Interkulturelle Landeskunde: Methoden 6.0. Allgemeine Überlegungen 6.1. Methodische Grundsätze der ABCD.Thesen 6.2. Arbeit mit Problemfeldern 6.3. Bilder im Kopf des Lernenden: Stereotype 6.4. Vergleich 6.5. Fragen - Hinterfragen von Bedeutungen 6.6. Handlungsorientierter Unterricht 6.7. Lehrbuchergänzende Materialsammlungen: Dossiers 6.0. Allgemeine Überlegungen Eine ausgearbeitete Methodik für interkulturelles Lernen oder für Landeskunde ist nicht zu finden. In „Landeskunde. Überlegungen zur Theorie und Methode" (Herrde/Marnette 1989), einem Überblick über den Stand der Landeskunde in der DDR im Jahre 1989, wird die Herausarbeitung einer Methodik der Landeskunde als Aufgabe für die Zukunft genannt und auch Buttjes stellte 1989 einen Mangel an theoretisch begründeten empirischen Arbeiten zu landeskundlichen und interkulturellen Lehr- und Lernverfahren fest und resümierte: „Das landeskundliche Curriculum könnte zuverlässiger konstruiert werden, wenn es bereits eine Theorie des interkulturellen Lernens gäbe" (Buttjes 1989, 115 und 117). So ist es also nicht möglich, in diesemMaterial ein geschlossenes Gebäude von Methoden und Unterrichtsverfahren für interkulturelles Lernen und Landeskunde vorzustellen. Vielmehr sollen ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige methodische Verfahren vorgestellt werden, die mir besonders geeignet erscheinen, ein solches Lernen zu unterstützen. Grundsätzlich spielen auch für interkulturelles Lernen alle Methoden kommunikativen Fremdsprachenunterrichts eine Rolle, da dieses in den Fremdsprachenunterricht integriert ist. Einige spezielle methodische Zugangsweisen, die zum Erreichen interkultureller Lernziele dienen können, hat Krumm wie folgt zusammengefaßt: * a) "Gezieltes Wahrnehmungstraining und Sensibilisierung für eigenkulturelle Prägungen (Lehrwerke 'Sichtwechsel', 'Sprachbrücke'); * b) Bewußte Konfrontation / Bewußter Vergleich eigenkultureller Prägungen und Manifesta-tionen mit den kulturellen Manifestationen der deutschsprachigen Länder ...; * c) Bedeutungsrecherchen und Bedeutungscollagen ...; * d) Kulturkontrastive Erfahrungen sammeln: eigene Erfahrungsberichte, ...; * e) Vorwissen aktivieren: Assoziogramme ...; Recherchen" (Krumm 1992, S. 19). Juliane House (1996) hält folgende Punkte bei der Vermittlung kommunikativer (interkultureller) Kompetenz im DaF-Unterricht als besonders beachtenswert: „(1) Angemessenes Verhalten in einem deutschen kulturellen Kontext setzt zunächst so viel Wissen wie derzeit verfügbar um Interaktionsnormen, Werte und Mentalitäten voraus, daß die kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen muttersprachlichen und deutschen konventionalisierten Erwartungen und Normen und deren Auswirkungen auf das kommuni-kative Verhalten der Beteiligten gewußt und bewußt werden und automatisch verfügbar sind ... (2) Ich möchte hier auch für die explizite Vermittlung von Sprach-/Kulturbewußtheit plädieren, z.B. durch reflexive Aktivitäten, anhand von beispielhaften Interaktionen (wie sie in (5) unten darzulegen sind) und verschiedenen Language-Awareness- und Aufmerksamkeitsübungen und Diskussionen, mit denen interkulturelle "rich points" in das Bewußtsein der Lerner lanciert werden können. Kognitive, das Wissen um und die Bewußtheit über unterschiedliche sprachliche und kulturelle Kommunikationsnormen und Perspektiven unterstützende Übungen lassen sich auch mit Paralleltexten und Übersetzungen realisieren, in denen interkulturelle Unterschiede explizit gemacht werden. Hierzu drei kurze deutsch-englische Beispiele ..., in denen die deutsche Vorliebe für Inhaltsorientiertheit und Explizitheit deutlich wird. * Beispiel 1: Schild vor einer Baustelle am Flughafen Frankfurt We apologize for any inconvenience work on our building extension is causing you! - Damit die Zukunft schneller kommt! * Beispiel 2: Filmtitel (aus der deutschen Fernsehzeitschrift FUNKUHR) The Errand Boy - Der Bürotrottel Where are the Children? - Grenzenloses Leid einer Mutter Mommie Deariest - Meine liebe Rabenmutter Trapped and Deceived - Wenn Eltern ihre Tochter verraten * Beispiel 3: Mr. Bean-Untertitel Will you get out there please! - Weg da! Everybody out now please - Die Badezeit ist zu Ende (3) Weitere Techniken zum Bewußtmachen kultureller Unterschiede sind z.B. der Einsatz kultureller Module, d.h. abgeschlossener u.U. multimedial aufbereiteter Lerneinheiten, die einen bestimmten Aspekt der Zielkultur thematisieren. (4) Der Lernprozeß selbst sollte im Hinblick auf eine erhöht Sensibilität für von eigenen Denk-/Verhaltensmustern abweichende Muster ins Zentrum des Interesses gerückt werden (Stichwort "process teaching"): hierzu können Lernertagebücher, die Verfassung von "Feldnotizen" durch die Lerner, Beobachtungen des Kommunikationsverhaltens von Ziel- und Eigenkulturträgern, Aufzeichnungen von "kritischen Situationen usw. dienen. (5) Damit das Wissen um kulturell-sprachliche Unterschiede zwischen dem Deutschen und der Muttersprache den Lernern automatisch verfügbar gemacht werden kann, bedarf es vielfältiger praktischer, kommunikativer, jedoch unbedingt theoriegeleiteter Übungen z.B. Rollenspiele, Simulationen, Scenarios usw. (Stichwort "experiential teaching"). In simulierten kritischen Situationen können fremde Kommunikationsgewohnheiten vermittelt und zugleich eigene Gewohnheiten der Interpretation bestimmter Kontextualisierungshinweise hinterfragt werden; andere können als möglich erduldet und anerkannt werden. (6) Die praktische und theoretisch-analytische Beschäftigung mit sog. "critical incidents" ist für die Vermittlung kommunikativer Kompetenz besonders ergiebig. Es sollte jedoch m. E. versucht werden, anstelle von Übungen mit sog. allgemeinen, "fremderstellten" Kulturstandards (vgl. Thomas, 1993) und anderen vorgefertigten kritischen Situationen von den Lernern persönlich erlebte "kritische Situationen" von ihnen selbst dokumentieren (und interpretieren) zu lassen. Hier bieten sich folgende Methoden an, die ich alle selbst im Rahmen deutsch-englischer interkultureller Forschungen erprobt habe: * (offene) Rollenspiele (mit anschließendem Interview) zwischen Muttersprachlern und Lernern; Rollenwechsel, so daß Lerner Muttersprachler spielen und umgekehrt. * Auf Tonband aufgezeichnete narrative Interviews über "kritische interkulturelle Situatio-nen". * Tagebuchartige, selbstreflexive "Feldnotizen" und Berichte über kritische interkulturelle Situationen. * "Teilnehmende Beobachtung" (auf Tonband aufgenommen) von authentischen Gesprächen (z.B. Gruppengesprächen; Familienessen). * Tonbandaufnahmen authentischer Gespräche ohne eigene Beteiligung. (7) Eine weitere Möglichkeit, im DaF-Unterrricht kommunikative Kompetenz zu fördern, ist die Verwendung von Multiple Choice-Aufgaben, die beim Aufdecken und gemeinsamen Nachdenken über Stereotypen als gefährlich-fertige Vorurteile oder als lebensnotwendige Orientierungen durch vorläufige Hypothesen sehr hilfreich sein können. Einen Einsatz solcher Multiple Choice-Aufgaben zum Testen von vorhandenem kulturellen Wissen, wie er z.B. in vielen zumeist aus den USA importierten sog. interkulturellen Mangagement-Trainingsmaterialien etc. bekannt