976 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden 108. Vermittlung der Lesefertigkeit 1. Lesefertigkeit im Fremdsprachenunterricht: historische Perspektive 2. Lesen als Prozess 3. Lesen und Fremdsprachenerwerb 4. Literatur in Auswahl 1. Lesefertigkeit im Fremdsprachenunterricht: historische Perspektive Im gntmmatik- und übersetzungsorientierten Ansatz standen geschriebene Texte zwar im Mittelpunkt, jedoch nicht das Lesen als Prozess der Sinnentnahme. Es wurde gelesen, um Grammatik oder Wortschatz zu illustrieren und um das Übersetzen zu üben. Mit der direkten Methode verloren geschriebene Texte etwas an Bedeutung und in den audiolin-gualen und audiovisuellen Methoden wurden sie meist auf schriftlich fixierte gesprochene Sprache reduziert. Seit der kommunikativen Wende im Fremdsprachenunterricht wird dem Lesen als Sinnentnahme mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Lesen wird nicht mehr als „passive" Fertigkeit betrachtet, da Lesende sich durch den Einsatz von Vorwissen und durch die Interpretationsleistung aktiv mit dem Text auseinandersetzen. Wichtig sind heute auch landeskundliche bzw. raterkulturelle Aspekte. Daher wird der Einsatz „authentischer" Cd. h. ursprünglich nicht für den Fremdsprachenunterricht konzipierter) Texte gefordert (vgl. Art. 104 und 106). 2. Lesen als Prozess In der muttersprachlichen Leseforschung, in der in den 1960er Jahren neben der Auffassung vom Lesen als Prozess der Hypothesenbildung (top down Modelle) auch datcngelei-tete (bottom up) Modelle vertreten wurden, verbreitete sich Anfang der 1980er Jahre das interaktive Modell des Leseprozesses, wobei auf allen Verarbeitungsebenen Interaktion zwischen daten- und erwartungsgeleiteten Prozessen angenommen wird. Zusammen mit der kognitiven Wende in der Fremdsprachendidaktik, die zu Interesse für Strategien guter und schwacher Lesender und für Strategien bei der Erschließung der Wortbedeutung führte, hatte diese Entwicklung zur Folge, dass die Aufmerksamkeit heute sowohl auf sprachbedingte wie auf inhaltliche Aspekte der Textverarbeitung gelenkt wird. Das Lesen als Prozess der Hypothesenbildung gut als typische Strategie schwacher Lesender. Sie ist für das Lesen der Fremdsprache insofern von Bedeutung, als auch muttersprachlich geübte Lesende beim Lesen in einer neuen Sprache anfanglich schwache Lesende sind und sich kompensatorisch für Kenntnislücken und ungenügende Automatisierung der Fertigkeit auf das Inferieren verlassen müssen. Das Textverständnis ist beim inferierenden Lesen aber oft sehr ungenau (Bernhardt 1993), was neben der Überforderung bei unzureichenden Sprachkenntnissen demotivierend wirken kann. 108. Vermittlung der Lesefertigkeit 977 2.1. Lesen als Prozess der nformationsverarbeitung Beim Lesen kommen zwei Vcn rbeitungstypen vor. die automatische und die bewusste Verarbeitung. Die automatische Verarbeitung verläuft schnell, parallel und ohne Anstrengung oder Kapazitätsbesc Tränkungen. Parallel bedeutet, dass mehrere Prozesse gleichzeitig eingesetzt werden können. Die bewusste Verarbeitung, die für Inhalte und für neue, unerwartete und/oder unlogische Informationen erforderlich ist. verlangt Aufmerksamkeit und Anstrengung. Hier sind Kapazitätsbeschränkungen beobachtbar: nur ungefähr 7 Einheiten können glt ichzeitig im Arbeitsgedächtnis verarbeitet werden, wobei allerdings die Informationsdich e dieser Einheiten (z. B. Buchstabe oder Theorie) keine Rolle spielL Schnellere (erfolgre iche) Verarbeitung kann daher nur durch weitere Automatisierung usd durch den Einsatz komplexerer Einheiten (Kenntniserweiterung und Neuorganisation der Kenntnisse^ erreicht werden. 