EinTopf. Zeitschrift der Studierenden des Lehrstuhls für Deutsch, PdF MU. 1 Lehrstuhl für Deutsch, PdF MU. Nummer 2. Juni 2010. Im Vorab Liebe Leserinnen, liebe Leser, die zweite Nummer der studentischen Zeitschrift EinTopf ist da. EinTopf wird einmal pro Semester von einem Redaktionsteam verfasst und herausgegeben, das aus Studierenden der beiden Brünner germanistischen Institute besteht – des „pädagogischen“ und des „philosophischen“. Auch aus diesem Grund bleibt die Zeitschrift ihrem Namen treu: Sie ist bunt - nur graphisch leider schwarzweiß – und „mehrstimmig“. Ein EinTopf, will man das oder nicht, gleicht keinem der vorigen EinTöpfe. Dementsprechend haben in die zweite Nummer die frischen Redaktionsmitglieder neue Themen und neue Sichtweisen hinein gebracht, und die mehr erfahrenen sind ihnen in nichts nachgestanden. Die Grundidee von EinTopf ist, das Geschehen an der Uni und an anderen für das Deutsch-Studium aufregenden Orten zu kommentieren und dadurch vielleicht eine größere Aufmerksamkeit für die „nicht-schulische“ Dimension des Studiums zu wecken. Die Redaktionsmitglieder müssen also zunächst – lang bevor sie zu schreiben beginnen – vor allem neugierig sein und Freude am Suchen haben. Ihre Neugier hat sie logischerweise zuerst auf die Gebiete geführt, die mit ihrem Studium zusammenhängen. Martina Reichmanová geht in ihrem Artikel der Frage nach, vor der sich heute weder Deutschstudierende noch DeutschlehrerInnen drücken können. Wie geht es denn dem Deutschunterricht an der tschechischen Sekundarstufe? Die Antwort stellt Martina aus Beobachtungen der Brünner DeutschlehrerInnen zusammen. Die Beiträge von Eva Pluháčková und Erik Netušil äußern sich zu zwei aktuellen, und trotzdem langfristigen Problemen des Hochschulstudiums. Zusammenfassen könnte man ihre Texte unter die folgende Frage: Sind die Unis bloß große Gebäude, wo Wissen erworben wird, oder sollen sie die Studierenden zur Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten und zur Selbstverantwortung für ihr Studium ermutigen? Eva erkundet die Cafeterias und andere Räumlichkeiten zum studentischen Beisammensein, die die Brünner geisteswissenschaftlichen Fakultäten bieten. Erik beschreibt seine Erfahrungen mit dem letztjährigen Bildungsstreik an der Uni Regensburg. Haben Sie schon darüber nachgedacht, was der Unterschied zwischen einem Studentenstreik und einer mehrmonatigen Party ist? Auch die drei Interviews sind unschwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Gesprächspartner unserer Redakteure sind Menschen, die sich auf der Grenze zwischen mehreren Sprachen und Nationen beheimatet haben – die DAAD-Lektorin Kristina Wermes, der bilingual aufgewachsene Patrick Schmitt und der tschechische Diplomat in Wien Jaroslav Knot. In dieser Nummer wird etwa die Hälfte der Artikel dem internationalen Festival studentischer Theatergruppen Drehbühne gewidmet, das Anfang Mai schon zum dritten Mal im Brünner Barka-Theater in Královo Pole stattgefunden hat. Das Festival ist auf der Karte des deutschsprachigen Kulturlebens in der Stadt ohne Zweifel ein herausragender Gipfel; das Hauptevent des Jahres sozusagen, auf schön Neudeutsch. Unter der „Regieführung“ der germanistischen Theatergruppe der Philosophischen Fakultät wurden vier Tage Theater vorbereitet, während denen selbst ein recht lauer Germanist das Theatergebäude gar nicht zu verlassen brauchte. (Es taugt angeblich sogar zum Übernachten ganz gut). Die kreativen deutschsprachigen Kräfte von Brünn lebten in diesen Tagen auf – die kleinsten Deutschlerner von der Antonínská-Grundschule, die die Abenteuer eines tschechischen Knaben in der deutschen Stadt Schwabach inszeniert haben; die beiden Brünner deutschen Theatergruppen 07 und Doppel L, die für ihre Aufführungen internationalen Lob geerntet und trotzdem noch viel dazugelernt haben; die Germanistik-Dozenten, die die kreative Potenz ihrer Studis entdeckt haben; die Redaktionsmitglieder des EinTopf, denen nun das Kopfzerbrechen über die Rezensionen begann. Wir bieten hier also Kritiken zu allen sechs Theaterstücken, die im Rahmen des Festivals aufgeführt wurden, und freuen uns auf ein ebenso anregendes Wiedersehen im Mai 2011. Zum Schluss noch eine technische Neuerung: Beide Nummern der Zeitschrift EinTopf können Sie von der neuen Homepage des Lehrstuhls für Deutsch der Pädagogischen Fakultät (www.ped.muni.cz/wger) herunterladen. Beunruhigend anregende Lektüre wünscht Ihnen im Auftrag des Redaktionsteams Jan Budňák Inhalt: Publizistisches S. 2 Interviews S. 7 Theaterkritiken S.13 Literarisches S. 18 Redaktion: Eva Pluháčková, Martina Reichmanová, Marie Vágnerová, Ivica Ďuricová, Kateřina Hemalová, Erik Netušil, Tomáš Stříbný, Jan Budňák (NJ_CAS). Herzlichen Dank Olga Pluháčková für das EinTopf-Logo, Roland Wagner für die sprachlichen Hilfestellungen und den AutorInnen der Photos. EinTopf. Publizistisches. 2 Krankheiten des gegenwärtigen Deutschunterrichts an den tschechischen Grund- und Mittelschulen Wozu logisch handeln, wenn es auch einfacher geht. Aber auch: Wie man sich bettet, so liegt man Zu viele Untertitel für einen Artikel? Eher nicht. Sie beschreiben nämlich ganz genau die Situation von Deutsch als Fremdsprache in der tschechischen Primar- und Sekundarbildung. Die in diese Problematik weniger Eingeweihten finden an dieser Stelle sowohl wichtige Grundinformationen, als auch persönliche Beobachtungen, die ihnen das Thema näher bringen. Vielleicht fällt Ihnen ein, dass dies kein wirklich positiv gestimmter Artikel sein kann. Das muss zugestanden werden. Aber verzweifeln Sie nicht – gute Nachrichten gibt es immer. Man muss nur suchen… Ungünstige Bedingungen Sauerkraut anzubauen War es mit Deutsch an den Schulen immer schwierig? Und was kann man sich unter den schwierigen Bedingungen vorstellen? Diesen Fragen widmet sich z. B. ein Artikel auf der Internetseite des Bildungsministeriums, den Ivana Frýbová, Jarmila Kalábková und Milena Zbranková geschrieben haben. Vor etwa zehn Jahren gab es ein wesentlich größeres Interesse daran, Deutsch zu lehren und zu lernen. Dazu hat die Unterstützung der Mehrsprachigkeit nach dem Jahre 1989 beigetragen. Damals konnte Deutsch als die erste oder zweite Fremdsprache an den beiden Stufen der Grundschule unterrichtet werden. Die Mittelschulen unterrichteten Deutsch schon lange und beklagten sich über die ungenügende Qualifikation ihrer Lehrer kaum. Wenn ein nicht lehrbefähigter Lehrer Deutsch unterrichten wollte, standen ihm mehrere zusätzliche Kurse oder methodische Seminare zur Verfügung. Eine entsprechende Qualifikation war also für diese Sprache kein großes Problem, ebenso wie heute. Das ungefähr seit dem Jahr 2000 bevorzugte Englisch kann dasselbe nicht behaupten. Es gab auch genug Lehrbücher und Lehrmittel, wenn auch unterschiedlicher Qualität, und die Lehrer konnten recht zahlreiche Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen. Der Deutschunterricht war also in der Tschechischen Republik ziemlich gut etabliert und hatte eine gewisse Tradition. Trotzdem wurde Deutsch im Fremdsprachenunterricht aufs Abstellgleis geschoben. Es ist kein Wunder, dass die Deutschlehrer mit dieser Situation nicht zufrieden sind. Die Deutschlehrer, einschließlich der zukünftigen, werden wahrscheinlich immer ihr Fach unterstützen. Das ist natürlich. Aber handelt es sich hier um eine unbegründete Unterstützung der eigenen Interessen, wenn man die freie Wahl der ersten Fremdsprache an den Grundschulen fordert? Sind zwei deutschsprachige Nachbarländer und die „gemeinsame“ deutschsprachige Kulturgeschichte von Tschechien und Deutschland bzw. Österreich ein geringer Grund, die tschechischen Grund- und Mittelschüler um ihre eigene Entscheidung zu bringen? Nach der Meinung des ehemaligen Bildungsministeriums ist das so. Englisch sei die Sprache Nummer Eins, nicht nur auf Konferenzen und in verschiedenen Fachgebieten, sondern sogar deutsche Firmen sprechen jetzt vorwiegend Englisch! Bedeutet das aber, dass die Deutschen fremde Deutschsprachige nicht mehr schätzen? Der Empfehlung des Ministeriums entspricht auch das Bild von Deutsch, das die Medien bieten. Es ist natürlich, dass eher Wörter aus der englischen als aus der deutschen Sprache in der Werbung verwendet werden. Die Medien wirken stark auf die Eltern, die überall Englisch hören und sehen, und sich daher nicht lange die richtige Wahl einer Fremdsprache für ihre Kinder überlegen müssen. Eine einfache, schnelle und klare Entscheidung kommt ihnen auch entgegen. Was ist also das Ergebnis für Schulen und ihre Lehrer? Wenn nicht dem Wunsch der Eltern, dann müssen sie sich dem Befehl des Ministeriums anpassen. Sonst hätten sie bald fast niemand mehr zu unterrichten. Die Folgen dieses Systems können Sie sich sicher vorstellen. Einige wenige Deutschklassen halten das Angebot mindestens solange offen, bis die Schüler an die Sekundarstufe II kommen. Dort finden sie oft keine entsprechende Klasse, in der sie Deutsch fortsetzen könnten. Deutsch erst mit 14 lernen? Nein, danke! Deutsch wird also meistens zur zweiten Fremdsprache der Schüler. Laut dem tschechischen schulinternen Bildungsprogramm heißt das, dass der Deutschunterricht erst ab der 7. oder 8. Klasse eingeführt wird. Fachleute aus der Unterrichtspraxis wie Frau Jarmila Brnická, Didaktikerin und Deutschlehrerin an der Grundschule Antonínská in Brünn, sind davon überzeugt, dass das zu spät sei. Das schwierige Alter der Kinder und die Tatsache, dass das angenehmer klingende und wohl positiver besetzte Englisch die erste Fremdsprache war, wirken für die zweite Fremdsprache sehr nachteilig. Brnická argumentiert, dass Schulkinder Englisch nach Deutsch sehr schnell lernen. Auch deshalb soll Englisch nicht automatisch die einzige erste Fremdsprache sein. Die kleine Anzahl der Grundschüler, die Deutsch lernen, wird zu einem komplexen Problem. Wenn einige während der Sekundarstufe I ans Gymnasium gehen, bleiben in der ursprünglichen Klasse zu wenige Kinder und dann müssen unterschiedliche Sprachniveaus verbunden werden. Diese Notlösung kann sicher keinem zugute kommen. Dieses Problem wurde aber u. a. am Gymnasium am Slovanské náměstí doch gelöst. In den einzelnen Klassen gibt es gewöhnlich zu wenige Schüler, die dieselbe zweite Fremdsprache ausgewählt haben. Für die Deutsch-, Spanisch- und Russischstunden fügt man also Schüler aus verschiedenen Klassen zusammen und muss sie nicht mehr überreden eine andere Sprache zu wählen. Ähnlich können Gymnasien nur aus einer kleinen Menge Grundschüler auswählen. Manche Gymnasiallehrer beschweren sich über die mangelhaften Deutschkenntnisse der Grundschüler. Nach der Meinung von Birgit Masaříková, einer deutschen Muttersprachlerin aus dem Brünner Gymnasium am Slovanské náměstí, Das schulinterne Bildungsprogramm, tschechisch „Školní vzdělávací program“, bieten den Schulen. einerseits die Möglichkeit, den Unterricht zum Teil nach eigenen Bedürfnissen oder Schwerpunkten der Schule zu gestalten, andererseits sind sie aber dazu verpflichtet, sich an die Forderungen des gemeinsamen Rahmenbildungsprogramms zu halten. EinTopf. Publizistisches. 