© Prof. Dr. Werner Bleyhl Die Defizite des traditionellen Fremdsprachenunterrichts oder Weshalb - endlich - ein Paradigmenwechsel, eine Umkehr, im Fremdsprachenunterricht erfolgen muss Abstract: The topic of this contribution is the mental and philosophical narrowness which has long been the characteristic feature of foreign language teaching. The mental blockage has prevented practical shortcomings being noticed. Findings in all the neighbouring disciplines such as the cognitive sciences, language acquisition research, including foreign language instruction research and the neuro-sciences, have been generously neglected. The new challenge from altered circumstances, which no longer allows teaching to carry on blindly in the same old way, are: foreign language teaching in primary school, content integrated language teaching and finally the Common European Framework for languages which officially resets the language teaching goals. Current language learning theory, crying out for modified teaching practice, can no longer be neglected. Wie war es früher doch so schön und Fremdsprachenlehren so bequem: Der Lehrer lehrte, der Schüler lernte. Und war das Schuljahr um, dann war der Lehrplan erfüllt und gekonnt das Pensum. Ja, mach nur einen Plan. Und mach dann noch ‘nen zweiten Plan gehen tun sie beide nicht. BERTOLD BRECHT Wer mit einem fertigen Plan ins Klassenzimmer kommt, der kriegt immer ein Problem. Aussage bei einer Schülerumfrage. © Wie aber, wenn an jenem Widerwillen gegen die Wissenschaften die Lehrer selbst schuld sind? Wie viele von denen, die sich anschicken, die Jugend zu bilden, sind darauf bedacht, daß sie sie erst geeignet machen, Bildung überhaupt in sich aufzunehmen? Wer von den Lehrern denkt daran, den Schüler - ehe er ihn durch Vorschriften bildet - zuvor kulturbedürftig, ja kulturfähig zu machen? JOHANN AMOS COMENIUS 1650 Der Beitrag ist getragen von dem Unbehagen des Verfassers über die Diskrepanz des schulischen Fremdsprachenunterrichts zwischen dem Energieaufwand sowohl der Lehrer wie auch der Schüler und dem letztlich nicht voll befriedigenden Ergebnis der Anstrengungen aller. Nach einer Einleitung, in der einige die gegenwärtigen Herausforderungen angesprochen werden, und zwei „Erfolgs“-Beschreibungen des heutigen Fremdsprachenunterrichts, erfolgt eine Skizzierung tradierter, die Unterrichtspraxis entscheidend beeinflussenden, den Lehrern so gut wie nie bewussten Lernvorstellungen, die jedoch heute weder theoretisch noch empirisch haltbar sind, die aber unverantwortlich kontraproduktiv wirken. Im 4. Abschnitt wird der Frage nachgegangen, inwieweit der Fremdsprachenerwerb überhaupt steuerbar ist und die natürliche Erwerbssequenz nach Pienemann aufgelistet. Lernen und Sprachenlernen, aus jüngster biologischer und psychologischer Sicht, wird im nächsten Abschnitt skizziert, ehe mit einem Abriss wesentlicher Bedingungen für einen effektiven Spracherwerb in institutionalisiertem Rahmen geendet wird. 1. Einleitung In einer Zeit der allgemeinen Verunsicherung scheint, relativ überraschend für manche, selbst in der bislang windstill gelegenen Nische des Fremdsprachenunterrichts eine gewissen Unruhe aufzukommen. Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen will eine gewisse Umwertung mancher Werte bringen. Lernziel war für - den von wem auch immer mit Sprachenfragen Europas betrauten - JOHN TRIM schon früher klar: „communicative effectiveness is the criterion of success, not the mere performance of linguistic exercises without error“ (TRIM 1992: 8). Denn der schon in den 70er-Jahren vorgestellte Threshold Level bzw. Niveau-seuil machte deutlich: ...the formal structure of a language has been displaced from its central position, command of grammar and vocabulary is seen as an indispensable means to a communicative end rather than an end in itself. Assessment and evaluation are © increasingly based on the performance of communicative acts rather than on structural manipulation or discrete item testing. The criteria applied are those of communicative effectiveness rather than formal correctness (fett W.B.) (TRIM 1992: 10). Mit dem Hinweis auf die selbstverständliche Notwendigkeit von Grammatik und Lexik wollte er wohl den Traditionalisten den Übergang nicht so harsch erscheinen lassen. Dass TRIM Grammatik vor Lexik anführt weist darauf hin, dass er 1992, wie die meisten heutigen Lehrer, noch nicht wusste, dass Lexik nicht nur pragmatisch wichtiger ist als Grammatik, sondern dass nur eine kritische Masse an erworbener Lexik den Erwerb der Grammatik erst ermöglicht. 2. Die Leistung des heutigen Fremdsprachenunterricht Unstrittig ist, dass Abiturienten Studierfähigkeit erlangt haben sollten. Dies heißt heute u.a., dass sie englischsprachige Texte des entsprechenden Niveaus lesen und verstehen können müssen. Die mit der PISA-Studie bekannt gewordenen Experten für empirische Bildungsforschung KÖLLER und BAUMERT haben Abiturienten in zwei Bundesländern mittels des in der Zulassungspraxis zu amerikanischen Universitäten langjährig bewährten TOEFLTests untersucht. Ergebnis: Natürlich haben die meisten Schüler erfolgreich abgeschnitten, nur: sie waren um so erfolgreicher, je mehr sie außerhalb des Lehrbuchs in der englischen Sprache aktiv waren. Die Befunde zum Auslandsaufenthalt belegen die überragende Bedeutung des Lernens in authentischen Kontexten. Ein Schüler, der mehr als 6 Monate im Ausland war, hat eine 11 bzw. 12mal höhere Chance, die kritischen Werte (des Tests) zu überschreiten als jemand, der nie im Ausland war, und zwar bei Kontrolle aller übrigen Prädikatoren“ (KÖLLER u.a. 2004). Mit anderen Worten: Die Durchnahme der Lehrbücher reicht nicht1 . Der Pisa-Experte BAUMERT urteilt in einem Radio-Interview allgemein: „Wenn wir die Leistungsentwicklung angucken, wir haben für das Gymnasium Vergleiche von 1968 an aus unserem Institut, dann haben wir einen Abfall der Leistung bei gleichzeitig ansteigender Intelligenz. Das ist das eigentliche Problem.“ (in R. KAHL 2004, 18.12.2004) 1 Es wäre - angesichts der schlechten Werte der über die Haupt- oder Realschule zum Abitur gekommenen Abiturienten - einer weiteren Studie wert, näher zu untersuchen, inwieweit der Schluß berechtigt ist, daß die Schüler um so weniger können, je kleinschrittiger ihre Lehrbücher vorgehen und die Inhalte gleichzeitig banaler werden. © In ihrem Bericht über einen deutsch-schwedischen Schüleraustausch stellte HUFEISEN (2005) u.a. fest, dass eines der Arbeitsprinzipien der schwedischen Schule der „Einbezug der Lebenswirklichkeit in das Lernen“ ist, dass dort außerdem eine andere „Lernkultur“ herrsche, dass die Schüler dort lernen wollten und nicht, wie viele der deutschen Schüler, die Schule weitgehend ablehnten. Bei ihrer vorgenommenen Leistungsuntersuchung fand die Autorin „eine Korrelation zwischen Alter (und Anzahl der Jahre mit Englischunterricht) und formaler Korrektheit der Texte...Die deutschen SchülerInnen erzielten in Bezug auf Grammatik allgemein, Satzstellung und Wortwahl geringfügig bessere Resultate bei den Tests und in der mündlichen Kommunikation; allerdings zeigten sich die schwedischen Jugendlichen gewandter in der mündlichen Kommunikation, was die Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten, den Wortschatz und die Suche nach Alternativen anbetrifft.“ In Bezug auf Einzelfehler schreibt sie: „Laut Hessischem Lehrplan für das Unterrichtsfach Englisch Klassen 8 und 9 sollten SchülerInnen nach viereinhalb bzw. fünfeinhalb Jahren Englischunterricht nicht mehr Äußerungen wie die folgenden produzieren: ‘...he don’t tell me things.../ I think it’s would be a funny time.’ Auch bei den schwedischen SchülerInnen finden sich vergleichbare Fehler: ‘I taking part.../ They got a lots of cars’“ (HUFEISEN 2005: 11). Angesichts solcher Befunde, die zeigen, daß sich die sprachlichen Lernprozesse nicht nach den Lehrplänen richten, ist die Frage nach der inneren Berechtigung bzw. nach der Sinnhaftigkeit solcher „Lehrpläne“, die Frage nach deren inneren Begründung und Logik, nicht von der Hand zu weisen. 3. Die heimlichen Theorien hinter dem traditionellen Fremdsprachenunterricht Es ist hier leider nicht der Rahmen gegeben, Unterricht näher und die sie tragenden Vorstellungen vom Lernen bei den Lehrern im einzelnen zu analysieren. Verwiesen sei auf BLEYHL (2005b). Dort wurde das Lehrerverhalten einer mit Video festgehaltenen Szene mit Anfängern eines Unterrichts analysiert, der sich als ausgesprochen „kommunikativ“ verstand, objektiv wohl aber allenfalls ‘pseudo-kommunikativ’ zu nennen wäre, da für niemand im Klassenzimmer eine neue Information angeboten wurde. Eine Reihe folgender traditioneller Sprachlernvorstellungen wurde erkennbar: Lernen erfolge primär über Imitation. Lernen wird verstanden als ein Input-Output-Geschehen. Der Stoff soll linear, Schritt für Schritt, vom Einfachen zum Schwierigen, gelernt werden. © Wenn Lernschwierigkeiten auftreten, wird das Geschütz der Bewusstmachung, der Kognitivierung, aufgefahren. Man folgt dabei dem informationstheoretischen Ansatz in der Annahme, dass der Königsweg zum „Können“ über das „Wissen“ gehe. Die lineare Logik erfordere so auch ein Vorgehen gemäß einer grammatischen Progression. Wenn auch nicht sofort bei den beginnenden Anfängern, so holt man sich als Stütze die Schrift2 . (Immer wieder verweisen Lehrer auf ihre eigene Erfahrung, dass sie selbst erst sicher seien, wenn sie das unbekannte Wort geschrieben sähen. - Man befindet sich damit fest in der Tradition, da man im Unterricht des Lateinischen oder Griechischen immer nur vom geschriebenen Wort ausging.) Getragen wird das methodische Vorgehen vom Glauben an die Steuerbarkeit des Sprachenlernens. Diesem Vorstellungskonglomerat liegt ein Gemenge von nicht nur einander sich widersprechenden, hier ungerechtfertigten, weil in ihrem Absolutheitsanspruch inzwischen falsifizierter Theorien zugrunde, die insgesamt zu der Situation führen, dass im deutschen Fremdsprachenunterricht mit sehr viel Energie seitens der Lehrer, wie auch seitens der zunächst durchweg hochmotivierten Schüler insgesamt ein nicht voll befriedigendes Ergebnis erreicht wird. Diese Theorien - hier nur holzschnittartig skizziert - gilt es zu erkennen und auf ihre Berechtigung für den Fremdsprachenunterricht zu befragen: (a) Der Lehrer spricht vor, der Schüler spricht nach. - Dahinter steht die Vorstellung, dass Sprachenlernen über Imitation erfolge. Der Lerner mache eine bestimmte Erfahrung, versuche die angebotene Information selbst wiederzugeben und „präge“ sich so das Neue ein (input-output-Verfahren). Dies ist die Vorstellung des Empiristen JOHN LOCKE, wonach der Mensch ein Wachstäfelchen sei, eine tabula rasa, die durch Lehren entsprechend eingeritzt werde und so Lernen stattfinde. Notfalls gelte es die Verknüpfungen von Reizen und Reaktionen zu „drillen“, wie es die technisch versierteren Behavioristen vorschlagen. Kommentar: Die Problematik der Wahrnehmung wird hier einfach negiert. Was KANT schon aufzeigte, hat auch die Gestalt- und die neuere Kognitionspsychologie hinreichend klargemacht: Wahrnehmung ist von entsprechenden Kategorien des Wahrnehmenden abhängig. Imitation ist erst dort möglich, wo die entsprechenden kognitiven, motorischen etc. 2 Zur Frage der Schrift vgl. BLEYHL 2006. © Bedingungen gegeben sind. Imitation ist wichtig, aber sie ist - ganz bestimmt im Bereich Sprachenlernen - sekundär, sie ist an Voraussetzungen wie einem Empfinden für Rhythmus u.a. gebunden. Wenige Hinweise müssen hier genügen: Trotz der angeborenen Fähigkeit zur Lautunterscheidung, die Evolution hat es so eingerichtet, dass der Säugling aus physiologischen Gründen erst nach sechs Monaten mit der eigenen Sprachlautproduktion beginnen kann, d.h. erst dann, wenn das Phonemsystem der ihn umgebenden Sprache sich in ihm mental stabilisiert hat. Im Erstspracherwerb geht Verstehen (Rezeptionsfähigkeit) von Wörtern der eigenen Produktion fünf bis sieben Monate voraus. Beim Zweitspracherwerb sind diese auch hier individuell unterschiedlich langen, aber notwendigen Rezeptionsphasen - inzwischen neurobiologisch erklärbar - kürzer. Im traditionellen Fremdsprachenunterricht werden sie dem Lerner nicht gestattet. (b) RENÉ DESCARTES ist im Fremdsprachenunterricht von heute oft noch in dreierlei Hinsicht präsent. 1. Er begründete die erkenntnistheoretische Methode des Aufspaltens des Komplexen in Einzelsegmente, kurz die reduktionistische Methode. Kommentar: Inwieweit dieses Isolieren der Einzelphänomene gerade bei lebender Sprache, die ja gerade immer simultan ein Geschehen auf mehreren Ebenen, in mehreren Dimensionen ist und die ohne die gleichzeitige Mehrdimensionalität eben nicht mehr lebendig ist, zu fragwürdigen Ergebnissen führt, habe ich in BLEYHL (2004) aufzuzeigen versucht. Die fatale Folge der - didaktisch gut gemeinten, aber oft kontraproduktiven grammatischen Progression (BLEYHL 2005a) und der Reduzierung auf einen sprachlichen Aspekt mit der methodischen Konsequenz des PPP (present - practise - produce) kann sogar gerade ein Erschwernis, wenn nicht die Unmöglichkeit des Lernens zur Folge haben, da die notwendigen sozialen und intentionalen Bedingungen sprachlicher Kommunikation fehlen. 