Wortschatzarbeit im Unterricht Theoretische Grundlagen der Wortschatzarbeit Wortschatz und seine Struktur - aktiv und latent - Wörter werden oft als die kleinsten Bausteine von Sprache und als deren Bausteine definiert. Allerdings treten Wörter meist nicht isoliert, sondern in Texten auf, weshalb Wortschatzarbeit und Textarbeit miteinander verbunden werden müssen Kein anderes Teilsystem der Sprache ist so stark strukturiert, wie der Wortschatz. Man unterscheidet: - Wortarten - Umfang - Wortbildung - paradigmatische Beziehungen - Herkunft - Wortfamilien - Wortfelder - stilistische Varianten - soziale Varianten - regionale Varianten Mitteilungswortschatz: Wörter, die der Lernende produktiv beherrscht - Neben allen Funktionswörtern umfasst dieser eine (un)bestimmte Anzahl an Inhaltswörtern Verstehenswortschatz: umfasst alle Wörter, die der Lernende zum verstehen von Lese- und Hörtexten hat - bislang für keine Sprachstufe definiert potenziellen Wortschatz: alle zusammengesetzten und abgeleiteten Wörter, die der Lerner als solche nicht kennt, sich aber aus bestehendem Wissen erschließen kann - Wörter umfassen sowohl eine semantische Seite (Bedeutung) als auch eine phonetische und graphische - Das Hauptaugenmerk liegt im Unterricht auf der semantischen Bedeutung, allerdings muss auch die phonetische und graphische Dekodierung erlernt und automatisiert werden - Außerdem muss der Lerner Wörter von einer Form zur anderen überführen können (z.B. Hören und aufschreiben). Die meisten Wörter sind in ihrer Form veränderbar (deklinierbar, steigerbar, konjugierbar, etc.) Wortschatzarbeit ist damit auch immer Grammatikarbeit - Wichtigkeit der Wortschatzarbeit wird bis heute im Unterricht vernachlässigt - Wortschatzlernen bleibt also ein Hauptproblem - ist selbst für den Muttersprachler nie abgeschlossen, da es eine schwer unfassbare Menge an Wörtern und Bezeichnungen gibt - aktiver Wortschatz eines Menschen: zwischen 2000 und 20000 Wörtern - Aufgrund der Komposita, die sich aus Grundwörtern zusammensetzen, kann man eine fast unendliche Menge an Wörtern bilden - Anzahl an Wörtern, die vom Lerner gelernt werden sollen, muss reduziert werden - Vertreten werden für die Alltagskommunikation ca. 8000 Wörter, die nur verstanden werden sollen, und 2000 Wörter, die der Lerner aktiv beherrscht è häufige Diskussion über die Wichtigkeit welcher Wörter Lernbarkeit: Wörter können leicht gelernt werden, wenn sie - mit eigenen Erfahrungen verbunden sind - inhaltlich und formal gut in Kontexte eingebunden sind - emotional und affektiv ansprechen - visuell dargestellt werden - Besonders leicht zu lernen sind echte Freunde Brauchbarkeit: Die Bedürfnisse des Lerners definieren, zu welchen Zwecken er die Zielsprache erlernt und welche Wörter demnach relevant sind Verstehbarkeit: Kulturelle Nähe oder Ferne beeinflusst die Verständlichkeit von Begriffen und Konzepten Es ist schwer vorherzusagen, welche Wörter schwer zu lernen sind, da - Lernen ein individueller Vorgang ist - jeder unterschiedliche Erfahrungen im Sprachenlernen (versch. Lernstrategien) hat - bestimmte Sprachen als leichter oder schwerer empfunden werden Dennoch können aufgrund von Erfahrungen gewisse Schwierigkeiten vorhergesagt werden: - Aussprache - Wörter mit konkretem Inhalt leichter als abstrakte Wörter - Substantive leichter als Verben - vieldeutige (polysemantische) Wörter schwerer als eindeutige Wörter - Fachwörter schwerer als „Allerweltswörter“ Lernziel von Wortschatzarbeit Erwerben eines Wortschatzes, der - je nach Situation und Absicht verfügbar ist - sicher und schnell abrufbar ist - variabel und korrekt angewendet werden kann Die Qualität des Wortschatzes äußert sich in dessen Anwendbarkeit, d.h. er soll - dem Ziel angemessen sein - vom Partner verstanden werden - sowohl in der Rezeption als auch