Interpretations- und Relationsstrategien für das erfolgreiche Handeln in interkulturellen Kommunikationssituationen als auch Investigationsstrate-gien für die Erweiterung und Differenzierung von fremd- und eigenkulturellem und fremd- und muttersprachlichem Wissen eingeübt werden (Knapp-Potthoff 1997; Byram 1997). 64. Übungen zur interkulturellen Kommunikation Im Fremdsprachenunterricht sollen Lernende zur erfolgreichen interkulturellen Kommunikation (Art. 16 und 23) befähigt werden. Auch wenn der Unterricht in seiner Gesamtheit auf dieses Lernziel hin ausgerichtet ist, gibt es Übungen und Aufgaben, die für die Förderung des interkulturellen Lernens besonders geeignet sind. 1. Lernziele Die Übungen und Aufgaben zur interkulturellen Kommunikation verfolgen das übergeordnete Ziel des Erwerbs einer interkulturellen Kompetenz bzw. einer kommunikativen Kompetenz in interkulturellen Situationen. Einige Aufgaben und Übungen dienen vor allem der Förderung affektiver Lernziele wie dem Erwerb der Fähigkeit zu mehrperspektivischer Wahrnehmung fremdkultureller Gegebenheiten, der Empathie und der kritischen Toleranz. Sie sollen dazu beitragen, dass sich die Lernenden überhaupt auf interkulturelle Kommunikationssituationen und langfristig auf einen Perspektivenwechsel einlassen. Andere Aufgaben und Übungen können schwerpunktmäßig im Hinblick auf kognitive Lernziele eingesetzt werden, d.h. zum Erwerb von zielkul-turspezifischem (soziokulturellem) und sprachspezifischem (grammatischem und lexikalischem) Wissen sowie zur Bewusstmachung von eigenkulturellem bzw. muttersprachlichem Wissen. Sie können darüber hinaus der Festigung von allgemeinen Kenntnissen über die Kulturabhängigkeit menschlichen Denkens und Handelns sowie der Vertiefung des allgemeinen und ziel- wie muttersprachenspezifischen pragmalinguistischen und diskursorganisatorischen Wissens dienen. Schließlich gibt es Aufgaben und Übungen, die vor allem handlungsorientierte Lernziele verfolgen. Mithilfe dieser Aufgaben und Übungen sollen 2. Aufgaben- und Übungsformen Im Folgenden soll der Versuch einer Kategorisie-rung von Aufgaben und Übungen unternommen werden, auch wenn eine klare Zuordnung - wie bei den meisten Typologien für die Unterrichtspraxis - nur annäherungsweise gelingen kann. Wir unterscheiden vier Formen (Bachmann etal. 1996; Häussermann/Piepho 1996): Aufgaben und Übungen zur Wahrnehmungsschulung a), die vor allem der Förderung affektiver Lernziele dienen; Aufgaben und Übungen zur Sprachreflexion b) und zum Kulturvergleich c), die vor allem kognitive - aber auch handlungsorientierte - Lernziele unterstützen; und schließlich Aufgaben und Übungen zur Entwicklung einer kommunikativen Kompetenz in interkulturellen Kontaktsituationen d), die vor allem handlungsorientierten Lernzielen dienen. Die Reihenfolge der Darstellung dieser Aufgaben-und Übungsformen bildet keine Progression ab. Bei den ersten drei Formen wird versucht, Aspekte der interkulturellen Kompetenz isoliert und damit gezielt zu fördern. Die unter d) angeführten Übungen inszenieren die interkulturelle Begegnung in einer Annäherung an deren Komplexität. Die unter Punkt a) bis c) gefassten Aufgaben und Übungen dienen somit sowohl der Vorbereitung als auch der permanenten Unterstützung der in der letzten Kategorie angestrebten handlungsorientierten Lernziele. a) Wahrnehmungsschulung Zahlreiche dem Fremdsprachlehrer durchaus bekannte Aufgaben und Übungen lassen sich dafür nutzen, dem Lernenden den selektiven und stets interpretativen Charakter von Wahrnehmungsprozessen und die perspektivische Gebundenheit fremd- wie eigenkultureller Blickrichtungen zu verdeutlichen und ihn auf diese Weise für die angestrebte mehrperspektivische Wahrnehmung zu öffnen (Richter 1998). Der Schritt der Blicköffnung beinhaltet zwar auch kognitive Komponenten (Erwerb von Wissen über die menschliche Wahrnehmung), dient aber schwerpunktmäßig den oben aufgezählten affektiven Lernzielen. Aufgaben- und Übungsformen sind: - Freie Assoziationen zu Bildern, detaillierte Beschreibungen von Bildern oder Filmsequenzen, um den Lernenden für eigene Seh-, Wahrneh-mungs- und Verstehensprozesse zu sensibilisieren: Was nehme ich als erstes wahr? Welche visuellen Reize interpretiere ich wie? Inwieweit hängen meine Interpretationen mit meiner Kultur zusammen? (Häussermann/Piepho 1996, 