94. Lernstile und Lern(er)typen 849 2007 Doing Task-based Teaching. Oxford: Oxford University Press. Wolff, Dieter 2007 Lernerautonomie und selbst gesteuertes fremdsprachliches Lernen: Überblick. In: KarlRichard Bausch, Herbert Christ und Hans-Jürgen Krumm (Hg.), Handbuch Fremdsprachenunterricht 321Ϫ326. 5. Auflage. Tübingen etc.: Francke. Zimmermann, Günther 1997 Anmerkungen zum Strategienkonzept. In: Ute Rampillon und Günther Zimmermann (Hg.), Strategien und Techniken beim Erwerb fremder Sprachen, 95Ϫ113. Ismaning: Hue- ber. Peter Bimmel, Hilversum (Niederlande) 94. Lernstile und Lern(er)typen 1. Einleitung 2. Zur Problematik der Terminologie und der Abgrenzung zwischen verwandten Konzepten 3. Zur Problematik der Forschungsmethodik 4. Lernstildimensionen und Lern(er)typen 5. Praxisrelevanz 6. Literatur in Auswahl 1. Einleitung Warum sind einige Lernende hinsichtlich ihres Fremdsprachenerwerbs erfolgreicher als andere? Um diese Frage beantworten und Fremdsprachenlehr- und -lernprozesse optimieren zu können, müssen diejenigen Faktoren näher betrachtet werden, hinsichtlich derer sich Individuen voneinander unterscheiden (vgl. auch Art. 95Ϫ99). Mit der Erweiterung traditioneller Methodenansätze um die Lernerperspektive und mit der Forderung nach zunehmender Eigenverantwortung der Lernenden für ihren Lernprozess ging eine zunehmende Fokussierung auf interne Lernerfaktoren einher. Dazu zählen sowohl kognitive wie auch metakognitive Faktoren, wie z. B. die im Folgenden behandelten Individuenvariablen Lern(er)typ und Lernstil. Lernende kommen nicht als tabula rasa in den Fremdsprachenunterricht, sie bringen vielmehr ihren Lernertyp, ihren Lernstil, ihre Lernerfahrungen und damit auch ihre Lernstrategien in den Lernprozess ein. Inwiefern die Beschäftigung mit z. B. dem Lernstil tatsächlich unterrichtsrelevant ist, ist nach wie vor umstritten. Während Dörnyei und Skehan (2003) eher skeptisch sind und höchstens einen indirekten Einfluss auf den Sprachlernerfolg annehmen, betrachteten gut 20 Jahre früher Knapp-Potthoff und Knapp (1982) den kognitiven Stil in Bezug auf den L2-Erwerb als die „entscheidende Determinante für typspezifische Unterschiede der Verarbeitung zweitsprachlicher Daten“ (Knapp-Potthoff und Knapp 1982: 111); und auch Ehrman (1996: 50) geht davon aus, dass Lernstile wichtige Einfluss- und damit IX. Sprachenlernen: spezifische Variablen und Faktoren850 Erklärungsvariablen darstellen, denn: „learning style mismatches are at the root of many learning difficulties“. Letztere Haltung kommt in der häufig anzutreffenden Metapher vom „style war“ (u. a. Oxford, Ehrman und Lavine 1991) noch drastischer zum Ausdruck. Gemeint ist damit die fehlende Übereinstimmung zwischen dem Lehrstil (bzw. Annahmen der Lehrenden hinsichtlich der Lernstile ihrer Lernenden) und der tatsächlich vorliegenden Lernstile der Lernenden und damit verbundene negative Auswirkungen. Im Umkehrschluss wird prognostiziert, dass Lernende besonders davon profitieren, wenn der Unterrichtsstil ihrem Lernstil entspricht. 2. Zur Problematik der Terminologie und der Abgrenzung zwischen verwandten Konzepten Die derzeitige Situation der im vorliegenden Beitrag behandelten Konstrukte ist weder in Bezug auf die Theorie, auf die Praxis noch auf die Empirie als befriedigend zu bezeichnen. Interessant ist dabei v. a., dass diese Konstrukte trotz aller bekannten Schwächen im Hinblick auf ihre theoretischen Konzeptionen, ihre Definitionen oder ihre empirische Überprüfbarkeit weiterhin für die Fremdsprachenerwerbsforschung und die Fremdsprachendidaktik hoch attraktiv sind. Dieser Einschätzung scheint die Annahme zugrunde zu liegen, dass nicht die