PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 20. 4. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 1 Verb (II) Morphologische Verbklassen 1. Möglichkeiten der Klassifizierung Verben lassen sich nach verschiedenen Kriterien klassifizieren: - nach morphologischen Kriterien, d. h. nach Gemeinsamkeiten in der Form, die die einzelnen Wortformen der verschiedenen Verblexeme miteinander aufweisen; - nach syntaktischen Kriterien, d. h. nach der Kombinationsfähigkeit der Formen des jeweiligen Verblexems mit anderen Wortformen im Satz; - nach semantischen Kriterien, d. h. nach Gemeinsamkeiten in der Bedeutung, die die Verblexeme aufweisen. 2. Traditionelle morphologische Verbklassen In der tschechischen Germanistik (z. B. Beneš et al. 2005) ist eine Klassifizierung verbreitet, der zufolge die Verben in zwei große Klassen und eine Zwischenklasse eingeteilt werden (vgl. auch Duden-Grammatik 2009, 433, § 602): (a) starke Verben (z. B. RUFEN); (b) schwache Verben (z. B. LACHEN); (c) gemischte Verben (z. B. BRENNEN);1 Zusätzlich zu (a) – (c) wird eine Sonderklasse für die Modalverben angesetzt. Die Klassifizierung wird bereits in der klassischen Grammatik von Hermann Paul (3 1956, urspr.1917) verwendet. Paul (1956, 246) rechnet die „gemischten Verben“ allerdings zu den schwachen Verben. Verben, die sich nicht in die zwei Hauptklassen einordnen lassen (Modalverben, HABEN, TUN, SEIN, sonstige Verben mit Unregelmäßigkeiten in der Formenbildung), behandelt er als „Anomala“. Verschiedene Grammatiken benutzen allerdings verschiedene Bezeichnungen für die Verbklassen oder kommen sogar zu unterschiedlichen Klassifizierungen. So unterscheiden z. B. Helbig/Buscha (1999, 35) regelmäßige und unregelmäßige Verben, wobei die sog. „gemischten Verben“ (c) in die Klasse der regelmäßigen (!) Verben fallen. 3. Kriterien für morphologische Verbklassen Als Kriterien für die Klassifizierung werden gewöhnlich folgende Eigenschaften bestimmter Formen der Verblexeme herangezogen (vgl. z. B. Helbig/Buscha 1999, 35): - Bildung des Präteritums: mit oder ohne Suffix -te-; Nach diesem Kriterium gehören LACHEN → lachte/ BRENNEN → brannte und RUFEN → rief in verschiedene Klassen. - Bildung des Partizips II: mit Suffix -(e)t oder -en; LACHEN → gelacht/ BRENNEN → gebrannt und RUFEN → gerufen gehören in verschiedene Klassen. - Konstanz oder Veränderung des Stammvokals; LACHEN → lachte, gelacht und BRENNEN → brannte, gebrannt/ RUFEN → rief, gerufen gehören in verschiedene Klassen. 1 „Smíšená slovesa“ nach Beneš et al. (2005, 101). Beneš et al betrachten diese Gruppe allerdings als Untergruppe der „unregelmäßigen Verben“, zu der sie z. B. auch die Modalverben rechnen. Damit ergibt sich eine Einteilung nach (a) schwachen, (b) starken, (c) unregelmäßigen Verben. PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 20. 4. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 2 4. Bildung der traditionellen Klassen Aus Kap. 3. ist ersichtlich, wie drei verschiedene Klassen entstehen. Nach den Kriterien ordnen sich die Verben nicht einheitlich in zwei Klassen: Das Verb BRENNEN fällt einmal mit LACHEN, einmal mit RUFEN in dieselbe Klasse. Es verhält sich also „gemischt“. Kriterium/Klasse stark gemischt schwach Präteritalsuffix -terief brannte, lachte Partizipialsuffix -(e)t/-en gerufen gebrannt, gelacht Vokalveränderung rief, brannte lachte RUFEN BRENNEN LACHEN 5. Kritik - Es gibt noch weitere Formeigenschaft, die bei den Kriterien in Kap. 3 nicht berücksichtigt werden, z. B. der Vokalwechsel im Präsens (geben/er gibt × heben/sie hebt) oder die Form des Imperativs (hilf / *hilfe× hebe). - Nicht bei allen Verben fallen die Bildung des Präteritums auf -te- und die Bildung des Partizips auf -(e)t zusammen, wie dies in der Tabelle suggeriert wird (vgl. MAHLEN ‚(po)mlét‘): sie mahlte den Kaffee, sie hat den Kaffe gemahlen). - Die Klassen werden als völlig gleichwertig dargestellt; dies entspricht aber nicht der sprachlichen Realität, da (a) nur die schwache Klasse produktiv ist (Neubildungen nur in der schwachen Klasse stattfinden); (b) ein langfristiger Klassenwechsel von starken Verben in die Klasse der schwachen Verben zu beobachten ist, nicht aber ein umgekehrter Wechsel. → Es gibt Versuche, eine feinere Klassifizierung aufzustellen, die gleichzeitig die Entwicklung des Systems (Klassenwechsel) zeigt, z. B. Bittner (1996). 6. Feinklassifizierung der starken Verben 6.1. Der Ablaut Der Ablaut ist eine Veränderung im Stammvokal, die schon auf indogermanische Zeit zurückgeht. In den heutigen indogermanischen Sprachen hat diese Vokalveränderung Spuren hinterlassen, die besonders deutlich in den germanischen Sprachen sichtbar sind. Im Deutschen (und auch im Englischen) wird die Vokalveränderung zur Markierung von grammatischen Informationen in der Verbform verwendet: Bei den sog. „starken Verben“ wird dadurch die Form des Präteritums und das Partizip II markiert. Der Ablaut ist etwas anderes als der Umlaut. Der Umlaut ist erst im Mittelalter entstanden und geht auf die Anpassung des Stammvokals an einen (zumindest ursprünglich) im Suffix vorhandenen Vokal zurück. Der Ablaut zeigt dagegen schon in den belegten indogermanischen Sprachen keine eindeutige Bindung mehr an die phonologische Umgebung:2 Er ist rein morphologisch. 6.2. Ablautreihen Der Vokalwechsel vollzieht sich nicht zufällig sondern folgt bestimmten Mustern. Für das Germanische nimmt man gewöhnlich 6 solche Muster (die sog. „Ablautreihen“) an, plus eine 2 Trotzdem finden sich auch heute noch bestimmte Zusammenhänge mit der phonologischen Umgebung: Nicht jeder Ablaut ist mit jeder phonologischen Umgebung kombinierbar. PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 20. 4. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 3 7. Reihe (die „reduplizierende Klasse“), die diachron einen anderen Ursprung hat (vgl. Paul 1956). Durch spätere Veränderungen im Vokalsystem sind diese 6 Muster aber in den heutigen Sprachen nicht mehr klar zu erkennen. 6.3. Klassifizierung der Verben nach Ablaut Man kann die systematischen Veränderungen im Vokal zur Klassifizierung der starken Verben verwenden. Für das heutige Deutsche sind verschiedene Klassifikationen im Umlauf, die sich teilweise stark voneinander Unterscheiden (→ vergleichende Seminararbeiten möglich). Unten stelle ich Ihnen die Klassifizierung nach Helbig/Buscha (1999, 37–40) vor. Nur die ersten 5 Klassen entsprechen den germanischen Ablautreihen, die anderen Klassen haben die Autoren nach ihren Vorstellungen an das moderne Deutsche angepasst. Klasse 1: (1a) ei – i: – i: leiben – blieb – geblieben reiben – rieb – gerieben (1b) ei – i – i beißen – biss – gebissen reiten – ritt – geritten Klasse 2: (2a) i: – o – o fließen – floss – geflossen riechen – roch – gerochen (2b) i: – o: – o: biegen – bog – gebogen fliegen – flog – geflogen fliehen – floh – geflohen Klasse 3: (3a) u vor nd oder ŋ i – a (3b) o vor nn oder mm finden – fand – gefunden trinken – trank – getrunken beginnen – begann – begonnen schwimmen – schwamm – geschwommen Klasse 4: (4a) o e – a(:) (4b) e vor ss helfen – half – geholfen brechen – brach – gebrochen PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 20. 4. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 4 messen – maß – gemessen sitzen – saß - gesessen Klasse 5: (5a) o e: – a: (5b) e: vor s [z] oder ohne Konsonant stehlen – stahl – gestohlen nehmen – nahm – genommen lesen – las – gelesen geben – gab – gegeben (lautliche Ausnahme) Klasse 6: X – o – o heben – hob – gehoben schwören – schwor – geschworen glimmen – glomm – geglommen saugen – sog – gesogen Helbig/Buscha (1999, 39) definieren die Klasse anders: Der Vokal im Infinitiv muss nach dieser Grammatik e: lauten, Verben ohne e: ordnet die Grammatik anderen Klassen zu. Ich richte mich hier nach Nowak (2010), die die Klasse so wie oben definiert und sie als „8. Ablautreihe“ bezeichnet. Klasse 7: (7a) i: vor l, s, t (mit Ausnahmen, z. B. schlafen) a a(:) (7b) u: fallen – fiel – gefallen blasen – blies – geblasen halten – hielt – gehalten tragen – trug – getragen graben – grub – gegraben Klasse 8 (trad.: reduplizierende Klasse) au/ei/o:/u: – i: – au/ei/o:/u: laufen – lief – gelaufen hießen – hieß – geheißen stoßen – stieß - gestoßen rufen – rief – gerufen 6.4. Klassenwechsel Klasse 6 bei Helbig/Buscha ist keine alte germanische Ablautreihe. Bei Nowak (2010) wird die Klasse als „8. Ablautreihe“ (mit Anführungszeichen) bezeichnet, da sie erst in neuerer Zeit (nach dem Vorbild von (Klasse 2) aus Verben entstanden ist, die die ursprünglichen Klassen verlassen haben. Nach Nowak ist der Klassenwechsel die Folge der Vereinfachung des Verbalsystems. Das Ablautschema „x – o – o“ ist einfacher als die anderen Schemata, da es für Präteritum und PdF Masaryk-Universität Frühjahrsemester 2015 Handout zur Vorlesung 20. 4. 2015 NJ_G200 Morfologie němčiny 5 Partizip denselben Vokal enthält. Man könnte den Wechsel in Klasse 6 (Helbig/Buscha) bzw. Klasse 8 (Nowak) als „Schwächung“ der betroffenen Verben bezeichnen. Beispiele: glimmen – glomm – geglommen (urspr. 3b: glamm) melken – molk – gemolken (urspr. Klasse 4a: malk) scheren – schor –geschoren (Klasse 4b: schar - gescheren) weben – wob – gewoben (Klasse 4b: wab) fechten – focht – gefochten (Klasse 4a: facht) Der Wechsel ist noch heute in Gange: schwimmen – schwamm – geschwommen → schwomm (verschwomm etc.) spinnen – spann – gesponnen→ sponn rinnen – rann – geronnen → ronn gelten – galt – gegolten → golt Ein Zeichen für die „Schwächung“ ist, dass viele der Verben in Klasse 6 (AR8) den typischen Vokalwechsel im Präsens nicht mehr zeigen: du bewegst, du hebst, du melkst, du scherst, du webst, du fechtest (neben du fichtst) (Aber auch: es glimmt, es schwillt, es schmilzt) Manche Verben werden noch weiter „geschwächt“, verlassen die Klasse 6 (AR8) und wechseln zu den schwachen Verben über: er fechtete, er melkte, er scherte, er webte Zitierte Literatur: Beneš, Eduard/Jungwirth, Karel/Kouřimská, Milada/Zapletal, Štěpán (2005): Praktická mluvnice němčiny. Přepracované a aktualizované vydání oblíbené mluvnice. Plzeň: Nakladatelství Fraus. Bittner, Andreas (1996): Starke „schwache“ Verben – schwache „starke“ Verben: Deutsche Verbflexion und Natürlichkeit. Tübingen: Stauffenburg. Duden-Grammatik (2009): Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. Hrsg. von Kunkel-Razum, Kathrin/Münzberg, Franziska. 8. Aufl. Mannheim, Wien, Zürich: Dudenverlag. Eisenberg, Peter (2006): Grundriss der deutschen Grammatik. Bd. 1: Das Wort. 3. Aufl. Stuttgart: Metzler. Helbig, Gerhard/Buscha, Joachim (1999): Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19. Aufl. Leipzig, Berlin etc.: Langenscheidt/Enzyklopädie. Nowak, Jessica (2010): Im Spannungsfeld starker und schwacher Verben. Zur Entstehung einer „8. Ablautreihe“ im Deutschen, Niederländischen und Luxemburgischen, in: Dammel, Antje / Kürschner, Sebastian / Damaris, Nübling (Hg.): Kontrastive Germanistische Linguistik. Teiband 2. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Ohm Verlag, 429–472. Paul, Hermann (1956): Deutsche Grammatik. Bd. II/Teil III: Flexionslehre. 3. Aufl. Halle: VEB Max Niemeyer. (1. Aufl. 1917).