Anfange der deutschen Kinder- und Jugendliteratur (1450-1750) Die Anfänge der deutschen Kinder- und Jugendliteratur lassen sich zeitlich nicht exakt bestimmen, doch reichen ihre Spuren zurück bis ins Mittelalter. Die ersten Bücher, die man Heranwachsenden in die Hand gab, waren Lehrbücher zur lateinischen Grammatik, Rhetorik und Dialektik, also zu den Fächern, die seit der Antike ganz am Beginn des wissenschaftlichen Unterrichts standen. Die sog. Artesliteratur bezeichnet die in den Schulen und Universitäten des Mittelalters verwendete Fachliteratur. Wesentlichen Anteil daran hatten Werke zu den Artes liberales, den sieben freien Künsten, die in der Antike entstanden und im Bildungswesen des Mittelalters Gegenstand der Grund- und Allgemeinbildung waren. Dazu gehörten das sprachliche Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und das mathematische Quadrivium (Geometrie, Arithmetik, Astronomie. Musiktheorie). Eine Ausbildung in diesen Fächern war Voraussetzung für das Studium der Theologie und später auch für das Studium der Medizin und Jurisprudenz. Der Lateinunterricht bestand im Streben nach Gottes- und Selbsterkenntnis. Hier wurden auch Werke zur Vermittlung von Pflichten, Tugend- und Anstandsregeln verwendet, die Heranwachsenden Orientierungshilfen für die Lebensführung bieten sollten. Das verbreitete Sittenbuch des Mittelalters für Schüler war die Spruchsammlung „Disticha Catonis'1, bekannt als „Der Pato". Sie wurde bereits im 3. oder 4. Jh. verfasst und kam 1487 zum ersten Mal in deutscher Übersetzung heraus. Das als Lehrgespräch zwischen Vater und Sohn gestaltete Buch forderte zu klugem und gelassenem Handeln im Alltag auf. Artes-, Virtus- (Ethik) und ritterlich-höfische Standesliteratur markieren die Anfange der KJL, aus denen sich nach dem Entstehen des Buchdrucks ab 1450 ein verzweigtes Gattungsspektrum herausbildete. Die Zuweisung zur KJL erfolgte aufgrund einer besonderen Erwähnung dieser Zielgruppen, z. B. im Buchtitel, in der Vorrede oder der Zueignung. Da Kindheit und Jugend bis zum 18. Jh. nicht als eigenwertige Lebensphasen, sondern allein als Vorbereitungsphase auf das Erwachsensein verstanden wurden, nahmen auch Werke für K und J in der Anfangsphase nicht auf altersgemäße Interessen, Bedürfnisse oder Fälligkeiten Rücksicht, sondern entwarfen Modelle fur zukünftige Rollen in Familie und Gesellschaft. Literatur für junge Leser diente stets der Belehrung. Die mögliche Leserschaft war auf einen privilegierten Kreis von Söhnen und Töchtern aus Familien des gehobenen Stadtbürgertums und des Adels begrenzt. Das Lehrbuch „Psalterium puerorum" (vor 1486) von Erhard Ratdolt in Venedig. Es gilt als erstes Lesebuch für Lateinschulen. Auf der ersten Seite sind ABC und Paternoster abgedruckt, es folgen weitere Gebete, Psalmen und Merkverse zu den Zehn Geboten. Tugend- und Anstandsliteratur seit dem Humanismus Einen ersten Aufschwung erlebte die KJL während des Humanismus. Von Italien aus hatte sich die Bildungsbewegung, die sich an der Philosophie und dem Menschenbild der klassischen Antike orientierte, bis zum 16. Jh. in ganz Westeuropa verbreitet. Die Humanisten überwanden das heilgeschichtliche christliche Denken des Mittelalters und stellten den Menschen in den Mittelpunkt ihres Denkens. Der Humanismus war auch eine pädagogische Reformbewegung. Erziehung sollte nicht mehr länger primär religiös definiert werden, sondern hatte das vernünftig handelnde Individuum im Blick. 1 Der wichtigste Vertreter des humanistischen Bildungsideals war der niederländische Gelehrte Erasmus von Rotterdam (1466-1536). In seinem Werk wies er auf die große Bedeutung der literarischen Originalquellen der Antike für die Weiterentwicklung der abendländischen Kultur hinauf. Er kritisierte erstarrte Dogmen der Kirche und bereitete Reformation vor. Er trat gegen jede Form des Aberglaubens ein. Erasmus' pädagogisches Programm gründete in der Auffassung von der natürlichen Neigung des Menschen zu moralischer Würde und Tugend. Mit seinem Werk „De civifäte morum puerilium" („Züchtiger Sitten zierlichen c/ku t Wandels und höfflicher Geberden der Jugent"; lat. 1530, dt. 1531) verfasste Erasmus die erste innovative An Standsschrift des Humanismus. Sie wurde häufig als Lesebuch im Lateinunterricht verwendet. Inhalt: in 7 Kapiteln werden Anweisungen zum korrekten Benehmen in allen Lebenslagen gegeben (die äußere Erscheinung, die Kleidimg, das Verhalten in der Kirche, bei Tisch, gegenüber anderen, bei Spiel und Geselligkeit sowie im Schlafzimmer. Ein anderer Autor der Zeit, Friedrich Dedekind (um 1525 - 1598) legte mit seinem Werk „Grobianus" (lat. 1549, dt. 1551) das Gegenstück zu Erasmus1 Anstandslehre vor. Er formulierte eine Anstandslehre in satirischer Form, die jede Benimmregel in ihr Gegenteil verkehrte. Sein Werk stand in der Tradition antiker Ethikvorstellungen (Aristoteles, Plato, Ciceron), nutzte auch mittelalterlich Vorbilder und die sog. Narrenliteratur (Eulenspiegel 1515). Der Begriff Satire bezeichnet literarische Texte, die sich in kritischer, mahnender, polemischer oder spöttischer Weise mit moralischen Verfehlungen oder gesellschaftlichen Missständen auseinandersetzen, in der Hoffnung, dadurch eine Besserung zu erreichen. Inhalt