Konstrukte selbst problematisch sind, sondern lediglich die diesbezügliche heterogene Forschungslage für den gegenwärtigen Stand verantwortlich ist. Vorwegnehmend lässt sich feststellen, dass in Bezug auf den hier betrachteten Gegenstand nach wie vor ein großer terminologischer Klärungsbedarf besteht. So herrscht praktisch kein allgemeiner Konsens darüber, worin genau der Unterschied zwischen den Konzepten kognitiver Stil, Lernstil, Lern(er)typ und Lernstrategie (vgl. Art. 93) besteht bzw. ob und inwiefern sie miteinander in Verbindung stehen. Aus dieser unscharfen und darüber hinaus inkonsistenten Definition der Konstrukte ergeben sich nahezu zwingend Schwierigkeiten im Hinblick auf die zu ihrer empirischen Untersuchung einzusetzenden Methoden. Solange der Gegenstand nicht eindeutig definiert ist, kann er nicht angemessen operationalisiert werden, was entscheidend für die Auswahl geeigneter methodischer Verfahren und Instrumente ist. Während in der Vergangenheit die Begriffe kognitiver Stil und Lernstil nicht selten synonym gebraucht wurden, hat sich inzwischen eine etwas differenziertere Sichtweise durchgesetzt. In jüngster Zeit fungiert zumeist Lernstil als Oberbegriff, dem das Konstrukt kognitiver Stil begrifflich untergeordnet wird. So umfasst z. B. für Leaver, Ehrman und Shektman (2005) Lernstil die Unterkategorien kognitiver Stil, sensorische Präferenzen und Persönlichkeitstypen. Ganz ähnlich stellt auch für Dörnyei (2005) der kognitive Stil den Kern des Lernstils dar, ist ihm also untergeordnet. In welchem Verhältnis kognitiver Stil und Lernstil jedoch letztlich zueinander gesehen werden, hängt davon ab, ob die Konstrukte aus der Perspektive der Kognition oder aus der Perspektive des Lernens betrachtet werden. Seit seiner Einführung durch R. W. Gardner (1953) hat das Konstrukt kognitiver Stil in Abhängigkeit von verschiedenen Forschungsinteressen und -ansätzen eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen erfahren. Als kognitiven Stil bezeichnet man die von einem Individuum bevorzugte, unmarkierte Weise, Informationen perzeptuell wahrzunehmen und konzeptuell zu kategorisieren, und zwar Ϫ das unterscheidet den kognitiven Stil 94. Lernstile und Lern(er)typen 851 vom Lernstil Ϫ ohne jegliche situative, äußerliche (also z. B. unterrichtliche) Einflüsse. Während der kognitive Stil somit z. T. als biologisch determinierte Art des Umgangs mit Informationen und Situationen bezeichnet wird, wird der Begriff des Lernstils mit Bezug auf einen Lernkontext und zusammen mit einer Reihe von affektiven, physiologischen und verhaltensbezogenen Faktoren verwendet. Für Kinsella (1995: 171; Hervorheb. KA/CR) ist ein Lernstil „an individual’s natural, habitual, and preferred way[s] of absorbing, processing, and retaining new information and skills which persist, regardless of teaching methods and content areas“. Auch Grotjahn (2003: 326; Hervorheb. im Original) gebraucht den Begriff Lernstil eher weit und zwar als „intraindividuell relativ stabile, zumeist situations- und aufgabenunspezifische Präferenzen, (Dispositionen, Gewohnheiten) von Lernern sowohl bei der Verarbeitung von Informationen als auch bei der sozialen Interaktion.