253). 30 4.3.1.3. Unlikely Coalitions So genannte unlikely coalitions bestehen in der Regel aus überraschenden Koalitionen zwischen Wettbewerbskonkurrenten oder normalerweise ideologisch fernstehenden Verbindungen. Als gemeinsame Allianz können sie für ein Thema für eine erhöhte Aufmerksamkeit erzeugen. Dabei kann sie entweder nur für eine kurze Zeit oder auch dauerhaft angelegt sein. Die Zusammenarbeit findet hierbei jedoch speziell in ausgesuchten Politikbereichen beziehungsweise Politiksachverhalten statt. Die Organisation kann wiederum fest als Verband oder Verein stattfinden oder als lose informelle Gruppe ohne weitere Strukturen (Heitz 2011: 253f.). 4.3.1.4. Kumpel Allianzen Eine Kumpelallianz ist oftmals eher eine indirekte Zusammenarbeit zweier oder mehrere Organisationen oder Verbände. Sie basiert speziell auf das Vertrauen der involvierten Parteien. Bei einem politischen Sachverhalt kann hierbei zwischen aktiven und passiven Koalitionspartnern unterschieden werden. Der passive Partner stellt beispielsweise seinen Namen zur Verfügung, obwohl man selber keine Ressourcen verwendet, um letztendlich den aktiven Partner zu stärken und einen künstlichen Eindruck der Interessensvertretung zu erzeugen. Dafür erhält man zukünftig eine Gefälligkeit (Heitz 2011: 254f.). 4.3.2. Netzwerke Eine der wichtigsten Methoden des Lobbyings ist der Aufbau eines Netzwerks an Kontakten. Wünschenswert ist ein langfristiger Kontakt zwischen LobbyistInnen und beispielsweise einem Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Auf diese Weise kann sich ein vertrauensvolles Verhältnis entwickeln, so dass Abgeordnete sogar die Expertise von LobbyistInnen einholen, um selber aktiv an Informationen zu kommen. Diese Informationen werden dementsprechend von LobbyistInnen gesteuert. Es findet so eine indirekte 31 Meinungssteuerung statt. Generell pflegen LobbyistInnen ihre Kontakte, um möglichst immer auf dem Laufenden zu sein und einen solchen vertrauensvollen Kontakt entweder aufzubauen oder ihn zu behalten. Ansonsten sind die Kontakte zumeist punktuell und für spezifische Themen oder Gesetzesvorhaben zeitlich begrenzt. Die Kontaktaufnahme kann dabei auf unterschiedlichen Wegen beginnen. Eine unpersönliche Korrespondenz, in Form von E-Mails oder Briefen, ist als Mittel meist uneffektiv, weil sie nicht selten vorher von einem zuarbeitenden Mitarbeiter aussortiert werden. Das fachliche persönliche Gespräch ist wesentlich effizienter. Ein Vier-Augen-Gespräch fördert den offenen und ehrlichen Umgang sowie führt zu einem direkten Austausch von Argumenten. Damit kann es für beide Personen gewinnbringend sein. Auf diese Weise kann ebenso eine vertrauenswürdige Basis aufgebaut werden. Solche Einzelgespräche mit entweder Abgeordneten aller Fraktionen oder deren wissenschaftlichen Mitarbeitern, beziehungsweise einzelnen Referenten der Fraktionen, sind natürlich vom Aufwand her sehr hoch. Allerdings ist es wiederum zeitsparend, da der Lobbyist in der Regel mit den fachlich zuständigen Ansprechpartnern, Funktionsträgers spricht (Strasser / Meerkamp 2015: 225f.). Eine andere Methode sind etwaige Events, die von den Lobbyisten genutzt werden, um auf ihre Thematik aufmerksam zu machen oder Kontakte zu knüpfen. Dazu gehören parlamentarische Frühstücke und Abende, öffentliche (Podiums)Diskussionen, Fraktionsgesprächskreise, erweiterte Berichterstatter-Gespräche, Fachgespräche usw. Die parlamentarischen Frühstücke oder Abende bilden für die Abgeordneten eine wichtige Informationsquelle und sind für diese unverbindlich und zwanglos. LobbyistInnen bieten sie wiederum die Möglichkeit sich über die Themen auszutauschen, aber vereinfachen auch die weitere Kontaktpflege. Die Gespräche finden in einem nichtöffentlichen Rahmen statt. Hingegen werden Podiumsdiskussionen im öffentlichen Rahmen durchgeführt. NGOs können dabei sowohl öffentlich für ihr Thema werben, als auch die teilnehmenden Abgeordneten dazu bewegen, öffentlich Stellung zu beziehen. Solch ähnliche Veranstaltungen werden auch von den NGOs häufig initiiert. Dabei kann es auch passieren, dass kleinere Organisationen für eine gemeinsame Veranstaltung zusammenarbeiten. Dies kann durch einen direkten Termin mit einem Abgeordneten, dessen wissenschaftlichen Mitarbeiter oder einem Referenten der Fraktion geschehen (Heitz 2011: 247ff.). „Die Beziehungen zwischen Interessengruppen und den bürokratischen und politischen Akteuren sind zu einem größeren Teil informelle Natur. Informelle[r] Kontakte sind eine conditio sine qua non für ein erfolgreiches Lobbying (Buholzer 1998: 286).“ 32 Durch informelle Kontakte erhält ein Lobbyist die Chance, Zugang zu den notwendigen Informationen zu bekommen, die er auf offiziellem Weg eventuell nicht bekommen hätte. Die Relevanz der Assistenten der ParlamentarierInnen oder der BeamtInnen aus der mittleren oder unteren Ebene wird sehr häufig unterschätzt. Giovanni Campi betont die Relevanz dieses sogenannten Bottom-up Lobbyings, da diese Personengruppen jeweils einen Einfluss auf die Parlamentarier oder die Kommission selbst ausüben. Es entsteht da, „ […] die Sektoralisierung der EU-Politik, verbunden mit der Dynamik und dem Umfang der EURechtsetzung dazu [führt, d.Verf.], dass technische, auf unteren Hierachiestufen entstandene Stellungnahmen die Entscheide maßgeblich vorbestimmen. (Heitz 2011: 249).“ 4.3.3. Timing Ein weiterer wichtiger Faktor im Lobbying ist das richtige Timing. Die Wirtschaftskammer Österreich gibt als Hinweis: „Stellungnahmen müssen je nach Stand des Rechtsetzungsverfahrens zeitgerecht und in geeigneter inhaltlicher Aufbereitung den richtigen Institutionen/Personen unterbreitet werden“ In jedem Schritt des europäischen Rechtssetzungsverfahrens, worauf wir später noch genauer zu sprechen kommen, ist das frühzeitige Lobbying entscheidend. Dafür ist es wichtig, dass LobbyistInnen jederzeit wissen, wann die richtige Zeit gekommen ist. Diese Informationen erhalten sie durch ihr persönliches Netzwerk (Heitz 2011: 247). 4.3.4. Sprache, Nationalität & Kultur Obwohl die Europäische Union ein supranationales Konstrukt ist, bestehen die einzelnen Institutionen aus BürgerInnen unterschiedlicher Mitgliedsstaaten. Dies darf man beim Lobbying nie vernachlässigen. Der Einfluss der Nationalität oder der (politischen) Kultur kann durchaus eine Rolle spielen. Ein Lobbyist muss zudem jederzeit die kulturellen 33 Eigenarten seines Gegenübers mit einbeziehen. Dies kann ihm einen merkbaren Vorteil verschaffen. Der Lobbyist Alexander Sondermann betont in einem Interview mit Horst Heitz: „ […] es ist also wichtig, dass man als Lobbyist sich immer danach orientiert, woher welche Initiativen kommen a) geographisch b) aus welchem politischen Hintergrund. Daraus lässt sich dann schon erkennen, wer bei den unterschiedlichen Gremien für welche Themen vermutlich stimmen wird (Heitz 2011: 264).“ Daran merkt man, dass es sogar wichtig sein kann, woher die Initiativen eines politischen Vorstoßes kommen. Daraus lassen sich später mögliche Tendenzen der stimmberechtigten Parteien ablesen. Ebenso kann die Sprache eine wichtige Rolle spielen. Zwar ist Englisch eindeutig die Amtssprache der Europäischen Union, aber schwierige Sachverhalte und politische Prozesse lassen sich immer noch besser in der jeweiligen Muttersprache verstehen. Daher nutzt die Kommission beispielsweise extra Übersetzer (Heitz 2011: 264f.). 4.4. Zugänglichkeit und Attraktivität europäischer Institutionen für die Einflussnahme durch NGOs. Nachdem der vorherige Abschnitt die Polity der europäischen Energiepolitik vorgestellt hat, wenden wir uns in diesem Abschnitt der Bedeutung einzelner Institutionen für Interessensgruppen zu. Hierbei werden wir insbesondere darauf eingehen, welche Opportunitätsstrukturen die Europäische Union für Interessensgruppen bietet. Entsprechend des Zwecks dieses Abschnittes werden die Institutionen der Europäischen Union einzeln beleuchtet, um herauszuarbeiten, welche Bedeutung ihnen für das Lobbying einzelner Interessensgruppen zukommt. Unser Fokus liegt hierbei darauf, wie Interessensgruppen Zugang zu einzelnen Institutionen erhalten, welche Rolle der jeweiligen Institution im legislativen Prozess zukommt und wodurch Interessensgruppen versuchen können, das legislative Output der Europäischen Union zu beeinflussen. Vorgestellt werden an dieser Stelle vor allem die Europäische Kommission, der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament. Auf die Beeinflussung des Europäischen Rats werden wir nicht eingehen, weil seine Rolle sich überwiegend auf das Formulieren zwar wichtiger, aber grober Zielvorgaben für die Weiterentwicklung der Europäischen Union 34 beschränkt. Dementsprechend ist der Europäische Rat nicht unmittelbar in die detaillierte Formulierung des legislativen Outputs der Europäischen Union eingebunden, wodurch die Einflussmöglichkeiten nationaler Exekutiven, auf ihr Wirken im Rat der Europäischen Union, beschränkt ist. Hinzu kommt, dass wir es als wahrscheinlich erachten, dass der Europäische Rat, als intergouvernementales Gremium par excellence, vor allem auf nationaler Ebene für partikulare Interessen zugänglich ist. Die folgende Darstellung der Zugangs- und Einflussmöglichkeiten der jeweiligen, europäischen Institutionen beruht überwiegend auf einer Vereinfachung des Forschungskonzepts von Pieter Bouwen, das er in seinem Artikel „Corporate Lobbying in the European Union: the logic of access“, der im Jahr 2002 erschienen ist, darlegt. Simplifiziert wurde das Konzept insofern, als dass wir die Art der ausgetauschten Information an dieser Stelle nicht weiter kategorisieren. Außerdem wurde das Konzept auch insofern angepasst, als dass es die administrativen Veränderungen, durch den „Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union“, auch bekannt als Vertrag von Lissabon, entspricht. In Übereinstimmung mit den Neuerungen im Vertrag von Lissabon werden hier auch die ausgeweiteten Kompetenzen des Europäischen Parlaments und die modifizierten Abstimmungsverfahren im Rat der Europäischen Union berücksichtigt. Dies ist wichtig für unsere Untersuchung, weil sich durch diese primärrechtlichen Umgestaltungen auch die Opportunitätsstrukturen innerhalb der Europäischen Union für Interessensgruppen verändern. Darüber hinaus sind die zivilgesellschaftlichen Akteure in unserem Fall keine Unternehmen, im privatwirtschaftlichen Sinne, sondern NGOs, die sich für einen schonenderen Umgang mit unserer Umwelt im Bereich der Energiepolitik engagieren. Die Vereinfachung von Pieter Bouwens Konzept ist insofern angebracht, als dass NGOs unserer Auffassung nach eben auch über Expertenwissen verfügen, das sie den jeweiligen Institutionen, im Austausch für Zugang zu diesen Institutionen, zur Verfügung stellen. Hinzu kommt, dass auch die Ressourcen von NGOs begrenzt sind, so dass sie diese möglichst effizient einsetzen müssen. Abschließend sei auch erwähnt, dass die NGOs, deren Engagement in der europäischen Energiepolitik wir in dieser Arbeit untersuchen, den einzelnen Institutionen der Europäischen Union mehr anbieten können als Informationen bezüglich nationaler oder europäischer Interessen. Damit gemeint ist vor allem die Steigerung der Legitimität legislativer Beschlüsse 35 durch das Mitwirken von NGOs, denen häufig ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit und eine „moralische Überlegenheit“ zugeschrieben wird. Außerdem können die von uns untersuchten NGOs bzw. deren Dachverband, die Green 10, sowohl die Zustimmung, als auch die Ablehnung einzelner europäischer Gesetzesvorhaben erhöhen, indem sie auf verschiedenen Ebenen und in diversen Mitgliedsstaaten Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Hierauf werden wir allerdings in der Analyse, der von uns durchgeführten Interviews, näher eingehen. Die folgenden Abschnitte beschränken sich also darauf welche Rolle den jeweiligen Institutionen im europäischen, legislativen Prozess zukommt und was ihnen Interessensgruppen für Zugang zu diesen Institutionen anbieten können. An späterer Stelle werden die hier vorgestellten Annahmen anhand von Interviews mit Mitgliedern der Green 10 untersucht. Dadurch hoffen wir sowohl unsere Annahmen, als auch das Modell von Pieter Bouwen zu überprüfen. 