22. Ebenen des Leseprozesses Auf Grund der Art der verarbeiteten Informationen werden mehrere Ebenen angenommen, die in der Literatur meist in der Reihenfolge von den unteren zu den oberen Ebenen (vom Zeichen zum Inhalt) beschrieben werden, weil dies dem ungestörten Leseprozess geübter Lesender entspricht. Dabei muss beachtet werden, dass teilweise parallel verarbeitet wird und dass bei jeder Wahrnehmung das Vorwissen über das, was wir wahrnehmen, mit den wahrgenommenen! Informationen interagiert. Die Einteilung der Verarbeitungsebenen variiert. Wichtig aus der Sicht der Fremdsprachendidaktik ist die Berücksichtigung der Teilfertigkeiten und Kenntniskomponenten im Leseprozess, die nicht alle neu erworben werden müssen. Die folgenden Ausführungen! beruhen auf Hypothesen zum muttersprachlichen Lese-prozessi die meist durch experimentelle Daten aus der Kognitionspsychologie unterstützt werden (für die sehr umfangreichen bibliographischen Daten vgl. Lutjeharms 1994 und 2010). Die graphophonische Ebene umfasst die Augenbewegungen, die visuelle Mustererkennung und die phonologische Rekodierung, d. h. die Umsetzung der mit den Augen wahrgenommenen Zeichen in einen - möglicherweise sehr abstrakten - phonologischen Kode. Geübte Lesende fixieren nur bestimmte Wortteile oder Wörter und nehmen dabei auch das Umfeld wahr. Die periphere Sicht steuert die Wahl des nächsten Fixationspunktes Wahrscheinlich erkennen wir Rechtschreibmuster und/oder Morpheme, denn es wird ein Wortsuperiontätseffekt beobachtet, d. h. Wörter werden schneller und besser gelesen als eine Reihe einzelner Buchstaben!. Dabei werden Redundanz in der Rechtschreibung und Vertrautheit mit Wörtern ausgenutzt. Wortfrequenz ist ein wichtiger Faktor, denn bei häufiger Aktivierung verringert jach die Verarbeitungszeit. Oft reicht der Wortanfang für die Worterkennung. Das Wortende wird daher meist weniger beachtet. Inwiefern geübte Lesende die phonologische Rekodierung Tur Worterkennung brauchen, ist umstritten. Vieles deu|et darauf hin. dass eine phonologische Repräsentation zumindest aktiviert wird. Subvokale Tätigkeit wird vor allem bei schwachen Lesenden und bei schwierigen Textvorlagen beobachtet. Sie hangt mit der bewussten Verarbeitung im Arbeitsgedächtnis zusammen bei der Informationen für kurze Zeit bereitgehalten 978 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden werden müssen. Für verbale Informationen geschieht dies mit Hilfe des akustischen Kodes, der allerdings nicht bis zur - äußerlich erkennbaren - subvokalen Tätigkeit zu gehen braucht Bei der Worterkennung handelt es sich um den lexikalischen Zugriff auf eine Wortform im mentalen Lexikon, bei dem ein Zeichen als Wort in einer bestimmten Sprache erkannt wird (vgl. Lutjeharms 20U4). Das mentale Lexikon ist die Bezeichnung für das Sprachwissen im Gedächtnis. Bei fehlender Aufmerksamkeit oder bei einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses bleibt der Zugriff auf der Formebene stecken. Viele Forschungsdaten lassen eine wichtige Rolle der Morpheme bei der Worterkennung vermuten. Wörter in einem passenden Kontext werden schneller erkannt als isolierte Wörter. Dies hängt damit zusammen, dass beim Zugriff auf eine Wortrepräsentation ein ganzes Netzwerk oder benachbarte Stellen im mentalen Lexikon mitaktiviert werden (das sogenannte „pruning"). was die Weiterverarbeitung beschleunigt. Dass morphologische Ähnlichkeit - auch sprachübergreifend - zu Primingeffekten führt, ist wiederholt gezeigt worden. Seit Ende der 1980er Jahre wird die syntaktische Verarbeitung