15 Hören und Hörverstehen theorie. In: Renate A. Schulz/Erwin Tschirner (eds.): Communicating Across Borders. Developing Intercultural Competence in German as a Foreign Language. München, 284-309. Hu, Adelheid/Byram, Michael (Hrsg.) (2009): Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle, Empirie, Evaluation. Intercultural Competence and Foreign Language Learning. Models, Empiricism, Assessment. Tübingen. Kramsch, Claire (1998): The Privilege of the Intercultural Speaker. In: Michael Byram/Michael Fleming (eds.): Language Learning in Intercultural Perspective. Approaches through Drama and Ethnography. Cambridge, 16-31. Schmenk, Barbara (2005): Mode, Mythos, Möglichkeiten oder ein Versuch, die Patina des Lernziels „kommunikative Kompetenz" abzukratzen. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 16/1, 57-87. KMK = Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2003): Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10). München. Adelheid Hu 15 Hören und Hörverstehen Terminologie Der Terminus ^örverstehen1 hat in der Fachliteratur zwei Bedeutungen. Im ersten Verständnis steht das fremdsprachliche Hörverstehen (fs HV1) für die sprachliche Fertigkeit, der gegenüber dem Lesen, Sprechen und Schreiben Priorität eingeräumt wird. Unter fs HV1 fallt die Unterscheidung zwischen einer Hörverstehensfähigkeit, die an eine direkte Kommunikationssituation zwischen Personen gebunden ist, und einer Hörverstehensfähigkeit, welche in der indirekten Kommunikationssituation zum Hörer gelangt. In der Unterrichtspraxis wird fs HV1 in der direkten Kommunikation im Leh-rer-Lemer-Gespräch sowie in Gesprächen unter den Lernenden geübt. Fs HV1 in der indirekten Kommunikation wird dagegen durch die Lehrerstimme, viel mehr aber über Medien vermittelt. Bei den genannten Ausdifferenzierungen der Kommunikationssituationen und der mit ihnen verbundenen sprachlichen Handlungen kann der Lernende prinzipiell zwei Hörerrollen einnehmen, und zwar: die Rolle eines Zuhörers und die eines Gesprächsteilnehmers (zur Charakteristik der anderen Hörerrollen vgl. Rost 1990: 5 f.). In der engen Bedeutung steht das fremdsprachliche Hörverstehen' (fs HV2) für einen interaktiven, kommunikativ und kognitiv orientierten konstruktiven Prozess der zweiseitigen (bottom-up und top-down) Textverarbeitung, bei dem die Informationen aus dem Text mit denen aus dem Erfahrungs- und Wissensspeicher im Langzeitgedächtnis des Textrezipienten (Schemakenntnisse) verknüpft werden (zum Modell des fremdsprachlichen Hörverstehensprozesses vgl. Wolff 2002: 294). Der Hörverstehens-prozess umfasst zum einen das Hören, also die Fähigkeit des Gehörs, akustische Signale einer Sprache zu registrieren und aufgrund der Leistungen bestimmter Gehirnteile 79 Ill Skills und Kompetenzen zu diskriminieren, zum anderen das Verstehen, das (als eine komplexe aktive, dynamische und evaluierende mentale Handlung) die Bedeutungszuordnung, Sinnentnahme und Interpretation von sprachlichen Äußerungen in ihrem sprachlichen, kulturellen, personellen sowie gesellschaftlichen Kontext einschließt. Betrachtet man die bisherigen Definitionsversuche zur Makrofähigkeit ,Hören' näher, erweist es sich, dass verschiedene Grade des Hörens und Zuhörens ausdifferenziert werden, wobei die kognitive Tätigkeit des Zuhörens als ein aktiver und intentionaler Wahrnehmungsprozess aufgefasst wird, zu dem die Komponente der Sinnkonstitution oder auch des ästhetischen Genusses hinzukommt. So gedeutet wird das Zuhören als „die multimodale Aufmerksamkeitsrichtung von Gesprächsbeteiligten auf eine/n Sprechende/n mit dem Ziel der Sinnkonstruktion des Vermittelten" (Spiegel 2006: 155) definiert. Im