3 seien die Kenntnisse noch vor zwei oder drei Jahren besser gewesen. Frau Brnická erklärt dies damit, dass infolge der Einführung des Schulinternen Bildungsprogramms Schulen je nach eigenem Ermessen mit dem Unterricht der Fremdsprache beginnen. Orientieren können sie sich darin also nur schwierig. Was kann noch den Unterricht behindern? Ein anderes Problem dagegen stellen die für viele Grundschüler attraktiveren Schulfächer dar. Wenn die Schüler ihre Wahlpflichtfächer wählen sollen, gewinnen meistens „attraktivere“ oder weniger anspruchsvolle Fächer, wie z. B. Informatik, Schwimmen oder andere Sportfächer, oft auch andere Fremdsprachen wie Spanisch oder Französisch. Gymnasiallehrer empfinden dieses Problem allerdings nicht mehr so stark. Es gibt auch andere Dinge, die den Deutschlehrern das Leben unangenehm machen können. Was Lehrbücher betrifft, können verschiedene kleinere oder größere Probleme auftauchen. Frau Masaříková hält z. B. den sächsischen Akzent, den sie von den CDs des Lehrbuchs Sprechen Sie Deutsch jeden Tag hört, für ganz unsinnig und inadäquat. Moderne „plurizentrische“ Lehrwerke versuchen aber, auch diesen Mangel zu beseitigen. Die Aufnahmen werden auch von Österreichern oder Schweizern, manchmal sogar von Nicht-Muttersprachlern gesprochen. Frau Zuzana Autratová aus demselben Gymnasium ist sich mit ihren Kolleginnen einig, dass sie mehr Zusatzmaterialien begrüßen würde. Man muss allerdings hinzufügen, dass das Angebot an solchen Materialien heute viel besser als früher ist. Die Deutschlehrerin Dagmar Zemanová aus dem Gymnasium T. Novákové in Brünn hatte noch ein anderes Problem. Das Lehrbuch Tangram Aktuell, nach dem sie ihren Unterricht gestalten soll, fand sie thematisch unpassend. Es waren aber sogar ihre eigenen Schüler, die sie von dieser Überzeugung abgebracht haben. Sie hat die Herangehensweise des Lehrbuchs zu schätzen gelernt, das ziemlich realistisch das Deutsch vorstellt – als eine Sprache, die floriert und in dem modernen Leben ganz normal verwendet wird. Dass sich Schüler über solche Dinge klar werden, ist nicht selbstverständlich. Es betrifft auch Schüler, die nicht die Möglichkeit hatten, ins Ausland zu fahren oder deutschsprachiges Fernsehen zu sehen. Jemanden kann in einem Artikel schon der erste Satz „Ich bin eine berufstätige Frau.“ abschrecken, wie eine Lehrerin berichtet. Auf der anderen Seite haben gerade die Deutschlerner heutzutage mehr Möglichkeiten, mit ihren Mitschülern ins Ausland zu fahren. Austauschaufenthalte, EU- oder UNESCO-Projekte werden ab und zu noch um das Angebot von Goethe- oder Österreich Instituten erweitert. Zu den weniger ernsten Problemen der Deutschlehrer gehört auch das: Frau Zemanová erzählt, wie sie ihre tschechischen Schüler bei einem Austauschaufenthalt aus den deutschen Diskos retten musste. Was dagegen gleichzeitig unterhaltsam klingen und trist sein kann, ist die deutsche Aussprache vieler Schüler und Studierender. Ein alter phonetischer Witz, den aber wohl schon alle persönlich erlebt haben, ist: Einige Leute benutzen noch heute Ziegen zum Transport. Aussprachemängel bei Schülern werden durch zu geringe oder zu große Aufmerksamkeit, die der Aussprache im Unterricht gewidmet wird, erklärt. Anders gesagt: Einige Lehrer verlangen, dass ihre Schüler möglichst gutes Deutsch sprechen und korrigieren die Aussprache so viel wie möglich; die anderen üben das Gegenteil aus – sie halten die Aussprache für nicht sehr wichtig. Man muss also die richtige Strategie finden und seine Lerner entsprechend motivieren. Mangelt es Ihnen an guten Ideen? Der Hueber Verlag hat seine 10 Gründe, warum man Deutsch lernen soll veröffentlicht. Die helfen Ihnen sicher! Sind Sie ein pragmatischer Geschäftsmann? – Deutschland ist das größte Exportland der Welt! Sind Sie ein stolzer Europäer? – Deutsch ist die meistgesprochene Sprache der EU! Oder sind Sie ein unverbesserlicher Kulturmensch? – Deutsch ist die Sprache Goethes, Nietzsches, Kafkas oder Beethovens. Ernten was wir säen Scheinen Ihnen die erwähnten Probleme zu abschreckend? Dann bleibt noch anzumerken, dass es der Lehrer ist, der den Unterschied macht. Denn Sie können sagen, dass Qualität der Quantität vorausgeht und Sie Ihre (mehr oder) nicht so massenhaft vorhandenen Schüler nach Ihrer besten Überzeugung unterrichten wollen. Es eröffnet sich aber auch die Möglichkeit, barockmäßig zu jammern: Es ist alles eitel…! Von Martina Reichmanová Auf der Suche nach freiem Raum für unsere Gedanken Akademischer Rundgang durch die Cafeterias der Masaryk-Universität Die Ausgangssituation ist immer die gleiche. Man hat zwischen zwei Vorlesungen oder Seminaren eine Stunde Zeit. Bevor der Vortrag des Lehrenden zu Ende geht, zerbricht man sich den Kopf mit der allerwichtigsten Frage des Tages: Wie nutze ich die Zeit, die zu kurz ist um in die nicht nahe liegende Mensa zu fahren und zu lang ist um einen Kaffee alleine zu schlürfen. Das Angebot an gemütlichen Plätzen an der Uni, wo man die „leere“ Zeit totschlagen kann, ist nicht besonders vielfältig. Neulich war ich in der Moravská zemská knihovna und der große Raum, den man da in der Bibliothek oder im Café hat, erinnerte mich daran, dass es schade ist, wenn man sich in einem kleinen Raum drängen muss. Vor allem wenn man sich ausruhen möchte, nachdenken oder einfach plaudern will. Die Schulbank macht uns sowieso EinTopf. Publizistisches. 4 schon beklommen, müssen wir uns da auch sonst noch unbequem fühlen? Man muss ja nicht so weit laufen, es reicht, wenn man die Fakultäten im Stadtzentrum vergleicht. Die Philosophische Fakultät – ein altes Gebäude, das zwar über neue Seminarräume verfügt, in dem es jedoch an gemütlichen Ecken mangelt. Das „Krmítko“ und das „Domeček“ sind sehr gut ausgestattet, aber leider hält man hier zu sehr an dem Grundsatz fest was klein ist, ist auch schön. Denn das „Domeček“ ist nicht nur von seinem Namen her ein Diminutiv, sondern es erinnert auch von innen an ein Puppenhaus. Es ist schwierig sich auf etwas konzentrieren, wenn man ständig daran denken muss, dass der Stuhl einmal kleiner ist als man selbst oder dass sich der Rücken über dem niedrigen Tisch bald in Krämpfen zu winden beginnt. Kann man da immer Platz finden oder in Ruhe jemandem Nachhilfe geben? Eher nicht. Die Fakultät der Sozialwissenschaften in der JoštovaStraße stellt für mich hingegen ein Musterbeispiel eines idealen Milieus für Studenten dar. Warum? Es gibt hier nicht nur eine Bibliothek, ein Krmítko und Seminarräume, sondern auch ein großes Atrium, wo man plaudern, arbeiten oder sich einfach entspannen kann. Der große Raum mit einem Glasdach bietet nicht nur Raum für unsere Körper, sondern auch für unsere Gedanken. Man sagt, dass große Räume unpersönlich und kalt sind. Ich fühle mich da aber sicherer und gemütlicher als in der vielleicht zu intimen Atmosphäre des „Krmítko“. Demgegenüber ist das „Krmítko“ der Pädagogischen Fakultät wahrscheinlich aufgrund des Raummangels an der Fakultät zu einem Keller geworden. Die Proportionen wurden jedoch eingehalten und mit ein bisschen Glück passen da auch fünfzehn Leute hinein. Bei den knapp 8 000 Studenten ist der Erwerb eines Platzes eine reine Kunst. Die Schlangen, die sich da gerne bilden, muss man dann nicht mehr beschreiben. Die Wirtschaftsfakultät hat überraschenderweise die „Krmítko-Problematik“ völlig unwirtschaftlich gelöst. Die Cafeteria befindet sich wie an der PedF praktisch im Keller. Die Wände sind dunkel gestrichen und die kleinen Tischlampen erinnern eher an ein Abendlokal als an ein Fakultätscafé. Man kann die Bedienung bewundern, dass sie dort bei dieser Atmosphäre auch langfristig arbeiten kann. Das alles führt dazu, dass man sich nur die allernötigste Zeit an der Fakultät aufhält. Wenn wir raus gehen, suchen unsere Schritte meistens einen Weg, auf dem man allein geht – nach Hause, in die Arbeit oder wohin auch immer. Die zeitlichen, finanziellen oder einfach persönlichen Gründe hindern uns oft daran, sich mit KommilitonInnen später in der Stadt zu treffen. Vor allem dann, wenn wir vorher eine Stunde an der Uni verschwendet haben und nun andere Aufgaben erledigen müssen. Es geht einem gar nicht in den Kopf, warum das eigentlich so ist. Wollen die Fakultäten nicht, dass wir länger bleiben? Ist heutzutage das akademische Milieu schwer zu finden? Die Situation in Deutschland ist dabei gar nicht weit vom Idealzustand entfernt. Als Beispiel beschreibe ich die Universität Bremen, an der ich zwei Semester studiert habe. Ehrlich gesagt wollte ich überhaupt nicht zurück nach Brünn. Das Universitätsgelände war zwar 15 bis 20 Minuten vom Stadtzentrum entfernt, aber wenn man morgens zur Uni kam, brauchte man während des Tages gar nicht wegzufahren, alles war zur Hand. Braucht man am frühen Morgen einen Kaffee, knurrt der Magen oder will man einfach die Pause genießen? Dann steht hier die Cafeteria zur Verfügung. Eigentlich ist sie nichts Besonderes, nur ein kleiner Stand mit Getränken, Gebäck, frisch bereiteten belegten Brötchen und Schokoriegeln. Die Kleinigkeit der Cafeteria ersetzt die Menge an Sitzplätzen und Tischen (zwei große Räume, Sitzplätze im Flur jedes Stockwerkes), wo man ganz ruhig essen, EinTopf. Publizistisches. 5 plaudern aber auch die wichtigsten Punkte des eigenen Vortrags wiederholen kann. Für den großen Hunger ist das Lieblingsgebäude des ganzen Campus da – die Mensa. Das Paradies für jeden Studenten. Neben der vielfältigen Auswahl an Hauptgerichten, Beilagen, Salaten oder Desserts gibt es auch hier zwei Kaffeestände und einen Raum zum Sitzen, der ca. dreimal so groß ist wie unsere Mensa. Wenn man den ganzen Tag an der Uni bleibt oder einfach Kraft für das nächste Seminar sammeln will, ist das der richtige Ort dafür. So kann man arbeiten, so will man studieren. Von Eva Pluháčková Das Gefühl der Revolution und der Geschmack einer Party Die Uni brennt! Die Uni ist besetzt! Bildung statt Punkte! Freie Fahrt für Bildung! Solche Slogans und Sprüche sind seit einem Jahr an fast allen deutschen Universitäten zu hören und zu sehen. Fast ein Jahr lang verläuft an der Universität Wien und auch an anderen Universitäten in Deutschland und Österreich ein Bildungsstreik. Aber warum? Die Antwort kann einfach aussehen. Die Studierenden protestieren gegen die Reform des Bildungssystems, gegen die Studiengebühren und gegen den Bologna-Prozess. Das sind natürlich ganz große und schwer durchschaubare „Gegner“. Zunächst sollte also über die Schlüsselbegriffe Klarheit herrschen. Der Bologna-Prozess ist ein politisches Vorhaben, dessen Ziel die Durchlässigkeit des europäischen Hochschulwesens ist. Der Bologna-Prozess wurde im Jahre 1999 in Bologna beschlossen und ist jetzt die bestimmende hochschulpolitische Ausrichtung der EU-Länder. Die Hauptanliegen des Bologna-Prozesses sind: die Förderung der europäischen Dimension in der Hochschulausbildung, die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (Bachelor und Master) und die Einführung eines Leistungspunktesystems, das die Übertragung von Credits zwischen einzelnen Hochschulen ermöglicht. So weit so gut, sagt sich der tschechische Student, das ist ja bei uns längst zur Norm geworden und keiner streikt. In Deutschland und in Österreich war aber das Hochschulstudium bis vor kurzem viel weniger formal geregelt. Die Bedenken, die die deutschen Studenten zu Streiks führen, haben wohl auch die meisten von uns gehabt; nur an organisierten studentischen Widerstand ist bei uns wohl nicht zu denken. Warum soll man sich etwa zunächst zum Bachelor-Studium des „Pedagogické asistentství“ anmelden, wenn es im Fach Deutsch als Fremdsprache in ganz Tschechien höchstens ein Duzend „pädagogische Assistenten“ gibt? Die tschechischen Studenten melden sich aber an, die tschechischen Unis bekommen keine Akkreditierung, wenn sie nicht das Bologna-gerechte „Pedagogické asistentství“ im Bachelor-Studium anbieten. Also ist der Bildungsstreik gar nicht so abwegig. Der Bologna-Prozess hat aber auch viele andere Proteste hervorgerufen, vor allem gegen die Ökonomisierung der Bildung, die Einschränkung studentischer Freiheiten oder die „Verschulung“ des Hochschulstudiums, d.h. die Überbelastung von Studierenden mit Pflichtkursen, die man sich „absitzen“ muss und die auf Kosten des richtigen, autonomen Studiums gehen. Deshalb gibt es an vielen europäischen Universitäten Demonstrationen, Streiks und auch Universitätsbesetzungen. Der Bildungsstreik ist ein Ausdruck von Unzufriedenheit der Schüler, Studenten und vieler Bildungsexperten mit dem Bildungssystem. In der aktuellen Initiative waren zum Beispiel im Jahr 2009 mehr als 250 politische Gruppen involviert. Einer der Hauptgründe für die Veranstaltung eines solchen Streiks ist sicher auch die Aufmerksamkeit, die dadurch in der Öffentlichkeit erregt wird. Die Veranstalter zählten im Jahr 2009 deutschlandweit etwa 200.000 Teilnehmer. Gefordert wird in der Regel immer ein unbeschränkter Zugriff auf Bildung, ausnahmslos, für jeden. Eine damit verbundene Forderung ist zum Beispiel die Abschaffung der Studiengebühren. Die Frage ist immer, inwiefern die Studiengebühren sozial verträglich oder aber für die Unis überlebenswichtig sind. Regensburger Bildungsstreik von innen Es gibt verschiedene Weisen, wie man seine Unzufriedenheit äußern kann. Von Flugblättern und Plakaten über Protestsongs, Debatten und Diskussionen bis zu Streiks, offenen Protesten und Demonstrationen, die manchmal selbst vor Gewalt nicht halt machen. Es gibt keine objektive Antwort auf die Frage, ob eine Weise besser, richtiger oder wirksamer ist. Mich persönlich aber haben am meisten die Protestsongs gefesselt. Nach meiner Meinung ist es eine gewaltlose Art, mit der man satirisch, künstlerisch und intellektuell seine Unzufriedenheit zeigen kann. Diese Taktik wurde während des Bildungsstreiks 2009/2010 oft eingesetzt. Die Frage ist nur, wie viele Leute man damit zu aktiver Mitarbeit gewinnen kann und ob man damit wirklich etwas ändert. Aber ich war nach ein paar Songs wirklich bereit, in die Straßen zu gehen und „Solidarisierung“ zu schreien. Leider gibt es nicht so viele Protestsongs und man zieht einen anderen Protest vor, der komischerweise ganz wie eine Party ausschaut. EinTopf. Publizistisches. 6 Ich hatte die Möglichkeit als Erasmusstudent den Streik an der Universität Regensburg mitzuerleben. Die meiste Zeit habe ich aber über eine Frage grübeln müssen: Ist der Bildungsstreik Ausdruck einer ernsthaften Bemühung etwas zu ändern oder nur eine Möglichkeit, für eine Weile ein Rebell zu sein? Während meines Studienaufenthalts in Regensburg traf ich mich mit vielen deutschen Studenten und jeder hatte zu der Problematik der Besetzung der Uni eine andere Meinung. Einer stimmte all dem Trubel zu und nahm auch aktiv an dem Streik teil. Es gab aber auch viele, die mit dem Ziel des Streiks einverstanden waren, sich aber nicht aktiv beteiligen wollten. Die Gründe dafür waren unterschiedlich. Aus Interesselosigkeit, aus der Angst vor den Eltern oder einfach aus Faulheit. Aber es gab auch viele, die den Streik nur als eine Möglichkeit zum Austoben und zu einer Rebellion sahen - eine Weile gegen das System zu gehen und viele Partys zu erleben. Denn, was ich mit meinen eigenen Augen sah, war die Tatsache, dass die Besetzung der Universität eine große, wochenlange Party war, intellektuell, aber auch wild. Überall sah man leere Bierflaschen, Zigarettenstummel und halbbetrunkene Studenten in den Schlafsäcken. Mein guter Freund aus Polen besuchte am ersten Abend die besetzten Hörsäle und hat es nur wie eine gute Party beschrieben. „Es gab dort ein Rockkonzert und man konnte warmes Essen und Alkohol kaufen.“ Er meinte, man konnte dort Spannung in der Luft spüren und alle waren erregt. Er hat den Vergleich zu der 68er Studentenbewegung gezogen – das Flair der Revolte und Akzente auf Solidarität, Gemeinschaft und Gefühl einer Wende. Für ihn sah es aber eher komisch und banal aus. Unter uns Erasmusstudenten herrschte bei weitem keine einheitliche Meinung. Manche haben die Besetzung völlig unterstützt. Andere hatten Angst, an den zwei besetzen Sälen vorbei zu gehen, denn manchmal war es echt kein schöner Blick. Noch andere nahmen es mit Humor und tranken manchmal mit den „Rebellen“. Manche haben nur Witze darüber gebracht. Jemand hat nur Witze darüber gemacht. Für alle von uns war der Streik aber auf jeden Fall eine wirkliche Sensation im sowieso spannenden Erasmusleben. Und so bin ich der Hoffnung, dass alles, was die deutschen Studenten an Protesten und Besetzungen anstellen, wirklich mit ihren Vorstellungen vom idealen Hochschulstudium übereinstimmt. Aber für mich und für viele Erasmusfreunde von mir war die Besetzung der Uni eher Attraktion und Budenzauber. Von Erik Netušil Dichter: also immer unterwegs Die Wiederentdeckung des mährischen Dichters Hugo Sonnenschein (1889-1953) „Ein politischer Befeuerer der neuen Weltanschauung durch die Arbeitermassen – und dies gerade aus tiefster, göttlichster Religion heraus.“ So hat einst der Rezensent Emil Saudek Hugo Sonnenschein und sein späteres Werk in der Wiener Zeitung der Abend beschrieben. Klingt die Meinung widersprüchlich? Das Wort Widerspruch kommt einem oft in den Sinn, wenn man von „Sonka“ (wie sich der Dichter nennen ließ) hört. Sonnenschein stammte aus der mährischen Slowakei, konkret aus Gaya (tsch. Kyjov) und einen Teil seines Lebens hat er in Wien verbracht. Er hat sehr gut tschechisch gesprochen, trotzdem hat er nur auf Deutsch geschrieben. Man sagte, dass er einer „zweifachen Minderheit“ angehörte – er war nämlich deutschsprachiger Jude in Mähren. Im Leben von Hugo Sonnenschein gab es mehrere Ereignisse und Tatsachen, die das Leben für ihn schwer gemacht haben. Neben einigen Gefängnisaufenthalten hat er Auschwitz überlebt und ist 1953 im kommunistischen Zuchthaus Mírov in der Nähe von Mohelnice verstorben. Auf der anderen Seite konnte Sonka manchmal nicht anders und hat das Feuer seiner Feinde selbst entzündet. Dabei wollte er nur durch seine Revolte auf die eine oder andere Weise die Menschheit befreien: Er stellte sich gegen „die Welt, die an die Uhr glaubt“. In seinem früheren Werk findet man auch den Satz: „Pater noster, der du bist/ allgerecht und Anarchist.“ Die Welt soll durch die Brüderlichkeit der Vagabunden, zu denen auch er gehörte, verändert werden. Es ist einfach sich vorzustellen, dass diese Zeilen auch einen Atheisten verärgern konnten. So wurde Sonka zu einem lästigen Außenseiter, der mehrmals verhaftet wurde. Eigentlich hat diese Benennung, wo immer er auch gelebt hat, gegolten. „…verbannt auf den Mond: auch dort zu Hause, nur immer fremd in der Heimat.“ Er war seit seinem achtzehnten Lebensjahr immer unterwegs, aber was alle Regime an ihm am meisten gestört hat, waren natürlich seine Ansichten. Sonka war ein unsteter, in einer ungerechten Welt gefangener Mensch: zunächst Revolutionär-Anarchist, später in der kommunistischen Partei engagiert. „Wo ist der Stolz des Vagabunden?“ hat Sonnenschein gefragt. Er hat die ganze Welt durchwandert, aber trotzdem hat er diesen Stolz nicht gefunden. Dennoch hat er gehofft, dass ihn eines Tages, wenn er nicht mehr da sein würde, jemand begreifen wird. Die Behörden der kommunistischen Tschechoslowakei haben aber dafür gesorgt, dass sein Werk für lange Zeit niemand würde lesen können – es wurde großteils konfisziert. Daher ist der Autor, auch wenn er durch seine Persönlichkeit so einzigartig war, heute fast vergessen. Sonka würde sagen: „ich schaffe – das heißt: ich siege.“ Also: Doch, ich kann die Welt verändern! Im März 2010 wurde in Brünn die erste umfangreichere tschechische Auswahl aus Sonnenscheins lyrischem Werk seit den 1930er Jahren vorgestellt: Zaběhl jsem se s toulavými psy, übersetzt von dem Olmützer Germanisten und Dichter Radek Malý. Von Martina Reichmanová EinTopf. Interviews. 7 Diplomatie? Ein Fliegender Zirkus! Mit dem tschechischen Diplomaten in Österreich über diplomatische Antworten, Kontakte, Vorurteile und das KFC in Wien Wie kann man Diplomat werden? Das ist wirklich eine Profifrage. Wie wird man Diplomat. An der juristischen Fakultät haben mir den größten Spaß diejenigen Kurse gemacht, die am Institut für Internationales und Europäisches Recht unterrichtet werden, also das Völkerrecht. Und das Völkerrecht kann man de facto nur in der diplomatischen Sphäre anwenden. In Schweden habe ich das Aufbaustudium an der Universität in Stockholm absolviert und nach meiner Heimkehr nach Tschechien habe ich mich beim Außenministerium um eine Stelle für Juristen beworben. Eigentlich war es ein Glück für mich. Dieses Auswahlverfahren habe ich gewonnen, und so bin ich im Jahre 2004 im Außenministerium angetreten. Und damit hat alles angefangen. Gibt es einige spezielle Eigenschaften, die man haben sollte, um diesen Beruf auszuüben? Zum Beispiel Offenheit? Nur die alltäglichsten Eigenschaften. Hauptsächlich sollte man keine Angst vor Menschen haben, weil der Beruf ziemlich „kontaktfreudig“ ist. Man sollte auch nicht zu hochmütig werden, wie ich das oft bei einigen Kollegen sehen kann. In der Gesellschaft wird immer geglaubt, dass die Diplomatie etwas Besseres ist. Damit bin ich gar nicht einverstanden. Ein Diplomat ist ein gewöhnlicher Staatsbeamter, der im Ausland wirkt. Punkt. Ich bin nicht der Ansicht, dass wir eine privilegierte Gesellschaftsschicht sind. Und in Österreich gilt das doppelt. Weil wenn man in derartigen Ländern sagt (wie Österreich, die Schweiz oder Deutschland, oder einfach in den Ländern, wo Menschen an Traditionen hängen), dass man als Diplomat tätig ist, so machen viele gleich einen tiefen Diener. Ich glaube, wir sollten das eher als einen Posten sehen. Ich bin dort als Vertreter der Tschechischen Republik entsendet, ich bin normaler Staatsbeamter und damit ist Schluss. Ich glaube aber, dass wir in zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren etwa die Hälfte der Privilegien von heute haben werden. Und das ist gut so. Diplomatie ist für ehrgeizige Frauen Gibt es etwas, worauf Sie verzichten mussten? Ich würde sagen, man muss auf die Häuslichkeit verzichten. Die Diplomatie ist ein fliegender Zirkus. Es sieht nicht so aus, aber wenn man sich das überlegt, ist das wirklich ein Zirkusleben. Man ist vier Jahre an einem Ort, von dort wird man weggerissen und dann wird man an einen anderen Ort geschickt und so fort. Man hängt immer in der Luft, und so ist es notwendig anpassungsfähig zu sein. Und man muss auch verzichten auf … na ja, verzichten … man findet auch schwer einen adäquaten Partner. Kaum jemand ist bereit, seine eigene Laufbahn zu unterbrechen und seinem Gegenüber zum Beispiel in die Mongolei oder anderswohin zu folgen. Dann gibt es hier auch die Frage der Kindererziehung und Ähnliches. Also was ich bei meinen KollegInnen oft sehe – es leidet das Familienleben darunter. Nicht jeder taugt dafür. Sie denken also, dass die Diplomatie eher für Männer als für Frauen geeignet ist? Nicht nur für Männer, auch für die Frauen, aber nur für diejenigen, die, sagen wir, ehrgeizig sind. Ich kenne eine Menge exzellente Diplomatinnen, die es bis zur Botschafterin gebracht haben. Aber wir wollen uns nichts einreden, das sind Frauen, die sehr auf Karriere orientiert sind. Also um die Familie kümmert sich z. B. der Mann. Aber ich akzeptiere das, das ist nichts, was ich verurteilen würde. Ich sage: Ich will Diplomatin werden. Was für eine Ausbildung verlangt dieser Beruf und wie kann ich an das Ministerium kommen? Es verlangt eigentlich nur ein beliebiges Hochschulstudium. Und was das Ministerium betrifft, dann entweder durch Diplomatenakademie, an der muss man ein Jahr studieren, oder durch Auswahlverfahren, wenn Sie schon eine juristische Ausbildung