Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger ―― Überlegungen und Vorschläge ―― Katrin Niewalda 1. Einleitung Dass Literatur ein Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts sein sollte, scheint unbestritten : Literatur ist „als legitimer Teil der Sprach- und Kulturvermittlung akzeptiert, ihre besonderen didaktischen Vorteile, was Motivation, ganzheitliche Perspektive usw. betrifft, sind allgemein anerkannt“(Esselborn1999: 19). Durch das Erlernen einer Fremdsprache nähert sich der Lerner nicht nur völlig fremden Sprachstrukturen an, sondern macht sich nach und nach auch mit einer ganz anderen Welt vertraut. Vor ihm steht also eine zweifache Herausforderung : zum einen sich eine neue Sprache anzueignen, zum anderen eine fremde Kultur kennen zu lernen. Der eigenkulturelle Abstand, der dabei überwunden wird, ist je nach Ausgangssprache verschieden. Für Lernende aus dem arabischen oder asiatischen Kulturraum sind die zu überwindenden sprachlichen oder kulturellen Barrieren wohl ungleich höher als für Lerner mit einem beispielsweise europäischen Hintergrund. Gerade Lerner, die sich erst seit kurzem mit einer Fremdsprache beschäftigen, zeigen oft großes Interesse und Neugierde auf die fremde Kultur, die neue Sprache und die Menschen, die sie sprechen. Diese Neugierde gilt es zu erhalten - wie das zu schaffen sei, ist wohl eine der Fragen, die sich Fremdsprachenlehrer in regelmäßigen Abständen stellen. In diesem Aufsatz soll ein Aspekt beleuchtet werden, der unter anderem diesem Ziel dienen könnte. Literatur bietet gute Sprech- und Schreibanlässe und kann daher motivationsfördernd wirken und das Engagement der Lerner erhalten.1) Nach Hunfeld soll Literatur immer dann in den Fremdsprachenunterricht miteinbezogen werden, wenn „unter Sprechfertigkeit nicht nur Reproduktionsfähigkeit verstanden wird“(Hunfeld1994: 25). Literatur biete vielmehr die Möglichkeit, eigenständige Gedanken zu formulieren, dies aber in einem sicheren Rahmen, was wohl gerade im Deutschunterricht in Japan sehr wichtig ist, da die spontane Bereitschaft, sich über eine bestimmte Sache zu äußern, nicht sehr ausgeprägt ist.2) Im Folgenden sollen Beispiele gezeigt werden, wie der fremdsprachliche Leser langsam an Literatur herangeführt werden kann und auf welche Herausforderungen er dabei stößt. Der vorliegende Aufsatz lässt sich in zwei Teile gliedern. Zum einen soll die Rolle des Lesers als fremdsprachlicher Leser sowie grundlegende Verstehensprozesse dargestellt werden, zum anderen wird die Frage aufgeworfen, welche Texte in einem Unterricht für Anfänger behandelt werden könnten und wie ein kreativer Zugang zu ihnen gefunden werden kann.3) Abschließend werden Unterrichtsbeispiele dargestellt und Vorschläge gegeben. Zur Auseinandersetzung mit dem Thema wurde ich durch verschiedene Unterrichtssituationen angeregt, in denen literarische Texte - oft auf Wunsch der Lerner - in den Unterricht miteinbezogen wurden. Hierbei stellte sich dann die Frage, welche Texte auf welche Art und Weise gewinnbringend eingesetzt werden könnten. 1) Vgl. u. a. Rüdiger Krechel, der in seiner Untersuchung „Konkrete Poesie im Fremdsprachenunterricht“(1991)beschreibt, wie motivierend mit Konkreter Lyrik gearbeitet werden kann. 2)Vgl. dazu Ehlers : „Für einen Japaner kann allein die Frage nach seiner inneren Einstellung einen Zwang bedeuten, der zudem noch gesteigert wird, wenn er sich selbst in seinem Gefühlshaushalt begründen muss - und das alles in einer Sprache, die wirklich „fremd“ ist, weil sie keine Verwandtschaft zur japanischen Sprache aufweist“(1988: 174). 