fremdsprachendidaktischen Kontext können jedoch das Hören und Zuhören als die Voraussetzung für den erfolgreichen Hörverstehens-prozess, d.h. fs HV2, betrachtet werden. Das HV2 wird von vorhandenen unterschiedlichen Sprach-, Text- und Sachkenntnissen in der Mutter- und Fremdsprache (in Form von frames und Scripts), individuellen Verstehensabsichten, eingesetzten Verstehensstrategien (wie z.B. die Konzentration auf das Bekannte als Sicherheitsinsel, Beachtung von Sprechersignalen, Hypothesenbildung und Hypothesenüberprüfung auf der Basis des bestehenden Sprach- und Weltwissens sowie des bisherigen Kontextes etc.) sowie vielen anderen lernerbezoge-nen Faktoren (wie z.B. das mentale Lexikon, ausgebaute Hörstile und Hörstrategien, die Gedächtnisleistung, die Aufmerksamkeitszuwendung etc.) beeinflusst. Diese Ergebnisse haben Konsequenzen für die Entfaltung von fs HV1 im Unterrichtsalltag. Didaktisch-methodische Überlegungen Im Mittelpunkt der Hörverstehensförderung sollte die Arbeit an den satz- und textübergreifenden Rezeptionsprozessen beim extensiven globalen, dann zunehmend selektiven und nur stellenweise intensiven Hören stehen. Es lassen sich zwei große didaktisch-methodische Ansätze der Hörverstehensent-wicklung unterscheiden: ► Modulare Übungsansätze gliedern durch die Konzentration auf Teilprozesse bzw. Teiltätigkeiten der auditiven Textrezeption das komplexe Lernziel ,Entfaltung der fremdsprachlichen Hörverstehenskompetenz' in Einzelschritte auf, bauen partielles Wissen auf und trainieren die einzelnen Teilfertigkeiten (hauptsächlich medial gestützt und mithilfe von mehr formal orientierten Übungstypen) einzeln, und zwar in der Erwartung, zur Förderung der Gesamtkompetenz auf diese Art und Weise beizutragen. ► Holistische Übungsansätze sehen das HV2 als einen komplexen und unteilbar zu entwickelnden Prozess. In diesem Zusammenhang zielen sie auf eine ganzheitliche, meistens inhaltlich orientierte, sowohl eindirektionale (d.h. mediale) als auch zwei-direktionale (d.h. interaktive) Vermittlung von HV1 ab. 80 15 Hören und Hörverstehen Vertreter der beiden Positionen verfolgen das Ziel, die Teilprozesse des HV2 zu unterstützen und das HV1 somit zu entwickeln. Innerhalb dieser Hauptansätze lassen sich diverse Positionen identifizieren, die noch weiter spezifiziert werden können (z.B. Üben von zerlegten, vorwiegend bottom-up gesteuerten Teilfähigkeiten der Hörver-stehenskompetenz, Üben von zerlegten, vorwiegend top-down gesteuerten Teilfähigkeiten der Hörverstehenskompetenz, bewusste Verdeutlichung und Einübung von vorhandenen und zu entwickelnden Strategien und Techniken, Progression in der Aufgabenschwierigkeit, Fokussierung auf dreiphasige Hörtextarbeit, ganzheitliche (prozessorientierte und/oder ergebnisorientierte) Hörverstehensschulung (vgl. hierzu die kritische Auseinandersetzung mit den genannten Übungsansätzen bei Adam-czak-Krysztofowicz 2009: 83 ff.; zur Förderung des Hörens und Zuhörens vgl. das von Esterl/Zeitlinger 2008 herausgegebene Themenheft der Zeitschrift ide). Da für eine erfolgreiche Teilnahme an direkter und medialer Kommunikation die ganzheitliche Hörverstehensausbildung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, bedarf die Unterrichtspraxis von Anfang an mindestens eines Gleichgewichts zwischen den sich überschneidenden modularen und holistischen Herangehensweisen. Für die Auswahl von Hörtexten sollten folgende textsortenbezogene Orientierungsmarken beachtet werden: Art der textuellen Realisierung (auditive Texte, Hör-/Sehtex-te, auditive Texte in Kombination mit Schrifttexten sowie Hör-/Sehtexte in Kombination mit Schrifttexten), Präsentationsform (monologische, dialogische und