des „Grobianus": Es wird der Tagesablauf des unmanierlichen Grobianus begleitet, der nur seinen eigenen Nutzen im Sinn hat, vom mittäglichen Aufstehen bis zum Hinauswurf der Gäste nach dem Abendessen. Im Mittelpunkt steht das Benehmen bei Tisch: Empfohlen wird unter anderem sich zuerst die besten Stücke aus den Schüsseln zu nehmen, die Zähne zwischendurch mit dem Messer zu reinigen und solange zu essen, bis man sich zum Platzen vollgestopft hat. Ein weiteres negatives Beispiel aus der KJL ist der Struwwelpeter (1845). Ab 1650 spielt eine wichtige Rolle die Phase der ^galanten" Erziehung. \ Als Galantes Zeitalter wird in der Literaturgeschichte die Übergangsphase vom Barock zur Aufklärung (ca. 1680-1730) bezeichnet. Angestrebt wurde eine Verknüpfung der höfischen Ideale des Adels mit den Interessen des aufstrebenden Bürgertums und der Beamten des absolutistischen Staates. Den Erfolg hatte nur derjenige, wer über vollendete Höflichkeit und gewandte Umgangsformen verfügte, und zudem das Komplimentieren und die Konversation perfekt beherrschte. Das nötige Wissen vermittelten Galanterie-, Komplimentier- und jKonversationsbücher. Produktiv war in diesem Gerne der Zittau er Gymnasialrektor Christian Felix Weise (1642- 1708). Er schrieb Werke für junge Adlige und Bürgerliche, die auf die Praxis bezogen waren. Er wollte seine jungen Leser auf die Berufs- und Lebensbedingungen im Dienst des absolutistischen Staates oder der städtischen Kaufmannschaft vorbereiten. Weises bekanntestes Werk für junge Leser war das Rhetoriklehrbuch „Der politische Redner' (1677). Für die richtige Handhabung der Komplimente gibt Christian Weise in seinem Werk „Der politische Redner" folgende Hinweise: „ 1. Höre lieber einen andern als sich selbst. 2. Rede von Sachen, die der andere lieber hört als du. 2 3. Rede mehr von Sachen, welche dem andern zum Ruhme gereichen als dir selbst" Die besondere Leistung von Christian Felix Weise ist darin zu sehen, dass er Elemente der antiken Rhetorik auf die deutsche Sprache übertrug. . ., - r, Zur Gattung der Standesliteratur gehören dieTürstenspiegel/ln solchen Werken werden das Verhalten sowie die Aufgaben und Pflichten eines Herrschers thematisiert. „Spiegel" (lat. speculum) ist ein im Mittelalter gebräuchliche Bezeichnung fur didaktische Literatur. Als berühmtestes Werk dieses Genres für Heranwachsende gelten „Die Abenteuer des Teiemach" (1699, dt. 1700) des französischen Pfarrers und Hofmanns Francois de Salignac /fado* de la Mothe Fénelon (1651-1712). den Ludwig der XIV. zum Erzjehjj, seines Enkels und Thronfolgers ernannte. Fénelon wollte auf unterhaltsame Weise belehren und wählte deshalb Motive des Abenteuerromans, wie spektakuläre Reisen, Schiffbrüchige und Liebesromanzen als Rahmen für seinen Unterricht. Abenteuerroman ist eine Gattungsbezeichnung für Romane, in denen ungewöhnliche, vom alltäglichen Leben deutlich unterschiedliche Ereignisse geschildert werden. Stets werden Ordnung und Sicherheit zugunsten fremder und möglicherweise gefährlicher Erfahrungsräume aufgegeben. Fast immer ist der Abenteuerroman mit einer Reise verbunden. Inhaltlich bezog sich Fénelon auf Homers „Odyssee". Teiemach begibt sich in Begleitung der Göttin Athene, die die Gestalt des Mentors angenommen hat. auf die Suche nach seinem Vater Odysseus. Die Schilderung der aufregenden Reiseerlebnisse wird durch Gespräche und Prüfungen ergänzt, die den Grundsatz veranschaulichen sollen, dass tugendhaftes Handeln immer belohnt wird. Mit seiner indirekten Kritik an der Regierung des „Sonnenkönigs" zog Fénelon sich dessen Zorn und wurde nach Cambrai verbannt. Der „Teiemach" wurde zu einem Hauptwerk der frühen JL. Tugendschriften für die weibliche Jugend Bereits in der Frühzeit der KJL gab es zalilreiche Werke, die an Mädchen oder junge Frauen wandten. Geschlechtsspezifische Unterschiede kennzeichneten insbesondere die Tugend- und Zuchtliteratur. Gewarnt wurde vor Schwächen, die als typisch weiblich galten: Prunksucht, Geschwätzigkeit, Eitelkeit und Faulheit. Es ging darum zur Keuschheit zu erziehen und auf die Aufgaben der Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Im Zentrum zeitgenössischer Mädchenbildung standen die Vermittlung elementarer Kenntnisse im Beten, Schreiben und Singen sowie Unterweisungen in praktischer Haushaltsführung. Der Zugang zu gelehrtem Wissen blieb jungen Mädchen in der Regel verwehrt. Als Mädchenlektüre wurde die sog. Exempelliteratur verwendet. EL ist eine Gattung der belehrenden Literatur, bei der die moralische Lehre durch eine Beispiel-Erzählung - eine fiktionale Geschichte, eine Fabel oder ein Gleichnis - veranschaulicht wird. Als das 1. ausschließlich für Mädchen geschriebene Werk gilt ,J)er Ritter von 7wr«"(um 1371, dt. 1493) von Geoffroy Chevalier de Latour-Landry. Die Exempelsammlung für junge Adlige wollte über Sitte, Anstand und Betragen belehren, erhielt aber auch unterhaltende Elemente. Das 1493 von Marquart vom Stein ins Deutsche übersetzte Werk hat die Form eines väterlichen Vermächtnisses an die Töchter. Tadelnswerte Eigenschaften wie Hochmut, Neid und Habsucht werden mit Tugenden wie Keuschheit. Schamhaftigkeit und Bescheidenheit verglichen. / l Werke zur Rhetorikerziehung 3 Im