Motivation im Sprachenunterricht VON GUDULA LIST Unsere Alltagskonzepte von „Motivation" scheinen von der Spaßgesellschaft beflügelt zu werden. Um in der Schule Lernmotivation zu stiften, produziert manche Lehrerin höchst fantasiereiche „Lernwelten", um Schüler didaktisch zu verführen. Hinzu kommt so etwas, wie die Angst des Elfmeterschützen vor dem Torwart: Wie ist es wohl zu schaffen, Dinge die ich für wichtig halte, von denen ich aber annehme, dass sie für Schülerinnen wenig „fun" bedeuten (Grammatik), so einzuschleusen, dass bei den Lernern ein Unbehagen nicht wirklich aufkommt? (Fremd)Sprachenlehrerinnen stehen da keineswegs allein. Man scheint in den Schulen generell nicht so recht darauf zu bauen, dass Schüler, die ja immerhin eine kleine Biografie schon hinter sich haben, von sich aus überzeugt sein könnten (oder sich davon überzeugen ließen), dass die Dinge, die im Unterricht anstehen, interessant und wichtig für sie sind, und dass Anstrengungen bei ihrer Aneignung keine Zumutung sein müssen. Die Motivationspsychologie (einen leicht lesbaren Überblick bietet Rheinberg 1997) ist ein weites Feld, in dem die Szenerie Unterricht explizit nur einen kleinen Raum einnimmt. Allerdings sind Motivationen, also Antriebe, sich so oder so zu verhalten, überall im Spiel, natürlich auch in jedem Unterricht. Aber nie werden Gegenstände oder Materialien an sich oder Ziele als solche von der Motivationspsychologie thematisiert. Alle Kategorien, die diese Sparte bereithält: Leistungsbereitschaft, Anreizsysteme, Anspruchsniveau, Zielorientierung, Attributionen von Erfolg oder Misserfolg (führe ich sie auf eigenes Versagen oder auf äußere Umstände zurück?), internalisierte Bezugsnormen (messe ich mich am Leistungszuwachs anderer oder an meinem eigenen?), usw., beziehen sich auf innerpsychisches Geschehen in sozialen Konstellationen. Ein Bild oder eine Wortkartei sind nie als solche motivierend und würden daher auch von der Motivati-onspsychologic so nicht in den Blick genommen werden. Auch gute Ratschläge, wie sie sich für das Verhalten von Lehrpersonen etwa bei Dörnyei & Csizer (1998) finden [create a pleasant, relaxed atmosphere in the classroom, make the language classes interesting, personalize the learning pro-cess,...), reichen bei aller lehrerseitigen Anstrengung nicht unbedingt an das Motivationsgeschehen selbst heran, das sich ja in den Schülerinnen und Schülern abspielt. Es geht bei der Motivation immer um Wahrneh- Es geht bei der Motivation immer um Wahrnehmungen und Bewertungen von Verhaltensweisen, von Materialien und Angeboten durch einzelne Personen in ihrem Lebenskontext. mungen und Bewertungen von Verhaltensweisen, von Materialien und Angeboten durch einzelne Personen in ihrem Lebenskontext. Es geht um die Erfahrungen und die Geschichte dieser Personen, um die sozialen Zusammenhänge, in denen Wahrnehmungen und Bewertungen geschehen, und um die Konsequenzen für das Handeln, die schließlich aus all dem erwachsen. Sich dies zu vergegenwärtigen, kann durchaus in gewissem Sinne eine Entlastung für einen Lehrer oder eine Lehrerin bedeuten. Sie brauchen nämlich ihre „Kunst des Lehrens" nicht mit ungebührlichen Ansprüchen zu befrachten, sind es doch keineswegs alleine sie, mit ihren Techniken, Materialien und Vorgehensweisen, die das Motivationsgeschehen in der Hand haben, das sich im Innern ihrer Schülerinnen abspielt. Auf der anderen Seite bedeutet dies aber auch, dass auf Lehrkräfte eine besondere Aufgabe zukommt, nämlich die, sich aufmerksam genau diesem vor-didaktischen Motivationsgeschehen im Einzelnen zuzuwenden. Was nun den Unterricht selbst angeht: Wenn er rundum langweilig ist, wird er gewiss generell wenig motivierend sein, auch wenn er in den unterschiedlichen Köpfen verschiedenartig verarbeitet wird. Umgekehrt hat interessanter Unterricht generell große Chancen, motivierend zu wirken, wohl in erster Linie dann, wenn die Lehrperson ihr eigenes