2. Für DESCARTES war der Mensch gespalten in die res extensa, seinen Körper, und in die res cogitans, den Geist. Diese Vorstellung liegt denn auch der ganzen Tradition im Fremdsprachenunterricht der Trennung zwischen Sprache / Geist einerseits und Körper andererseits zugrunde. Kommentar: Es ist die Tradition der „talking heads and dead bodies“ (vgl. LEGUTKE / THOMAS 1991). Heute noch ist es in der Praxis des Fremdsprachenunterricht keine Selbstverständlichkeit, dass „zum umfassenden Verständnis des menschlichen Geistes (und damit auch der Sprache, W.B.), eine organische Perspektive erforderlich ist, dass der Geist © nicht nur aus einem körperlosen Cogitum in das Reich von Körpergeweben verlegt, sondern auch zu einem ganzen Organismus in Beziehung gesetzt werden muss, der aus den vielfältig miteinander verflochtenen Teilen des Körpers im eigenen Sinn und des Gehirns besteht und der mit einer physischen und sozialen Umwelt interagiert“ (DAMASIO 1997: 333). 3. Es muss noch der Aspekt Rolle des Bewusstseins beim Sprachenlernen angesprochen werden. Für DESCARTES war das Denken des Menschen, die Kognition, etwas Bewusstes. Alles Lernen war für ihn bewusstes Lernen. In diesem Denken fordert Lernen auch im Fremdsprachenunterricht Bewusstmachung. Kommentar: Auch diese Tradition ist in der Praxis des Fremdsprachenunterrichts immer noch sehr lebendig (vgl. die Behandlung der Grammatik bis zur Betonung der ‘language awareness’). Dabei erlebt jeder Lehrer mindestens einmal in jeder Stunde, dass ein Schüler einen Verstoß gegen eine Regel begeht, die er weiß, die dessen sicheres deklaratives Wissen ist und die er auch bewusst weiß, wie etwa, dass im Englischen im simple present die Form der 3. Person Singular die Endung -s bekommt. Dank der Unterrichtsforschung (etwa HECHT / GREEN 1992) ist hinreichend bekannt, dass wir zwischen deklarativem und implizitem Wissen Korrelationen feststellen können, wie wir nur wollen. Wir wissen dank der neueren Kognitions- und Neurowissenschaften, dass unser Bewusstsein nur ca. 40 bis 60 bits3 pro Sekunde verarbeiten kann. Wir wissen auch, dass unser kognitiver Apparat im Gehirn schon beim Anblick eines Bildes mehrere tausend bits pro Sekunde zu verarbeiten hat. Wenn auch die Sprachwissenschaft die zig-tausend bits, die bei sprachlichem Handeln, analytisch mit großen Zeit-, Kraft- und Papieraufwand ans Licht heben kann (ohne den Anspruch, damit alle zu erfassen), kann die Verarbeitung und Realisation im Leben (online) zum Großteil nur unbewusst erfolgen. Es bedarf hierzu interner, kulturell erworbener Kompetenzen, also solche, die sich im Sprachbenutzer historisch, evolutionär entwickeln müssen. Ob die einem Sprecher jeweils bewusste Theorie die für sein jeweilige Handeln die entscheidende ist, muss dahingestellt bleiben. (Die Selbsttäuschung ist nicht aus Zufall ein Ur-Thema der Literatur.)4 Auf die - inzwischen unbestrittene - parallele Arbeitsweise unseres Gehirns kann hier nicht eingegangen werden. Nur soviel: Manche wähnen sich schon sehr fortschrittlich, wenn sie auf die beiden Hemisphären unseres Großhirns zu sprechen kommen und betonen, die eine 3 Dabei sei mit BATESON (1981) ein bit als ein Unterschied definiert, der einen Unterschied macht. 4 Forschungsansätze, die auf dem cartesischen Bewußtseinsmodell basieren und meinen, so Erkenntnisse zu fördern, die über banale Selbstverständlichkeiten hinausgehen, stehen damit schon auf einem fragwürdig gewordenen theoretischen Fundament. Den Nachweis relevanter pragmatischer Ergebnisse für ein erfolgreiches Fremdsprachenlehren oder -lernen sind sie ohnehin - bei allem verbalen Aufwand - schuldig geblieben. © sei für die Analyse, die andere für Emotionen zuständig, die eine für Sprache, die andere für die nonverbalen Fertigkeiten. Hier soll nur verwiesen werden auf führende britische Neurowissenschaftlerin SUSAN GREENFIELD. Sie fasst mit aller gebotenen Vorsicht die hier relevanten Forschungsergebnisse folgendermaßen zusammen: „Rather, the findings suggest that the difference between the left and the right hemisphere is one of degree rather than of absolute distinction. ... The result (of a great deal of research) is that our two hemispheres enable us to see the world at more than one level, to see detail and the bigger picture at once“ (GREENFIELD 2000: 168). D.h. das menschliche Gehirn kann mehr leisten, als ihm die naive bzw. die auf dem Stand eines DESCARTES stehen gebliebene Didaktik zutraut. Es braucht allerdings Zeit, um die für ein erstrebtes Verhalten notwendigen mentalen Strukturen wachsen zu lassen. Inwieweit deklaratives Wissen ein sinnvolles Lernziel sein soll, kann hier nicht erörtert werden5 . Sicher ist, dass es Zeit (und entsprechende Erfahrung) braucht, ehe der Geist sich seiner selbst bewusst wird, und dass auch für Sprache gilt, wie es HEGEL ausdrückte, dass das Kennen dem Erkennen vorausgehen muss6 . - Bei allem Respekt für DESCARTES, seine Irrtümer (vgl. DAMASIO 1995) brauchen den Fremdsprachenunterricht von heute doch langsam nicht mehr zu belasten. Denn, im Umgang mit Sprache, „eine symbolisch verkörperte Institution, die sich zuvor aus sozio-kommunikativen Tätigkeiten entwickelte“ (TOMASELLO 2002: 114), sind weit mehr als 40 bis 60 bits pro Sekunde zu verarbeiten. Sich der verschiedenen Dimensionen von Sprache bewusst zu bedienen oder auch nur bewusst wahrzunehmen, ist völlig unmöglich7 . Unser Bewusstsein kann schließlich jeweils nur einen Aspekt fokussieren. Das mit den Sachverhalten vertraute Gehirn „verrechnet“ alles, was ihm wichtig scheint, selbstorganisatorisch (vgl. BLEYHL 1997). Je mehr jedoch das Bewusstsein bemüht wird, desto größer wird die Gefahr der, wie es RINVOLUCRI, EARL STEVICK aufgreifend, genannt 5 Auf die Argumente gegen den kognitivistischen Ansatz von KARMILOFF-SMITH sei auf TOMASELLO (2002: 226-229) verwiesen. 6 In der Deutschdidaktik ist hier schon mehr Einsicht über die Begrenztheit des Sprachwissens für das Sprachkönnen zu finden. SPITTA (2003: 180) etwa betont, es sei nun für viele Lehrer Zeit, sich von der Meinung bzw. der Hoffnung zu verabschieden, daß Sprachwissen, Wissen über Sprache, sich positiv auf die Sprachproduktion auswirke. Und INGENDAHL nennt unter den schwärzesten Einsichten aus der Tragödie des Grammatikunterrichts, die oftmals einer schulischen „Realsatire“ gleiche, etwa, daß alle Fragen dort „handlungsirrelevant“ seien oder daß „die selbstgeschaffenen Probleme zu diskutieren der einzige Sinn und Zweck der Grammatik-Konstruktion“ sei (INGENDAHL 1999: 8). - Für die Kognitionsforscherin STERN ist als Ergebnis ihrer Forschungen klar: Wissen über Wissen, Metakognition ist sekundär (vgl. STERN 2002), und grammatische Begriffsbildung hat erlebte und verinnerlichte Erfahrung mit der Sprache als Voraussetzung. 7 Vgl. SCHULZ VON THUN, der die Kommunikationsmodelle BÜHLERs und WATZLAWICKs in seiner Kommunikationspsychologie kombinierte und aufzeigte, wie in jeder Nachricht mindestens simultan vier Nachrichten enthalten sind: neben dem Sachinhalt eben noch der Appell, die Selbstoffenbarung und die Implikationen über die Beziehungen der kommunizierenden Personen (SCHULZ VON THUN 1. Aufl. 1988, 41. Aufl. 2005). © hat, der „linguistic semi-stangulation“, der „’lathophobic aphasia’ or inability to speak due to fear of making mistakes“ (1997). Ehe später noch auf die Entwicklung der grammatischen Strukturen im Lerner eingegangen wird, sei in diesem Rahmen hier nur kurz darauf verwiesen, dass normalerweise wegen seiner beschränkten Reichweite unser Bewusstsein mit den Inhalten, die wir sprachlich fassen wollen, hinreichend beschäftigt ist. Nun will „kommunikativer Fremdsprachenunterricht“ ja gerade die Inhalte ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen, die Schüler das lehren und üben lassen, was sie später benötigen, nämlich die Sprache als Mittel der Verständigung zu gebrauchen. Die Lehrer betonen dies auch. Sie sind jedoch - wie ihr Korrekturverhalten zeigt - oftmals primär an der Sprachform oder anderen als von ihnen angegebenen Aspekten interessiert, wie es WULF in folgendem Splitter eines Schüler-Lehrer-Dialogs prägnant fasste: „‘...and they they died.’- ‘Very good.’“ Selbst der gut meinendste Lehrer wird - oft unbewusst - von seinem Primärinteresse ‘Sprachform’ verführt. Er ist Sklave seiner „tunnel vision“ auf sprachliche Korrektheit, schließlich gilt es den der grammatischen Progression verpflichteten Lehrplan zu erfüllen Und diese innere Unaufrichtigkeit, dass der Lehrer Inhalt sagt und Form meint, wie sein Verhalten offenbart, merken die Schüler wohl, nicht aber die Lehrer. Hier verstößt ein Unterricht, wie sehr er sich auch kommunikativ gibt, gegen den ethischen Grundsatzes des „co-operative principle of conversation“ (GRICE). Die Schüler spüren die „phoniness“ der Erwachsenen, unter der SALINGERs Held seines Jugendromans so gelitten hat. Ist es dann ein Wunder, wenn Schüler spätestens ab der Pubertät den Fremdsprachenunterricht, und dies bei der zweiten Fremdsprache mehr als bei der ersten, in der man früher sicherer ist, als eine Einrichtung der Verlogenheit ablehnen? (c) Ein Ur-Vorbild allen Unterrichtens, so verwässert der Gedanke über die Jahrtausende auch wurde, ist die zur Weisheit führende Dialogtechnik eines SOKRATES, wie PLATON sie uns überlieferte. Hierin liegt die Berechtigung für das unterrichts-typische Frage-AntwortSpiel des Lehrers, über das REINHARD KAHL (2004) urteilt: „Das Gespräch im sogenannten ‘fragend entwickelnden Unterricht’ ist ein Pseudogespräch“. Kommentar: Über dieses Erbe ist zumindest zweierlei zu bemerken. 1. PLATON ging davon aus, dass alles Wissen dem Menschen angeboren sei, weshalb der wahre Lehrer, wie SOKRATES, nur die Hebammenkunst anzuwenden habe, um das im Menschen schlummernde Wissen mäeutisch, mit Hebammengeschick, ins Bewusstsein zu heben. - Bei aller Anerkennung der angeborenen Disposition für Sprache beim Menschen, Sprache ist © nicht genetisch gegeben. Indirekt hat dieser Ansatz im 20. Jahrhundert jedoch einen gewissen Auftrieb erhalten, insofern als CHOMSKYs Idee der dem Menschen angeborenen ‘Universalgrammatik’ diesen platonischen Vorstellungen so fern nicht ist. Abgesehen davon, dass keine Berichte über die im Fremdsprachenunterricht wirksam sich erweisende angeborene Universalgrammatik vorliegen, ergab die linguistische Forschung der nichteuropäischen Sprachen, dass die Idee der Universalgrammatik ein Mythos ist. „No single formal grammar would be adequate to account for the acquisition process in all of the world’s many thousands of languages“ (SLOBIN 1973, in: TOMASELLO 2005: 4). Natürliche Sprachen sind eben kein Satz abstrakter algebraischen Regeln, die, unempfindlich für Bedeutungen, sich algorithmisch kombinieren lassen und nur ein Lexikon aufweisen, das die Bedeutungselemente enthält. Der Stand seiner Spracherwerbsforschungen zusammenfassend betont TOMASELLO, daß wir stattdessen von einem einzigen Spracherwerbsprozess ausgehen können, bei dem der Lerner abstrakte Kategorien und Schemata auf Grund seiner konkreten Spracherfahrung konstruiert und dabei mit den Informationseinheiten beginnt, die er eben verarbeiten und kategorisieren kann. Die entscheidenden kognitiven Prozesse sind dabei das Deuten der Sprechabsichten und das Herausfinden der allgemeinen Muster, d.h. die psychologische Dimension ist für einen Lernerfolg bzw. für das Verstehen dieser Lernprozesse unverzichtbar. Sprachkönnen des einzelnen ist das Ergebnis eines komplexen Prozesses der Soziogenese. - Als 2. ist zu bemerken, - und dies impliziert die Hebammenleistung allemal -, dass mehr als ein halbes Jahr vor der Geburt bereits eine befruchtende Begegnung stattgefunden haben muss und dass eine Reifezeit möglichst ohne äußere Störungen gegeben war, soll die Geburt ein freudiges Ereignis werden. Mit ein Qualitätsausweis einer guten Hebamme ist schließlich, dass sie den rechten Zeitpunkt für ihre Hilfestellung erkennt. Ein Input-Output-Denken ist auch im geistigen Bereich schädlich, wenn nicht tödlich. (d) Ein Erbe des reduktionistischen Vorgehens von DESCARTES ist auch, dass etwa FERDINAND DE SAUSSURE und seine Gefolgsleute mit der deskriptiven, analytischen Aufspaltung eines ‘Wortes’ in signifiant (Symbol) und signifié (Referent) zufrieden waren. Die Ineffektivität des Wörterlernens im Fremdsprachenunterricht (bzw. als individuelle häusliche Tätigkeit) auf dieser Basis ist notorisch. Kommentar: Für das Sprachenlernen ist diese eingeschränkte Sichtweise der strukturalistischen Linguistik völlig unangemessen: theoretisch ist schließlich jede sprachliche Referenz ein sozialer Akt. Empirisch kann sprachliche Referenz, die jeweils eine momentan relevante Auswahl aus dem Weltgeschehen ist, immer nur in einem Kontext © sozialer Interaktion verstanden werden (vgl. TOMASELLO 2002). Im natürlichen Sprachenlernen ist eine solche soziale Einbettung immer gegeben, und entsprechend leichter werden die Wörter behalten bzw. stellen sich in entsprechenden Sozialsituationen auch viel schneller wieder im Gedächtnis ein. - Erinnert sei an die unvergleichlich höhere Effektivität im Fremdsprachenunterricht mit TPR. Das methodische Vorgehen mit der Technik des TPR basiert auf der kreisenden Evokation eines Ensembles von Intentionen und in deren Folge von mentalen Begriffen, die sprachlich benannt werden: die Wirkung von Symbolen in der sozialen Interaktion wird im Raum erlebbar. So entsteht eine