“ Als generalisierte, invariante Persönlichkeitsmerkmale (vgl. Krapp 1993: 292) werden Lernstile daher für die typologische Klassifikation von Lernern zu Lernertypen verwendet. Wesentliche Unterschiede in den verschiedenen Lernstil-Konzeptionen zeigen sich in den Ansichten hinsichtlich des Grades an Stabilität bzw. Veränderbarkeit. Während einige Forscher (z. B. Kinsella 1995) von einer eher stabilen, in der Persönlichkeit verhafteten Eigenschaft ausgehen, sehen andere den Lernstil als eine intentional veränderbare Größe an (vgl. z. B. Kohonen 1990: 25Ϫ26). Ehrman (1996: 54) nimmt hier eine vermittelnde Position ein und spricht von „Komfortzonen“. Danach fühlen sich zwar die meisten Lernenden mit einer bestimmten Herangehensweise an Aufgaben am wohlsten, andere Zugänge sind für sie aber nicht prinzipiell ausgeschlossen, wenn es die Umstände erfordern. Nur eine Minderheit der Lehrenden ist nach Ehrman nicht imstande, außerhalb gesetzter Dispositionen zu agieren. Das Konzept des Stils ist von dem Konzept der Fähigkeit zu unterscheiden. Stil bezieht sich auf die Art und Weise der Performanz und ist eher ein beschreibender Begriff; so geht eine starke bzw. eine schwache Ausprägung eines Stils nicht zwingend mit einer positiven bzw. einer negativen Bewertung einher. Demgegenüber bezieht sich Fähigkeit auf das Niveau der Performanz und ist somit ein eindeutig wertendes Konzept, da ein hohes Maß einer bestimmten Fähigkeit positiv gewertet wird, ein niedriges Maß hingegen negativ. Ein Bündel nachgewiesenermaßen höchst einflussreicher Fähigkeiten ist die sogenannte language aptitude (Fremdsprachenlerneignung; vgl. auch Art. 102a; für eine Übersicht über die neueren Entwicklungen in der Fremdsprachenlerneignungsforschung vgl. Schlak 2008). Es ist davon auszugehen, dass Lernstil und fähigkeitsbasierte Lernerfaktoren gleichermaßen (sowie weitere Lernervariablen) z. B. den Lernstrategiengebrauch beeinflussen und den Erfolg unterrichtsmethodischer Vorgehensweisen entscheidend mitbestimmen (vgl. Riemer 2009). Lernstile sind des Weiteren von Lernstrategien zu unterscheiden. Beide wirken verhaltenssteuernd, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des Merkmals der Bewusstseinsfähigkeit. Strategien gelten als bewusste bzw. bewusstseinsfähige mentale Repräsentationen, die aus dem Langzeitgedächtnis abrufbare Handlungspläne darstellen. Sie umfassen spezifische Handlungen oder Techniken, die bewusst zum Zweck des Lernens eingesetzt werden können; sie sind also aufgaben- und situationsabhängig und können gezielt vermittelt und eingesetzt werden (vgl. Grotjahn 1998). In Bezug auf das Verhältnis zwischen Lernstil und Lernstrategie wird angenommen, dass der Erwerb bestimmter kognitiver, metakognitiver, affektiver oder sozialer Strategien auf der Basis des einen Lernstils erfolgreicher zu sein scheint als auf der eines ande- IX. Sprachenlernen: spezifische Variablen und Faktoren852 ren. Es scheint, dass die Begriffe Lern(er)typ, Lernstil und Lernstrategie in einem Inklusionsverhältnis stehen, das u. a. durch einen abnehmenden Grad an Abstraktion gekennzeichnet ist. Ihre Beziehung zueinander ließe sich wie folgt charakterisieren: zwischen den drei Konstrukten besteht ein hierarchisches, interdependentes Verhältnis dergestalt, dass sich der Lern(er)typ als invariante Disposition in bestimmten kognitiven Stilen oder Lernstilen manifestieren kann. Diese Stile umfassen wiederum Lernstrategien, die sie gleichzeitig beeinflussen und widerspiegeln. Es handelt sich um sehr unterschiedliche Konzepte, hinsichtlich deren Differenzierung das Kriterium Veränderbarkeit bzw. Lehr-/ Lernbarkeit eine Rolle spielt. Während ein Typ nicht lehrbar Ϫ höchstens dehnbar ist (vgl. Abschnitt 5) Ϫ ist, weil es sich hierbei um angeborene oder frühkindlich ausgebildete und dem Individuum zumeist unbewusste Präferenzen hinsichtlich der Wahrnehmung, Verarbeitung und Produktion von Informationen handelt, sind Strategien potentiell bewusstseinsfähig, bewusst lehr- und lernbar und somit auch gezielt veränderbar Ϫ zumindest im Rahmen, wie es der Lernstil erlaubt. Es ist davon auszugehen, dass einige Aspekte invariant, andere