Mittelpunkt humanistischer Pädagogik stand eine methodische Revision des Lateinunterrichts. In der Konversation sah man das beste Mittel zum Erlernen der klassischen Sprachen. Deshalb wurde im Humanismus die Rhetorik zur Leitdisziplin der Gelehrsamkeit. Mit Hilfe dialogischer Gattungen wie Schauspiel und Schülergespräch sollten junge Menschen auf spielerische Weise ihre Sprachkenntnisse perfektionieren. Die umfangreichste und populärste der zahlreichen Dialogsammlungen waren „Vertraute Gespräche" (1518-1533) des Erasmus von Rotterdam. Es finden sich z. B. Gespräche über Glaubens- und Kirchenfragen, die Gräuel des Krieges, die Lebensführung des Adels, die Stellung der Frau und vieles andere mehr. Wichtige Daten der Zeit 1455 Mit Gutenbergs Bibeldruck beginnt das Zeitalter des Buchdrucks. 1492 Kolumbus entdeckt Amerika. 1517 Thesenanschlag zu Wittenberg: Martin Luther kritisiert öffentlich den Ablasshandel. 1519 Regierungsantritt von Kaiser Karl dem V. (bis 1556) 1522 Der erste Teil der deutschen Bibelübersetzung Luthers erscheint. 1524 Beginn des Bauernkrieges Den quantitativ größten Anteil an der frühen KJL seit dem 16. Jh. hatten religiöse Lehr- und Erbauungs Schriften, insbesondere Kinder- und Bilderbibeln, Sammlungen biblischer Geschichten, Katechismen, Lieder- und Gebetbücher. Christliche Autoren begannen altersgemäße und der Frömmigkeit dienliche Werke zu verfassen. Dieser Intention folgte der unbekannte Autor des „Seelentrostes" (1474), das als erstes spezifisches Jugendbuch bezeichnet wird. In der Form des Vater-Sohn-Gesprächs werden Exempel zu den zehn Geboten aufgeführt, ergänzt um Gebete, religiöse Betrachtungen und Erklärungen. Mit Martin Luther (1483-1546) begann ein breiter christlicher Erneuerungsprozess. Luthers religjöses Grundanliegen war die Neudefinition des Verhältnisses zwischen Gläubigem und Gott Insofern sich der Mensch nicht aus eigener Kraft und auch nicht mit den Mitteln der Kirche aus eigener Sündhaftigkeit befreien kann, ist er auf die Gnade Gottes verwiesen.. Martin Luther reformierte auch die Schule. 1524 forderte er in einem „Sendschreiben" die Städte zum Aufbau eines Eiernentarschulsysterns auf und_ erklärte Bildung damit zu_einer öffentlichen Aufgabe. In der religiösen KJL 1st Luther vor allem durch sein Werk „Der kleine Katechismus" (1529) präsent. Im Mittelpunkt des KK stehen die drei Hauptstücke religiöser Belehrung: das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und die Zehn Gebote. Im 17. Jh. entstanden als katholische KJL Kinderbibeln. Johann Hübner (1688-1731): „Zweymahl zwey und fünfzig auserlesene Biblische Historien" (1714). Hübner wollte zu Gottesfurcht und Tugend erziehen. Die biblischen Gestalten des Alten Testaments wurden „verbürgerlicht" und in familiäre Kontexte gestellt. Abschnitt: „Das Kind Johann i s wuchs, und wurde starek im Geiste, Die Hand des Herren war in allem, was er that. Ach ja darauf beruht beym Kinderziehn das meiste, Ob sie der liebe Gott in seinen Händen hat. 4 Gott, reiche mir doch auch die Hand aus deiner Höhe, Damit ich als Kind den Weg zur Tugend gehe!" (Johann Hübner: Zweymahl zwey und fünfzig auserlesene Biblische Historien1').---------------" -------------- * Anfänge der Sachliteratur: „Orbis pictus" Im 16. Jahrhundert zeigten sich nach und nach Schwächen eines Schulsystems, das gänzlich von den klassischen Sprachen dominiert wurde. Kritiker tadelten die Lebens- und Weltferne traditioneller Gelehrsamkeit sowie ihren Mangel an Systematik EinjieucsBildungsideal wurde gefordert. Ziel war es, von der abstrakten akademischen Lehre hm zu den Dingen selbst zu gelangen. Der beste Vertreter dieser ,.RcalienPädagogik" war Johann Arnos Comenius (1592-1670). C. gilt als der wichtigste Vertreter eines erneuten philosophischen Christentums im 17 Th Comenius Hauptanliegen war es, die Trennung der verschiedenen Wissensbereiche zu überwinden und alles Wissen (von Gott, der Welt, den Wissenschaften) in ein universales System, die sog.TPahsöphie^zu überführen. Sein Elementarwerk „Orbis sensualium pictus" (1658) sollte den allerersten Zugang zum Wissen eroffnen. Das Werk gilt als Ursprung des Sachbuchs oder des Bilderbuchs Comenius' padagopsches Programm prägten die Maximen Anschaulichkeit oder Sinnlichkeit -Seine Methode sah vor, bei der Vermittlung des Stoffes vom Einfachen zum Komplizierten und vom Bekannten zum Unbekannten voranzuschreiten. Außerdem sollte der Anfangsunterricht m der Muttersprache stattfinden. Gort ist fur den Theologen Comenius Ursprung und Ziel aller Dinge. Unterhaltungslektüre: Fabeln, Volksbücher, Ritterromane Die Gattung Fabel wurde wegen ihrer Kurze und Prägnanz sowie wegen der zumeist explizit formulierten Lehre als geeignete Lektüre für junge Leser angesehen. Am Anfang der literarischen Überlieferung wurdenTabeln des griechischen Dichters Aesop gelesen Die erste Übersetzung atopischer Fabeln „Der Edelstein« stammt vom Berner Dominikaner Ulrich Boner (ca. 1324-1349). Diese berühmte Handschrift des Mittelalters wurde als' erstes deutschsprachiges Buch 1461 in Bamberg gedruckt. Tierische Protagonisten präsentieren teils m ersten, teils m komischen Taten menschliche Schwächen und gesellschaftliche Zustände Befördern wollte Boner die