ist, lehne ich jedoch ab, da hier tatsächlich oft nur stereotype Vorstellungen vom Verhalten anderer Sprach-und Kulturgemeinschaften kritiklos reproduziert werden. (8) Schließlich möchte ich noch einige allgemeine didaktischeVorschläge machen, wie kommunikative Kompetenz im DaF-Unterricht zu fördern ist: - Es muß den Lernern klargemacht werden, daß sie nie davon ausgehen können, daß andere sie verstehen und sie selbst andere verstehen. Dies bedeutet, daß die Lerner systematisch auf Verständigungsprobleme aller Art vorbereitet werden müssen, z.B. durch die Einübung von Strategien zur Bewältigung dieser Probleme wie: - Strategien der kontinuierlichen Verständnisüberwachung, des Feedbacks, der Fremd- oder Selbst-Reparatur und der Bedeutungsaushandlung: Lerner sollten also "online" immer auf Anzeichen von Mißverständnissen achten und lernen, Bedeutungen systematisch auszuhandeln. - Strategie der flexiblen Bewegung bei der Interpretation von Gesprächsbeiträgen von einer lokalen Mikrospektive zu einer globalen Makroperspektive, also vom Teil zum Ganzen und umgekehrt. - Strategie der Verzögerung einer "definitiven" Interpretation des Gesprächsbeitrags, d.h. sie sollten bereit sein, ihre Interpretation des ihnen Mitgeteilten als vorläufig und prinzipiell revidierbar anzusehen" (House (1996). **Zurück an den Anfang der Seite** 6.1. Methodische Grundsätze der ABCD - Thesen Bevor ich auf einzelne methodische Zugangsweisen genauer eingehe, sollen hier zunächst wichtige didaktisch-methodische Grundsätze aus den ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht (These 9 bis These 18) reflektiert bzw. zitiert werden. In diesen Thesen sind allgemeinere Aussagen und Grundsätze für die Auswahl von Themen und die methodische Arbeit zu finden, an denen die konkreten methodischen Zugangsweisen jeweils gemessen werden können.: 1. Landeskundevermittlung wird als ein Prozeß der aktiven Auseinandersetzung mit fremden Kulturen gesehen. Daraus folgt, daß die Lernenden an der Auswahl der Materialien und an der Gestaltung des Unterrichts beteiligt werden sollen und zu schöpferischer Arbeit anzuregen sind. 2. Informationen sollen möglichst anhand authentischer Materialien gewonnen werden. In diesen Materialien müssen verschiedene Sichtweisen auf die Gesellschaft berücksichtigt werden und auch die Widersprüche einer Gesellschaft einbezogen sein. Die Materialien sollen Neugier und Lust auf Entdeckungen bei den Lernenden wecken. „Die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden, darf nicht durch manipulierende Kommentare der Autoren verstellt werden." 3. "Die Akzeptanz landeskundlicher Stoffe hängt von der umsichtigen Auswahl sowohl sympathischer wie auch kritisch-kontroverser Informationen ab." 4. Da Landeskunde in hohem Maße Geschichte im Gegenwärtigen ist, sollten auch historische Themen und Texte ausgewählt und behandelt werden. Literarische Texte spielen für landeskundlichen Unterricht eine besondere Rolle: "Mit Hilfe von Literatur können die Unterschiede von eigener und fremder Wirklichkeit und subjektiver Einstellungen bewußt gemacht werden, zumal literarische Texte gerade dadurch motivieren, daß sie ästhetisch und affektiv ansprechen." 5. Die Vielfalt deutschsprachiger Regionen, die sich bei vielen Gemeinsamkeiten auch durch unterschiedliche historische, politische, kulturelle und sprachliche Entwicklung auszeichnen, sollte im Unterricht berücksichtigt werden. 6. Landeskundeunterricht sollte an Spuren der fremden Kultur im eigenen Land anknüpfen, Vorkenntnisse und Klischees aufgreifen und Gelegenheit zur Überprüfung und Korrektur dieser Vorkenntnisse und Klischees geben. 7. Landeskundeunterricht muß der Verarbeitung von Erlebnissen, subjektiven Meinungen und dem emotionalen Zugang Raum geben, weil eine fremde Kultur häufig emotional und subjektiv erfahren wird. 8. Landeskunde weist über den Sprachunterricht hinaus und vernetzt ihn mit anderen Lernbereichen. Das erfordert Methodenvielfalt und Förderung des selbständigen und autonomen Lernens. **Zurück an den Anfang der Seite** 6.2.Arbeit mit Problemfeldern Integratives Arbeiten meint die Zusammenführung mehrerer miteinander zusammenhängender Teilthemen unter einem Dachthema. Auf diese Weise wird der Zusammenhang und die Vernetzung von Tatsachen und Problemen in einer Gesellschaft und damit die Komplexität dieser Gesellschaft sichtbar. Bettermann (1989) plädiert dafür, den landeskundlichen Lehrstoff, also solche Teilthemen als „Problemfelder" zu verstehen, die einerseits die notwendige Begrenzung des Stoffes gestatten und andererseits den Blick auf wesentliche Zusammenhänge und weiterführende Prozesse erlauben. Die Konzentration auf den Problemgehalt des landeskundlichen Stoffes bedeutet seiner Meinung nach für die Lehrpraxis „die Durchbrechung der chronologisch-systematischen Methode zugunsten thematisch-korrelativen Vorgehens mit der Hauptform der Projektarbeit", wobei er „auf das Spannungsfeld zwischen scheinbar oder tatsächlich widersprüchlichen sachinformatorischen und problematisierenden, z.T. auch provozierenden Texten" setzt (Bettermann 1989, 235). Für die Entwicklung einer landeskundlichen Kompetenz (speziell bei ausländischen Germanistikstudenten) stellt Bettermann folgende Überlegungen zur Diskussion, die für das methodische Vorgehen bedenkenswert sind: 1. „Der Erfolg der lk. Ausbildung hängt in entscheidendem Maße von einer möglichst genauen Analyse des Ausgangsniveaus (Vorwissen ...) ab. 2. Das lk. Wissen muß in der Einheit von Theorie und Praxis (Studium, Anschauung, Erlebnis) erworben werden. 3. Das lk. Studium eines Problemfeldes muß möglichst viele Ebenen der Realität und ihrer Widerspiegelung erfassen und darf nicht primär oder ausschließlich auf einem vorgegebe-nen Landesbild beruhen (objektiviertes Wissen statt reinem Lehrbuchwissen). 4. Die lk. Aufgaben müssen mit solchen Arbeitsmethoden und -mitteln gelöst werden, die den Ebenen adäquat sind und den Prozeß der Objektivierung, Typisierung und Klassifizierung fördern. 5. Die lk. Ergebnisformen stellen lk.-fremdsprachliche Einheiten dar, in denen dem schöpferischen Element gegenüber dem schematischen Leistungsnachweis der Vorrang zukommt" (Bettermann 1989, 240). In Punkt 4 sind mit „Ebenen" inhaltliche Ebenen gemeint, wie z.B.: Staat/Gesellschaft; Alltag; Öffentlichkeit; Kunst und Literatur usw. Diesen inhaltlichen Ebenen ordnet Bettermann landeskundliche Aufgaben zu. Solche Aufgaben sind beispielsweise: Textanalyse; Exkursionsbericht; Beobachtung; Befragung; Interview; Interpretation; Selbststudium usw. (Vgl. Bettermann 1989, 244). Ein Beispiel für integratives Arbeiten finden Sie hier: Landeskunde als Netzwerk (nachPenning 1995. Interessant an diesem Beispiel sind vor allem die Fragehorizonte, in denen sich das Thema entfaltet, denn diese sind auf andere Themen übertragbar: * institutionell * politisch * ideologisch * historisch * pragmatisch * kulturell. **Zurück an den Anfang der Seite** 6.3. Bilder im Kopf des Lernenden: Stereotype Landeskundliches Lernen und Lehren muß sich auf die Lernenden und deren Voraussetzungen einstellen. Das können zum einen lernstufen- und altersabhängige Lernervoraussetzungen sein. Buttjes schlägt