3)Unter Anfängern verstehe ich hier Lerner, deren Sprachniveau A1 und A2 des europäischen Referenzrahmens entspricht. 24 言語文化研究 第31巻 第2号 2. Grundlegende Verstehensprozesse 2.1 Rezeptionsbedingungen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache Hermeneutik befasste sich lange Zeit nur mit der Frage der zeitlichen Fremde, das heißt, man beschäftigte sich mit der Frage, wie ein heutiger Leser Texte aus früheren Zeiten versteht. Erst seit den achtziger Jahren ging es auch um die Frage der räumlichen und interkulturellen Fremdheit.4) Es leuchtet ein, dass die Rezeptionsbedingungen im Unterricht Deutsch als Fremdsprache durch die Multikulturalität noch vielseitiger sind als in einem Kurs, in dem alle Teilnehmer der gleichen Kultur angehören. Liest man Literatur als Fremdliteratur, ändern sich sowohl die hermeneutischen Voraussetzungen als auch die Lese-Erwartungen. Die fremdkulturellen Leser erfahren Fremdheit in dreifacher Hinsicht : „Als Fremdsprachlichkeit, als fremdkulturelle (dargestellte) Wirklichkeit und als die Hermetik poetischer Texte“(Wierlacher1983: 56). Die Erfahrungssituation der Fremde ist also sehr komplex. Dazu kommt, findet der Unterricht im Land der Zielsprache statt, noch die Heimatkultur, die die fremden Leser natürlich in das fremde Land mitbringen. Zwei Kulturen stoßen also aufeinander, beziehungsweise überschneiden sich. Wierlacher plädiert dafür, die unterschiedliche Herkunft der Leser unbedingt zu beachten und spricht von der „trennenden und(…)und vereinigenden Andersheit“ (1983: 59)der fremden Literatur, die erkennbar gemacht werden soll. Gerade durch den eingehaltenen Abstand sei es möglich, dem Text in seiner Fremdheit näher zu kommen. Der Leser kann verschiedene Rollen annehmen, die Literatur mit fremden Augen sehen und auf diese Weise die eigene Perspektive erweitern. 4)Bedeutende Vertreter der Hermeneutik der Fremde sind Alois Wierlacher, Dietrich Krusche und Bernd Thum, die auf die Konzepte Schleiermachers und Diltheys zurückgegriffen und daraus eine Hermeneutik der Fremde entwickelt haben. Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 25 Sich dem Text spielerisch zu nähern, könnte eine gute Haltung sein, um fremde Perspektiven und Rollenmuster einzuüben. Literatur spielt, von dieser Perspektive aus betrachtet, also eine besondere Rolle für das fremdkulturelle Verstehen, weil sie dem Leser die Möglichkeit bietet, spielerisch in eine fremde Identität zu schlüpfen und die Sichtweise des Fremden zu übernehmen. Dies ist die Voraussetzung, um das Fremde dann wieder auf das Eigene beziehen zu können. Rücksichtnahme auf das Eigene und auf das Fremde ist die essentielle Aussage der Position Wierlachers. Die Kulturen der fremdsprachlichen Leser und die daraus folgenden Differenzen müssen also immer mit einbezogen werden und dürfen nicht außen vor bleiben. Krusche vertritt die Meinung, dass eine gewisse Distanz fördernd auf das Textverstehen wirken kann. Seiner Meinung nach sei man in diesem Fall zu größerem Risiko bereit, man erwarte weniger Bestätigung, dafür mehr Überraschung. Versteht man den Text nicht, sei man weniger irritiert als vielmehr neugierig. Dadurch, dass man fast damit rechnen muss, dass man den Text nicht verstehen oder missverstehen wird, stehe man dem Text offener gegenüber und bringe die eigenen Voraussetzungen des Lesens