Über die Autoren Inhaltsverzeichnis Annemarie Kospach ist. in Niederösterreich geboren und lebt seit ihrer Jugendzeit im Herzen der Stadt Wien, in der Inneren Stadt. Sie ist ein überaus kreativer Mensch, begeistert sich für schöne Dinge, liest und malt gerne. Die ausgebildete Technikerin arbeitet nun ehrenamtlich an der Seite ihres Mannes im Bezirksmuseum Innere Stadt. Kurt Kospach lebt seit frühen Kindheitstagen in der Wiener Innenstadt. Im Berufsleben lernte er als international tätiger Ingenieur die Welt kennen. Immer an Zeitgeschehen und Geschichte interessiert, führt der begeisterte Hobbyhistoriker ehrenamtlich das Bezirksmuseum Innere Stadt in Wien. Vorsatz: Eine Vogelschau auf Wien und Umgebung im Jahr 1683 (1686), ein Kupferstich von Flobert van Alten-Allen. Seite 1: Reiterstandbild von Erzherzog Karl am Heldenplatz, im Hintergrund das Naturhistorische Museum. Nachsatz: Der Blick auf die Innere Stadt. Impressum Sutton Verlag GmbH Hochheimer Straße 59 99094 Erfurt ww w.suttonverlag.de Copyright © Sutton Verlag, 2018 ISBN: 978-3-95400-865-0 Druck: Florjancic Tisk d.0.0. / Slowenien Uber die Autoren 2 Quellenangaben 5 Einführende Worte 7 Der liebe Atigustin 8 Die Toten mette 10 Abraham a Sancta Clara schreibt über die Pest in Wien 12 Alle neune 15 Das Donauweibchen 18 Das Elefantenhaus 20 Das Hasenhaus 23 Das Lugeck 25 Das rote Mandl auf der Freyung 28 Der Basilisk in der Schönlaterngasse 29 Der dreizehnte Glockenschlag 31 Der Fahnenschwinger vom Sfephansturm 33 Der geheimnisvolle. Fremde in Wien 35 Der Gespensterwurf in der kaiserlichen Burg 37 Der Hahn auf dem Stephansdom 39 Der Heidenschuß und warum die Wiener Bäcker Kipferl backen 42 Der heilige Christopherus in der Salvatorgasse 46 Der Meister 49 Der schmeckende Wurm 52 Der seltsame Vogel des Generals Lindenau 56 Der Zahnweh-1 lerrgott 58 Inhaltsverzeichnis Die Dienstbotenmuttergottes 60 Die heilige Barbara und Stanislaus Kostka 62 Die gestörte Totenruhe 64 Die kostbare Beute 65 Der Kundschafter Koltschitzky 66 Abraham a Saneta Clara wettet 69 Die Linde bei St. Stephan 70 Die ruchlosen Spieler in der Peterskirche 71 Die Schranne 74 Die Speckseite im Roten Turin 75 Die sündige Himmelspförtnerin 77 Das Hirschgeweih am Stephansturm oder die Tabakspfeife 79 Drachen in der Inneren Stadt »0 Eine Sage vom St. Stephansplatz 87 Gevatter Tod 88 Graf Franz III. Nadasdy oder die Magnatenverschwörung 90 In der Not frisst der Teufel Fliegen 93 Küss den Pfennig! 96 Martin Mur, der Teufelsschlosser oder der Stock im Eisen 101 Meister Puchsbaum, der Turmbauer von St. Stephan 104 Die Sage von der gespenstigen Katze 107 Schab den Rüssel 109 Stoß im Himmel 111 Wo der Teufel mit der Bognerin rauft III Wo die Kuh am Brett spielt 116 Kornhäusel und sein Turm II« Quellenangaben Textquellen Zur Texterstellung wurde zunächst die verfügbare Literatur gesichtet. Viele Autoren haben sich in der Vergangenheit dem Thema Sagen gewidmet. Zahlreiche Sagen wurden von mehreren Autoren beschrieben. Wir haben die aus unserer Sicht interessantesten Legenden ausgewählt, respektive verschiedene Details entnommen, um sie dann neu zu erzählen. Geschichtliche Details und Zusammenhänge wurden unter Zuhilfenahme moderner Datenquellen, wie z.B. Wikipedia oder VVien-Geschichte-Wiki, abgeklärt. Quellenliteratur Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn, 1684 Marianne Trebitsch-Stein, Wiener Sagen, 1925 J.W. IIolczabek