Klugheit im Handeln. Auf Aesop berief sich in der Folae auch Martin Luther („Etliche Fabeln aus Esopo", 1557). „Volksbücher" und „Ritterromane" gehörten seit ihrer Entstehungszeit im späten Mittelalter zu den behebtesten Lesegattungen. Obwohl bis zum Ende des 18. Jhs. Pädagogen und Theologen diese „unwahren und deshalb „verderblichen" Romane kritisierten, begeisterten sich insbesondere Jugenliche fur die spannenden Geschichten um Liebe und Abenteuer die ott als_ billiger Massendruck auf grobem Papier veröffentlicht wurden. Bestseller der frühen Neuzeit waren Prosaromane wie „Pontus und Sidonia" (dt. 1483) von Geoffroy Chevalier de Latour-Landry oder „Die schöne Magelona" (1535) von Veit Warbeck (um 1490-1534) die sich insbesondere auf junge Adlige richteten. An Eigenständigkeit gewann der deutsche Prosaroman des 16. Jhs. durch den Cohnarer Gerichtsschreiber Jörg Wickram (um 1505-vor 13SŽ). Zum ersten Mal in der Literaturgeschichte wurden ToTThm die Lebenswelt sowie die Werte des Bür-ertums im Roman thematisiert. In seinem ausdrücklich an junge Leser gerichteten Erziehungsroman Der jungen Knaben Spiegel" (1554) vertritt er die Überzeugung, dass für den Erfolg im Leben nicht die "Herkunft, sondern die individuelle Leistung entscheidend ist. Primär waren 5 pädagogische Ziele des Autors: Die konträren Biografien des tilgend- und arbeitsamen Bauernsohnes Fridbert und des lasterhaften Rättersohnes Wilbald zeigen dem jungen Leser in Form eines Vorbilds einerseits und eines Abschreckungsmodels andererseits Muster für die eigene Leben sführung. Aufklärung „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedi enen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. S apere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! 1st also der Wahlspruch der Aufklärung.'1 Aus: Immanuel Kant (1724-1804) „Was ist Aufklärung?" (1784) Wichtige Daten 1740-1786 Regierungszeit des preußischen Königs Friedrich IL, der Große 1740 Friedrich der IL von Preußen verkündet das Toleranzedikt der Religion 1747 Der Prediger Johann Julius Hecker richtet in Berlin die erste deutsche Realschule ein. 1756-1763 Siebenjähriger Krieg zwischen Preußen und Österreich 1772 Lessings bürgerliches Trauerspiel „Emilia Galotti" wird uraufgeführt. Rousseau und die Folgen 1 /C# TťMZZ <£f- J. und W. Grimm wurden in Hanau geboren. Sie studierten Jura in Marburg und waren anschließend als Bibliothekare in Kassel tätig. 1830 wurden sie an die Universität Göttingen berufen und 1837 rechtswidrig entlassen, weil sie zusammen mit 5 Kollegen gegen die Aufhebung der Staatsverfassung (von 1833) durch König Ernst August IL von Hannover protestiert hatten. 1840 zogen sie nach Berlin und widmeten sich bis zu ihrem Tode der Arbeit am vDeutschen Wörterbuch", dessen erster Band 1854 erschien. gaben die G. Grimm den ersten von drei Bänden ihrer „Kinder- und Hausmärchen" 1 Tieraus. Erfolgreich waren sie damit zunächst nicht, weil dort Obszönitäten, derbe Zoten (e Zote oplzlosť) und Grausamkeiten ziemlich häufig sind. In den nächsten Jahren überarbeitete W. Grimm die Sammlung, indem er glättete und milderte anstößige Stellen und strich einige besonders brutale Märchen. Im Vorwort zur zweiten Auflage von 1819 hieß es dann: „Dabei haben wir jeden für das Kindesalter nicht passenden Ausdruck sorgfältig gelöscht." ŕ ^ # Unverkennbare Merkmale der Grimmschen Märchen sind: "Z"/ -^ - schlichte Struktur, m*".- ^ * - zahlreiche Wiederholungen, &£& 0^^ éfcv J^^' - der stereotype Handlungsablauf, J^^^/.^/^W^ ■ formelhafter, naiver Sprachgestus. Typische menschliche Grundsituationen und -probléme werden in prägnante Bilder gefasst und mittels wunderbarer Lösungen (durch Zauberei) nach einem immer gleichen Muster bewältigt. Figuren sind auf wenige Merkmale reduziert, zum Ausdruck kommen immer eine schichte Moral und ein glücklicher Ausgang. Kunstmärchen Einige Märchendichter wandten sich bewusst gegen die volkspoetische Märchentradition. Ihnen dienten orientalische Märchen und französische Feenmärchen als Vorbilder. E.T.A. Hoffmann (1776-1822) bildete sog. „Alltags-,, oder „Wirklichkeitsmärchen", in denen sich 9 zugleich der Beginn der phantastischen Literatur markierte. Die Handlung blieb nicht auf die Märchenwelt beschränkt, sondern war in die zeitgenössische Realität eingebunden. „Nußknacker und Mausekönig" Zum Weihnachten bekommt^ Marie, Tochter einer Berliner Arztfamilie, einen hölzernen Nussknacker geschenkt. In der Nacht wird das Spielzeug lebendig, der Nussknacker verwandelt sich in einen tapfern Feldhemi und besiegt schließlich mit seinen Zinnsoldatentruppen den garstigen Mausekönig. Der Autor zieht seine Heldin und die Leser in ein Spiel zwischen Traum, Fantasie, Wirklichkeit und Märehenfiktion hinein. Ist der Nussknacker der Gebrauchsgegenstand? Ein Spielzeug? Der König des Puppenreichs? Oder doch der verzauberte Neffe von Maries Patenonkel? Mit der literarischen Gestaltung dieses Vorgangs nahm Hoffmann wichtige Aspekte der Psychologisierung in der KJL vorweg. Herzens- und Gemütsbildung Nach 1815 begann für die KJL ein „goldenes Zeitalter". Friedrich Fröbel (1782-1852) gilt als wichtiger Vertreter der romantischen Pädagogik. 