der Produktion anwendbar sein Es werden drei Sprachstufen unterschieden: - Grundstufe (ca. 2000 Wörter) è Prüfungsanforderungen des „Zertifikat Deutsch als Fremdsprache“ - Mittelstufe (3000 – 4000 Wörter) - Oberstufe (mind. 6000 Wörter) Wortschatz lernen Wortschatz kann entweder bewusst (intentional) eingeprägt oder unbewusst (inzidenziell) gelernt werden. è um inzidenziell lernen zu können, müssen Schüler viel Kontakt mit Texten und sprachlichen Äußerungen haben Da auch das Gedächtnis in Clustern funktioniert, sollte auch der Wortschatz assoziiert und sortiert werden è Assoziierung von Wörtern und Bildung von Netzwerken, die miteinander zusammenhängen è Strukturierung des Wortschatzes durch Sortieren, dadurch Bildung von Bündeln, damit einzelne Wörter schnell wiedergefunden werden können - Wörter werden besonders gut gelernt, wenn möglichst viele Sinne (Kanäle) einbezogen werden - Dabei gibt es verschiedene Lerntypen, die einen bestimmten Sinneskanal bevorzugen: visuell, auditiv, haptisch, mehrkanalig Besser behalten wird: - Ungewöhnliches, Humorvolles, Übertriebenes - bedeutungshaltiges und vernetztes Wissen bei gleichzeitig visueller und verbaler Präsentation - Auffälliges - „tief“ Verarbeitetes - Man kann sich in einer fremden Sprache verständigen, wenn man keine Grammatik kennt, allerdings nicht ohne Wörter è Wortschatzarbeit also zentrale Aufgabe Erwerb eines mentalen Lexikons bei Kindern - Europäische Sprachen haben ca. 500.000 Wörter - 6000 – 8000 ausreichend für alltägliche Kommunikation è Kinder erwerben den Wortschatz nur langsam und nach und nach è die Bedeutung eines Wortes etabliert sich für das Kind erst mit der Zeit, indem dasselbe Wort in verschiedenen Kontexten verwendet wird, und dadurch die Bedeutung eingegrenzt werden kann - Kinder erlernen, gleichzeitig mit den Wörtern, die weltlichen Konzepte, die dazu gehören - Mit den Wörtern müssen also die Konzepte und Sinneseindrücke mitgespeichert werden è so entsteht das mentale Lexikon - Das Nachschlagen im mentalen Lexikon erfolgt unbewusst. Nur wenn ein Wort nicht einfällt, richtet man seine Aufmerksamkeit auf das mentale Lexikon Das mentale Lexikon ist gleichzeitig nach mehreren Mustern sortiert: - alphabetisch - Betonungsmuster - Klangmuster am Wortende (Reime) Die linguistische Struktur des mentalen Lexikons Der Wortschatz ist nach verschiedenen semantischen Strukturen angeordnet: - paradigmatisch (Wort steht in Bezug zu einem anderen Wort derselben Klasse) - syntagmatisch (mehrere Wörter setzen sich zu Redewendungen, Idioms etc. zusammen) - Wortskalen (kalt, warm, heiß) - Teil-Ganzes-Beziehungen (Finger/Hand) - Homophone, Homographe, Homonyme - komplementäre Beziehungen (tot – lebendig) - Kennt man die Regeln der Wortbildung, so kann man sehr viele Wörter erschließen und verstehen è sehr großer potentieller Wortschatz, auch wenn dieser nicht aktiv zur Verfügung steht Die Lernaufgabe beim Fremdsprachenlernen Wenn ein Kind eine weitere Sprache lernt, so ist der Vorrat an Konzepten schon vorhanden. è mit dem Lernen einer weiteren Sprache wird kein neues Weltwissen aufgebaut, sondern neue Wörter werden in das schon bestehende Netzwerk integriert è erst später werden Verschiedenheiten zwischen den muttersprachlichen und fremdsprachlichen Konzepten ausdifferenziert (ein deutsches Frühstück ist nicht dasselbe wie ein englisches) è dafür ist der interkulturelle Vergleich wichtig Einführung neuer Wörter im Unterricht Meist tauchen neue Wörter im Kontext eines Textes oder einer Äußerung auf è fortgeschrittene Lerner können die Bedeutung oft aus dem Kontext erschließen Führt man neue Vokabeln ein, besteht das Ziel darin, die neuen Wörter zu verankern Die Behaltensleistung ist besser, wenn - die Information mit Bedeutung verarbeitet wird (also nicht „sinnlos“ ist) - die Information