jedoch modifizierbar sind. 3. Zur Problematik der Forschungsmethodik Wie zuvor bereits angedeutet, ist die empirische Untersuchung von kognitiven Stilen, Lernstilen und Lern(er)typen dadurch erschwert, dass sie nicht direkt beobachtbar sind. Darüber hinaus ist umstritten, welche Verhaltensweisen als zuverlässige Indikatoren für welchen Lernstil bzw. welchen kognitiven Stil oder welchen Lern(er)typ zu werten sind und wie sich dies zweifelsfrei belegen lässt. Bisher erfolgte dieser Nachweis entweder durch Selbstberichte und deren inhaltsanalytische Auswertung oder durch die Beobachtung von kontrollierten Performanzen. Instrumente, die zur Ermittlung von Lernstilen durch Befragung eingesetzt werden, sind in erster Linie Fragebögen, Log- bzw. Lernertagebücher oder Interviews. Fragebögen stellen v. a. aufgrund ihrer vergleichsweise leichten und effizienten Durchführbarkeit und Auswertbarkeit ein sehr beliebtes Datenerhebungsverfahren dar. Das Hauptproblem bei diesem Verfahren liegt allerdings darin, dass es nicht zwingend das misst, was es zu messen beabsichtigt. Die indirekte Art der Ermittlung von Lernstilen bzw. Lern(er)typen mittels Beschreibungen eigener Verhaltensweisen in imaginierten Lernsituationen ist methodologisch insofern problematisch, als man auf diese Weise zwar erfährt, wie sich ein Lerner in einer konkreten Situation zu verhalten glaubt, nicht aber, wie er sich tatsächlich verhält Ϫ oder dass er Lernstrategien angibt, die er aus der Muttersprache kennt, in Wirklichkeit aber gar nicht beim Fremdsprachenlernen verwendet (vgl. Würffel 2006: 87). Ferner können sich die mithilfe von Fragebögen gewonnenen Aussagen zwar auch auf spezielle Situationen beziehen, zielen aber vorwiegend auf generelles Verhalten oder allgemeine Einschätzungen der eigenen Lernfähigkeit oder des Lernerfolgs ab. Grundsätzlich begünstigt die Methode der Befragung solche Lernenden, die fähig und bereit sind, über ihren Lernprozess zu reflektieren und sich darüber zu äußern, die also über metakognitive und metasprachliche Fähigkeiten verfügen. Eine weitere Kritik an dieser methodischen Vorgehensweise ist das Problem der sozialen Erwünschtheit, also die Tendenz von Probanden, so zu antworten, wie sie annehmen, dass man es von ihnen erwartet oder wie es ihrer Meinung nach für eine möglichst positive Bewertung ihrer Person am günstigsten sei. 94. Lernstile und Lern(er)typen 853 Da Lernstile und kognitive Stile als unbewusste Präferenzen gelten und Lernende keinen direkten Zugang zu ihnen haben, sind introspektive Verfahren nur eingeschränkt einsetzbar. Selbstberichte zur Erfassung genereller Lerngewohnheiten und -typen sind daher durch Verfahren zu ergänzen, mithilfe derer tatsächliches Lernerverhalten erfasst und erklärt werden kann. Dass es sich dabei um ein qualitativ anspruchsvolles und zeitaufwendiges Vorgehen handelt, ist offensichtlich. Allerdings scheint dies die beste Möglichkeit zu sein, fundierte empirische Erkenntnisse zu gewinnen. Optimal wäre eine mehrmethodisch angelegte Herangehensweise, bei der die Verfahren Fremd- und Selbstbeobachtung (wie z. B. Lautes Denken oder stimulierte Retrospektion) miteinander kombiniert werden. Also anstatt über abstrakte oder imaginierte Lernsituationen zu reflektieren und berichten, kann auf diese Weise tatsächliches Lernen in konkreten Situationen beobachtet, beschrieben und analysiert werden. Erst wenn die mittels verschiedener Quellen gewonnenen Daten Übereinstimmungen aufweisen oder gar miteinander konvergieren, kann davon ausgegangen werden, dass sie halbwegs zuverlässig sind. Eine weitere generelle methodologische Kritik an vielen Studien bezieht sich darauf, dass in