unbefangener mit ins Spiel(Krusche 1985: 139). Bei einem befremdlichen Text der eigenen Kultur könne es außerdem passieren, dass man das Nicht-Verstehen als Infragestellung der sprachlichen und kulturellen Kompetenz empfindet. Bei einem Text, der aus einer fremden Kultur stammt, sei dies weniger der Fall. Man erfahre im Gegenteil den Text als Ergänzung und sei seinem Unverständnis gegenüber gelassener, da man ja weiß, dass dieses eine Frage des Vorwissens und der kulturellen Programmierung sein muss. Gerade weil man sich bewusst ist, dass man den Text möglicherweise völlig falsch verstehen kann, seien hier „besonders günstige Bedingungen dafür gegeben, daß das Lesen eines fiktional-literarischen Textes zu einem Akt exemplarischer Erfahrungsbildung wird“(1985: 140). Krusche vergleicht die Situation mit einem Gespräch mit einem Fremden, das durchaus entspannter sein kann als ein Gespräch 26 言語文化研究 第31巻 第2号 mit einem Bekannten(1985: 139). Auch Wierlacher schließt sich der Meinung Dietrich Krusches an. Die Gelassenheit, die der Leser bei Nichtverstehen erfährt, folge aus dem Wissen, dass der Text eigentlich an eigenkulturelle Leser des Autors gerichtet sei(1983: 65). Krusches Thesen sind insofern etwas bedenklich, als sie außer Acht lassen, dass eine Minimalbasis an kulturellem Hintergrund vorhanden sein muss, um die Chance zu haben, wenigstens etwas zu verstehen beziehungsweise das Interesse, etwas verstehen zu wollen. Andernfalls kann es durchaus passieren, dass der Text zu befremdlich ist und man sich sofort von ihm abwendet. Ob man sich lange genug damit beschäftigt, um zu interessanten Deutungen zu kommen, ist unter diesen Umständen sicher fraglich. Allerdings ist es wahrscheinlich richtig, dass man sich deshalb wohl nicht zu viele Gedanken macht und kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man sich dem Text abwendet. Dennoch muss man sich die Frage stellen, ob zu viel Distanz nicht eher ein Hemmschuh im Leseverhalten darstellt. 2.2 Der Hintergrund des fremdsprachlichen und fremdkulturellen Lesers Stets gilt, dass das Verständnis des Textes abhängig von Standort und Interessen des Lesers ist und individuelle Lebenserfahrungen zwangsläufig zu unterschiedlichen Perspektivierungen führen. Kommunikation durch poetische Texte ist keine Übermittlung von Informationen von einem Sender zu einem Empfänger, sondern der poetische Text wird - durch den einzelnen Leser - geistig reproduziert. Dieser bringt sich subjektiv ein, wozu er verschiedene Fähigkeiten benötigt, wie zum Beispiel die Fähigkeit zur Synthese, zur Analyse und eine gewisse Vorstellungsgabe. Fremde Erfahrungen werden durchdacht und durch das Vergleichen und Erinnern an persönliche ähnliche Erlebnisse werden eigene Erfahrungen aktiviert. Je nachdem welchem soziologischen, kulturellen oder Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 27 politischen Hintergrund der Leser entstammt, liest und interpretiert er das Werk anders und gewinnt dabei jeweils andere Einsichten. Schutte benutzt hier den Begriff der hermeneutischen Differenz, was bedeutet, dass der Sinn, den der Autor in den Text gelegt hat, nicht übereinstimmt mit dem Sinn, den der jeweilige Leser hineinlegt, da der Text nicht nur eine Bedeutung hat, sondern viele verschiedene, von denen die eine die vom Autor intendierte ist und die anderen von den unterschiedlichen Lesern stammen(Schutte 1993: 22). Es gibt also nur eine partielle Übereinstimmung : die verschiedenen