4.4.1. Die Europäische Kommission Die Europäische Kommission wird allgemein als die supranationalste Institution im Institutionengefüge der Europäischen Union gesehen (vgl. Bouwen, 2002, S. 379). Dies liegt allerdings nicht daran, dass ihre Mitglieder nicht in europäischen Mitgliedsstaaten gewählt werden, wie etwa die Mitglieder des Europäischen Parlaments (MEP), oder daran, dass sie die Exekutiven von Mitgliedsländern repräsentieren, wie beispielsweise die Mitglieder des Rats der Europäischen Union. Ihre Supranationalität rührt vor allem daher, dass die Kommission das Initiativmonopol für europäische Gesetzesinitiativen hat. Damit ist es ihre Aufgabe legislative Prozesse anzustoßen, die zur Entwicklung und Formulierung supranationaler Normen führen. Diese Rolle, als Initiator supranationaler, legislativer Prozesse macht die Kommission, nach Meinung vieler Forscher, zu einem attraktiven und lohnenden Ziel für Interessengruppen, die versuchen die europäische Gesetzeslage frühestmöglich zu beeinflussen. Zugang zur Kommission erhalten Interessengruppen in der Regel im Austausch für technische Expertise, die es der Kommission erleichtern beziehungsweise ermöglichen praktikable Gesetzesvorschläge zu entwickeln (vgl. Skodvin, 2010, S.859). 36 Allerdings rührt die Supranationalität der Kommission auch von ihrem übergeordneten raison d’être, nämlich der Weiterentwicklung beziehungsweise Förderung der vertikalen Integration der Europäischen Union (vgl. Wettstade, 2012, S.70). Angesichts dieser Aufgabe, der Förderung der Europäischen Integration, beschränkt sich der Aufgabenbereich der Kommission nicht auf das Formulieren von Gesetzesvorschlägen. Nachdem sie nämlich einen europäischen Normsetzungsprozess angestoßen hat, ist sie, gemäß Artikel 250 (2) EG Vertrag, dazu befugt und angehalten Änderungen am ursprünglichen Gesetzesentwurf vorzunehmen, um die Änderungsvorschläge von Parlament und Rat in das Gesetz einzuarbeiten (vgl. Bouwen 2002, Skodvin 2010). Zusätzlich ist die Kommission auch dazu Befugt Gesetzesvorschläge zurückzuziehen, sodass sie de facto über ein Veto im europäischen Legislativprozess verfügt (vgl. Bouwen, 2002, S. 379). Wegen ihres Initiativmonopols, der Fähigkeit zur Gesetzesabänderung und ihrer de facto, potenziellen Veto-Macht ist die Kommission eine besonders attraktive Anlaufstelle für Interessensgruppen (vgl, Bouwen 2002, Skodvin 2010, Wettstade 2012,). Obgleich die Kommission ein wertvoller Anknüpfungspunkt für Interessensgruppen ist, so ist ihre Attraktivität inmitten des legislativen Prozessen, also ab der ersten Lesung im Europäischen Parlament (Parlament) und bis zur zweiten Lesung im Rat der Europäischen Union (Rat), verringert, weil es während dieser Phase Aufgabe des Parlament bzw. des Rates ist Gesetzesänderungen vorzuschlagen. Dennoch ist die Kommission auch nach dem Beschluss von Gesetzesinitiativen aus zwei Gründen ein wichtiger Bezugspunkt für Interessensgruppen. Erstens entwickelt die Kommission, im Rahmen des Komitologie-Prozesses, bei dem auch der Rat indirekt, maßgeblichen Einfluss nimmt, detailliertere Maßnahmen beziehungsweise Vorgaben zur Implementierung von Gesetzen (DNR, 2014 S.36). Zweitens obliegt es auch der Kommission, gemäß ihrer Rolle als Hüterin der Verträge, die Implementierung von Beschlüssen zu überwachen. Somit ist die Kommission insgesamt eine äußerst relevante Institution für die Artikulation und Vertretung der Anliegen von Interessensgruppen. Hinsichtlich des Zugangs zur Kommission, haben viele Forscher darauf verwiesen, dass die Kommission zur Erfüllung ihrer Aufgaben auf technische Expertise und Wissen, um die Bedürfnisse und Interessenslage unterschiedlicher Stakeholder, angewiesen ist (vgl, Bouwen 2002, Skodvin 2010, Klüvers 2011, Norgaard 2014). 37 Allerdings ist Fachwissen, nicht die einzige Ressource, welche Zugang zur Europäischen Kommission verschaffen können. Als supranationale Institution ohne direkte, demokratische Legitimität und ohne interne, demokratische Strukturen bedarf die Kommission zusätzlicher Legitimität, sowohl für sich selbst, als auch für ihr legislatives Output. In Anlehnung an Fritz Scharpf erklärt Pieter Bouwen, dass dieser Mangel an internen, demokratischen Strukturen zu einem Bedarf an Input-Legitimacy führt. Dabei bezeichnet der Begriff Input-Legitimacy Legitimität, die durch das Mitwirken mehrerer, unterschiedlicher Interessengruppen erzeugt wird (vgl. Bouwen, 2002, S. 371). Unter Output-Legitimacy begreift Bouwen Legitimität die durch die Angemessenheit des Outputs legislativer Prozesse erzeugt wird. Die OutputLegitimacy erhöht sich also, wenn das legislative Output der beabsichtigen Wirkung entspricht, während die Input-Legitimacy dadurch gesteigert wird, dass viele unterschiedliche, gesellschaftliche Gruppen Handlungsbedarf, von Seiten der Europäischen Union, attestieren und in den legislativen Prozess involviert werden. Da die Kommission allerdings nur eine von drei Institutionen ist, die am europäischen, legislativen Prozess beteiligt ist (vgl. Norgaard, 2014, S. 492), wenden wir uns nun dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union zu. 4.4.2. Das Europäische Parlament Das Europäische Parlament ist zwar einerseits supranational in seiner Rolle im europäischen Legislativprozess, aber gleichzeitig auch national hinsichtlich seiner Besetzung, weil die Mitglieder des Europäischen Parlaments (MEP) aus nationalen Wahlen zum Europäischen Parlament hervorgehen (vgl. Bouwen, 2002, S.380). Darüber hinaus fungiert es als öffentliches Forum für die Besprechung von Gesetzesvorhaben der Kommission und inzwischen, teilweise auch als Mitentscheidendes Organ, zusammen mit dem Rat der Europäischen Union (ibid.). Eben wegen seines Aufgabenbereichs im Legislativprozess, nämlich der Überprüfung und Korrektur von Gesetzesvorhaben der Kommission zusammen mit dem Rat der Europäischen Union, bedarf das Parlament nicht nur technischen Fachwissens, sondern auch Informationen über die potentiellen Auswirkungen gegebener Beschlüsse auf die allgemeinen und besondere Interessen innerhalb der europäischen Bevölkerung (vgl. Skodvin, 2010, S.867). Angesichts seiner Verantwortung für die Berücksichtigung gesamteuropäischer Interessen scheint es 38 naheliegend, dass das Parlament Informationen über die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen europäischer Gesetze benötigt (Chalmers, 2013, S.49). Allerdings muss auch der, oben erwähnte, Aspekt der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments berücksichtigt werden, wenn man sich damit befasst welche Informationen Interessengruppen bereitstellen können, um Zugang zum Europäischen Parlament zu erhalten. Dadurch, dass einzelne MEPs in Wahlkreisen gewählt werden und für bestimmte Parteien kandidieren, könnten die jeweiligen Parlamentarier auch Interesse an Informationen über die Interessenslage innerhalb ihrer Wahlkreise haben, um ihre Chancen auf Wiederwahl zu erhöhen (Bouwen 2002, Skodvin 2010). Ob einzelne Parlamentarier bei den Entscheidungen des Parlaments, die entweder mit einfacher oder absoluter Mehrheit getroffen werden (vgl. Skodvin, 2010, S.858), nun vorrangig gesamteuropäische Problemlösungsansätze verfolgen oder nationale beziehungsweise regionale Interessen berücksichtigen (vgl. Wettestad, 2012, S.70) ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Wichtig ist aber, dass das Europäische Parlament für die Wahrnehmung seiner Aufgabe im europäischen Legislativprozess Informationen benötigt, die von Interessensgruppen bereitgestellt werden können. Darüber hinaus ist es auch möglich, dass einzelne Parlamentarier bestimmte Interessen stärker berücksichtigen als andere, sofern dies ihre Chancen auf Wiederwahl erhöht. Der Informationsbedarf des Parlaments bietet Interessensgruppen also verschiedene Möglichkeiten Informationen bereitzustellen, die ihnen Zugang zu bestimmten Arbeitsgruppen oder Parlamentariern verschaffen. Wie Interessensgruppen diese Kontakte und den Informationsbedarf des Parlaments für sich nutzen, werden wir Anhand des Beispiels der Green 10 und durch die Analyse unserer Interviews, an späterer Stelle präsentieren. Bevor wir uns nun der Rolle der Rates der Europäischen Union im europäischen Legislativprozess widmen, halten wir bezüglich des Parlaments fest, dass es, nach seiner Aufwertung durch den Vertrag von Lissabon, wegen seiner Vetomacht (vgl. Skodvin, 2010, S.867), seiner Fähigkeit zur Änderung einzelner Gesetzesvorhaben (vgl. Bouwen, 2002, S.380) und seiner Rolle als öffentliches Forum zur Besprechung und Abwägung europäischer Interessen (vgl. Chalmers, 2013, S.49), eine attraktive Anlaufstelle für Interessengruppen ist. Darüber hinaus nehmen wir an, dass MEPs, wegen ihrer Parteizugehörigkeit dazu geneigt sind für bestimmte zivilgesellschaftliche Akteure zugänglich zu sein. 39 4.4.3. Der Rat der Europäischen Union Der Rat der Europäischen Union, in dem die Minister der Mitgliedsländer zusammenkommen, um die Interessen der Staaten zu vertreten, ist eine intergouvernementale Institution mit supranationalen Kompetenzen (Bouwen, 2002, S.381). Entsprechend seiner Zusammensetzung und Funktion im Legislativprozess, nämlich der Interessensvertretung einzelner Mitgliedsstaaten, nutzen die jeweiligen Minister ihre Zusammenkünfte, um sich über die Vor- und Nachteile einzelner Vorhaben für ihr Land auszutauschen und ihre jeweiligen, nationalen Interessen in den europäischen Rechtsetzungsprozess einfließen zu lassen (vgl. ibid.). Als Entscheidungsorgan im europäischen Institutionengefüge, eine Rolle die sich der Rat zunehmend mit dem Europäischen Parlament teilt (vgl. ibid.), muss der Rat einem konkreten Gesetzesvorhaben, seit dem Vertrag von Nizza (2001), meist mittels qualifizierter Mehrheit zustimmen, damit ein konkretes Gesetzesvorhaben europäisches Recht werden kann(vgl. Skodvin, 2010, S.858). Da die technischen Details, eines bestimmten Vorhabens, bereits von der Kommission in das Gesetzesvorhaben eingearbeitet wurden und die Änderungsvorschläge des Parlaments zumeist die allgemeinen Interessen der europäischen Bevölkerung berücksichtigt haben, fungiert der Rat oft als Forum, indem die Interessen einzelner Mitgliedsländer überein gebracht werden (vgl. Bouwen, 2002, S. 381). Die Annahmen einiger Forscher, unter anderem auch Bouwen, dass der Rat dementsprechend Informationen gebrauchen kann, welche die Verhandlungen zwischen den Ministern vereinfachen, konnte in jüngsten empirischen Untersuchungen allerdings nicht bestätigt werden (vgl. Chalmers, 2013, S.49). Stattdessen herrscht im Rat, Chalmers Untersuchung zufolge, Bedarf an rechtlich, linguistischer Expertise, die es den Entscheidungsträgern ermöglicht Gesetze so zu formulieren, dass sie ihren Zweck erfüllen und den einzelnen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit nehmen europäisches Recht einfach zu umgehen (vgl. ibid.) Bezüglich des Rats potenzieller Funktion als Vetopoint für Interessensgruppen, kann man feststellen, dass die vermehrte Anwendung der qualifizierten Mehrheit, als Abstimmungsmodalität, dazu geführt hat, dass der Rat immer seltener von seiner Vetomacht gebraucht macht (vgl. Wettestad, 2012, S. 70). Allerdings ist dies grade im Bereich der Energiepolitik, trotz Anwendung des qualifizierten Mehrheitsverfahrens, schon geschehen, 40 wodurch die Nutzung von Fossilen Brennstoffen zur Energiegewinnung ungehindert fortgeführt werden konnte (vgl. Skodvin, 2010, S.868). Hinsichtlich der Attraktivität und der Zugangsmöglichkeiten des Rates für Interessengruppen muss darauf verwiesen werden, dass die Mitglieder des Rates ihren nationalen Parlamenten gegenüber verantwortlich sind und sich einer Wiederwahl stellen müssen, sofern sie ihre Positionen, über die jeweilige Legislaturperiode hinaus, beibehalten möchten (vgl. Skodvin, 2010, S.867). Gemäß den beschriebenen Sachverhalten ist es also wahrscheinlich, dass einzelne Minister überwiegend im Interesse ihrer jeweiligen Herkunftsländer und Wählerschaften abstimmen. Darüber hinaus ist es auch vorstellbar, dass Interessensgruppen ihren potenziellen Einfluss auf die nationale, öffentliche Meinung bezüglich eines bestimmten Ministers nutzen können, um ihren Interessen im Rat Gehör zu verschaffen. Ob und wie Interessensgruppen von Umweltorganisationen versuchen den Rat zu beeinflussen werden wir wiederum in der Analyse, der von uns durchgeführten Interviews, herausarbeiten. An dieser Stelle sei allerdings festgehalten, dass der Rat maßgeblichen Einfluss auf das Output des europäischen Legislativprozesses hat, einen Vetopoint darstellen kann, Anknüpfungspunkte für einzelne Interessensgruppen bietet und potenziell als Brücke für partikulare, nationale Interessen, hin zum europäischen Legislativprozess genutzt werden könnte. Zusammenfassend stellen wir also fest, dass auch der Rat, auf Grund seiner Zusammensetzung, seiner Aufgaben im Legislativprozess und seiner potenziellen Vetomacht eine attraktive Anlaufstelle für Interessensgruppen ist. 4.5. Die vier Lobbyebenen Am Beispiel vom Rechtsetzungsverfahren kann man vier klar trennbare systematische Lobbyebenen mit spezifischen Funktionen, Aktivitäten und Zielen ausmachen. 