Interesse am Gegenstand und an seiner Vermitüung glaubhaft machen kann. Medien geschickt einzusetzen, informationsreiche Materialien zu produzieren, faszinierende Themen anzubieten, ungewöhnliche Lernorte zu nutzen, das sind unzweifelhaft förderliche Tugenden, die sehr wohl intrinsische Motivationen befördern können, also solche, die von den Lernenden um der Sache selber investiert werden. Für all dies und mehr finden sich in diesem Heft reizvolle Beispiele. Aus psychologischer Sicht erscheint aber noch wichtiger die Konzentration auf das, was die Motivation Schüler von ihren inneren Verarbeitungsvorgängen offenbaren, und auf die Art, wie die Lerngruppe beobachtend und reagierend miteinander umgeht. Soziale Aufmerksamkeit schafft ein gutes Klima, in dem Schülerinnen jene Eigeninitiative und Kooperationsbereitschaft entfalten, die alle Lehrenden so entschieden wünschen. Dieser kleine Einleitungstext zum Themenheft kann und soll nicht ein Extrakt der Motivationspsychologie sein, er -wird auch nicht weiter generell von Motivation im Unterricht handeln. Vielmehr möchte ich mich auf die Erörterung weniger Gesichtspunkte beschränken, die meiner Einschätzung nach eine spezifische Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht haben: Die Sprachbiografie, die Selbstdarstellung (vor allem bezogen auf die „fremde" Prosodie) und das „Interesse". Fremdsprachenunterricht und Spracherfahrungen Es gilt für jedes Klassenzimmer und für alle Altersstufen von Lernenden, dass Schülerinnen und Schüler ihren je unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungshintergrund in den Unterricht mitbringen. Auch in jedem Fremdsprachenunterricht, gleich auf welcher Altersstufe und gleich in welcher Unterrichtsform, spielt die Spracherfahrung einer Schülerin eine ganz entscheidende Rolle für ihr Motivationsgeschehen. Nicht nur bereitet die Lerngeschich- Soziale Aufmerksamkeit schafft ein gutes Klima, in dem Schülerinnen und Schüler jene Eigeninitiative und Kooperationsbereitschaft entfalten, die alle Lehrenden so entschieden wünschen. Im Fremdsprachenunterricht, gleich auf welcher Altersstufe und Unterrichtsform, spielt die Spracherfahrung der Schülerinnen und Schüler eine ganz entscheidende Rolle für ihr Motivationsgeschehen. te in einer fremden Sprache die Zugänge zum Lernen nächster Sprachen vor, und zwar je nach Verarbeitung und Bewertung dieser persönlichen Lerngeschichte mit guten oder weniger guten Vorzeichen. Darüber hinaus baut aber schon jeglicher Kontakt mit einer fremden Sprache, auch einer ersten, bereits auf einer Spracherfahrungsbiografie auf. Wohl den Menschen, die schon in ihrer angestammten Sprache, also derjenigen, in der man sich einrichtet, ohne dass sie „unterrichtet" wird, hinreichende Vielfalt vorfinden: Je reichhaltiger die Stile, Dialekte, Varianten, also insgesamt die Register in der Ausgangssprache zur Verfügung sind, desto mehr Flexibilität in der Gestaltung von Interaktionen wird sich auch für weitere Sprachen ergeben (List & List 2001). Sesshaftigkeit und Selbstgenügsamkeit sind die Feinde des Sprachenlernens, Risikobereitschaft und Neugier dagegen können es beflügeln. Wer immer am ' selben Ort verbleibt und die Muster der sprachlichen Interaktion mit anderen und sich selbst wenig variiert, der kann zwar mit Beharrlichkeit auf manchen Feldern viel erreichen. Wer aber viele Sprachspiele schon in der eigenen Umgebung kennt, hat Chancen, ein bedeutsames Kapital an metasprachlichem Interesse und an sozialer Flexibilität anzusammeln und wird sich neuen Sprachen eher neugierig und bereitwillig zuwenden. Es ist also durchaus ratsam, dass Fremdsprachenlehrerinnen einen Blick und ein Gehör für die eigensprachlichen Gewohnheiten und Kompetenzen ihrer Schüler entwickeln. Das gilt ebenso für den Fall, dass sie im Ausland Deutsch beibringen wie für den Fall, dass sie in Deutschland fremde Sprachen unterrichten. Und würde ein Fach „Deutsch als