Prof. Maria Petek Kirchliche Pädagogische Hochschule der Stiftung der Diözese Graz-Seckau Lange Gasse 2 8010 Graz Österreich Sprachkompetenz unter dem Aspekt der Mehrsprachigkeit Gastvorträge an der Masaryk Unversität in Brünn 14. bis 16. März 2012 im Rahmen des EU-Projekts Lebenslanges Lernen Erasmus 2011/2012 Sprachkompetenz unter dem Aspekt der Mehrsprachigkeit (unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Wahrnehmung und Sprache) 1. Basisinformationen zu den Begriffen WAHRNEHMUNG und SPRACHE 2. „DaZ“ (Deutsch als Zweitsprache) – „DaF“ (Deutsch als Fremdsprache) 3. Gesetzliche Aspekte in der Volksschule in Österreich 4. Praktische Überlegungen (beispielhaft/ 6-10 J.; 12-15 J.; Kinder mit SPF) 5. Literatur 1. Basisinformationen zum Begriff SPRACHE Sprachkompetenz ergibt sich aus dem Zusammenspiel von ICH-Kompetenz, SACH-Kom-petenz und SOZIAL-Kompetenz. Die kindliche Sprachentwicklung baut auf der Entwick-lung der Wahrnehmung (taktil-kinästhetisch, vestibulär, propriozeptiv, visuell, auditiv, gusta-torisch, olfaktorisch) und der sensomotorischen Entwicklung (Grob- und Feinmotorik) auf. Somit führt – kurz gesagt – das Begreifen zum BEGRIFF. Im Miteinander schulen die Kinder auf handelnder und sprachlicher Ebene ihre sozio-emotionalen Fähigkeiten. Grundsätzlich werden bei dem Phänomen Sprache die rezeptiven Anteile (HÖREN, LESEN) und die produktiven Anteile (SPRECHEN, SCHREIBEN) unterschieden. Die Neugierde führt Kinder normalerweise zur Schrift, wenn sie erlebt haben, dass das Vorlesen, das Erzählen und das Miteinander-Reden wertvoll sind. Sie erwerben auf allen vier Sprachebenen (phonetisch-phonologische, semantisch-lexikalische, morphologisch-syntaktische, pragmatisch-kommunikative Ebene [aus linguistischer Sicht]) die in ihrer Muttersprache nötige (Grund-) Kompetenz bis ins 5./6. Lebensjahr. 2. „DaZ“ (Deutsch als Zweitsprache) – „DaF“ (Deutsch als Fremdsprache) Aus vielen Gründen werden Kinder mit anderen Sprachen konfrontiert. Daher ist es not-wendig die Unterschiede zwischen Fremdsprache und Zweitsprache (L2) zu erklären. Fremdsprachen werden häufig im Unterricht (oder in Kursen) erlernt. Eine Zweitsprache wird „erlebt“, weil die Familie in ein anderes Land zieht (aufgrund verschiedenster Ur-sachen) und daher ein Hineinfinden in die neue Umgebungssprache unumgänglich ist (Stichworte: „first and second generation immigrants“). Je nach Alter des Kindes und der damit verbundenen Sprachkompetenz in der Erstsprache (L1) sowie abhängig vom sozio-kulturellen Hintergrund (bzw. den in der Familie gepflegten Traditionen) wird die Zweit-sprache in unterschiedlichen Zeitspannen und auf unterschiedlichem Niveau erlernt. Aus-schlaggebend dafür ist zudem die in der Familie hauptsächlich verwendete Sprache sowie die Wertschätzung der beiden Sprachen (und auch die Wertschätzung der beiden Kulturen / „home culture“). Sprachlich gesehen werden drei Kompetenzniveaus (nach Toukomaa & Skutnabb-Kann-gas) unterschieden: die doppelte Halbsprachigkeit, die einseitige Zweisprachigkeit und die additive Zweisprachigkeit. Je nach den Fähigkeiten in einer oder in beiden Sprachen er-geben sich dadurch unterschiedliche Voraussetzungen für die Entwicklungs- und natürlich für die schulischen Lernprozesse jedes einzelnen Kindes. Die Alphabetisierung sollte nach neueren Erkenntnissen eigentlich in der Muttersprache („home language“) erfolgen; dies klingt zwar logisch und nachvollziehbar, ist aber in der schulischen Realität nicht ohne weiteres umzusetzen. Es müssten tw. zahlreiche Lehrpersonen zur Verfügung stehen. 