haben. Das Ministerium braucht Juristen und für die gibt es spezielle Auswahlverfahren. Zig-Mal wollte ich schon Schluss machen Wie sieht der Arbeitstag eines Diplomaten aus? Was ist Ihr Arbeitsinhalt? Wohl 99 Prozent der Gesellschaft sind der Meinung, dass ein Diplomat um 12 Uhr in die Arbeit kommt, ein Glas Whisky trinkt, sich eine Zigarre anzündet und darüber nachdenkt, ob er am Nachmittag Golf spielen soll oder nicht. So geht das aber nicht. Wir haben ganz normal einen achtstündigen Arbeitstag, mit Mittagspause. Ich persönlich komme am Morgen in die Arbeit und habe die Pflicht eine Medienübersicht vorzubereiten. Das heißt, was in den österreichischen Zeitungen über die Tschechische Republik steht. Oder ich arbeite an einer Agenda, die ich längerfristig verfolge, dass heißt die EU und die Außenpolitik, dann ob eine Erwähnung über „unsere Evergreens“ Temelín oder die Beneš-Dekrete abgedruckt ist. Dann habe ich Aufgaben, die einen langfristigeren Charakter haben. Wenn ein Besuch nach Österreich kommen soll, ist es meine Pflicht ein Programm zu gestalten, was nicht so leicht ist. Also ich würde sagen, es ist der gewöhnlicher Tag eines Staatsbeamten. Ja, es ist wahr, dass wir an festlichen Empfängen teilnehmen, jedoch … Wenn Sie zu einer solchen Veranstaltung eingeladen sind, schaut es auf den ersten Blick wunderbar JUDr. Jaroslav Knot, Ph.D. studierte vor ein paar Jahren Völkerrecht an der Juristischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn. Als Jurist arbeitete er am Außenministerium der Tschechischen Republik. Diese Anstellung brachte ihm die Möglichkeit Diplomat zu werden. Diese Chance versäumte er nicht und zurzeit wirkt er schon seit zwei Jahren als Diplomat an der tschechischen Botschaft in Wien. Nach fünf Jahren kehrte Jaroslav Knot nach Brünn zurück, diesmal allerdings an die Philosophische Fakultät, wo er im Studienfach Skandinavische Studien die Lehrfächer unterrichtet, die nicht nur das Recht, sondern auch die Ökonomie und das gegenwärtige Leben in Skandinavien angehen. EinTopf. Interviews. 8 aus, aber manchmal hat man keine Lust sich daran zu beteiligen. Wenn die Veranstaltung zum Beispiel um 19 Uhr beginnt und Sie haben schon ganz andere Pläne und Sie wissen, dass Sie dort mindestens zwei Stunden verbringen müssen. Aber es ist nötig, das zu machen, weil Diplomatie eine Kontakttätigkeit ist. Können Sie mir, bitte, einige Vor- und Nachteile der Diplomatenarbeit nennen? Ich beginne mit den Nachteilen. Das Ganze hat viel mit Zeitflexibilität zu tun, man muss de facto jederzeit bereit sein alles zu machen. Aber das hat man überall, auch bei Privatunternehmen. Der nächste Nachteil – oft leidet darunter das Familienleben. In der Diplomatie gibt es sicher mehr Scheidungen als im Alltagleben. Aber ich würde sagen, es ist keine Regel. Das hängt immer von den Partnern ab. Dann wenn man auf eine kleine Botschaft kommt, muss man mit dem Lagerkoller rechnen. Wenn man nur mit fünf oder sechs Menschen arbeitet, kennen sie sich gegenseitig bis ins Essgefach und man muss damit rechnen, dass die Krankheit früher oder später erscheint. Einen Vor- oder auch Nachteil kann der Chef darstellen. Wenn man einen guten Chef hat, hat man den Himmel auf Erden, auch in Zaire oder in der Mongolei. Wenn Sie mit dem Chef nicht auskommen, kann man auch hier um die Ecke in Bern oder in Wien sitzen und vier Jahre die reinste Hölle erleben. Die Vorteile – im Ausland beziehen sich auf Sie alle Privilegien und Freiheiten. Auf der Autobahn können Sie 200km/h rasen und es sollte Ihnen nichts passieren (Lachen). Man kann alle Steuerfreiheiten in Anspruch nehmen, das heißt Lebensmittel und Benzin billig kaufen. Aber das gilt als Kompensation für die Nachteile, die das Diplomatenleben mit sich bringt. Weiterer Vorteil sind zum Beispiel die Kontakte. Man trifft Leute, denen man normalerweise nicht begegnet. Gewöhnlich lernt man sonst z. B. keine Präsidenten oder Premierminister kennen. Das kann in gewisser Hinsicht auch ein Vorteil sein. Haben Sie sich irgendwann gesagt: Ich will das nicht mehr machen, das war jetzt wirklich das Letzte? Schon zigmal. Als ich in Prag war und dort schon das dritte Jahr gehockt habe. Ich war wirklich dabei das Ministerium zu verlassen. Ich sollte in einer Telekomfirma antreten. Damals habe ich mich mit meinen Plan einem von meinen Kollegen anvertraut. Das Gespräch mit ihm würde ich als eines von den wichtigsten bezeichnen. Er hat mich überzeugt, im diplomatischen Dienst zu bleiben, weil er geglaubt hat, dass ich für diese Arbeit Talent habe. Damals habe ich das nicht gedacht, aber ich bin seinem Ratschlag gefolgt und das war wirklich die beste Lösung, weil ich dann ein halbes Jahr später nach Wien gekommen bin. Also heute will ich mich ihm ganz herzlich bedanken. Zum dritten Mal kein Europa mehr, Herr Kollege Also Wien ist Ihre erste Station. Genau, die erste in meiner Karriere. Die Stelle haben Sie für vier Jahre. Haben Sie schon einen Plan für die Zukunft? Haben Sie ein Zielgebiet, wo Sie Ihren Dienst ausüben möchten? Ja, das habe ich. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte keines. Einmal würde ich gerne den Diplomatendienst in Skandinavien ausüben. Aber bevor ich dorthin komme, erwarten mich viel weniger attraktive Destinationen. Sie gehen dann also in ein „exotisches“ Land? Zum Beispiel nach Asien? Ich kann das nicht ausschließen. Meistens ändert es sich. Können Sie das beeinflussen? Ich kann zwar wählen, aber die Vorgesetzten beurteilen das und erst danach wird eine Empfehlung gegeben. Man sagt: So, Herr Kollege, kein Europa zum dritten Mal, wohin wollen Sie denn sonst? Ist es wahr, dass Diplomaten einen Kurs für das Überleben in schweren Bedingungen absolvieren müssen? Man hat diese Möglichkeit, den Kurs gibt es. An der Militärakademie in Vyškov werden solche Kurse veranstaltet. Sie sind aber nicht obligatorisch. Eine Menge meiner Kollegen hat das aber schon hinter sich. Die Wendung „diplomatische Antwort“ hat im normalen Sprachgebrauch eine bedenkliche Färbung. Wie soll ein Diplomat überhaupt antworten? Ich möchte Eines sagen. Wer die Geschichte ein bisschen kennt, dem sagt der Name Talleyrand etwas – das war ein französischer Diplomat, französischer Außenminister nach den napoleonischen Kriegen. Und einmal hat man ihm die Frage gestellt, wie ein Diplomat antworten sollte. Und Talleyrand hat geantwortet: Wenn ein Diplomat „ja“ sagt, meint er „vielleicht“, wenn er „vielleicht“ sagt, meint er „nein“, und wenn er „nein“ sagt, dann ist er kein Diplomat. Also ich halte mich daran. Welche Beziehung haben Sie zu Wien? Was gefällt Ihnen dort und was vermissen Sie? Meine Beziehung zu Wien ist sehr positiv. Was ich in Wien vermisse ist das KFC. Gibt es in Wien wirklich keines? Obwohl … Na, vielleicht gibt es dort doch eines. Ich muss schauen. Das KFC fehlt mir wirklich. Sonst ist Wien eine sehr angenehme und ruhige Stadt im Vergleich zu Prag. Meiner Meinung nach ist dort kein so großer Lärm wie in Prag. Es ist wirklich eine sehr angenehme Stadt. Wie nehmen die Österreicher die Tschechen wahr? Das ist die allgemeine Frage der österreichischtschechischen Beziehung. Die Österreicher können nicht vergessen, dass wir es waren, der ihnen die Monarchie zerstört hat. Sie sehen uns als Konkurrenten auf dem Gebiet der Wirtschaft, aber anderseits vergessen sie nicht, dass österreichische Banken einen erheblichen Anteil des tschechischen Marktes beherrschen. Also die Beziehung, würde ich sagen, ändert sich von einer leicht negativen zu einer pragmatischen. Auch bilden die Tschechen einen bedeutenden Anteil der Kundschaft in den Skizentren, also auch aus diesem Grund, würde ich sagen, kam es zu einer Wiedergeburt der tschechischen Sprache in Österreich. Viele Österreicher, besonders in den Grenzgebieten, lernen Tschechisch. In welchem Bereich ist die Zusammenarbeit schon entwickelt? Die Zusammenarbeit ist sehr entwickelt. Man muss vor allem den Banksektor erwähnen. Nächstes Jahr, im April 2011, wird die Ausnahme für den freien Personenverkehr abgeschafft, die Österreich und Deutschland in Beziehung EinTopf. Interviews. 9 auf die neuen Mitgliedsstaaten der EU für sich ausgehandelt haben. Ich sehe keine negativen Seiten, eher die positiven. Sie haben in Brünn studiert. Wie war das für Sie, hier zu studieren, und wie ist es, in der Position des Lehrers zurückkehren? Na, es war super. Deshalb kehre ich zurück. … Unterrichten macht mir Spaß. Und möchten Sie irgendwann in der Zukunft nur unterrichten, als Vollbeschäftigung? Sicher. Ich würde gerne hier in Brünn in den Skandinavischen Studien oder über Völkerrecht vorlesen. Sehr gern würde ich dazu auf 100 Prozent zurückkehren, zum Beispiel vor dem Ruhestand. Von Marie Vágnerová Ich fühle mich hier wohler als in Deutschland Ab und zu stößt man auf sie. Auf den ersten Blick würde man sie nicht erkennen, sie sehen nicht anders aus. Und trotzdem sind sie besonders. Sie verstehen und sprechen zwei Sprachen, als wäre es nur eine. Ein kommentiertes Interview mit Patrick Schmitt über das Phänomen der Zweisprachigkeit. Patrick Schmitt ist zweisprachig, spricht Deutsch und Tschechisch studiert an der Philosophischen Fakultät Germanistik und Anglistik lebte bis von drei Jahren in Deutschland spielt gerne Tennis und mag die chinesische Küche Bevor Patrick kommt, überlege ich, mit welcher Sprache ich anfangen soll zu reden. Da ich ein kleines Experiment vorbereitet habe, will ich es nicht gleich mit der unpassenden Sprachauswahl verderben. Ich nehme eine Flasche Wasser und stelle sie vor Patrick. Und sage nur den ersten Halbsatz auf Tschechisch. Wenn du das siehst, fällt dir das Wort auf Deutsch oder auf Tschechisch ein? Es ist mir auf Tschechisch eingefallen. Weil ich auf Tschechisch angefangen habe? Ich bin jetzt eher gewöhnt Tschechisch zu reden, weil ich jetzt hier lebe. Aber als ich hier hergezogen bin, dann wäre es wahrscheinlich umgekehrt gewesen. Patrick scheint ganz ruhig zu sein, die kleine Überraschung in Form der Sprachverwirrung scheint ihn gar nicht überrascht zu haben. Kein Wunder! Ich spreche mit einem Zweisprachler. Gleich beginne ich mit der Frage, die wahrscheinlich die Mehrheit interessiert. Warum hast du dich eigentlich entschieden, nach Tschechien zu gehen? Ja, das ist eine gute Frage. Das hat mehrere Gründe gehabt. Zum einen habe ich mich eigentlich hier immer ein bisschen wohler gefühlt als in Deutschland. Ich habe hier auch meinen besten Freund, den Großteil meiner Familie. Zum anderen war es auch schwieriger in Deutschland anzufangen zu studieren, besonders auch Germanistik, denn das sind schon gefragte Studiengänge dort. Und es ist jetzt nicht so, dass man in Deutschland diesen Einführungstest hat, wie zum Beispiel hier die TSP, sondern die Universitäten haben sich damals den Notendurchschnitt vom Abiturzeugnis angeschaut, und da war ich halt besonders wegen Mathe nur noch durchschnittlich gewesen, und auf Grund dessen haben sie entschieden. Du hast gesagt, du fühlst dich hier wohler als in Deutschland. Warum? Das hängt wahrscheinlich mit der Mentalität der Menschen aus der Region dort, wo ich aufgewachsen bin, zusammen. Ich würde mal sagen, die Tschechen sind etwas offener und können besser damit umgehen, dass ich ein Halb-Deutscher bin als in Deutschland die Deutschen damit, dass ich Halb-Tscheche bin. Die Deutschen haben Vorurteile gegenüber den Tschechen. Da ist schon eine gewisse Distanz da. Meine Mutter hat dieses Gefühl von mir nie verstanden. Eigentlich ist das paradox, dass sie als Tschechin sich in Deutschland wohler fühlt. Diese Klischees und Stereotypen über