1. Beobachtungsebene / Monitoringebene 2. Analyseebene 3. Ausführungsebene 4. Überwachungsebene Diese vier Ebenen sollen im Folgenden näher vorgestellt und erläutert werden. Es ist dabei zu beachten, dass diese verschiedenen Phasen nicht linear aufeinanderfolgend sind, sondern sich durchaus überschneiden können beziehungsweise parallel weiter bestehen (Buholzer 1998: 41 43, 302f.; Heitz 2011: 217f.). Dies hängt mit dem Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union zusammen. 4.5.1. Die Beobachtungsebene: Monitoring – inklusive Vor- und Frühwarnfunktion Die Beobachtungsebene ist die erste Phase des Lobbyingprozesses. Das sogenannte Monitoring, also das Beobachten oder auch die Überwachung steht an dieser Stelle im Vordergrund. Zu jeder Zeit müssen LobbyistInnen auf dem Laufenden sein, was in der Europäischen Union gerade los ist, um rechtzeitig agieren zu können. Demnach müssen sie eine Art Radar entwickeln, das ihnen hilft, das politische Geschehen zu überwachen. Dies wird häufig als Grundfunktion des Lobbyismus beschrieben. Das vorher beschriebene Netzwerk und die Kontakte von LobbyistInnen sind hilfreiche Werkzeuge für die Überwachung. In der Beobachtungsebene kann man zwischen dem allgemeinen Monitoring und dem gezielten Monitoring unterscheiden. Das allgemeine Monitoring bezeichnet die alltägliche Arbeit von LobbyistInnen. In einem weiten Rahmen wird die komplette 42 Informations- und Medienlandschaft überwacht. Daher kann man es auch als Pressemonitoring bezeichnen. In diesem Bereich sind zwei Funktionen möglich, die Konsequenzen nach sich ziehen: Die Vorwarnfunktion und die Frühwarnfunktion. Wenn ein Thema bei der Recherche ein Thema interessant erscheint, so werden LobbyistInnen rechtzeitig darüber informiert und beobachten den Sachverhalt näher. Falls sich die Thematik als relevant herausstellen sollte, beginnt die Lobbyarbeit und das gezielte Monitoring. Beim gezielten Monitoring wird der Beobachtungsrahmen enger gesteckt, wobei ein Thema gezielt und konsequent über alle Phasen des Lobbyingprozesses hinweg verfolgt wird. Direkte Kontakte sind in diesem Bereich unabdingbar. Das Monitoring endet nicht mit der ersten Phase, sondern ist ein stetig laufender Prozess. Selbst in den weiteren Phasen ist es wichtig, dass man den politischen Prozess weiterhin überwacht, um angemessen reagieren zu können (Heitz 2011: 220 ff.). 4.5.2. Die Analyseebene: Politische Bewertung und Strategieentwicklung Die richtige Lobbykampagne entsteht wiederum erst in der Analyseebene. Die vorher gesammelten Informationen werden evaluiert. Dazu kommen durch das gleichzeitig laufende gezielte Monitoring immer neue Informationen. Diese Informationen müssen in Einklang mit den eigenen Möglichkeiten von LobbyistInnen gebracht werden. Welche Strategien können sie anhand der gewonnenen Informationen und mit den vorhandenen Mitteln verfolgen? Welche neuen Verbündeten können LobbyistInnen möglicherweise für dieses Thema gewinnen? Dabei wird ihnen eine hohe Flexibilität abverlangt. LobbyistInnen müssen sozusagen zu diesem Zeitpunkt eine komplette Gesamtstrategie mit möglichen Koalitionen, Zielen erstellen, aber auch jeder Zeit damit rechnen, dass sie ihre Strategie anpassen und verändern müssen (Heitz 2011: 226). Rinus van Schendelen sagt hierzu: „A lobby campaign is, in this respect, not different from a military one; only the weapons and the manners have become civilized. It requires a lot of scouting and spying or, in civilized language, monitoring (van Schendelen 2003: 309).” 43 Bei der Analyse der Einflussmöglichkeiten auf eine Gesetzesvorlage gibt es mehrere Punkte zu bedenken. Die Chancen eines erfolgreichen Lobbyingversuchs hängen maßgeblich davon ab:  „der Phase der Entscheidungsfindung, in der sich die Vorlage befindet (je früher desto besser)  der Charakteristik der Vorlage (je fachspezifischer desto besser)  den verfügbaren Lobbying-Kapazitäten (je adäquater desto besser)  dem nutzbaren Beziehungsnetz (je grösser desto besser)  der Haltung der öffentlichen Meinung (je unterstützender desto besser)  der Übereinstimmung mit den generellen Doktrin der Politiker und Beamten (je identischer desto besser)  dem Verhalten konkurrierender Interessengruppen (je desinteressierter desto besser)  dem Verhalten unterstützender Interessengruppen (je engagierter desto besser)  der möglichen Bildung von Allianzen (je umfassender desto besser) (Heitz 2011: 227 f.)“ Daraus ergibt sich ein dreistufiger Prozess der Strategieplanung. Jede dieser Stufen enthält jeweils eigene Strategieentscheidungen, wobei sie sich, je nach der gewählten Taktik, nochmal unterscheiden können. 44 Die Unterscheidung aus der ersten Stufe besteht zwischen einer aktiven und einer passiven Strategie. Eine aktive Strategie wird vor allem gewählt, wenn die Aussicht auf eine erfolgreiche Beeinflussung besteht. Eine passive Strategie ist eine Möglichkeit, wenn einerseits entweder keine Chance auf Erfolg besteht, aber die Thematik dennoch von so großer Bedeutung ist, damit man ein Zeichen setzt, oder aber die eigenen Ressourcen beziehungsweise die eigene Handlungsfähigkeit nicht für eine aktive Strategie ausreicht. In der zweiten Stufe gibt es die Wahl zwischen einer negativen, einer positiven und einer Doppelstrategie. Die Doppelstrategie bezieht sich vor allem auf die Beeinflussung von zwei separaten Ebenen, der nationalen und europäischen Ebene. Die negative oder auch defensive Strategie bezeichnet eine Strategie des Ablehnens oder Blockens ohne konstruktive Alternativlösung. Es versucht, eine Art Veto zu setzen. Sie eignet sich aktuell vor allem zur Erhaltung des Status quo. Genauso kann sie als Zeitgewinn eingesetzt werden, damit man sich neu aufstellen kann. Aufgrund des dauerhaften blockierenden Charakters dieser Strategie kann sie schnell zu Unmut führen. Ein konstruktives Lobbying ist eher willkommen und bewirkt keine Schädigung der eigenen Reputation. Daher ist eine pro-aktive Strategie häufig eleganter. Sie versucht eine Mitgestaltung der Politik anzustreben und macht 45 Verbesserungsvorschläge. In der dritten Stufe geht es um die Wahl der Kommunikationsstrategie. Welche Kommunikationskanäle will man für die eigene Lobbykampagne wählen? Es gilt dabei zu beachten, dass LobbyistInnen sich möglichst breit aufstellen und versuchen mehrere Kanäle zu benutzen. Die gesendete Botschaft soll schließlich überall ankommen. Das politische System der Europäischen Union bietet einem diese Methode mit den vielen Adressaten und Einflussmöglichkeiten zusätzlich noch an. Allerdings gibt es auch viel Konkurrenz in der man schnell mit der eigenen Botschaft untergehen kann. Dies wird als multi-voice-Strategie bezeichnet. In diesem Bereich wird auch entschieden, welche zusätzlichen strukturellen Instrumente man verwendet. Dazu gehören beispielsweise Allianzen, (Dach)Verbände oder externe Dienstleister. Zudem können sogenannte grassroot campaigns (Graswurzelbewegungen) eine alternative Methode sein. Dabei soll die Öffentlichkeit mobilisiert werden (Heitz 2011: 228ff.). 4.5.3. Die Ausführungsebene: Aktives Lobbying – Einsatz von Maßnahmen Die Ausführungsebene behandelt hauptsächlich den Einsatz der Maßnahmen, also die praktische Umsetzung des Lobbyismus. Als wichtigste Werkzeuge von LobbyistInnen zählen hierbei die schriftliche und persönliche Kommunikation. Die Wirtschaftskammer Österreich schreibt hierfür: „Schriftliche Stellungnahmen und Positionspapiere zählen – neben persönlichen Vorsprachen - nach wie vor zum grundlegenden Rüstzeug des Interessenvertreters (Heitz 2011: 235).“ Dabei handeln sie vor allem mit Informationen, die ihre stärkste Waffe darstellen. Als Mittel nutzen sie alle denkbaren Kommunikationskanäle und Präsentationsformen, um ihre Positionen in die Welt zu tragen. Die Spannweite kann von kurzen bis umfangreichen Positionspapieren oder präzisen stichwortartigen Detailinformationen bis zu umfangreichen Gutachten gehen. Zu beachten ist dabei, dass der anfängliche Kontakt im Normalfall die grundlegenden Informationen enthält. Diese sollten möglichst klar umfasst sein. Dabei kann man einerseits zwischen monoprozessualen und polyprozessualen Instrumenten und andererseits zwischen direkten und indirekten Kommunikationsinstrumenten unterscheiden. Monoprozessuale Instrumente basieren auf dem Zusammenspiel gegenüber einzelnen Personen speziell Abgeordneten oder Beamten. Die Mittel sind zum Beispiel: Telefonate, EMail-Austausch, Besuchen, Briefings, Stellungnahmen, Positionspapieren und ähnliches. 46 Polyprozessuale Instrumente sind für mehrere Zielpersonen geeignet. Diese können aus verschiedenen Institutionen stammen. Die Werkzeuge sind in diesem Fall Workshops, Arbeitsfrühstücke, -mittagessen, –abendessen oder parlamentarische Abende. Die Einteilung in direkte und indirekte Kommunikationsinstrumente wurde größtenteils bereits weiter oben beschrieben und dürfte selbsterklärend sein. Hierbei ist der Kommunikationsweg zu PolitikerInnen beziehungsweise BeamtInnen entscheidend (Heitz 2011: 235 ff.). Das aktive Lobbying zeichnet sich durch das Follow-Up aus. LobbyistInnen müssen bis zur Implementation der Entscheidungen den Prozess beobachten und überwachen. Zum FollowUp schreibt die Wirtschaftskammer Österreich: „Die einmalige Abgabe einer Stellungnahme zeigt selten Wirkung. Vielmehr bedarf es einer konsequenten, aber unaufdringlichen Weiterverfolgung auf europäischer und nationaler Ebene, der Schaffung einer entsprechenden öffentlichen Meinung, der gewissenhaften Beobachtung des Rechtsetzungsverfahrens sowie persönlicher Netzwerkbildung (Heitz 2011: 238).“ 4.5.4. Die Überwachungsebene: aktives Überwachen der Komitologie und Implementation Die Überwachungsebene ist in etwa vergleichbar mit der Beobachtungsebene. Die Arbeit sehr ähnlich, allein die Zeitpunkte sind unterschiedlich. Die Überwachungsebene agiert speziell nach dem Beschluss von Gesetzesvorhaben auf europäischer Ebene und der anschließenden Durchführung auf Ebene der Mitgliedsstaaten. LobbyistInnen haben in diesem Bereich zwei Hauptaufgaben. Sie müssen die zuständigen Ausschüsse sowie deren Mitglieder identifizieren und über deren Aktivitäten informiert sein. Der Einfluss in diesem Bereich, in der Komitologie, ist bei den LobbyistInnen sehr umstritten. Bei einem Beschluss von Richtlinien auf europäischer Ebene kann eine Beeinflussung der Implementation auf der nationalen Ebene für LobbyistInnen lohnenswert sein, da bestimmte Aspekte innerhalb der Richtlinie abmildert, verstärkt oder verzögert werden können. Letztendlich können Evaluierungen oder Analysen der praktischen Auswirkungen von beschlossenem EU-Recht noch Verbesserungsvorschläge nach sich ziehen (Heitz 2011: 240ff.). 47 5. Die Beziehungen von Interessensgruppen zu EU Institutionen aus NGO-Perspektive Nachdem wir im deskriptiven, ersten Kapiteln unserer Arbeit die Grundzüge der europäischen Energiepolitik, die Rollen der unterschiedlichen Institutionen im legislativen Prozess, sowie die Interessensgruppe der Green 10 vorgestellt haben, wenden wir uns nun der Analyse unsere Interviews zu. In diesem, analytischen Teil unserer Arbeit werden wir zunächst darauf eingehen wie die Green 10 versuchen den legislativen Prozess, mittels ihrer Zugänge zu den einzelnen Institution, zu beeinflussen. Danach werden wir überprüfen inwiefern sich die, aus der Literatur gewonnenen Annahmen, im strategischen Handeln der Green 10 Mitglieder wiederfinden. In den folgenden Abschnitten werden also die vorherigen Annahmen, welche wir auf Grundlage des Theoretischen Konzepts von Pieter Bouwen, bezüglich des Zugangs von Interessensgruppen zu den Institutionen der Europäischen Union, erarbeitet haben, anhand der durchgeführten Interviews, mit Jan Haverkamp von Greenpeace und Reinhard Uhrig von Global 2000, überprüft. Wie auch im vorherigen Teil 2.2 werden wir die Beziehung von Interessensgruppen zu den jeweiligen Institutionen separat untersuchen, um herauszuarbeiten wie zivilgesellschaftliche Akteure Zugang zu diesen Institutionen erhalten. Dabei werden wir unsere vorherigen Annahmen überprüfen und versuchen Einflussfaktoren auf die Beziehung zwischen NonGovernmental Organizaitions (NGOs) und Institutionen der Europäischen Union zu identifizieren. An späterer Stelle werden wir außerdem untersuchen inwiefern das Vorgehen der Green 10 bekannten Lobbying-Strategien entspricht und versuchen Erkenntnisse über die Art der Kooperation innerhalb der Green 10 zu generieren. 