409). - Hypothesenbildung zu Handlungsabläufen von Bildgeschichten, um den Prozess der Herstellung von Ursache - Wirkungszusammenhängen allgemein und deren Kulturabhängigkeit zu verdeutlichen (Bachmann etal. 1996, 79). - Bildbeschreibungen im bewussten Dreischritt „wahrnehmen/beschreiben, Hypothesen bilden, persönliche Eindrücke formulieren", um den Automatismus aufzubrechen, der den Betrachter meist - ohne dass es ihm auffiele - von der Wahrnehmung direkt zur kulturabhängigen Wertung führt (Bachmann et al. 1996, 80). - Die gleiche Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählen lassen, um die Vorstellungskraft im Hinblick darauf zu trainieren, was -von unterschiedlichen Standpunkten her gesehen - wichtig oder bedeutungsvoll sein könnte (Bachmannetal. 1996, 81). - Wahrnehmungsreduktion, Übungen zu Sinnestäuschungen, um sich einzelner Sinne bewusster zu werden (Häussermann/Piepho 1996, 408). - Diskussionen über Geschichten aus anderen Kulturen, um Grenzen der eigenen Erfahrungen und/oder des eigenen Wissens zu erkennen (Häussermann/Piepho 1996, 403ff.). b) Sprachreflexion über Begriffsbildung und Begriffserschließung Viele traditionelle Übungen und Aufgaben zur Wortschatzarbeit lassen sich zu interkulturellen erweitern, indem die soziokulturelle Bedingtheit konnotativer Wortbedeutungen transparent gemacht wird und Strategien zum Erkennen von strukturellen Divergenzen und Gemeinsamkeiten von Wortschätzen vermittelt werden (Richter 1998). Auf diese Weise werden die kognitiven Wissensbestände der Lernenden im Hinblick auf die fremd- und muttersprachliche Lexik erweitert bzw. bewusst gemacht und damit die sprachliche Komponente der interkulturellen Kompetenz gefördert. Gleichzeitig werden Investigationsstrate-gien vermittelt, die Lernende auch auf andere Wis-ensbereiche anwenden können. 64. Übungen zur interkulturellen Kommunikation 313 Aufgaben- und Übungsformen sind: - Untersuchung eines Wort- (Brot) oder erweiterten Begriffsfeldes (Essen und Trinken), um seine konnotativen Bedeutungen, seine Verknüpfungen mit anderen Wörtern, seine Differenzen, die ihn eingrenzenden Kriterien etc. zu erfassen. Solche Begriffsrecherchen können erst als Assoziogramme im Hinblick auf die eigene Sprache und anschließend evtl. in Feldforschungsprojekten (s. Punkt d) real oder virtuell (als Internetrecherchen) im Hinblick auf die Fremdsprache durchgeführt werden. Letzteren sollte eine Liste bedeutungsrelevanter Fragen zugrunde liegen (Müller 1994). - Bedeutungscollagen aus Bildern, um die Funktionen und Begriffsvernetzungen eines Wortes nicht nur sprachlich, sondern auch visuell darzustellen und eventuell auch kulturspezifische Prototypen kennenzulernen (Bachmann et al. 1996, 82). - Aus Assoziogrammen von Muttersprachlern zu einem Begriff Mehrfachnennungen herausziehen, um auf diese Weise Kulturmengen zu bestimmen und diese mit eigenen Kulturmengen zu kontrastieren (Bachmann et al. 1996, 83). - Begriffe auf Skalen oder in Koordinatensysteme eintragen, um ihre Vernetzungen und hierarchischen Strukturen visuell sichtbar zu machen (Bachmann et al. 1996, 83). c) Einblicke in fremde Welten und Kulturvergleich Neben der beliebten Frage „Und wie ist das in Ihrem Land?" bzw. „Wie ist das bei uns?" können eine Reihe von Aufgaben- und Übungsformen Fremdsprachenlernende dazu anleiten, Eigenes und Fremdes in Beziehung zueinander zu setzen. Eine unverzichtbare Grundlage für kulturvergleichendes Arbeiten ist die Entdeckung und Beschreibung kulturspezifischer Denk-, Kommunikations- und Verhaltensweisen sowohl in der fremden als auch in der eigenen Kultur. Die Problematik des Vergleichs als Methode der Erkenntnisgewinnung sollte dabei allerdings immer im Auge behalten werden (Pauldrach 1987). Aufgaben- und Übungsformen sind: - Literarische Texte als Zugang zu einer fremden Welt (Bredella 1997). - Analyse von kulturspezifischen Werten in Werbung (z.B. Produktwerbungen, die länderspezifisch unterschiedlich sind), Kontaktanzeigen (Schönheitsideale, gewünschte Charakterei- 314 Maike Grau/Nicola Würffei genschaften) oder Sprichwörtern (gibt es vergleichbare Sprichwörter, ähnlich oder gegensätzlich?) (Tomalin/Stempleski 1993). - Kulturvergleich von Zeit- und Raumkonzepten, Aspekten des Alltagslebens (Wohnen, Einkaufen etc.) durch Mini-Befragungen von Angehörigen der Zielkultur mit vorher