in verschiedenen Sprachen und auch im Sprachvergleich untersucht (vgl. Lutjeharms 1998). Die meisten dieser Untersuchungen wurden im Rahmen des Wettbewerbsmodells (competitian model) von MacWhinney und Bates (1989) durchgeführt. Nach diesem Modell werden mehrere Oberflächenindikatoren gleichzeitig in unterschiedlichen Kombinationen und - je nach Zweckmäßigkeit - mit wechselnder Gewichtung verarbeitet. Bei diesen Auslösern handelt es sich beispielsweise um Wortfolge, lexikalische Einheiten mit ihren Eigenschaften - wie Belebtheit/Unbelebtheit oder Valenz -, um Kongruenz und andere morphologische Informationen. Die Gültigkeit eines Auslösers ergibt sich während des Spracher-werbsprozesses aus der Anwendbarkeit und der Zuverlässigkeit, d.h. daraus, wie oft er vorkommt und wie oft er zu einer korrekten Lösung führt. Für das Deutsche gilt, dass auf Grund der morphologischen Informationen entschieden wird, sobald diese vollständig sind, aber auch die Wortfolge spielt eine Rolle. Bei guter Sprachbeherrschung verlaufen die Worterkennung und die syntaktische Analyse automatisch. Diese unteren, formbedingten Verarbeitungsebenen werden als De-kodierung bezeichnet. Die semantische Verarbeitung, das eigentliche Textverständnis, entsteht aus einer Interaktion der Ergebnisse der Dekodierprozesse mit inhaltlichem Vorwissen und erfordert Aufmerksamkeit. Das Vorwissen unterstützt das Antizipieren und Einordnen der Informationen. Vielleicht muss von nur minimal organisierten Kenntnissen ausgegangen werden, mit deren Hilfe während der Verarbeitung eine aufgabenorientierte Kenntnisstruktur generiert wird. Neue Informationen können nur aufgenommen werden, wenn im Langzeitgedächtnis Begriffe aktiviert worden sind, anhand deren sie eingeordnet werden können. Eine Überschrift, ein passendes Bild oder eine vorangestellte Zusammenfassung sind wichtige Verstehenshilfen, weil sie eine Erwartungshaltung auslösen, die den Einsatz der Dekodierprozesse unterstützt. Mit den Ergebnissen der Dekodierprozesse wird eine proposiü'onale Repräsentation der Satzinhalte aufgebaut, die bei geübten Lesenden und bei für sie leichtem Textinhalt vielleicht automatisch geschieht, obwohl dabei schon Inferenzen erforderlich sind. Die propositionalen Repräsentationen bilden die Grundlage für die Konstruktion eines mentalen ModelU des Textinhaltes. Das mentale Modell besteht aus verdichteten Textinformationen und Vorwissen. In dieser Gedächtnisrepräsentation des Textes ist die Sprach- 108. Vermittlung der Lesefertigkeit 979 struktur nicht enthalten, d.h. sie;ist nicht mehr abrufbar. Die Textoberflächenform ist aber in einer anderen Repräsentation gespeichert, denn auch wenn eine Textvorlage nicht (mehr) als bekannt empfunden wird, wird sie bei erneuter Lektüre schneller verarbeitet. 23. Lesen in einer Fremdsprache Wenn muttersprachlich geübte Lesende eine Fremdsprache erwerben, kann es sein, dass sie zuerst mit einer neuen Schrift konfrontiert werden. Viele Deutschlernende brauchen allerdings keine (völlig) neuen Scnriftzeichen zu erwerben, weil sie die lateinische Schrift schon von der Ausgangssprache her oder durch den früheren Erwerb einer anderen Fremdsprache - meist Englisch f beherrschen. Dann müssen nur einige Zeichen (Umlaut) sowie di£ Großschreibung djsr Substantive neu gelernt werden. Bei bekannter Sohrift führt - anders als beim muttersprachlichen Erwerb der Lesefertigkeit - nicht die Mustererkennung zu Problemen, obwohl die Lesenden meist mit neuen Häufigkeiten bestimmter Bjachstabenkombinationen konfrontiert werden. Die Lesenden der Fremdsprache werden! zu schwachen