in bereits bestehende Wissensstrukturen integriert wird - sich die neue Information von den bereits bestehenden unterscheidet Bedeutungsvermittlung: Wörter können auf sehr verschiedene Weisen dargeboten/erklärt werden, z.B. durch v visuelle v einsprachige und v zweisprachige Erklärungen. Visuelle Erklärungsmöglichkeiten: Ø Bilder Ø gegenständliche Veranschaulichung Ø Gestik / Mimik / Pantomime Ø Klangbilder Einsprachige Erklärungsmöglichkeiten: Ø Erklärung durch den Kontext Ø Synonyme / Antonyme Ø Hierarchisierung Ø Definitionen Ø Beispielsätze Ø Paraphrasierung Ø Wortbildungskenntnisse Ø Analogieschlüsse Zweisprachige Erklärungsmöglichkeiten: Ø Übersetzung Ø Hinweis auf Ähnlichkeiten zwischen dem muttersprachlichen und dem zu lernenden Wort (z.B. house – Haus) Ist die Bedeutung erst einmal vermittelt, muss die dauerhafte Speicherung der Begriffe gewährleistet werden. Dafür kann der Lehrer / Schüler ebenfalls auf verschiedene Methoden zurückgreifen: Ø Vokabelheft Ø Vokabelkartei Ø Mindmapping Ø Wörter im Raum Ø Wörter interessant machen Die Bedeutungserklärung soll möglichst auf viele verschiedene Methoden zurückgreifen. EINE richtige Methode gibt es für die Wortschatzarbeit nicht. Umso differenzierter der Lehrer arbeitet, umso eher erreicht er alle verschiedenen Lerntypen. Dabei ist aber auch wichtig, dass die Schüler erlernen, möglichst selbstständig Wortbedeutungen erschließen zu können. Dafür ist es notwendig Wortbildungsmuster zu erarbeiten (z.B. Suffix, Präfix, Wortartwechsel) Verwendung anderer Sprachen zur Erschließung von Bedeutung (Internationalismen) zu trainieren und eigenständige Wörterbucharbeit zu erlernen. Zum Lernen von Wortschatz stehen dem Schüler viele Möglichkeiten, u.a. Mnemotechniken, offen: Ø Merkvers Ø Schlüsselwortmethode Ø Loci-Methode Ø Geschichtentechnik Ø Akronyme (Kennwörter) Ø Visualisierung Überprüfung und Festigung des gelernten Wortschatzes: Auch hier kann man auf viele verschiedene Möglichkeiten zurückgreifen. Ø Lückentext Ø Wort zu einem Bild finden (Wörtermemory) Ø falsche Sätze korrigieren (z.B. „falsche Freunde“) Ø Kreuzworträtsel Ø Wörter in einem Buchstabengitter finden Ø Anagramme entschlüsseln (Buchstabensalat) Ø C-Test Ø Pantomimisches Wörter-Ratespiel Ø Wortfelder Ø Entsprechungen finden: z.B. „Als ich einen Brief lesen wollte, fand ich meine Brille nicht“, „Als ich mich kämmen wollte, …“ Ø Wortwaage Ø Wörter interessant machen lassen Zusammenfassung: Wörter, die nur einmal erklärt werden, gehen meist verloren. Nur was als relevant und interessant empfunden wird, kann länger behalten werden. Die Einführung eines neuen Wortes muss also mehrere Schritte umfassen: - Darbietung im Zusammenhang (z.B. Text) - isoliertes Vorsprechen - Nachsprechen - Erklärungen (möglichst auch durch die Schüler selbst) - Einbetten in weitere Kontexte oder/und Verknüpfung mit visuellen Informationen - aktive Benutzung des Wortes durch die Lerner Es ist also wichtig das Wort in viele verschiedene Netzwerke einzubauen. Nur aufgrund von (sinnvoller) Wiederholung kann ein Wort in das Langzeitgedächtnis übergehen. è das stupide Abfragen von Vokabeln aus der vorangehenden Stunde ist wohl die schlechteste Methode der Festigung Literatur: Bauch, Karl-Richard (Hrsg.). Erwerb und Vermittlung von Wortschatz im Fremdsprachenunterricht. Tübingen 1995. Bohn, Rainer. Probleme der Wortschatzarbeit. Fernstudieneinheit 22. München 1999. Häußermann, Ulrich & Piepho, Hans Eberhard. Aufgaben-Handbuch Deutsch als Fremdsprache. Abriß einer Aufgaben- und Übungstypologie. München 1996. Müller, Bernd-Dietrich. Wortschatzarbeit und Bedeutungsvermittlung. Fernstudieneinheit 8. Tübingen 1994. Quetz, Jürgen. Der systematische Aufbau eines „mentalen Lexikons“, in: Timm, Johannes-P. (Hrsg.). Englisch lernen und lehren. Berlin 1998, S. 272 – 290.