2 Neue Erkenntnisse, neue Tendenzen Der formale Sprachunterricht lässt nicht nur Chancen für Kommunikation ungenutzt, er nutzt auch nicht neuere Erkenntnisse über die natürlichen Sprachlernvoraussetzungen und Spracherwerbsstrategien des Kindes, die uns die internationale Spracherwerbsforschung liefert (vgl. u. a. Meisel, J., 2003). Spracherwerb ist nach diesen Erkenntnissen ein selbsttätiger Prozess des Gehirns, der durch Interaktion in authentischen sozialen Situationen angeregt wird und für den gerade Kinder gute Lernvoraussetzungen haben. Eindrucksvoll belegt die neuere Hirnforschung (Singer, W., 2002), dass Sprachenlernen zu unserer natürlichen Ausstattung gehört Unser Nervensystem ist so beschaffen, dass wir mehrere Sprachen nebeneinander lernen können. Kinder, die in ganz jungem Alter zwei Sprachen erwerben, also zweisprachig aufwachsen, bilden nur ein einziges neuronales Netz für die Sprachen aus. Untersuchungen in der Computertomografie (CT) (u. a. Szaflarski, J. P. et al., in: Stangl, W., 2010) zeigen, dass bei der Nutzung beider Sprachen die gleichen Areale angezeigt werden. Die gleichen Forschungen haben ergeben, dass sich beim späteren Lernen einer zweiten Sprache in Teilen ein neues neuronales Netzwerk in den Sprachzentren des Gehirns entwickelt Der Sprachenerwerb braucht in diesem Fall mehr Mühe und Anstrengung. Auch wird nicht dieselbe Vollkommenheit erreicht. Untersuchungen der Entwicklungs- und Lernpsychologie bestätigen die Aussagen der Hirnforschung. Sie weisen aber auch auf die emotionalen Rahmenbedingungen hin, die das natürliche Sprachenlernen erfolgreich machen. Nur in einer freundlichen, entspannten Kommunikationssituation können sich kleine Kinder wirklich mühelos Bedeutungen und sprachliche Strukturen einer fremden Sprache erschließen, erst recht, wenn diese sich auf Erfahrungen der Kinder beziehen, mit denen sie positive Gefühle verbinden (Freitag M., Hendriks, N., 2007). Vor diesem Hintergrund ergeben sich zwei Tendenzen im Fremdsprachenunterricht: 1. Die kommunikative Methode im Fremdsprachenlernen setzt sich immer mehr durch und ersetzt oder ergänzt das formale Sprachenlernen. 2. Der Beginn des Fremdsprachenlernens rückt zeitlich von der Sekundär in die Primarstufe vor; erste Begegnungen finden bereits im Kindergarten statt. Angesichts der Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und der Internationalisierung der Kommunikation fordert die Europäische Union seit den 90er-Jahren ihre Mitgliedsländer auf, die Anwendung innovativer Methoden zum Fremdsprachenlernen zu fördern und so früh wie möglich mit der Vermittlung einer ersten Fremdsprache zu beginnen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der sogenannte CLIL-Ansatz geworden, der 1996 entwickelt wurde und seit 2004 in Programmen der EU und des Europarats zu finden ist und zu einem Schwerpunktthema in der Fremdsprachendidaktik wurde (vgl. die Publikationen der Europäischen Kommission unter: http://ec.europa.eu/ index_de.htm. Unter „Suche" den Begriff „CLIL" eingeben. Recherche vom 05.01.2011). 10 2 Neue Erkenntnisse, neue Tendenzen 1 Das traditionelle Fremdsprachenlernen Nach der Methode ihres Fremdsprachenunterrichts in der Schule gefragt, werden sich die meisten an die traditionelle Methode des Sprachenlernens erinnern. Fremdsprachenlernen nach dieser auch „formales Sprachenlernen" bezeichneten Methode bedeutet, dass im Vordergrund die Strukturen und Regeln der Fremdsprache stehen. Vokabeln werden auswendig gelernt, und die Aussprache wird geübt. Die Lehrerin/der Lehrer steuert den Spracherwerb. Sie/er wählt entsprechend den Vorgaben einer Fremdsprachendidaktik aus, welche neuen Worte und grammatischen Strukturen vermittelt werden und in welcher Anordnung sie vermittelt werden. Die Reihenfolge, meist in einem Lehrbuch festgeschrieben, wird von der Annahme geleitet, dass es eine bestimmte grammatische Progression gibt. Unter Progression wird in der Didaktik und Methodik dieses Fremdsprachenunterrichts die Anordnung des Lehrstoffes im Lern-, Lehr- und Übungsmaterial in einer bestimmten Menge und in einer bestimmten Abfolge verstanden. Die Anordnung des Stoffes bezieht sich meist auf Systemeigenschaften der Sprache, also auf die Regeln der Wortbildung, der Grammatik und der Aussprache. Der Stoff wird linear vom Einfachen zum Schwierigen vermittelt. Die Inhalte, Texte, Medien und Materialien sind Instrumente zur Vermittlung von Regeln. Das Ziel dieses Fremdsprachenunterrichts ist die Entwicklung eines Automarismus in der Aufnahme, dem Verstehen und dem Gebrauch der Sprache. Je nach Lernertyp, aber auch nach Lernalter, gibt es viele Menschen, denen es leicht fällt, nach dieser Methode zu lernen. Sie haben nachweislich durch diese Art der Fremdsprachenvermittlung eine gute und sichere Basis für die Anwendung der gelernten Sprache im weiteren Leben erhalten. Die Methode des formalen Sprachenlernens beherrschte bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts die Fremdsprachendidaktik und ist bis heute die gebräuchlichste Methode geblieben, wenngleich sich zunehmend neue Tendenzen im modernen Fremdsprachenunterricht durchsetzen. Vor allem jüngere Lerner bevorzugen heute offenbar Methoden, die sich stärker an der Alltagskommunikation orientieren. So setzt sich seit der Jahrhundertwende die Erkenntnis durch, dass Fremdsprachenlernen deutlich erfolgreicher sein kann, wenn die Lernenden Gelegenheit erhalten, in realen, möglichst „natürlichen" Situationen Sprache zu erfahren und zu verwenden.