Lesenden, weil es beim Dekodieren keinen lexikalischen Zugriff geben kt nn. solange für die Wörter oder Morpheme keine mentalen Repräsentationen im Lexikon vorhanden sind. Sogar sehr geübte Lesende einer Zweitsprache lesen sie langsamer als die Muttersprache, was wohl auf geringere Automatisierung der unteren Verarbeituijgsebenen zurückzuführen ist. Allerdings wird für das Wiedererkennen weniger Festigung verlangt als für den Abruf bei der Sprachproduktion. Syntaktische Auslöser müssen1 - wie der Wortschatz so weit erworben werden, dass sie automatisch erkannt und verarbeitet werden können, jedenfalls wenn sie für das Satzverstehen erforderliche Hinweise enthalten. Für Lernende, deren Ausgangssprache eine feste Wortfolge hat, bildet die flexible deutsche Wortfolge oft die größte Herausforderung. Aber auch Flexionsendungen, besonders die Kasusendungen, sind schwierig. Sie können fzwar redundant sein, aber ihre Dekodierung kann auch notwendig sein, um Fehldeutungen zu vermeiden. Inhaltliches Vorwissen, Grammatikkenntnisse, text- und satzbedingte Faktoren sowie die Ausgangssprache und sonstige Sprachkenntnisse bestimmen mit wechselnder Gewichtung, welche syntaktischen Auslöser jeweils für das Verstehen erforderlich sind. Lesende einer Fremdsprache - so konnte im Rahmen des Wettbewerbsmodells gezeigt werden setzen anfanglich muttersprachlich bedingte Strategien der syntaktischen Verarbeitung ein. Sie behalten diese bei. wenn die Verarbeitung dadurch nicht beeinträchtigt wird. Im Verlauf des Spracherwerbs kommen immer mehr für die Zielsprache geeignete Strategien zur Anwendung. Wenn die Verarbeitung der unteren Ebenen gestört verläuft, verlangen Worterkennung und syntaktische Analyse Aufmerksamkeit, die dann der semantischen Verarbeitung fehlt. Deshalb verlassen sich! Lesende in der Fremdsprache häufig auf das Infeneren oder übergehen Textteile, um ehjie unmittelbare Sinnentnahme zu ermöglichen. Diese kompensatorischen Rate- und VeVmeidungsprozesse werden oft automatisch eingesetzt, führen also nicht immer zu einen! gestörten Leseprozess. Wie sinnvoll sie sind, ist sehr situations- und aufgabenbedingt. |Bei Vertrautheit mit dem Textinhalt können sie erfolgreich sein: sie können aber auch £u einer völlig fehlgeleiteten Textdeutung führen. Beim Versuch, Kohärenz herzustellen, jtann die Fehldeutung eines Wortes oder einer Struktur die weitere Textinterpretation stark beeinträchtigen Auch fehlendes inhaltliche« Vorwissen kann trotz korrekter Dekodierung zu Fehldeutungen führen, wenn die Lesenden 980 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden nicht die eigentlichen Adressaten sind, wie dies übrigens auch beim Lesen der Muttersprache vorkommt. Bei ungestörter Dekodierung geschieht die Sinnentnahme ähnlich wie beim Lesen der Muttersprache. 2.4. Textschwierigkeit Die Textschwierigkeit kann nicht objektiv bestimmt werden, weil sie sehr adressatenabhängig ist Textfix terne Faktoren wie Sprachkenntnisse und inhaltliches Vorwissen inter-agieren mit textinternen Faktoren wie Redundanz. Satzlange, Wortreichtum usw. Daher helfen Formeln zur Bestimmung der Textschwierigkeit wenig. Im Allgemeinen sind lange Sätze - besonders bei Satzklammern — und lange Nominalphrasen schwierig, weil sie das Arbeitsgedächtnis überlasten können. Schriftlich fixierte Texte haben jedoch den Vorteil, dass man das Dekodiertempo selbst bestimmt und immer wieder zurückgehen kann. Im Anfingerunterricht kann mit sehr kurzen Texten bzw. Textausschnitten gearbeitet werden. 