und A. Winter, Sagen und Geschichten der Stadt Wien, 1894 Albert A. Wenedikt, Geschichte der Wiener Stadl und Vorstädte, 1866 Rudolf Haybach, Unter gotischen Dächern, Sagen und hegenden aus dem alten Wien, 1941 Anton Mailly, Allerlei Merkwürdigkeiten vom Wiener Stephansdom, 1923 Franz Branky, Lesebuch für Österreichische Bürgerschulen, 1885 Karl Weiss, Wiener Zeitung 1847 Wilhelm Kisch, Die alten Strassen und Plätze Wiens, Wien 1883 J. Gebhart, Heilige Sagen in Österreich, 1856 Wiener Pädagogische Gesellschaft, Wiener Sagen, 1922 Moriz Bermann, Geschichte der Wiener Stadl und Vorstädte, 1870 Skizzen aus Österreichs Vorwelt, Wien 1837 Ludwig Beciistein, Volkssagen und Legenden des Kaiserstaates Österreich, 1840 Gerhard Robert Walther von Coeckelberghe-Dützele, Curiositäten- und Memorabilien-Lexicon von Wien, 1846 Prof. Robert Mucnjak, Führer durch Alt-Wien, Innere Stadt, 1980 Adele Kment, Rund um den Stephansturm, Sagen und Legenden, 1946 Quellenangaben Eugen Messner, Die Innere Stadt Wien, 1928 J. Vogel, Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten aus Wiens Vorzeit und Gegenwart, 1841 Hans von Taborelli, Alt Wiener Geschichtenbuch, 1943 Hans von Taborelli, Altwiener Panoptikum, 1946 Emil Hofmann, Alt-Wien Geschichten aus vier Jahrhunderten, 1900 Bildquellen Invisigothö/ - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.0rg/w/ index.php?curid=7409i04: S. 119; Andreas Pracfcke - Eigenes Werk (own photo-graph), CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=i2357759: S. 9; Papergirl - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.0rg/w/index. php?curid=492i8605: S. 112; SchiDD - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons. wikimedia.org/w/index.php?curid=3702i736: S. 119; Shutterstock/Adisa: Einband vorne; Shutterstock/Tatiana Popova: S. TV/v, Shutterstock/Guniva: Einband hinten. Alle weiteren Bilder wurden von Kurt Kospach fotografiert. Folgende Dokumente wurden den Beständen/Archiven des Bezirksmuseums Innere Stadt entnommen: Vorsatz: Eine Vogelschau auf Wien und Umgebung im Jahr 1683 (1686), ein Kupferstich von Flobert van Alten-Allen. Seite 11: Kreidezeichnung um 1900, Der Innenhof des Erzbischöflichen Palais. Seite 15: Ansichtskarte um 1930, Die Türmerstube des Stephansdomes. Seite 21: Kupferstich, Der Graben, Ausschnitt mit Elefantenhaus. Seite 24: Kupferstich, Das Hasenhaus. Seite 27: Kolorierte Zeitung, Der alte Federlhof. Seite 38: Ansichtskarte um 1900, Das Schweizertor. Seite 67: Wandbild, Der Kundschafter Koltschitzky. Seite 72: Ansichtskarte um 1900, Die Peterskirche. Seite 81: Zeichnung von Annemarie Kospach, Basilisk. Seite 91: Wandbild, Graf Nadasdy. Seite 92: Abguss einer Erinnerungstafel, Bild mit der Hinrichtungsszene Graf Nadasdys. Seite 99: kolorierte Zeitung, Küssdenpfennighaus. Seite 103: Fotographic um 1900, Stock im Eisen. Seile 108: Aquarell, Katzensteigtor. Seite 110: Planausschnitt, Stadtplan von Augustin Hirschvogel. Seite 115: Ansichtskarte um 1920, Bognerstraße. Einführende Worte Wie geht man an ein solches Projekt heran, aus dem überreichen Sagenschatz einer Stadt wie Wien, die auf so eine ansehnliche geschichtliche Vergangenheit zurückschauen kann, eine Auswahl zu treffen? Einer Stadt, die an einem so wichtigen Kreuzungspunkt Europas gelegen ist, einer von vielen beneideten, bewunderten und begehrten schönen Metropole, wo so viel Schicksalhaftes geschehen ist, wo