Zweitsprache" hierzulande sich intensiver als bisher auf die Herausforderungen des multilingualen Alltags an deutschen Grundschulen einstellen, so könnte manche Unlust und manche Klage in der Lehrerschaft sich in angenehme Experimentierfreude verwandeln. Dann würde man Spracherfahrungen von Kindern mit nicht deutscher Familiensprache willkommen heißen, statt sie als Last beim Erlernen des „richtigen Deutsch" zu entwerten. Fremdsprachenlernen und die Darstellung des „Selbst" Manche Schülerinnen und Schüler überfällt der Unterricht in einer Fremdsprache als eine regelrechte Bedrohung ihres Selbstkonzepts, denn sie müssen in diesem Unterricht ja nun anders „klingen". Mit Selbstkonzepten bezeichnet man die Gesamtheit des Wissens, das eine Person über sich selber besitzt (Filipp 1994). Die Psychologie arbeitet seit einiger Zeit vermehrt mit diesem Begriff, nicht mehr wie in der Vergangenheit so intensiv mit denen der Identität oder der Persönlichkeit. Man ist davon abgekommen, Personen durch die Aufzählung eines Bündels von Eigenschaften und Leistungen zu kennzeichnen, die sich in der Entwicklung herausbilden und irgendwann stabil und verlässlich die „Person" ausmachen. Stattdessen werden die Kognitionen für wirksam gehalten, die eine Person bei anderen auslöst und die wiederum in Form direkter und indirekter Botschaften an das Subjekt zurückgelangen, um dessen Konzepte über das eigene Selbst zu formen, zu bereichem und zu verändern. Die Persönlichkeit erscheint damit als etwas, das in Interaktionen konstruiert und durch wechselseitige Selbstdarstellung und soziale Kognition in beständiger Dynamik begriffen ist Selbstdarstellung (keineswegs ist mit diesem wichtigen psychologischen Konstrukt die steuerbare und kommerziell rentable Anleitung zur Selbst-Stilisierung gemeint) wird auf diese Weise zum unweigerlichen Medium für Selbsteinschätzungen, die wiederum die Motivationen, die Handlungen und damit letztlich die soziale Wirkung lenken, die auf andere Personen ausgeübt wird (Mummendey 1995). Natürlich ist sprachliche Interaktion hierbei von besonderer Wichtigkeit: Entscheidend für soziale Einschätzungen ist, was eine Person wem gegenüber in welcher Absicht und an welchem Ort äußert, und vor allem, wie sie das tut. Und für dieses Wie haben Botschaften para- und nonverbaler Art ein mindestens ebenso großes Gewicht wie die Inhalte, die übermittelt werden. Für die paraverbalen, die sprachliche Äußerung gestaltenden Botschaften ist die -\ menschliche Stim- Die Stimme hat für einen Menschen geradezu die Qualität eines Fingerabdrucks, sie ist ihm unverwechselbar zu Eigen. Die Stimme ist der Kernbereich der Selbstdarstellung einer Person. me das hauptsächliche Medium, ihr Klang, ihre Lage, ihre Lautstärke und vor allem ihre Melodie (Eckert & Laver 1994). Die Stimme hat für einen Menschen geradezu die Qualität eines Fingerabdrucks, sie ist ihm unverwechselbar zu Eigen. Ihre Rahmenbedingungen erhält sie durch die typische Prosodik der ersten Sprache. Das Erlernen dieser Melodie in der frühen Kindheit ist ein elementarer Bestandteil des Spracherwerbs, der indessen wenig Beachtung durch die Wissenschaften erfährt. Kein Wunder, denn wir wissen sehr wenig über die zugrunde liegenden Vorgänge. Aber so viel ist klar: Sie sind aufs engste mit dem (ungesteuerten!) Erlernen der syntaktischen und morphologischen Regeln einer Sprache verkoppelt. Die Stimme entpuppt sich so als Kernbereich der Selbstdarstellung einer Person. Fremde Sprachen zu erlernen fordert rezeptiv und aktiv das Einlassen auf neue Melodien. Das kann Spaß bereiten, als riskantes Experiment mit dem eigenen Selbst lustvoll erlebt werden und so etwas wie Schauspieltalente mobilisieren. Es kann aber auch als bedrohlich aufgefasst werden, ängstigen und Situationen heraufbeschwören, denen man sich am -\ liebsten entzieht. Fremde Sprachen zu lernen fordert rezeptiv und aktiv das Einlassen auf neue Melodien. Auf jeden Fall weist