3. Lesen und Fremdsprachenerwerb Lesen ist einerseits ein Mittel zum Erwerb von Sprachkenntnissen, andererseits ist Spracherwerb die wichtigste Vorbedingung zum Lesen der Fremdsprache (Art. 106). Konkrete Vorschläge und Anregungen zur Arbeit mit Lesetexten und zur Übungsgestaltung bieten u.a. Lutjeharms 1994 und Ehlers 2006. Es folgen hier nur allgemeine Hinweise: Aus mehreren Gründen darf die Aussprache - sogar wenn Lesen die einzige Zielfertigkeit ist - nicht vernachlässigt werden. Es ist zwar nicht sicher, aber doch möglich, dass der phonologische Kode für den lexikalischen Zugriff notwendig ist. Für die Verarbeitung im Arbeitsgedächtnis spielt der phonologische Kode eine wesentliche Rolle. Wir brauchen ihn weiter für den Wortschatzerwerb und für die Rezirkulation (das Aufrechterhalten von Informationen im Arbeitsgedächtnis) bei der Wörterbuchverwendung. Auch müssen Lernende nach Wortbedeutungen fragen können. Zudem sind sie meistens an der Aussprache interessiert. Dies bedeutet nicht, dass Texte laut (vor)gelesen werden sollten, auch wenn lautes Lesen von Textteilen sinnvoll sein kann, da es in Kombination mit der visuellen Vorlage das Einprägen der Wörter unterstützt und die Segmentierung der Wortsequenz verdeutlicht, was in der Anfangsphase des Spracherwerbs hilfreich ist. Eine zweckmäßige Lesestrategie ist es nicht. Das Umsetzen in Laute beansprucht Gedächtniskapazität und erschwert dadurch die Sinnentnahme. Um eine möglichst automatisierte Worterkennung zu ermöglichen, sind Wortschatz-Übungen an Hand des Textes erforderlich, die einen wiederholten lexikalischen Zugriff bewirken. Wegen ihrer Bedeutung für die Worterkennung muss die Morphemebene berücksichtigt werden. Übungen mit morphologisch definierten Wortteilen verkürzen die Reaktionszeiten beim Zugriff auf alle Wörter mit diesen Morphemen. Daher sind Erkennungsaufgaben zu Stammformen. Flexionsmorphemen und Affixen sinnvolle Übungen Inwiefern die syntaktische Analyse geübt werden muss, ist stark vom Verhältnis zwischen Ausgangs- und Zielsprache abhängig, d. h. davon, wie erfolgreich muttersprachlich 108. Vermittlung der Lesefertigkeit 981 bedingte oder auf Grund weiterer Sprachkenntnisse automatisierte syntaktische Verarbeitungsstrategien eingesetzt werden können. Fehleranalysen, eventuell kombiniert mit Retrospektionsdaten und dir Beobachtung der Lernenden, smd aufschlussreich für die Übungsgestaltung. Erkennungsübungen zu für das Verstehen relevanten Flexionsendungen unterstützen die Wahrnehmung und können zur Eliminierung unzweckmäßiger Vermeidungsstrategien beitragen. Erst durch wiederholtet. Lesen können sich allmählich automatische Routinen entwickeln, die eine direkte Sinnentnahme ermöglichen. Lesen ist immer eine Form der Fertigkeitsübung. Jedes Lesen verbessert die Dekodierfähigkeit, weil der Zugriff auf Wörter und syntaktische Auslöser durch Wiederholung erleichtert wird. Besonders am Anfang des Spracherwerbs ist deshalb wiederholtes Lesen derselben Textvorlage sinnvoll, aber damit die Wiederholung nicht demotivierend wirkt, sind unterschiedliche Aufgaben zum Text notwendig, Line sinnerschließende Aufgabe ist ein guter Anfang, denn die Sinnbntnahme ist das eigentliche Ziel, die Dekodierung nur das Mittel. Dazu können Lesest le oder Lesestrategien eingesetzt werden, die durch die Leseabsicht bedingt werden und je nach Textstelle variieren können. Die Bezeichnungen sind nicht immer einheitlich, aber es werden im Allgemeinen vergleichbare Formen unterschieden. Beim suchenden Lasen wird nur nach einem Zeichen (Wort, Name. Zahl ...) gesucht, während man sich beim orientierenden Leuen einen schnellen Überblick über Text und Textmhalt verschaffen möchte. Beim