gemeinschaftliche Gruppe derer, die die Symbole verstehen und gebrauchen, es entsteht eine Sozialpartnerschaft, in der der Lehrer steuert, genau wie die Lerner über ihr Zögern, ihr Verhalten den Lehrer steuern. Beide erleben, dass die genaue gegenseitige Beachtung erfolgreich ist; alle erleben, dass ihr Vertrauen in den anderen nicht enttäuscht wird, und alle gewinnen so auch Selbstvertrauen. In diesem körperlich-sozialen Zusammenspiel organisiert und verinnerlicht der Lerner - weitgehend unbewusst8 , - das kulturelle Symbolsystem der zunächst noch fremden Sprache. Reduktionistisches, formalistisches Denken hat im Bereich Sprache nur dort seine Berechtigung, wo von vorne herein nur Aussagen zu Teilbereichen getroffen werden sollen. Wird sprachlich Mehrdimensionales in Eindimensionales gezwängt, so wird die sich ergebende Unzulänglichkeit schnell offenbar, wie anlässlich der jüngst unternommenen Rechtschreibreform geschehen, die wegen - der Lehrern nur zu gerne unterstellten geistiger Enge keineswegs zur Steigerung des gesellschaftlichen Ansehens solcher ‘Sprachfreunde’ beigetragen hat. (e) Das reduktionistische Weltverständnis neigt zum Positivismus, der sich im Fremdsprachenunterricht in der Vorstellung findet, man könne eine sprachliche Äußerung „objektiv“ beurteilen. Kommentar: Selbst im naturwissenschaftlichen Denken ist diese Vorstellung lange überwunden. „Objektivismus“ im strengen Sinne ist dort eine indiskutable Position geworden, genau wie in der modernen Philosophie. Wissenschaft bildet Wirklichkeit nicht ab, sie 8 Die Traditionalisten haben damit große Schwierigkeiten. Sie hängen immer noch am antiken Menschenbild vom Menschen als einem animal rationale, einem „mit Vernunft begabten Lebewesen“. Sie haben oftmals noch nicht einmal KANT rezipiert, für den der Mensch ein „zur Vernunft fähiges Lebewesen“ ist, d.h. daß gewisse Voraussetzungen für Vernunft (und Kultur) gegeben sein müssen (vgl. das an den Anfang gestellte Zitat von COMENIUS). Sie haben erst recht nicht SIGMUND FREUDs Kränkung der Menschheit akzeptiert, wonach der Mensch wegen der Macht des Unbewußten nicht einmal „Herr im eigenen Hause ist“, eine Kränkung, die die Neurobiologie weitgehend bestätigt, was ein Gutteil der im Emotionalen gründenden Vorbehalte gegen die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Disziplin erklärt. © konstruiert sie. Sprache bildet Wirklichkeit genauso wenig ab, sie gliedert und konstruiert Wirklichkeit und zwar im sozialen Miteinander mit den kulturell evolutionär gewordenen Mitteln. Ihr Funktion ist, die Aufmerksamkeit anderer zu beeinflussen. Die jeweils vom Sprecher eingenommene Perspektive, seine Einschätzung der Kommunikationssituation etc. bestimmt die Wahl seiner Sprachmittel. (Das ist ein Fakt, der in der gegenwärtig im Schulischen ablaufenden Evaluationsdiskussion überhaupt nicht hinreichend beachtet zu werden scheint, zeigt allerdings einmal mehr die geistige Retardation im wissenschaftlichen Denken in der Fachdidaktik bzw. der Sprachlehr- und -lernforschung, wo die Problematik der „Wahr“-„nehmung“ und der Perspektive nie hinreichend bedacht wurde.) 4. Inwieweit ist der Erwerb einer Fremdsprache durch Unterricht steuerbar? Diese Frage pflegt sich der Fremdsprachenlehrer im Allgemeinen gar nicht zu stellen. Er geht einfach von der Gegebenheit aus. Und übt man etwa eine Struktur auch lange genug im Unterricht, so schneiden die Schüler in einer diese Struktur alsbald überprüfenden Klassenarbeit auch gar nicht so schlecht ab. Das Problem ist nur, nach ein paar Wochen scheint bei zu vielen Schülern dieses Gelernte einfach nicht mehr vorhanden. Das ist im Mathematikunterricht oder anderen Schulfächern genau so. Nur, immer wieder diese leidige Erfahrung machen zu müssen, strapaziert mit den Jahren die Nerven der Lehrer. (Von den Schülern soll hier gar nicht die Rede sein.) Inzwischen gibt es jedoch groß angelegte empirische Untersuchungen des Fremdsprachenunterrichts. Würden die Lehrer die vorgelegten Ergebnisse zur Kenntnis nehmen, müsste es ihnen eigentlich wie Schuppen von den Augen fallen: 1. „Der Erwerb der ... Grammatik unter gesteuerten Bedingungen verläuft anders, als üblicherweise in der Fremdsprachendidaktik angenommen... Der Grammatikerwerb unterliegt internen Gesetzmäßigkeiten, die durch den Unterricht nicht kurzgeschlossen und nicht geändert werden können. Der Weg über Erwerbsstrategien ist unvermeidlich; lernersprachliche Abweichungen sind konstituierender Bestandteil des Erwerbsprozesses. 2. „(D)er Erwerb (erfolgt) in einer festen Abfolge von Phasen... 3. „In keinem der (untersuchten) Bereiche verläuft der Erwerb parallel zum schulischen Grammatikprogramm....“ (DIEHL u.a. 2000: 359f.). Die Daten dieser Untersuchung zeigten zudem, „dass schulischer Unterricht Fossilisierungen ... geradezu verursachen kann, und zwar dann, wenn sich eine Schüler oder eine Schülerin vom Rhythmus der schulischen Grammatikprogression überrollt fühlt“ (ib. 375). Das Fazit © lautet: „Implizite Lernmechanismen sind bei der Bewältigung komplexer Aufgaben (wie zum Beispiel Spracherwerb) effektiver als explizite“ (ib. 377). Das schon seit den 70er Jahren an kleineren Studien gewonnene und nun in einer breiten und langfristig angelegten Studie bestätigte Ergebnis besagt, dass schulischer Fremdsprachenunterricht die natürlichen Erwerbssequenzen nicht verändern kann (vgl. WODE 1974; 1981), daß - bezüglich der Abfolge der sprachlichen Entwicklung - in den Lehrplänen stehen kann, was will (verwiesen sei auf die eingangs zitierten Beispiele von HUFEISEN). Die intern sich entwickelnde Reihenfolge ist allemal stärker. Es lohnt also, die Aufmerksamkeit auf diese Sequenzen zu lenken. Und diese Sequenzen wurden für das Deutsche (DIEHL u.a. 2000: 364) und das Englische (vgl. auch PELTZERKARPF / ZANGL 1998) erstellt. Die Reihenfolge PIENEMANNs (1998; 2004), der sich seit Jahrzehnten mit diesen Fragen beschäftigt, sieht folgendermaßen aus: Stages Phenomena Examples 1 Words Formulae Hello, Five Dock, Central How are you? Where is X? What’s your name? 2 S neg V(O) SVO SVO-Question -ed -ing Plural -s (Noun) Poss -s (Noun) Me no live here./ I don’t live here. Me live here. You live here? John played. Jane going. I like cats. Pat’s cat is fat. 3 Do-SV(O)-? Aux SV(O)-? Wh-SV(O)-? Adverb-First Poss (Pronoun) Object (Pronoun) Do he live here? Can I go home? Where she went? What you want? Today he stay here. I show you my garden. Mary called him. © 4 Copula S (x) Wh-copula S (x) V-particle Is she at home? Where is she? Turn it off! 5 Neg/Aux-2nd -? Aux 2nd-? 3sg-s Why didn’t you tell me? Why can’t she come? Why did she eat that? What will you do? Peter likes bananas. 6 Cancel Aux-2nd I wonder what he wants. (Acquisition sequence in English according to PIENEMANN’s Processability Theory, rearranged, aus: LENSING 2004: 37) In aller Deutlichkeit muss betont werden, dass sich aus einer solchen Reihenfolge kein Curriculum, kein Lehrplan, keine grammatische Progression eines Sprachunterrichts ableiten lässt. Genau wie der Lerner die Erfahrung des Bedeutungskontrastes beim Erlernen der sich oftmals wechselseitig definierenden Wörter braucht, braucht der Lerner die Erfahrung der verschiedenen Strukturen. Denn erst im Kontrast zu einander, in der Erfahrung ihrer Opposition, lässt sich die Leistung einer bestimmten grammatischen Erscheinung erkennen und erwerben. Eine Progression im Gänsemarsch erlaubt diese Kontrasterfahrungen nicht und erschwert das Lernen der Spezifik der Leistungen jener Spracherscheinungen. Eine zu fürsorgliche Simplifizierung führt zudem oft zur Trivialisierung und wirkt dann kontraproduktiv, wie mancher Unterricht, viele Bilderbücher und etwa „Bearbeitungen“ von Märchen zeigen, die wegen zu großer sprachlicher Banalität langweilen und das Lesen verleiten. Jeder Lerner, der vom Inhalt angesprochen ist, holt sich aus dem sprachlichen Angebot, was er jeweils versteht und braucht; Weltwissen, inhaltliches Interesse und die nonverbalen Kommunikationskanäle bieten vielfältige Dekodierungshilfen. Erkennt der Fremdsprachenlehrer, dass jeder Lerner diese Sequenz nach seinem Tempo und entsprechend der Intensität seiner mental verarbeiteten Sprache erwirbt, so gewinnt er und der Unterricht - gewaltige Freiheitsgrade. Hinzu kommt - und darüber besteht in der neueren Linguistik Konsens -, dass der Erwerb der Grammatik „lexicon driven“ ist, abhängig vom verinnerlichten Wortschatz des Lerners. Der Beginn des Erwerbs grammatischer Strukturen setzt ein ab einem Wortschatz von 400 bis 500 lexikalischen Einheiten (MARCHMAN / BATES 1994). © Damit ergibt sich, dass Sprachenlernen nicht durch das Pauken von Grammatikregeln und von Listen leerer Vokabelhülsen erreicht wird, sondern durch den Aufbau mentaler Begriffe, wie sie die jeweiligen Sprachgemeinschaften im Laufe ihrer Geschichte entwickelt haben, und dies in sozialen Situationen, bei denen Sprache das Verhalten der Beteiligten koordiniert. 4.1 Focus on form Manche Fremdsprachendidaktiker wollen den alten Fremdsprachenunterricht retten, indem sie auf die Bedeutung des deklarativen Wissens als Königsweg des institutionalisierten Fremdsprachenlernens bestehen. Gerade in einer empirischen Studie, in der die Bedeutung von focus on form untersucht werden sollte, kommt JESSICA WILLIAMS zu dem Schluss: Finally, it is evident that learners at all levels are more concerned with sorting out lexical meaning than grammatical form, though, as they become more proficient, they are increasingly willing and/or able to address more grammatical issues on their own. Teachers cannot expect learners to consistently ferret out and notice morphosyntactic features. Learners seem to be very good at working on some aspects of their language development independently, but the responsibility for calling learner attention to other aspects appears to remain with the teacher, especially at the early stages of acquisition“ (WILLIAMS 2001: 341). Es bleibt also dabei, erst kommt Inhalt (sprich Lexik), dann später Interesse für Form. Erst das Kennen, dann das Erkennen. Und ein Empfinden des Lehrers dafür, was seine Schüler brauchen und was sie voranbringt, ist Teil seiner Professionalität. Das Pferd am Schwanz aufzuzäumen, wie es oft genug im traditionellen Unterricht geschah, bedeutet „Eile mit Weile“, wenn nicht Verlust der Motivation. Natürlich war es immer ein Traum, dass Lehren und Lernen in einem Verhältnis von 1:1 stehen. Gleichfalls ein Traum ist die Annahme, Sprachrezeptionsfähigkeit und Sprachproduktionsfähigkeit verhalte sich im Verhältnis 1:1. Eine Isolierung von Fachwissen, eine Verneinung des immer gegebenen Involviertseins von Emotion bei kognitiven Prozessen und sprachlichem Geschehen muss unfruchtbar bleiben. Ein Lernen isolierter Einzelinformationen, wozu der reine Sprach- oder Grammatikunterricht über die Jahrhunderte verführen konnte, ist für das Leben unsinnig und wird deswegen von Lernern möglichst gemieden oder zu umgehen versucht. Es ist auch kein © Zufall, dass fast jeder der deutschen Literaturnobel-preisträger, von HERMANN HESSE zu THOMAS MANN oder GÜNTER GRASS sich recht negativ über die Lehrer geäußert hat, just weil sie die Urbedürfnisse nicht zuletzt kreativer Schüler so oft missachtet haben. Der fremdsprachliche Unterricht hatte damit lange genug nur zu Ergebnissen geführt, die schulintern bzw. für die Schullaufbahn wichtig waren. Auch heute steht er nicht außerhalb der literarischen Kritik, die von EUGÈNE IONESCOs schon angegrautem Spott in La leçon bis zu LORIOTs Die Jodelschule reicht. Auf einen derartigen Unterricht trifft dann das vernichtende Urteil des Pädagogen HERRMANN zu, wenn er sagt: „Der übliche Schulunterricht missachtet alle elementaren Prinzipien des natürlichen erfolgreichen Lernens, er ist die organisierte Wirkungslosigkeit“ (HERRMANN 2005). 5. Lernen - und Sprachenlernen - aus biologischer und psychologischer Sicht Biologisch gesehen bilden Neugier, Spiel und Lernen ein charakteristisches Bündel. Damit diese Verhaltenssysteme aktiviert werden, bedürfen sie allerdings der Voraussetzung eines „entspannten Feldes“, das sowohl Anregung wie Sicherheit bietet. Ohne das Vorhandensein von Anregung, ohne soziale Interaktion, ohne eine anregungsreiche Umgebung, die eben nicht monoton, in ihrer Strukturiertheit eben nicht sofort durchschaubar ist, kann sich auch keine Intelligenz entwickeln, ob sie genetisch angelegt ist oder nicht.9 Der Reichtum an Anregung ist dabei oftmals an Sozialpartnerschaft gebunden, bei der - wieder ineinander fließend und nicht zu trennen - gleichzeitig ein Maß an (emotionaler wie körperlicher) Sicherheit gegeben sein muss. Alle Säugetierjungen lernen am besten im Spiel, jenem „training for the unexpected“ (SPINKA et al. 2001), wo sie zum einen sich in anregungsreichen Umgebungen befinden und wo sie sich zum zweiten emotional sicher fühlen. Dies sagt uns die Verhaltensforschung wie auch die Gehirnforschung, und die Neurobiologie sagt uns auch noch ein Stück, welche chemischen Reaktionen in welchen Gehirnarealen bzw. Neuronenensembles dabei ablaufen10 . 9 - Auch hier bedarf es eigentlich bei jedem Schritt, bei jeder Erfahrung des Zusammenspiels von Sinnlichkeit und Denken, wie es KANT ausführlich dargelegt hat (vgl. BLEYHL 2004). Genau so ist die Philosophie heute der Meinung, herausgefordert von engen Interpretationen neurobiologischer Erkenntnisse, daß das Zusammenspiel von Leib und Seele (KATHER 2004), und damit die sinnlichen Qualitäten, das Verhältnis des Menschen zur Umwelt bestimmen. 