ihnen häufig die soziale und die kulturelle Komponente des Lernens vernachlässigt wird. Aufgrund einer zumeist einseitigen Konzentration auf die kognitive Komponente besteht vielfach das Problem, dass der sozial-interaktiven Dimension des Lernprozesses nur wenig oder gar keinerlei Rechnung getragen wird. Hinzu kommt Kritik am inhärenten Ethnozentrismus vieler Untersuchungen zu kulturspezifischen LernstilUnterschieden, da sie nicht selten das Lernverhalten westlicher Mittelklasse-Intellektueller zu universellen Werten erklären (vgl. dazu Riley 1990). 4. Lernstildimensionen und Lern(er)typen In der Fremdsprachenforschung wurden viele unterschiedliche Variablen den Lernstilen und kognitiven Stilen subsumiert; regelmäßig kommen neue hinzu. Oft sind die Arbeiten dabei eher konzeptioneller denn empirischer Natur. In Ergänzung der bereits oben behandelten zentralen Eigenschaften von Lernstilen ist zu erwähnen, dass die meisten Lernstildimensionen bipolar ausgerichtet sind, wobei davon ausgegangen wird, dass Lernende sich zwischen den Endpolen (von z. B. feldunabhängig zu feldabhängig) innerhalb einer „Komfortzone“ ansiedeln. Die beiden Pole sind dabei nicht per se mit besseren oder schlechteren Lernleistungen assoziiert: Man kann mit jedem Lernstil erfolgreich sein, eben auf unterschiedliche Weise. Allerdings konnte für besondere Lernstilvariablen nachgewiesen werden, dass mit ihnen Vorteile beim Fremdsprachenlernen verbunden sind. Die so genannte Feldunabhängigkeit/Feldabhängigkeit ist eine der bekanntesten Lernstildimensionen und konnte in vielen Untersuchungen mit fremdsprachlichen Leistungen korreliert werden, wobei anders als bei vielen anderen Lernstilfaktoren hier ein Vorteil einer spezifischen Ausprägung für das Fremdsprachenlernen festgestellt werden konnte: nämlich ein Vorteil der Feldunabhängigkeit (u. a. Chapelle und Roberts 1986). Feldunabhängigkeit wird als Disposition zur analytischen Wahrnehmung von Einzelphänomenen bei der Lösung komplexer Aufgaben verstanden, während Feldabhängigkeit mit einer Disposition für eine eher holistische Wahrnehmung in Verbindung gebracht wird. Das Konstrukt ist nicht unumstritten, Griffiths und Sheen (1992) bestreiten sogar jegliche Bedeutung des Konstrukts für den Fremdsprachenerwerb. IX. Sprachenlernen: spezifische Variablen und Faktoren854 Als weitere Dimensionen werden der eng mit dem Konstrukt Feldunabhängigkeit verwandte analytische/globale Lernstil unterschieden: Lernende mit globalem Lernstil versuchen, den gesamten Kontext zu erfassen, während sich Lerner mit einem eher analytischen Lernstil auf einzelne Aspekte konzentrieren, die anschließend zu einem Ganzen verknüpft werden. Auch Reflexivität/Impulsivität werden hierzu gerechnet: Impulsiven Lernenden werden Neigungen unterstellt, bei komplexen Problemlösungen eher spontan vorzugehen, während reflexive Lernende z. B. ihre sprachlichen Äußerungen genau vorplanen und daher langsamer und bedachter handeln. In der Fremdsprachendidaktik sehr populär sind die Präferenzen und Dispositionen von Lernenden, beim Lernen spezifische Wahrnehmungskanäle zu wählen. Man unterscheidet auditive, visuelle, kinästhetische und taktile Perzeptionsstile. Visuelle Lerner Ϫ und man geht davon aus, dass die meisten Lernenden eher visuelle Lerner sind Ϫ verarbeiten Informationen am effizientesten, wenn sie ihnen visuell dargeboten werden, während auditive Lerner am besten lernen, wenn sie anderen (und sich selbst) zuhören können; kinästhetische Lerner brauchen dagegen körperliche Bewegung, um sich konzentrieren zu können und taktile Lerner bevorzugen es, etwas zu be-greifen (vgl. Leaver, Ehrman und Shekhtman 2005: 67Ϫ69). Die