Der folgende Teil wurde aktualisiert nach: Kleppin, K. (2002): Motivation. Nur ein Mythos? Teil II. In: Deutsch als Fremdsprache 1, 26-30. Faktoren der Motivation beim Fremdsprachenlernen Lernerinterne Faktoren · Motive Motive werden definiert als relativ konstante Wertedispositionen im Individuum, die Handlungen in Gang bringen, sie aufrechterhalten oder sie beenden. (vgl. u. a. Boosch 1983: 22; Heckhausen1989: 9f.). Motive sind ohne Situationen, in denen sie wirksam werden und zu Handlungen führen, nicht denkbar. In Motivauflistungen wie bei Apelt (1981) werden so unterschiedliche Motive für das Fremdsprachenlernen genannt wie das Anschlussmotiv, das Leistungsmotiv, das Neugier- und Wissensmotiv, das Nützlichkeitsmotiv, das Gesellschaftsmotiv, das Elternmotiv, das Kommunikationsmotiv, das Lehrermotiv, das Anerkennungs- und Geltungsmotiv. Dabei wird häufig übersehen, dass es sich zum Teil um sehr unterschiedliche Ausprägungen handelt wie kurzfristige versus langfristige Motive oder auch von außen induzierte versus eigene Motive. An den Motivbegriff sind allerdings noch viele Fragen zu stellen, z.B. · Welche Motive bzw. Motivbündel gibt es für den Bereich des Fremdsprachenlernens? · Wie lassen sie sich diagnostizieren? · Wie sieht die Abhängigkeit vom sozialen, kulturellen Umfeld, von Emotionen oder auch vom Selbstkonzept aus? · Wie verändern sich Motive und wie sind sie beeinflussbar? · Inwieweit sind Motive abhängig vom Alter oder Geschlecht der Lerner? · Wie bedingen sich gegenseitig allgemein menschliche, fremdsprachenlernspezifische und fremdsprachenunterrichtsspezifische Motive? Insbesondere zum Vorkommen unterschiedlicher Motive liegen Untersuchungen vor (vgl. z.B. Dörnyei 1994; Mihaljevič 1990)), die meist in Form von Befragungen anhand von Fragebögen durchgeführt wurden. Sinnvoller wären hier komplexere Forschungsdesigns (z.B. Einbezug von unterrichtsbegleitenden Interviews). · Motivationsstil Die Frage ist, ob ein Konstrukt Motivationsstil für die Sprachlehrforschung sinnvoll ist, wurde noch nicht genügend diskutiert. Williams/Burden (1997: 130f.) bezeichnen z.B. eine Mastery-Orientierung, d.h. die Ausrichtung am eigenen Lernzuwachs und an einer individuellen Bezugsnorm oder auch die gelernte Hilflosigkeit (vgl. z.B. Heckhausen 1989, 477ff.) als einen Motivationsstil. Hier scheint sich noch ein weites und interessantes Feld aufzutun. Möglicherweise könnte man tatsächlich eher stabile individuelle Dispositionen, in die auch Selbstkonzepte einzubeziehen wären - eventuell sogar das Leistungsmotiv als relativ stabilen persönlichen Zug - (vgl. Dörnyei 1994: 277) als Motivationsstil bezeichnen. · Selbstkonzepte Wie sich Selbstkonzepte auf die Motivation im Fremdsprachenunterricht auswirken, dazu existieren meines Wissens kaum Untersuchungen. Eine Rolle dürfte z.B. die Selbstwirksamkeit spielen, d.h. die Einschätzung, dass man mit der eigenen Fähigkeit, Kreativität und Anstrengung ein Ziel erreichen kann und nicht nur abhängig von äußeren Einflüssen ist. Eine positive Einschätzung der Selbstwirksamkeit kann zu einer erhöhten Anstrengung führen (vgl. Heckhausen 1989: 456ff.). Genannt wird in diesem Zusammenhang auch die Kontrollüberzeugung, d.h. eine gezielte Kontrolle über den Ausgang der eigenen Anstrengung. Notwendig sind dabei Aufgaben, über die Lerner eine eigene Kontrolle ausüben können, die sie ihren Zielen und ihrem Niveau anpassen können und die einen eigenen Bewertungsmechanismus haben. Damit hätte dann auch ein traditionelles Lehrerfeedback wie Lob eine geringere Bedeutung als die eigene Selbstzufriedenheit über die Lösung einer Aufgabe (vgl. z.B. Heckhausen 465). Auch in der Diskussion um Lernerautonomie wird Motivation unter diesem Blickwinkel betrachtet und man geht davon aus, dass Autonomie und Motivation Hand in Hand gehen. Nur wenn Lerner die Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen und sich Erfolg aber auch Misserfolg den eigenen Anstrengungen, Lern- und Arbeitsstrategien eher als äußeren Faktoren zuschreiben, dann sind sie auch motiviert oder nach Emma Ushioda „Autonomous learners are by definition motivated learners“. (1996: 2). · Attributionen Kognitive Prozesse der Ursachenerklärung und der Attribuierung, d.h. wie Menschen sich Sachverhalte erklären, gehören wahrscheinlich zur Motivation und beeinflussen das eigene Handeln entscheidend (vgl. Heckhausen 1989: 387-422 und 429ff.). Dabei ist gleichgültig, ob die Attribuierung des Handelnden vom Blickpunkt wissenschaftlicher Analyse aus laienhaft, unvollständig oder falsch sein mag. Auch für die Sprachlehrforschung dürfte die Frage interessant sein, wie sich selbstwertdienliche Attribuierungen bei Erfolg oder Mißerfolg (eigene Unfähigkeit, Pech oder geringe Anstrengung als Ursachenzuschreibung) auf den weiteren Lernprozess auswirken. Im Fremdsprachenunterricht existieren sicherlich auch Attribuierungen, die sich auf Schüler- und auf Lehrerseite unterscheiden: Mißerfolg wird von Lehrern häufig der mangelnden Motivation von Schülern angelastet, von Schülern den nicht-motivierenden Lehrern (vgl. Mihaljevič 1990). Von Bedeutung ist auch, ob nicht-selbstdienliche Attribuierungen möglicherweise modifiziert werden sollten und wie man dabei im Fremdsprachenunterricht vorgehen kann (vgl. auch Williams/Burden 1997: 72ff.; Heckhausen 1989: 451f.). Attributionen hängen eng zusammen mit Selbstkonzepten, Emotionen und Erwartungen. · Emotionen Emotionen können sich positiv auf die Motivation auswirken, vor allem aber auch Motivation unterbrechen, wie z.B. die Angst, Fehler im Unterricht zu machen, Angst vor Testsituationen, Angst vor negativer Bewertung der Persönlichkeit in der authentischen Situation mit native speakers (vgl. Horwitz/Young 1991, Krohn 1983, 173; Schwerdtfeger 1997). Aufgrund der meist noch vorherrschenden Sequentialität des Fremdsprachenunterrichts, d.h. der Abhängigkeit der Lernerfolge von vorausgegangenen Lernerfolgen, kann bei vorausgegangenem Misserfolg ein Gefühl der Bedrohung und der Hilflosigkeit entstehen, das auch in Sprechangst umschlagen kann. · Einstellungen Für diese Faktorengruppe existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Untersuchungen, insbesondere in der Folge des sozialpsycholgischen Motivationskonstrukts. Dabei können Einstellungen entscheidend auch von anderen Faktoren geprägt werden. Es existieren unterschiedliche Klassifikationsmöglichkeiten wie spezifische Einstellungen zu einer bestimmten Sprache oder zum Sprachenlernen generell, Einstellungen zu Sprechern der Zielkultur oder auch Einstellungen zum Lehrer bzw. zum Kurs. Zwei Arten von Einstellungen scheinen - wenn auch die Untersuchungen nicht immer konsistent sind - die größten Auswirkungen auf den Lernerfolg zu haben, die Einstellungen der Sprache an sich gegenüber und allgemeines Interesse am Fremdsprachenlernen (zu einer Zusammenfassung vgl. Gardner 1985: 50). Positive Einstellungen müssen sich allerdings nicht immer in konkretem Verhalten, also z.B. in der Teilnahme am Fremdsprachenunterricht äußern (Schwerdtfeger 1981). In Deutschland bekannt wurde die Untersuchung von Lernereinstellungen (Düwell 1979), die eine Reihe weiterer Untersuchungen nach sich zog (vgl. Solmecke 1983). Ein wichtiges Ergebnis war die Einsicht, dass sowohl Lehrmaterialien als auch der Unterricht selbst häufig zu Demotivierung der Schüler führte. · Lernerziele, Erwartungen des Lerners Ziele wie etwa mit native speakers kommunizieren zu können, auf einer touristischen Reise durchzukommen, soziales Ansehen zu gewinnen, den Eltern einen Gefallen zu tun, spiegeln Motive wider. Ziele sind ebenso wie die unterschiedlichen Motive selbst innerhalb einer Lerngruppe individuell sehr unterschiedlich und verändern sich. In der Fachliteratur