multilogische Hörtexte), Form der Mündlichkeit (nicht spontan gesprochene, vorbereitet spontan gesprochene und unvorbereitet spontan gesprochene Hörtexte), Textsortenmerkmale (fiktionale und nichtfiktionale Hörtexte), Authentizitätsgrad (Originaltexte, didaktischauthentische Hörtexte, lehrwerkungebundene und lehrwerkgebundene didaktisierte Hörtexte) sowie Schwierigkeitsprogression, die u. a. mit sprachlichen und inhaltlichen Eigenschaften des Textes bestimmt wird (vgl. hierzu Adamczak-Krysztofowicz 2009: Kap. 3.4.2). Als unverzichtbar erscheint auch die Berücksichtigung von rezipienten-und lernzielbezogenen Kriterien (wie z.B. Angepasstheit der Hörvorlage an das pro-zedurale und deklarative Sprach-, Text- und Weltwissen der Hörenden sowie ihre Interessen und bisherige Erfahrungen im Umgang mit unterschiedlichen Hörstrategien, Hörtextsorten sowie Höraufgaben, präzise und realitätsnahe Zielsetzung, Variationen in der Themenwahl etc. (vgl. hierzu Adamczak-Krysztofowicz 2008). Die infrage kommenden Hörverstehensaufgaben (wie z.B. prä-auditive, auditive und post-auditive Aufgaben, verbale und nonverbale Aufgaben, geschlossene, halboffene und offene Aufgaben; zur Typologie vgl. Dahlhaus 1994: Kap. 2) können mit-hilfe von vier Faktorenkomplexen (unterteilt in lernzielbezogene, textbezogene, an-weisungs- und itembezogene sowie rezipientenbezogene Auswahlkriterien) auf ihre Eignung überprüft werden (vgl. hierzu Myczko 1995: Kap. 7 und Adamczak-Krysztofowicz 2009: Kap. 3.4.3). 81 Ill Skills und Kompetenzen Forschungsdesiderata Das Spektrum der in jüngster Zeit zum Hören und Hörverstehen behandelten Themenschwerpunkte reicht von den kognitionspsychologischen und psycholinguisti-schen Grundlagen des verstehenden Hörens (Neveling 2000, Wolff 2002), Faktoren der Schwierigkeit von Hörtests (Buck 2001), Überlegungen zur Hörverstehensschu-lung (Rost 2002, Solmecke 2003, Nieweier 2008), lernerbezogenen Problemen beim Hörverstehensvorgang (Adamczak-Krysztofowicz 2009) bis hin zur Problematik von Strategien beim Hörverstehen (Rampillon 2003). Dennoch ist die Forschungslage zu den erst im letzten Jahrzehnt in die fremdsprachendidaktische Theorie eingearbeiteten Hörverstehensteilprozessen noch recht defizitär. Es mangelt auch an weiteren Untersuchungen der vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den einzelnen text-, aufgaben-, rezipienten- und lemzielbezoge-nen Einflussgrößen und ihrer tatsächlichen Relevanz für die jeweilige Lernergruppe. Ebenso bedürfen die Begründung und die Explikation von Zielsetzungen bei der Hör-verstehensförderung weiterer Anstrengungen im Hinblick auf eine verfeinerte Systematik der Art und Tiefe der geforderten kognitiven Verarbeitungsstufen und der mit ihnen verbundenen Textverarbeitungsstrategien sowie der für die entsprechenden Niveaus angemessenen Themen und Textsorten. Die weitere Beschäftigung mit vielschichtigen lernerinternen und lernerexternen Faktoren verstehenden Hörens und den daraus abgeleiteten Implikationen für das adressatenbezogene und integrative Hörverstehenstraining ist somit anzustreben. Literatur Adamczak-Krysztofowicz, Sylwia (2008): Hörverstehenskompetenz erwachsenengemäß entwickeln. Konsequenzen aus einer qualitativen Kursteilnehmerbefragung für die Hörtextauswahl im DaF-Unterricht. In: Zielsprache Deutsch 35/1, 36-59. Adamczak-Krysztofowicz, Sylwia (2009): Fremdsprachliches Hörverstehen im Erwachsenenalter. Theoretische und empirische Grundlagen zur adressatengerechten und integrativen Förderung der Hörverstehenskompetenz am Beispiel Deutsch als Fremdsprache in Polen. Poznan. Buck, Gary (2001): Assessing Listening. Cambridge. Dahlhaus, Barbara (1994): Fertigkeit