iim&vmiam-m Das Kastensystem Bei Juristen entscheidet die Note: „Vollbefriedigend" heißt Karriere, alles darunter Kampf. Das Leben eines Jura-Absolventen kann so schön sein. „Es war fast unmöglich, keinen guten Job zu finden", erinnert sich Thorsten Häberlein an die Zeit, als die letzten Prüfungen in Sicht waren. Denn nicht er bewarb sich, die internationalen Kanzleien bewarben sich bei ihm: Sie schickten ihm Einladungen zu Cocktail-Empfängen und suchten ben. Manche Kanzleien zahlen ihnen bereits im ersten Berufsjahr eine sechsstellige Summe, meidet der Branchendienst Juve. Die da unten - das sind die vielen, deren Noten nicht reichen für Staatsdienst oder Großkanzlei und die dann manchmal notgedrungen ihr Wohnzimmer zur Kanzlei machen und nebenbei Taxi fahren. Absolventenfeier*: „Ist das Boot voll?" sich gegenseitig mit Aufmerksamkeiten zu überbieten. Auf einer Bewerbermesse hofierten sie ihn Anfang dieses Jahres mit-USB-Sticks und Weltzeituhren - und einem Einstiegsgehalt von mehr als 80000 Euro plus Bonus. Häberlein schlug aus, beschied sich mit weniger Geld und wurde Staatsanwalt in seiner schwäbischen Heimat. Er konnte sich die Jobs aussuchen - für viple Kommilitonen aber ist das Leben /nach dem Abschluss alles andere als einfach. Wie in keinem anderen Fach landen die Juristen mit ihren Examina in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die einen haben alle Chancen, die anderen fast keine. Die da oben - das sind Spitzen-Absolventen, die mit Prädikatsexamina, Promotion und einem internationalen Master-Abschluss die freie Auswahl ha- *- An der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn im Juli 2005. Die aktuelle Studie von SPIEGEL und McKinsey zeigt, dass Gehälter nirgendwo unterschiedlicher sind als unter Juristen: Das obere Viertel der Befragten verdient im Schnitt 3250 Euro brutto im Monat, das untere Viertel muss mit 1250 Euro auskommen. Mehr als in jedem anderen Fach bestimmen die Noten das weitere Schicksal. Sie weisen den jungen Juristen einen Platz in einem Kastensystem zu, aus dem es kaum mehr ein Entrinnen gibt: „Vollbefriedigend" oder besser bedeutet Karriere, alles darunter Kampf. Denn die Zahl der Rechtsanwälte in Deutschland steigt und steigt. „Ist das Boot voll?", überschreibt Benno Heus-sen, Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltvereins, ein internes Arbeits-, papier. 138104 Mitglieder zählt die Bundesrechtsanwaltkammer - doppelt so viele wie vor 13 Jahren, achtmal mehr als vor 50 Jahren. Gewaltig unterscheiden sich nicht nur die Gehälter, sondern auch die Ar-beitsbedingungen: „Die einen beschäftigen sich. mit grenzüberschreitenden Milliardendeals, die anderen arbeiten in kleinen Arbeitseinheiten oder als Feld-Wald-und-Wiesen-Kanzleien", berichtet Stephan Göcken, Sprecher der Bundesrechtsanwaltkammer. „Für die einen weist der Weg nach oben, für die anderen scheint es steil bergab zu gehen.". ■ Damit es nicht weiter bergab geht, fordern Anwaltsvertreter eine Reform der Ausbildung. Bisher zwingt das System die meisten jungen Juristen geradezu, am Berufsleben vorbeizulernen: Nach durchschnittlich 9,3 Semestern . Studium und rund zwei Jahren Refe-; rendariat bescheinigt ihnen das zweite Examen die „Befähigung zum Richteramt" - obwohl schätzungsweise nicht einmal 5 Prozent eines Jahrgangs tatsächlich Richter werden, dagegen aber !-über 80 Prozent Rechtsanwalt. - Der Deutsche Anwaltverein will darum das staatliche Referendariat in seiner bisherigen Form abschaffen. Lieber wollen die Anwälte den Advokaten-■': nachwuchs selbst heranziehen. Aller- • ■dings solle nicht mehr jeder eine Ausbildung erhalten: „Nur wer einen Ausbildungsplatz in einer■ Rechtsan»'■'■ waltskanzlei findet, hať Zugang zum V Anwaltsreferendariat", fordert der Ver-:. : ein, der Ende Oktober einen entspre- í chenden Gesetzentwurf vorgelegt hat. Die Pläne stoßen auf großen Widerstand .— wie noch fast jede Änderung ', der Ausbildung seit dem 19. Jahrhun-■'■ dert. Bachelor- und Master-Abschlüsse, international längst Standard, sind ■ den meisten deutschen-Jura-Fakultäten nach wie vor fremd. Immerhin gab es nach heftigen Diskussionen vor drei Jahren eine kleine Reform des Stu- ■ diums; nun gestaltet jede Universität 30 Prozent der Examensprüfungen selbst. Dass die Juristen ihr Denken zumin-, dest teilweise ändern müssen, wenn sie ihre eigene „Marginaiisierung" stoppenwollen, meint jedenfalls Peter Huber, Vorsitzender des Deutschen Juristen-Fakultätentags. Der Professor aus München erkennt einen „schleichenden Bedeutungsverlust des, ganzen Berufsstandes". Früher hätten Juristen die Schaltstellen in Politik und Großunternehmen besetzt,- der Öffentliche Dienst sei gar „eine uneinnehmbare Festung der Juristen",gewesen. , Heute sei der Ruf ruiniert: „Die an pathologischen Fällen geschulten Juristen wirken als innovationsfeindliche Oberbedenkenträger." Markus Verbeet DER SPIEGEL 50/2006