10 Der im Jahr 2000 mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnete ERIC KANDEL etwa konnte aufzeigen, wie sich das Gedächtnis auf der Ebene des Gehirns als die Leistung eines sich laufend ändernden Netzwerkes darstellt. (Das Bild des Abspeichern von einzelnen Informationen ist unangemessen.) Das Kurzzeitgedächtnis nutzt bestehende Neuronenverbindungen, das Langzeitgedächtnis bedarf der Aktivierung von Genen, die die Vergrößerung bestehender und die Herausbildung zusätzlicher Synapsen bewirken. Proteine und Botenstoffe spielen bei der Überführung der Inhalte von Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis eine Rolle. Die wesentliche Nachricht für den Sprachlehrer besteht aber darin, daß es die Bedeutung ist, die für das Gehirn die Wirkung eines Filters für die Überführung ins Langzeitgedächtnis übernimmt. Die Leistung des Gehirns beruht zudem © Trotzdem gibt es natürlich große individuelle Unterschiede in der Lerngeschwindigkeit und in der Höhe des letztlich erreichten Niveaus. Tiere, die in reich strukturierter Umwelt aufgewachsen sind, machten später weniger Fehler bei Problemlösungsaufgaben und erwiesen sich unbekannten Situationen und gegenüber neuen Objekten explorationsfreudiger. Verglichen mit in einförmigen Umgebung oder in ständiger Bedrohung aufgewachsenen Tieren korrespondierten die Unterschiede im Verhalten auch morphometrischen, neuroanatomischen und neurochemischen Unterschieden im Zentralnervensystem. Die in reicher Umgebung Aufgewachsenen wiesen einen größeren Cortex auf, eine stärkere Verzweigung der Dentriten und eine höhere Anzahl von Synapsen in den relevanten Hirnpartien. Ihr reicheres, lernerfahreneres und gebildeteres Gehirn erlaubt ihnen, mehr Informationen aus ihrer Umwelt zu verarbeiten und zu speichern. Der Trick der Natur, weshalb dieses einmal in Gang gekommene Neugierverhalten ein Selbstläufer wird, besteht darin, dass Neugier eine sich selbst belohnende Verhaltensaktivität darstellt und zwar dank der positiven Emotionen, die das Gehirn selbst erzeugt. Hält man sich dieses alte Säugetiererbe vor Augen, so zeigt die Verwobenheit von Neugier, Spiel und Lernen aus neuro-, verhaltens- und evolutionsbiologischer Sicht sich ebenfalls als zur Natur des menschlichen Kindes gehörig. Sprache, auch im Unterricht, macht nur Sinn, - und dies ist ganz im Sinne des Volksschullehrers und jungen Philosophen LUDWIG WITTGENSTEIN - wenn sie ihre Funktion erfüllt, die Tatsachen der Welt in der Sprache abzubilden. Sprachphilosophisch ist Sprache nun im Sinne des reiferen WITTGENSTEIN - aber noch mehr. Sprache ist eine Vielfalt von Handlungen. In den verschiedensten sozialen, kulturellen, gemeinschaftlichen Situationen spielen wir jeweils das der Lebensform, das unserem Denken und Fühlen angemessene „Sprachspiel“. Wir erwerben die Fähigkeit, es zu spielen, wir wachsen in es hinein, im gemeinschaftlichen Handeln. Und dieses Sprachspiel seinerseits hilft uns wiederum, die andern, und letztlich auch uns selbst, zu verstehen. Wir müssen erkennen, was SCHILLER 11 und auch HEGEL schon betonten: Erst über die andern können wir uns selbst verstehen12 , insofern ist unser Selbstverständnis wie unser Umgang mit der Welt, genau wie unsere nicht nur im Zusammenspiel der einzelnen Neuronen und Neuronenensembles, auch innerhalb der einzelnen Zelle findet eine hochkomplexe Interaktion statt. 11 Musenalmanach 1797 12 Insofern ist Fremdsprachenlernen als solches in sich schon der hermeneutische Weg des „interkulturellen Lernens“ (vgl. Bleyhl 1989, 1994). © Empfindungen, immer auch kulturell bestimmt. Wir sind als Menschen Kulturwesen, die man nur vor dem Hintergrund ihrer Sprach- und Kulturgemeinschaft verstehen kann. Der kognitivistische, traditionelle informationstheoretische Denkansatz dagegen sieht den Menschen als rationalen Informationsverarbeiter. Er mißachtet die biologischen Gegebenheiten und wirkt psychologisch kontraproduktiv: Der Lehrer erklärt die Regeln; der kognitive Apparat des Schülers setzt sie um; die Sache wird gelernt. Dieser Ansatz verkennt alle Gesetze der Psychologie wie die des Spracherwerbs, genau wie auch die Komplexität der Sprache. Dieser Ansatz ist jedoch insofern erfolgreich, als der über Spracherwerb unaufgeklärte Lehrer dank seiner Technik der „doppelten psychologischen Mausefalle“ mit seinem Kleinmut sich selbst samt seine kleinmütig gemachten Schülern fängt. Dies geschieht folgendermaßen: Macht ein Fremdsprachenschüler einen sprachlichen „Fehler“, „bewertet“ der Lehrer - seinem Selbstverständnis gemäß - diese Äußerung. Diese „Wertung“ erfolgt unwillkürlich und ist, so sie nicht zu einer verbalen Reaktion führt, an den nonverbalen Reaktionen von dem Sprachlerner, der mit einer Äußerung für einen Augenblick seinen Kopf aus seinem Schildkrötenpanzer herausgestreckt hatte und sensibel auf den Erfolg seiner Risikobereitschaft wartet, meist deutlich ablesbar. Bemerkt der Schüler die (negative) „Wertung“, muss er sie als „Abwertung“ seiner Leistung und seiner Person verstehen. Dadurch dass der Schüler einen Fehler gemacht hat, wurde er schuldig. Und wer schuldig ist, verdient Strafe, verdient zu leiden. Also muss ich, als Lehrer, den Schüler leiden lassen. Es „muss“, gemäß diesem althergebrachten Menschenbild, eine Beeinträchtigung der Würde des Individuums erfolgen, denn Leiden will der Mensch ja vermeiden, folglich wird er künftig diesen Fehler, sprich die Nichtberücksichtigung der besagten kognitiv und verbal fassbaren Regel, vermeiden. (Immer wird unterstellt, der Mensch würde beim Sprechen13 oder Schreiben bewusst Sprachregeln anwenden, bzw. die Benutzung von Sprache sei ein kognitiv bewusst zu steuernder Mechanismus.) Kurz, durch die oftmals subtilen und dem Bewusstsein der Interagierenden meist überhaupt nicht bewussten Kränkungen wird die Würde des Lernenden beeinträchtigt, und der Wunsch solchen Kränkungen sich künftig zu entziehen, etwa dass man das Lernen dieser Sprache aufgibt oder (wenn man in der Schule das Fach nicht abwählen kann) die Person des Lehrers als widerlich und emotional nicht mehr satisfaktionsfähig einstuft. 13 In der traditionellen Fremdsprachendidaktik wird selten bedacht, daß Sprechen die komplizierteste feinmotorische Leistung ist, die der menschliche Organismus erbringt, gilt es schließlich das Zusammenwirken der ca. hundert verschiedenen Muskeln, die bei der Bildung nur einer Silbe involviert sind, auf genaues Funktionieren im Millisekundenbereich zu trimmen. Daß ein solches System streßanfällig sein muß, sollte einleuchten. © Das Stellen dieser „Mausefalle“ ist übrigens der Hauptunterschied zwischen natürlichem Spracherwerb und Fremdsprachenunterricht. Die Sprachlernprozesse sind jeweils prinzipiell ähnlich (vgl. BLEYHL 2005a). Die psychologischen Bedingungen dafür jedoch nicht. Eine Mutter oder ein Vater reagiert bei seinem Kind - dank einer „angeborenen Didaktik“ (PAPOUSEK) - nie in solcher Weise auf sprachformale Fehler. Eltern korrigieren allenfalls den Inhalt oder wiederholen die Passage sprachlich korrekt, indem sie ihr Kind zugleich emotional bestätigen. Der Förderaspekt dominiert über den Bewertungsaspekt, und Förderung findet statt, wenn die Selbstwirksamkeit vom Lerner erfahren wird. Bei Erfahrungen positiver Bestätigung der eigenen Risikobereitschaft jedoch floriert Lernen, floriert Motivation, floriert Leistung. Hier liegt volle Übereinstimmung vor in der neuen Kognitionswissenschaft, in der Schulforschung, Evolutionsbiologie, Verhaltens- oder Hirnforschung. Eine gewisse Spannung zwischen Sicherheit und Ungewissheit (völlige Angstfreiheit gibt es nicht), das Erfahren und Akzeptieren der Herausforderung, ist der Ort für Kreativität. Und dies gilt für jedes Lebensalter. Es wäre schon ein großer Schritt nach vorn, wenn Lehrer wie Eltern mehr Langmut aufbrächten, Lerneräußerungen beobachten, inhaltlich darauf reagieren und nicht gleich in Bezug auf sprachliche Form bewerten würden. Aber Lernen ist für Ältere, auch für Lehrer, schwieriger. Auch Umlernen ist für Ältere noch schwieriger. Doch wenn die Lehrer nicht erkennen, dass die Vorstellungen vom Sprachenlernen und die Denkstrukturen des sofortigen Bewertens, in denen wir alle aufgewachsen sind, uns als Lehrer letztlich daran hindern, gerade als Lehrer erfolgreich zu sein, wird es auch kein Ausbrechen aus dem Kreisverkehr des fremdsprachenunterrichtlichen Misserfolgs geben. Denn überall dort, wo Lehrer beim Lehren einer Fremdsprache erfolgreich waren und sind, dominiert nie eine Fokussierung der Sprachform, dort dominiert eine Interesse an Sachen, an Menschen; dort herrscht eben eine Atmosphäre, die Lernern primär Vertrauen, Zutrauen statt Misstrauen, entgegenbringt, ihnen Gelegenheit gibt, ausgehend von ihren Bedürfnissen im Sprachlichen selbst reiche Erfahrungen machen zu können, genau wie beim Erstspracherwerb oder dem erfolgreichen Zweitsprachenerwerb. 6. Effektiver Spracherwerb in institutionalisiertem Rahmen Sprachenlernen, das nachhaltig ist, also Spracherwerb, der Erwerb von Sprachkönnen, nicht von Sprachwissen, erfolgt im Erfahren des Gebrauchs der betreffenden Sprache in der Welt, © im sozialen Miteinander. Das haben schon KANT gesagt („lebende Sprachen lernt man am besten im Umgang“) und auch WITTGENSTEIN 14 . All dies besagt: Die Erfahrung des Gebrauchs von Sprache im sozialen Miteinander, bei der sich der eine Gesprächspartner auf den anderen einstellt, also das GRICE’sche „co-operative principle“ beachtet, ist einem Buchunterricht überlegen15 . Die in einer Kultur erwachsenen sprachlichen Symbole sind nicht in einer „blutleeren“ Situation vermittelbar bzw. lernbar. Auch das Erlernen einer Zweit- oder Fremdsprache besteht ja nicht darin, dass man ein sprachliches Zeichen durch ein anderes sprachliches Zeichen, eben dem einer anderen Sprachgemeinschaft, ersetzen lernt. Theoretisch ist sinnvolle Verwendung sprachlicher Zeichen, sprachliche Referenz, immer ein sozialer Akt, „bei dem eine Person versucht, die Aufmerksamkeit einer anderen Person auf etwas in der Welt zu fokussieren. Und wir müssen ebenfalls die empirische Tatsache anerkennen, dass sprachliche Referenz nur in einem Kontext sozialer Interaktionen verstanden werden kann“ (TOMASELLO 2002: 117). Es sei an das weiter oben schon angeführte Verständnis von Sprache als „einer symbolisch verkörperten Institution“ erinnert. Entscheidend ist die Einsicht, „dass sprachliche Symbole die unzähligen Weisen der intersubjektiven Auslegung der Welt verkörpern, die in einer Kultur über einen historischen Zeitraum hinweg akkumuliert wurden; und der Erwerb des konventionellen Gebrauchs dieser symbolischen Artefakte, und damit die Verinnerlichung dieser Auslegungen, verwandelt die Eigenart der kognitiven Repräsentationen von Kindern (und älteren Lernern einer Zweitsprache, W.B.) grundlegend“ (TOMASELLO 2002: 116). Deswegen ist das Lernen einer weiteren Sprache ja intelligenzfördernd, es eröffnet weitere Sichtweisen auf Welt, neue Wege des Umgangs mit Zeitgenossen bzw. dem Denken früherer Epochen. Sprachenlernen findet dort statt, wo sich der Lerner als Teil der sprachlich begleiteten sozialen Interaktion erlebt. Erinnert sei auch an die eingangs erwähnten Untersuchungen von KÖLLER u.a. über die Überlegenheit des Erlernens einer Fremdsprache bei Erfahrungen authentischen Sprachgebrauchs. D.h. ein inhaltsorientierter Fremdsprachenunterricht (vgl. BLEYHL 2005c) ist geboten. Und Inhalte brauchen entsprechende Lexik. Wie die Praxis zeigt, wird unter schulischen Bedingungen Sprache am effektivsten dort gelernt, wo gemeinsam um Sachverhalte gerungen wird. Die Effektivität des sogenannten ‘bilingualen Sachfachunterrichts’ bzw. des Immmersionsunterrichts (WODE 2004) ist kein Zufall. 14 „Um das Symbol am Zeichen zu erkennen, muß man auf den sinnvollen Gebrauch achten....Wird ein Zeichen nicht gebraucht, so ist es bedeutungslos. (Wenn sich alles so verhält als hätte ein Zeichen Bedeutung, dann hat es auch Bedeutung.)