kaum ein Jahrzehnt verging, in dem sich nicht gewaltige Änderungen vollzogen haben. Vieles davon ist im Sagenschalz abgebildet, nahezu jeder Slraßenzug blickt auf eine eigene Geschichte zurück, fast jedes Haus trägt einen alten Namen, welcher auf interessante Begebenheiten hinweist oder an besondere Bewohner erinnert. Die Literatur ist unüberschaubar, viele Geschichtenerzähler haben dieses Wissen weitergegeben, viele Chronisten die geschichtlichen Quellen erforscht. Also kann man ob der unendlichen Quellenflut nur punktuell einige wenige Geschichten herausgreifen, wird dieses Buch nur ein weiteres kleines zusätzliches Mosaiksteinchen unter den Sagenbüchern sein. Natürlich dürfen die gängigen Standardsagen, welche die Wiener schon seit Kindheitstagen begleiten, nicht fehlen, aber auch wenig bekannte Ereignisse und Geschicht(ch)en sind hier aufgenommen. Aus längst vergangenen Zeiten wird berichtet. Oft werden mystische Gestalten und unerklärliche Dinge in erstaunliche Erzählungen verpackt. Mögen diese Legenden, Sagen und Geschichten dem Leser Freude und Entspannung bringen und ejn wenig dazu beitragen, diese alte Wiener Innere Stadt doch aus dieser Sicht neu zu entdecken! Wir freuen uns, Sie, werter Leser, auf einen Streifzug durch die Geschichte(n) unserer Stadt einzuladen! Annemarie und Kurt Kospach 7 Der liebe Augustin Der liebe Augustin Mitte des 17. Jahrhunderts war das Bierhaus „Zum roten Dachl" auf dem Fleisch-markt eine der begehrtesten und bestbesuchten Bierschenken in der Stadt. Es gab nur einen einzigen Raum mit niedriger Decke, kleinen vergitterten Fenstern und rußgeschwärzten Wänden. Dort spielte jeden Dienstag, Donnerstag und Sonntag der Dudelsackpfeifer und Bänkelsänger Martin Augustin. Seine Erscheinung war ärmlich, seine Beine steckten in weiten Hosen, sein Rock war geflickt, auf dem Kopfe trug er ein spitzes, keckes Hütchen. Das Beste, das er sein Eigen nannte, waren seine sangesfreudige Kehle, seine Fröhlichkeit und sein Dudelsack, den er immer bei sich trug. Im Sommer des Jahres 1779 brach plötzlich die gefürchtete Pest aus. Aus Angst vor Ansteckung wurden die meisten Wein- und Bierhäuser gesperrt. Nur in der Bierschenke „Zum Roten Dachl" ging es noch lustig her. Der Sänger Augustin trillerte, stets angetrunken, seine etwas derben, doch lustigen Lieder. Man trank, wohl auch um sich etwas Mut gegen die schlimme Krankheit anzutrinken. Doch die Pest wurde immer schlimmer, sie wütete immer grauenvoller, die Menschen starben in großer Zahl, ganze Straßenzüge wurden menschenleer. Wer konnte, floh aus der Stadt. Die vielen Pestopfer wurden aus den Häusern getragen und auf offene Karren geladen. Außerhalb der Stadt hob man tiefe Gruben aus und warf die Verstorbenen hinein. So kam es, dass eines Tages kein Gast mehr im „Roten Dachl" erschien, nur Augustin und der Dachlwirt waren anwesend. Der sonst immer unerschütterliche und lustige Augustin suchte seine Enttäuschung durch eine Menge Bier und Branntwein zu ertränken. Nachdem er seine letzten Münzen vertrunken hatte und kaum noch stehen konnte, trat er missmutig seinen Heimweg an. Laut sang er vor sich hin: O du lieber Augustin, s' Geld ist hin, die Freud' ist hin, oh du lieber Augustin, alles ist hin! Immer wieder dieselbe Strophe! So torkelte er weiter durch die Straßen, über den Stephansplatz, den Stock-im-Eisen-Platz, den Graben und den Kohlmarkt zum Burgtor. Irgendwo im freien