1837 gründete Fröbel die erste „Pflege-, Spiel- und Beschäftigungsanstalt" für Kleinkinder, die seit 1840 „Kindergarten" genannt wird. „Mutter-und Koselieder" (1844) kann gleichzeitig als Erziehungsratgeber oder Sing-, Spiel und Bilderbuch genutzt werden. Fröbel wollte mit seinem Werk die Kommunikation zwischen Mutter und Kind fördern, alle Sinne ansprechen und die kindliche Freude an Sprachspiel, Reim und Rhythmus unterstützen. Später wurden die .Mutter- und Kinderlieder" als Lehrbuch für angehende Erzieherinnen genutzt. Wichtige Anregungen zum Werk verdankt Fröbel Johann Heinrich Pestalozzi (174£-1827). Pestalozzi war Schweizer Pädagoge und Sozialreformer. Er verstand Erziehung als umfassende, auf konkreter Anschauung basierende Entwicklung der geistigen, ethischmoralischen und praktischen Kräfte^ Seine Vorstellung von den drei Lebenskreisen, in die jeder Mensch eingebunden ist, bestimmen die Erziehung von der „Wohnstube" über die Berufswelt bis zur Stellung in Volk und Vaterland. Erste Bilderbücher Auch die „Fünfzig Fabeln für Kinder" (1833) von Wilhelm Hey (1789-1854) transportieren den Geist der Romantik ins Biedermeier. Illustrationen von Otto Speckter (1807-1871). Mit der traditionellen Fabel hatte diese poetische Tierkunde nur noch sehr wenig gemein. Aus der Perspektive von Kindern und eingebettet in ihren Alltag, werden heimische Tiere mit teilweise menschlichen Eigenschaften vorgestellt. „Was ist das für ein Bettelmann? Er hat ein kohlschwarz Röcklein an, Und läuft in dieser Winterzeit Vor alle Türen weit und breit, Ruft mit betrübtem Ton: Rab! Rab! Gebt mir doch einen Knochen ab." (das Gedicht „Rabe" aus „Fünfzig Fabeln für Kinder") Es war den neuen grafischen Techniken zu verdanken, dass in der 1. Hälfte des 19. Jhs. die Anzahl der veröffentlichten Bilderbücher deutlich zunahm. Denn erst als Lithografie, Stahl-und Holzstich den teueren Kupferstich und den groben Holzschnitt abgelöst hatten, konnten 10 <£S I is *5 Abbildungen von hoher Qualität, vor allem aber in höherer Auflage produziert und jt preisgünstiger verkauft werden. Biedermeierliche Illustrationen zeigen eine niedliche, wohlgeordnete Tier- und Kinderwelt, üppig ausgeschmückt mit Ornamenten und Randzeichnungen. Bis eines Tage das skandalöse Bilderbuch des Kinderarztes Heinrich Hoffmann erschien -* und mit einer Gesamtauflage von mehr als 15 Millionen Exemplaren zum berühmtesten ^ deutschen Kinderbuch wurde. X ^Heinrich Hoffmann (1809-1894) setzte mit seinem Werk „Der Struwwelpeter^ (1845) einen & Kontrapunkt zum damals herrschenden Ideal eines Kinderbuchs. Untertitel: „Lustige \ Geschichten und drollige Bilder". Erfunden hatte er die Geschichten vom Suppenkaspar, ^ Zappelphilipp und Hans-Guck-in-die-Luft, um seine kleinen Patienten zu beruhigen und von *^ ihrer Krankheit abzulenken. 1844 zeichnete und schrieb er sie in ein Heft, das er seinem c;i^!i [idtniL1. /u den i' :. '■-- ':.'-'-■ ' ' ■"■ Uh.HK'l i INí'-ž-h'ľ ' 'rid sM-ni.1 :■-■■ it.? I : 1..;i;'ľ di .-. Atiuh s/,i-h> niii: ■', ^.'ii/hkr..' ;; vv '._•< I ..■-■. :■ * :,_ ■. -:/ .hiivud- i:, i . v .-.'._ . ■. '.'■-: LI",'- VO II uVl, I-lU':n. h-J V'.l Kontakte, der Aufbau von Sozialbeziehungen, und das Hineinwachsen oder die Ablehnung eigener sozialen Rolle. ť^ In Erzählungen, Dramen und Romanen am Anfang des 20. Jhs. wurde das Erwachsenwerden als Phase tief greifender Irritationen und Leiden bis hin zum Tod begriffen. Einige Autoren Am>4<&»' der Allgemeinliteratur wie Frank Wedekind und Robert Musil gestalteten in den Werken „Frühlings Erwachen" und „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" Identifikationsfiguren für junge Leser. Bereits 1891 hatte Frank Wedekind (1864-1918) in seinem Schauspiel „Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie" eine Gesellschaft angeklagt, die durch ihre Iebens- und sexualfreundliche Scheinmoral Jugendliche an freier erotischer Entfaltung und dem Aufbau einer selbstbestimmten Identität hinderte. Robert Musil (1880-1942) schildert in „Die Verwirrungen des Zöglings Torlefi\(l906) den Prozess sexueller und seelischer Selbstfindung. Im gleichen Jahr erschien Hermann Hesses (1877-1962) Erzählung „Unterm Raď' (1906), in dem er aufzeigt, wie ein junger talentierter Mensch im rigiden Gesellschaftssystem zugrunde gerichtet wird. "~^~_— Exkurs: Comics Um 1900 erschienen in der Presse der USA die ersten Comics-Strips: Lustige Bildergeschichten mit einer Verknüpfung von Illustrationen, Sprechblasen und Blockkommentaren. Die Geschichte der Comics in Deutschland entstand trotzdem erst nach 1945. In den 50er Jahren explodierte dann der Comic-Markt, den größten Anteil daran hatten Abenteuercomics (Tarzan). Es gab kaum einen bekannten Stoff der Abenteuer- und Sagenliteraiur, der nicht im Comic visualisiert wurde. In den 60er Jahren kamen Serien wie „Batman" und „Superman". Die lustigen Comics repräsentierten die Serien ,Micky Maus", „Donald Duck"' und „Fix und Foxi". In dem neuen Lesevergnügen sahen konservative Kreise eine akute Gefährdung von Moral und Sittlichkeit. Erst mit den „Peanup" (deutsch 1964) von Charles M. Schulz.