Tschechen, das sagt dir also nichts? Nein, das empfinde ich überhaupt nicht. Wenn ich das jetzt ganz extrem ausdrücke: Die Tschechen sind etwas kumpelhaft, während die Deutschen eher Geschäftsleute sind. So empfinde ich die Mentalität. In Brünn studierst du Deutsch und Englisch. Warum hast du dich für das Studium der Sprachen entschieden? Als ich noch auf dem Gymnasium war, habe ich eigentlich gedacht, dass ich irgendetwas Mathematisches studieren werde. Ich dachte immer, ich bin ganz gut in Mathematik, meine Klausuren waren immer ganz gut. Dann war ich irgendwann mal krank geworden im letzten Jahr, die Krankheit hat drei Wochen gedauert. Ja, und als ich zurück gekommen bin, war das Fach, wo ich die meisten Probleme hatte, Mathematik. Und ich musste Abitur machen, das war auch nicht so gut gelaufen. Dann habe ich mir gedacht: Mache ich lieber etwas anderes, was ich auch ganz gut kann. Tut es dir jetzt nicht Leid? Nein, ich hatte mal angefangen auch Informatik zu studieren, als ich noch in Deutschland war, und das war auch mit viel Mathematik verbunden. Das war schon sehr, sehr anstrengend und ich habe das dann abgebrochen. Findest du, dass das Deutschstudium für dich leichter ist? Dieses Deutschstudium ist nur einfacher, was die Sprachübungen angeht, weil ansonsten - Literatur und Geschichte, das muss ich alles genauso lernen wie die anderen auch. Das Spannende und gleichzeitig das Schwierigste an Bilingualismus ist die Art und Weise des Spracherwerbs. Seit drei Jahren lebt Patrick in Brünn, kommt aber aus einer Kleinstadt, die etwa 30km von Frankfurt am Main entfernt ist. Welche Erinnerungen hat er im Zusammenhang mit den zwei verschiedenen Sprachen? Wie ist die Sprachverteilung in deiner Familie? Meine Mutter ist Tschechin, die spricht Tschechisch mit mir und mein Vater ist Deutscher und der kann nicht Tschechisch. Nur ein paar Worte vielleicht. EinTopf. Interviews. 10 Von Anfang an hast du also zwei Sprachen gehört. Ja, für mich war das kein Problem. Es ist schon vorgekommen, dass ich das mal verwechselt habe. Dass ich ein Wort in der anderen Sprache gesagt habe, aber das ist mir gleich aufgefallen und ich habe mich dann gleich korrigiert. Jetzt kann ich das schon ganz gut trennen, denke ich. Es ist schon lange nicht passiert, dass ich das durcheinander gebracht hätte. Hast du dich mal mit zwei Sprachen überfordert gefühlt? Eigentlich nicht. Man hat mir gesagt, dass ich zuerst Tschechisch geredet habe und dann erst Deutsch. Das hängt damit zusammen, dass ich viel mehr mit meiner Mutter geredet habe als mit meinem Vater. Aber ich kann nicht sagen, dass ich irgendwann mal damit Probleme gehabt habe. Jetzt lebst du hier auch mit deiner Familie? Ja, ich bin erst selbst umgezogen und meine Eltern sind dann später nachgekommen. Aber eventuell werden die wieder zurück gehen, das weiß man noch nicht. Mir ist das im Moment eigentlich so lieb, wie es ist, weil ich hier studiere. Welche Sprache wählt man, wenn man zwei zur Verfügung hat? Ich grübelte darüber, ob Patrick bestimmte Regeln dafür hat, ob er vielleicht bei bestimmten Tätigkeiten oder in besonderen Situationen gerade nur diese eine Sprache benutzt. Befragt wurde das Nachdenken, die Rezeption der Medien, aber auch das Schimpfen. Besonders bei Schimpfen war sich Patrick gleich sicher, welche Sprache er gerne spricht und wusste auch den Grund nennen. In welcher Sprache denkst du nach? In welcher liest du Zeitungen? In Deutschland habe ich immer auf Deutsch überlegt, mittlerweile hat sich das relativiert. Ich überlege sehr oft jetzt auch auf Tschechisch, aber immer noch auch auf Deutsch. Die Zeitungen lese ich meistens auf Deutsch. Es hängt halt damit zusammen, dass ich beim Lesen finde, dass meistens die Reporter entweder besser informiert sind oder professioneller an die Sache herangehen. Das sieht man auch im Fernsehen, wenn man zum Beispiel Formel 1 guckt, ist das Programm von den Deutschen viel besser aufgearbeitet als das der Tschechen. Außerdem ist das deutschsprachige Informationsangebot viel größer. In welcher Sprache schimpfst du? Tschechisch. Im Tschechischen ist es halt bissiger als im Deutschen. Wenn ich auf Deutsch Scheiße sage, ist es halt nicht dieselbe Qualität wie wenn ich im Tschechischen sage do prdele. Würdest du sagen, dass eine Sprache deine stärkere bzw. schwächere ist? Das hätte ich vielleicht gesagt vor ein paar Jahren, weil wenn man mit einer Sprache im Kontakt ist, ständig, dann ist man sich - oder war ich mir - von der Rechtschreibung her im Tschechischen eher unsicher als im Deutschen. Es ist jetzt so bei mir, dass ich diese „vyjmenovaná slova“, die es im Tschechischen gibt, nicht auswendig kenne, ich habe das nie gelernt, aber vom Gefühl her, denke ich, entscheide ich in den meisten Fällen richtig. Jedes Ding hat zwei Seiten, sagt man. Wie sieht es aber bei der Zweisprachigkeit aus? Ich, Einsprachler, würde sofort behaupten, dass sie nur Positives mitbringen kann. Da fehlt es aber an persönlicher Erfahrung, denn aus Patricks Sicht gehört dazu mehr als nur die Sprache (eigentlich zwei Sprachen). Empfindest du die Zweisprachigkeit als Vorteil oder als Nachteil? Es hat schon Vorteile, natürlich, hat aber auch Nachteile gehabt. Nachteile waren jetzt weniger mit der Sprache verbunden, sondern mit meinen zwei Nationalitäten. Ich habe ja auch beide Staatsangehörigkeiten. Nach dem Abitur wurde ich vom Militär wegen Wehr- bzw. Ersatzdienst angeschrieben, sowohl von den Tschechen als auch von den Deutschen. Aber bei den Tschechen war das schon das Jahr, wo das dann abgeschafft wurde. In Deutschland musste ich es aber machen. Das war dann schon ein Nachteil wegen dem Studium, weil ich ein Jahr verloren habe. Und die Vorteile? Die Vorteile sind natürlich bei der Sprache, ich habe halt ein größeres Spektrum, wenn ich z.B. im Internet Informationen suche. Es gibt noch einen anderen Vorteil, wenn ich jetzt z.B. eine andere Sprache erlernen möchte, es ist für mich einfacher als es wohl für einen einsprachig Erzogenen ist. Ich kann auch sehr gut Englisch sprechen und wenn ich möchte, kann ich so einen Akzent wählen, dass man nicht gleich erkennen kann, dass ich ein Ausländer bin. Du nimmst an der Uni auch an Übersetzungsseminaren teil, wie ist es für dich? Funktioniert der Übersetzungsprozess automatisch? Nein, das ist nicht immer automatisch. Manchmal ist es sogar schwieriger für mich als für die Leute, die eine Sprache aus einer anderen Sprache erlernt haben. Für sie ist es so: Sie haben ein Wort und sie haben einfach gelernt, dass zu diesem Wort dieses und jenes Wort in der anderen Sprache gehört. Bei mir ist es so, dass ich manchmal länger überlegen muss, weil ich diese Sprachen unabhängig voneinander gelernt habe. Aber ich übe jetzt auch schon, dass ich diese Sprachen besser verknüpfen kann. Es gibt aber zu jedem Wort immer mehrere Übersetzungsmöglichkeiten und der Vorteil ist, dass ich dann immer weiß, welches Wort passend oder das Richtige ist. Von Eva Pluháčková Mit dem Aufwand ist es für die hiesigen Studenten nicht extrem Interview mit der deutschen Lektorin Kristina Wermes über die Tschechen, den Unistreik und ihre Zukunftspläne. Die 25-jährige Leipzigerin Kristina Wermes hat Hispanistik und Deutsch als Fremdsprache an der dortigen Universität studiert und von September 2009 bis Juni 2010 wirkt sie als Sprachassistentin an der Philosophischen Fakultät in Brünn. Stadt ohne Fahrradwege Wie gefällt dir Brünn? Ich bin sehr begeistert. Es ist auch so ähnlich wie Leipzig – die Stadt ist fast gleich groß und auch das Zentrum ist EinTopf. Interviews. 11 sehr ähnlich. Es gibt hier auch viele tolle Cafés und Konzerte, wo man hingehen kann. Hast du einen Lieblingsort hier? Ich habe einige Lieblingscafés, und wenn ein schönes Wetter ist, dann gehe ich nach der Arbeit gern auf dem Špilberk spazieren. Wie lang willst oder wirst du in Brünn bleiben? Ich würde gern länger hier sein, aber ich kann nur bis Ende Juni 2010 bleiben. Dann kommt wieder eine neue Sprachassistentin. Aber ich weiß schon, wo ich dann hingehe. (Lächeln) Wohin denn? Nach Ústí nad Labem. Was sagst du zum (deutschsprachigen) kulturellen Angebot in Brünn? Ich war sehr überraschst, wie vielfältig das hier eigentlich ist. Es gibt so viele Kinoveranstaltungen, die deutschsprachig sind, so kann man zumindest die deutsche Sprache hören, natürlich mit Untertiteln. Dann gibt es viele Theaterveranstaltungen, deutsche Theatergruppen und die Lange Nacht, und ich finde hier wird viel gemacht in der deutschen Sprache, sodass den Studenten und natürlich auch mir, die noch nicht so gut tschechisch verstehen, viele Möglichkeiten geboten werden, wo man hingehen kann. Fehlt dir etwas in Brünn? Ich bin in Leipzig immer mit dem Rad gefahren und habe auch mein Rad nach Brünn mitgebracht, aber bin bisher nicht so viel gefahren, weil es hier keine Fahrradwege gibt. Aber zweimal im Jahr wird so eine Protestfahrt organisiert, die den Bau neuer Fahrradwege zum Ziel hat. In Leipzig gibt es viele Wege und mehr Platz und auch die Autofahrer sind an die Fahrradfahrer gewöhnt und nehmen mehr Rücksicht auf sie. Die Vorurteile lehne ich ab Warum hast du dich gerade für Tschechien entschieden? Das hat mehrere Gründe – ich habe schon ein bisschen Tschechisch gelernt, weil ich vorher noch keine slawische Sprache gelernt habe, und eigentlich mag ich das Tschechische sehr als Sprache, es klingt sehr schön in meinen Ohren. Und dass Tschechien sehr nahe an Deutschland liegt hat auch eine Rolle gespielt, weil ich momentan nicht für eine längere Zeit sehr weit weg leben wollte. Hattest du einige Vorstellungen oder Vorurteile über Tschechen und Tschechien gemacht oder gehört, bevor du hierher gekommen bist? Haben sich die Vorstellungen irgendwie geändert? Das ist eine sehr gute Frage. Meine Großeltern leben im Grenzgebiet im Dreiländereck zwischen Tschechien, Polen und Deutschland. Im Grenzgebiet merkt man immer sehr stark, dass es schon viele Vorurteile gegen Tschechen gibt – z.B. wenn etwas geklaut wird, dann sind es immer die Tschechen gewesen. Das sind die Vorurteile, die ich kenne, aber ich bin mir sehr bewusst, dass es erstens gar nicht stimmt, zweitens bin ich ein Mensch, der grundsätzlich versucht offen an alle Sachen heranzugehen und dann berufe ich mich auch nicht auf Vorurteile. Wie gut kannst du Tschechisch? Besuchst du einen tschechischen Sprachkurs? Ich bin leider noch Anfänger….Anfängerin im Tschechischen, ich habe in Leipzig zwei Semester Tschechisch besucht, aber nur zwei Stunden wöchentlich. Jetzt habe ich Privatunterricht und jede Woche gehe ich zum tschechischen Stammtisch, was auch praktisch ist, aber sonst rede ich an der Universität hauptsächlich Deutsch und das erschwert es natürlich große Fortschritte zu machen. Du hast jetzt erst „Anfänger“ gesagt und dich dann gleich mit „Anfängerin“ korrigiert. Hast du das Ziel, eine gendergerechte Sprache zu sprechen? Ich muss sagen, ich achte schon darauf. Es gibt Klassen, auch an der Germanistik, wo fast nur Frauen sind und nur ein Mann und ich versuche es dann auch in der Sprache aufzugreifen. Ich denke, es ist wichtig auch in der Sprache zu versuchen, die weiblichen Studentinnen zu berücksichtigen. Manchmal weiche ich aus und sage „die Studierenden“, aber es klingt nicht so gut, aber man kann auch versuchen beides zu sagen – „die Anfängerinnen und die Anfänger“. Bei den „Studierenden“ – das ist schon ziemlich gebräuchlich. An den Universitäten und in den Abschlussarbeiten wird verlangt, dass man darauf achtet bzw. dass man mindestens in der Fußnote sagt, wie man das handhabt, wie man damit umgeht. Hast du eine tschechische Lieblingsspeise oder ein Lieblingsgetränk? Ich habe den mährischen Wein für mich entdeckt, zum Beispiel war ich letzte Woche zu einer Weinverkostung in Mikulov. Ich habe vorher gar nicht gewusst, dass es hier Weinberge gibt. Svíčková schmeckt mir auch sehr gut. Wenn man nicht immer Fleisch essen will, finde ich es ein bisschen kompliziert, dann muss man wissen, wo man hingehen kann. Ich will nicht nur an der Uni unterrichten, mit dem Doktortitel ist man dann schon überqualifiziert Hast du schon irgendwann gelehrt? Ich habe ein halbes Jahr in Chile gelebt und an der dortigen Universität unterrichtet. Außerdem hatte ich auch mehrere Kurse in Deutschland – Deutsch als Zweitsprache, also einen Kurs für MigrantInnen, dann z.B. einen Intensivkurs für französische Jugendliche. An der Fachhochschule Zwickau habe ich noch Erasmusstudenten in einem vorbereitenden Fachkurs unterrichtet. Für viele Menschen klingt Chile als ein ganz exotisches Land. Hast du dort einige Fähigkeiten oder Geschicklichkeiten erworben? Ich habe mein Spanisch verbessert, ich spreche jetzt ganz fließend und habe dort zum ersten Mal eine längere Zeit an der Universität unterrichtet. Das war eine sehr wichtige Erfahrung. Das war auch lustig, weil ich zu dem Zeitpunkt ungefähr gleich alt war wie die Studenten. Das war dann sehr komisch, vor den Studenten als Lehrerin zu stehen, aber vor allem war es eine ganz wichtige Erfahrung. Ich bin dort auch viel gereist, aber das EinTopf. Interviews. 