theoretische und empirische Untermauerung dieser Lernstildimension explizit in Bezug auf das Fremdsprachenlernen weist aber noch mehr Lücken als Evidenzen auf. Hinzu kommt, dass Wahrnehmungspräferenzen und Verarbeitungspräferenzen selten sauber voneinander unterschieden werden. Außerdem gibt es reichlich Hinweise, dass die meisten Lernenden wohl mehrere Wahrnehmungspräferenzen in sich vereinen, so dass reine Lern(er)typen relativ selten sind. Eine weitere diskutierte Lernstildimension ist die Ambiguitätstoleranz/Ambiguitätsintoleranz (vgl. Chapelle und Roberts 1986) und extraversion/introversion. Erstere bezieht sich auf die Neigung von Lernenden, Mehrdeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten wahrnehmen und ertragen zu können Ϫ ambiguitätsintolerante Lernende benötigen z. B. mehr Erklärungen. Letzteres Konstrukt drückt das Ausmaß der Kontaktfreudigkeit und sozialen Aufgeschlossenheit von Individuen aus. Lern(er)typen konstituieren sich dann aus der Kombination unterschiedlicher Lernstildimensionen. Auch hierfür gibt es in der Fremdsprachenerwerbsforschung unterschiedliche Vorschläge (vgl. zusammenfassend Dörnyei 2005: 127Ϫ154). So wurde z. B. das Myers-Briggs-Modell (mit den Dimensionen extraversion/introversion, intuition/sensing, feeling/thinking und judging/perceiving) Ϫ eine Weiterentwicklung tiefenpsychologischer Ansätze von C. G. Jung Ϫ mit den Forschungen von Ehrman in die Fremdsprachenforschung eingebracht (vgl. u. a. Ehrman 1996; Ehrman und Oxford 1995). In der Persönlichkeitspsychologie entwickelte Persönlichkeitsmessinstrumentarien (wie der Myers Briggs Type Indicator: MBTI) schlagen Typisierungen als Kombinationen der jeweils diagnostizierten Dimensionen vor, die dann hinsichtlich ihrer Implikationen für das Fremdsprachenlernen diskutiert werden. Einen sehr umfassenden Vorschlag zur Konzeptualisierung von Lernstilen in Bezug auf das Fremdsprachenlernen legen Ehrman und Leaver (2003) mit insgesamt neun Lernstildimensionen vor. Die Komplexität der durch solche Arbeiten implizierten Lernertypisierungen lässt erwarten, dass die zukünftig hier notwendige Forschungsarbeit ebenso komplex sein wird. Grotjahn (2003) schlägt vor, sich aus pragmatischen Gründen auf einige wenige Lernertypen zu beschränken, und zwar auf solche, die für den Fremdsprachenunterricht besondere Relevanz haben. Allerdings fehlen hierfür nicht nur konzeptuelle, sondern auch empirische Klärungen hinsichtlich der Differenzierung der verschiedenen Lernstile und Lern(er)typen sowie ihrer Überlappungen. 94. Lernstile und Lern(er)typen 855 5. Praxisrelevanz Die Förderung von Lernerautonomie ist derzeit ein zentrales fremdsprachendidaktisches Prinzip. Hiermit ist die Notwendigkeit verbunden, dass Lernende ihren eigenen Lern(er)typ kennen und sich entsprechend verhalten. Insbesondere im Hinblick auf das Desiderat des „lebenslangen Lernens“ erscheint die Ermittlung und Beachtung von Lernstilen unverzichtbar, das eng mit metakognitiven Fähigkeiten wie u. a. Bewusstheit eigener Lernstile und Präferenzen zu verknüpfen ist. Aus empirischem Untersuchungen (vgl. u. a. Ellis 1989; Oxford, Ehrman und Lavine 1991; Ehrmann 1996) geht hervor, dass Lernschwierigkeiten aus Lernstilkonflikten (style war) erwachsen, wenn der Lernstil von Lernenden nicht zum Unterrichtsstil des Lehrers passt; wenn er nicht zum Unterrichtsprogramm passt; wenn er nicht zu den Lernaufgaben passt; wenn er nicht mit den subjektiven Überzeugungen des Lerners übereinstimmt, wie man erfolgreich eine Fremdsprache lernt; wenn er nicht zu den angewendeten Lernstrategien passt; oder wenn er nicht zu seinen Fähigkeiten passt. In Bezug auf die Optimierung des