(1922-2000) wurde erstmals der ganz normale Alltag zum Thema eines Comics (Protagonist Charlie Brown und sein Hund Snoopy). Die Serie „Asterix" (dt. 1968) über den Kampf der unbeugsamen Gallier gegen die römische Besatzungsmacht gehört mit ihren Anspielungen auf Geschichte und Ethnografie zur intelligentesten Form der Comic-Unterhaltung. Von der Jahrhundertwende zur Weimarer Republik Neuromantische Strömungen Der Begriff Neuromantik bezeichnet eine gegen den Naturalismus gerichtete literarische Strömung um die Wende zum 20.Jh., die durch eine Neubelebung der Romantik gekennzeichnet ist. Motive der romantischen Literatur und vor allem Gattungen wie Traumliteratur, Märchen und Legenden werden wieder entdeckt. Vertreter der Neuromantik in der Allgemein!iteratur waren Hermann Hesse und Gerhart Hauptmann („Hanneles Himmelfahrt", 1893). Märchen und Fantastík Als Fantastische Literatur werden Texte bezeichnet, in denen Phänomene geschildert werden, die jenseits der Erfahrungswirklichkeit liegen. Im Unterschied zur geschlossenen Welt des 17 Märchens, in der irrationale Erscheinungen selbstverständlich sind, ist für die Fant. Literatur ein „Zwei-Welten-Modell1' typisch. Wesentliche Anregungen hatte die deutsche Fantastík aus anderen europäischen Ländern bekommen. Lewis Carroll (1832-1898): „Alice im Wunderland (dt. 1869) + /&?*&' Carlo Collodi (1826-1890): „Die Abenteuer des Pinocchio" (dt. 1913) „Alice im Wunderland" Alice fällt durch ein Kaninchenloch aus ihrer Kinderwelt in eine bizarre Traumwelt. Hier muss sie sich gegen tyrannische Tiere wehren, die als Repräsentanten der Erwachsenen zu deuten sind. Dieses Werk verknüpft das romantische Kunstmärchen (E.T.A. Hoffmann) mit der Nonsens-Literatur. Von ,^Jice" ließen sich z. B. Lyman Frank Baum („Der Zauberer Oz",1900), M. Ende („Die unendliche Geschichte1', 1979) und Joanne R. Rowling („Harry Potter, 1997) anregen. Alan Alexander Milne. (1882-1956) entfuhrt die Leser in seinen Geschichten J>u der Bär" (dt. 1928) in eine Spiel zeugweit. Wildgänse, Rehe und andere Tiere Der Übergang vom Agrarstaat zur Industrienation wurde von vielen Menschen als Entfremdung von der Natur verstanden. Zwischen 1900 und 1930 schrieben Autoren wie Rudyard Kipling, Selma Lagerlöf und Waldemar Bonseis Werke, die das Verhältnis zwischen Mensch und Tier thematisierten. t Die zwei Bände der ,JDschungelbücherii..(^ 894-95) des in Indien aufgewachsenen Engländers Rudyard Kipling (1865-1936) erzählen vor allem von Mowgli, einem indischen Jungen, der von einem Tiger in die Wildnis verschleppt und von Wölfen aufgezogen wird. Kipling ging es um eine naturalistische Darstellung der Tiere. Diese Geschichte verfilmte Walt Disney (1967). Von Kipling ließ sich die Schwedin Selma Lagerlöf (1858-1940) anregen. Für die „ Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen'1 (dt. 1908) bekam sie 1909 den Literaturnobelpreis verliehen. Der kleine Nils erlebt aufregende Abenteuer auf seiner unfreiwilligen Reise mit den Gänsen. Lagerlöf integrierte in ihr Buch Wissenswertes aus Literatur, Geografie und Landeskunde. Die Tiere vermitteln nicht nur wichtige Detailkenntnisse, sondern auch Lektionen im Sozial verhalten. Am Ende hat sich der ungehorsame Nils durch das Beispiel der Tiere zu einem verantwortungsvollen Jimgen entwickelt. „ Die Biene Maja " Die bekannteste deutsche Tiergeschichte am Beginn des 20. Jhs. ist Waldemar Bonseis (1881- 1952) neuromantisches Naturmärchen „Die Biene Maja" (1912). Von dem Buch wurden bis g^Š****^ 1922 eine halbe Million Exemplare verkauft. Viele davon steckten in den Tornistern junger Soldaten, die 1914 in den Krieg zogen. Majas Ausbruch aus dem Bienenstock symbolisiert das Lebensgefühl der jungen Menschen, die in der Natur Freiheit, Abenteuer und Lebensfreude suchten. Zitat: „Die Biene Maja liefert ein prägnantes literarisches Beispiel für die ambivalente Haltung der bürgerlichen Jugend am Beginn des 20. Jhs. hin und her gerissen zwischen Freiheits- und Sicherheitsstreben.'1 18 Von Schatzsuchern und Goldgräbern Robert Louis Stevenson oder Jack London ein angelsächsischer und ein angloamerikanischer Autor, wurden mit einer Verspätung in Deutschland bekannt. In seiner „Schatzinset (dt. 1897) setzte Robert Louis Stevenson (1850-1894) Motive der Schauerromantik effektiv in Szene. Die Lebenserinnerungen des ehemaligen Schiffsjungen Jim Hawkins enthalten geheimnisvolle Charaktere, beängstigende Atmosphäre, schnelle und unerwartete Wendungen. Piraterei, Meuterei (vzpoura), Schatzsuche, Überlebenskämpfe, Gewalttätigkeiten und Mord. Stevenson verwendet Umgangssprache aus Seemannsjargon in den Dialogen, wodurch die Anschaulichkeit und Authentizität des Romans gesteigert werden. Jack London (1876-1916) verarbeitete seine Lebenserfahrungen in Abenteuererzählungen über Goldgräber, Matrosen, Jäger und Fallensteller^ „Der Ruf der Wildnis" (dt. 1929). Es ist die Geschichte eines tapferen Schlittenhundes Buck, der am Ende als Ruderführer einer Wolfsmeute dem „Ruf der Wildnis" folgt. Weitere Werke: „Der Seewolf" (dt. 1926) „Lockruf des Goldes" (1928) In diesen Werken wird das Leben als Kampf dargestellt, der nur mit Mut, Stärke und Scharfsinn zu bestehen ist. Der „Kolonialroman" In der deutschen KJL hatten Abenteuerbücher für Jungen auch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhs. weiterhin Konjunktur. Mit so genannten „Kolonialromanen" sollten junge Leser für die Überseegebiete