wird nicht immer klar, wie denn Ziele gegenüber Motiven abgegrenzt werden können, möglicherweise kann man bei einer hohen Motivation sogar von einer Gleichsetzung ausgehen, was längerfristige Ziele angeht. Dass die Motivation über eine sehr lange Zeit aufrecht erhalten werden muss, um das ‚Ziel‘ zu erreichen, stellt ein besonderes Problem des Fremdsprachenlernens und -unterrichts dar. Heuer spricht hier auch von der “Unehrlichkeit der permanenten Propädeutik” (1978: 23) und meint damit das immerwährende Vertrösten auf später. Daher ist es notwendig, Nahziele zu setzen, die für den Lerner von persönlicher Bedeutung sind, deren Erfolg sichtbar ist und die sukzessive erreicht werden können. Solche klaren kurzfristigen Zielvorstellungen, die vor allem von den Lernern selbst akzeptiert sein müssen (vgl. Oxford/Shearin 1994: 19), unterstützen den Aufbau realistischer Erwartungen über die Ergebnisse der eigenen Tätigkeit. · Anstrengung und Beharrlichkeit Die Komponente ‘Anstrengung des Lerners’ wurde häufig gemessen, und zwar über Selbstzeugnisse wie Angaben zur Zeit für Hausaufgaben oder auch zu Initiativen, die der Lerner übernehmen möchte (vgl. Gardner/Lambert 1972). Die Anstrengung des Lerners könnte auch gesehen werden als beobachtbare Verhaltenskomponente von Motivation und weniger als Einflussgröße. Anstrengung und Beharrlichkeit hängen von anderen Faktoren ab, nach Mihaljevic (1994) möglicherweise besonders stark von der Lernereinschätzung der Nützlichkeit des Kursinhalts oder der Lehrerkompetenz. Eine weniger große Rolle scheint zu spielen, wie schwierig ein Kurs empfunden wird oder wie sehr der Schüler dem Lernen affektiv positiv gegenübersteht. 4.2 Lernerexterne Faktoren Hierunter soll all das gerechnet werden, was nicht im Lerner selbst angelegt ist, was Teil seines sozio-kulturellen Umfelds ist und was mit den institutionellen Bedingungen des Fremdsprachenunterrichts zusammenhängt. Die folgenden Faktoren dürften einiges von dem einbeziehen, was in der fremdsprachendidaktischen Literatur unter Motivierung verstanden wird. · Unterrichtsexterne Faktoren Eltern, Freunde, bedeutsame Andere, das gesellschaftliche Umfeld, die Bedeutung der Sprache im gesellschaftlichen Umfeld und die curriculare Situation beeinflussen vermutlich nicht stabile Motive, vor allem das Wahlverhalten und die Einstellungen zur Sprache sowie zum Unterricht. Z.B. beeinflusst der Numerus Clausus zum Teil stärker als das Interesse an einer Fremdsprache das Wahlverhalten der Schüler (vgl. Schröder 1983). · Die Unterrichts- bzw. Lernsituation Die Situation wird in der Motivationspsychologie z.B. bei Heckhausen als „wachrufende Determinante“ gesehen (1989: 83) und zunächst einmal kann man natürlich leicht die Forderung nach einer optimalen Gestaltung der Lernsituation im Fremdsprachenunterricht zur Erzielung einer größtmöglichen Lernbereitschaft der Schüler aufstellen (Solmecke 1983: 17). Doch was heißt optimal, und für wen optimal? Genannt werden auch in der Motivationspsychologie (zu einem Überblick vgl. Heckhausen 1989: 109ff.) immer wieder z.B. Neuigkeit und Themenwechsel, Überraschungsgehalt, Komplexität des Lernstoffes, Ungewissheit und Konfliktpotential. Dabei ist unbedingt in den Blick zu nehmen, dass auch zunächst anregende Bedingungen, wie der Einsatz des Computers oder des Videos im Unterricht, so genannte motivierende Übungen wie Spiele usw. ihr Anregungspotential verlieren, wenn sie zu häufig verwendet werden. · Lehr- und Lernmaterialien In Lehrwerkanalysen oder auch Schülerbefragungen wurde untersucht, inwieweit von Lehrwerken motivierende aber auch demotivierende Effekte ausgehen können (vgl. z.B. Düwell 1979; 1983a; 1983b; Radden 1983; Wernsing 1993). Nach diesen Lernerbefragungen hat sich schon sehr viel in Lehr- und Lernmaterialien verändert; viele Forderungen wurden erfüllt, wie z.B. die Forderung nach