PdF MU PS 2013 Handout zur Vorlesung 16. září 2013 NJP_Mor2: Morfologie 2 1 Einführung: das Verb Finite und infinite Verbformen 1. Definition der Wortart Verb Traditionelle morphologische Definition: Verben sind Lexeme, die konjugiert werden (Heringer 2009,65). (1) psát ned. I. schreiben (ie, h. ie) (Siebenschein, č.-n. II, 240) (2) Bringe die gelesenen Bücher gleich zurück. Scheinbar ist nicht jede Wortform, die wir gerne als „Verb“ bestimmen wollen, konjugiert. → Was bedeutet eigentlich „konjugiert“? → Muss man verschiedene Arten von verbalen Wortformen unterscheiden? 2. Finite und infinite Verbformen Verbale Wortformen finite infinite schreibst, (zu) schreiben schrieb, geschrieben schreibt, … schreibend Unterscheidungskriterium? Helbig/Busche (1998, 34 f.): „Im Unterschied zu den infiniten Verbformen sind die finiten Verbformen personengebunden und konjugiert. […] Die infiniten Verbformen sind nicht personengebunden und nicht konjugiert.“ → konjugiert? Spezialfall der Flexion (Formveränderung): Formen, die grammatische Kategorien ausdrücken; hier: verbale grammatische Kategorien. 3. Grammatische Kategorien des deutschen Verbs Traditionell, hier nach Helbig/Buscha (1998, 34): 1. Person (1. – 3. Prs.), 2. Numerus (Singular, Plural), 3. Tempus (6 Tempora), 4. Genus Verbi (Aktiv, Vorgangspassiv, Zustandspassiv1 ), 5. Modus (Indikativ, Konjunktiv, Imperativ2 ). 4. Präzisierung des Begriffes „Finitheit“ Muss eine Form alle verbalen Kategorien ausdrücken, um als „finit“ klassifiziert zu werden? 1 Der Status des „Zustandspassiv“ als eigenständige Kategorie ist umstritten; mit einem „Zustandspassiv“ rechnen v. a. Helbig/Buscha. 2 Der Imperativ wird von manchen Autoren (z. B. Helbig/Buscha) als Kategorie des Modus betrachtet, von anderen (Eisenberg) dagegen nicht. PdF MU PS 2013 Handout zur Vorlesung 16. září 2013 NJP_Mor2: Morfologie 2 2 Genügen nur manche Kategorien, und wenn ja, welche? 4.1. Mindestens eine Kategorie Glück (1993, 187): finit, wenn mindestens eine verbale Kategorie ausgedrückt wird Partizipien (aktiv oder passiv) finit? das gelesene Buch / der lesende Student „Infinitiv Perfekt“? Sie muss gestern hier gewesen sein. 4.2. Alle Kategorien Implizit in der Definition von Helbig/Buscha enthalten (vgl. auch Skriptum Geislerová) Theoretisch möglich; ist aber unökonomisch und setzt die Annahme periphrastischer Tempora voraus (→ nicht morphologisch); (3) Ich schreibe einen Brief. × Ein Brief wird geschrieben. Beispiel (3) enthält drei Verbformen: schreibe, wird, geschrieben; Nach dem Kontrastprinzip kann man sagen, dass schreibe z. B. Person (× schreibst), Numerus (× schreiben) und Tempus (× schrieb) ausdrückt. Man kann aber keinen Kontrast finden, der zeigt, dass schreibe ein Genus Verbi ausdrückt: dafür gibt es im Deutschen keine Wortform. Den Kontrast findet man erst, wenn man die Wortkombination wird geschrieben als Passiv interpretiert. Eine Kombination von Wortformen ist aber keine morphologische, sondern eine syntaktische Erscheinung und kann (methodisch sauber) nicht zur Bestimmung der Eigenschaften von Wortformen (morphologische Objekte) herangezogen werden. 4.3. Person und Numerus Ältester Standpunkt, den z. B. auch Eisenberg (1989, 109) und Janakiev (2010) vertreten: Person und Numerus sind die Finitheitskategorien. Blatz (1900, 441, § 194): „Bei der Konjugation sind zu unterscheiden; (a) die finiten (bestimmten) Verbalformen, die eine Aussage enthalten, und darum Person und Numerus bezeichnen […], (b) die infiniten (unbestimmten) Verbalformen, welche keine Aussage bewirken können, weil sie Person und Numerus nicht bezeichnen […]“ Janakiev (2010) gibt eine Rechtfertigung aus DaF-Perspektive: Rechtfertigung: Relevanz der Kongruenz in Person und Numerus für die Lerner, Lenkung der Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen (v. a. bei der Produktion); die Entschlüsselung der anderen Kategorien (v. a. bei der Rezeption) kann in einem zweiten Schritt erfolgen; Entspricht auch der ursprünglichen Bedeutung von „Konjugation“ = lat. ‚verbinden‘: Subjekt + Verb 5. Probleme Sog. „periphrastische Formen“: finit oder infinit? z. B. Eisenberg (1998): „als Ganzes“ sind nur Präs und Prät finit; Zitierte Literatur: Blatz, Friedrich (1900): Neuhochdeutsche Grammatik mit Berücksichtigung der historischen Entwicklung der deutschen Sprache. Bd. 1: Einleitung. Lautlehre. Wortlehre. 3. Aufl. Karlsruhe: Peter Lang. http://openlibrary.org/books/OL6933041M/Neuhochdeutsche_Grammatik PdF MU PS 2013 Handout zur Vorlesung 16. září 2013 NJP_Mor2: Morfologie 2 3 Eisenberg, Peter (1989): Grundriss der deutschen Grammatik. 2. Aufl. Stuttgart: Metzler. Eisenberg, Peter (1998): Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 2: Das Wort. Stuttgart: Metzler. Glück, H. (1993): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart: Metzler. Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim (1998): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. Leipzig, Berlin etc.: Langescheidt/Enzyklopädie. Heringer, Hans Jürgen (2009): Morphologie. Paderborn: Wilhelm Fink UTB. Janakiev, Angrit (2010): Ausgewählte Probleme der Flexion der Wortkategorie Verb in der DaFLehrerausbildung, in: Brünner Hefte zu Deutsch als Fremdsprache, 3, 2010 (2), 181 – 195. Radtke, Petra (1998): Die Kategorien des deutschen Verbs: zur Semantik grammatischer Kategorien. Tübingen: Narr.