Gelände außerhalb der Stadtmauer stürzte er, blieb auf der Straße liegen und schlief sofort Nach Stunden kamen die Siechenknechte mit ihrem Leichenkarren des Weges und fanden den am Straßenrand liegenden Betrunkenen. Sie dachten, er wäre tot, und warfen ihn zu den anderen Leichen auf den Wagen. Augustin war zu betrunken, um das zu bemerken. Bei der Pestgrube in der Nähe der Kirche St. Ulrich angekommen, warfen ihn die Knechte mit den Leichen in die Grube. Tief und fest schlief er seinen Rausch aus. Erst beim Morgengrauen erwachte er inmitten der stinkenden Leichen. Er schrie aus voller Kehle, stieg ärgerlich auf den toten Körpern umher, aber er konnte nicht aus der Grube entkommen, sie war zu tief. Erst nach langer Zeit kamen wieder die Siechenknechte mit einer neuen Todesfuhre herbei. Als sie den ihnen bekannten Zecher erblickten, riefen sie spöttelnd: „Schaut, der liebe Augustin in der Pestgrube!" Schließlich halfen sie ihm aber doch mit einem langen Strick heraus. Augustin blieb wie durch ein Wunder von einer Ansteckung verschont. Doch dieses fürchterliche Abenteuer beeindruckte ihn nicht sehr. Er setzte seine gewohnte Lebensweise fort, seine Fröhlichkeit blieb ihm erhalten. Sein Erlebnis besang er noch viele Jahre, in Reime geformt in der Bierstube „Zum Roten Dachl". Angeblich verstarb er sieben Jahre später, am 11. März 1685, im Alter von 42 Jahren. Im „Roten Dachl" aber war der Augustin mit seinen lustigen Liedern noch lange in aller Gäste Munde. Das Bierlokal trägt heute den Namen „Grjechen-beisl". Die Lieder vom lieben Augustin kennen wir heute noch. Der liebe A ugustin am Fleischmarkt in der Inneren Stadt. TT Die Totenmette Es war in einer kalten Christnacht. Der Pfarrer zu St. Stephan saß in seiner warmen Stube und las in einer alten Chronik. Er war so vertieft, dass er den eisigen Wind, der über den St. Stephansfreithof brauste und an seinen Fenstern rüttelte, gar nicht hörte. Sein ergrautes Haupt hatte er in seine Hand gestützt, seine Gedanken waren versunken in die Worte in der Chronik, die er immer wieder las, die er aber nicht verstehen konnte: Wen angethan mit seinem Grabgewand, zur Christnacht du erschaust im Gotteshaus, dem lischt, bevor das nächste Jahr entschwand, der Würger Tod die Lebensleuchte aus. Da hörte er plötzlich ein seltsames Geräusch. F.s schien aus weiter Ferne zu ihm zu dringen. Es glich Chorgesang, doch es werde wohl der Wind sein, der durch die Fensterritzen pfeift, versuchte sich der Pfarrer zu beruhigen. Doch der Schall wurde immer ungewöhnlicher. Er Lrat ans Fenster und blickte zum Dom hinüber. In der dunklen Nacht war der Dom nur schemenhaft zu erkennen. Doch als er einen Lichtschein durch die Kirchenfenster vermeinte erblicken zu können und der Gesang immer deutlicher zu hören war, fasste der greise Mann Mut, zog seinen Mantel an, nahm eine Laterne und ging zum Dom hinüber. Bevor er die Kirchentüre öffnete, blickte er zum Himmel und sprach: Herr, des Schirmers Pflicht, nicht Frevel ließ mich kommen hier heraus, drum, was auch immer meiner harrt, ich furcht' es nicht, und ohne Zagen tret' ich ein in dein Haus, in deinem Namen öffne ich das 'Tor! Er öffnete das Tor zum Dom und trat festen Schrittes durch die Pforte. Fahles Licht erleuchtete das große Kirchenschiff. Er sah gespenstisch anmutende Gestalten, die sich langsam bewegten, alle umhüllt von weißen Gewändern. Bei genauem Hinsehen erkannte