zum Beispiel vor, im Anfangsunterricht vor allem das Bewußtsein für sprachlich-kulturelle Differenzen zu entwickeln und erste Eindrücke abweichender kultureller Erfahrungen bei der Begegnung mit dem anderen Sprachsystem zu sammeln. Am Ende der Sekundarstufe I sollen dann die Jugendlichen interessierende sozialkundliche Themen (wie z.B. Adoleszenz, Minoritäten u.a.) auf einem konkreten Kulturhintergrund behandelt werden. In der Sekundarstufe II gehe es dann um berufsorientiertes, handlungsspezifisches landeskundliches Wissen (Buttjes 1989, 117/118). Lernervoraussetzungen beachten heißt aber auch, das Bild vom Zielsprachenland, das der Lerner (durch eigene Erfahrungen, Medien oder Unterricht vermittelt) im Kopf hat und mitbringt in den Unterricht, ernst zu nehmen: "Die Bilder, die einer vom fremden Land hat, haben oft mehr mit dem eigenen Kopf zu tun als mit der fremden Wirklichkeit... Jeder, der Deutsch lernt, bringt schon Vorstellungen über die Deutschen und die deutsche Sprache in den Unterricht mit, Erfahrungen (z.B. mit deutschen Touristen), Ängste (vor der 'schweren' Sprache), Klischees und Vorurteile" (Krumm 1992, 16). Diese Klischees und Stereotype aufzunehmen, von ihnen auszugehen und sie durch eine differenzierte Sicht auf die Gesellschaft und Kultur der Zielsprache aufzubrechen - das ist ein wichtiges Anliegen einer lernerorientierten interkulturellen Landeskunde. Dabei sind Stereotype durchaus nicht nur negativ, sondern sehr ambivalent zu sehen. Deshalb soll in einem kurzen Exkurs näher auf diesen Begriff eingegangen werden: Quasthoff definiert ihn wie folgt: "Ein Stereotyp ist der verbale Ausdruck einer auf soziale Gruppen oder einzelne Personen als deren Mitglieder gerichteten Überzeugung. Es hat die logische Form eines Urteils, das in ungerechtfertigt vereinfachender und generalisierender Weise, mit emotional wertender Tendenz, einer Klasse von Personen bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu- oder abspricht. Linguistisch ist es als Satz beschreibbar. Es zeichnet sich durch einen hohen Verbreitungsgrad innerhalb der kulturellen Bezugsgruppe aus" (Quasthoff 1989, 39). In der Kommunikation bieten Stereotype eine Hilfe bei der Einschätzung und Bewertung von Situationen und helfen so, kommunikative Situationen zu beherrschen. Sie haben eine Entlastungsfunktion in Konfliktsituationen und sie erleichtern die Orientierung und das soziale Verhalten auch in neuen und damit unsicheren Situationen (vgl. Bußmann (1983, 504). Sie haben * eine kognitive, * eine affektive und * eine soziale Aufgabe. In diesen drei Aufgabenbereichen findet sich immer ein Nebeneinander von positiven, notwendigen und von negativen Funktionen. Quasthoff konkretisiert diese Funktionen von Stereotypen und zieht folgende Konsequenzen für die Praxis interkultureller Kommunikation (mithin auch für die Praxis interkulturellen Lernens und Lehrens): * „Aus der Einsicht in die unabwendbare Funktion von Stereotypen als Teil der sozialen Kognition, als Form der Wahrnehmung des Anderen immer aus der Perspektive der eigenen Bezugsgruppe ... muß Einsicht in die Tatsache folgen, daß interkulturelles Lernen nie ausschließlich auf die Kultur der Zielsprache fokussieren darf. Das Modell dieses Lernprozesses, das einer Theorie der interkulturellen Kommunikation zugrundeliegt, muß immer relational sein: Unter den Bedingungen einer definierten eigenen Identität werden Schemata über andere soziale Gruppen angewendet, neu gebildet, korrigiert, differenziert." * „Die Reflexion über diesen Lernprozeß hat bei der Reflexion und Bewußtmachung der eigenen Identität zu beginnen. Ohne eine klar definierte - und zwar nicht im wissenschaftlichen Sinn, sondern im Sinne eines stabilen, sicheren und interaktiv 'etablierten' Selbstbildes - ist ein interkultureller Kontakt in vieler Hinsicht anfällig." Ursprünglich wirksame Schemata können verändert werden, wenn „die Relation zwischen der eigenen und der (zunächst) fremden Kultur realistisch, - d.h. in ihrer kontextspezifischen Relativität - in den Mittelpunkt der Analyse gerückt wird." * Das Wissen um den affektiv-wertenden Charakter von Stereotypisierungen sollte zu der Einsicht führen, daß es die interkulturelle Kommunikation eigentlich gar nicht gibt. „Vielmehr ist immer zu fragen: Wie ist das politische Verhältnis der beiden beteiligten ethnischen oder nationalen Gruppen zueinander? ... Was ist das Image der Kultur der Zielsprache aus der Sicht des Lerners bzw. seiner Bezugsgruppe? Wie ist die Bezugsgrup-pe und damit auch die Identität des Lerners in der jeweiligen Interaktion definiert? Wird diese Identität dominiert durch die nationale oder ethnische Zugehörigkeit, wie das in allen 'Ausländerghettos' der Fall ist?" * Die soziale Funktion von Stereotypisierungen, die der ingroup-outgroup-Abgrenzung und entsprechender sozialer Kategorisierungen dient (ohne die im übrigen eine Orientierung im Alltag des Zusammenlebens nicht möglich wäre), kann verständnishemmend wirken durch Abgrenzung nach außen und durch Ausgrenzung des „Fremden". Daraus "folgt nun nicht notwendigerweise eine Kapitulation vor den ...verständnishemmenden Aspekten dieser Funktion. Die Aufrechterhaltung und das gegenseitige Akzeptieren und Markieren der Andersartigkeit schließt das Bedürfnis oder die Notwendigkeit, sich über diese 'Grenzen' hinweg zu verstehen, nicht in jedem Fall aus." Voraussetzung dafür ist freilich, daß das Mißverstehen nur auf mangelndem Wissen über den „kulturellen Code" des anderen basiert. Bei einem Mißverstehen, das seine Ursache in Feindschaft oder Haß hat, wird jedes Konzept von Sprachverstehen oder interkulturellem Lernen scheitern (Quasthoff 1989, 56 - 58.). Weitere Informationen zu Stereotypen finden Sie unter anderem unter den folgenden Links: * Aus einer Diplomarbeit zur Fremdwahrnehmung (von Daniela Ellmauer) * Psychologie-Fachgebärdenlexikon im Internet * Stereotypen in der Massenkommunikation als Mittel der Gleichschaltung von öffentlicher Meinung in: Masse, Macht und Rangordnung beim Menschen * E. Marc Lipiansky:Heißt interkulturelle Ausbildung Bekämpfung von Stereotypen und Vorurteilen? Lipiansky schreibt über diese Studie: "Diese Studie will, nach einem Abriß der wichtigsten Erkenntnisse aus den Arbeiten über Stereotypen und Vorurteile, zeigen, daß die Wahrnehmung des Anderen (des Fremden; desjenigen, der einer anderen Kultur angehört) nicht allein auf diese Dimension reduziert werden kann. Ich werde ebenso versuchen, die Konsequenzen darzulegen, die man aus diesen Überlegungen für eine Pädagogik des interkulturelles Lernens ziehen kann." Zurück zu den Lernervoraussetzungen. Neben dem Alter bzw. der Lernstufe und den Bildern im Kopf der Lernenden sollte auch ihre Herkunftskultur und ihre damit verbundenen Lerngewohnheiten beachtet werden. Das ist nicht nur wichtig bei der Auswahl der Inhalte (ein anschauliches Beispiel ist dazu bei Sturm 1994, 91 zu finden) sondern auch wichtig bei der Auswahl der methodischen Verfahren. Noch so ausgeklügelte Projekte und noch so gut durchdachter handlungsorientierter Unterricht wird scheitern, wenn damit eine Lernergruppe „überfallen" wird, die mit Sprachunterricht nur die Vorstellung