“ (WITTGENSTEIN 1963: 28) © Doch wie bricht der Lerner die Masse der Lexik auf? Auch hier gibt es empirische Untersuchungen. KAUSCHKE (2000) etwa konnte aufzeigen, dass bei den ersten 50 Wörtern, die ein Kind lernt, die sozial-persönlichen Wörter absolut dominieren. Das heißt, der Lerner muss sich erst der Zuverlässigkeit der persönlichen Beziehungen zu den ihn umgebenden Experten sicher sein, ehe er sich weiter in die Welt hinaus wagen kann, um dann im sozialen Miteinander die kulturell gewachsenen Symbole der Welterfassung kennen zulernen und zu übernehmen. Fazit: Sprachenlernen ist ein bio-psycho-soziales Geschehen, bei der keine einseitige Determinierung gegeben ist. Eine Scheuklappenperspektive ist einem Verstehen der unendlich komplexen Prozesse nicht förderlich. Spracherwerb, auch im schulischen Rahmen, ist kulturelles Lernen, ist ein fortwährender Kreiselprozess des auf seinen Körper angewiesenen Lerners, bei dem sich dessen kulturelle Kompetenz zusammen mit seiner Kognition und seinem Sprachvermögen in der sozialen Interaktion in der Welt entwickelt. Laufend heißt es dabei, vielfältige Perspektiven auf ein und denselben wahrgenommenen Gegenstand einzunehmen. Verstehen ist dabei unabdingbar, wobei wir, schon wenn wir HUMBOLDT 16 ernst nehmen, täglich erfahren, dass wegen des Anteils der Subjektivität in allem Verstehen als Korrektiv zum Aushandeln des Gemeinsamen und den daraus folgenden Verinnerlichungen die soziale Interaktion notwendig ist. „Spracherwerb ist eine Schlüsselschauplatz, auf dem wir das komplexe Wechselspiel zwischen den individuellen und kulturellen Linien der kognitiven Entwicklung beobachten können, insofern Kinder (und die Lerner weiterer Sprachen, W.B.) einerseits für sich abstrakte Sprachkonstruktionen bilden, andererseits jedoch die konventionellen symbolischen Artefakte (Konstruktionen) einer Kultur verwenden, die sie in ihren gesellschaftlichen Gruppen vorfinden“ (TOMASELLO 2002: 177). „Um den konventionellen Gebrauch eines Werkzeugs oder Symbols von anderen zu erlernen, müssen Kinder (und die Lerner weiterer Sprachen, W.B.) daher zu einem Verständnis dessen gelangen, wozu, d.h. zu welchem äußeren Zweck, der andere das Werkzeug oder Symbol verwendet; das bedeutet, sie müssen die intentionale Bedeutung des Werkzeuggebrauchs oder der symbolischen Praxis verstehen lernen, wozu sie ‘gut’ ist, was ‘wir’, die Benutzer dieses Werkzeugs oder Symbols, damit tun“ (TOMASELLO 2002: 16). Die Erfahrung der Funktionalität von Sprache, des Sinns, gerade in der Kommunikation, ist beim Lernen einer Sprache unverzichtbar. Und Sprache verstehen heißt, dass man meint, die Absichten des Sprechenden, des Schreibers zu erkennen. (Aus diesem Grund kann 15 Sprachunterricht mittels elektronischer Medien muß u.a. auch dieses Kriterium bestehen. 16 „... alles Verstehen (ist) aus Objectivem und Subjectivem zusammengesetzt“ (HUMBOLDT 1820/1994: 54). © Sprache ebenfalls gelernt werden beim Beobachten von Dritten, die sich über für den Lerner durchschaubare Sachverhalte unterhalten.) Auch traditioneller Fremdsprachenunterricht war immer dort erfolgreich, wo der Lehrer fachlich qualifiziert war UND wo das Menschliche höher als das Formale behandelt wurde. Sprachenlernen ist erfolgreich dort, wo die Sprachentwicklung im Lerner als ein historischer, nicht willkürlich steuerbarer Prozess - theoretisch und emotional - akzeptiert und für reichhaltige Spracherfahrung gesorgt wird, und wo die Beteiligten zugleich erleben, wie sprachliche Mittel die mentale Aufmerksamkeit gegenseitig, im sozialen Miteinander, leiten können. Wenn sich in diesem historischen, evolutionären Prozess des Lernens einer Sprache einzelne Einfluss-„Faktoren“ benennen lassen, dann sind es dieselben wie beim Erstspracherwerb, wo wir wissen, dass jene Mütter, die mit ihren Kindern mehr gemeinsam Beschäftigungen nachgehen und tendenziell den Aufmerksamkeitsfokus des Kindes sprachlich begleiten, Kinder haben, die ein höheres Sprachverständnis und später auch eine reichhaltigere Sprachproduktion aufweisen. Nach allem, was wir über das Sprachenlernen wissen, ist es ein anzustrebendes Optimum, dass sich - wegen der Bedeutung der emotionalen Dimension - der Sprachenlernende als Person von seiner sozialen Gruppe und zumindest der Bezugsperson, auch als ein sprachlich Unvollkommener menschlich angenommen weiß17 . Er erlebt nämlich, dass der Experte die Sachverhalte, die die Aufmerksamkeit des Lerners auf sich gezogen haben, in der Interaktion berücksichtigt (und nicht eben einem von außen vorgegebenen Lehrbuch bzw. abstrakten Curriculum folgt). Schon MARTIN BUBER sagte uns, dass eine Gesellschaft in dem Maße menschlich ist, wie sich ihre Mitglieder gegenseitig anerkennen (und also auf einander eingehen). Personale Kompetenzen sind schließlich Früchte von Kommunikation und Kooperation. Wesentlich ist dabei immer Sprache. Und Sprache, so urteilt der Herausgeber einer Anthologie philosophischer Texte der Gegenwart, wird „nur in einer ethisch verfassten Gemeinschaft erworben“ (STEKELER-WEITHOFER 2004: 34). Mit Sprache, dem „sozio-kognitiven Schlüssel für die geschichtlich gereiften Errungenschaften einer sozialen Gruppe“ (TOMASELLO 2002: 18), kann der einzelne dann am Kollektiv der menschlichen Kognition teilhaben. © Literatur: BATESON, GREGORY (1981): Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Persektiven. Frankfurt/M.: Suhrkamp. (1972: Steps to an Ecology of Mind, Collected Essays in Anthropolpgy, Psychiatry, Evolution and Epistemology. Chandler.) BLEYHL, WERNER (1997): "Fremdsprachenlernen als dynamischer und nichtlinearer Prozeß oder: weshalb die Bilanz des traditionellen Unterrichts und auch der Fremdsprachenforschung 'nicht schmeichelhaft' sein kann". In: Fremdsprachen Lehren und Lernen, Bd. 26, 219-238. 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Kiel: FMKS. © Prof. Dr. Werner Bleyhl Kriterienkatalog für erfolgreiche Lernarrangements im Fremdsprachenunterricht Sprache ist die komplexeste Erfindung des Menschengeschlechts. Eine Sprache zu lernen kann allein deswegen kein trivialer Prozess sein. Ein Sprachlernprozess involviert daher die gesamte Persönlichkeit des Lerners. Es ist deswegen auch kein Wunder, dass dabei praktisch alle verschiedenen Kompetenzen und Intelligenzen des Menschen mit im Spiel sind. Da obendrein Sprachenlernen ein Prozess ist, der in verschiedenen Dimensionen abläuft und dies auch noch gleichzeitig, müssen eine Reihe von Vorbedingungen erfüllt sein. Diese Vorbedingungen lassen sich der biologischen, emotionalen, kognitiv-sprachlichen und der sozialen Dimension zuordnen. Bei der Durchsicht des folgenden Katalogs und während des Bedenkens aller Fragen zum Lernen sollten zwei grundsätzliche Erkenntnisse der modernen Kognitionswissenschaften wie auch der Entwicklungspsychologie nicht außer Acht gelassen werden: (a) Wissen kann nicht von Person zu Person weitergegeben werden. Wissen muss im Gehirn eines jeden Lerners neu etabliert, neu geschaffen, neu konstruiert werden und zwar vom Lerner selbst. (b) Lernen ist ein aktiver Prozess der Bedeutungsgenerierung, der weitgehend unbewußt erfolgt und deswegen schwer zu beeinflussen ist. Weder Lehrer noch Lerner haben einen direkten, bewussten Einfluss auf den Lernerfolg. Der Einfluss geschieht nur indirekt über die angemessenen Bedingungen des Lernens. 1. Die biologischen Vorbedingungen. Die biologischen Vorbedingungen beziehen sich nicht direkt auf die jeweilig gewählte Lehrmethode. Den besten Methoden bleibt jedoch der Erfolg versagt, falls biologisch gegebene Teilleistungsstörungen nicht erkannt werden. Es bedarf im entsprechenden Fall spezieller Trainingsprogramme, um solche Schwächen zu kompensieren. Dank der Flexibilität des menschlichen Gehirns können diese Trainingsprogramme relativ erfolgreich sein. © Der Lerner sollte im Vollbesitz seiner Sinnesfähigkeiten sein wie dem Hören und dem Sehen. Beim Lesen bedarf es der angemessenen und raschen Koordination der Augen, damit die Sakkadensprünge während des Lesens gelingen. Ist diese subtile Koordination nicht gegeben, bekommt das Gehirn von den nicht parallel geführten Augen ungleiche und widersprüchliche Bilder der gedruckten Wörter geliefert. Nicht nur emotionale Unsicherheit ist die Folge, es wird auch die Speicherung der korrekten Buchstabenfolge unmöglich, weshalb Lesen zu einem Feld des Versagens werden kann. Eine Form der Legasthenie erklärt sich so. Ein solcher Leser trachtet das Lernen zu vermeiden mit allen negativen Folgen für sein Lernen, nicht nur dem der Sprache. (Manche Kinder haben bis ins Alter von sechs Jahren diese Koordination der Augenführung noch nicht erreicht, ein Sachverhalt, der selbst von Augenärzten oft nicht erkannt wird.) Eine andere Vorbedingung für das Lernen einer Fremdsprache (und für das Lesen) ist die Fähigkeit, die Phoneme der betreffenden Sprache unterscheiden zu können, gerade wenn sie verschieden sind von denen der Muttersprache. Sie müssen dann den jeweiligen Graphemen zugeordnet werden. (Bei Schwierigkeiten bedarf es spezieller Trainingsprogramme, bei denen die betreffenden Phoneme länger und überdeutlich artikuliert werden.) In der Erstsprache kann eine solche Wahrnehmungsschwäche der Grund für eine andere Form der Legasthenie sein. Da das Gehirn sehr viel Energie verbraucht, werden hungrige, müde und Schüler in sauerstoffarmer Luft schlechte Lerner sein. (Körperliche Bewegung regt den Blutkreislauf an, eben auch ein Grund, weshalb körperliche Bewegung und geistige Aktivität oft Partner sind. Der Leser sei an die Peripatetiker erinnert, jener Athener Philosophenschule, die schon im Altertum erkannten, dass etwa Gehen oder körperliche Aktivität entspannen und zugleich den Geist und die Vorstellungskraft anregen kann.) 2. Die emotionale Dimension Stephen Krashen spricht vom „affektiven Filter“, der offen sein muss, damit Input überhaupt eine Chance bekommt, aufgenommen zu werden. Die moderne kognitive Neurobiologie kann genau erklären, weshalb dies der Fall ist. Das limbische System, ein Gehirnareal, das eben nicht unter der Kontrolle des menschlichen Bewusstseins steht, hat sich als das entscheidende System der Evaluation für das menschliche Gehirn herausgestellt. Was © immer dem Menschen widerfährt, wird dort überprüft, ob es gut, vorteilhaft, angenehm ist und wieder geschehen darf, oder ob es als etwas Schlechtes, Unangenehmes künftig vermieden werden sollte. Diese Einschätzungen werden im emotionalen Gedächtnis gespeichert. In jeder neuen Situation wird dieses Gedächtnis, das sich ebenfalls im limbischen System befindet, befragt und entscheidet auf Grund früherer Erfahrungen, ob der neuen Situation Aufmerksamkeit zu schenken ist oder nicht. Kommt es zu einem positiven Urteil, wird das Neue aufmerksam verfolgt, und die neuromodularen Systeme der Großhirnrinde reorganisieren entsprechend ihre Netzwerke, und neues Wissen kann entstehen. Wiederum ist der springende Punkt, dass dieses Bewertungssystem unabhängig vom Bewusstsein aktiv ist. Wird der Lerner gezwungen zu lernen, lernt er unter negativem Stress, so ist das Gelernte negativ besetzt und kann nicht kreativ verwendet werden. Ein solches Wissen bleibt träge und ist kaum auf andere Situationen übertragbar. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Das Schaffen einer angstfreien, verständnisvollen Atmosphäre ist für effektives Lernen von höchster Bedeutung. In einer als angenehm empfundenen Atmosphäre wird sich die Neugier des Kindes entfalten. Da Lernen weitgehend ein Prozess des Hypothesentestens, ein Prozess von Versuch und Irrtum ist, erfordert es ein großes Maß an Risikobereitschaft. Fehler sind in diesem Prozess unabdingbar und müssen dem Lerner zugestanden werden. Auftretende Fehler dürfen nicht zu einem „Gesichtsverlust“ führen, sondern müssen als natürlich und unvermeidbar im Spracherwerbsprozess anerkannt werden. Für den traditionellen Unterricht, der sich von dem behavioristischen Glauben an Lernen als Konditionieren, bei dem ein Fehler als „Sünde“ (Brooks) verstanden wurde, noch nicht vollständig befreit hat, und in ihm Lehren als ein lineares Schritt für Schritt Geschehen organisiert wird und zwar so, dass eigentlich keine Fehler auftreten sollten, bedeutet die Entdeckung der Notwendigkeit des Fehlers eine wirkliche Revolution. Manche Lehrer können sich damit noch immer nicht abfinden. Der Lehrer soll hier eingeladen werden sich klar zu machen, wie er völlig unbewusst das Objekt seiner Lernbiographie sein kann. Selbst wenn wir bewusst und rational © das Ergebnis solcher Lernforschungen auf- und annehmen, laufen wir Gefahr, das Opfer unserer alten Erfahrungen und Überzeugungen zu sein. Beispielsweise akzeptieren wir alle das kopernikanische Weltbild, wonach sich die Erde um die Sonne dreht. In unserem Alltagsleben denken wir und verhalten uns, als ob es umgekehrt wäre. Die Spracherwerbsforschung hat nun immer wieder aufgezeigt, dass unsere Lerner jene entwicklungsbedingten Fehler machen müssen, vorausgesetzt wir Lehrer wollen, dass sie den Zustand der Papageien hinter sich lassen, in dem sie eben nur eine Reihe auswendig gelernter Sätzchen produzieren können. Fremdsprachenlehrer müssen diese Forschungsergebnisse akzeptieren, auch emotional. Die Akzeptanz dieses Faktums ist Voraussetzung für eine neue Fehlerkultur, wiederum Voraussetzung für erfolgreiches Lernen und Lehren. Dies bedeutet, dass es die Aufgabe des Lehrers ist, einen Raum des Vertrauens, einen Raum emotionaler Sicherheit zu schaffen. Die Kinder sollten die Erfahrung machen können, dass sie ihrem Lehrer völlig vertrauen können. (Der Leser sei zu dem Test eingeladen, für einen Augenblick seine eigene Laufbahn als Lerner zu bedenken.) Das Kind sollte sich geschützt fühlen, sicher vor äußerem Druck, sei es dem von Regulierungen oder dem der Gesellschaft - auch dem der Mitschüler. (An dieser Stelle wird offensichtlich, dass die verschiedenen Lerndimensionen interagieren und sich etwa die emotionale und soziale Dimension nicht sauber trennen lassen. Rationale Reduktion auf eine Eindimensionalität läuft Gefahr, die Sachverhalte zu verzerren.) Dieses Vertrauen entsteht, wenn die Schüler erleben, dass ihnen der Lehrer vertraut. Vertrauen schafft Vertrauen - Misstrauen schafft Misstrauen. Dieses Vertrauen erfasst mehr oder weniger schnell auch die anderen Mitglieder der Lerngruppe. Soziale Zusammenarbeit wird dann zur natürlichen Arbeitsweise bei der Bewältigung von Aufgaben und Problemen. Vertrauen ist die Voraussetzung für das Erreichen des Lernziels des „sozialen Lernens“. Das Erlebnis, dass einem Vertrauten geschenkt wurde, ist der einzige Weg, um dem Schüler zu helfen, Selbstvertrauen zu entwickeln und zwar in der Erfahrung, etwas Schwieriges bewältigt zu haben. Selbstvertrauen ist bei unseren schwächeren Schülern häufig unterentwickelt, was nur zu oft durch unsoziales und brutales Verhalten kompensiert werden muss. © Selbstvertrauen ist zugleich Vorbedingung für Selbstverantwortung, und Selbstverantwortung ist Vorbedingung für nachhaltiges Lernen wie auch für die Wahrnehmung der Bürgerpflichten und -rechte im späteren Leben. All dies bedeutet, dass es Aufgabe des Lehrers ist, eine herausfordernde Lernumgebung für seine Lerner zu schaffen, eine Lernumgebung, welche Neugier, Entdeckerlust und den Leistungswillen bei den Schülern herausfordert. Dies impliziert zugleich, dass sowohl Lehrer wie Schüler über ein bestimmtes Maß an Freiheit verfügen müssen. Das Erlebnis, dass man mit eigener Anstrengung selbst erfolgreich etwas lernen kann, fördert und erhält die Motivation, weiter zu lernen. Im Fall des Erlernens einer Fremdsprache heißt dies, sich weiter in das Territorium der anderen Sprachkultur hineinzuwagen, sich auf interkulturelles Lernen einzulassen. Kinder wollen entdecken. Kinder behalten im Gedächtnis, was sie verstanden haben, und sie verstehen, wenn sie sehen, wie die Dinge auf dieser Welt zusammenhängen und wie alles und alle sich gegenseitig bedingen. So entsteht „vernetztes Denken“, eine Voraussetzung, um mit der Komplexität des Lebens fertig zu werden. 