er, dass sie alle Bürger seiner Stadtgemeinde waren. Er erkannte das junge Gretchen, den alten, gebrechlichen Klaus und auch dessen Enkelkind, beim Beichtstuhl stand Frau Margarethe. Er blickte zum Altar, sah den Priester und, als Die Totenmette Der Innenhof des Erzbischöflichen Palais auf einer Kreidezeichnung um 1900. sich dieser umwandte, erkannte er sein eigenes greises Antlitz! Es schauderte ihn. Da hörte er vom Turm eins schlagen und all das eben Gesehene war plötzlich verschwunden. Ganz alleine stand er nun im großen dunklen Kirchenschiff. 10 II Die Totenmette Bebend eilte er heim in seine Stube. Dort nahm er die Feder zur Hand und schrieb die Namen aller, die er gesehen hatte, in die Chronik. Das Blatt war ganz vollgeschrieben, seinen eigenen Namen setzte er zuletzt auf die Liste. Ein Jahr vergi ng und wieder kam die Christnacht. Doch es fand sich kein Priester im Dome für die Morgenmette ein und auch niemand aus der Stadt war zu sehen. Denn hingerafft vorn schwarzen Tode War Alt und Jung, so wie's prophezeit der Spruch, Und von dem Schreiher und der Beterschar Verblieb ihr Name bloß im Chronikbuch! Alle Mitglieder seiner Gemeinde hatte der schwarze Tod, die Pest, dahingerafft. Auch ihn, den Priester. Abraham a Sancta Clara schreibt über die Pest in Wien Wer anno 1679 in der Wien-Stadt in dem Monat September hat gelebt, der muß es hoch beteuern! Solches Elend zu beschreiben erscheint unmöglich! Denn der Tod hatte solcherart gewütet, dass vielen vorkommt, es findet sich nicht eine Gassen noch Straßen, deren doch so viele in dieser volkreichen Residenz-Stadt sind, welche des Todes Grimmen nicht hätte ausgestanden: In der Herrengasse hat der Tod geherrscht. In der Klugerstraßen ist der Tod nicht klug gewest, sondern verschwenderisch. In der Bogner-Gassen hat der Tod ziemlich abgeschossen. In der Singer-Straßen hat der Tod vielen das Requiem gesungen. In der Schuler-Straßen hat der Tod kein Vacanz gesetzt. In der Riemer-Staßen hat der Tod aus fremden Häuten Riemen geschnitten! In der St. Dorothea-Gassen hat der Tod keinen Feiertag gehalten! In der Leiber-Straßen, Wallnerstraßen, Breiner-Straßen, Kärner-Straßen, Donfalt- Straßen, Wiplinger-Straßen hat der Tod einen Straßenräuber abgeben. In der Nagler-Gassen hat der Tod seine Pfeil gespitzt. In der Himmelpfort-Gassen hat manchen der Tod in den Himmel geschickt, oder darneben. Abraham a Sancta Clara schreibt über die Pest in Wien Die Pestsäule am Graben wurde nach einer Pestepedemie i679 im Auftrag von Kaiser Leopold I. errichtet. Sie wurde 1693 vollendet. 12 13 Abraham a Sancta Clara schreibt über die Pest in Wien In der Johannes-Gaß ist der Tod Joannes in eodem gewest. Auf dem Hohen Markt hat der Tod viel erniedrigt! Auf dem Fischmarkl hat der Tod keinen Fasttag gehabt. Auf dem Neuenmarkt hat der Tod keinem nichts Neues gemacht. Auf dem Kohl-Markt hat der Tod nichts als kohlschwarze Trauerkleider verursacht. Auf dem Kienmarkt hat der Tod auch angezündet! Auf dem Bauernmarkt hat der Tod viel Bürger angetroffen! Auf dem alten Fleischmarkt hat der Tod auch seine Fleischbank gehabt. Auf dem Saumarkt, nunmehr Schaumarkt genennt, hat der Tod manches Spektakel erwiesen. Auf dem Graben hat der Tod nichts als eingraben! Auf der Freyung waren wenig befreit vor dem Tod. Auf dem Heidenschuß hat der Tod nach den Christen geschossen. Auf dem Juden-Platz hat der Tod ziemlich geschachert. Auf der