und die Erfahrung von traditionellem Vokabel- und Grammatiklernen oder Auswendiglernen verbindet. Die alte didaktische Weisheit, den Lernenden dort abzuholen wo er ist (nicht dort, wo ihn der Lehrer gern hätte), gilt auch für die Verwendung methodischer Verfahren. Unter Umständen müssen Lernende erst an modernes Fremdsprachenlernen und -lehren langsam herangeführt werden und vielleicht gibt es auch Situationen, in denen handlungsorientierte Lernverfahren gar nicht möglich sind, sondern der Lehrer versuchen muß, mit traditionellen Verfahren interkulturelles Lernen anzustoßen. **Zurück an den Anfang der Seite** 6.4. Vergleich „In allen interkulturellen Situationen werden unbewußt und bewußt Vergleiche angestellt; ohne Vergleichshandlungen kann sich kein Sprecher in die Perspektive des anderen hinein-versetzen", so Müller (1988, 34). Er stellt fest, daß „Vergleichen eine komplexe Handlung ist, in den meisten Fällen Bewertungsintentionen verfolgt und daß sie für interkulturelle Situationen charakteristisch ist. ... Der Vergleich stellt eine, wenn nicht die kognitive Operation zur Erkenntnisgewinnung dar: Neues, Fremdes wird auf der Vergleichsgrundlage des bisher Erfahrenen integriert"; der Vergleich ist der wohl wichtigste „der dem interkulturellen Verstehen zugrundeliegenden kognitiven Akte" (Müller, 1988, 37 und 75). Hauptproblem des interkulturellen Vergleichens ist, daß Ungleiches mit gleichen Kriterien in Bezug zueinander gesetzt werden muß und daß selbst diese Kriterien kulturspezifisch geprägt sind. Auch aus diesem Grund ist ein tertium comparationis, eine von den konkreten kulturellen Erscheinungen abgehobene und abstrakte Vergleichsebene, so wichtig (vgl. dazu Thema 5.3. dieses Readers). Das Vergleichenkönnen zwischen Kulturen basiert auf der Entwicklung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, d.h. der Fähigkeit, sich in die Position des anderen versetzen zu können, um seine Perspektive von dieser Situation oder von einer bestimmten Sache zu erkennen (vgl. Müller 1988, 39 und 44). Mit Hilfe einer Textanalyse stellt Müller (1988, 70 ff.) die folgenden Interkulturellen Vergleichstypen zusammen (den Vergleichstypen sind Beispiele aus dem von Müller analysierten Text beigegeben; die sprachlichen Indikatoren des Vergleichs sind kursiv geschrieben): 1. ADORDINATION, Identitätsrelation herstellen (auch junge Franzosen) 2. GEGENSÄTZLICHE INHALTE / ERWARTUNGEN (aber sie tun es kaum; doch von X ist wenig zu spüren; schon beim Mittagessen ...) 3. GRADUELLE DIFFERENZ; etwas Identisches graduell anders qualifizieren / quantifizieren (die Inflation ist kräftiger als bei uns; Leute gehen nicht so schnell weg von der Familie wie bei euch; mehr Platz; die Provinzblätter sind eher konservativ ...) 4. NEGATION / NICHTPHÄNOMEN; etwas Nichtvorhandenes angeben, das jedoch 'sein' könnte (keine Proteste; sie tun es kaum; es gibt nicht dieses lange Zwischenstadium; die meisten Fernsehsendungen sind unpolitisch; man ist nicht so nervös ...) 5. EXISTIEREN, kulturspezifische Phänomene aufzeigen (die Jugend ist so ruhig; es ist selbstverständlich, daß...) 6. META-VERGLEICH, Unterschiedsgrade vergleichen (der Unterschied von X/F zu X/BRD ist klei-ner/größer als der von Y/F zu Y/BRD) (das Leben an Schulen/Unis unterscheidet sich noch mehr von deutschen Verhältnissen als das beschriebene Familienleben...) Ein solches Vergleichen ist allerdings punktuell angelegt, einskalig und ahistorisch und deshalb problematisch. „Im Germanistik-Studium möchte man als Unterrichtender jedoch mehr fordern als die Fähigkeit, in interkulturellen Situationen mit der Bundesrepublik Einzelim-pressionen (KNACKWÜRSTE und BIER, KUCHENESSEN und PERFEKTION) zu sammeln und als solche mit Eigenkulturellem in Beziehung zu setzen. Spätestens nach den ersten Landeskunde-Einheiten müssen Studierende in der Lage sein, wenigstens in Bezug auf die dort präsentierten neuen Informationen die Perspektivenübernahme zu versuchen. Generell erfordert eine Perspektivenübernahme oder -koordinierung komplexere Denkoperationen, als sie oben ... gezeigt wurden. So ist die Aussage (9) Die Inflation ist kräftiger als bei uns. weiter zu differenzieren: * Welche Bedeutung hat INFLATION überhaupt im französischen System von POUVOIR D' ACHAT (Kaufkraft) - NIVEAU / BLOCAGE DES PRIX (Preisniveau/ -stopp) - SALAIRES (Lohnentwicklung), INVESTISSEMENTS (Investitionen), CHOMAGE (Arbeitslosigkeit) etc.? * Welche Konsequenzen hat dies für Frankreich? Ist es für französische Politiker oder/und Gewerkschaftsvertreter negativ/positiv, diese Inflationsrate zu haben? * Was bedeutet die Inflation im internationalen Vergleich?" (Müller, 1988, 73). Vergleichen ist also eine komplizierte sprachliche und kognitive Tätigkeit, die ein Identifizieren (Gleichheit feststellen), Differenzieren (Unterschiede/Nichtgleichheit feststellen) und eine Komparation (Verschiedenheit in der Gleichheit messen) einschließt. Deutlich ist auch geworden, daß es beim interkulturellen Vergleichen in der Landeskunde nicht um einen einfachen Alltagsvergleich gehen kann, wie wir ihn ständig mehr oder weniger bewußt vornehmen. Vor diesem Alltagsvergleich warnt auch Pauldrach (1992, 12 - 13). Er führt aus, daß die Komparation beim Vergleichen in der Regel nur quantifizierend sein kann, da sie stets nur ein „Mehr" oder „Weniger" eines Aspekts an zwei verschiedenen Gegenständen feststellt. Mit diesem „Mehr" oder „Weniger" ist häufig eine Bewertung verbunden, d.h. ein „Besser" oder „Schlechter". Diese bewußt oder unbewußt wertende Vergleichshandlung beherrscht offensichtlich unser Alltagsleben; sie ist jedoch ungeeignet für interkulturelle Vergleiche. Insofern kritisiert Pauldrach den oben zitierten Ansatz von Müller, daß der Vergleich die kognitive Operation zur Erkenntnisgewinnung sei: „Der 'alltägliche', 'normale' Vergleich ... kann kein Instrument der Erkenntnisgewinnung sein; er setzt vielmehr die (Er)Kenntnis der verglichenen Gegenstände voraus... Der Vergleich beherrscht zwar unser Alltagsdenken und ist insofern auch praktische Voraussetzung von Fremdsprachenunterricht, er sollte aber gerade nicht als Methode zur Erkenntnisgewinnung behauptet werden. Er hat vielmehr seinen Platz am Ende des Verstehens- und Verständigungsprozesses zwischen zwei Gesellschaften und Kulturen, er ist sein Ziel. Ein Ergebnis einer solchen reflektierten (und nicht vorschnellen) Vergleichsdidaktik wird dann auch die Erkenntnis sein, daß viele Erscheinungen in anderen Kulturen / Gesellschaften eben ... nicht vergleichbar, sondern anders sind: Das Fremde wird als Fremdes erkennbar und bleibt - fremd und anziehend zugleich" (Pauldrach 1992, 13). Diese Forderung nach einer reflektierenden Vergleichshaltung wurde schon weiter oben bei Müller deutlich, wenn dieser von Germanisten für den Vergleich den Versuch einer Perspektivenübernahme und ein Hinterfragen (d.h. hinter die Oberfläche des Wahrgenommenen fragen) der verglichenen Erscheinungen verlangt. **Zurück an den Anfang der Seite** 6.5. Fragen - Hinterfragen von Bedeutungen Ein Gedächtnisprotokoll einer Alltagssituation von Bernd-Dietrich Müller (zum Text bitte hier klicken) verdeutlicht, daß Sachen, Dinge und Begriffe und deren Bedeutungen kulturabhängig sind. Mit Hilfe von Fragen hinter die Oberfläche von Wahrgenommenem zu kommen, sich den kulturellen Hintergrund von Wörtern oder Dingen in einer fremden Kultur zu erschließen, ist eine wichtige Methode und Strategie für interkulturelles Lernen. Für solche Bedeutungsrecherchen, d.h. für das Hinterfragen der Bedeutung eines Wortes oder einer Sache , hat Müller am Beispiel „Café" ein Frageraster vorgestellt, das sich meines Erachtens auf andere Bedeutungsrecherchen übertragen läßt: 1. Innen-/Außenperspektive : Ist X (= Café) eher ein privater oder öffentlicher Ort? Ist X eher ein geschlossener oder öffentlicher Raum? Ist man dort allein oder in der Gruppe? 