5.1. Lobbying in der Europäischen Kommission Wie zuvor beschrieben gehen wir davon aus, dass die Kommission der EU ein interessantes Ziel für das Lobbying von Interessensgruppen darstellt, weil sie das Initiativmonopol für den legislativen Prozess der Europäischen Union besitzt, de facto über ein Veto in diesem Prozess verfügt und Gesetzesvorschläge während des Gesetzwerdungsprozess abändern kann (vgl. Bouwen 2002, Skodvin 2010, Wettstade 2012,). Darüber hinaus ist die Kommission auch 48 insofern für die Implementierung neuer EU Gesetze verantwortlich, als dass sie deren Implementierung und Befolgung durch die Mitgliedsländer überwacht. Bezüglich des Zugangs zur Kommission erwarten wir also, dass sich Interessensgruppen diesen, vor allem durch die Zurverfügungstellung von Expertenwissen, verschaffen. Zusätzlich berücksichtigen wir aber auch den Bedarf der Kommission an Input- und Output- Legitimacy. Die Annahme, dass Interessengruppen die Europäische Kommission, auch wegen ihres Initiativmonopols, als lohnendes Ziel ihrer Lobbying-Aktivitäten sehen, wurde durch unsere Interviews bestätigt (vgl. Interview 1). Dabei stellte sich heraus, dass das Lobbying in der Kommission auch durch eine möglichst aktive Teilnahme an Konferenzen vollzogen wird, wobei die LobbyistInnen dabei vor allem versuchen sich mit den SachbearbeiterInnen in Verbindung zu setzen, um ihren Anliegen auf möglichst hoher Ebene Gehör zu verschaffen (vgl. Interview 1). Durch konstante Mitarbeit versuchen NGOs sich auf diesem Wege ein Netzwerk innerhalb der Kommission aufzubauen. Die Etablierung eines Netzwerkes kann bis zu 2 Jahren in Anspruch nehmen und ermöglicht es den NGOs für eineinhalb Jahre guten Zugang zu Informationen und Ansprechpartner für ihre Interessen zu haben (vgl. Interview 1). Dieses zur Verfügung stehende Netzwerk bildet für die Lobbyisten ihr Lobbying-Setup mit dem sie dann für eine Periode von ca. eineinhalb Jahre arbeiten. Die zeitliche Begrenzung dieses LobbyingSetups rührt vor allem daher, dass eine einzelne Kommissionsperiode vier Jahre anhält, wobei sich das Engagement der KommissionmitarbeiterInnen, im letzten halben Jahr der jeweiligen Periode, deutlich verringert, sodass auch die LobbyistInnen ihre Aktivitäten bei der Kommission in dieser Phase verringern (vgl. Interview 1). Eine weitere Variable bezüglich des Lobbyings in der Kommission, die wir durch unsere Interviews identifizieren konnten, ist der Führungsstil des Kommissars. Anhand eines Vergleichs der Führungsstile von José Manuel Barroso und Jean-Claude Juncker erfuhren wir, dass das Lobbying bei der Kommission einfacher ist, wenn die Kommission von jemanden geführt wird, der eine relativ egalitären Führungsstil hat, während es schwieriger wird, wenn die internen Strukturen sehr hierarchisch sind. Dies wird, von Seiten der NGOs, vor allem darauf zurückgeführt, dass ein egalitärer Führungsstil, der EU-Beamte dazu ermutigt ihre Ideen einzubringen, dazu führt, dass NGOs ihre Ideen an EU-Beamte herantragen können, damit diese sie dann auf höherer Ebene einbringen (vgl. Interview 1). 49 Demgegenüber führt ein Führungsstil, der zu einer starken Hierarchisierung der internen Strukturen führt dazu, dass Beamte sich weniger für neue Ideen einsetzen und davon absehen, das Input von NGOs, in legislatives Output der Kommission umzuwandeln (vgl. Interview 1). So werden nicht nur weniger neue Vorschläge in den legislativen Prozess eingebracht, sondern jene Vorschläge die von zivilgesellschaftlichen Akteuren entwickelt wurden, werden auch stärker gefiltert. Zusammengenommen führt dies zu einer Verringerung der Zugangsmöglichkeiten und einer Minderung der Erfolgsaussichten für Lobbyisten. Ein weiterer, wichtiger Aspekt des Lobbyings in der Kommission bezieht sich auf den Zweck des Lobbyings selbst. Diesbezüglich stellte sich heraus, dass das Lobbying in der Kommission nicht immer der Erzeugung oder Beeinflussung des legislativen Outputs der Europäischen Union dient. Stattdessen kommt es auch vor, dass NGOs Lobbying betreiben, um die Kommission an die Wahrnehmung ihrer Aufgabe als Hüterin der Verträge und bereits beschlossenen Vorhaben zu erinnern (vgl. Interview 1). Außerdem erfuhren wir, durch unsere Interviews auch, dass das Vorgehen der Kommission und ihr Umgang mit der Zivilgesellschaft themenabhängig sind. Dabei kommt es vor, dass die Kommission bestimmte Themen, oder Aspekte eines Themas, bewusst außen vor lässt, damit diese auf nationaler Ebene besprochen werden (vgl. Interview 1). Dies hängt auch mit der, zuvor genannten Input- und Output-Legitimacy zusammen. Die Europäische Kommission vermeidet sich bestimmter, sehr kontroverser Themen anzunehmen, um ihre Legitimität bzw. ihr Ansehen in der europäischen Öffentlichkeit nicht zu gefährden. Umgekehrt nutzt die Europäische Kommission bestimmte zivilgesellschaftliche Akteure beziehungsweise NGOs dazu ihre Input- und Output-Legitimacy zu erhöhen. Als Beispiel für das Vermeiden strittiger Themen von Seiten der Kommission sei auf das Thema Fracking verwiesen, welches nicht auf europäischer, sondern nationaler Ebene besprochen wird (vgl. Interview 1). Auf diese Weise vermeidet die Kommission die Antipathie von Teilen der europäischen Öffentlichkeit und die Verringerung ihrer Legitimität. Gleichzeitig nutzt die Kommission das Engagement von NGOs mit einem „guten Ruf“, als moralische Instanzen, dazu ihre Input- und Output-Legitimacy zu erhöhen, indem sie diese an der Erarbeitung neuer Gesetzesinitiativen beteiligt. Dabei findet der eigentliche Input dieser zivilgesellschaftlichen Akteure allerdings nicht immer Eingang in das Output der Kommission. 50 Zusammenfassend, und in Bezugnahme auf unsere vorherigen Annahmen über das Verhältnis zwischen Kommission und NGOs, können wir also festhalten, dass Interessengruppen, die Kommission unter anderem wegen ihres Initiativmonopols als attraktives Ziel für ihre Lobbying Aktivitäten erachten. Dabei engagieren sich NGOs allerdings nicht nur in Arbeitsgruppen, um der Kommission ihre fachliche Expertise zur Verfügung zu stellen, sondern auch, um sich ein Lobbying-Setup zu erarbeiten. Dieses ermöglicht ihnen dann einen konstanteren Zugang zur Kommission bis zum Ende der jeweiligen Kommissionsperiode. Ebenfalls entsprechend unserer Annahmen, nutzt die Kommission zivilgesellschaftliche Akteure dazu ihre Input- und Output-Legitimacy zu erhöhen, wobei vor allem Ersteres für die Kommission wichtig zu sein scheint. Unsere Annahme, dass die Kommission auch wegen ihrer de facto Vetomacht für zivilgesellschaftliche Akteure interessant ist, konnten wir durch unsere Interviews nicht bestätigen. Stattdessen konnten wir die Einflussfaktoren Führungsstil, Thema und Zeitpunkt, innerhalb der jeweiligen Kommissionsperiode, identifizieren. Der Führungsstil des Präsidenten der Europäischen Kommission beeinflusst sowohl die Zugänglichkeit der Kommission für Interessensgruppen, als auch die Erfolgsaussichten derer Lobbying-Aktivitäten. Die Wahrnehmung eines bestimmten Themas in der europäischen Öffentlichkeit kann einen maßgeblichen Einfluss darauf haben, ob und wie sich die Kommission mit diesem Thema befasst. Nimmt sich die Kommission eines Themas an, und hebt es somit auf europäisches Niveau, kann es dazu kommen, dass sie zivilgesellschaftliche Akteure dazu nutz ihre Inputund Output-Legitimacy zu erhöhen. Dabei kann es dazu kommen, dass die Einbindung einer bestimmten NGO auf ihre Wahrnehmung als moralische Instanz, in der europäischen Bevölkerung, beruht. Der Zeitpunkt innerhalb einer bestimmten Kommissionperiode kann einen Einfluss darauf haben wie gut der Zugang einer NGO zur Kommission ist. Es kommt vor, dass NGOs die erste Hälfte der Kommissionsperiode dazu nutzen sich ein Lobbying-Setup aufzubauen, die zweite Hälfte nutzt sie dann dazu ihre Interessen zu artikulieren und in den legislativen Prozess einzubringen. Im letzten halben Jahr einer Kommissionsperiode sind die LobbyingAktivitäten von zivilgesellschaftlichen Akteuren vergleichsweise gering. 51 5.2. Lobbying im Parlament der Europäischen Union Gemäß unserer Annahmen erwarten wir, dass zivilgesellschaftliche Akteure vor allem durch die Bereitstellung von Fachwissen und Informationen über die Interessenlage innerhalb der europäischen Bevölkerung, Zugang zum Europäischen Parlament erhalten. Allerdings sollte die Bereitstellung von Fachwissen für den Zugang zum Parlament weniger wichtig sein als für den Zugang zur Kommission (vgl. Bouwen, 2002, S. 380). Zusätzlich nehmen wir an, dass Parlamentarier, wegen ihrer Eigenschaft als gewählte Repräsentanten und Mitglieder von Parteien, offener für die Interessen zivilgesellschaftlicher Akteure sind als Mitglieder der Kommission. Dies gilt insbesondere für die Interessen ihrer Wahlkreise und zivilgesellschaftliche Akteure deren Interessen denen der jeweiligen Partei nahestehen. Bezüglich der Attraktivität des Europäischen Parlaments für Interessensgruppen, erwarten wir, dass diese vor allem in dessen potenzieller Vetomacht und der Fähigkeit zur Änderung einzelner Gesetzesvorhaben, im allgemeinen Interesse, begründet ist. Wie im Fall des Lobbyings in der Kommission, konnten wir mittels unserer Interviews feststellen, dass auch die Lobbying-Arbeit im Parlament der Europäischen Union mehreren Einflussfaktoren unterliegt. Ganz allgemein stellte sich heraus, dass zivilgesellschaftliche Akteure ihre Interessen sowohl innerhalb einzelner Komitees als auch gegenüber individuellen Parlamentariern artikulieren. Dabei verfügen einige NGOs, aus eigener Perspektive, über sehr gute Kontakte zu fast allen Parteien im Parlament, wobei rechtsextreme und sehr konservative Parteien hier die Ausnahme bilden (vgl. Interview 1). Besonders guten Zugang haben zivilgesellschaftliche Akteure zu Mitgliedern von Parteien, deren Interessenslage mit denen der Lobbyisten übereinstimmen. Dies ermöglicht es den NGOs ihr Engagement innerhalb und außerhalb des Parlaments mit einzelnen Parlamentariern zu koordinieren (vgl. Interview 1). Allerdings bedeuten gute Kontakte und ein intensives Engagement innerhalb einzelner Komitees nicht, das zivilgesellschaftliche Interessen in das legislative Output des Parlaments finden, denn die Aktivitäten einer anderen Gruppe innerhalb des Parlaments können dem jeweiligen Engagement entgegenwirken. Aus diesem Grund ist es für LobbyistInnen wichtig den gesamten legislativen Prozess zu verfolgen, um 52 sicherzustellen, dass ihre Interessen so weit wie möglich berücksichtigt werden (vgl. Interview 1). Für die Erfolgsaussichten zivilgesellschaftlichen Engagements ist die Identifikation der richtigen AnsprechpartnerInnen im Parlament. Dabei kann ein guter Kontakt den NGOs ermöglichen, dass ihre Interessen in unterschiedlichen Komitees berücksichtigt werden (vgl. Interview 1). Außerdem kann die Wahrnehmung bestimmter Interessen durch das Parlament auch dazu führen, dass diese Interessen von anderen EU Institutionen, wie der Kommission oder dem Rat, berücksichtigt werden (vgl. Interview 1). Abgesehen von der Mitarbeit innerhalb einzelner Komitees, vertreten zivilgesellschaftliche Akteure ihre Interessen auch in Plenardiskussionen, die ebenfalls Teil des Legislativen Prozesses innerhalb des Parlaments sind. Ob eine NGO von dieser Option Gebrauch macht, hängt allerdings davon ab, wie groß die öffentliche Aufmerksamkeit ist (vgl. Interview 1). Zwar können NGOs durch Aktivitäten außerhalb des Parlaments die öffentliche Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema erhöhen (vgl. Interview 1), aber das Überwinden der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle ist für einzelne NGOs äußerst schwierig (vgl. Interview 2) und erfordert ein hohes Maß an Planung, Koordination und Reaktivität (vgl. Interview 1). Überhaupt ist die öffentliche Wahrnehmung eines Themas einer der wichtigsten Faktoren für zivilgesellschaftliche Akteure. Dabei nutzen NGOs die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht nur um die sich Gehör zu verschaffen, sondern auch um Druck auf einzelne Institutionen auszuüben (vgl. Interview 1). Die öffentliche Aufmerksamkeit wird von NGOs also gezielt dazu genutzt Institutionen und deren Mitglieder zu einer Stellungnahme zu bewegen und sie zu einer Rechtfertigung ihrer Entscheidung zu zwingen. Außerdem kann die Wahrnehmung eines bestimmten Themas von Seiten der Öffentlichkeit dazu führen, dass sich ein window of opportunity für zivilgesellschaftliche Akteure öffnet (vgl. Interview 2). Eine weitere Erkenntnis, auf die wir durch unsere Interviews gestoßen sind ist, dass einige zivilgesellschaftliche Akteure das Parlament als Gegengewicht zum Rat der Europäischen Union wahrnehmen (vgl. Interview 1). Konkret ist damit gemeint, dass NGOs das Parlament, beziehungsweise einflussreiche Parlamentarier, dazu nutzen ihren Interessen gegenüber der Kommission, mehr Gewicht zu verleihen (vgl. Interview 1). Auf diesem Weg ist es zivilgesellschaftlichen Akteuren möglich ihren Interessen durch