Sailerstatt hat der Tod vielen die Fallstrick gelegt. Auf der Brandstatt, auf dem Salzgries, auf dem Katzensteig hat der Tod viel gemausert. Den Sauwinkcl hat der Tod ziemlich gesäubert. Bei den zwölf Aposteln hat der Tod den Ischariot abgeben! Auf dem Grünanger hat der Tod gemacht, dass viel wie ein Gras verdorret, omnis caro foenum! (Alles Fleisch wird zu Heu) Den Peters-Freithof hat der Tod bei seinem Namen gelassen. Auf der Hohen Brücken hat der Tod manche gestürzt. Im Ofenloch ist manchen der kalte Todschweiß über das Gesicht geronnen! In dem Schlossergassl hat der Tod vielen die Tür aufgesperrt in die Ewigkeit. In dem Jungfraugassi hat der Tod galanisiert. Im Judengassel hat der Tod keinen Sabath gehalten. Im Blutgassi ist auch der Tod nicht schamroth geworden! In dem Strohgassel hat er manchen auf dem Strohsack erwürgt. In dem Färbergassi hat der Tod zum erstenmal die bleiche Toden-Farb angestrichen! In der Schenker-Straßen hat der Tod nicht vielen das Leben geschenkt. In der Landskron hat der Tod den Zepter geführet! Auf der Fischerstiegen sind dem Tod viel ins Netz geraten. Im Stock im Eisen hat der Tod sich hart genug gezeigt. In Summa, es ist keine Gassen noch Straßen, ob ihr Namen hier beigefügt ist oder nicht, sowohl in Wien als in den weiten Vorstädten, welche der rasende Tod nicht hätte durchstrichen! 14 Alle neune Es war an einem heiteren Septemberabend, als nach der Vesper einige lustige ^Gesellen auf dem Berghofe am Hohen Markt bei Geigenspiel, Becherklang und Kegelschieben sich bis in die Dämmerung hinein unterhielten. Nur der Mond beleuchtete die Straßen, eine Straßenbeleuchtung kannte man zu dieser Zeit ja noch nicht. Die Gesellen verließen die Schenke, jeder trat seinen Heimweg an. Mancher von ihnen holte sich dann noch daheim ob der späten Heimkehr kräftige Schelte von seinem wartenden Eheweib. Nur ein einziger, Kunrat, war im Berghof zurückgeblieben, doch der machte Lärm wie zehn andere, so betrunken war er. Er war in der Tracht der Wiener Bürgersleute gekleidet, wenn auch ein wenig nachlässig aussehend und war wie besessen bei seinem Kegelspiel. Bei jedem Wurf traf er alle Neune, schrie begeistert auf und belohnte sich jedes Mal mit einem Glas Wein, welches er in einem Zug leer trank. Wegen dieses Verhaltens erhielt er von den Kumpanen den Beinamen „Ewigtrunkh". Damals, im 16. Jahrhundert, hatte man noch keine Familiennamen gekannt. Man fügte dem Taufnamen entweder das Amt oder das Gewerbe, welches man ausübte, den Namen der Heimatstadt oder auch Eigenschaften, seien es gute oder böse, zu. Auch erfand man komisch klingende Namen, oft auch Spottnamen. Die Türmerstube des Slephansdomes auf einer Ansichtskarte um 1930. 15 Alle neune Als nun Kunrat, der Ewigtrunkh, weiterspielte und -zechte, trat schließlich der Wirt des Berghofs zu ihm und sprach: „Kunrat, hast du denn nicht schon genug gespielt und getrunken, denke doch an dein Weib und deine Kinder, die, während du hier so viel zechst, daheim darben müssen!" „Mein lieber Wirt, kümmert Euch um Eure Sachen und nicht um die meinen. Bin ich je in deiner Schenke auf dem Kerbholz gestanden? Nein, ich zahle stets genau! Bringt mir sofort einen Humpen Wein und lasst mich ungeschoren!" Der Wirt entfernte sich kopfschüttelnd und nahm die trotzig hingeworfenen Münzen des Trunkenbolds. Der wiederum nahm die Kugel neuerdings auf, doch verfehlte er diesmal die Kegel zur Gänze, denn es