3. Gesetzliche Aspekte in der Volksschule in Österreich In Österreich herrscht eine allgemeine Schulpflicht, d.h., Kinder ab dem vollendeten 6. Lebensjahr besuchen eine Schule, wenn sie sich dauernd in Österreich aufhalten (auch als Flüchtlings- oder Migrantenkinder). Wenn die sprachlichen Fähigkeiten zu gering sind, um dem Unterricht folgen zu können, werden diese Kinder als „außerordentliche Schüler/ Schülerinnen“ geführt. Dieser Status steht ihnen 12 Monate zu und kann durch die Schul-leitung um weitere 12 Monate verlängert werden. Es sind „Sprachförderkurse“ („Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache“) in unterschiedlichem Zeit-ausmaß einzurichten: für außerordentliche Schüler/Schülerinnen bis zu 12 Wochenstun-den, für ordentliche Schüler/Schülerinnen der Volks- oder Sonderschule bis zu fünf Wochen-stunden sowie für Schüler/Schülerinnen der Hauptschule und des Polytechnikums bis zu sechs Wochenstunden), wobei die Förderung unterrichtsparallel, integrativ oder zusätzlich am Nachmittag stattfinden kann. Seit dem Schuljahr 2005/2006 werden meist früh (oft schon zwischen November und Jänner) Schuleinschreibungen vorgenommen, um Kindern mit anderen Erstsprachen als Deutsch über Sprachförderkurse im Kindergarten einen besseren Start zu ermöglichen. Seit dem Schuljahr 2006/2007 kann in der Vorschul-stufe sowie in den vier Schulstufen der VS ab acht Kindern ein solcher Kurs ein Jahr lang angeboten werden (schulstufenübergreifend oder sogar schulübergreifend). Zudem bietet das österreichische Schulsystem den sogenannten „Muttersprachlichen Unterricht“ an, der die Entfaltung der Bikulturalität und die Entwicklung bzw. die Festigung der Zweisprachigkeit zum Ziel hat. Das Zeitausmaß variiert von Schulart zu Schulart (durch-schnittlich zwei bis sechs Stunden pro Woche). In Österreich werden derzeit 20 verschie-dene Sprachen angeboten, allerdings eher in Ballungszentren. Eine Differenzierung ist gegenüber dem Begriff bzw. dem Fach „Interkulturelles Lernen“ vorzunehmen, das als Unterrichtsprinzip Verständnis für und Kenntnisse über andere Kulturen ermöglichen soll. 4. Praktische Überlegungen 4.1 Sprachhandeln (am Beispiel „Verkehr“) Jede Handlung hat ein oft wenig bewusstes Motiv, immer aber ein Ziel, das bewusst ist. Wie dieses Ziel nun in seinen Teilzielen bzw. Teilhandlungen umgesetzt wird, hängt mit den operativen Fähigkeiten zusammen, die ihrerseits wiederum auf bereits gemachten Erfah-rungen beruhen. Eine ganzheitliche Sprachförderung wird immer wieder die Handlung mit der sie begleitenden Sprache im Fokus haben, sodass das kommunikative Geschehen von der Intention des Handelns und dem entsprechenden Gegenstandsbezug geleitet wird. Die Fähigkeit zur Antizipation (Vorstellung und innere Planung von Handlungen bzw. von Hand-lungssequenzen in der entsprechenden Reihenfolge) entwickelt sich nach und nach, sie stellt einen nicht zu unterschätzenden Teil der Handlungsfähigkeit dar. Die Handlungs-planung hat ihren Ausgangspunkt in dem großen Aufforderungscharakter, den jegliches Ding der Umwelt für ein Kind hat. Die Neugierde motiviert das Kind, treibt es voran, alles und jedes zu erforschen, auszuprobieren und durch das Hantieren zu erkunden. So erge-ben sich im spielerischen Agieren erste Abfolgen von Handlungen, die später durch die Fähigkeit der Serialität von großer Bedeutung für die Strategiebildung und für das Problemlösen sind (vgl. Weigl;Reddemann-Tschaikner, 2002, S 50ff). Im Ansatz von HOT, der handlungsorientierten Therapie für Kinder mit Sprachentwick-lungsstörungen, entspricht die sich ergebende Handlungsgrammatik der Sprachgrammatik. „Wichtig ist die Tatsache, dass sich durch die Entwicklung und die täglichen Erfahrungen hinsichtlich der Planung und Serialität der Handlungssequenzen kognitive Prozesse ent-wickeln, die der Strukturierung und der hierarchischen Ordnung der Sprache entsprechen. Dadurch unterstützen und fördern sich Handlung und Sprache gegenseitig.