12 Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass man überall klar kommen kann, dass man sich überall zurecht finden kann, auch wenn man gar keine Personen kennt und auch wenn man die Sprache am Anfang nicht so gut versteht, weil natürlich in Chile ein bisschen anders gesprochen wird als in Spanien. Wirst du dein Spanisch-Studium einmal fortsetzen? Ich plane das im Moment nicht. Ich schiebe es nicht vollkommen von mir weg, aber es ist ein Problem im Deutschland. Wenn man einen Doktortitel in den Geisteswissenschaften macht, dann ist der Berufsweg ziemlich klar, man bleibt an der Universität oder hat eine leitende Position an einem Institut außerhalb der Universität und das sind Sachen, die ich nicht machen möchte. Ich will vor allem unterrichten, nicht ausschließlich an einer Universität, ich würde auch gern Deutsch als Zweitsprache unterrichten. Mit dem Doktortitel kann man das dann nicht machen, dann ist man oft schon überqualifiziert. Außerdem sind die Jobs zu schlecht bezahlt. In Wien und noch vielen anderen Städten in Deutschland und Österreich gab es Proteste gegen die Bologna-Reform. Du hast sowohl die deutsche Universität absolviert als auch an der tschechischen gelehrt. Meinst du, dass es im tschechischen Milieu möglich ist, einen Protest zu organisieren oder kannst du vielleicht die Situation an den Universitäten vergleichen? Die Studenten in Deutschland haben sich hauptsächlich gegen die Umsetzung des Bolognasystems gerichtet, weil einige Dinge nicht optimal gelaufen sind. Die Studenten sind überfordert mit dem Studium und viele von ihnen haben auch psychische Probleme, weil sie großem Druck ausgesetzt sind, parallel kämpfen sie noch gegen Studiengebühren. In der Tschechischen Republik gibt es keine Studiengebühren und ich habe das Gefühl, dass das Bachelorstudium hier ganz anders funktioniert als in Deutschland. Ich denke, dass es größtenteils noch die alten Studiengänge sind und dadurch haben die Studenten keinen so großen Arbeitsaufwand. Die Module hier sind meiner Erachtens nicht so streng, aber in Deutschland muss jedes Modul irgendwie abgeschlossen werden. Wenn es dann noch aus drei Teilen besteht, muss jeder Teil abgeschlossen werden und das ist ein sehr großer Aufwand für die Studenten. Meiner Meinung nach ist das hier nicht so extrem, was den Aufwand betrifft. Natürlich könnten hier auch Proteste entstehen, wenn man Studiengebühren einführen sollte. Es gibt hier eigentlich keine Fachschaftsräte, was ich sehr bedauere und auch nicht wirklich eine studentische Selbstorganisation, worin ich das Problem sehe – wie kann man dann einen Protest organisieren? Das ist ohne solche Strukturen schwieriger. Die meisten Studenten machen sich keine Gedanken darüber, ob man etwas verbessern kann, sie akzeptieren das System einfach. Die Universitätsbibliothek könnte besser ausgestattet sein Du leitest jetzt das Seminar „Literarische Spaziergänge“, das auf das ehemalige Projekt des Lektors Winfried Adam anknüpfen soll. Auch damit hast du schon einige Erfahrungen. Kannst du uns das Projekt kurz vorstellen, mit deinem Leipziger vergleichen und sagen, was es Neues bringen sollte und worauf wir uns freuen können? Die Projekte sind nur zum Teil ähnlich. Wie bei dem jetzigen Projekt gab es zwar ein Seminar, aber es hatte ein ganz anderes Thema – es war Deutsch als Zweitsprache, es ging um Analphabeten unter den Migranten. Es ging darum, wie man Projekte starten kann und mit welchen Methoden man Analphabeten-Migranten helfen kann, überhaupt Schreiben und Lesen auf Deutsch zu lernen. Die Grundlage für das Brünner Projekt war das Seminar von Winfried Adam, der vor vier Jahren einen Spaziergang zusammengestellt hat, wo Schriftsteller und andere wichtige Persönlichkeiten von Brünn vorgestellt wurden. Es wurden dabei auch Texte der Autoren vorgelesen. Beim Stadtrundgang gab es viele Stationen, wo die Personen gelebt und gearbeitet oder wo sie ihre Zeit verbracht haben. Die Idee meines Projekts ist eine neue Überarbeitung, Hinzufügung neuer Schriftsteller und ein Blick auch auf jetzige Autoren in Brünn, die vielleicht nennenswert sind. Es wird ab Juni, spätestens Anfang Juli im Internet zugänglich sein, wo auch audio-mp3-Dateien zum Herunterladen zur Verfügung stehen werden (Link: http://literarischer-spaziergang.wz.cz/). Auch werden wir im Mai und noch im Juni zusammen mit den Studenten der Theatergruppe an der Philosophischen Fakultät den Stadtrundgang für die Öffentlichkeit durchführen. Wie findest du eigentlich das Sprachniveau der Studenten und die Ausstattung des Instituts an der Philosophischen Fakultät? Ausgestattet sind wir sehr gut, dass kommt sowohl durch die DAAD-Lektorinnen, als auch die aus Österreich, die viele Materialien mitbringen, dazu viel anschaffen können und Geld haben, um Projekte und Exkursionen zu machen. Die Universitätsbibliothek könnte besser ausgestattet sein, aber es gibt auch den deutschen Lesesaal, der das ein bisschen ergänzt. Was das Sprachniveau betrifft – am Institut gibt es den Eingangstest, aber in Ústí nicht, so entsteht ein Problem. Erstmal müssen die Studenten zwei Jahre Sprachkurse machen, damit sie überhaupt Vorlesungen und Seminare folgen können. Das ist jetzt natürlich übertrieben, aber so ungefähr ist es. Hast du schon einige zukünftige Projekte im Kopf? In Brünn werde ich leider nicht mehr Zeit haben, neue Projekte durchzuführen, obwohl mir viele einfallen würden. Für Ústí denke ich, dass man dort sehr gut einige Kooperationsprojekte machen kann, weil es so grenznah ist und es bietet sich an, etwas gemeinsam mit Dresden zu machen. Dort kann man auch ein Bachelorstudium Tschechisch machen, so sehe ich viele Möglichkeiten mit beiden Studentengruppen an unterrichtspraktischen Projekten zu arbeiten. Was hast du nach Ústí vor? Das weiß ich eigentlich gar nicht. Ich muss mich erst herausfinden, ob mir dieser Weg – Unterricht an der Universität, den ich momentan ganz toll finde, nach fünf Jahren immer noch viel Freude machen wird. Ich halte mir dann alle Wege offen und meine, dass es nie zu spät ist, noch etwas Neues anzufangen. Von Tomáš Stříbný EinTopf. Theaterkritiken. 13 Eine Liebesgeschichte über Pipi und Popo – und noch etwas dazu Leoncianer. Georg Büchner, Leonce und Lena Im Rahmen des Brünner Festivals studentischer Theatergruppen Drehbühne 2010 wurde Georg Büchners Drama Leonce und Lena aufgeführt. Die Zuschauer konnten dieses Drama als das erste Stück des ganzen Festivals am 6. Mai 2010 sehen. Dieses satirische Lustspiel wurde von der Wiener Theatergruppe Leoncianer aufgeführt. Prinz Leonce vom Königreich Popo soll gegen seinen Willen Prinzessin Lena vom Königreich Pipi heiraten, flieht von zu Hause, trifft aber, ohne es zu wissen, Lena, die ebenfalls auf der Flucht vor der Heirat ist, verliebt sich in sie und heiratet sie schließlich doch. Klingt das wie ein literarisches Klischee? So ist das aber ganz und gar nicht. Im Vordergrund spielt sich zwar die Liebesgeschichte ab, aber im Hintergrund kann man die fast aussichtslose Suche nach Lebenserfüllung oder die Kritik am Absolutismus erkennen. Es treten drei Hauptfiguren auf: der melancholische, verbitterte und sarkastische Prinz Leonce, die schöne und zarte Prinzessin Lena, und der scheinbar aufgeklärte, in Wahrheit jedoch völlig geistlose und lächerliche König. Die parasitäre Hofgesellschaft wird anhand der drei Sekretäre des Königs vorgeführt. Wenn der geistesabwesende König fragt: „Was bedeutet der Knoten in meinem Schnupftuch? An was wollte ich mich erinnern?“, dann antwortet der Erste Kammerdiener völlig absurd: „Der Knoten bedeutet, Eure Majestät wollten sich – an etwas erinnern!“ An was wollte ich mich überhaupt erinnern?, sagt also der wie ein großes Baby angezogene König (sogar mit Windeln!), dessen verwirrte Entscheidungen im ganzen Reich als Gesetze gelten. Der Zuschauer muss nicht lange eine Antwort auf diese Frage suchen. Die Leistungen der Schauspieler waren überzeugend und unterhaltsam, spielfreudig und natürlich, nicht im Geringsten konnte man ihnen Nervosität oder Unsicherheit anmerken. Erfrischend waren auch die Schlichtheit und die klare Linie der Kostümgestaltung. Man konnte eine reiche Bekleidung erwarten, das Stück spielt doch an einem Fürstenhof im 19. Jahrhundert. Aber die Leoncianer haben bewiesen, dass Einfachheit und klares Konzept besser sind. Alle in weißen Shorts und T-Shirts gekleidet, jeder mit einem für die jeweilige Rolle charakteristischen Beiwerk – Lena mit weißem Rock, die Gouvernante mit Schürze und der König mit Krone, Hermelin und Windeln statt Shorts, als Symbol der Naivität und seelischer Kleinheit. Kurz: Der lächerliche Könighof von Popo wird als Kinderzimmer dargestellt mit einem übergelehrten und trotzdem unmündigen König an der Spitze. Wenn schon von König Peter mit Windeln die Rede ist, liegt seine Originalität auch darin, dass er während des ganzen Stückes an sich sehr interessante Gedanken ausspricht, bei denen das aufmerksame Publikum schnell zu lachen beginnt. Zum Beispiel der oft wiederholte Satz Der Mensch muss denken klingt von ihm wie von einem Kasperl. Und so denkt zumindest der Zuschauer: War ich etwa der Meinung, dass für ein Drama aus dem Jahre 1836 die Schauspieler prachtvolle und schwere Kulissen brauchen? Irrtum. Der Mensch muss doch denken! Und so sind auf der Bühne nur sieben Stühle und eine Halde von Bierkästen gestanden. Und nachdenken müssen die Zuschauer auch darüber, wer Leonce ist und wer Lena ist. Der Satz: Ich bin ich! (König) gilt nämlich in dieser Aufführung von Leonce und Lena nicht so genau. Die Hauptfiguren überraschen die Zuschauer auch dadurch, dass die Prinzessin vom Königreich Pipi von einem Mann dargestellt wird, und dass den Prinzen vom Königreich Popo eigentlich eine Frau spielt. Und überhaupt… alle Figuren stellten in ihren Rollen das jeweils andere Geschlecht dar. Gerade der Plan, die Rollen zu tauschen, bleibt dem Zuschauer garantiert länger als eine Woche im Kopf hängen. Und das ist das Ziel jedes Kunstwerks, nicht? – eine Spur zu hinterlassen. Die Wiener Leoncianer haben einfach alle Erwartungen des Publikums übertroffen. Im Stück waren die Originalität mit der Klassik, die Schlichtheit mit Action und das Lachen mit der Kritik verbunden. Und wenn man dazu noch die Dynamik hinzufügt, hat man ein originelles und anregendes Theatererlebnis. Von Marie Vágnerová Ich suche. Aber ich suche auch, was genau ich suche. Gruppe 07. Martin Heckmanns, Wörter und Körper Lina Sommers Suche ist eine recht hoffnungslose. Nicht nur deshalb, weil die junge Frau nicht einfach durch Geld oder eine neue Bekanntschaft zufrieden gestellt werden kann. Lina hat eine EinTopf. Theaterkritiken. 