Hören. Berlin/München. Esterl, Ursula/Zeitlinger, Edith (2008) (Hrsg.): Themenheft ide: Zeitschrift für den Deutschunterricht in Wissenschaft und Schule 1. Myczko, Kazimiera (1995): Die Entwicklung des Hörverstehens auf der Fortgeschrittenenstufe des Fremdsprachenunterrichts unter besonderer Berücksichtigung des Germanistikstudiums. Poznan. Neveling, Christiane (2000): Hörverstehen im Fremdsprachenunterricht. Psycholinguistische Grundsatzüberlegungen. In: Praxis Fremdsprachenunterricht 47'/1, 3-9. Nieweier, Andreas (2008): Das hört sich gut! Hörverstehen in Theorie und Praxis. In: Der Fremdsprachliche Unterricht: Französisch 42/95, 2-8. Rampillon, Ute (2003): Lerntechniken und Lernstrategien beim Hörverstehen. In: Der Fremdsprachliche Unterricht: Englisch 64-65, 52-64. Rost, Michael (1990): Listening in Language Learning. London u.a. Rost, Michael (2002): Teaching and Researching Listening. Harlow/New York. 82 16 Sprechen und Aussprache Solmecke, Gert (2003): Das Hörverstehen und seine Schulung im Fremdsprachenunterricht. In: Der Fremdsprachliche Unterricht: Englisch 64-65, 4-11. Spiegel, Carmen (2006): Heißt Kommunizieren etwa auch Zuhören? In: Roland Wagner/Andrea Brunner/Susanne Voigt-Zimmermann (Hrsg.): Hören - Lesen - Sprechen. München, 153-162. Wolff, Dieter (2002): Fremdsprachenlernen als Konstruktion. Grundlagen für eine konstruktivistische Fremdsprachendidaktik. Frankfurt a.M. u.a. Sylwia Adamczak-Krysztofowicz 16 Sprechen und Aussprache Problemaufriss Die systematische Befähigung zum Sprechen der jeweiligen Zielsprache gehört seit etwa einem Jahrhundert zu den zentralen Aufgaben des schulischen Fremdsprachenunterrichts. Historisch betrachtet lässt sich die unterrichtliche Entwicklung, bezogen auf dieses spezielle Lehr- und Lernsegment (und den oben genannten Zeitraum), wie folgt skizzieren: Beginnend mit der prinzipiellen Aufwertung des Mündlichen im neusprachlichen Reformunterricht (Direkte Methode/Vermittelnde Methoden) erstreckt sie sich über die kleinschrittige Gewöhnung an das Sprechen im Sinne des medial gestützten Darbietens, Einschleifens und Anwendens von Sprachstrukturen (Audiolinguale/Audio visuelle Methode) bis hin zum heutigen Bemühen um ein schülerorientiertes, zunehmend selbstreguliertes kommunikatives Sprechhandeln in realitätsnahen Kontexten bzw. in realen oder virtuellen interkulturellen Begegnungssituationen (Kommunikativer Ansatz/Interkulturelle Handlungsbefähigung) (vgl. Hüllen 2005:73-156). Konstitutiv für die wissenschaftliche Diskussion um die Bedeutung des Sprechens für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen, die nicht losgelöst von den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte und den damit verbundenen, in Teilen unterschiedlichen Erwartungen an das mündliche Sprachkönnen betrachtet werden darf, waren und sind bis heute das jeweils zugrunde gelegte Menschenbild sowie das spezifische Verständnis von Sprache und Sprechen, von Lernen und Lehren im Allgemeinen und von Sprachaneignung im Besonderen (vgl. Kurtz 2003). Während in der Vergangenheit eher einseitig verengte, d. h. eher auf die Sprache (langue, competence, language as a System) als auf das Sprechen (parole, Performance, language in use) sowie auf eine bestimmte Vorstellung von sprachlichem Lehren und Lernen fokussierte Theorieansätze dominierten (Instruktion, Transmission), hat sich der Blick auf die Förderung des Sprechens in den letzten Jahren erheblich geweitet (Konstruktion, Transformation). Dabei wird das Sprechen heute nicht lediglich als eine Fertigkeit neben anderen betrachtet, sondern als ein hochkomplexes, mit allen anderen sprachlich-interkulturellen Fähigkeiten, Kenntnissen 83