hatte sich während des Ausholens eine Hand schwer wie Blei auf seine Schulter gelegt. Zornig blickte er um sich. Da stand ein kleines Männchen, ganz in Grau gekleidet, und blickte mit seinen stechenden Augen Kunrat an. Der stürzte zornig seinen Becher Wein in seine Kehle und herrschte den Eindringling an: „Was soll das, fasst mich nicht an, lasst mich in Ruhe!" Er griff neuerdings zur Kugel und schob wieder ins Leere! „Herr geht und lasst mich in Ruhe spielen! Eure Gegenwart stört mich, ich brauche Euer Zusehen nicht!" Da ertönte eine hohle Stimme, geradeso als ob sie aus einem Grabe kommen würde: „Lass ab, ewiger Trunkenbold, lass ab! Wie lange gefällt es dir noch, zu schieben im Mondenschein und Sternenschimmer?" „Was geht Euch das an? Ich kann spielen solang ich will, bis morgen früh, selbst bis zum jüngsten Tag! Kommt, spielt lieber mit!" „Ich spiele nicht. Wenn die Abendglocke vom Dome läutet, horch, eben sind die letzten Schwingungen des Glockenschalls verklungen, solllet Ihr beten, wie's Brauch ist!" „Was kümmert mich der Glockcnklang, die fallenden Kegel haben einen lieblicheren Ton!" Etwas später sagte er, nachdem ein helles Klingen zu hören war: „Horch, jetzt geht gerade ein Priester zum Stephansdom, er kommt gerade von einem Sterbenden. Geh doch hinter dem Priester ehrerbietig nach, das heilige Sakrament der letzten Ölung mahnt zur Andacht!" „Hör auf mit deinen weisen Sprüchen! Meinetwegen, ich folge dem Priester zum Dome, aber hinauf zur Schiebstatt, dort spiele ich mit dir um Mitternacht, dass die frommen Wiener meinen, es hantiere oben der böse Geist mit seinen Gesellen." „So komm also", flüsterte der Graurock, „wenn du Mut hast, kegle mit mir auf der Stephans-Sch iebstatt." Beim Weg durch die stillen, menschenleeren Gassen ertönte der schwere Schritt Kunrats, alleine bemerkte er mit Schaudern, dass seines Begleiters Stiefel keine Geräusche erzeugten, der schien über das Pflaster zu schweben. Der Graurock wurde Alle neune ihm immer unheimlicher. Schweißtriefend schleppte er sich die Stiegen zur Turmstube hinauf. Geräuschlos folgte sein Begleiter. Endlich oben angelangt, fragte Ewigtrunkh höhnisch, er halte wieder ein wenig Mut gefasst: „Wirfst du immer alle neune?" „Ich wette auf jeden Wurf und verliere ich, so zahle ich dir auf der Stelle jeden Betrag, den du begehrst!" „Es gilt!", sprach Kunrat, aber merke wohl, hier ist's nicht wie auf den anderen Kegelbahnen, hier stellst du dich mit dem Rücken zu den Kegeln und wirfst die Kugel durch deine gespreizten Beine nach dem Ziel! So wirf denn alle neun!" Rief's und warf einen Kegel in die Nacht hinaus. „Du zuerst!", donnerte grimmig der Graurockund seine Gestalt wuchs riesenhaft an, „und gelingt es dir nicht, alle neun zu treffen, bist du mir verfallen und kommst nicht mehr lebend vom Turme! Höre, die Stunde meiner Herrschaft fängt zu schlagen an! Jetzt triff du alle neune!" Es schlägt Mitternacht. Die Geisterstunde fiel zentnerschwer auf Kunrats Herz. Wie von Fieber geschüttelt, klapperte er mit den Zähnen und begann verzweifelt nach dem neunten Kegel zu suchen. Der aber lag unten auf dem Rossmarkt, so hieß damals der Stock-im-Kisen-Platz. Todesschvveiß bedeckte Kunrats Stirne: „Den neunten Kegel muss ich haben!", stöhnte er ängstlich und heulend. Wütend zählte er die Kegel einmal, zweimal, zehnmal, es waren nur acht! Da rief das Graumännlein: „Nun toller Bursche, ich brauch