2. Soziologische Perspektive: Welchen sozialen Schichten gehören die Menschen an, die in X gehen? Ist der Inhaber Angestellter oder Besitzer? Gehen eher junge oder ältere Men-schen dorthin? 3. Distributionsperspektive: Wann, zu welcher Tageszeit geht man dorthin? Was ißt/trinkt man? wie häufig? Wo liegt X (in einer Stadt/Im Land?) Wie lange hält man sich dort auf? 4. Historische Perspektive: Gab es X schon immer? Ist X gerade in Mode? Als was hat es X früher gegeben? Wie entwickelt sich X? 5. Emotionsperspektive: Löst X positive oder negative Emotionen aus? kann man mit X solche Emotionen auslösen? 6. Intrakulturelle Vergleichsperspektive: Wie grenzt sich X von Y ab, das eine ähnliche Bedeutung hat? 7. Interessenperspektive: Welche Ziele /sekundären Ziele haben die Personen, die sich in X aufhalten? 8. Symbolperspektive: Wie wird X angesehen? Wofür steht es, X zu benutzen? Welcher sozialen Gruppe wird X zugeordnet? Die Lernenden sollten dieses Frageraster nicht als starres Schema verstehen, das sich nur auf eine konkret geübte Situation anwenden ließe. Sie sollten vielmehr die Art dieses Fragens als Methode und Strategie begreifen, sich Dingen in der fremden Kultur zu nähern. Damit wird das Hinterfragen (ebenso übrigens wie das reflektierende Vergleichen) selbst zum Lernstoff und sollte trainiert werden. **Zurück an den Anfang der Seite** 6.6. Handlungsorientierter Unterricht Handlungsorientiertes Lernen ist ganz besonders geeignet, interkulturelle Lernziele zu erreichen. Das soll die folgende kurze Charakterisierung dieses Unterrichts zeigen (nach: Jank/Meyer 1991): Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und lerneraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Lernern vereinbarten Handlungsprodukte die Gestaltung des Lernprozesses leiten, so daß Kopf- und Handarbeit in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander gebracht werden. Handlungsorientierter Unterricht macht dem Lehrer manchmal Angst, weil er nicht so gut planbar ist, wie traditionelles Lehren. Aber er ist bei vielen Themen eine mögliche Ergänzung oder Alternative zu diesem traditionellen Unterricht, denn: * Handlungsorientierter Unterricht ist ganzheitlich. Er will „den ganzen Lerner" ansprechen (Kopf und Herz und Hand). Er versucht, Inhalte ganzheitlich auszuwählen aufgrund der Fragen, die sich für den Lernenden ergeben. Er arbeitet mit ganzheitlichen Methoden, wie Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Rollenspielen und Projektunterricht. * Handlungsorientierter Unterricht ist lerneraktiv. Die Lernenden sollen selbst erkunden, planen, erproben, entdecken. Der Lehrer ist Berater. * Handlungsorientierter Unterricht hat als Ziel die Herstellung eines Handlungsproduktes, das ist ein „veröffentlichungsfähiges materielles oder geistiges Ergebnis der Unterrichtsarbeit. Handlungsprodukte können inszeniert werden (Rollenspiele), hergestellt werden (Collage, Modell, Kurszeitung) oder ausgeweitet werden zu größeren Vorhaben (Ausstellung, Aufführung, Workshop). * Handlungsorientierter Unterricht bemüht sich, die subjektiven Lernerinteressen zum Ausgangspunkt des Lernens zu machen und gibt damit Gelegenheit, durch handelnden Umgang mit neuen Themen die eigenen Interessen weiterzuentwickeln. * Handlungsorientierter Unterricht beteiligt den Lernenden von Anfang an an der Planung, Durchführung und Auswertung des Lernprozesses. Ziele, Inhalte und Methodenwahl wer-den mit den Lernenden zusammen gefunden * Handlungsorientierter Unterricht führt zu einer Öffnung der Schule bzw. Universität nach innen (Lehrer und Lernende gehen aufeinander zu) und nach außen (Lernorte werden nach außerhalb des Unterrichtsraumes verlagert). Im Zusammenhang mit Formen und Methoden eines solchen handlungsorientierten Lernens und Lehrens ist auch das Verhältnis zwischen Lehrer und Lernendem zu überdenken. Gerade in einer lernerorientierten interkulturellen Landeskunde gibt es nicht mehr den „allwissenden Lehrer", der vom Katheter herab „objektive Wahrheiten" verkündet (gibt es diesen Lehrer überhaupt noch ?). Ich denke, hier ist ein Perspektivenwechsel im Verständnis von Lehrer und Lerner notwendig. Paulo Freire nannte einen solchen Perspektivenwechsel „problemformulierende Bildungsarbeit", die er dem „Bankierskonzept der Erziehung" gegenüberstellt, „in dem der den Schülern zugestandene Aktionsradius nur so weit geht, die Einlagen (das Faktenwissen, U.Z.) entgegenzunehmen, zu ordnen und aufzustapeln" (Freire 1973, 57), wie der Bankier die Geldscheine. "Durch Dialog hört der Lehrer der Schüler und hören die Schüler des Lehrers auf zu existieren, und es taucht ein neuer Begriff auf: der Lehrer-Schüler und die Schüler-Lehrer. Der Lehrer ist nicht länger bloß der, der lehrt, sondern einer, der selbst im Dialog mit den Schülern belehrt wird, die ihrerseits, während sie belehrt werden, auch lehren. So werden sie miteinander für einen Prozeß verantwortlich, in dem alle wachsen ...Die problemformulierende Methode ... betrachtet Erkenntnisobjekte ... als Gegenstand der Reflexion durch ihn (den Lehrer, U.Z.) und seine Schüler. Auf diese Weise gestaltet der problemformulierende Pädagoge seine Reflexion beständig in der Reflexion der Schüler um. Die Schüler - nicht länger brave Zuhörer - sind nunmehr die kritischen Mitforscher im Dialog mit dem Lehrer. In der problemformulierenden Bildung entwickeln die Menschen die Kraft, kritisch die Weise zu begreifen, in der sie in der Welt existieren, mit der und in der sie sich selbst vorfinden. Sie lernen die Welt nicht als statische Wirklichkeit, sondern als eine Wirklichkeit im Prozeß se-hen, in der Umwandlung" (Freire 1973, 64 ff.). An den bisherigen Darlegungen zum handlungsorientierten Lernen wird sichtbar, daß diese Art des Unterrichts ihre historischen und wissenschaftlichen Grundlagen in der reformpädagogischen Tradition (z.B.: Kerschensteiner, Freinet, Montessori u.a.) hat. Eine zweite wis-senschaftliche Grundlage ist die Tätigkeitstheorie der sowjetischen kulturhistorischen Schule (Wygotski, Leontjev, Galperin): Für A.A. Leontjew hat die Tätigkeit drei Seiten: Motivation, Ziel und Vollzug. „Der einzelne Tätigkeitsakt ist die Einheit aller drei Seiten. Er beginnt mit einem Motiv und einem Plan und endet mit einem Resultat, mit der Erreichung des anfangs festgelegten Zieles; in der Mitte aber liegt ein dynamisches System konkreter Handlungen und Operationen, die auf diese Er-reichung ausgerichtet sind." Strukturhaftigkeit und Zielgerichtetheit sind „die zwei wichtig-sten Charakteristika jeder spezifisch menschlichen Tätigkeit" (Leontjev, A.A. 1971, 31). „Grundkomponenten der einzelnen menschlichen Tätigkeit sind die sie realisierenden Handlungen. Mit Handlung bezeichnen wir einen Prozeß, der der Antizipation des Resultats untergeordnet ist, das erreicht werden soll, d.h. ein Prozeß, der einem bewußten Ziel unter-geordnet ist" (Leontjew, A.N. 1984, 21). Eine Handlung hat zwei Aspekte: einen intentionalen Aspekt (was erreicht werden soll) und einen operationalen Aspekt (wie, mit welchen Mitteln, auf welche Weise das Ziel erreicht werden soll). Beide Aspekte entfalten sich in folgenden Phasen: * Auftreten eines Antriebs als Reaktion auf eine äußere Forderung, eigene Zielvorstellungen, Bewußtwerden eines Bedürfnisses; * Orientierung und Entscheidungsvorbereitung, Überlegungen zu Ziel und Ergebnis; * Entscheidung für konkrete Ziele und Realisierungswege; * Erarbeitung eines Handlungsprogramms; * Ausführung der Handlung unter starker Bezugnahme auf die im Programm festgelegten Ziele und Realisierungswege (Operationen); * Überprüfung des Ergebnisses, Vergleich Ziel - Ergebnis. Diese Phasen greifen ineinander, müssen nicht aufeinander folgen und es gibt Vor- und Rückgriffe (vgl. Wörterbuch der Psychologie 1981). Dieses Phasenmodell darf nicht unmittelbar als Modell für den Unterricht angewendet werden, aber Vorschläge für die Struktur von handlungsorientierten Unterrichtsphasen oder Projekten lehnen sich deutlich daran an. So schlagen beispielsweise Jank/Meyer folgendes Planungsraster für den Lehrer vor (vgl. Jank/Meyer 1991): 1. Ich treffe eine vorläufige Entscheidung über das ARBEITSTHEMA 2.VORBEREITUNGSPHASE * Ich kläre die fachwissenschaftlichen Vorgaben, Strukturen und Probleme der Bearbeitung des Themas. * Ich kläre, welche Vorgaben durch Richtlinien, Schulbücher und Fachkonferenzbeschlüsse gegeben sind. * Ich kläre die organisatorischen Voraussetzungen. * Ich mache mich im vorgesehenen Arbeitsgebiet fachlich kompetent (durch Lektüre, Gespräche usw.) * Ich formuliere Hypothesen über die Lernvoraussetzungen und Interessen der Schüler zum Thema * Ich formuliere meine LEHRZIELE und ich formuliere Hypothesen über die HANDLUNGSZIELE der Schüler. 3. EINSTIEGSPHASE: Ich versuche, einen handlungsbezogenen Unterrichtseinstieg zu organisieren. Ich vereinbare mit den Schülern Handlungsergebnisse eventuell: eine weitere Vorbereitungsphase 4. ERARBEITUNGSPHASE: * Lehrer und Schüler arbeiten in großen und kleinen Gruppen an der gestellten Aufgabe: Arbeitsplanung, Materialbeschaffung, Kontaktvermittlung * eventuell: lehrgangsmäßige Einschübe zur Vermittlung von Fachkompetenz * eventuell: Erkundigungsgänge, Hearings, Erholungspausen * eventuell: eingeschobene individuelle Leistungsüberprüfungen 5. AUSWERTUNGSPHASE: * Die Arbeitsergebnisse werden im Klassenplenum vorgestellt, vorgespielt, erprobt / zur Überarbeitung an die Gruppen zurückgegeben. * Die Schüler spielen/ arbeiten/ handeln mit den Arbeitsergebnissen und üben dabei. * Lehrer und Schüler entscheiden, ob Teile oder sämtliche Handlungsergebnisse veröffentlicht werden sollen und in welcher Form dies erfolgen soll. Einige Unterrichtsformen und Methoden handlungsorientierten Arbeitens sollen im folgenden kurz charakterisiert werden: 6.6.1. Projektorientierter Unterricht Eine wichtige Methode handlungsorientierten Arbeitens ist die Projektarbeit. „Ein Projekt im Rahmen schulischen Unterrichts ist ein Vorhaben, das von Lehrern und Schülern gemeinsam getragen und verantwortet wird und das sich auszeichnet durch eine begrenzte Bezogenheit auf die Gesellschaft. Dieser Gesellschaftsbezug wird vor allem deutlich im Ergebnis des gemeinsamen Vorgehens, das irgendwie gesellschaftlich relevant, also 'einsetzbar' und 'benutzbar' sein soll. ... Unterrichtsprojekte sind gekennzeichnet durch: 1. ein konkretes Ziel, das es erlaubt, Sprache in kommunikativer Funktion zu verwenden, das es erlaubt, Neues, Fremdes zu entdecken und zu erfahren; 2. gemeinsame Planung und Ausführung durch Lehrer und Schüler, wobei zunächst einmal die Schüler versuchen, mit ihren vorhandenen Sprachkenntnissen zurechtzukommen. Der Lehrer ist der sprachliche und sachliche Helfer, der Sprachunterricht liefert diejenigen sprachlichen Mittel, die zur Bewältigung der Aufgabe gebraucht werden; 3. die Hereinnahme der Außenwelt in den Unterricht bzw. die Erweiterung des Unterrichts in die Außenwelt hinein, wobei die Einheit von Sprache und Handeln, von Sprache und Situation konkret erfahrbar wird; 4. die selbständige Recherche und Aktion der Schüler unter Benutzung aller verfügbaren Hilfsmittel, zu denen z.B. Wörterbücher und Grammatiken ebenso gehören wie evtl. Schreibmaschine, Computer, Mikrophon oder Kamera; 5. ein präsentables Ergebnis, das auch über das Klassenzimmer hinaus als Poster, Zeitung, Korrespondenz, Aufführung o.ä. vorgezeigt werden kann und im günstigsten Fall (z.B. bei der Klassenkorrespondenz) weitere Aktionen nach sich zieht. Spracharbeit (d.h. Fehler-korrektur, Grammatikarbeit, Schreiben) vollzieht sich dabei in Form der Überarbeitung und Verbesserung des Produktes, d.h. die Klasse wird, wie von Freinet gefordert, zur 'Werkstatt'" (Krumm 1991, 5 und 6). Diese auf den Schulunterricht bezogene Erläuterung von Projektarbeit läßt sich auch auf Projekte im Hochschulbereich (Aus- und Weiterbildung ausländischer Germanisten) anwenden. Verschiedene solcher Projekte wurden an der Pädagogischen Hochschule Dresden und später an der TU Dresden in Sommerkursen für Germanistikstudenten und Deutschlehrer durchgeführt und ausprobiert. Dabei hat sich die folgende didaktische Struktur als eine gute Möglichkeit für die Arbeit an solchen Projekten herausgestellt: 1. Orientierungsphase In dieser vorbereitenden Phase für die selbständige Durchführung des Projektes, die noch relativ stark durch den Projektleiter gelenkt wird, geht es in erster Linie um die Aktualisierung landeskundlichen und sprachlichen Vorwissens. In bewußtem Anknüpfen an dieses Vorwissen können durch authentische Materialien solche Vorkenntnisse vertieft werden. Indem verschiedene Sichtweisen zum Thema angeboten werden, erfolgt eine Differenzierung und Problematisierung, aus der sich Fragen an das Thema ergeben. 2. Planungsphase Nach der differenzierten Aufbereitung des thematischen Feldes in der Orientierungsphase übernehmen nun die Projektteilnehmer immer eigenverantwortlicher die Vorbereitung und Realisierung des Projektes, um eigene subjektive Antworten auf ihre Fragen zu finden. Sowohl die Diskussion möglicher Projektvarianten, das Bilden von Arbeitsgruppen als auch die Abstimmung entsprechender Recherchefelder und schließlich die Festlegung einer geeigneten Präsentationsform am Ende des Projektes erfolgen in eigener Regie. In den Teilgruppen wer-den Interviewfragen und Gesprächsstrategien diskutiert und festgelegt und auch technische Fragen sind hier zu klären. Der Projektleiter ist Konsultant und Helfer beim Organisieren der Recherche und beim Finden von Gesprächspartnern. Unter Umständen schaltet er auch noch eine Phase intensiver Spracharbeit ein, um die Interviews sprachlich vorzubereiten. 