in Afrika und im Pazifik begeistert werden. C. Falkenhorst (eigentlich Stanislaus von Jezewski) veröffentlichte in den Jahren 1893-1900 eine zehnbändige Reihe ,Jung-Deulschland in Afrika". In diesem Werk wurden Schicksale deutscher Pioniere und Naturforscher vorgestellt Mit einem offenen Rassismus wurde in diesem Werk die angebliche Rückständigkeit der Eingeborenen mit ihren Sitten und Gebräuchen gezeigt. Krieg als Abenteuer Die KJL wurde am Anfang des 20. Jhs. für politische Propaganda im Kaiserreich missbraucht. Der Krieg wurde zum spannenden Abenteuer verklärt. Bekannte Künstler und Dichter Wenngleich in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jhs. in der dt. KJL vor allem nationalistische Tendenzen dominierten, schrieben auch anerkannte Künstler für Kinder: Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz und Bertolt Brecht, f MÁJiŕy Die Lyrik Christian Morgensterns (1871-1914) ist durch Elemente des Musikalischen und Spielerischen wesentlich bestimmt. Er knüpfte an die Traditionen des Sprachspiels an, aber auch an die Kinderlieder der Romantik. In seinen Gedichten spielen Rhythmus und Reim, Lautmalereien und Wortspiele eine wichtige Rolle. Speziell für junge Leser verfasste er ein einziges Buch: „Das Hasenbuch" (1908). Joachim Ringelnatz (1883-1934) steigerte die humoristischen Sprachspielereien Morgensterns bis ins Schaurig-Groteske. Mit seinen anarchistischen Versen verhöhnte er das Bürgertum. In seinem Werk „Geheimes Kinder-Spiel-Buch" (1924) setzte er an die Stelle der Pädagogik fantasievolle und freche Kinderspiele. Thematisch knüpfte er an Wilhelm Busch und Mark Twain an. 19 Joachim Ringelnatz ,J3ie Ameisen" (1912) In Hamburg lebten zwei Ameisen, Die wollten nach Australien reisen. Bei Altona auf der Chaussee, Da taten ihnen die Füße weh, Und da verzichteten sie weise, Dann auf den letzten Teil der Reise. Bertolt Brecht (1898-1956) schrieb sein erstes Kinderbuch „Die drei Soldaten" (1932). Mit seinen Gedichten wollte er das kritische Bewusstsein von Heranwachsenden schärfen. Die drei Soldaten sind Allegorien auf Hunger und Krankheiten. Ihre Botschaft lautet: Wer passiv bleibt, wird untergehen, wer sich gegen politische Ungerechtigkeiten wehrt, wird sie überwinden. Mit dem Werk ,JKinderh'euzzug" (1939) äußerte er sich gegen die Unmenschlichkeit des Krieges. Geschildert wird, wie eine Gruppe von Kindern auf der Suche nach Frieden durch zerstörte polnische Dörfer irrt. Realistische Groß Stadtgeschichten Im Verlauf des 19. Jhs. entdeckten Schriftsteller wie Emile Zola, Charles Dickens die Großstadt als literarischen Ort. Mit Charles Dickens' (1812-1870) Waisenjungen „Oliver^ Twisr (dt. 1838) kämpft zum ersten Mal ein Kind in den bedrohlich wirkenden Gassen der Großstadt gegen Armut und Verbrechen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Berlin zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt Deutschlands - und auch zum Schauplatz von Kinderbüchern. f iz.Áifi-r Die Großstadt- und Kriminalgeschichte um „Emil und die Detektive" (1929) wurde auch ¥-.$#* **#s international zum erfolgreichsten deutschen Kinderbuch des 20, Jhs. Erich Kästner (1899-1974) Geboren in Dresden (Neustadt) in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Journalist in Leipzig. Der Höhepunkt seines lit. Schaffens fiel in seine ersten Berliner Jahre zwischen 1928 und 1933, in denen neben zahllosen gesellschaftskritischen Gedichten und dem Roman „Fabian" (1931) seine berühmten Kinderromane entstanden: „Emil und die Detektive" (1929), „Pünktchen und Anton" (1931), „Der 35. Mai" (1932) und „Das fliegende Klassenzimmer" (1933). In der Zeit des N S waren seine Bücher verboten und verbrannt, K. veröffentlichte unter diversen Pseudonymen harmlose Unterhaltungsbücher. Ab 1945 lebte K. in München. Nach „Das doppelte Loüchen" (1949) und ,JDie Konferenz der Tiere" (1949) zeigte sein kinderliterarisches Werk zunehmend , Züge der Resignation. Er bearbeitete Klassiker für Kinder, z. B. „Die Schildbürger" (1954) J'' und „Gullivers Reisen" (1961), schrieb seine Kindheitserinnerungen unter dem Titel ,^A!s ich ein kleiner Junge war" (1957) und erfand als letzten seiner Kinderhelden einen Miniatur-Erwachsenen im Streichholzschachtel-Format mit dem Werk „Der kleine Mann und die kleine Miss" (1963). Dass er trotz oft sehr deutlicher moralischer Botschaften zu einem Lieblingsautor junger Menschen wurde, verdankte er seiner Fähigkeit, deren Probleme mit großer Ernsthaftigkeit, zugleich aber mit ausgeprägtem Humor darzustellen. Sein „Emil" gehört ganz der literarischen Richtung „Neue Sachlichkeit". Aus der Kleinstadt, die nicht nur die Geborgenheit der Mutter, sondern auch die Enge symbolisiert, gerät der 20 Schüler Emil Tischbein bei der Verfolgung des „Herrn mit dem steifen Huť' mitten hinein in die pulsierende Metropole. Eine Gruppe kesser Berliner Jungs hilft ihm dabei, den Dieb zu überführen, der ihm auf der Zugfahrt hundertvierzig Mark gestohlen hat. Kästners zweiter Kinderroman spielt ebenfalls in Berlin: „Pünktchen und Anton" (1931). Es geht hier um soziale Unterschiede, Freundschaft und wiederum - ein Verbrechen. Einen großen Anteil am Erfolg Kästners Bücher hatten Illustrationen von Walter Trier. Soziaiistische