gemeinsam ausgearbeiteten Fragebögen (Tomalin/Stempleski 1993, 95 f.) oder WWW-Recherchen. - Culture Assimüator: Situationen, bei denen sich die Lernenden aus einer Auswahl von möglichen Verhaltensweisen für die kulturell angemessenste entscheiden sollen. Durch die Diskussion der Lösungsmöglichkeiten können kulturspezifische Verhaltensweisen bewusst gemacht und kontrastiert werden (Seelye 1992, 116ff.). - Untersuchung von situationsabhängigen Verhaltensweisen in Filmen oder literarischen Texten, z.B. Begrüßungsszenen in soap operas (Tomalin/Stempleski 1993, 77 f.; 102 f.). - Sammeln und diskutieren von Redewendungen, die häufig zu interkulturellen Missverständnissen führen, z.B. „How are you?", „Let's have lunch some time!" (Tomalin/Stempleski 1993, 1351), d) Entwicklung kommunikativer Kompetenz in interkulturellen Kontaktsituationen Die hier zusammengefassten Aufgaben und Übungen bieten den Lernenden entweder die Möglichkeit, sich in echten interkulturellen Situationen selbst zu erleben und Strategien in der Anwendung zu üben, oder in Simulationen den interkulturellen Ernstfall zu erproben. Aufgaben- und Übungsformen sind: - Dramapädagogische Übungen und Rollenspiele, die von der Spannung aus Engagement und reflexiver Distanz leben und dadurch den spielerischen Blick hinter die Oberfläche von (Sprech-)Handlungen ermöglichen. Sie sprechen insbesondere die Gefühlswelt der Lernenden an und erleichtern das ganzheitliche Hineinversetzen in eine andere Rolle und den damit verbundenen Perspektivenwechsel. Außerdem kann der fremdkulturelle Umgang mit non-verbalen Kommunikationsmitteln entdeckt und ausprobiert werden (Schewe 1993; Byram/Fleming 1998). - Planspiele und Simulationen, die ein vollständiges Eintauchen der Lernenden in einen fremden Kontext ermöglichen, z.B. eine internationale Verhandlungssituation (Bolten 1993). - Feldforschung/ethnographische Projekte, die sich hauptsächlich für Lernsituationen im kulturellen Umfeld der Zielsprache anbieten (oder an Orten mit internationalem Publikum wie Flughäfen oder touristischen Zentren). Alternativ dazu können auch Muttersprachler im Unterricht als Informanten fungieren (Wicke 1995). - Klassenkorrespondenzen zu unterschiedlichen Themen oder literarischen Texten über verschiedene Medien wie Briefe, Video-/Audiokassetten, E-Mail, Fax etc. (Wicke 1995; Art. 52). Literatur Bachmann, S./Gerhold, S./Wessling, G. (1996), „Aufgaben- und Übungstypologie zum interkulturellen Lernen mit Beispielen aus Sichtwechsel - neu", in: Zielsprache Deutsch 27 (2), 77-91. Bolten, J. (1993), „Interaktiv-interkulturelles Fremdsprachenlernen. Zur Konzeption von Planspielen und Fallstudien im wirtschaftsbezogenen Fremdsprachen-untericht", in: Kelz, H. R, Hrsg., Internationale Kommunikation und Sprachkompetenz, Bonn, 99-139. Bredella, L. (1997), „Interkulturelles Verstehen im Fremdsprachenunterricht: Do the Right Thing von Spike Lee", in: Anglistik und Englischunterricht, 61, 163-181. Byram, M. (1997), TeachingandAssessinglnterculturalCom-munkative Competence, Clevedon et al. Byram, M./Fleming, M., Hrsg. (1998), Language Leaminy in Intercultural Perspective: Approaches through drama and ethnography, Cambridge. Häussermann, U./Piepho, H.-E. (1996), Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriss einer Aufgaben- und Übungstypologie, München. Knapp-Potthoff, A. (1997), „Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit als Lernziel", in: Knapp-Potthoff, A.I Liedke, M., Hrsg., Aspekte interkultureller Kommunikationsfähigkeit, München, 181-205. Müller, B.-D. (1994), Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung, München. Pauldrach, A. (1987), „Landeskunde in der Fremdperspektive - Zur interkulturellen Konzeption von Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrwerken", in: Zielsprache Deutsch 18 (4), 30-42. Richter, R. (1998) „Interkulturelles Lernen im DaF-Un-terricht am Beispiel von ,Sichtwechsel neu', Spielarten' und ,Elementey", in: Deutsch als Fremdsprache 35 (I), 45-51. Schewe, M. (1993), Fremdsprache inszenieren: Zur Fundierung einer dramapädagogischen Lehr- und Lernpraxis, Oldenburg. Seelye, H.N. (1992), TeachingCulture:StrategiesforIntercultural Communication, Lincolnwood. Tomalin, B./Stempleski, S. (1993), CulturalAwareness, Oxford. Wicke, R.E. (1995), Kontakte knüpfen, München. Maike Grau/Nicola Würffei