Wolf Biermann Ballade von den verdorbenen Greisen (Wolf Biermann) Von der LP „DDR – ça ira“ (Electrola, 1990) Hey Krenz, du fröhlicher kalter Krieger Ich glaube dir nichts, kein einziges Wort Du hast ja die Panzer in Peking bejubelt Ich sah dein Gebiss beim Massenmord Dein falsches Lachen, aus dir macht Fritz Cremer Ein Monument für die Heuchelei Du bist unsere Stasi-Metastase Am kranken Körper der Staatspartei Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen Du bist schon verdorben genug Nicht Rache, nein Rente! Im Wandlitzer Ghetto Und Friede deinem letzten Atemzug Hey Hager, Professor Tapeten-Kutte Ich glaube dir nichts, du verdorbener Greis Jetzt nimmst du uns flott das Wort aus dem Munde Mit neuen Phrasen der alte Scheiß Du bist ja selber nicht mehr zu retten Und rettest auch nicht dieses kranke Land Du hast deine Jugendträume verraten Das Menetekel brennt an der Wand Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen … Hey Mielke, du warst ein Spanienkämpfer? Ich glaube dir nichts, du warst privilegiert Wir wissen, du hast die Trotzkisten und andere Genossen feig hinter der Front liquidiert Jetzt übst du mit uns diese blutigen Spiele Pogrome zum Vierzigsten Jahrestag Im Prenzlauer Berg, in Leipzig und Dresden Nichts wird dir vergessen, kein einziger Schlag Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen … Hey Schnitzler, du elender Sudel-Ede Sogar wenn du sagst, die Erde ist rund Dann weiß jedes Kind: Unsere Erde ist eckig Du bist ein gekaufter verkommener Hund Und wirst du bald in der Erde liegen In dich gehen nicht mal die Würmer rein Der muss jetzt im Grab noch die Würmer belügen Wird stehen auf deinem Marmorstein Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen … Hey Honney, du gingst aus Gesundheitsgründen? Ich glaube dir nichts und auch nicht dies Die schlimmste Krankheit, die hattest du immer: Die stalinistische Syphilis Ich hab dich verachtet und hab dich gefürchtet Und trotzdem bleibt da ein Rest von Respekt Es haben dich die verfluchten Faschisten Elf Jahre in Brandenburg eingesteckt Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen … _____ Egon Krenz: Nachfolger von Erich Honecker als Vorsitzender des Staats- und Parteirates der DDR. Kurt Hager (*1912): ZK-Mitglied der SED, „Vordenker“ der SED; Gegner der Perestrojka-Politik von Michail Gorbatschow („Bloß weil der Nachbartapeziert müssen wir nicht auch gleich die Tapeten wechseln“). Fritz Cremer: Bildhauer in der DDR, Mitglied der „Buchenwald-Gruppe“; Denkmäler in Gedenken an den Holocaust. Erich Mielke: Chef der STASI („Staatssicherheit“ der DDR). Eduard von Schnitzler: DDR-Journalist, besonders bekannt durch die Sendung „Der schwarze Kanal“, in der er regelmäßig die westliche Berichterstattung kommentierte und die „Lügen“ der „Imperialisten“ (= die westlichen Staaten, v. a. die BRD) „entlarvte“. Erich Honecker (1912 – 1994): KPD-Mitglied während der Weimarer Republik; unter den Nationalsozialisten inhaftiert; in der DDR politisches Kariere innerhalb der Kommunistischen Partei bzw. der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands): Generalsekretär des ZK (Zentralkomitees) der SED, Vorsitzender des Staatsrates der DDR; 1989 Rücktritt von seinen Ämtern; 1992 in der BRD wegen der Todesschüsse an der Grenze inhaftiert, aus Gesundheitsgründen 1993 entlassen; 1994 in Chile gestorben. Wandlitz: Prominentenviertel in Ost-Berlin: Wohnsitz vieler Funktionäre und Führungskader der DDR.