kursorischen Lesen folgt man dem Text-aufbau und versucht, das Wesentliche des Inhaltes zu erfassen: beim totalen Lesen sollen möglichst alle Informationen verarbeitet werden. Das argumentative Lesen ist eine intensive Auseinandersetzung mit den] Textinhalt, wobei viel elaboriert wird, d. h. Inferenzen zum Textinhalt gebildet werden, die von den Verfassenden nicht intendiert wurden. Ein wichtiger Vorteil der Arbeit mit schriftlich fixierten Texten in einer KJassensitua-tion ist dass sie autonomes Lernen ermöglicht (vgl. Art. 128). Nicht alle Lernenden brauchen denselben Text zu lesen odej dieselben Aufgaben zu machen. Manche werden lieber intensiv mit einem Text arbeiten, ändere lesen lieber viele Texte. Beides ist sinnvoll. Wichtig ist, dass viel gelesen wird. Wenn die Lernenden selbst (z. B. im Internet) nach Texten für die Arbeit im Unterricht suchen, unterstützt dies nicht nur die Motivation. So wird zusätzlich viel gelesen, auch wenri es sich nur um orientierendes Lesen handelt. Differenzierung ist notwendig, weil die Zweckmäßigkeit von Erwerbsstrategien mit der Persönlichkeit der Lernenden zusammenhängt. Dies gilt auch für Lesestrategien wie kontextuel-les Raten. Ausnutzen der Textstruktur, Unterstreichen der wichtigsten Inhaltswörter oder Übergehen unwichtiger Wörter. Das Problem ist nämlich, dass Strategien mehr oder weniger erfolgreich angewendet werden können. Manche Lernende müssen dazu angehalten werden, sich mehr zuzutrauen und kontextuelles Raten einzusetzen; andere müssen lernen vorsichtiger zu sein unjl schneller zum Wörterbuch zu greifen. Sie sollten sich daher des eigenen Strategieeinsatzes beim Lesen und dessen Erfolgschancen bewusst sein. Beim Strategieeinsatz sind gute Lesende - wie auf allen Ebenen der Verarbeitung -erfolgreicher, weil sie mehr Hinwaise gleichzeitig verarbeiten können. Schwache Lesende brauchen daher entsprechend mehr Sprachkenntnisse. um eine vergleichbare Sinnentnahme zu erreichen. Strategietraining ist eine der Möglichkeiten, sich wiederholt und zielgerichtet mit der Textvorlage zu beschäftigen, was auf jeden Fall zum Spracherwerb beiträgt. 982 X. Sprachen lehren: Zielsetzungen und Methoden 4. Literatur in Auswahl Bernhardt. Elisabeth H 199.1 Reading development in a second language Theoretical, empirical and classroom perspectives. Norwood: Ablev Ehlers. Swantjc 20(16 Entwicklung von Lesekompetenz in der Fremdsprache. Babylonia 3-4. 31 -3K Roda. Keiko 20(14 Insights into Second Language Reading A Cms,-Linguist!, Approach. Cambridge Cambridge university Pres* Küppers. Almut 1999 Schulische Lesesozialtsation im Fremdsprachenunterricht. Eine explorative Studu zum Lt-sen im Engltschunterricht der Oberstufe. Tübingen Nar, Lutjehanns, Madeline----------------------------------- 1994 Lesen in der Fremdsprache: Zum Leseprozess und rum Einsatz der Lesefertigkeit in Fremdsprachenunterricht Zeitschrift fär Fremdsprachenforschung 5(2): 36-77 Lutjebarms, Madeline 1998 Die syntaktische Verarbeitung bei der Rezeption von Sprache. In. Eberhard Klein im. Stefan J. Schierholz (Hg.). Betrachtungen zum Hort. Lexik im Spannungsfeld ton Synta\ Semantik und Pragmatik. 117-151 Tübingen: Stauffenburg Verlag Lutjehanns. Madeline 2004 Der Zugriff auf das mentale Lexikon und der Wortschätze™ erb in der Frendsprach Fremdsprachen Lehren und Lernen 33: 10-26 Lutjehanns. Madeline und Claudia Schmidt (Hg.) 2010 Lesekompetenz in Erst-, Zweit- und Fremdsprache. Tübingen Narr MacWhinnej. Brian und Elisabeth Bates (Hg.) 1989 The cross-linguistic study of sentence processing. 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