EuroComprehension1 und Mehrsprachigkeitsdidaktik. Zwei einander ergänzende Konzepte und ihre Terminologie Franz-Joseph Meißner, Gießen 1. Mehrsprachigkeit - Interkomprehension - Eurokomprehension 2. Ausbau der Mehrsprachigkeit als Aufgabe der Didaktik der romanischen Sprachen 3. Mehrsprachigkeitsdidaktik und EuroComRom 4. Mehrsprachigkeitsdidaktik: Begriff und Entwicklung 5. Forschungsschwerpunkte im Umfeld von EuroComDidact 6. Derzeitige Forschungsprojekte um EuroComDidact 1. Mehrsprachigkeit - Interkomprehension - Eurokomprehension Europa wird mehrsprachig bleiben lautet ein für die Bildungsplanung maßgebliches Orientierungsdatum. Daher besitzt Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union eine politische und kulturelle Wertigkeit, die dem Begriff in den Nationalstaaten vorhergehender Jahrhunderte nicht anhaftete. Wenn das Novum auch zuvorderst für das öffentliche Schulwesen gilt, so weist das vom Europarat mehrfach betonte lebensbegleitende Lernen über dieses hinaus. interkomprehension bedeutet das Verstehen einer fremden Sprache, ©hne diese zuvor formal erlernt zu haben. 'Interkortiptehension' wurde in der Linguistik als Kriteriua^h^eangezogenrürn Sprachen gegenüber den Dialekten zu definieren:/%w;achent seien gegeneinander (weitgehend) nicht inter-komprehensiv, Dialekte' seien füreinander (weitgehend) interkomprehensiv. Das Interkomprehensionskriterium ist in der Tat nur von eingeschränkter Trennschärfe. Ein französischer Katalane drückte dies bei einem Glas Wein so aus: "II faut etre bete pour ne pas comprendre les hispanophones si Ton habite Perpignan et si l'on parle le catalan en plus." Eurokomprehension {Eurocomprehension) ist ein :,Neologismus, der von Horst G. Klein 1997 geprägt wurde. Er meint das umfassende Verstehen der Europäer auf der Grundlage einer sprachen- und sprachenfamilienübergrei-fenden Interkomprehension. EuroCom ist inzwischen in Fachkreisen als Name einer internationalen, an der Förderung von Eurokomprehension interessierten Forschergruppe bekannt, deren Sprecher der Jubilar ist. Euro- Wir benutzen, dem Programm von EuroCom gemäß, in der Überschrift die internationale Schreibweise. 48 Franz-Joseph Meißner comprehension greift über die romanischen Sprachen hinaus (passim Bär 2004). So erarbeitet Lew Zybatow ein EuroComSlav; ein EuroComGerm (Britta Hufeisen) ist projektiert. EuroComDidact (F.-J. Meißner) begleitet die Projekte im Sinne der mehrsprachigkeitsdidaktischen Forschung. Euro-Com ist, soweit ich sehe, das umfassendste europäische Mehrsprachenkonzept, das zudem in der Praxis unterschiedlicher Lernkontexte erhebliche Erfolge vorweisen kann. - Eurokomprehension und Mehrsprachigkeitsdi-daktik stehen in engem und wechselseitigem Verhältnis zueinander, wie die folgenden Ausführungen belegen. 