mehr Authentizität, die Forderung nach Aktualität, Anwendbarkeit oder nach Situationen, in die man selbst auch kommen kann, nach Identifikationsmöglichkeiten mit Personen und Situationen sowie Themenwechsel. Dennoch ist die Forschung dazu, wie sich Lehrwerke auf die Motivation von Lernern auswirken, bei weitem noch nicht abgeschlossen. · Die Lerngruppe Dass eine positive Gruppenatmosphäre sich wahrscheinlich günstig auf die Motivation auswirkt, wird immer wieder erwähnt (vgl. u. a. Schiefele 1993, 179 f.). Ebenso scheinen auch kooperative Arbeitsformen einen positiven Effekt auf die Motivation von Lernenden zu haben (vgl. z.B. Dörnyei 1994: 279, Schwerdtfeger 1998: 46f). Crookes und Schmidt (1991: 490) begründen dies auch damit, dass das Verwenden kooperativer Strategien dabei helfen kann, ein negatives Selbstkonzept zu überwinden, indem gemeinsam etwas erreicht wird und es dann zu Veränderungen des Selbstkonzeptes kommen kann. · Der Lehrer; das Lehrerverhalten Der Lehrer wird - gerade auch in der deutschsprachigen fachdidaktischen Literatur zu Motivierungstechniken - häufig als die entscheidende Motivationskraft bezeichnet (vgl. Reisener 1989, 10 ff). Seine Einstellungen den Schülern gegenüber, die eigene Motivation, aber auch die Einstellungen der Schüler ihm gegenüber scheinen einen entscheidenden Einfluss auf die Interaktion auszuüben. Dies bestätigt z.B. auch die Untersuchung von Chambers (1999). Noch bei Reisener (1989: 52f.) wird die Funktion des Lehrers in der Motivation darin gesehen, dass er sich Einsichten in die Motivationslage der Lerner beschafft, diese Einsichten dann auswertet und dementsprechend handelt; der Lerner selbst wird in diesen Prozess nicht einbezogen. In der neueren Literatur zur Motivation wird dem Lehrer eher die Rolle eines Mediators zugebilligt, der den Lernprozess nicht direkt steuert, sondern ihn unterstützt und durch geeignete Maßnahmen anregt. Die Empfehlungen werden zum großen Teil aus den vorher beschriebenen einzelnen Faktoren abgeleitet wie z.B. die zehn Gebote von Dörnyei (1998: 131). Lehrer sollen Lerner dabei unterstützen, Selbstwirksamkeit zu empfinden, indem sie Aufgaben geben, über die Lerner eine eigene Kontrolle ausüben können und die ihnen die Gelegenheit zur Selbstevaluation bieten. Sie sollen kooperatives Lernen fördern, informatives Feedback geben oder auch für ein angenehmes Gruppenklima sorgen. Doch ein schaler Nachgeschmack bleibt: Man hätte wohl auch ohne die Diskussion von Motivationstheorien darauf kommen können, ableitbar aus Forderungen nach Selbstbestimmung des Lerners oder Lernerzentrierung. Trotzdem kann das Konstrukt Motivation auch in der Unterrichtspraxis weiterhelfen. Vielleicht auch, weil der Begriff so weit in die Alltagssprache eingedrungen ist, dass jeder Lerner etwas damit verbinden kann. In einem Unterrichtsgespräch oder durch andere Elizitationsverfahren kann der Lerner über die eigenen oder mögliche Motive reflektieren, die persönlich empfundene Bedeutsamkeit des Unterrichtsgeschehens besprechen, über Erfolgs- bzw. Mißerfolgsattribuierungen nachdenken, gemeinsam realisierbare Ziele herausfinden, Strategien zur Aufrechterhaltung der Motivation entwickeln und eventuell Lernverträge abschließen (vgl. zu solchen Vorschlägen auch Williams/Burden 1997: 132f.). Lehrer können sich darüber hinaus einen konkreten Fragenkatalog anhand der genannten Faktoren zusammenstellen, mit dem sie ihr eigenes Verhalten überprüfen können wie etwa: Sind mir die momentanen Motive meiner Lerner bekannt? Mache ich mein methodisches Vorgehen transparent, so dass Lerner z.B. Kontrollüberzeugung in Bezug auf ihr eigenes Lernen entwickeln können? Wann habe ich das letzte Mal kooperatives Lernen gefördert? Gebe ich informatives Feedback oder lobe ich einfach nur völlig unspezifisch? Können Lerner meine Aufgaben lösen, wenn sie Anstrengung investieren?