das Parlament vertreten zu lassen. Diese Option besteht allerdings nur im Rahmen legislativer Prozessen, bei denen die 53 Zustimmung des Parlaments notwendig ist. Sofern dem Europäischen Parlament nur eine beratende Funktion zukommt, besteht diese Möglichkeit nicht, da Einfluss des Parlaments auf das legislative Output in diesen Fällen nicht ausreicht (vgl. Interview 1). Zusammenfassend konnten wir durch unsere Interviews also feststellen, dass zivilgesellschaftliche Akteure ihre Interessen durchaus innerhalb von parlamentarischen Arbeitsgruppen vertreten. Inwiefern NGOs diese Arbeitsgruppen, durch die Zurverfügungstellung fachlicher Expertise, bereichern konnten wir nicht ermitteln. Außerdem war es uns auch nicht möglich herauszuarbeiten inwiefern partikulare, regionale Interessen eines Wahlkreises Einfluss auf die Zugänglichkeit einzelner Parlamentarier für Interessensgruppen haben. Stattdessen konnten wir folgende Einflussfaktoren für die Zugänglichkeit einzelner Parlamentariern und das Engagement von Seiten zivilgesellschaftlicher Akteure identifizieren. Bezüglich der Zugänglichkeit einzelner MEPs stellen wir fest, dass eine Übereinstimmung der Interessen zivilgesellschaftlicher Akteuren mit Interessen bestimmter Fraktionen im Parlament die Berücksichtigung der jeweiligen Interessen von NGOs fördert. Außerdem hat die öffentliche Wahrnehmung eines Themas einen maßgeblichen Einfluss auf die Einbeziehung der Interessen zivilgesellschaftlicher Akteure in den legislativen Prozess und das Engagement dieser Gruppen. So kann das Überwinden der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle NGOs ein window of opprotunity eröffnen (vgl. Interview 2) und europäische Institutionen, sowie deren Mitglieder, zur Stellungnahme und Rechtfertigung zwingen (vgl. Interview 1). Darüber hinaus kann ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema dazu führen, dass NGOs sich nicht nur in einzelnen Arbeitsgruppen engagieren, sondern auch versuchen Diskussionen im Plenum zu beeinflussen (vgl. Interviw 1). Ein weiterer Einflussfaktor für das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure im Parlament ist dessen Funktion im jeweiligen legislativen Prozess. Hat das Parlament nur eine beratende Funktion, so verringern NGOs ihr Engagement, weil sie davon ausgehen, dass der Einfluss des Parlaments in diesem Fall äußerst gering ist. Allgemein erfuhren wir durch unsere Interviews auch, dass zivilgesellschaftliche Akteure die relative Zugänglichkeit des Parlaments und individueller Parlamentarier dazu nutzen ihren Interessen, auch in anderen Institutionen der Europäischen Union, Berücksichtigung zu verschaffen. Allerdings beschränken sich die Aufmerksamkeit und das Engagement von 54 NGOs innerhalb des Parlaments nicht nur auf einzelne Komitees oder Phasen, weil sie damit rechnen müssen, dass Gruppen, die andere Interessen innerhalb des Parlaments vertreten, ihre Bemühungen zunichtemachen. Dementsprechend vertreten zivilgesellschaftliche Akteure ihre Interessen während des gesamten parlamentarischen Prozesses, um die Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber gegenläufigen Interessen abzusichern (vgl. Interview 1). 5.3. Lobbying im Rat der Europäischen Union Auf Grund der vorangestellten Ergebnisse unserer Literaturrecherche erwarten wir, dass der Rat der Europäischen Union vor allem für nationale InteressenvertreterInnen zugänglich ist und, statt fachlicher Expertise, einen Bedarf an juristischer Expertise hat (vgl. Chalerms, 2012, S.49). Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass jene zusätzlichen Informationen, für die der Rat der Europäischen Union Verwendung hat, Informationen sind, welche die intergouvernementalen Verhandlungen erleichtern (vgl. Bouwen, 2002, S. 381) oder den jeweiligen MinisterInnen helfen ihr Abstimmungsverhalten nach der Interessenlage ihrer nationalen Bevölkerungen zu richten, um ihre Chancen auf Wiederwahl zu erhöhen (vgl. Skodvin, 2010, S.859). Bezüglich der Attraktivität des Rates für zivilgesellschaftliche Akteure, nehmen wir an, dass diese sowohl in seiner potenziellen Vetomacht, als auch in seiner Möglichkeit zur Abänderung einzelner Gesetzesinitiativen begründet ist. Unsere Interviews bestätigten die Annahme, dass auch der Rat eine attraktive Institution für LobbyistInnen ist. Allerdings konnten wir feststellen, dass sich das Lobbying beim Rat der Europäischen Union in mehrerlei Hinsicht vom Lobbying in anderen Institutionen der Europäischen Union unterscheidet. Dass Lobbying unterscheidet sich sowohl hinsichtlich der Anknüpfungspunkte, die außerhalb des Ministerrats liegen, als auch in Bezug auf die Einflussfaktoren, des Vorgehens zivilgesellschaftlicher Akteure. Entgegen unseren Erwartungen ergaben unsere Interviews, dass Interessengruppen den Rat der Europäischen Union meist indirekt beeinflussen, indem sie Kontakt zu den permanenten Vertretungen der einzelnen Mitgliedsländer suchen. Diese vertreten nicht nur die Mitgliedsstaaten, sondern arbeiten den jeweiligen Ministerien und ihren MinisterInnen zu (vgl. Interview 1). Dabei sind die permanenten Vertretungen in zwei Ebenen unterteilt, wobei 55 die niedere Ebene die Informationsgrundlage aufarbeitet, während die höhere Ebene diese Informationen für die eigentlichen EntscheidungsträgerInnen, also die jeweiligen MinisterInnen zusammenführt, um deren Verhandlungsposition vorzubereiten (vgl. Interview 1). Die Kontaktaufnahme mit den DiplomatInnen der permanenten Vertretungen gestaltet sich für zivilgesellschaftliche Akteure dabei meist schwieriger als mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Erstens sind Arbeitsgruppen im Parlament offener für das Input zivilgesellschaftlicher Akteure und die ParlamentarierInnen selbst können, auf Grund ihrer Parteizugehörigkeit, offener für bestimmte Interessengruppen sein. Zweitens sind die Mitarbeiter in den permanenten Vertretungen teilweise nur ausführende Hilfskräfte für die jeweiligen MinisterInnen (vgl. Interview 1), was ihren Gestaltungsspielraum und Einfluss stark verringert. Die Interessenvertretung bei den jeweiligen MinisterInnen selbst, ist allerdings auch meist sehr schwierig, weil die Beziehungen und die Art der Interaktion wesentlich formaler werden, je höher die Ebene ist, auf der die NGOs mit BeamtInnen in Kontakt tritt ( vgl. Interview 1). Hierbei macht es auch einen Unterschied, wie groß das Land ist, deren MinisterInnen LobbyistInnen versuchen zu beeinflussen. Diesbezüglich stellte sich heraus, dass kleinere Staaten meist leichter zu beeinflussen sind, weil es in kleineren Mitgliedsstaaten einfacher ist, das Umfeld der MinisterInnen zu identifizieren und mit diesem in Kontakt zu treten (vgl. Interview 1). Dies macht es LobbyistInnen dann auch einfacher Informationen über die Agenden der jeweiligen Ministerien zu erhalten und MinisterInnen, durch einen hergestellten Kontakt, ihre Anliegen vorzutragen (vgl. Interview 1). Ist die Kontaktaufnahme auf ministerieller Ebene gelungen, versuchen NGOs sich für Berücksichtigung ihrer Interessen in mehreren Arbeitsbereichen der MinisterInnen einzusetzen, wobei auch dies ist in kleineren Mitgliedsstaaten einfacher ist (vgl. Interview 1). Die Beeinflussung der MinisterInnen kleinerer Staaten hat vor allem dann einen starken Einfluss auf die Entscheidungen im Rat, wenn die Stimmen der kleineren Staaten das „Zünglein an der Waage“ bilden oder dieses Land die Ratspräsidentschaft innehat. In letzterem Fall kann es NGOs sogar gelingen Einfluss auf die Agenda im Rat zu haben (vgl. Interview 1). Demgegenüber birgt die erfolgreiche Beeinflussung der Position von MinisterInnen größerer Staaten den Vorteil, dass ihre Stimme im Rat mehr Gewicht hat. Zwar ist es wesentlich 56 schwieriger mit den MinisterInnen größerer Staaten in Kontakt zu treten, doch die Berücksichtigung der Position von Interessensgruppen, von mehreren größeren Mitgliedstaaten kann richtungsweisend für den gesamten Rat der Europäischen Union sein (vgl. Interview 1). Eine weitere Erkenntnis aus unseren Interviews ist, dass es für alle Interessengruppen schwieriger ist Zugang zum Rat der Europäischen Union zu finden und dessen Entscheidung zu beeinflussen (vgl. Interview 1). Außerdem bedürfen zivilgesellschaftliche Akteure zur Beeinflussung der MinisterInnen stets „einen Arm in die Mitgliedsstaaten“ (Interview 1). Im Gegensatz zum Lobbying in den anderen beiden Institutionen der Europäischen Union, hat die Beeinflussung von Regierungsmitgliedern nur Erfolgsaussichten, wenn sie über nationale Kanäle vollzogen wird (vgl. Interview 1). Zusammenfassen konnten wir durch unsere Interviews also folgende Erkenntnisse generieren und Einflussfaktoren identifizieren. Lobbying beim Rat der Europäischen Union gestaltet sich für zivilgesellschaftliche Akteure schwieriger, als in den anderen beiden Institutionen der Europäischen Union. Außerdem verläuft die versuchte Einflussnahme auf den Rat der Europäischen Union in zweierlei Hinsicht indirekt. Erstens, versuchen NGOs durch die zwei Ebenen innerhalb der permanenten Vertretungen der Mitgliedsstaaten zu wirken und Informationen zu beziehen. Zweitens setzen zivilgesellschaftliche Akteure zur Beeinflussung von MinisterInnen meist auf nationaler Ebene an, weil nationale Interessen in dieser intergouvernementalen Institution im für die MinisterInnen im Vordergrund stehen und eher berücksichtigt werden. Ein Einflussfaktor auf das Vorgehen und die Erfolgsaussichten des Engagements zivilgesellschaftlicher Akteure ist die Größe des Landes, deren MinisterIn sie zu beeinflussen versuchen. Je kleiner das Land, desto einfacher ist die Kontaktaufnahme und höher die Erfolgsaussichten, der versuchten Beeinflussung (vgl. Interview 1). Ein weiterer Einflussfaktor ist das Thema über das der Rat entscheiden muss. Wenn der Ausgang der Abstimmung von der Position kleinerer Mitgliedsstaaten abhängig ist, werden die MinisterInnen dieser Staaten zu attraktiveren Adressaten für die Interessensartikulation von Seiten der Zivilgesellschaft. Gelingt es zivilgesellschaftlichen Akteuren allerdings mehrere große Mitgliedsstaaten in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, gehen LobbyistInnen davon aus, dass dies ihre Erfolgsaussichten stark erhöht, weil sie diese „Weichenstellung“ als richtungsweisend erachten (vgl. Interview 1). 57 Ein letzter Einflussfaktor auf das Lobbying beim Rat der Europäischen Union, den wir durch unsere Interviews identifizieren konnten, ist das Verhältnis zwischen den Ministerien und den permanenten Vertretungen der Mitgliedstaaten. Dabei sind der Bezug von Informationen und die Beeinflussung der Entscheidungsgrundlage von MinisterInnen umso schwieriger, je stärker die Kontrolle der Ministerien über die permanenten Vertretungen ist. Die Annahmen von Adam William Chalmers, dass der Rat einen Bedarf an rechtlichen Informationen hat, wurde von unseren Interviews nicht bestätig. Gleiches gilt auch für die Hypothese von Pieter Bouwen, dass Interessensgruppen im Gegenzug für Informationen, welche die Verhandlungen im Rat vereinfachen, Zugang zum Rat der Europäischen Union erhalten. Stattdessen konnten wir ermitteln, dass es für alle Interessengruppen vergleichsweise schwierig ist Zugang zum Rat zu erhalten. Außerdem gelingt dessen Beeinflussung meist nur mittelbar über die Beeinflussung der MinisterInnen auf nationaler Ebene. 6. ENGO-Lobbying aus angewandter Perspektive Der bisherige Fokus unserer Arbeit lag sehr stark auf einer Erschließung des ‚Spielfeldes’ und der ‚Spielregeln’ des Lobbyings im (hauptsächlich legislativen) Bereich der EUEnergiepolitik. Auf den folgenden Seiten werden nun die Spieler, in unserem Fall die Green 10 und ihre Mitgliedsorganisationen und Perspektiven beschrieben. Sollte also auf den kommenden Seiten von ENGOs (Environmental Non Gouvernemental Organizations) die Rede sein, so ist dies immer in Verbindung mit dem von uns vordefinierten Feld zu den von uns als solche definierten Regeln sein. Auf den folgenden Seiten geht es darum, zu zeigen, wie sich das institutionelle Feld vor den ENGOs offenlegt, und wie sie damit umgehen. Wie bereits erwähnt, werden wir daran anschließend eine Analyse anhand der oben genannten strategischen Zugänge durchführen. Dabei beziehen wir uns einerseits auf die Green 10 sowie exemplarisch auf Greenpeace und FOEE. Nach einem kurzen Überblick über die Organisationen sowie der schematischen Verordnung, werden die Strategien anhand der aus den Interviews generierten Kategorien abarbeiten. 