1.1. Mehrsprachigkeitsdidaktik in den Wissenschaften vom Lernen und Lehren fremder Sprachen Die von Zweisprachigkeit unterschiedene Mehrsprachigkeit ist längst ein zentraler Begriff der Fremdsprachendidaktiken, wie schon die Referenzstruktur des Wortes anzeigt: Mehrsprachigkeit im Zusammenhang mit Migration, Adelheid Hu (2004) spricht von "lebensweltlicher Mehrsprachigkeit"; Mehrsprachigkeit als Gegenstand der Kontaktlinguistik, von Peter Neide in einer Vielzahl von Publikationen thematisiert (zuletzt wohl 2003); Diskrimination von Mehrsprachigkeit durch die kulturelle und strukturelle Gewalt der Einsprachigkeit (Gogolin 1994; auch Galtung 1993); Mehrsprachigkeit als Kompetenzphänomen im Kontrast mit monolingualer (nativer) Kompetenz diskutiert (zuletzt wohl Erfurt et al. 2003); Mehrsprachigkeit im Unterschied zu Zweisprachigkeit, jüngst von Herbert Christ (2002) und K.Richard Bausch (2003) behandelt; mehrsprachiges Lexikon (z. B. Raupach 1994), Mehrsprachigkeit und Interferenz (Mertens 2001, Väzquez 1991); Mehrsprachigkeit im Zusammenhang mit Globalisierung, Offenen Lernwelten und Neuen Medien; fehlende Bereitschaft zum Erwerb von Mehrsprachigkeit als Ausdruck asymmetrischer Lernerkontingente (Krumm 2001); Mehrsprachigkeit - Mehrkulturalität - und Fremdverstehen im Literaturunterricht (Burwitz-Melzcr 2003), Mehrsprachigkeit als Ziel der Sprachenpolitik (Bausch, Christ & Krumm 1992), didaktische Rückwirkungen individueller Mehrsprachigkeit in einer vielsprachigen Welt auf die globale lingua franca Englisch (Graddol 1999; Gnutzmann 2000a); Arbeiten mit mehrsprachigen Texten (Meißner 1994; 1996; Gnutzmann 2000b). Die Liste ist leicht verlängerbar, die Referenzstruktur von Mehrsprachigkeit verbreiterbar. 1.2. Unterschiedliche fachdidaktische Verortungen Je nach den Zielsprachen der didaktischen Autoren steht hinter dem Etikett Mehrsprachigkeit ein eigener Zusammenhang, was den heterogenen Zugriff auf Mehrsprachigkeit und dessen denotative und konnotative Schattierungen erklärt: • Deutsch als Zweitsprache: Mehrsprachigkeit im Zusammenhang mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit und Immigration. • Deutsch als Fremdsprache: Britta Hufeisen und Gerhard Neuner versuchen, dem relevanten Lernfaktor 'Vorwissen' Rechnung tragend vorhandene Kenntnisse in der globalen lingua franca Englisch für den Erwerb des Deutschen zu nutzen, wobei diese sowohl mögliche Transferbasen zur Verfügung stellen kann als auch der meta-sprachlichen Kommunikation dient. Die Zielsprache Deutsch steht also in einem Zusammenhang von Mehrsprachigkeit (Hufeisen 2003; passim: Neuner et al. 2004). • Deutsch/Elsässisch/Lothringisch als Transfersprache(n) für Englischlernende mit germanophonen französischen Regionalsprachen (Adolf 1999). • Deutsch als Muttersprache, Francais Langue Maternelle... Mehrsprachigkeit erscheint in Programmen zur Sensibilisierung für Sprachen (Luchtenberg 2003), wie in dem Mehrsprachenprojekt Eveil aux langues (Candelier 1998; Macaire 2002). Es begegnen Argumente, die in Deutschland im Umfeld des 'Begegnungssprachen-Konzepts' diskutiert wurden (Meißner 1992). • Deutsch als Brückensprache zum Flämischen/Niederländischen im nordfranzösischen Kontext (Hufeisen 2003; Lutjeharms 2003). • Englischunterricht auf dem Weg zur ' Europafitness' (Schröder 1999), eingebaut in eine Fremdsprachenlernkultur der Mehrsprachigkeit (Zyda-tiß 1999; Doye 2003, Burwitz-Melzer 2002; Vollmer 2001). • Russischunterricht/Unterricht der slawischen Sprachen. Der Aspekt bleibt hier trotz seiner unbestreitbaren Relevanz wegen der völlig unzureichenden Ausstattung der Didaktik der slawischen Sprachen in Deutschland unberücksichtigt. • Didaktik der romanischen Sprachen. Hiervon wird im Folgenden die Rede sein.