ihn nicht. Der Tod trifft auch neune, wo nur achte sind!" Darauf warf Freund Hein - es war der Lebenslöscher - die Kugel gewaltig, die Kegel stürzten mit hohlem Gerassel zusammen und Kunrat, der Ewigtrunkh, sank neben ihnen leblos zusammen. Er war selbst anstelle des neunten Kegels gefallen. So fand ihn am Morgen der Turmwächter. Noch einige Jahrhunderte danach war es Sitte, dass die Besucher der Türmerstube auf die Erlösung des Verunglückten einen Schub taten. Bis vor hundert Jahren befand sich in dem kleinen Zimmer neben der Wohnung des Turmwächters von St. Stephan die Kegelstatt und diente, wie in alten Zeiten, an Sonntagnachmittagen den Gesellen zur Unterhaltung. Die Bahn war kurz, sodass man sich bücken und, durch die Füße durchsehend, von hinten nach vorne die Kugel auswerfen musste. 16 17 Das Donauweibchen Das Donauweibchen Seit jeher war das Leben der Bewohner am Wasser gefährlich. Die Leute, ob sie nun Fischer oder Schiffer waren, hatten großen Respekt vor der Urgewalt dieses Elements und waren stets in Sorge, durch die bedrohlichen Naturgewalten in Gefahr zu gelangen. Unzählige Geschichten erzählen uns über unheimliche Geschehnisse. Erzählungen von schauerlichen Unglücken, Verderben bringenden Sturmfluten und Hochwässern, aber auch über seltsame Wasserwesen kursierten über die Jahrhunderte hinweg. Wassernixen sehen wie schöne Menschenfrauen aus. Sie haben goldblondes, langes Haar und ein besonders schönes Antlitz. Als elfenzarte Wesen mit weißem Schleier schweben sie und Wasserkränze zieren ihre Häupter, wenn sie aus den Fluten auftauchen. Nur mit den Händen und Füßen ist es nicht so wie bei den Menschen. Sie haben keine Finger und anstelle der Beine Inaben sie flossenartige, schuppig glänzende Fischschwänze. Gehen sie an Land, deckt ein weißes, wallendes Gewand ihre andersartigen Füße zu. Nur der nasse Saum des Kleides verrät, woher sie kommen. In Wien steht angeblich am Grunde der Donau der Palast des Nixenkönigs Danubius. Er ist aus blauem Glas gebaut und umkränzt von wunderschönen Wasserrosen. Er lebt dort mit seiner Frau und seinen Nixentöchtern, die im Volksmund auch Donauweibchen heißen. Man berichtet auch, dass im Glasschloss des Donaufürsten irdene Töpfe stehen, worin die Seelen der Ertrunkenen gefangen gehalten werden. In einer kleinen Fischerhütte, sie stand unweit der großen Stadtmauer Wiens am Donaustrom, lebten ein alter Fischer und sein Sohn. An einem kalten Winterabend, die Donau war schon seit Wochen zugefroren, saßen beide in der warmen Stube und reparierten die alten Netze. Und wie es an solchen Abenden üblich war, erzählte der alte Fischer mancherlei Geschichten über böse und gute Geister und über die Mär vom Donauweibchen. Da ging plötzlich die Türe auf, der kalte Ostwind fegte durch die Stube und eine Donaunixe stand in der Türe. Die beiden Fischer waren starr vor Schreck. Der Alte schlug ein Kreuz, dem Jungen blieben Augen und Mund offen. „Ich meine es gut mit euch, habt keine Angst", sprach die schöne Donaunixe. „Ich komme nur, um euch zu warnen. Mein Vater, der Donaufürst Danubius hat starke Südwinde für die nächsten Tage bestellt. Das Eis wird in Kürze brechen und die Wellen werden beide Ufer überfluten. Eure Hütte sowie das ganze Dorf werden in den Fluten versinken. Rettet euch schnell, es ist höchste Eile!", sprach sie und war im Augenblick verschwunden. 18 Die Stalue des Donauweibchens im Stadtpark. 19