14 scheinbar feste Lebenssicherheit nach der anderen verloren: Ihre Eltern sterben, sie kommt mit ihrem Job nicht zurecht, muss ihre Elternwohnung aufgeben, ihr Glaube an die Menschen wird erschüttert, ihre Sprache gehorcht ihr nicht mehr, ihre Lust zu leben scheint auch zu schwinden. Trotzdem behält sie die Hoffnung, das zu finden, wovon sie nicht weiß, was es ist. Sie sucht es fast mit Genuss. Sie weiß, dass die Suche ehrlich ist. Lina Sommer ist die Hauptfigur des zeitgenössischen Theaterstücks Wörter und Körper von Martin Heckmanns, das die Gruppe 07 vom Institut für Germanistik der Philosophischen Fakultät Brünn für das diesjährige Theaterfestival „Drehbühne“ vorbereitet hat. Die Gastgeber des Festivals haben kein einfaches Stück in Angriff genommen. Es ist voll von geduldetem oder erzwungenem Selbstbetrug, der gar nicht einfach auf die Bühne übertragen werden kann. Viele Menschen in Heckmanns´ Welt spielen ihre angelernten Rollen und tragen ihre fest angewachsenen Masken. Die attraktive Boutique-Verkäuferin Esther macht noch immer bei dem Flirt mit, in dem sie nur mehr „konsumiert“ wird. Der früh pensionierte, vereinsamte Wachmann täuscht vor, er sei am Bahnhof als Ordnungshüter angestellt, um Menschen berühren zu können, wenn auch indem er sie anschreit und vom Perron abführt. Gerade diese Menschen werden von der kompromisslos einfühlsamen Lina durchschaut und auf die Bahn zu sich selbst gelenkt. Am schlimmsten sind aber diejenigen Figuren, die das eigene Gesicht hinter der Maske schon vergessen haben. Das sind dann aber keine Außenseiter mehr, sondern Anzugsträger. Ein unbeirrbarer „Seitenspringer“, der nicht nur die Ehefrau, sondern auch die Geliebte zum Narren hält; ein Werbetexter von Beruf, der einen von Linas hellhörigen Sätzen tatsächlich verdient: „Du rechnest. Du denkst nur, du denkst. Aber in Wahrheit rechnest du.“ Es sind übrigens gerade nur diese beiden Emporkömmlinge, die kein Problem mit der Sprache haben. Der Werbetexter ist sogar eine wahre Quelle von Bonmots – solange er nicht von sich selbst spricht. Auf die beiden Aufsteiger scheint Linas ansteckende Suche nach der Selbsterkenntnis nicht die klärende Wirkung zu haben wie auf die weniger abgehärteten Figuren. Erst ganz zum Schluss sehen wir die beiden Erfolgsmenschen entspannt herumhüpfen – als Pilger bzw. Akkordeonspieler. Auch sie haben sich also auf die Suche nach dem wahren Ich begeben (wenn auch recht parodistisch dargestellt). Von der Suche scheint sogar der Autor des Stücks betroffen. Er blinzelt dabei aber mit viel Humor dem Zuschauer zu und macht sich mit ihm über den „multisubjektiven“ Charakter des Stücks lustig. Gerade wenn der Zuschauer glaubt, er hat endgültig die Übersicht über die vielen Figuren verloren, taucht eine Figur auf und meint: „Entschuldigung. Hat es schon angefangen?“ – „Was?“ – „Na, der Zusammenhang, hat er schon angefangen?“ – „Nein.“ Beruhigender geht es nicht. Um eine Schlussfrage können wir nicht herum. Wenn in dem Stück also ständig etwas gesucht wird, wird dann auch etwas gefunden? Für Lina scheinbar nicht. Objektiv gesehen gleitet sie unaufhaltsam nach unten. Die objektive Sicht ist aber nichts für dieses Stück. Auch den letzten treuen Freund, einen Dichter, der „Worte nicht erfunden hat, sie bloß nacheinander reiht“, muss sie verlassen. Sie legt sich am Ende, begleitet von zwei Stadtstreichern, auf eine Bank am Perron und schläft ein. Oder ist die Bank ein Grab, der Perron die ganze Welt und hatten die Stadtstreicher etwa nicht Flügel? Möglich. Kurz: Das Stück stellt die scheinbar selbstverständlichsten Dinge im Leben in Frage. Und der Zuschauer muss einsehen, dass es berechtigt ist. Falsches soll durch Natürliches ersetzt werden, nicht? Ist es denn wirklich so sicher, dass meine Nächsten mich wirklich verstehen, dass mein Beruf wirklich so gut für mich ist wie ich glaube, oder dass ich wirklich durch Worte das sage, was ich will? Ein bitter amüsanter Wortwechsel aus dem Stück gibt hier ein gutes Beispiel dafür; er kann auch als Witz nacherzählt werden. Treffen sich zwei und der eine sagt erfreut: „Ich hab dich lange gesucht!“ Der Andere – hier die Hauptfigur Lina Sommer – antwortet: „Und? Hast du mich gefunden?“ Was folgt, ist überraschte – aber vielleicht auch fruchtbare – Stille. Von Jan Budňák Tango und Totschlag in einer gewöhnlichen Wiener Familie Gruppe Doppel L. Herbert Berger, Das Leben, das sie vor sich hatte Die studentische Theatergruppe Doppel L besteht schon das zweite Jahr als ein freiwilliger Kurs an der Pädagogischen Fakultät der Masaryk-Universität und das Stück Das Leben, dass sie vor sich hatte ist ihre zweite Aufführung. Im letzten und auch in diesem Jahr hat sich die Gruppe für ein Stück von dem Wiener Dramatiker Herbert Berger (1932-1999) entschieden. Trotzdem gibt es zwischen den beiden Stücken einige Unterschiede. Das vorige Stück Kleider machen Leichen war eine Komödie mit schwarzem Humor, aber dieses Jahr ist das Stück viel weiter von einer Komödie entfernt. Die „Farbe“ des Theaterstücks ist aber gleich geblieben. Die Handlung dreht sich um das unglückliche Liebesleben von Elfi, einer jungen Frau, die von ihrem Lebensgefährten tyrannisiert wird. Deswegen erschlägt sie ihn am Ende mit einer Hacke. Das Stück ist retrospektiv aufgebaut und deshalb haben sich die Leiter der Theatergruppe entschieden, die Hauptrolle der Elfi in zwei Figuren zu teilen. Eine Elfi erzählt die Geschichte ihrer Beziehung und die andere Elfi erlebt sie gerade. EinTopf. Theaterkritiken. 15 Als Zuschauer wird man aber eher von verschiedenen ästhetischen Elementen und stilisierten Szenen mitgerissen, die die Eigenart der Inszenierung ausmachen. Das erste, was mich fesselte, war die Einfachheit des Bühnenbildes. Die Bühne bestand nur aus einer roten Couch vor einem schwarzen Hintergrundvorhang, einer Leiter und einem Hackstock mit einer Hacke. Das gleiche galt über die Kostüme. Damit sind die Farbkontraste zwischen Rot und Schwarz bei den Kostümen viel deutlich hervorgetreten. Sehr passend wurde auch die Musik ausgewählt, die das Auf und Ab der Stimmungen unterstützte. Zum Beispiel gleich am Anfang des Spiels tanzten die beiden Elfis zusammen einen langsamen Tango vor dem toten Ehemann. Die Stimmung war düster und dazu hörte man die gezogenen Töne der Ausencia („Abwesenheit“) von Goran Bregović. Bemerkenswert war auch eine pantomimische Szene, in der sich beide Elfis unter Begleitung eines psychedelischen Liedes gegenüberstanden und seitenverkehrt verschiedene pantomimische Gesten mit ihren Händen und Körpern machten. Die Regisseure der Gruppe Doppel L haben die Aufführung auf ästhetischen und stilisierten Szenen aufgebaut, und meiner Meinung nach ist es ihnen perfekt gelungen. Zwar ist die Gruppe Doppel L ein studentisches Amateurensemble, aber ihre Mitglieder mussten sich neben den Theatergruppen aus Wien oder Leipzig für ihre Leistung überhaupt nicht schämen. Von Erik Netušil Das verwirrende Zauber der Cammerspiele Leipzig Cammerspiele Leipzig. Georg Büchner, Sebastian Börngen, I Lenz Was soll das bedeuten? Hat jemand auf der Bühne etwas vergessen? Also, vielleicht nicht. Jetzt ist schon ein anderer Mensch in das auf der Bühne aufgeschlagene Zelt hineingelaufen. Nach einer Weile sind alle vier Schauspieler da. Ehrlich gesagt, man weiß nicht, was man davon halten soll. Ist das üblich, dass sich Schauspieler vor den Zuschauern in einem Zelt verstecken? Sollten sie nicht lieber auf der Bühne stehen? Ach, jetzt sind sie plötzlich wieder hier! Obwohl eigentlich… nicht wirklich. Ihre geduckten Körper sind auf einem weißen Vorhang zu sehen. Das ist das erste Mal, dass eine Kamera in der Vorstellung verwendet wurde – eigentlich gar nichts Merkwürdiges für die Verhältnisse der Vorstellung der Leipziger Cammerspiele I Lenz. Schon am Anfang machen es die vier Schauspieler unmissverständlich klar, dass dieses Stück, das an die Lenz-Novelle von Georg Büchner (1813-1837) anknüpft, einen hastigen Ereignisablauf haben wird. Ein junger Schauspieler, der Lenz ähnelt, flieht in den Wald. Seine Gedanken sind ziemlich chaotisch – soweit der Vorlage ähnlich – und das gefährdet das Filmprojekt, das der Schauspieler drehen soll. Mit dem Stück I Lenz von Georg Büchner (Regie von Sebastian Börngen) beherrschte die Bühne des Brünner Theaters Barka eine sog. Off-Theater Gruppe aus Leipzig. Die Bezeichnung Cammerspiele tragen sie, weil sie meistens in Räumen von der Größe einer Kammer spielen. Ihre Kunst geht aber weit darüber hinaus. Die vorwiegend jungen Amateurschauspieler, die aber professionell angeleitet werden, haben in diesem Jahr bereits ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Das ist schon eine Menge Erfahrungen! Auch andere mit dieser Gruppe verbundene Zahlen sind keineswegs gering. Die einzelnen Arbeitskreise der Leipziger Cammerspiele haben etwa 140 Veranstaltungen aufgeführt und nach den ersten fünf Jahren ihrer Existenz wurde diese Gruppe für ihre Produktionen mit vier verschiedenen Würdigungen ausgezeichnet. Im Jahre 2006 haben sie z.B. den Leipziger Bewegungskunstpreis für die Produktion Dreck! und 2009 den 1. Preis der Leipziger Amateurtheatertage für Bertoluccis Träumer bekommen. Was haben ihre Aufführungen gemeinsam? Die Gäste des Theaterfestivals wurden Zeugen der unmittelbaren Nähe der Spielenden und des Publikums. Wie schon gesagt führen die Leipziger Ihre Inszenierungen normalerweise in einem kleineren Zimmer auf. Den Brünner Zuschauern wurde es auf eine Weise auch ermöglicht dieses zu erleben. Es wurde nämlich während der ganzen EinTopf. Theaterkritiken. 