der Unterrichtsgegenstand (lebende) Fremdsprache gegenüber anderen Gegenständen, etwa Mathematik oder Geographie, eine Besonderheit auf: Er involviert die Person auf Das kann Spaß bereiten, als riskantes Experiment mit dem eigenen Selbst lustvoll erlebt, aber auch als bedrohlich aufgefasst werden. sehr persönliche Weise, weil er ihren Klang verändert. Es ist daher nicht ohne weiteres zu erwarten, dass Schülerinnen, die in anderen Leistungsbereichen gut dastehen, auch mit dem schulischen Fremdsprachenlernen gut zurechtkommen müssen. Lehrkräfte müssen aufmerksam auf solche Sachverhalte sein. Zumindest sollten sie sich die Problematikbewusst machen, die ja möglicherweise so brisant für sie selbst nicht erscheinen mag, denn sie gehören in der Regel wohl zu den hiervon gerade nicht so deutlich betroffenen Personen. Die Vermeidung von sozialem Druck und ein sensibles Korrekturverhalten können Kränkungen vermeiden helfen, die sonst weitreichende Folgen haben könnten. Auch gibt es Möglichkeiten, an die fremde Sprachmelodie in eher sanfter Weise heranzuführen, wenn etwa zunächst die eigene Sprache mit dem Akzent der angestrebten Sprache intoniert wird. Solche Vorgehensweisen fördern Spiel- und Risikofreude und können langsam die zeitweise Entfremdung vom gewohnten Klang bewirken. Als Lernziel ernst nehmen sollte man im Fremdsprachenunterricht allerdings unbedingt die Arbeit an Prosodie und Akzenten. Denn sofern er präparieren soll auf interkultu-relle Kommunikation, muss bedacht werden, dass gerade diese Parameter subtile sozialpsychologische Wirkungen entfalten können. Es gibt Nachweise darüber, dass ein fremder Akzent die Einschätzungen und Bewertungen der Person durch Mitglieder der Zielsprachgemeinschaft insgesamt und weitgehend unabhängig von den übermittelten Inhalten negativ beeinflusst (Cargile & Giles 1997). Leistungsmotivation und Interesse: Die Bedeutung des spezifischen Lerngegenstands Fremdsprache „Leistung" und „Interesse" sind wichtige Konzepte der Motivationspsychologie. Die klassische Leistungsmo-tivationsforschung, über die nachfolgend einige wenige Andeutungen gemacht werden, hat gewiss ganz generell ihre Relevanz für jeden Unterricht behalten. ledoch dürften für den Fremdsprachenunterricht eher neuere Ansätze von spezifischem Interesse sein, die mit dem wieder verstärkt ins Spiel kommenden Begriff des Interesses verbunden sind. Leistungsmouvation spielt seit den späten fünfziger Jahren des gerade vergangenen Jahrhunderts eine Schlüsselrolle in der westlichen Psychologie. Zwei Amerikaner haben den Weg für zahllose Untersuchungen bereitet: David McClelland, assoziiert mit dem Buchtitel „Die Leistungsgesellschaft" (Orig. 1961), und J.W. Atkinson, assoziiert mit dem „Risiko-wahlmodell" des leistungsorientierten Verhaltens, in Motivation dem subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeiten von Erfolg und Misserfolg und antizipierte Freude über Erfolg bzw. antizipierter Ärger über einen Misserfolg miteinander verrechnet wurden, um konkretes verhalten vorherzusagen und um Tüchtigkeitseinschätzungen für eine Person zu ermitteln. Heinz Ileckhausen hat (beginnend 1963) viel dazu beigetragen, diese Art der Persönlichkeitsforschung in Deutschland zu etablieren. Seine Definition von Leistungsmotivation ist hier klassisch geworden:.....das Bestreben, die eigene Tüchtigkeit in all jenen Tätigkeitsbereichen zu steigern oder möglichst hoch zu halten, in denen man einen Gütemaßstab für verbindlich hält" (Heckhausen 1965,604). Aufgabenschwierigkeit, also die Herausforderung an die eigene Tüchtigkeit, muss demnach vom Betroffe- seit einiger Zeit bemüht sich die pädagogische Psychologie erneut um begriffliche Klärungen und angereicherte Modelle (Krapp 1992, Schiefele 1986, Schie-fele & Wild 2000). Auch der Begriff der „intrinsischen" Motivation (Deci & Ryan 1985) gewinnt dabei an Schärfe (Krapp 1999). Diese verstärkte Bemühung um die Verschränkung von