58 6.1. Die Akteure 6.1.1. Green 10 Wenn man sich mit zivilgesellschaftlichem Lobbying im Bereich der EU-Energielegislative auseinandersetzt, ist es unmöglich, an den Green 10 vorbeizukommen. Diese Green 10 wurde von den 10 mitunter größten in Brüssel aktiven ENGOs gegründet, um als einheitliche Stimme innerhalb der EU-Energielegislative aufzutreten. Dieser Zusammenschluss basiert dabei auf “actors working internationally on an issue, who are bound together by shared values, a common discourse.“ Sie sind „organized to promote causes, principled ideas and norms“ (Keck & Sikkink: 1999: 89, 91)47 . Sie bauen also auf gemeinsamen Zielen und Normen auf und teilen, beziehungsweise kreieren Information, auf Basis derer sie ihre Kampagnen aufbauen (ibid). In Bezug auf die oben eingeführten Kategorisierungen lassen sich die Green 10 am besten den „concentric coalitions“ (Heitz 2011) zuordnen. Die Green 10 sind als koordinierter Akteur einzigartig innerhalb der zivilgesellschaftlichen Lobbyblase rund um Energiepolitik (Interview 1). Momentan aktive Mitglieder sind Birdlife International, HEAL, Greenpeace, T&E, CAN Europe, EEB, NFI, WWF, FoE Europe und CEE Bankwatch. Vereinigung (nichtfinanzieller) Ressourcen Ein wichtiger Fokus (zivilgesellschaftlicher) Netzwerke innerhalb der EU liegt auf der Arbeitsteilung. (Mahoney 2007: 376). Aufgrund der großen Disbalance zwischen den Ressourcen der Wirtschaft und jenen der ENGOs, ist Effizienz essenziell. Eine Koalition als Green 10 versucht genau das umzusetzen. Die Green 10 treffen sich regelmäßig in der Form der in Brüssel vorhandenen BüroführerInnen der jeweiligen Organisationen, um mittel- bis längerfristige stabile strategische Entscheidungen zu treffen und das Verhalten zu koordinieren (Interview 1). Dabei ist vor allem die Arbeitsteilung, also die Frage nach den jeweiligen Prioritäten, Ressourcen und ‚Know How’ wichtig. Dementsprechend oft kommt es dann zu Kooperationen von Teilen der Green 10. 47 Zwar beziehen sich Keck und Sikkink in ihrem Konzept der „Transnational Advocacy Networks“ (ibid) auf ein multiples Set an Akteuren wie lokale Social Movements, Stiftungen etc., dennoch passt es für unsere Analyse. 59 Sie teilen sich ein grobes Set an Normen und Werten. Dennoch, wenn die Green 10 als kollektiver Akteur also eine Position vertreten, bedeutet das, dass sich alle zehn Mitglieder zusammengesetzt und zusammengerungen haben. Folglich zeigt das den Entscheidungsträgern auf EU-Ebene, dass die quantitative Mehrheit der ENGOs eine Meinung und damit auch eine Einheit eines Großteils der Öffentlichkeit vertritt. So ist es nicht nur eine normative Wirkung, wenn sich die Green 10 gemeinsam für oder gegen etwas aussprechen, sondern gibt EntscheidungsträgerInnen auch eine gewisse Sicherheit hinsichtlich der Grundstimmung zu einem Thema (Mahoney 2007: 368). Auch wenn im EUEnergiebereich viel Lobbying auf direktem, zwischenmenschlichem Kontakt aufbaut (dazu später mehr), hat ein gemeinsames Auftreten der Green 10 immer eine Signalwirkung (Interview 2). Diese Signalwirkung ist vor allem nach Innen gerichtet. Die Green 10 sind kein Zusammenschluss, der es sich zur primären Aufgabe gemacht hat, als Kollektiv auf die Öffentlichkeit zu wirken. So haben sie zum Beispiel für das gesamte Jahr 2015 bis inklusive November nur ein öffentliches Statement, nämlich eine Presseausendung zur Unterstützung einer Mehrheit des Parlaments gegen Junckers Versuch, einige Umwelt-Themen aus dem 2015 Work Programme auszuschließen, gemacht (Green 10, 2015). Und selbst dabei wird schnell offensichtlich, dass es nicht um Öffentlichkeitsarbeit per se (siehe Oben) handelt, sondern vielmehr darum, das Europäische Parlament zu unterstützen. Ihre Arbeit umfasst die Umsetzung des EU-Umweltrechts und der Policies innerhalb der Mitgliedstaaten, Lobbyarbeit für umweltthematische Vorschläge, Kooperation mit den EU Institutionen sowie die Förderung eines gemeinsamen europäischen Leaderships in Bezug auf Umwelt-policies in der globalen Arena (Green 10 Transparenzregister). Public Consulation Ein gut sichtbares Beispiel für die koordinierte Arbeit der Green 10 im EU-Energiebereich ist die strategisch koordinierte Position innerhalb der Public Consultation zum Framework 2030 der Energieunion. So wurde in unserer Analyse der Einsendungen der Green 10 Mitglieder (siehe Annex) offensichtlich, dass ein allgemeiner Fokus auf die Kategorien der Treibhausgasredution, der erneuerbaren Energien und dem Einsparen von Energie gelegt wurde. Versorgungssicherheit sowie Wettbewerbsfähigkeit wurden eher hinten angestellt. Des weiteren traten alle für verbindliche Ziele bezüglich der Treibhausgasemissionsreduktion, der 60 erneuerbaren Energien sowie den Einsparungen ein, die über den im Green Paper vorgeschlagenen Zielen lagen48 . 6.1.2. Greenpeace European Unit und Friends of the Earth Europe Allerdings wurde aus unserer Recherche (Interviews 1 und 2) offensichtlich, dass eine Mehrheit der Lobbying-Aktionen im Rahmen der EU-Energiepolitik auf (Ad-hoc) Reaktionen auf themenspezifische Entwicklungen ist. Deshalb ist es wichtig, den Fokus zu erweitern. Dennoch wollen wir nicht über die Mitglieder der Green 10 hinausgehen, da sie in sich doch die wichtigsten ‚Player’ darstellen, egal ob als Kollektiv strategisch koordiniert, in themenspezifischen Allianzen oder als unabhängige Akteure. Auf den folgenden Seiten legen wir den Fokus daher auf Greenpeace und Friends of the Earth Europe, da wir mit Vertertern dieser Organisationen Interviews geführt haben. Beide passen in das von Klüver et al (2015) Konzept von Cause Groups: „Cause groups, by contrast, typically fight for a public good such as environmental protection, health or consumer protection. The membership of cause groups is not restricted; anyone in favour of the principle can become a member of the group. Cause groups represent diffuse, public interests that impose diffuse costs on and benefits to their supporters. The interests that cause groups fight for are not related to the material needs of a small, homogeneous group of citizens, but rather to a large, heterogeneous group of individuals“ (485). Wissend um den Rahmen und die theoretischen Werkzeuge, werden wir auf den folgenden Seiten die Frage der Strategien der Green 10, beziehungsweise ihrer einzelnen Mitglieder genauer analysieren. Dabei versuchen wir, die oben erwähnten theoretischen Konzepte in der Praxis einzubetten. Dabei werde ich mich nicht in der oben verwendeten Strukturierung und Kommission, Parlament und Rat bewegen, denn wie am Ende dieses Teiles klar sein wird, Lobbyarbeit durch ENGOs in der Praxis viel vielschichtiger und gleichzeitiger abläuft, als in der Literatur suggeriert. Auf den kommenden Seiten soll ein Überblick über ihr Handeln gegeben werden. Sie dienen dazu, die oben aufgestellten, hauptsächlich aus der Literatur gewonnen Hypothesen im 48 Auf Basis einer Vorlage wurden Informationen der jeweiligen Organisationen aus dem Transparenzregister der EC (http://ec.europa.eu/transparencyregister/public/homePage.do?locale=de) sowie aus den Einsendungen zur Public Consultation zusammengefügt. Obwohl die Einsendungen im Umfang her sehr unterschiedlich waren, gab es doch einige grundsätzliche Übereinstimmungen. 61 Kontext der Wirklichkeit zu verankern, beziehungsweise darum, basierend auf den Interviews, aufzuzeigen, mit welchen Widersprüchen, Hindernissen und Möglichkeiten die Green 10 zu kämpfen haben. 6.2. Analyse der Interviews: Dichotomien Für diesen Teil wurde Grounded Theory Coding (siehe Charmaz 2006) auf die zwei durchgeführten Interviews angewendet. Aus den initial Codes, generiert durch „Incident to Incident“ (ibid. 53) coding wurden im „Focused Coding“ (ibid 57) Kategorien/Codes gewonnen, auf Basis derer eine Analyse, Verknüpfung und Kategorisierung des Gesagten sinnvoll und wissenschaftlich möglich war.49 Diese Kategorisierungen und Verknüpfungen werden hier in Form von Gegensatzpaaren eingearbeitet. Wohlwissend, dass Gegenüberstellungen immer auch Verkürzungen mit sich bringen und dass die Welt nicht in Schwarz und Weiß unterteilbar ist, bieten die aus den Daten generierten Widersprüche eine gute Möglichkeit, ein Verständnis für die Situation der zivilgesellschaftlichen Akteure innerhalb des Spielfelds der EU Energie-Legislative zu erlangen. Hauptwidersprüche Die erste Gegenüberstellung ist jene zwischen dem strategischen Handeln und spontaner (Re-) Aktion. Hier besteht auch eine enge Verbindung zu dem oben erwähnten Zusammenarbeiten als Green 10, das, wie ja bereits erwähnt, auf strategischer Kooperation beruht, und zum Beispiel dem Handeln in „Policy Networks“ (Warleigh 2000: 232), die sich ad hoc und themenspezifisch formen. Zweitens gibt es eine Dichotomie durch die ENGOs im Framing ihrer Beziehungen zu ihren Gegenspielern. Während nämlich im EU-internen Lobbying Pragmatismus oft über Idealismus geht und Win-Win Situationen für alle Beteiligten, im Notfall auch der Industrie, gesucht werden, ist es für die Öffentlichkeitsarbeit von großer Wichtigkeit, klare Gegensatzpaare zu definieren (siehe oben). Drittens, und daran anlehnend haben ENGOs und die Green 10 auf EU-Ebene einerseits eine „Watchdog“ (Interview 2) Funktion über, treten also als außenstehender, wertender Akteur auf, andererseits sind Beratung der EntscheidungsträgerInnen und Bereitstellung der richtigen Informationen zur richtigen Zeit ein ebenso wichtiger Bestandteil ihrer internen Arbeit in Brüssel. Als letztes 49 Siehe Annex 62 Gegenstandspaar sollen hier die Abhängigkeit der ENGOs, vor allem bedingt durch ihre Ressourcenknappheit der Machtposition, in der sie sich befinden, einer proaktiven Funktion, wenn sie zum Beispiel als ‚Facilitator’ dienen (Interview 1) gegenübergestellt werden. Alle diese Kategorien sind auf den Grundgedanken der Themenspezifität aufgebaut, der sich in beidem wiederfindet, unserer kontextuellen Rahmenarbeit und den Interviews. Als Grundorientierung bei der Strategiewahl durch die ENGOs dienen die folgenden, aus den Interviews generierten Aspekte:  Die Die Institution (Wo liegt der Einfluss?)  Die Person (Wie komm ich am besten zum Einfluss?)  Der Stand innerhalb des Prozesses (BSP Atomabfall) (Wo steht der Prozess?) 6.2.1. Strategisches Planen vs. Ad-Hoc-Agieren Um die 70 Prozent der Aktivität von Organisationen wie Greenpeace bezüglich EU-Energie Legislative sind als kurzfristige (Re-)Aktionen auf Windows of Opportunities zu sehen. In diesen Fällen besteht selten die Zeit, Strategieplanung im Rahmen der Green 10 zu betreiben. Es kommt, in den meisten Fällen, maximal zu einer themenbezogenen Kooperation zwischen zwei oder mehreren Mitgliedern, bei der es um die möglichst günstige Allokation von Ressourcen geht (Interview 1). Dabei wird, wie gerade erwähnt, spezieller Fokus auf die Fragen gelegt, welche die entscheidenden Instanzen in dem jeweiligen Prozess sind, wer diese Instanzen bekleidet und wo im (legislativen) Prozess ein Projekt gerade steht. Dass hierbei eben auch großer zeitlicher Druck besteht und langwierige interne Aushandlungsprozesse von Nachteil sind, ist selbsterklärend. Ein gutes Beispiel für eine Kampagne dieser Art ist die Aktion von Greenpeace rund um die Atomabfalldirektive. Nachdem klar wurde, dass eine ‚grüne’ Position nur durch Beeinflussung der Kommission und das wiederum, im Rahmen des Fortschrittes des legislativen Prozesses, am besten durch Druck durch das EP möglich war, wurde auf geschickte Weise, unter hohem Planungsaufwand und schnellem handeln, eine Aktion vor dem Parlament organisiert, das letzten Endes zu einem Umdenken der Kommission nach den Wünschen der AktivistInnen führte50 (Interview 1). Erfolgreiches 50 Wissend um die Brisanz von Atommüll, vor allem in Ländern wie Deutschland und Frankreich, mobilisierte Greenpeace Reste von Atommüll und ließ Kletterer damit die Fahnenmasten vor dem EP 63 Lobbying durch zivilgesellschaftliche Akteure ist also nur in der Balance zwischen „aktiver Planung und aktiven Reagieren“ (Interview 1) möglich. Lobbying erscheint in diesem Licht also nicht nur als ein durchexerzieren von Strategien sondern auch als ein (Glücks-) Spiel, in dem Kreativität und Spontaneität in Kombination mit Insiderwissen über die Funktionsweise und Grenzen des jeweiligen Spielraumes genauso wichtig sind, wie stabile Kooperationsmuster und Netzwerke. 