“ (ebda, S 54) 4.2 „Total Physical Response“ / TPR (am Beispiel „Kleidung“) Diese multisensorische Methode des Sprachenlernens auf der Basis der Koordination von Sprache und Handeln wurde von Prof. James Asher, einem Psychologen in Kalifornien, entwickelt. Sie zielt auf ein intensives Training der Wahrnehmungs- und Aufnahmefähig-keiten der Lernenden. Die Bedeutung und die Auswirkungen der affektiven/emotionalen Faktoren beim Lernen sowie die der spielerischen Bewegungen werden genützt, um Kindern Sprache (bzw. eine Fremdsprache) näher zu bringen. Kurze Sequenzen mit Instruktionen, Fragen oder Beschreibungen werden dargeboten. Die Kinder führen die geforderten Aktivitäten aus, ohne anfangs dabei zu sprechen. So gewinnen sie Einblick in die Schlüsselelemente der Sprache. Zu Beginn müssen die Instruktionen natürlich oftmals gegeben und die entsprechenden Aktivitäten durch die Lehrperson veranschaulicht werden. Durch des Erfahren und Ausprobieren von Sprache mit dem Körper und über Bewegungen wird es möglich, Sprache ohne Belastung bald aktiv und korrekt zu verwenden. Mit Hilfe von Aktionsspielen kann das Interesse der Kinder geweckt und aufrechterhalten werden; Kinder geben in Partnerübungen die geforderten Aktivitäten wider, sie spiegeln sie oder agieren mit Hilfe von „Flash-cards“. Das lustbetonte und anregende Miteinander macht neugierig – und abermals führt „das Begreifen zum Begriff“! 5. Literaturliste Ahrenholz, B. (Hrsg.) (2006): Kinder mit Migrationshintergrund. Freiburg i.B.: Fillibach. Anstatt, T. (Hrsg.) (2007): Mehrsprachigkeit bei Kindern und Erwachsenen. Tübingen: Attempto. Babbe, K.; Kraatz, R.; Peper, S.; Loeppke, M.; Rost, K. (2003): Werkstatt Deutsch als Zweitsprache A. Braunschweig: Schroedel (Bildungshaus Schulbuchverlage). bm:ukk, Abt. I/13a, Referat für Migration und Schule (2011^15, aktualisierte Auflage): Gesetzliche Grundlagen schulischer Maßnahmen für SchülerInnen mit anderen Erstsprachen als Deutsch, Gesetze und Ver-ordnungen, Nr. 1/2011. Wien: bm:ukk. bm:ukk, Abt. I/13a, Referat für Migration und Schule (2010^13) /de Cillia, R.: Spracherwerb in der Migration, Nr. 3/2011. Wien: bm:ukk. bm:bwk, Abt. V/12, Referat für Interkulturelles Lernen (2002): Den ersten Schritt gehen wir gemeinsam. Wien: bm:bwk. Briddigkeit, B.; Frikach-Vieregge, A.; Keller, S.; Osterwlad, R. (2005^2): Deutsch als Zweitsprache – systema-tisch fördern. Horneburg: Persen. Brunner, I.; Rottensteiner, E. (2002): Auf in die schillernd bunte Welt der Begabungen. Hohengehren: Schnei-der Verlag. Chilla, S.; Rothweiler, M.; Babur, E. (2010): Kindliche Mehrsprachigkeit. München: Ernst Reinhardt. Fischer, E. (2003^3): Wahrnehmungsförderung. Dortmund: borgmann publishing. Gleuwitz, L.; Martin, K. : Täglich fünf Minuten Sprachförderung. Horneburg: Persen. Günther, B.; Günther, H. (2007^2): Erstsprache Zweitsprache Fremdsprache. Weinheim: Beltz. Holler-Zittlau, I.; Dux, W.; Berger, D. (2006^3): Marburger Sprach-Screening für 4- bis 6-jährige Kinder (MMS). Horneburg: Persen. Hollerer, L.; Seel, A. (Hg.) (2005): Schultütenkinder. Graz: Leykam Verlag. Kany, W.; Schöler, H. (2007): Fokus: Sprachdiagnostik. Berlin: Verlag Cornelsen Scriptor. Kniffka, G.; Siebert-Ott, G. (2009^2): Deutsch als Zweitsprache. Paderborn: Schöningh. 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