Motivationen und Sachbezügen, die hiermit zum Ausdruck kommt, trägt erfreulicherweise dazu bei, die Motivationspsychologie „lebendiger" zu machen, sie näher auf die Subjekte zu beziehen. Vermeintlich allgemein wirksame und überall anwendbare Prinzipien wie motivierende Aufbereitung des Materials, Stimuluspräparation (didaktisch-methodische Arrangements) oder (irgendwie organisierte) Bekräftigung für Leistung büßen demgegenüber einiges von ihrem Nim- Eine wichtige Rolle für die Motivation spielen die Beziehungen der Lernenden zur Sache, also die Interessen des Subjekts. nen einschätzbar sein nach Güte und nach Menge, und eine Leistung muss der eigenen Tüchtigkeit zugeschrieben werden können, nicht etwa dem Glück. Diese Leistung wiederum ermittelt sich im Vergleich mit anderen, also durch die Orientierung an den sozialen „Bezugsnormen". In psychologischen Laboratorien sind unzählige Wettkampfsituationen entwickelt worden, vom Turmbauen mit Klötzen oder Ringen für Vorschul- und Schulkinder bis zu komplizierten Problemlösungsaufgaben für Erwachsene. Da es jedoch dabei immer um Absicherung der Theorieelemente durch quantitativ belegte Signifikanzen ging, geriet ein Kerngedanke eher aus dem Blick, nämlich dass die Aufgabenfelder, für die man „einen Gütemaßstab für verbindlich hält", der freien Wahl der einzelnen Subjekte unterliegen müssen. Leider hat sich auch bei der seit Jahrzehnten verbreiteten Anwendung dieser Theorie im Unterrichtsgeschäft die Thematik der „Gütemaßstäbe" auf Quantitäten reduziert, nämlich auf Noten im Prüfungssystem, damit auf bezifferbare Endpunkte des eigentlich interessanten Motivationsgeschehens. Prüfaufgaben, die zu den Noten führen, werden zudem von Lehrkräften vorgegeben, sind also fremd formuliert und können damit gar nicht ohne weiteres als selbst gewählt erlebt werden, wie die Theorie das eigentiieh verlangt. Die Sachlage ist ganz dazu angetan, in der Grundlagenforschung ebenso wie in der didaktischen Anwendung, eine entscheidende Variable des an sich so interessanten Leistungsmotivati onskonzepts zu vernachlässigen, nämlich die Beziehung der Lernenden zur Sache, also die Interessen des Subjekts. Das eher alteuropäische Konzept des „Interesses" hat seinerseits seit eh und je gerade den Gegenstand von Lernbemühungen ins Blickfeld geschoben. Und bus ein. Aufgewertet finden sich dagegen Fragen nach der Spezifik von Lerngegenständen und ihrem Einfluss auf die Entwicklung von Motivation. Was also zeichnet Fremdsprachen als Lerngegenstände aus, dass sie Motivationen nicht nur dank guten Unterrichts als Mittel zum Zweck des ungestörten Arbeitens in einer Klasse entstehen lassen, sondern sich selbst als Gegenstand des Interesses darstellen können? Was kann Lernende dazu bringen, sich die Motivation zum Erwerb von Sprachen wirklich zu Eigen zu machen? Beweggründe für das Sprachenlernen lassen sich mannigfaltig ins Feld führen: Über die eigenen Sprachgrenzen hinaus Kontakte suchen und kommunizieren zu können, von „Fremden" so viel erfahren zu wollen, dass man die Befangenheit in eigenen Gewohnheiten überdenken kann (List 1997). Natürlich auch: Qualifikationen zu erwerben, mit denen sich Lebensperspektiven eröffnen, die Abiturnote für das Studium der Wahl zu präparieren, Geschäfte machen zu wollen mit anderen Ländern. Warum nicht? Wo die Lernenden freiwillig zum Unterricht kommen, gar für ihn bezahlen, dürfte der Anreiz des Sprachenlernens auf ein wie immer hergeleitetes, jedenfalls voraussetzbares Interesse stoßen, das sich generell mit didaktischen Motivierungsbemühungen gut in Einklang bringen lässt. Die oben verhandelten Problemfelder der vorgängigen Spracherfahrungen und der Selbstkonzepte verdienen freilich auch hier Aufmerksamkeit. Mehr noch davon ist aber wohl im cur-ricular vorgegebenen Schulunterricht gefordert, wo eher eine zwangsweise Verpflichtung auf Gegenstände herrscht. Hier dürfte sich für eine günstige Beeinflussung von