ANNIKA MACKENSEN, 31, sucht einen Job als Meeresbiologin -womöglich bald in Australien, . denn in Deutschland sind die Stellen rar. gleichsweise magere Löhne bieten, wandern immer mehr junge Mediziner ab in andere Berufsfelder - oder in die Ferne. 6300 deutsche Krankenhausärzte arbeiten nach Angaben der Ärztegewerkschaft Marburger Bund bereits im Ausland, besonders in England, Skandinavien oder in der Schweiz. Schon leiden viele ländliche Gebiete, vor allem in Ostdeutschland, schwer am Medizinerschwund. Dagegen taugt längst nicht jedes naturwissenschaftliche Diplom zum Türöffner auf dem Arbeitsmarkt: Physiker oder Mathematiker können mit Einstiegsgehältern um die 3000 Euro monatlich rechnen und finden meist innerhalb weniger Monate eine Stelle. Biologen hingegen sind die Kellerkinder unter den Naturwissenschaftlern: Der erste Verdienst liegt durchschnittlich nur etwas über 2000 Euro im Monat, und die Jobsuche kann dauern. Denn obwohl in der Bio- und Gentechnologie allmählich neue Jobs entstehen, setzen viele Biologen noch auf die klassische Forscherkarriere an der Universität. Aus chronisch klammen Staatskassen fließen jedoch kaum üppige Gehälter, zudem sind die Stellen oft befristet. Auf dem freien Markt müssen sich die Biologen der Konkurrenz der häufig gefragteren Chemiker, Pharmazeuten und Mediziner stellen - und ziehen bei den Biotech-Firmen oft den Kürzeren. Das Berufsprofil der Biologen, urteilt die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, sei einfach „nicht sehr klar konturiert". Annika Mackensen, 31, hat im Oktober 2002 Ihr Studium der Meeresbiologie an der Universität Bremen beendet. Drei Monate danach hatte sie zwar bereits einen Arbeitsplatz bei der Umweltstiftung World Wide Fund for Nature. Allerdings war die Stelle auf ein Jahr befristet - und seither ist sie ohne Job. Die Biologin hat an die hundert Bewerbungen geschrieben - ohne Erfolg. „Natur- I lieh bin ich enttäuscht und frustriert", sagt Mackensen, „denn ich dachte, ich hätte gute Voraussetzungen." Die Jungwissen-schaftlerin spricht drei Fremdsprachen, war während des Studiums auf Sri Lanka und in Jordanien, hat Praktika in Meeresforschungsstationen gemacht, ihre Abschlussarbeit in Englisch verfasst. Trotzdem lebt sie jetzt von Hartz IV. Vielleicht wird sie demnächst nach Australien auswandern, dort gibt es mehr Projekte in der Meeresforschung. Aber sich von Deutschland aus zu bewerben ist schwer. Annika Mackensen weiß nicht, wie es weitergehen soll. Muss nun also, wer sich immer schon zum Meeresforscher oder Mediävisten berufen fühlte, zum Maschinenbau konvertieren, um später ganz sicher eine feste Stelle zu bekommen? „Niemand sollte gegen seine Neigung anstudieren", winkt Praktika pro Studiengang im Durchschnitt ÜB Medienwissenschaften Wirtschaftsingenieurwesen Politikwissenschaft Betriebswirtschaftslehre [Universität; _\ ■'■ 3,2 I Fachhochschule 2,5 I 2,9 j 2,9 Architektur, Innenarchitektur Geschichte Germanistik Psychologie Wirtschaftswissenschaften Maschinenbau/ Verfahrenstechnik Volkswirtschaftslehre Erziehungswissenschaft Medizin Anglistik/Amerikanistik 2,5 2,1 HIS-Mann Heine ab: Seine Studentenbefragungen haben ergeben, dass diejenigen, die sich bei ihrer Fachwahl zu sehr von äußeren Motiven leiten ließen, ihr Studium häufiger abbrachen als jene, die aus reiner Neigung wählten. „Wer seine Fähigkeiten in Germanistik sieht, für den ist Elektrotechnik vergebliche Liebesmüh", sagt Heine. Eher sollten die angehenden Literaturwissenschaftler ihr Fach mit Spezialwissen aus anderen Disziplinen kombinieren, um vielseitiger einsetzbar zu sein. „Mit Kenntnissen in Informatik oder Jura finden Geisteswissenschaftler schneller einen Job", so Heine. Wie Heine rat auch der Wuppertaler Studentenforscher Markus Schölting von rein wirtschaftlich orientierten Studienentscheidungen ab. Der Soziologe geht sogar noch weiter: Nicht Arbeitsmarkt, Berufsberatung oder kurzfristige Interessen bestimmen das Studienfach -vielmehr, so Schöiling, münden Herkunft und familiärer Lebensstil fast automatisch in eine bestimmte Studienentscheidung. „Die Fachwahl ist nicht von der Herkunft zu entkoppeln und daher auch kaum steuerbar", sagt Schöiling. Für seine Doktorarbeit hat der Forscher tausend Studenten aus zwölf Fächern nach Elternhaus und persönlichem Lebensstil - vom Lieblingsessen bis zum letzten Urlaubsziel - befragt und eine „Fach-Typologie" erstellt. „Jedes Studienfach ist ein Sammelbecken für einen bestimmten Menschenschlag", behauptet Schöiling. „Es gibt einen Fachhabitus, der von einer Generation in die nächste geschleppt wird." Wer etwa aus einer Arzt- oder Juristenfamilie stammt, beginnt laut Schöiling seltener ein so-zialwissenschaftliches Studium -und wird auch nicht Ingenieur. „Prestigeträchtige Fächer wie Jura oder Medizin werden gewählt, weil die Abiturienten an 2,4 "2,7 2.7 2,2 I .."2,1 1,9 2,2 den Habitus gewöhnt sind", hat Sozialwissenschaften/Soziologie KU2,2 Schöiling beobachtet. Wer me- dizinische Fachbegriffe vom elterlichen Abendbrottisch kenne, habe es im Studium leichter. „Bei wem das Fachwissen nicht auf vorbereiteten Boden fällt, der hat immer einen schlechte- 22...... ren Start." '............................ Umgekehrt ist Ingenieur ein };} typischer Aufsteigerberuf, die Studenten stammen häufiger aus nichtakademischen Elternhäusern als angehende Ärzte, Anwälte oder Geisteswissenschaftler, und oft entscheiden sich die künftigen Ingenieure Rechtswissenschaft Elektrotechnik Wirtschaftsinformatik Biologie Mathematik informatik Chemie Physik/Astronomie 1,1 1,7 1,0 SPIEGEL 5 0/2006 T-- v