6.2.2. ‚Love your Enemy’ vs. dichotome Feindbilder: Die sekundäre Rolle öffentlicher Kampagnen: Zuerst wird immer geredet. „In the entrepreneurial and evolving climate of Euro-governance, securing policy goals is more important to EU actors than adhering to established patterns of alliance“ (Mahoney 2007: 232). Vom Mythos der moralischen Prinzipien Die dichotomische Einteilung in gut und böse, in zwei Seiten ist vor allem bei öffentlichkeitsfixierten Kampagnen wichtig. Dort muss ein klares Ziel und ein klares Feindbild kreiert werden (siehe Framing), um letztendlich effektiv zu arbeiten. Es wird jedoch, und das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache, oft übersehen, das ein Gutteil an Ressourcen der ENGOs in internes, ‚Behind the Scenes’ Lobbying gesteckt wird. Dort ist die Aufteilung in Gut und Schlecht, in Freund und Feind weitaus weniger eng. Ziel ist meist, wie oben schon, vor allem bezüglich der Kommission erwähnt, eine Win-Win Situation (Interview 1). Der allgemein hin verbreitete Mythos rund um das rein moralisch motivierte Handeln der ENGOs ist also zumindest innerhalb der ‚Brussles Bubble’ überholt. Wie auch aus dem Zitat hervorgeht, sind Kooperationen (mit wirtschaftlichen Akteuren) themenabhängig und somit flexibel: GegnerIn und PartnerIn werden immer wieder neu definiert (Interview 1). Die Green 10, beziehungsweise die jeweiligen VertreterInnen ihrer Mitglieder stehen im legislativen Prozess der EU zwangsläufig in Zusammenarbeit mit der ‚Gegenseite’. Eines von vielen (mehr oder weniger erfolgreichen) Beispielen dafür ist das European Renewable Energy Council (EREC). Das strategische Handeln ist nicht nur an einem ‚moral der Atomkraft-Produzierenden Länder innerhalb der EU hinaufklettern. Da diese Kletterer nicht so einfach entfernbar waren, beziehungsweise zu deren Entfernung eine Kooperation der Sicherheitsbeamten mit den AktivistInnen die klügste Entscheidung aus Brüsseler Perspektive war, haben sie ausreichend Zeit gewonnen und Aufmerksamkeit erregt, um Statements von 12 EP Mitgliedern vor den großen Medien Brüssels zu bekommen. 64 Highground’, beziehungsweise dem Vertreten der Interessen der Basis interessiert, sondern dreht sich um die permanente Suche und die Anwendung der „Mechanisms of Change“ (Interview 2). Oft liegt auch gerade in dieser Zusammenarbeit mit grundsätzlich in Opposition stehenden ein Window of Opportunity. So gibt es zum Beispiel innerhalb der Marguerite Gruppe, des größten koordinierten Gegenspielers der Green 10 aus dem Unternehmensbereich, immer wieder Unternehmen wie zum Beispiel IKEA, die bereit und offen für eine klimafreundlichere Politik sind. Durch Kooperationen mit solchen Firmen können ENGOs wie Greenpeace zu einer Schwächung der Marguerite Gruppe beitragen und schlagen so zwei Fliegen mit einer Klappe. Öffentlichkeitsarbeit als Mittel zum Zweck Internes Lobbying hat also, in Bezug auf unseren Gegenstand, meistens die Priorität. Oder, wie Uhrig betont: „Wir reden immer zuerst“ (Interview 2). Das Oben erwähnte Beispiel rund um die Atomabfalldirektive versinnbildlicht diese Hierarchie. Obwohl dies sicher nicht eins zu eins auf andere Lobbyingbereiche ausweitbar ist, dienen öffentlichkeits-lastige Kampagnen im Bereich des EU-Energielobbyings hauptsächlich dazu, die richtigen Personen in den richtigen Positionen zu den notwendigen Aussagen zu zwingen, um intern Druck aufbauen zu können. Öffentliche Kampagnen wie Protestaktionen, Märsche vor dem Parlament sind somit Teil einer größeren Kampagne (Interview 1) und nicht dem internen Lobbying entgegengesetzt. Um es am Schluss noch einmal hervorzuheben: die hier getroffene Unterteilung und interne Kooperation und externe Gegenüberstellung ist in Wirklichkeit teilweise durchbrochen. So zum Beispiel, wenn Unternehmen von Greenpeace zertifiziert werden51 . Genauso gibt es auch intern permanent Geltungskämpfe, aus denen meist die ENGOs als Verlierer aussteigen (siehe ENEF in Interview 1). 6.2.3. Funktion als dritte Partei und integrierter Akteur gleichzeitig Der dritte Gegensatz umfasst die zum Teil widersprüchlichen Posten als „Watchdog“ (Interview 2), dessen Aufgabe es ist, andere Lobbying Akteure sowie vor allem die Implementierung der Richtlinien und Verordnungen auf nationaler Ebene zu überwachen, und jenen der am Diskurs teilnehmenden und ihn gestaltenden ‚Insider’. Hier soll der Fokus 51 Trotzdem gibt es dann ‚gute’ und ‚schlechte’ Firmen. 65 vor allem auf zweiterem, für den legislativen Prozess wichtigeren Posten liegen. Denn, so formuliert es Warleigh: „Once inside, the NGOs were often extremely influential“ (2000: 235). Dieses Insider-Tum basiert vor allem auf drei Strategien: Dem spezifischen ‚Umwerben’ von Entscheidungsträgern, hier ‚People Targeting’, dem Bereitstellen von Informationen, dem oben schon viel Aufmerksamkeit gegeben wurde und dem Aufbau von Insiderwissen. People Targeting Unter People Targeting ist also der bewusste und themenspezifische Zugang zu und auf Einzelpersonen zu verstehen, der in beiden Interviews als enorm wichtig dargestellt wurde. Möglichst viel und möglichst intensiver Face to Face Kontakt auf der EU-Ebene ist eine der wichtigsten Strategien, um die Ressourcenungleichheit zwischen ENGOs und anderen Interessensvertretungen zu adressieren. Im Fall von FOEE (wie auch wahrscheinlich Greenpeace) ist der Aufbau spezifischer, beinahe freundschaftlicher Verbindungen wesentlich wichtiger als das koordinierte Auftreten als Green 10 (Interview 2). Erfolgreiches People Targeting ermöglicht den ENGOs zum Beispiel, von Anfang an Proposals der Kommission zu beeinflussen, also zeitlich früh in den legislativen Prozess einzusteigen. Hier ist es wichtig, analytisch eine Unterscheidung zwischen dem Posten des/der EntscheidungsträgerIn und der den Posten bekleidenden Person zu treffen. Denn ein großes Problem des Zuganges in die ‚Brussels Bubble’ durch Individuen ist, dass diese meist nach vier bis fünf Jahren den Posten wechseln und dementsprechend viel Aufwand und Zeit in den immer wieder neuen Aufbau von Netzwerken gesteckt werden muss, was nicht immer leicht und sehr oft frustrierend ist (Interview 1). Außerdem, betont unter anderem auch Warleigh (2000), sind die VertreterInnen der NGOs an einem Punkt des Prozesses letztlich wieder genau das und eben keine Kollegen. Das heißt, ab einem gewissen Moment im legislativen Prozess müssen die UmweltlobbyistInnen darauf vertrauen, dass ihr Alliierter, ihre Alliierte in den jeweiligen Gremien, Ausschüssen oder Arbeitsgruppen in ihrem Sinne hinter verschlossenen Türen verhandeln. Das bringt uns auch zu unserem nächsten Punkt: Bereitstellung von Informationen Die Funktion von ENGOs als Bereitsteller von Informationen im EU-Lobbying wurde oben bereits ausführlich erläutert (v.a. Chalmers 2013). Die Forschung von Klüver et al. (2015) zeigt auch, dass das DG Energy, aus dessen Feder der 2030 Framework entsprungen ist, 66 neben ökonomischen Überlegungen, besonders zugänglich für Technisch-Rechtliche Fragen ist. Aus den Interviews geht diesbezüglich, bei beiden unabhängig hervor, dass sie ihre Rolle vor allem als Bereitsteller einer ‚wahren’ Perspektive im Gegensatz zu der von der Industrie präsentierten Seite sehen. Diese Rolle korreliert zum Teil mit jener des Watchdogs. Gleichzeitig sehen sie die Bereitstellung von Information ist effektiver als ‚Ins-GewissenReden’ (Auch bei Warleigh 2000: 239). Information als Ware Doch das alleinige Bereitstellen von Informationen ist hier nicht genug. Ebenso wichtig wie die Anwendbarkeit des Wissens ist die Reputation des Vertreters, der Vertreterin der ENGOs, sowie das Aufbauen eines guten Rufes durch Face to Face Kontakt. Tut sich dann ein Window of Opportunity auf, werden die VertreterInnen der ENGOs als BeraterInnen herangezogen (v.A. Interview 2). Drittens ist das Aufbauen von Insiderwissen eben durch die zuvor etablierten engen Kontakte mit AkeurInnen innerhalb der EU essenziell. Zurückkommend auf die Greenpeace Kampagne zur Atomabfallverordnung lässt sich sagen, dass diese nur erfolgreich war, weil die VertreterInnen über ein Insiderwissen über die Funktionsweise und Möglichkeiten der Instrumentalisierung der Medien in Brüssel, sowie dem Verhalten der Sicherheitsbehörden vor Ort etc. verfügten, dass ihnen ermöglichte, die Regeln genau so weit zu biegen, um die nötige Aufmerksamkeit auf das Europäische Parlament zu lenken und somit die Kommission zu beeinflussen. 6.2.4. Abhängigkeit vs. Proaktives Handeln Aktive Mitarbeit für ENGOs ist wichtig, aber schwer (Interview 1). Wie in den bisherigen Ausführungen unschwer erkennbar, ist eine eklatante Ressourcen- und Zutrittsungleichheit das Hauptproblem im EU-Lobbying der Green 10, beziehungsweise der einzelnen Organisationen. Neben dem Mangel an Ressourcen spielt auch der Mangel an Einblick, also ein Mangel an Informationen oft eine wesentliche Rolle. In den Worten von Haverkamp: „Wir wissen nicht, was da vorgeht“ (Interview 1). Zusätzlich kommen rechtliche Unterschiede: So können Allgemeininteressen nicht innerhalb der EU eingeklagt werden, potenzielle wirtschaftliche Verluste hingegen schon (Riss 2007). 67 Andererseits agieren Organisationen wie Greenpeace auch als Facilitator, bauen Verbindungen zwischen Unternehmen und Stakeholdern auf. Ein weiterer Punkt, in dem ENGOs als aktive Gestalter auftreten, ist hinsichtlich des Erstellens von Frames: Framing Framing stellt vor allem für ressourcenschwache Interessensgruppen eine wichtige Ressource dar (Klüver et. al. 2015). Es ermöglicht also allen voran NGOs mit einer straken Visibility wie Greenpeace, die Möglichkeit, die politische Debatte in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nach Klüver et al. (2015) wird Framing im Bereich der EU-Energiepolitik von zwei sich nicht unbedingt ausschließenden Logiken maßgeblich geleitet – Einerseits der „logic of membership“, also dem Handeln in Kohärenz min den Gruppen/Personen, die sie vertreten und andererseits der „logic of influence“ (484), die ein Framing ausgerichtet an der zu beeinflussenden Ebene, der jeweiligen Entscheidungsträger annimmt. Das Potenzial des Framings liegt darin, dass es beeinflusst, welche Möglichkeiten, welche Instrumente den handelnden AkteuerInnen zur Verfügung stehen (ibid). Es macht daher einen essenziellen Unterschied, ob ein erneuerbare-Energien-Ziel mit Arbeitsplatzsicherheit oder dem ZweiGrad-Ziel verknüpft wird. Dabei gehen sie von der Annahme aus, dass Interessensgruppen in ihrer Art und Weise des Framings abhängig von ihrer Basis sind, also das Gemeinwohl thematisieren, um Mitglieder (oder besser, deren Ressourcen) zu generieren. Wenn die Annahme, dass Akteure wie die Green 10 sich Gemeinwohl-Frames zunutze machen, wie dies zum Beispiel Greenpeace hinsichtlich dem 2° Ziel tut, zwar nicht qualitativ falsch ist, ist sie zumindest sehr verkürzt. Denn sie unterstreicht die Annahme, dass die Mitglieder der Green10 statische, an ihre Basis gefesselte Akteure sind, die weder die Ressourcen noch das ‚Know-How’ besitzen, aktiv zu handeln. Die Kampagne rund um das britische Atomkraftwerk Hinkley Point beweist das Gegenteil. Während Großbritannien die Subventionierung des Baus aus Gründen der Versorgungssicherheit rechtfertig, versuchen es zivilgesellschaftliche AkteurInnen rund um den Österreichischen Staat, es als Eingriff in den freien Markt zu framen52 (Interview1, 2). Durch dieses Framing wurde folglich auch der Reaktionsmechanismus festgelegt, nämlich das Wettbewerbsrecht unter den Lissabon Verträgen. Ob die Klage erfolgreich ist, bleibt abzusehen. Aber allein die Tatsache, dass es unter anderem zivilgesellschaftliche AkteurInnen gelungen ist, den Österreichischen Staat zu diesem doch sehr gefährlichem Schritt zu bewegen, widerlegt Klüver et. al. (2015) und sie 52 Hier sei angemerkt, dass sich Organisationen wie Greenpeace etc. selten auf den freien Markt als Rechtfertigungsgrundlage beziehen. Das zeigt einmal mehr, dass Themenspezifität über grundsätzlichen Moralvorstellungen steht. 68 schafft Investitionsunsicherheiten, da es bei das Projekt mitfinanzierenden Länder wie China Angst vor einem zweiten Zwentendorf und somit eklatanten ökonomischen Verlusten schürt (Interview 2). 