3. Recherche- und Kontaktphase Rechercheaktivitäten können sich auf verschiedene Ebenen konzentrieren: Dazu gehören Recherchen in Bibliotheken genauso wie Interviews auf der Straße oder Befragungen von Experten vor Ort. Günstig ist, hier Aufzeichnungstechnik einzusetzen. 4. Bearbeitungsphase Das meist umfangreiche Recherchematerial wird gesichtet und bearbeitet. Die Arbeitsgrup-pen informieren sich dabei gegenseitig über die wichtigsten Ergebnisse und stimmen das Vorgehen bei der Präsentation der Ergebnisse ab. Hierfür ist viel Zeit notwendig; meist plant man die Bearbeitungsphase zu kurz. 5. Präsentation Höhepunkt und Abschluß des Projektes bildet die Vorstellung der Arbeitsergebnisse vor einer größeren Öffentlichkeit, z.B. allen Kursteilnehmern, die nicht in diesem Projekt mitgearbeitet hatten. 6. Evaluation Am Ende der Arbeit an einem Projekt sollte eine Evaluation dieses Projektes stehen. Sie dient zum einen einer Einschätzung und Beurteilung der fachlichen Ergebnisse der Arbeit, aber auch einer Reflexion über die Lern- und Verhaltensweisen selbst (vgl. Nodari 1995, 173 und 209 ff.). 6.6.2. Themenorientierter Unterricht Nach Klafki (1985, 234; zitiert nach Nodari 1995, 174) ist themenorientierter Unterricht ein „Unterricht in Gestalt relativ eigenständiger, fachlicher und fächerübergreifender Themen, die verhältnismässig überschaubare Phasen umfassen, aber meistens mehrperspektivisch strukturiert sind." Das heißt: 1. Es wird ein Thema festgelegt und behandelt; 2. die Zeitspanne dafür ist limitiert und überschaubar; 3. das Thema kann fachspezifisch oder fächerübergreifend behandelt werden; 4. das Thema wird von mehreren Perspektiven aus beleuchtet. Mehrere Unterrichtsformen genügen diesen Bedingungen. Für interkulturelle Landeskunde sind meines Erachtens besonders die Formen „Fallstudie" und „Rollen- und Simulationsspiel" interessant. Die Fallstudie konzentriert sich auf ein fachspezifisches, meist sozial relevantes Thema. Ihr Charakter besteht darin, daß sie „die Schüler mit praktischen Fällen aus unterschiedlichen Lebensbereichen konfrontiert und so in erster Linie von praktischer Lebensbewältigung aus-geht und nicht von theoretischer Wissensvermittlung" (Kaiser 1985, 440; zitiert nach Nodari 1995, 176). „Der methodische Aufbau einer Fallstudie sieht mindestens fünf Phasen vor: 1. Phase: Die Arbeitsgruppe wird mit dem Fallmaterial (z.B. Beschreibung einer Problemsituation, Texte, Photos) konfrontiert. Der Fall muß analysiert und das Problem erfaßt werden. 2. Phase: Die Arbeitsgruppe kann zusätzliche Informationen sammeln (z.B. durch Nachfragen und Nachschlagen) und für ihre Arbeit verwenden. 3. Phase: Die Arbeitsgruppe diskutiert alternative Lösungsvorschläge. 4. Phase: Die Arbeitsgruppe vergleicht die unterschiedlichen Lösungsvarianten und entscheidet sich für die beste. 5. Phase: Die Arbeitsgruppe präsentiert ihren Fall im Plenum und verteidigt ihre Entscheidung" (Nodari 1995, 177). Nodari (1995, 177 f.) stellt fest, daß in der Fremdsprachendidaktik Materialien, die zu einer Fallstudie führen könnten, häufig entweder als Ausgangspunkt für Kommunikationsspiele benutzt oder ganz einfach als Grundlagen für eine Diskussion in der Klasse verwendet werden. Rollenspiel und Simulationsspiel Die aus dem eigenen Fremdsprachenunterricht allseits bekannten Dialogübungen mit reproduktiv-produktiven Charakter (die Lerner spielen die Rollen eines Verkäufers und Käufers/ eines Arztes und Patienten) haben mit dem hier gemeinten Rollen- und Simulationsspiel wenig zu tun: „Rollenspiel wird unter pädagogischem und didaktischem Aspekt in der Regel auf soziales Lernen bezogen und ist insofern als soziales Rollenspiel zu verstehen, wenn es auch in ganz unterschiedlichen Lernbereichen eingesetzt wird, am ausgeprägtesten in sprachlichen, sozia-len und politischen Lernbereichen (...). Dabei wird das Rollenspiel als problemorientiertes, Konflikte aufgreifendes oder Konflikte lösendes Spiel verstanden. Dementsprechend beziehen sich seine Inhalte auf die Realität der betroffenen Spieler." (Bollmann 1985, 565; zitiert nach Nodari 1995, 178; Hervorhebung durch Zeuner). Die Grundqualifikationen, die mit Rollenspielen anzustreben sind, können mit Begriffen wie „Einfühlungsvermögen/ Empathie", „Rollenbewußtsein", „Rollendistanz" und „Toleranz" umschrieben werden und insofern sind Rollenspiele im oben verstandenen Sinn für interkulturelles Lernen gut geeignet . Die methodische Organisation umfaßt drei Phasen: 1. Motivationsphase: Spielanlaß, Rollenübertragung und Beobachtungsaufträge 2. Aktionsphase: Rollenspiel 3. Reflexionsphase: Befragung und Diskussions-Generalisation (Steinchen 1974, 274; nach Nodari 1995, 179). Es werden keine festen Textvorlagen vorgegeben und das Spiel hat keine Zuschauer. Es geht im Rollenspiel primär um Einfühlen, Probehandeln und Reflexion über das Erlebte. Die gespielten Szenen müssen von allen Beteiligten als modellhaft empfunden werden: „Durch seinen Modellcharakter wird das Rollenspiel zur Lernhilfe. Es soll nicht eine Reproduktion der Wirklichkeit sein, es ist vielmehr eine Rekonstruktion der Wirklichkeit unter reduzierten Bedingungen. Die Spieler sind 'Herr der Situation', sie sind ihr nicht ausgeliefert. Die Spielsituaton ist im Gegensatz zur Wirklichkeit machbar, veränderbar, wiederholbar. Dadurch wird im Rollenspiel Probehandeln möglich. Nicht der Erfolg, die Bedürfnisbefriedigung oder eine Leistung werden angestrebt, sondern die Erfahrung, wie etwas geschieht. Nicht, was ich esse und dass ich satt werde, ist wichtig, sondern wie Essen vor sich geht, wie ich mich dabei verhalte und wie ich mich auf den Mitspieler beziehe. Im Rollenspiel kann Selbstwahrnehmung ebenso gelernt und geübt werden wie Fremdwahrnehmung, d.h., dass ich den andern sehe und auf ihn eingehe. Der Modellcharakter des Rollenspiels erlaubt es auch, dass ich mich meiner Eindrücke und meiner Erfahrungen vergewissere. Ich kann den anderen fragen: 'Hast du verstanden, was ich dir sagen wollte?' - 'Habe ich dich richtig verstanden?' - 'Wie hast du mich in meiner Rolle gesehen?'" (Freudenreich et al. 1980, 24; zitiert nach Nodari 1995, 179). Während sich Rollenspiele meist auf ein spezifisches Problem konzentrieren, sind Simulationsspiele (oder Simulationen) eigentlich Rollenspielkomplexe, die von umfassenderen Themen und größeren Handlungszusammenhängen ausgehen und mehrere, unterschiedliche Rollenspiele anregen. Beide Formen können umschrieben werden „als modellhafte, spielerische und sanktionsfreie Scheinwelt, die von den Spielteilnehmern dynamisiert und ausgestaltet wird, indem diese versuchen, in übernommenen Rollen innerhalb eines mehr oder weniger vorstrukturierten Spielrahmens durch Spielhandeln zu einer Lösung zu bringen" (Buddensiek 1985, 609; zitiert nach Nodari 1995, 180). **Zurück an den Anfang der Seite** 6.7. Lehrbuchergänzende Materialsammlungen: Dossiers Trotz guter Lehrwerke wird es häufig notwendig sein, ergänzende Materialien zusammenzustellen, sei es, weil das Lehrwerk nicht immer aktuell sein kann oder sei es, weil das Lehrwerk nicht genau auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten ist. Wichtig in Ergänzung von Lehrwerken sind auch visuelle Materialien, denn gerade Fotos oder bewegte Bilder können Reali-tät in besonderer Weise zugänglich machen. Penning (1995) hat versucht, eine gewissen Ordnung in landeskundliche Materialien zu bringen und schlägt folgende Materialtypologie vor. Dabei unterscheidet er drei Hauptgruppen von Materialien, „die man zugleich als Stufen der Verarbeitung eines Ereignisses auffassen kann: das Rohmaterial bzw. die historische Quelle (1), dann die Materialien, die den primären Ereigniszusammenhang eher reflektieren, und zwar informationsbetont in Richtung auf Fakten (2), meinungsbetont in Richtung auf Bewertungen (3)" (Penning 1995, 632 - 633): „Materialtypologie Landeskunde 1. Rohmaterialien bzw. historische Quellen 1.1. Primär sprachlich * Verfassungsartikel, Gesetzes-/Vetragstexte, Urkunden * Flugblätter, Manifeste, Wahlprogramme * Anzeigen, z.B. Wohnungsmarkt, Heiratsmarkt 1.2. Primär bildlich * Stadtpläne * Reklame * Wahlplakate, Wahlwerbespots 1.3. Primär gegenständlich * Wahlstimmzettel, Rechnungen, Lebensmittelkarten * Mauerstück, Orden, Münzen ... 