16 Vorstellung nur auf der Vorbühne gespielt, das heißt auf einem sehr schmalen Streifen, wo die Bühne in den Zuschauerraum übergeht. Die Gruppe findet es auch wichtig, frisch und unkonventionell zu spielen. In dieser Hinsicht sind die Leipziger den Festivalgästen nichts schuldig geblieben. Für viele Zuschauer waren einige ihrer Theatertechniken sicher ganz neu. Ein allgegenwärtiges Element stellte von Beginn der Vorstellung an eine Kamera mit Videoaufnahmen dar. Die waren sowohl neu auf der Bühne gefilmt, als auch schon früher vorbereitet. Die Vielfalt von Eindrücken und Inhalten, die dadurch vermittelt wurden, war kaum zu verarbeiten. Zu den „neuen“, erst während der Vorstellung auf der Bühne gedrehten Videoaufnahmen lassen sich im Grunde alle außer einer rechnen. Die vorbereitete Aufnahme sieht fast wie einem Thriller entnommen aus, der aber in der Leipziger Straßenbahn spielt. (Sie können sie auch auf youtube finden). Die Schauspieler wurden sonst auch dann gefilmt, wenn sie versteckt waren, manchmal aus größter Nähe – egal ob im Zelt, oder unter einem gedeckten Tisch. Die Aufnahme wurde dann auf die weiße Leinwand hinter der Vorbühne projiziert und der Eindruck von fast intimer Annäherung an sie ist äußerst wirksam. Das „gewöhnliche“ Theater mit seinen Techniken kann diese Art von Nähe kaum erreichen. Ohne gut überlegte Inszenierung und die hochwertige Arbeit der Schauspieler könnte aber der „KameraZauber“ nicht wirken. Das ist für die Leipziger Gruppe zum Glück kein Problem: Bei der Diskussion nach den Aufführungen haben alle jungen Schauspieler gesagt, dass sie das Theater für ihr großes Hobby halten und sich ihm leidenschaftlich widmen. Auch das spiegelt sich in der Intensität der Vorstellung deutlich wieder. Man merkt hier den größten Vorteil der „Off-Theater“. Sie stehen zwar eher am Rande der Theaterwelt und wurden ursprünglich gar nicht staatlich unterstützt, aber sie verwenden oft unkonventionelle Methoden und das unmittelbare Kunsterlebnis, das sie bieten, kann wohl nicht ersetzt werden. Ernsthaft oder unernsthaft; rasch; ab und zu schwieriger verständlich – das Stück, das auf historischen Begebenheiten aus dem Leben des Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz beruht, ist voll von tiefen und auch witzigen Beobachtungen über unsere Gegenwart und verwirrt einem die Sinne im Augenblick. Das wahnsinnige Tempo der Vorstellung zeigt, dass heute der Verstand entweder auf 100% verwendet werden muss, oder er geht verloren. Von Martina Reichmanová Unkahle Frauen in Wortverwirrung Reactor Wien. Eugène Ionesco, Die kahle Sängerin Ein Bügelbrett mit Schnaps. Eine Leiter fürs Kleid. Eine Couch für drei Personen. Das ist der rechte Ort, wo sich das unsichtbare Netz der Beziehungen zwischen vier feierlich gekleideten Damen entfaltet. Und das ist auch Eugène Ionescos klassisches Theatestück Die kahle Sängerin in der Inszenierung der erst letzten Sommer gegründeten Theatergruppe Reactor Wien beim Festival Drehbühne Brünn 2010. Wörter machen Sätze. Sätze machen dann das Ganze aus. Aber muss dann das Ganze immer noch einen Sinn haben? Darauf wurde von den vier Figuren aber keine klare Antwort gegeben, weil sie sich in ihren Lehrsätzen und konfusen – und trotzdem fabelhaften – Kurzgeschichten ganz verlaufen haben. Der Regisseur Gregor Turecek hat die ursprüngliche Besetzung – mit drei Damen und drei Herren – wegen Mangel an männlichen Schauspielern auf vier Frauen reduziert; schließlich zum Vorteil des ganzen Stücks. Die Minimalisierung der Szene hat gezeigt, dass man Ionescos absurde Vorlage noch mehr ad absurdum führen kann. Es gibt hier keine einfachen heterosexuellen Paare, sondern immer nur diese vier Frauen. Die verwandeln sich dann im Verlauf des Stückes in mehrere Figuren durch eine Schürze oder einen Helm, bleiben jedoch die ganze Zeit auf der Bühne. Der Zuschauer schiebt bis zur Mitte des Stücks die mäßige Verlegenheit noch in den Hintergrund und gönnt seinen Augen die großartige Schauspielkunst der vier fesch gekleideten Damen. In der zweiten Hälfte geht das aber nicht mehr. Die Figuren ringen so heftig um das Wort, dass sich dann ihr Wortwasserfall in eine Schlucht von Unverständlichkeiten stürzt. Dabei überrascht und fasziniert die vollständige Koordination der Bewegungen, so dass man spürt, dass hinter dem Stück wirklich harte Arbeit steckt. Die Schauspielerinnen begleiten sich selbst mit Klopfen, Klapsen, Klingeln und Poltern beim Aufsagen einiger sinnloser Sätze aus einem englischen Konversationsbuch. Man sieht das Absurde, man fühlt sich absurd. Und man versucht es durch flüchtige Blicke zum Nachbarn und durch ein halb gequältes, halb bezaubertes Lachen zu unterdrücken. Man wundert sich dann gar nicht, wenn am Ende noch eine quasi MatrixSzene mit fantastisch verlangsamten Bewegungen kommt. Man lächelt wieder, weil mit der Dunkelheit das Ende erwartet wird. Aber ... es ist ein ewiger Kampf, nämlich der Kampf gegen den Widersinn. Das Theaterstück der Wiener Gruppe Reactor erfüllte die Zuschauererwartungen auf eine vielversprechende und recht absurde Aufführung. Und auch Ionescos Hand bleibt spürbar. Wenn man heute ein amtliches Schreiben oder eine SMS wie BIDUNOWA? T.M.H.A. bekommt, sieht man gleich, dass die Kahle Sängerin nicht weit von uns ihre Kunst ausübt. Und sie trägt auch immer noch die gleiche Frisur. Von Tomáš Stříbný EinTopf. Theaterkritiken. 17 Vision allein ist manchmal nicht genug Theater Vision. William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum Ist es schwieriger ein Stück aufzuführen, das durchaus bekannt ist? Sind dann die Erwartungen der Zuschauer zu hoch? Beurteilen sie die Aufführung zu streng? Oder haben wir endgültig von den großen Geschichten genug bekommen? Schon im vorigen Jahrgang hat das Wiener Ensemble Theater Vision bewiesen, dass es fähig ist längere klassische Stücke vorzubereiten, deren Figurenkonstellation nicht unkompliziert ist (Gefährliche Liebschaften, Drehbühne 2009). Diesmal hatten die Wiener Schauspieler unterschiedlichen Alters eines der bekanntesten Spiele von Shakespeare eingeübt, Ein Sommernachtstraum. Diese Gefahr besteht hier immer – je mehr man die Vorlage kennt, desto mehr will man sehen. Andererseits ist es jedoch nichts Außergewöhnliches, dass man einen alten Stoff bearbeitet. Der Zuschauer sehnt sich sogar danach, bekannte Situationen, Geschichten oder Themen zu erleben. Trotz alledem will er überrascht sein. Die Verarbeitung des „alten Stoffes“ muss im neuen Kleid erscheinen, sie muss ihn verführen, packen und überzeugen, dass es wert war, dasselbe Schema nochmal zu sehen. Ganz schön paradox, nicht? Die Theatergruppe Vision hatte bei der Inszenierung von Shakespeares Sommernachtstraum gute Ideen, die aber auf der Bühne leider nicht funktioniert haben. Das Publikum wurde beispielsweise aufgefordert sich auf die Bühne zu setzen. Da das aber keine Bedingung für das Weiterspielen der Schauspieler war, sind einige auch im Zuschauerraum sitzen geblieben. Wenn sie gewusst hätten, was folgen wird, hätten jedoch viele ihre Entscheidung doch noch geändert. Der Publikumsteil, der auf den üblichen Sitzplätzen saß, sah oft nur die Rücken der Schauspieler und musste sehr die Ohren spitzen, weil es akustisch einfach über die Bühne nicht herüberkam. Das war sehr schade, man fühlte sich als Zuschauer fast unerwünscht. Die Kostüme waren auch nicht einheitlich. Während die Feenkönigin Titania und ihre Elfinnen passende Luftkleider anhatten, war der Darsteller von Oberon, Titanias Gatte, so gekleidet, als ob er gerade von der Arbeit gekommen wäre. Was das Theaterstück betrifft, ging die Geschichte der Verwechslung von Liebespaaren, Versöhnung des königlichen Ehepaars und Theater spielenden Handwerker so wie wir es kennen, ohne jegliche Veränderung oder Besonderheit, über die Bühne. Das war weder spannend noch lustig. Die einzigen Szenen, wo man sich entspannen und es genießen konnte, waren die mit der Handwerkergruppe, die das Stück Pyramus und Thisbe für die Hochzeitsfeier probte. Die Handwerker stellten unterschiedliche Typen von Menschen dar, herrlich tollpatschig porträtiert (Streber, ein Mann in einer Frauenrolle, Stotterer), und wir haben uns dabei amüsiert, da Kreativität und Lust an der Sache deutlich spürbar war. Der Sommernachtstraum ist durch seine besondere Atmosphäre beliebt, die man anhand gut gewählter Details schaffen kann. In dieser Aufführung ist aber eben diese Atmosphäre nicht entstanden. Von Eva Pluháčková Alice im Trommelland Zu Besuch an der Janáček-Akademie. Begleitveranstaltung des Theaterfestivals Drehbühne. Wie Alice im Wunderland fühlte ich mich mit anderen Studierenden, als wir einen riesigen Proberaum voll von verschiedensten Schlaginstrumenten betreten haben. Überall um uns befanden sich viele Schlaginstrumente unterschiedlicher Gestalt und unterschiedlichen Ursprungs: Schlaginstrumente aus Holz, Eisen, Glas, Bronze usw., die uns ganz fremd waren. Niemand wusste, was er sich zuerst anschauen sollte. Alle standen die ganze Zeit des Vortrags erstaunt und neugierig herum und beobachteten die Trommeln, Perkussionsinstrumente und die orientalischen Instrumente. Das größte Interesse erregte aber ein chinesischer Gong, der einen Ton produzierte, wie wenn eine Katze miaut. Im Rahmen des deutschen Theaterfestivals „Drehbühne“ hatten die Studenten die Möglichkeit, in eine Lehrstunde der Schlaginstrumente an der Janáček-Akademie Brünn hineinzublicken. Begleitet und mit Fachwissen ausgerüstet hat uns der Leiter des Instituts für Schlaginstrumente, Dr. hab. Martin Opršál, der sehr bereitwillig unsere neugierigen Fragen beantwortete und manchmal auch eine Demonstration einiger orientalischer Instrumente hinzugab. Alle Fragen und Antworten wurden von einem Germanistikstudenten, Richard Guniš, ins Deutsche übersetzt. So konnten auch die deutschen Besucher den Vortrag richtig genießen. Nach dem Vortrag und der anschließenden lebhaften Diskussion nahmen wir an einer Lehrveranstaltung einer Austauschstudentin aus Polen teil, die uns ein kleines Stück auf der Marimba spielte. Das ist ein großes Xylophon mit Klangstäben aus Holz und eines von den teuersten Instrumenten. Dann spielte sie auch für uns zwei klassische Stücke auf Pauken mit Orchesterbegleitung von CD. Alles war mit vielen Fragen und netten Antworten begleitet und wir konnten viel Interessantes über die Schlaginstrumente erfahren. Ich persönlich, weil ich selbst ein Amateurschlagzeuger bin, freute mich sehr auf den Vortrag und war sehr überrascht, wie viel ich noch nicht weiß und wie breit und bunt die Welt der Schlaginstrumente ist. Schade nur, dass mehr gesprochen als gespielt wurde. Trotzdem klang mir noch ein Paar Stunden das „Miauen“ des chinesischen Gongs im Ohr. Von Erik Netušil EinTopf. Literarisches. 18 Das Leben sei schwarz Sagen wir, im Winter ist die Natur tot. Überall gibt es Schnee, eine weiße Masse, die da ruhig liegt wie auf einem Grab. Sagen wir, der Tod sei weiß. So muss das Leben schwarz sein. Sagen wir, ich trage jeden Tag schwarz. So lebe ich. Mein Körper zieht jeden Tag das Leben an. Meine Wimpern sind schwarz, so lebe ich mit jedem Wimpernschlag. Wenn ich da alleine in einer Winternacht herumlaufe, fallen mir Schneeflocken in die Augen. Da treffen sich das Leben und der Tod. In meinen Augen … Sagen wir, der Friedhof sei ein Steingarten, in dem ich schwarze Blumen pflücke, die Gedanken der Stille, die klugen Gedanken des Lebens, die man erst nach dem Tod erkennt… obwohl man sie das ganze schwarze Leben gekannt hat und blind war im weißen Licht des Tages. Der Tag macht blind, die Nacht befreit. Sagen wir, die Nacht sei schwarz. So ist sie das Leben. In der Nacht lebe ich. Da hörst du mein schnelles Atmen, da siehst du meine geschlossenen Augen und fühlst meine Berührung. Da in der Nacht siehst du, was am Tage unsichtbar ist. Sagen wir, die Leidenschaft sei rot. Dann fließt sie in meinen Adern, dann spürst du die ewige Flamme an deiner Haut. Am Morgen nimmst du nicht Abschied… Ich stehe auf, sehe die leere Wohnung. Lang und laut lache ich auf eine schmerzhaft ironische Art. Dann kommt das Salz zum Boden. Der Schmerz sei blau… sagen wir. Oder, sagen wir lieber nichts mehr. Sagen Sie mir nichts mehr, die Stille ist süß und farblos. Ich ziehe mich weiß an und steige in den weißen Zug ein. Richtung – Farblosigkeit. V.A. Grüne Augenbühne Wie ich da ruhig träume, unter den Frühlingsbäumen, denke ich an das Grüne, Augen auf deiner Bühne. Seltsame Art, seltsame Welt, die Farbe wirklich lesenswert. Berühren kann ich´s nicht, das unsichtbare Licht. Das Gefühl schreit so laut, der Himmel schweigt blau. Da sitze ich in dem Garten, mit einem unendlichen Warten. Manchmal will ich, manchmal nicht sehen das unsichtbare Licht. Manchmal kommen Schritte hin, du verstehst den grünen Sinn. Letztens kamst du mich zu stehlen, ließest alle Bäume fällen. Seitdem ist der Garten kahl, deine Augen... schwere Wahl... So nahe und doch so weit. Ich bin nicht bereit. Deine Augen und viel mehr..., meine Bühne steht da - leer. V.A.