7. Schlussfolgerungen Die Green 10, beziehungsweise ihre Mitgliedsorganisationen agieren im Lobbying des legislativen Prozesses im EU-Umweltsektor ähnlich einer Flüssigkeit, die versucht, sich, wo es möglich ist, auszubreiten und einzudringen. Oft sind es nur kleine Windows of Opportunity, die sich spontan auftun, aber wenn die Green 10 schnell und passend (re-) agieren, schaffen sie sich innerhalb dieser Möglichkeitsräume oft mehr Platz für Einfluss, als es auf den ersten Moment für möglich erscheint. Die oben erwähnte Atomabfalldirektive ist ein gutes Beispiel dafür. Außerdem ist es an der Zeit, das weit verbreitete aber längst anachronistische Bild von ENGOs im wahrsten Sinne über Bord zu werfen. Greenpeace als Vermittler und „Coalition builder“ (Warleigh 2000: 236) zwischen Top Vertretern von Virgin und Ikea in Davos (Interview 1) dienen als Paradebeispiel dafür. Zusätzlich ist das Einordnen der ENGOs in ein Denken in Feindbildern passé: Auch die Green 10 streben, die Vorzüge von situationsspezifischem Pragmatismus erkennend, nach „Win-Win“ Situationen. Schlussendlich ist es wichtig, dass Strategie keine (primäre) Reaktion auf die eigene Organisationsform ist, sondern vielmehr vom Thema abhängt. Um noch einmal das Beispiel der Atomabfalldirektive heranzuziehen: Zuallererst geht es darum festzustellen, wo man sein Ziel als am bestmöglichsten untergebracht sieht, erst dann wird daraus die bestmöglichste Strategie gewählt. Strategische Planung ist essenziell, aber themenbezogen. Zum Beispiel wurde durch Framing erst ein Rahmen gesetzt, innerhalb dessen eine Kampagne um Hinkley Point möglich wurde. Allein schon die durch die Klage geschaffene Investitionsunsicherheit bringt das Projekt ins Wanken (Interview 2). Strategisch koordiniertes Arbeiten in Dachverbänden wie den Green 10 macht zirka 30 Prozent der Arbeit aus. Der Großteil passiert in flexibleren Konstellationen. Wenn etwas in Brüssel von Regelmäßigkeit geprägt ist, dann sind es die sich stetig ändernden Empfänglichkeiten der jeweiligen Institutionen und Individuen für die diversen Strategien und Methoden der ENGOs. Egal, ob es sich um den oben genannten Umbau der Kommission unter Junckers, der ihre Zugänglichkeit für zivilgesellschaftliche Ideen enorm erschwert hat, 69 handelt oder um eine erhöhte Offenheit der Industrie, die neue Wege der Kooperation beschreiten möchte (Interview 1), die Lobbyarbeit auf europäischer Ebene befindet sich stets im Wandel. Dennoch ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Lobbyingarbeit für AktivistInnen wie Haverkamp, Uhrig und Co in erster Linie auf Gemeinwohl ausgerichtet ist. Es geht ihnen nicht darum, ein gewisses Thema nach dem anderen durchzudrücken, es geht ihnen nicht primär darum, einen Fußabdruck zu hinterlassen. Lobbyingarbeit, auf EU-Ebene, im nationalen, regionalen oder globalen Kontext, egal ob in der Form von Öffentlichkeitsarbeit oder Face to Face Meetings hinter verschlossenen Türen, hat, im Fall der Green 10, einen gemeinnützigen Sinn. EU-Energiepolitik ist nur ein kleiner Teil davon. Um es in den Worten von Jan Haverkamp zu sagen: „Wir sind nicht da um eine Industrie kaputt zu machen, wir sind da, um den Planeten zu retten. Zum Allgemeinwohl. Ich sitze nicht da, um Greenpeace zu verteidigen oder mehr Spender zu bekommen“. Dennoch, die Annahme, dass NGOs das demokratische Defizit der EU ausgleichen können (zum Beispiel Warleigh 200053 ), sollte hinterfragt werden. Sie sind wichtig und gut, aber sie sind nicht demokratisch. Interessensvertretungen jeder Form, egal ob konservativ oder liberal, ob nachhaltig inspiriert oder radikale Änderung fordernd, sind letztendlich genau das: Vertretungen bestimmter Interessen mit eigenen Zielen und (finanziellen) Abhängigkeiten. Zu behaupten, dass die VertreterInnen der Green 10 die Aufgabe haben, die Bevölkerung, wie auch immer definiert, in der für partizipative Demokratie relativ abgeriegelten Festung Europäische Union zu vertreten, vergisst genau das. Es wird vergessen, dass selbst ENGOs alles andere als partizipativ-demokratisch sind. Letzten Endes hat unsere Untersuchung der Frage wie zivilgesellschaftliche Akteure versuchen ihre Interessen, im legislativen Prozess der Europäischen Union zu vertreten zu der Erkenntnis geführt, dass das Vorgehen der Green 10, beziehungsweise ihrer Mitglieder, sehr stark themen- und situationsabhängig sind. 53 „The function of of NGOs may thus more properly be to provide EU actors with expert help rather than enhance EU democracy.“ (Warleigh 2000: 230) 70 Zwar ist das Vorgehen von ENGOs in der Literatur auf diverse Arten beschrieben und untersucht worden, aber keines der bisherigen Konzepte und Modelle ist der Flexibilität, Reaktivität und Diversität der Interessenvertretung von ENGOs angemessen. Das Vorgehen zivilgesellschaftlicher Akteure ist von einer Vielzahl an Einflussfaktoren gekennzeichnet die sowohl das konkrete Handeln von LobbyistInnen bei der Interessensvertretung gegenüber bestimmten EU-Institutionen, als auch die Erfolgsaussichten einzelner Initiativen, beeinflussen. Als institutionelle Einflussfaktoren konnten wir im Rahmen unserer Arbeit den Führungsstil des Kommissionpräsidenten, die Offenheit von MEPs für bestimmte Interessen, das Verhältnis der Permanenten Vertretungen zu den Ministerien der Mitgliedstaaten, die Größe der Mitgliedstaaten, sowie die Rolle des Parlaments im Rechtsetzungsverfahren identifizieren. Als Einflussfaktoren auf die Erfolgsaussichten der Interessensvertretung gelang es uns vor allem die Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung eines bestimmten Themas herauszuarbeiten. Gerade dieser, letzte Aspekt wird in der gegenwärtigen Literatur, die wir zur Grundlage unserer Arbeit gemacht haben, nicht genug berücksichtigt. Folgenreich ist diese Missachtung vor allem, weil sich, ohne Einbeziehung der öffentlichen Meinung über ein bestimmtes Thema, weder die Positionierung einzelner Institutionen zu diesen Themen, noch die Handlungen zivilgesellschaftlicher Akteure begreifen oder erklären lassen. Abgesehen von der Erkenntnis, dass die öffentliche Meinung als Einflussfaktor in der bisherigen Forschung unterbeleuchtet ist, konnten wir auch feststellen, dass ENGOs ihre Taktik den Institutionellen und situativen Gegebenheiten anpassen, um eine Maximierung ihrer Erfolgsaussichten zu erzielen. Dementsprechend sollten zukünftige Untersuchungen der Interessenvertretung zivilgesellschaftlicher Akteure zunächst identifizieren, welches Rechtsetzungsverfahren zum Tragen kommt, wie zugänglich die involvierten EU-Institutionen sind, wie es um die öffentliche Meinung zum jeweiligen Thema bestellt ist und wo sich der mechanism of change befindet. Die Frage, wie zivilgesellschaftliche Akteure ihre Interessen im Beriech der Energiepolitik vertreten, ließe sich also wie folgt beantworten. ENGOs agieren bei ihrer Interessensvertretung auf allen Ebenen des Mehr-Ebenen-Systems der EU und nutzen alle windows of opportunity, wobei diese sich häufig durch die Überwindung der Wahrnehmungsschwelle der europäischen Öffentlichkeit ergeben. 71 Interviews  Jan Haverkamp: Greenpeace European Unit (17.62015). Leitfadeninterview zur EUEnergiepolitik und Umweltlobbying. (I. Sattlegger, & M. Ahlemann, Interviewer).  Reinhard Uhrig: Friends of the Earth Europe (24.6.2015). Leitfadeninterview zur EU-Energiepolitik und Umweltlobbying (I. Sattlegger & M. Ahlemann, Interviewer). 72 Literaturverzeichnis  Auel, K. (2008): „Europäisierung nationaler Politik.“, In: „Theorien der europäischen Integration“, S. 293-318. VS Verlag für Sozialwissenschaften.  Binderkrantz, A. S., & Rasmussen, A. (2015). „Comparing the domestic and the EU lobbying context: perceived agenda-setting influence in the multi-level system of the European Union. In Journal of European Public Policy, 22(4), 552-569.  Bilgeri, A. (2001). „Das Phänomen Lobbyismus: eine Betrachtung vor dem Hintergrund einer erweiterten Strategie-Struktur-Diskussion“. BoD–Books on Demand.  Bouwen, Pieter (2002) „Corporate lobbying in the European Union: the logic of access“, in „Journal of European Public Policy“, 9:3, 365-390.  Braun, Jan Frederik:"EU Energy Policy under the Treaty of Lisbon Rules: Between a new policy and business as usual" EPIN Working Paper No. 31/February 2011. Online: CEPS (http://www.ceps.eu) and EPIN (http://www.epin.org) websites. Zuletzt zugänglich am 30.11.2015.  Buholzer, René P. (1998): „Legislatives Lobbying in der Europäischen Union. Ein Konzept für Interessengruppen“.  Buchan, David: Energy Policy: Sharp Challenges and Rising Ambitions, p. 357-379.  Chalmers Adam W. (2013) „Trading information for access: informational lobbying strategies and interest group access to the European Union“, in „Journal of European Public Policy“, 20:1, 39-58.  Charmaz, K. (2006). „Constructing grounded theory: A practical guide through qualitative analysis” (Introducing Qualitative Methods Series).  EU – lex (2015): „Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb der Europäischen Union“, zuletzt online am 30.11.2015 abgerufen unter: http://eur-lex.europa.eu/legal- content/DE/TXT/?uri=URISERV:ai0020.  EU Transparenz-Register (2015): ‚Statistiken des Transparenzregisters‘; zuletzt online am 30.11.2015 abgerufen unter: http://ec.europa.eu/transparencyregister/public/consultation/statistics.do?locale=de&ac tion=prepareView. 73  German League for Nature and Environment (DNR) EU Coordination Office (2011): "Brussels Basics – How does the EU work?" Online: German League for Nature and Environment (DNR) EU Coordination Office. Zuletzt zugänglich am 30.11.2015.  Goetz, K; Meyer-Sahling, J-H (2008): “The Europeanisation of national political systems: Parliaments and executives, Living Reviews in European Governance”.  Green 10. (15. January 2015). „Parliament support for Juncker on environment eroding over attack on green legislation“. (Press Release): zuletzt online am 30.11.2015 abgerufen unter: http://www.green10.org/publications/.  Greenwood et all. (2007) in Hix, Simon, and Bjørn Høyland(2011): “The political system of the European Union”. Palgrave Macmillan.  Heitz, Horst (2011): „Lobbyismus in der EU aus der Praxis für die Theorie“.  Hix, Simon, and Bjørn Høyland(2011): “The political system of the European Union”. Palgrave Macmillan.  Keck, M. E. / Sikkink, K. (1999): “Transnational advocacy networks in international and regional politics”. In: “International Social Science Journal”, 51: S. 89-101.  Klüver, H., Mahoney, C., & Opper, M. (2015). „Framing in context: how interest groups employ framing to lobby the European Commission“. In Journal of European Public Policy, 22(4), 481-498.  Mahoney, C. (2007). „Networking vs. allying: the decision of interest groups to join coalitions in the US and the EU“. In Journal of European Public Policy, 14(3), 366- 383.  Nørgaard, R. W., Nedergaard, P., & Blom-Hansen, J. (2014). „Lobbying in the EU Comitology System“. In Journal of European Integration, 36(5), 491-507.  Riss, Jorgo (2007): „Alle reden über Lobbyismus - wer tut was dagegen? Probleme der EU- Lobbykratie, aus der Sicht einer Umweltschutzorganisation“; S. 123-135, in: „Politikberatung und Lobbying in Brüssel“; Steffen Dagger, Michael Kambeck (Hrsg.) VS Verlag für Sozialwissenschaffen.  Schwalba, Frank (2014): “Brussels Lobbying in Practice”; in: ‚Brussels Basics – How does the EU work?’, 2010-2014, Hrsg. Deutscher Naturschutzring e.V.; S. 38-40, zuletzt online am 30.11.2015 abgerufen unter: www.eeb.org/EEB/?LinkServID=FA7A6485-CF78-6A2B-FAFA5425383915CD. 74  Skodvin, T., Gullberg, A. T., & Aakre, S. (2010). „Target-group influence and political feasibility: the case of climate policy design in Europe“. In Journal of European Public Policy, 17(6), 854-873.  Strasser, Christoph / Meerkamp, Frank (2015): „Lobbying im parlamentarischen Bereich – Politiker im Lobbyfokus“; in: ‘Lobby Work – Interessenvertretung als Politikgestaltung‘; Hrsg. Rudolf Speth / Annette Zimmer; S. 219-244.  Stubb, Alexander (2008): „Bericht über den Aufbau des Regelungsrahmens für die Tätigkeit von Interessenvertretern (Lobbyisten) bei den Organen der Europäischen Union“; zuletzt online am 30.11.2015 abgerufen unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=//EP//TEXT+REPORT+A6- 2008-0105+0+DOC+XML+V0//DE.  Take, Ingo (2015): „Anti-Landminen-Kampagne“; in: Lobby Work – Interessenvertretung als Politikgestaltung; Hrsg. Rudolf Speth / Annette Zimmer; S. 301-316.  Teune, Simon (2008): „Gibt es so etwas überhaupt noch? Forschung zu Protest und sozialen Bewegungen." In: Politische Vierteljahresschrift, 49.3.  Van Schendelen, Rinus (2003). „Brussels: The premier league of lobbying“. In: Die stille Macht, S. 300-319).  von Aleman, Ulrich (2000): „Lobbyismus heute – Neue Herausforderungen durch Globalisierung, Europäisierung und Berlinisierung“; zuletzt online am 30.11.2015 abgerufen unter: http://www.econstor.eu/handle/10419/40490.  Wallace, Helen / Pollack, Mark A. / Young Alasdair R. (Hrsg.) (2010): Policy making in the European Union. Sixth Edition. Oxford: Oxford University Press.  Wallace, Helen: An Institutional Anatomy and Five Policy Modes, p. 69-104  Warleigh, A. (2000). „The hustle: citizenship practice, NGOs and'policy coalitions' in the European Union-the cases of Auto Oil, drinking water and unit pricing“. In Journal of European Public Policy, 7(2), 229-243.  Weiler, Florian / Brändli, Matthias (2015): „Inside versus outside lobbying: How the institutional framework shapes the lobbying behavior of interest groups“, In: ‘European Journal of Political Research’, 54, S. 745-766.  Wettestad, J., Eikeland, P. O., & Nilsson, M. (2012). „EU climate and energy policy: A hesitant supranational turn?“ In Global Environmental Politics, 12(2), 67-86.