2. Informationsbetonte Materialien 2.1. Lesetexte * Auszüge aus faktenbetonten Sachbüchern * Handbuchartikel * Zeitungsnachricht/ -bericht* 2.2. Hörtexte * Rundfunknachricht/ -bericht* 2.3. Visuelle bzw. gemischte Medien * Zeittafeln * Tabellen, Statistiken * Dias, Fotos * Karten * Schaubilder/ Folien * Fernsehnachricht/ -bericht* 3. Meinungsbetonte Materialien 3.1. Lesetexte * Auszüge aus kritischen Sachbüchern * Texte von 'Akteuren': Aufzeichnungen, Erinnerungen * Zeitungskommentare*, Leserbriefe* * literarische Texte mit entsprechender Thematik 3.2. Hörtexte * 'Tondokumente' (Rundfunkansprachen, Reden), auch als Quelle! * Interviews* * Songs mit entsprechender Thematik 3.3. Visuelle bzw. gemischte Medien * Karikaturen * Fotos, Dias (künstlerisch gestaltet) * TV-Gesprächsrunden*, TV-Interviews* * TV-Reportage, Feature, Dokumentation * Spielfilme mit entsprechender Motivik" (Penning 1995, 632) Die mit einem kleinen Stern (*) gekennzeichneten Materialien hängen sehr stark vom aktuellen Bezug ab und sind daher sehr „verderblich", wie Penning feststellt: „Nur im Zusammen-hang mit dem auslösenden Ereignis und als Einstieg in ein Thema sind sie sinnvoll" (Penning 1995, 633). Insgesamt gibt diese Materialtypologie einen Eindruck von den vielen unterschiedlichen Textsorten und Medien, die für landeskundliches Lehren und Lernen zur Verfügung stehen. Diese sind für den Unterricht in eine didaktische Ordnung zu bringen, die Penning „Dossiers" nennt. Diese Dossiers lassen sich sehr genau auf die jeweilige Lernsituation zuschneiden. Sie sind jedoch als ein „Work in progress" zu sehen, d.h. sie sollten für thematische Ergänzungen und Aktualisierungen offen sein. Penning schlägt als ideale Form eine um einen thematischen Kern zentrierte Loseblattsammlung vor, deren Teile der Lehrende je nach Lerngruppe und Aktualitätsbezug flexibel verwenden kann (vgl. Penning 1995, 634). Bei der Zusammenstellung eines Dossiers nennt er folgende Grundsätze für die Materialauswahl und die Didaktisierung: 1. „Authentizität: Ein landeskundliches Dossier muß weitgehend aus authentischen Materialien (Texten und sonstigen Medien) bestehen. Nur gewisse Einführungen zum Thema oder faktenbezogene Zusammenfassungen („Info-box") sollten selbst verfaßt oder aus anderen Vorlagen adaptiert sein. 2. Kein Übergewicht an Zeitungstexten Zeitungstexte sind gut zugänglich, authentisch und oft relativ kurz. Trotzdem ist diese Textsorte nur in Maßen einzusetzen. Neben der bereits erwähnten Verderblichkeit führen hohe Situationsabhängigkeit, viel präsupponiertes Wissen über Institutionen und Akteure, dazu der spezielle Journalistenjargon mit seinen Metaphern und Idiomen zu großen Leseschwierigkeiten. Äußerst lohnend dagegen bleibt die Thematisierung bestimmter journalistischer Darstellungsformen im Sinne der Analyse der Pressesprache ... 3. Keine Text-"Häppchen" Die Texte sollen, wenn sie gekürzt werden müssen, immer repräsentative Ausschnitte umfassen, die allein den Nachvollzug von Standpunkten und Argumentationsweisen möglich machen. Vergessen wird dabei oft das gute Sachbuch oder der Zeitschriftenartikel.... 4. Perspektivismus Informationsbetonte Materialien dürfen kein Übergewicht haben. Vielmehr sollen die meinungsbetonten Texte im Zentrum jeder Sequenz stehen. Durch solche 'positionell-subjekthafte[n] Texte' (D. Krusche) ist es allein möglich, Fragehorizonte aufzubauen und gezielte 'Recherche' zu führen. Nur so ist die prinzipielle Unendlichkeit des Stoffes strukturierbar, bleibt der notwendige Perspektivismus präsent. Dem Lehrer fällt dabei die Rolle des gut informierten Moderators zu, der aber auch eigene Standpunkte deutlich machen sollte. 5. Interkultureller Vergleich Der intrakulturelle Perpektivismus muß ergänzt werden durch den interkulturellen Vergleich. Dabei bieten sich insbesondere Texte von Ausländern an, die als repräsentative Vermittler zweier Kulturen über deutsche Verhältnisse und Ereignisse schreiben. Aber auch deutsche Berichte über das Ausland machen immer wieder die eigenen Stand-punkte und Denkweisen deutlich .... 6. Selbsttätiges Weiterarbeiten Jedes Einzelmaterial eines Dossiers muß genaue Quellenangaben für den Studenten beinhalten, damit die Bedingtheit einer jeden Aussage im Bewußtsein bleibt und weitere Recherchen ermöglicht werden. Weiterhin empfiehlt es sich, Leseanregungen zur individuellen Vertiefung eines Themas zu geben. Erst die Möglichkeit zur sogenannten Ganzlektüre außerhalb des Unterrichts (Sachbuch, Zeitschriftenaufsatz) läßt den Lerner in Sachen Landeskunde autonom werden. 7. Modulcharakter und 'schwache' Didaktik Ein Landeskunde-Dossier, mit dem des öfteren gearbeitet wird, kann nur eine offene Sammlung sein, die ständig zu ergänzen und im Unterricht variabel einzusetzen ist. Dies macht die Verbindung mit einer klaren sprachliche Progression und eine festliegende Didaktisierung im Unterschied zum Lehrwerk unmöglich. Trotzdem sollte man zu den Einzelmaterialien bewährte Arbeitsaufgaben, Hinführungen und Lernhilfen notieren und mögliche Sequenzen festlegen, so daß auch ein anderer Lehrerkollege die Einsatzmöglichkeit für seine Zwecke abschätzen kann" (Penning 1995, 634 - 635). Wenn Penning bei diesen Grundsätzen auch vor allem den fremdsprachlichen Deutschunterricht für die Studienvorbereitung ausländischer Studenten an Studienkollegs im Blick hat, so sind sie doch auf andere Zielgruppen übertragbar und geben wichtige Ansatzpunkte für die Sammlung und Zusammenstellung von Zusatzmaterialien für den landeskundlichen Unterricht. zurück / vorwärts blättern **Zurück an den Anfang der Seite** 8.Quellen (1) ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Deutschunterricht. - In: Deutsch als Fremdsprache, Leipzig, Heft 5/1990, S. 306 ff. (2) Ammer, R.: Das Deutschlandbild in den Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache. - In: Kast/Neuner (Hrsg.): Zur Analyse, Begutachtung und Entwicklung von Lehrwerken für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Langenscheidt Verlag 1994, S. 31 - 42. - (Fremdsprachenunterricht in Theorie und Praxis). 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