3. Die kognitive und sprachliche Dimension Um den Code einer fremden Sprachgemeinschaft knacken zu können und um deren Sprache zu lernen, müssen gewisse Bedingungen erfüllt werden. Lernen, um es ganz kurz zu fassen, bedeutet: wahrnehmen, das Wahrgenommene verarbeiten und daraus Schlüsse zu ziehen. Der Lerner muss zunächst die phonemischen Bauelemente der neuen Sprache wahrnehmen können, die sich von denen seiner Muttersprache unterscheiden. Wenn die neue Sprache etwa die Unterscheidung zwischen /s/ und /z/ vornimmt, seine Muttersprache aber nicht, müssen sinnvolle Übungen die Lerner dafür sensibilisieren. (z.B. im Englischen: „Show me the eyes of the polar bear.“ „Show us the ice the polar bear is sitting on.“). Das Verhalten (nicht die verbale Wiederholung!) gibt dem Lehrer dann die erforderliche Rückmeldung, ob der Schüler die Unterschiede wahrnehmen kann. © Auch beim Fremdsprachenlernen (genau wie beim Zweitsprachen- und Muttersprachenerwerb) bedarf es einer Phase, die vor den ersten Sprechversuchen des Lerners liegt (die Inkubationszeit). Die Phase gilt es auch im Fremdsprachenunterricht zu respektieren. Die Lerner zeigen in dieser Phase ihr Verstehen allein durch ihr körperliches Verhalten. Der Lehrer muss seinen Unterricht in der Weise organisieren (z.B. mittels der Technik des total physical response/TPR), dass die Lerner schnell eine gewisse Masse an Wortschatz anhäufen. Wir wissen, daß sich grammatische Strukturen erst jenseits einer „kritischen Masse“ von 400 bis 500 lexikalischen Einheiten entfalten. In der jüngsten Linguistik besteht Konsens darüber, daß Grammatik durch Lexik „angetrieben“ wird. Exkurs: Sprachenlernen ist „privilegiertes Lernen“, es ist sozusagen „von der Evolution gesponsert“. Die Konsequenz ist: Fremdsprachenlehrer sollten sich bewusst sein, dass die Reihenfolge des Erwerbs grammatischer Strukturen durch Lehren nicht verändert werden kann. (Lesenlernen und Schreibenlernen sind wie Rechne lernen dagegen „nichtprivilegiert“.) Dies bedeutet, dass die Entwicklung der hochgradig komplexen und interagierenden „Sprachverarbeitungsmechanismen“ der Kontrolle des Bewusstseins eben nicht unterliegt. Mit anderen Worten, der „angeborene Lehrplan“ ist immer stärker. Beachtet der Lehrer diesen Sachverhalt nicht, bedeutet dies eine Quelle der Frustration, eine Verschwendung der eigenen Energie und Zeit und zugleich das Risiko, die Motivation der Schüler zu zerstören. Pienemann gibt eine Aufstellung der Erwerbssequenz für das Englische, Diehl u.a. (2000: 364) für das Deutsche (s. Anhang). Lehrer müssen sich dieser Spracherwerbssequenz aus zwei Gründen bewusst sein. (a) Der Lehrer kann damit die Stufe der Entwicklung des einzelnen Lerners besser abschätzen. (b) Der Lehrer kann den Lerner dann dort unterstützen, wo dieser dabei ist, den nächsten Entwicklungsschritt zu tun. Zeit und Energie aller können ökonomischer eingesetzt werden. Im Unterricht muss der inhaltliche Aspekt dominieren. Sprache, das optimale Mittel zur Organisierung des Sozialverhaltens unter Menschen, wird dann am besten gelernt, wenn sie an Situationen gebunden ist. (Das Gehirn arbeitet ganzheitlich.) Während der Lerner eine Situation einschätzt, klassifiziert er automatisch diese Situation und entwickelt mentale Begriffe (und Schemata). Vom Experten kommend, wird dem Lerner nun ein © verbales Etikett für den sich bildenden Begriff angeboten (der seiner Natur nach immer „unscharf“ bleibt), es bedarf trotzdem noch weiterer Beispiele, ehe der Lerner einigermaßen sicher ist und das Wort selbst aktiv benützt (vgl. Abb. 1 „essen“ aus Largo 2001: 318). Ganz entscheidend ist, dass sich der Lehrer bezüglich des Wörterlernens über Folgendes im klaren ist: Der mentale Begriff ist der Kern des Wörterlernens, nicht die (physikalisch) sprachliche Laut- bzw. Schriftgestalt. Damit sich Begriffe entwickeln, bedarf es aber auch der Entwicklung der Nachbarbegriffe. (Erinnert sei an Batesons Definition von Information: „Information ist der Unterschied, der einen Unterschied macht“. Das Wort „Apfel“ macht erst Sinn, wenn man Nachbarbegriffe wie „Birne“ auch kennt.) Auch hier wird deutlich, weshalb die Evolution die oben erwähnte „Inkubationszeit“ für Sprachliches eingerichtet hat. Gesprochene Sprache ist primär1 . Unterricht muss Folgendes bereitstellen: • Situationen, in denen Sprache funktional verwendet wird, • Sprache, die immer in einem Kontext erscheint (vor isoliert auftauchenden Wörtern wird gewarnt; Wörter, lexikalische Einheiten, müssen in verschiedenen Kontexten auftauchen), und • Modellverhalten, das den Lernern in vielen Arten angeboten werden sollte als Modelle für Sozialverhalten - vgl. interkulturelles Lernen Modelle für Rhythmus und Intonation Modelle für die Aussprache Modelle für Sprachgebrauch Modelle dafür, wie Denken strukturiert werden kann.. Der Lerner muss, ohne Gefahr zu laufen, das Gesicht zu verlieren, die Erfahrung machen, dass sie oder er in der Welt, in der die andere Sprache das Kommunikationsmedium ist, überleben kann (vgl. Abschnitt 2). (Dabei erweist sich die Technik des TPR als ideal für 1 Denjenigen, die mündliche und schriftliche Sprache möglichst gleichzeitig anbieten wollen, wie so oft im traditionellen Unterricht, sei folgendes Zitat ans Herz gelegt. „Learning to read and write in English is not simple, and when classroom teaching and learning depend on being able to read and write, some children will always begin to fall behind or fail - not because they cannot learn to speak English, but because they need more time to master the complications of reading and writing“ (Cameron 2003: 106). „It takes time for reading and writing to reach a level at which they can support foreign language learning. Before that point is reached, there is what we may call a ‘literacy skills lag’, in which the written form of English creates such high cognitive and motor skill demands for pupils that the oral component of a task may have to be backgrounded to cope with the written demands“ (ib. p. 108). © Anfänger.) Der Lerner darf nicht dem negativen Stress ausgesetzt werden, Sprache zu produzieren, ehe er sich ihrer einigermaßen sicher ist. Der Lerner sollte ermutigt werden, sich in die andere soziale Welt hineinzuwagen. (Wiederum sind es Fertigkeiten oder Interessen außerhalb des rein Sprachlichen wie Zeichnen oder Biologie, die den Königsweg hierfür darstellen. Aktivitäten in diesen Bereichen absorbieren die eventuellen Hemmungen und erlauben eine emotionale und kognitive Freiheit, um selbst die andere Sprache zu gebrauchen. Entscheidend ist wiederum, dass der Fokus auf dem Inhalt, und nicht der Sprachform liegt2 .) Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, entsprechende Aktivitäten anzuregen. Der Kriterienkatalog bedarf am Schluss noch zweier Warnungen: (a) Wir wissen, dass „Fossilisierungen“ das Ergebnis zu früher Sprachproduktion sein können, da sie gleichsam eine Störung im „Embryonalzustand“ einer sprachlichen Erscheinung bewirken kann, ehe sich die angemessene Struktur stabilisiert hat. Eine „schlechte Wahl“ kann zur Verzerrung, wenn nicht zum „Abgang“ führen. ( Vgl. „schulischer Unterricht (kann) Fossilisierungen ... geradezu verursachen, und zwar dann, wenn sich ein Schüler oder eine Schülerin vom Rhythmus der schulischen Grammatikprogression überrollt fühlt“ (Diehl u.a. 2000: 359f). (b) Wir wissen ebenfalls (cf. Pienemann), daß die Sprachperformanz, die momentane interlanguage, bei einem und demselben Lerner am selben Tag unterschiedlich sein kann je nach sprachlicher Aufgabe und je nach Situation - womit wir wieder bei der o.a. emotionalen Dimension gelandet wären. Kurz: Die Stufen des Lehrens sind (a) Modellvorgabe, modelling, (b) Ermutigung zu Eigenversuchen, coaching, (c) Unterstützung in schwierigen Bereichen, scaffolding, und schließlich (d) allmählicher Rückzug des Lehrers, fading, d.h. der Lehrer kann dem mehr und mehr selbständigen Lerner mehr und mehr die Initiative überlassen. Erfolgreiches Fremdsprachenlehren unterstützt das evolutionäre Wachsen der Sprache im Lerner. Wir haben dabei die zirkuläre Wechselwirkung einer Reihe von Bedingungen. Unter diesen ist der sensible, professionelle, Vertrauen verbreitende Lehrer, der es versteht, sein Lehren den Lernerfordernissen der Schüler unterzuordnen, von größter Bedeutung. 2 Es versteht sich von selbst, daß etwa bei bestimmten Verständnisschwierigkeiten auch manchmal die Sprachform im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen kann, wie dies auch beim natürlichen Spracherwerb der Fall ist. © Der Storyline-Ansatz angewandt im Fremdsprachenunterricht wird ähnlich erfolgreich sein wie Steve Bell mit ihm im Muttersprachenbereich, falls es gelingt, mittels kreativer Aufgaben das Welt- und Sprachwissen der Lerner ebenso herauszufordern, herauszukitzeln und zu entwickeln und falls der Lehrer in der Anwendung ebenso das Lehren dem Lernen unterzuordnen versteht. Anhang: Sprachliche Erwerbsreihenfolge im Englichen nach Pienemanns Processability Theory Stages Phenomena Examples 1 Words Formulae Hello, Five Dock, Central How are you? Where is X? What’s your name? 2 S neg V(O) SVO SVO-Question -ed -ing Plural -s (Noun) Poss -s (Noun) Me no live here./ I don’t live here. Me live here. You live here? John played. Jane going. I like cats. Pat’s cat is fat. 3 Do-SV(O)-? Aux SV(O)-? Wh-SV(O)-? Adverb-First Poss (Pronoun)Object (Pronoun) Do he live here? Can I go home? Where she went? What you want? Today he stay here. I show you my garden. Mary called him. 4 Copula S (x) Wh-copula S (x) V-particle Is she at home? Where is she? Turn it off! 5 Neg/Aux-2nd -? Aux 2nd-? 3sg-s Why didn’t you tell me? Why can’t she come? Why did she eat that? What will you do? Peter likes bananas. 6 Cancel Aux-2nd I wonder what he wants. (rearranged, from: Anke Lensing (2004), „Analyse von Lehrwerken für den Englischunterricht in der Grundschule“, FMF-SH Mitteilungsblatt, August 2004, 36-41, 37.) © Literature Cameron, Lynne (2003), „Challenges for ELT from the expansion in teaching children“, in: English Language Teaching Journal, 57: 2, S. 105-112. Diehl, Erika u.a. (2000): Grammatikunterricht: Alles für die Katz? Untersuchungen zum Zweitsprachenerwerb Deutsch. Tübingen: Niemeyer. Largo, Remo H. (2001). Babyjahre. Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. München: Piper. © Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht und Storyline Rosemary Mitchell-Schuitevoerder Was versteht man unter dem Begriff „handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht“? Handlungsorientierter (oder: aufgabenorientierter) Fremdsprachenunterricht (engl. Abkürzung: TBLT, d. h. Task Based Language Teaching) ist ein kommunikativer Ansatz für den Fremdsprachenunterricht, bei dem die Lehrkraft weniger unterrichtet, sondern vielmehr mit den Schülern kommuniziert und ihre Lernschritte und Lernfortschritte überwacht. Anstelle einer Präsentation gibt die Lehrkraft den Schülern vielmehr einen flexiblen Rahmen (Aufgabe) vor, der als Spracherfahrung erlebt wird und erst in den Endphasen eine Sprachanalyse erfordert, die praktisch in Form einer Rückblende stattfindet. Die Spracherfahrung an sich ist das Hauptziel des Lernprozesses. Mit anderen Worten, die Lehrkraft bietet eine Spracherfahrung an und tritt dann einen Schritt zurück, um das Ganze aus der Distanz zu beobachten, wobei er die von den Schülern produzierte Sprache überwachen und anleiten, Hilfestellung bieten und sie schließlich analysieren kann. Diese gesamte Erfahrung, jegliche Kommunikation, wie etwa Fragen und Planung, findet in der Zielsprache statt. Ein traditioneller Ansatz für den Fremdsprachenunterricht Ein traditioneller Unterrichtsansatz besteht im Allgemeinen aus einer künstlichen Schritt für Schritt-Präsentation der einzelnen Bestandteile zum Aufbau der Sprachstruktur (Wilkins in Nunan, 2001), z. B. Erklärung der Verwendung des Perfekts, gefolgt von Übungen. Diese Methode ist unter der Bezeichnung PPP (Presentation, Practice and Production) bekannt. Lehrkräfte müssen ihre Position im Kontinuum zwischen Präsentation, Praxis und Produktion auf der einen Seite und dem handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht auf der anderen Seite festlegen, ohne dadurch andeuten zu wollen, dass einer der beiden Ansätze besser ist oder dass vom anderen Ansatz keine Aspekte übernommen werden können. © PPP TBLT Lehrergesteuert Nicht vom Lehrer gesteuert Lernzentriert Lernerzentriert Im Voraus festgelegte Ziele Ziel = Aufgabe Der traditionelle PPP-Ansatz funktioniert im Allgemeinen in den ersten beiden Phasen – Präsentation und Praxis – sehr gut, doch sobald es um die Sprachproduktion geht, ist er unzureichend. So stellt sich die Frage, ob sich die Schüler bei einer freien Konversation noch an die richtigen Zeiten erinnern, die sie verwenden müssen, wenn deren Behandlung im Unterricht bereits mehrere Wochen zurückliegt. Lässt man den Schüler eine einfache handlungsorientierte Aufgabe im Gegensatz zu PPP lösen, veranlasst man ihn zu arbeiten, nachzudenken und nachzufragen, und die Lehrkraft kann vorübergehend einen Schritt zurücktreten und am Ende wieder auftauchen, um die Sprachanalyse im Rückblick anzuleiten. Die Storyline-Methode ist ein gutes Beispiel für den handlungsorientierten Ansatz, verurteilt allerdings auch die Verwendung der einzelnen Phasen von PPP nicht, sofern diese geeignet sind, bestimmte Aspekte im Sprachunterricht zu vertiefen und auszubauen. Storyline ist prinzipiell ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur integrativ, sondern auch fächerübergreifend ausgerichtet ist. Seine ursprünglich von Steve Bell für die Umwelterziehung in Schottland in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelten Grundsätze wurden schnell auch für den Sprachunterricht übernommen, bei dem die Lehrkraft jederzeit „das Seil“ hält. Das Seil ist die eigentliche „Storyline“, die Handlung der Geschichte, und das Großartige an einem solchen Seil (Cresswell 1997) ist, dass es biegsam ist, wodurch es den Kindern die Kontrolle überlässt. Das Seil ist dabei nichts anderes als der Weg, den die Lehrkraft vorgegeben hat, und die Kinder erlernen das Curriculum, das die Lehrkraft für sie geplant hat. © Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht und Storyline Bei einem herkömmlichen Unterrichtsansatz werden in der Präsentationsphase Anweisungen erteilt, gefolgt von Aktivitäten in der Praxis-Phase und einer freien Anwendung in der Produktionsphase. Wie bereits ausgeführt, kann der Sprung von den Übungen in eine frei zu gestaltende Situation zu groß oder in Lehrbüchern aufgrund vorgegebener Dialoge, bei denen der Lernende nur wenig Input geben muss, nicht angemessen dargestellt sein. Auch bei einem handlungsorientierten Ansatz werden drei Phasen durchlaufen, doch sind dies nicht dieselben: Pre-task (Phase vor der Aufgabe) Einführung in das Thema und die Aufgabe Task cycle (Aufgabenzyklus) Aufgabe Planung des Berichts Bericht Post-task (Phase nach der Aufgabe) Im Mittelpunkt steht die Sprache Die Aufgabe besteht darin, die Zielsprache (L2) als natürliches Kommunikationsmittel für einen bestimmten Zweck einzusetzen. In der Pre-task stellt die Lehrkraft authentisches Material als Input (Hören oder Lesen) zur Verfügung und erklärt die zu lösende Aufgabe. Dieser Grundsatz ‚Struktur vor Aktivität’ ist Teil der StorylineMethode. Die Lehrkraft muss sicherstellen, dass die Schüler über die notwendigen Fertigkeiten verfügen, um die Aufgabe zu bewältigen, und in der Lage sind, dafür auf ihr bereits zuvor erlerntes Wissen zurückzugreifen. Themen für die Aufgaben können nur dann vorgegeben werden, wenn die Schüler das entsprechende Vokabular und die notwendigen Sprachstrukturen bereits erlernt haben, um die Aufgabe zu lösen. Nur dann kann die Lehrkraft sicher sein, dass die Schüler eigene Fragen formulieren und selbst die Antworten darauf finden können. Ein Bauherr kann kein Haus bauen ohne Zeichnungen (also Sprachstruktur), ohne Werkzeug und ohne Material (d. h. Vokabular). Bevor der Bauherr mehr Material kaufen kann, muss er wissen, was genau er benötigt. Daher ist es wichtig, dass die Schüler herausfinden, was sie nicht © wissen, um ihre Wissenslücken anschließend zu schließen. In der Phase vor der Aufgabe stellt ihnen die Lehrkraft eine geeignete Struktur zur Verfügung, mit deren Hilfe die Schüler recherchieren, einen Bericht erstellen oder eine Präsentation vorbereiten können. Sie benötigen einen Ausgangs- oder einen Bezugspunkt. Das Storyline-Prinzip geht davon aus, dass alle Kinder das schaffen, was von ihnen verlangt wird, sofern man ihnen vorher die erforderlichen Strukturen an die Hand gibt. Die Storyline ermöglicht die praktische, zweckbestimmte Anwendung der Sprache, d.h. von Wortsequenzen mit bestimmten Funktionen, so genannten Chunks, z.B. Grußformeln, Personen vorstellen, sich selbst vorstellen (für Anfänger) und Dinge versprechen, Grüße, Hoffnungen, Wünsche und Probleme mit anderen teilen und sich entschuldigen (für fortgeschrittene Schüler). Die Storyline liefert einen Kontext, der, auch wenn er nicht unbedingt authentisch ist, dennoch in die Struktur einer Geschichte eingebettet ist und der realen Lebenswelt der Schüler ähnelt. Während des Task cycle arbeiten die Schüler in kleinen Gruppen und besprechen ihre Aufgabe in der Zielsprache. Die Lehrkraft sollte den Schülern die Sprache an die Hand geben, die sie zur Bewältigung der Aufgabe benötigen: - Können Sie das bitte wiederholen? - Du beginnst./ Ihr beginnt. - Bist du bereit?/ Seid ihr bereit? - Was meinen Sie damit? - Wie sagt man das auf Englisch? Obwohl die Schüler darin bestärkt werden sollten, die Zielsprache zu gebrauchen, sollte es ihnen nicht verboten werden, in der Muttersprache zu kommunizieren, falls dieses eine soziale Funktion erfüllt, zur Klärung der Bedeutung des vermittelten Lernstoffs beiträgt oder zur Besprechung der Aufgaben unter den Schülern verwendet wird. Die Lehrkraft ist diejenige, die die Zielsprache am besten dadurch fördert, dass sie diese ausschließlich verwendet. Das Thema der Aufgabe kann in Form eines Dramas oder Rollenspiels, aber auch schriftlich – sowohl formal als auch kreativ – übermittelt werden. Während der Vorstellung ihres Produkts können die anderen Schüler dergestalt mit einbezogen werden, dass sie die Ergebnisse der einzelnen Gruppen miteinander vergleichen. © In der Post-task kann die Lehrkraft wieder die Führung übernehmen und sprachliche Fragen und Probleme erörtern, und zwar in Bezug auf das Unterrichten ebenso wie auf das Lernen, z. B. verfügten die Schüler über die sprachlichen Mittel, um in der Planungsphase zu diskutieren; wo lagen die wichtigsten sprachlichen Fehlern. Ein Kassettenrekorder, mit dem die Diskussion in einer Gruppe aufgezeichnet wird, kann hier von großem Nutzen sein. Während der Abschlussphase besteht Gelegenheit für einen expliziten Sprachunterricht im Zusammenhang mit der gesamten Aufgabe. In dieser Phase ist es wichtig, neben einem flüssigen Stil auch auf die Genauigkeit zu achten. Legt man bereits in einem früheren Stadium zu viel Wert auf die Genauigkeit, könnte dies die Flüssigkeit in der Sprachverwendung beeinträchtigen. In der letzten Phase ist es richtig, die Aufmerksamkeit der Schüler auf Form und Inhalt zugleich zu lenken, und die Wahl geschlossener Aufgaben, insbesondere für junge Anfänger, kann sowohl in der Pre-task- als auch in der Post-task-Phase förderlich sein. Beispiele für geschlossene Aufgaben: Hören Brainstorming Gedächtnisspiele Vergleichen Matching (z. B. Simon says) Erkennen Ordnen und Sortieren Einordnen (z. B. Odd word out) Sequenzbildung Sammeln von Gegenständen, die zusammenpassen Problemlösen Puzzles Quizspiele Ratespiele Umfragen Offene Aufgaben können in allen Phasen gestellt werden, allerdings sollte das Ergebnis unvorhersagbar sein, z. B. Vorbereiten einer Party einschließlich Verschicken von Einladungen, Suche nach einem Veranstaltungsort, Kauf und Zubereitung der Speisen, Musik, usw. Und schließlich muss den Schülern Gelegenheit gegeben werden, ihre eigene Leistung zu beurteilen, wodurch die nächste Aufgabe erleichtert werden sollte. © Storyline und handlungsorientierter Ansatz Der Vorteil einer handlungs- bzw. aufgabenorientierten Übung besteht darin, dass Bedeutung und Sprache miteinander verknüpft sind, die Kommunikation zweckbestimmt ist, die Übung kein Selbstzweck ist und die verwendete Sprache als nützliches Werkzeug gesehen wird und nicht das Ziel darstellt. Die Übung ist ein Spiegelbild einer lebensechten Situation. Bei der Storyline-Methode dreht sich alles um Geschichten, um Storys. Seit ihren frühen Kindertagen haben die Schüler noch den Prototyp der Struktur einer Geschichte im Kopf. In der Pre-task-Phase werden den Schülern Schlüsselfragen gestellt, damit sie ihre Fantasie spielen lassen. Während des Task-cycle werden die Ideen in der Klasse diskutiert, und man entscheidet sich für einen Vorschlag, der die Grundlage für den nächsten Schritt in der „Geschichte“ darstellt. Diese Geschichte bildet den Mikrokosmos für das Kind, ein Spiegelbild einer fast lebensechten Situation. Für das Kind ist die Geschichte authentisch, die Kommunikation dient so einem bestimmten Zweck. Die Storyline-Methode ist nicht nur für sehr junge Schüler geeignet, sondern durchaus für alle Ebenen der Sprachkompetenz, von Stufe A1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen, wo es um den persönlichen Bereich geht, bis zu C1 und C2, die mit einem hohen Grad von Sprachkompetenz verbunden sind. Die anfängliche mündliche Arbeit in Form von Zuhören und/oder Sprechen entwickelt sich weiter auf die fortgeschrittene Stufe des Schreibens und Lesens, wobei verschiedene Genres und Sprachregister verwendet werden, einschließlich Texte für unterschiedliche Zusammenhänge. Die Storyline-Methode und der handlungsorientierte Ansatz sind lernerzentriert. Sie bauen auf den Erfahrungen und dem Vorwissen der Schüler bereits in den Anfangsstadien ihres Sprachlernprozesses auf. Die Rolle des Lehrers besteht darin, die Schüler dabei zu unterstützen, ihre eigenen Wissensstrukturen aufzubauen. Durch die Aktivierung der Vorkenntnisse werden neue Informationen in bereits angelegte Wissensstrukturen verankert. Das Ergebnis sollte eine zusammenhängende, strukturierte und permanente Kompetenz in der Zielsprache (L2) sein. © Aufgaben- bzw. handlungsorientierte Beurteilung (TBA) Nach Ellis (2003:312) sind aufgabenorientierte Beurteilung und handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht (TBLT) nicht miteinander vereinbar, da bei TBLT kein Leistungsmessinstrument als solches bereitgestellt werden muss, während bei einer aufgabenorientierten Beurteilung die Leistung gemessen wird. Bei TBLT ist die Aufgabe an sich schon das Ziel, und die Aufgabe ist ein Synonym für Kommunikation. Kommunikation ist damit das Ergebnis der Aufgabe. Aufgabe = Ziel = Kommunikation = Ergebnis = Aufgabe Das Ziel ist nicht die Beurteilung (= Test); wenn also die Aufgabe keine Beurteilung ist, wie können wir dann mit Hilfe einer Aufgabe eine Beurteilung vornehmen? Wann wird aus einer Aufgabe ein Test? Eine Aufgabe ist immer mit Sprache verbunden, denn sie kann nur dann erfolgreich bewältigt werden, wenn dies mit Hilfe der Sprache geschieht (Ellis 2002:2, 3, 5) Aber das Lernen geschieht beiläufig, da die Bewältigung der Aufgabe einen Lerner als Sprachanwender erfordert. Die Aufgabe erfährt eine Bedeutungsverengung, wenn daraus ein Test wird, wenn sie zu einem Werkzeug geworden ist, mit dem die kommunikativen Sprachleistungen ausgelöst und bewertet werden, die auf diese Bedeutung ausgerichtet sein und ein bestimmtes Ziel haben müssen (z. B. nach dem Weg fragen). Weshalb sind Tests notwendig? Die nahe liegende Antwort auf diese Frage würde lauten, dass Sprachenlernen im Lehrplan vorgesehen ist und daher messbare Fortschrittsergebnisse notwendig sind (= formative Tests). Doch inwieweit ist diese Form des Sprachenlernens mit dem TBLT-Ansatz vergleichbar, dessen Ergebnisse durch die Methode selbst bestimmt werden und nicht vom Lehrer gesteuert werden können? Die nahe liegende Lösung würde lauten, auch die Beurteilung aufgabenorientiert zu gestalten. © Was sollte beurteilt werden? Handlungsorientierter Fremdsprachenunterricht ist ein Prozess, also könnten wir den Prozess beurteilen, was insbesondere für die Lehrkraft wichtig wäre. Bestimmte Aspekte des Sprachenlernens im Rahmen dieses Prozesses bzw. der Aufgabe sind zur Messung des Lernfortschritts für Lehrer und Schüler gleichermaßen wichtig. Mit anderen Worten, bei der Beurteilung werden die Umsetzung (d. h. Beurteilung des Lehrer-Inputs) und die Auswirkungen auf die Schüler (d. h. Beurteilung des Schüler-Outputs) evaluiert. Eine der Gefahren, die der TBLT-Ansatz in sich birgt, ist, dass die Lehrkraft sich mit der Erfüllung der Aufgabe zufrieden gibt, weil die Schüler in der Zielsprache kommuniziert haben. Eine solche Einstellung wäre jedoch gleichzusetzen mit der Vermeidung einer Beurteilung. Um den Lernfortschritt zu messen und die nächste Aufgabe festzulegen, müssen