Kinderliteratur Die Diskussion um eine spezifisch sozialistische bzw. kommunistische KL begann mit der Reformbewegung um die Wende des 20. Jh. Beliebt waren wieder die Märchen. Die bekannteste Autorin proletarischer Kindermärchen in der Weimarer Republik war Hermynia zur Mühlen (1883-1951). *•/- Märchensammlung: „Was Peterchens Freunde erzählen" (1921) Dem kranken Peter erzählen die Gegenstände, die ihn in seinem Zimmer umgeben (Kohle, Bettdecke, Eisentopf usw.) von ihrer Herkunft und ihrer Bedeutung im jeweiligen Produkti o nszu samrnenhang. j^-Im Jahre 1931 schreibt Erich Kästner seinen nächsten Detektivroman Pünktchen und Anton", über die Freundschaft eines Fabrikantenkindes Luise Pogge und Anton Gast, der Sohn einer lungenkranken armen Frau ist. Ähnlich schreibt auch die Autorin Grete Weißkopf unter ihrem Pseudonym Alex Wedding (1905-1966) in ihrem Werk „Ede und Unku" (1932). Hier geht es um die Freundschaft eines Arbeiterjungen und eines Zigeunermädchens. Neben Freundschaft und Solidarität ist das Hauptthema von Weddings Geschichte die politische Verwandlung Edes, der nachdem der Vater arbeitslos geworden ist, soziale Verantwortung übernehmen muss und binnen weniger Tage zum klassenbewussten Proletarier wird. LisaTeizner(1894-1963) Zu ihrter Lebzeit war ihr Werk bekannter als das von Erich Kästner. „Hans Urian "(1931) Hans Urian sucht für seine Familie Brot und lernt, dass die Prinzipien des Kapitalismus dieselben sind. ^ i ...Die Kinder aus Nr. 67" / '&*>&*lfri&* ^™/ Neunbändiger Zyklus (1933-1949). Erzählt wird von einer Gruppe Heranwachsender aus einem Berliner Hinterhaus zwischen den Jahren 1931 und 1946. Am Anfang steht die Geschichte von Erwin und Paul. 1933 werden sie getrennt. Erwin muss mit seinem Vater, einem Sozialdemokraten flüchten, eine andere Hausbewohnerin ist gezwungen ihre Heimat zu verlassen, weil sie Jüdin ist. Tetzner schildert Scliicksale der Flüchtlinge während ihrer Fahrten durch Europa, Nord- und Südamerika und ihr Robinsonleben auf einer einsamen Insel nach einem Schiffbruch. Literaturlenkung Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 endete die Phase der lebendigen und innovativen KJL der Weimarer Republik. Ab Juli 1933 koordinierte die „Reichsstelle für das Jugendschrifttunr' die Bestrebungen um einen ideologisch einheitlichen Kurs in der KJL. Die Werke von sozialdemokratischen Autoren, aber auch von Vertretern der Neuen Sachlichkeit wie Erich Kästner oder Irmgard Keun wurden verboten. Der Literatur! enkung im Sinne des Nationalsozialismus dienten diverse Listen und Empfehlungskataloge wie z. B. „Wir lehnen ab" (1937), „Das Buch der Jugend1 (1934) oder „Das Verzeichnis guter Mädchenbücher" (1942) 21 Trotz der staatlichen Kontrolle konnten einige verbotene erscheinen, wie 1933 „Das fliegende Klassenzimmer' von Erich Kästner oder „Der Bankrott des kleinen Jack" (dt. 1935) von einem jüdischen Arzt Janusz Korczak (1868-1942). J. Korczak kümmerte sich im Warschauer Getto um die Kinder eines Waisenhauses und mit diesen wurde er 1942 im KZ Treblinka ermordet. Literarische Erziehung zu Gemeinschaft und Krieg Nationalsozialistische Erziehung sollte uneingeschränkt in den Dienst der Machtsicherung gestellt werden. Es wurden Protagonisten präsentiert, die den Lesern vermitteln sollten, dass der Staat nur durch Einordnung, Unterordnung und absoluten Gehorsam des Einzelnen funktioniert. Fritz Steuben / f?d*^ &/£&*/ &&-&#$ Krieg, Führertum und Volk waren bevorzugte Themen der Kriegs- und Indianerbücher von Fritz Steuben. „Tecumseh" (1930-39) ist eine Indianergeschichte um einen Indianerhäuptling, der zu Beginn des 19. Jhs. die Indianerstämme einigen wollte, um gegen die weißen Siedler bestehen zu können. Einige Autoren, darunter auch Hans Fallada (1893-1947) schrieben nach der schlechten Erfahrung mit den Nazis harmlose Geschichten. Die Nazis verdächtigten ihn nämlich nach seinem Welterfolg des Werkes „Kleiner Mann, was nun?" (1932) sozialkritischer Tendenzen. In den Werken „Hoppe Iboppel, wo bist du?" (1936) und „Geschichten aus der MurkeleF (1938) gab er sich als betont harmloser Erzähler für Kinder. Im Unterschied zu den genannten Autoren besaß Kästner keine Publikationserlaubnis für Deutschland, alle seine Bücher für Kinder und Erwachsene waren verboten, außer „Emir -möglicherweise wegen der internationalen Popularität der Detektivgeschichte. Der wenig überzeugende Folgeband "Emil und die drei Zwillinge" (1935), in dem die Detektive ein Selbsterziehungsmodell an der Ostsee erproben, und die Nacherzählung einiger Schwanke von „Till Eulenspieger (1938) mussten in der Schweiz erscheinen. Die bedeutendsten Kinderbücher, die Autoren während des Exils verfassten, wurden in der Schweiz geschrieben. So z. B. Kurt Held (1897-1959, eigentlich Kurt Kläber) und seine Ehefrau Lisa Tetzner fanden Zuflucht in der Schweiz. Helds Räuberroman „Die rote Zora und ihre Bande" (1941) mit Robin-Hood-Motiven wurde Klassiker der JL. Die von der rothaarigen Albanerin Zora geführte Bande haust in einer Burgruine und lebt von Mundraub und Diebstahl. Es ist eine Notgemeinschaft von Jugendlichen, die nach dem Verlust ihrer Eltern aus der „anständigen" Gesellschaft der dalmatischen Kleinstadt herausgefallen sind. 22