Interesse und Lernmotivationen nicht zuletzt das niederschlagen, was den Lehrkräften selbst als bedeutsam am Fremdsprachenlernen erscheint. Denn diese werden ja auf Grund ihrer eigenen Mehrspra-chigkeits-Sozialisation jeweils persönliche Konzepte über Sinn und Zielvorgaben des Fremdsprachenunterrichts an Schulen ausgebildet haben. Und diese Konzepte dürften Bestand haben über wechselnde Stimmungen und Konjunkturen der Fachdidaktik hinweg. Auf die Vorbilder, die Lehrpersonen auf diese Weise mit ihren persönlichen Konzepten, ihren „subjektiven Theorien" über Fremdsprachenlernen darstellen, werden Schüler und Schülerinnen, die ja ihre eigene Spracherfahrungsgeschichte und eigene Einstellungen zu Fremdsprachen mitbringen, gewiss uneinheitiich reagieren. Das ist im Grunde keine ungünstige Konstellation, legt sie doch auf Seiten der Lehrkräfte eine Orientierung an individuellen Bezugsnormen nahe, weniger am sozialen Bezugsnormensystem der Klasse. Damit gälte die Aufmerksamkeit den jeweiligen Lernfortschritten einzelner Schüler, nicht deren Stellung im Leistungsgefälle der Gruppe. Individuelle Bezugsnormenorientierung begünstigt allemal die Abnahme von Ängstlichkeit und Unlust am Schulunterricht. Sie wirkt der Tendenz entgegen, Unterschiede zwischen Schülern auf Faktoren zurückzuführen, die weder vom Lehrer noch von den Schülerinnen beeinflussbar sind, wie Begabung oder häusliches Milieu (Heckhausen & Rheinberg 1980). Damit wird ein Klima gefördert, in dem niemand glaubt, wegen zu geringer Fähigkeiten keine Fortschritte machen zu können, und niemand für sich be- „Interessant" erscheinen fremde Sprachen, wenn sie nicht als ein beliebiger weiterer Code für die bisherigen Äußerungsbedürfnisse angeboten werden, sondern neugierig machen auf ganz andere Perspektiven. Lernen spielt sich immer auf einer Basis schon vorhandenen Wissens ab. Was zu fremd und nicht anschiießbar an dieses Wissen ist, weckt keine Neugier; was allzu wenig Neuheit bietet, das langweilt und reizt nicht zum Lernen. © schließt, dass Anstrengung sich nicht mehr lohne, weil man ohnehin an der Spitze liegt. Die Orientierung am Subjekt und an seinen Interessen und Erfolgen entspricht einer Auffassung vom Lernen und von dem, was es in Gang setzt, die inzwischen Allgemeingut ist (Holzkamp 1995): Interessant, also zur Aufnahme von Neuigkeiten anregend, ist, was auf der Schwelle zwischen Vertrautem und Neuem liegt. Lernen spielt sich immer auf einer Basis schon vorhandenen Wissens ab. Was allzu fremd und gar nicht anschließbar an dieses Wissen ist, weckt keine Neugier; was allzu wenig Neuheit bietet, das langweilt und reizt zum Lernen nicht. Die Menschen sind offenbar darauf eingestellt, mit dem, was sie an Erfahrungen angesammelt haben, auf die Suche nach Neuem zu gehen, um so das schon angesam- Motivation melte Wissen umzugestalten und zu bereichern. Der Fremdsprachenunterricht hat daher eine große Chance. Er ' kann an die Eigenspracherfahrung der Lernenden anknüpfen und Kontraste anbieten, die nicht nur Zugang zu Neuem versprechen, sondern auch das bisher Selbstverständliche, die eigene Sprache, auf neue Weise zu verstehen. „Interessant" können für Schülerinnen und Schüler fremde Sprachen vor allem dann erscheinen, wenn sie nicht als ein beliebiger weiterer Code für die bisherigen Äußerungsbedürfnisse und die eigene kulturelle Praxis angeboten werden, sondern neugierig machen auf ganz andere Perspektiven, neue Gesprächspartner und andere Kulturen. Literaturverzeichnis: Cargile, Aaron Castelan & Giles, Howard: Understanding Language Attitudes: Exploring Listener Affect and Identity. LANGUAGE AND COMMUNICATION 17/1997, 195-217. Deci, Edward L. & Ryan, Richard M.: Intrinsic Motivation and Self-Deter-mination in Human Behavior. New York: Plenum 1985. Dörnyei, Z. & Cslzet, K.: Ten Commandments for Motivating Language Learners: Results of Empirical Study. 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