Lehrer daher einen Rahmen vorgeben, bevor die Aufgabe gelöst wird. Bei der Gestaltung eines Tests können folgende Fragen Hilfestellung bieten: • Was möchten wir erreichen? z. B. Hören und Verstehen, Sprechen, Schreiben, Vokabeln, Themen usw..? • Wie soll der Fortschritt gemessen werden? • Wie kann eine Aufgabe verändert werden, damit eine Verbesserung während der nächsten Aufgabe möglich wird? Anders ausgedrückt, die Lehrkraft sollte - den Prozess (Aufgabe) überwachen; entspricht er dem, was wir uns davon erwarten? - den Prozess (= Aufgabe) evaluieren; wie wird unsere Arbeit zur Verbesserung der Leistung umgesetzt, und wie funktioniert dies? - Wie wirkt sich dies auf den Schüler aus? Dies kann über Tests gemessen werden. © Verschiedene Stufen Willis (1996:127) führt aus, dass wir verschiedene Stufen von Aktivitäten unterscheiden und unsere Beurteilung dann dementsprechend auf diese Stufen abstimmen sollten. Sie unterscheidet drei Stufen: Aktivitäten Stufe A Diese Aktivitäten sind für den Lernenden nicht unbedingt mit Sprachproduktion verbunden, doch bieten sie ihm Anreize, Geschichten zuzuhören und möglichst viel zu verstehen. Multiple-Choice-Fragen wären für diese Stufe angemessen, doch ist dabei zu beachten, dass je nach Stufe auch immer größere Anforderungen an die Sprachkompetenz gestellt werden. Dies sollte sich auch in den Tests niederschlagen. Aktivitäten Stufe B Hier sind die Anforderungen an die Sprachproduktion schon etwas größer, der Lernende muss die Sprache zumindest in minimalem Umfang einsetzen. Bei der Konzeption eines Tests sollte man sich nach den Stufen richten und entsprechende Fragen stellen, wobei auf dieser Ebene Antworten in Form eines einzigen Wortes gegeben werden müssen. Aktivitäten Stufe C Hier muss mehr Sprache produziert werden, und die Antworten auf die Fragen sind auszuformulieren. Wie bereits ausgeführt, ist Storyline für alle Stufen der Sprachkompetenz geeignet, und Tests können sowohl in Form geschlossenen als auch von offenen Aufgaben gestellt werden. Bei narrativen Aufgaben, wie dies bei der Storyline-Methode der Fall ist, gibt es drei mögliche Arten von Entwurfsvariablen zur Einstufung der Schüler (Iwashita, Elder and McNamara 2001 in Ellis 2003): - Immediacy (hier und jetzt vs. dort und damals) - Adequacy (Erzählen vs. Erfinden) - Perspective (Erzähler in der 1. vs. 3. Person) © Bei der Beurteilung von Storyline-Aufgaben sollte auch berücksichtigt werden, dass Lernen nicht nur die Sprache umfasst, sondern auch Inhalt, Strategien und soziale Kompetenzen, die im Rahmen vielfältiger kreativer Tätigkeiten erworben werden. Den verschiedenen Aspekten einer Storyline und deren Auswirkungen auf die Schüler sollte Rechnung getragen werden, und die Beurteilung sollte mit der ganzheitlichen Ausrichtung der Storyline-Methode in Einklang stehen oder sich auf kleine, genau definierte Aspekte konzentrieren. Aufgaben als Tests Wir können eine Aufgabe zur Beurteilung der kommunikativen Kompetenz der Schüler in der Zielsprache verwenden. Beim Storyline-Ansatz bedeutet die Planung der Beurteilung, Aufgaben und Beurteilungsmethoden miteinander zu verbinden. Bei aufgabenorientierten Tests (Ellis 2001) besteht ein enger Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem zugrunde liegenden Bewertungskriterium, das sich danach richtet, was vom Lernenden im richtigen Leben erwartet werden würde. Durch diesen Zusammenhang ist gewährleistet, dass die Beurteilung auch aussagefähig ist. Das Wort ‚Aufgabe’ hat allerdings im Zusammenhang mit leistungsorientierten Tests, d. h. zweckorientierten Tests, bei denen entweder Aufgaben aus dem richtigen Leben gestellt oder aber simuliert werden, wie es bei der Storyline-Methode der Fall sein kann, eine Bedeutungsverengung erfahren. Eines der Hauptmerkmale von Leistungstests, die auch auf die Storyline-Methode zutreffen, ist die Authentizität der Aufgabe – die Aufgaben sind sinnstiftend, stellen eine Herausforderung dar und lösen Handlungen aus, die einen gelungenen Unterricht oder andere Zusammenhänge aus der Lebenswelt widerspiegeln, in der vom Schüler erwartet wird, dass er sich bewährt (O'Malley & Valdez Pierce 1996:5). Bei der Storyline-Methode wird weniger die allgemeine Sprachkompetenz getestet, sondern vielmehr die Frage, ob der Schüler in der Lage ist, eine bestimmte Handlung aus dem richtigen Leben oder eine simulierte Aktivität durchzuführen. Die Aufgabe ist offen, das Ergebnis unbekannt. © Leistungsbeurteilung in der Storyline-Methode Wenn Lehrkräfte die Leistung der Schüler beurteilen wollen, müssen sie sich zunächst fragen, was genau sie messen wollen, und sollten dabei ihre Ziele nicht allzu hoch ansetzen. Wenn die Kriterien festgelegt und getestet sind, müssen Lehrkräfte bei der Beurteilung künftiger Leistungen konsequent vorgehen, d. h. die Testaufgabe im gleichen Format wiederholen (doch z. B. den Schwierigkeitsgrad oder die Komplexität anheben). Natürlich sollten die Messungen möglichst zuverlässig sein. So stellen sich beispielsweise viele Fragen im Hinblick auf die Auswirkungen des Tests auf die Leistung, Variablen wie etwa die Persönlichkeit und die Nervosität der Schüler müssen berücksichtigt, und es muss zwischen Sprachfähigkeit und Inhalt der Sprache unterschieden werden. Dabei sollte die Lehrkraft stets versuchen, Unterricht und Beurteilung zu integrieren, damit sie mit dem ganzheitlichen Konzept der Storyline-Methode übereinstimmen. Die Aufgabe ist eine Beurteilung, und die Beurteilung an sich ist schon eine Aufgabe. Bibliografie: Cresswell, J. (1997) Creating Worlds, Constructing Meaning: the Scottish Storyline Method Heinemann Ellis, R. (2003) Task-Based Language Learning and Teaching. OUP. Nunan, D. (2001) The Learner-Centred Curriculum. Cambridge: Cambridge University Press Willis J. (1996) A Framework for Task-Based Learning. Longman. O'Malley M. & L Valdez Pierce (1996) Authentic Assessment for English Language Learners. New York: Addison-Wesley Publishing Company Creative Dialogues Comenius 2.1 112381-CP-1-2003-1-DE-COMENIUS-C21 Externe Evaluation Externer Evaluator: Dr. habil. Daniela Stoytcheva Leiterin des Lehrstuhls für Methodik des Fremdsprachenunterrichts Fakultät für klassische und neue Philologien Universität „St. Kliment Ochridski“ Sofia Boul. „Zar Osvoboditel“ 15 1504 Sofia, Bulgarien Tel.: 003592 761686 E-Mail: dstoytcheva@netbg.com Sofia, Februar 2006 © Das Projekt CREATIVE DIALOGUES verfolgt das Ziel, durch transnationale Erprobung und Diskussion den Storyline-Ansatz als Unterrichtsmethode für den Fremdsprachenunterricht zu modifizieren. Der Storyline-Ansatz wird dabei als eine lernerorientierte Methode für einen handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht und als eine Methode zum Lösen von in der Übergangsphase (Übergang von der Primar- zur Sekundarstufe) entstehenden Problemen gesehen. Die Evaluation erfolgt deshalb unter folgender Fragestellung: Erfüllt die Arbeit mit der Storyline-Methode die Forderung nach handlungsorientiertem Fremdsprachen-unterricht? Sie ist auf der Grundlage folgender Unterlagen erarbeitet : • Zwischenbericht über das erste Projektjahr • “Wir machen eine Reise” – Storyline für den Deutschunterricht mit Anfängern • „Our Little Town“ – Storyline für den Englischunterricht • „Me and My Friends“ - Storyline für den Englischunterricht • “Our Street” – Storylineentwurf zur Arbeit im Englischunterricht • „Castle Hotel – Storylineentwurf zur Arbeit im Englischunterricht • Bom from Bummyland – Storylineentwurf zum Übergang EN Primarstufe / Sekundarstufe • Materniak, M. (2005) : Storyline-Ansatz und Fremdsprachenunterricht in Übergangsphasen. Fremdsprachenunterricht. Sofia • Materialien des 4. Internationalen Treffens vom 21. – 23.04.2005 in Glasgow, an der ich teilgenommen habe. Der handlungsorientierte Unterricht ist ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Organisation des Unterrichtsprozesses leiten, so dass Kopf- und Handarbeit der Schüler in ein ausgewogenes Verhälnis gebracht werden.1 1 Jank, W. / Meyer, H. (1994): Didaktische Modelle. Berlin: Cornelsen. S.354 © Der handlungsorientierte Unterricht wird durch folgende Merkmale charakterisiert: • ganzheitlich: Dieses Merkmal bezieht sich einerseits auf die Gesamtpersönlichkeit des Lernenden. Das Lernen hat kognitive, emotionale und praktische Dimensionen, läuft also mit Kopf, Herz, Hand und allen Sinnen ab. Tun und Denken werden miteinander verbunden. Andererseits werden die Inhalte in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht. • lerneraktiv und lernerorientiert: Die Erfahrungen und Interessen der Lernenden werden bei der Planung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts berücksichtigt, wobei die Lernenden dazu befähigt werden, sich selbständig Wissen anzueignen, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen und zu erproben. • produktorientiert: Im Mittelpunkt des Unterrichtsprozesses steht ein Handlungsprodukt, das zwischen dem Lehrenden und den Lernenden vereinbart und von der ganzen Gruppe erarbeitet wird. • prozessorientiert: Das gemeinsame Handeln steht im Vordergrund. Die Lernenden überlegen im Team, planen, diskutieren, treffen Entscheidungen und erproben sie in Handlungen (Learning by doing). In den vorgelegten Storylineentwürfen wird der Handlungsrahmen eigentlich von der Lehrkraft festgelegt, trotzdem haben die Lernenden viel Spielraum, um einzelne Aspekte der Handlung nach ihren eigenen Vorstellungen frei zu gestalten. Sie denken sich die Personen aus, geben ihnen Namen und eine erfundene Identität, entwerfen die wesentlichen Elemente der Geschichte, erarbeiten eine Abfolge von inhaltlich miteinander verbundenen Episoden. So können die Lernenden ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Ideen einbringen. Die Anwendung des Storyline-Ansatzes führt auch zur Veränderung der Lehrerrolle. Der Fremdsprachenlehrende muss nicht nur die Sprache vermitteln und die Schülerleistungen überprüfen, sondern er muss die Lernenden beraten, Anregungen geben, verschiedene Materialien bereitstellen und die Lernaktivitäten koordinieren. Der Lehrende muss auch Strategien und Methoden vermitteln, die den Lernenden das „Lernen-lernen“ transparent machen und ihnen so ein autonomes Lernen ermöglichen. Lehrende und Lernende gestalten gemeinsam eine Geschichte und so wird auch eine veränderte Lernatmosphäre geschaffen. Unter dem Gesichtspunkt des handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts kann die Storyline-Methode in den vorgelegten Entwürfen und analysierten Materialien folgendermaßen charakterisiert werden: © • lernerorientiert – Bei der Arbeit an einer Story werden die Erfahrungen und Interessen der Lernenden berücksichtigt. Sie haben die Möglichkeit, ihr eigenes Wissen und ihre individuellen Fertigkeiten zu zeigen. • lerneraktiv - Die Selbständigkeit der Lernenden wird gefördert. Die Lernenden müssen selbständig Entscheidungen treffen und Probleme lösen. Dadurch wird das autonome Lernen vorangetrieben. • ganzheitlich - Das Denken und Tun des Lernenden sind eng miteinander verbunden. An der Gestaltung der jeweiligen Geschichte sind alle Sinne, sowie Kopf, Hand und Herz beteiligt. • inhaltsorientiert – Der Inhalt und die Gestaltung der Geschichte stehen im Vordergrund des Unterrichtsgeschehens. • produktorientiert – Die Ergebnisse der Arbeit an einer Story sind Produkte, die man vorführen oder anfassen, mit denen man spielen oder arbeiten kann (z.B. Zeichnungen, Puppen, Poster, Collagen, Flyer, TV-Show, Radio-Show, Werbebroschüren usw.). • motivierend – Das selbständige, praktische und ganzheitliche Lernen fördert die Lernmotivation. Der Unterricht wird spannender und offener. • kreativ - Der Fantasie der Lernenden wird freien Lauf gelassen. Die Lernenden gestalten die Geschichte mit, dabei aktivieren sie ihr Vorwissen, ihre Kreativität und praktische Fähigkeiten. • kooperativ – Die Storyline-Methode fördert das kooperative Lernen in der Gruppe. Es wird die Teamfähigkeit und das gegenseitige Vertrauen entwickelt. • diffenrenzierend – Durch die Individualisierung und Differenzierung der Aufgaben werden die Interessen und die individuellen Fähigkeiten der Lernenden besser berücksichtigt. • realitätsbezogen – Es werden realitätsnahe Themen und Situationen behandelt. • kommunikativ - Jede Gruppe stellt die Ergebnisse ihrer Arbeit den anderen Gruppen vor und hat somit immer wieder Gelegenheit die Fremdsprache als Verständigungsmittel zu benutzen. Es gibt zahlreiche Impulse zur Sprachproduktion. • entwickelt die Methodenkompetenz - Die Anwendung der Storyline-Methode als handlungsorientierte Makromethode umfasst den Einsatz von handlungsorientierten Mikromethoden, wie z. B. Brainstorming, Mind Map, Außenkreis/Innenkreis, Spiele, Quiz usw.) © Abschließend muss man hervorheben, dass die vorgelegten Storylineentwürfe weitgehend der Forderung nach einem handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht entsprechen und einen abwechslungsreichen, motivierenden, spannenden und offenen Unterricht ermöglichen. Die meisten von ihnen sind bereits in der Unterrichtspraxis und in Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen erprobt und mit entsprechenden Evaluationsinstrumenten wie z.B. Evaluationsbögen ausgewertet. Die Auswertung und die Rückmeldungen zeigen sehr posivite Ergebnisse.