Lernerfolgs gibt es verschiedene Herangehensweisen, die im Idealfall zusammengeführt werden sollten, und zwara) die Anpassung des Lernstils eines Individuums an die Lernumwelt und/oderb) die Anpassung der Lernumwelt an den Lernstil eines Individuums. Während die untera) genannte Art der Anpassung eine Verhaltensmodifizierung auf Lernendenseite und damit die Erhöhung der Lerneraktivität zur Folge hätte, betont der unterb) genannte Ansatz die individuellen Unterschiede und verlangt die Anpassung der Lernumgebung an den Lernenden. Die Lernstilforschung diskutiert diese beiden Möglichkeiten als Matching und Stretching (u. a. Kinsella 1995; Ehrman 1996; Leaver, Ehrman und Shekhtman 2005). LernstilMatching verlangt von den Lehrenden eine Einstellung auf die vorliegenden Präferenzen der Lernenden, indem z. B. Lernaufgaben angepasst oder alternative Aufgabenstellungen angeboten werden. Als notwendige Voraussetzung hierfür gilt, dass sich Lehrende auch über ihren eigenen Lernstil bewusst werden, den sie möglicherweise unbewusst in ihrem Lehrstil präferieren. Außerdem sollen Lehrende Lernende dabei unterstützen, dass sie sich ihres Lernstils (und ihres Lernstrategiengebrauchs) bewusst werden (z. B. im Rahmen von Unterrichtsreflexionen über Lernerfahrungen und Lernweisen, auch über Verfahren der Selbstevaluation). Auf dieser Basis können sie eher erkennen, welche Lernstrategien von ihnen bevorzugt werden und welche Ϫ vielleicht zu Unrecht Ϫ vernachlässigt werden. Hier beginnt dann das Lernstil-Stretching: Lehrende sollen an solchen Reflexionen anknüpfen und Lernende dabei unterstützen, ihren Lernstil etwas flexibler zu gestalten bzw. ihre Komfortzone zu dehnen, indem sie andere evtl. verkümmerte Dimensionen erkennen und nutzen. Es gibt aber auch kritische und einschränkende Einschätzungen zu diesen Empfehlungen, die im prinzipiellen Zweifel an der Relevanz von Lernstilen für erfolgreiches Lernen von Fremdsprachen begründet sind (vgl. Dörnyei 2005: 157Ϫ159). Spätestens hier stellt sich die Frage, ob es überhaupt erstrebenswert ist, interindividuelle Unterschiede zu nivellieren bzw. die Individualität von Lernenden gezielt beeinflussen zu wollen. Insbesondere wenn man annimmt, dass der Lernstil ein Bestandteil der Persönlichkeit ist, muss gefragt werden, ob von Seiten eines Lehrenden überhaupt eine Berechtigung besteht, den Lernstil eines Lernenden zu verändern. Solange sich die Manipulation auf der untersten Ebene Ϫ nämlich der Strategienebene Ϫ bewegt, scheint sie legitim. Daher sollten sich die Handlungen der Lehrenden darauf beschränken, den Lernenden Angebote zu machen; ob diese sie letztendlich nutzen oder nicht, bleibt ihrer IX. Sprachenlernen: spezifische Variablen und Faktoren856 eigenen Entscheidung überlassen. Insgesamt betrachtet geben die Forschungsergebnisse Hinweise für die Notwendigkeit der Diagnose von Lernermerkmalen im Fremd- und Zweitsprachenunterricht sowie Hinweise für die Berechtigung unterschiedlicher Sozialformen (Binnendifferenzierung und Individualisierung) und dezidiert lernerorientierter Unterrichtsmethodologien. 6. 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Vorbemerkungen Bewusstmachende Verfahren haben in den Sprachlehrmethoden lange Zeit kaum eine Rolle gespielt, wenngleich sie in der Unterrichtspraxis durchaus zur Anwendung kamen. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich die Situation aufgrund der kognitiven Neuorientierung in der Fremdsprachen- und Muttersprachendidaktik grundlegend verändert. Sprachbewusstsein und Sprachlernbewusstheit sind zu zentralen Konzepten der Sprachenlehre geworden, auf die sich nahezu alle gegenwärtigen didaktischen Veröffentli-