Auslegungen eines literarischen Werks sind so genannte variable Realisierungen einer Konstanten. Diese Konstante ist der unveränderte Text. Der Leser versteht immer mehr oder weniger, aber auf jeden Fall versteht er anders als der Autor es meint. Die Kommunikationstheorie würde die Tatsache, dass die verschiedenen Leser zu unterschiedlichen Lesarten kommen, aus der Nicht-Übereinstimmung von Sender- und Empfängercode erklären. Schutte zählt vier Aspekte auf, um diese Tatsache zu erklären(1993: 23f.). Der literarische Text ist situationsunabhängig. Zudem steht er nicht in einem genauen Handlungskontext, sondern Entstehung und Rezeption fallen sowohl räumlich als auch zeitlich auseinander. Da der Text fiktional ist, bezieht er sich meist nicht auf konkret vorhandene, aber auf mögliche Wirklichkeiten. Daraus folgt, dass der Text notwendig-unbestimmt ist und nicht in irgendeiner Hinsicht festgelegt werden kann. 2.3 Das fremdsprachige Lesen Auch der Vorgang des Lesens ist bei einem fremdsprachlichen Leser ein anderer als bei einem muttersprachlichen Leser. Eggert / Garbe unterscheiden zwischen bloßer Lesefertigkeit, Lesekompetenz im Sinne eines adaptiven, texterschließenden Lesens und literarischer Rezeptionskompetenz, die zusätzliche Fähigkeiten erfordert(1995: 8ff.). Dies wäre natürlich im Unterricht für Anfänger zu hoch gegriffen, hier geht es vor allem einmal darum, kurze Texte dekodieren und 28 言語文化研究 第31巻 第2号 den globalen Sinn erfassen zu können : Die Freiheit des fremdsprachlichen Lesers ist eingeschränkt, da Defizite in den Bereichen Sprach- und Lesekompetenz sowie im Wissen über die jeweilige Kultur vorhanden sind(vgl. Esselborn 2010: 96). Der fremdsprachliche Leser ist stärker herausgefordert : kulturelle Distanz, andere Traditionen literarischen Lesens und der andere Referenz- und Verstehensrahmen sind Aspekte, die das fremdsprachliche Lesen erschweren(ebd.). Ehlers zählt folgende sog. „Performanzfaktoren“ auf, die fremdsprachliches Lesen beeinflussen : Hintergrundwissen, Textstrukturen, linguistische Merkmale von Ausgangs- und Zielsprache, Schriftsysteme, Gedächtniskapazität, Fremdsprachenkompetenz, muttersprachige Lesefähigkeit sowie metakognitive Bewusstheit(1998: 180). Zudem führt seine „stärkere Datenabhängigkeit“(Esselborn 2010: 95)zu einem langsameren Leseprozess : der fremdsprachige Leser tastet sich also eher Wort für Wort vor, während der muttersprachige Leser Informationen, die für die Sinnkonstitution weniger wichtig sind, überlesen kann. „Trotzdem ist der fremdsprachige Leseprozess nicht als defizientes muttersprachliches Lesen zu sehen, sondern hat seine eigene Gesetzmäßigkeit und Dynamik, mit eigenen(sprachspezifischen)Verarbeitungsstrategien und könnte aus dem Zusammentreffen verschiedener Lesetraditionen und Leserperspektiven einen besonderen Bedeutungsreichtum entwickeln“(Esselborn 2010: 95). Die entscheidende Determinante fremdsprachigen Lesens ist jedoch nach Ehlers die Fremdsprachenkompetenz und erst wenn ein Mindestmaß in diesem Bereich erreicht sei, könnten die erworbenen Lesefähigkeiten in der Zweit- / Fremdsprache angewandt werden(1998: 180). Allerdings bleibt unklar, wie die Autorin Mindestmaß definiert. Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 29 3. Literatur im Fremdsprachenunterricht 3.1 Lehrbuchtexte und literarische Texte Auf den ersten Blick scheint - gerade im Unterricht für Anfänger - nichts gegensätzlicher zu sein als ein Lehrbuchtext und ein literarischer Text : „Nirgendwo tritt im Fremdsprachenunterricht die Differenz zwischen reinem Sprachlehrtext und literarischem Text deutlicher hervor als in der Situation des Anfangsunterrichts“ (Hunfeld 1994: 18). Der Mehrdeutigkeit und Offenheit eines literarischen Textes stehen die didaktisch reduzierten Texte des Lehrbuchs gegenüber. Hier kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, wie ein solcher Text einen Leser erreichen soll, „dessen Rezeptionsfähigkeit oft schon bei sehr einfachen Texten nicht ausreicht“ (ebd.). Beide Textarten verfolgen unterschiedliche Ziele und vermitteln Sprache auf andere Art und Weise. Während der Lehrbuchtext Reproduktion und „Einschleifen“ grammatischer Strukturen und Vokabular fordert, kann der literarische Text durch die Darstellung einer individuellen Erfahrung zu individuellen Äußerungen anregen, und zwar vor allem dann, wenn Vergleiche mit der eigenen Situation angestellt werden. Für den literarischen Text ist ein Gegenüber von Text und Leser typisch, dem Lehrbuchtext geht es um die Vermittlung beliebig übertragbarer Redemittel. Bei beiden Textarten stehen also unterschiedliche Ziele im Vordergrund. Der Lehrbuchtext möchte Redemittel bereitstellen, die, wenn der Lerner in ebendiese Situation gerät, abgerufen werden können und somit zum individuellen Satz des Lerners werden. Der literarische Text hingegen fordert durch die Darstellung einer individuellen Erfahrung zum Vergleich mit eigenen Erfahrungen auf. Dass Literatur bereits im Anfangsunterricht eingesetzt werden sollte, wird in der Fachliteratur von mehreren Autoren ausdrücklich unterstützt.5) Zudem kann gerade ihre Gegensätzlichkeit ein Gewinn für den Fremdsprachenunterricht sein, „denn ihr 30 言語文化研究 第31巻 第2号 Dialog lehrt die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Texten, zwischen Vereinnahmung und Appell, zwischen Rollenzuweisung und Angebot, zwischen scheinbarer Eindeutigkeit von Sprache und ihrer Mehrdeutigkeit im anderen Kontext, zwischen direkter und indirekter Sprachlehre“(Hunfeld 1994: 26). Die Eignung literarischer Texte für den Fremdsprachenunterricht speziell für die Situation in Japan spricht auch Sugitani in ihrem Aufsatz „Fiktionale Texte zur Förderung kommunikativer Kompetenz - Überlegungen zu ihrer Anwendung im Anfängerunterricht in Japan“ an. Bei diesen Texten sieht sie eine große Chance, wie bei geringeren Fremdsprachenkenntnissen ein bewusster Umgang mit dem eigenkulturell erworbenen Weltwissen gefördert werden und zur Meinungsäußerung in der Fremdsprache motiviert werden kann(Sugitani1999: 19). Mit Hilfe dieser Texte könne das Dilemma, in dem sich der Lerner befindet - die große Diskrepanz nämlich zwischen intellektuellen Möglichkeiten und fremdsprachiger Kompetenz überwunden werden. Im Gegensatz zum Lehrbuch, das stets den Lerner anspricht, hat der fiktionale Text einen anderen Adressaten, nämlich den Leser, der sicher weniger zu sprechen hat, aber dafür mehr zu sagen(vgl. Hunfeld1994: 29). Neben der Diskrepanz zu Lehrbuchtexten sollte nicht unerwähnt bleiben, dass literarische Texte in Bezug auf den privaten bzw. öffentlichen Rahmen prinzipiell verschieden gelesen werden. Diese Diskrepanz besteht zwischen dem privaten Lesen, wobei der Leser niemandem Rechenschaft schuldig ist und dem Lesen von Literatur in Unterrichtssituationen, wo Begründungen und Belege zum Lesen einer Textart gefordert sind. Doch zunächst müssen sich die Lerner einmal trauen können, subjektive Lesarten zu äußern. Spontane Assoziationen, die vielleicht erst einmal nur dem Leser verständlich sind, sollten wert- und urteilsfrei zugelassen werden. Hier gibt es kein richtig oder falsch. Erst danach kann geübt werden, 5)Vgl. dazu Bischof, Kessling, Krechel(1999: 33), Hunfeld(1994), Esselborn(2010), Koppensteiner(2001). Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 31 wie die eigene Lesart am Text belegt werden kann. Wobei dies natürlich vor allem dann sinnvoll ist, wenn sich die Lerner in der Fremdsprache verständigen können und auch bereit sind, sich darauf einzulassen. Die Chancen dafür stehen nach meinen bisherigen Erfahrungen jedenfalls nicht schlecht und zwar aus dem Grund, dass viele Lerner, obwohl nach passenden Wörtern „gerungen“ werden muss, nach einem ansprechenden Text motiviert sind, sich mitzuteilen. Auch wenn man in dem Moment vielleicht nicht das passende Wort parat hat, kann man sich trotzdem ausdrücken und vielleicht sogar anschaulicher vermitteln, was man meint und fühlt. Dies kann eine wichtige Erkenntnis im Prozess des Sprachenlernens darstellen. 3.2 Kriterien für die Textauswahl Welche Texte eignen sich nun für den Fremdsprachenunterricht auf Anfängerniveau überhaupt ? Die Auswahl geeigneter Texte hängt von unterschiedlichen Faktoren ab : von zeitlichen Rahmenbedingungen bis zu Aspekten, die die Zielgruppe betreffen, z. B. Interesse und Lernziel der Lerner, ihr Sprachniveau sowie ihr Hintergrundwissen über die jeweilige Kultur(vgl. Bischof, Kessling, Krechel 1999: 23). Am Wichtigsten ist wohl das Sprachniveau der Lerner. Sie sollen die Texte verstehen können und sollten nicht durch zu hohe sprachliche Barrieren entmutigt werden. Dieser Punkt kann leicht von Lehrenden überschätzt werden(Westhoff 1997: 84). Lyrische Formen haben einen entscheidenden Vorteil aufgrund ihrer Kürze. Viele dieser Texte zeichnen sich zudem durch eine relativ leichte Wortwahl aus. Konkrete Poesie ist eine gute Wahl vor allem in Gruppen mit Anfängerniveau : Sie wirkt motivierend auf den Leser, da sie nicht in einen bestimmten Kontext eingebettet ist, sondern offen ist und den Leser einlädt, mit ihr zu experimentieren. Die kreative Seite im Leser wird somit herausgefordert. Zudem sind diese Texte durch Einfachheit in Bezug auf Lexik und Morpho-Syntax charakterisiert. Geeignet sind vor allem jene Texte, die den Lerner 32 言語文化研究 第31巻 第2号 sprachlich nicht überfordern, aber inhaltlich höhere Ansprüche stellen als Lehrbuchtexte. Zudem wird hier auch der affektive Bereich angesprochen, der normalerweise im Sprachunterricht zu kurz kommt. Gerade Texte, die auf persönlichen Erfahrungen, auf allgemeinen menschlichen Problemen beruhen, erleichtern unter Umständen die Identifikation mit dem Text. Es sollten somit also genügend Anregungen für die mündliche und schriftliche Arbeit mit dem Text gegeben sein. Eine entscheidende Rolle spielen Leerstellen, die in ihrer Gesamtheit die Appellstruktur des Textes ausmachen. Es handelt sich hierbei um bestimmte Stellen im Text, die durch die Vorstellung des Lesers besetzt werden. Indem der Text Leerstellen bietet, ermöglicht er dem Leser, sich an der Sinnkonstitution des Geschehens aktiv zu beteiligen. Ist die Zahl der Leerstellen zu gering, läuft der Leser Gefahr, sich zu langweilen. Ist die Zahl der Leerstellen wiederum zu hoch, könnte der Leser sich mit dem Gefühl der Überforderung vom Text abwenden. Die Leerstelle nimmt bei Iser einen äußerst wichtigen Platz ein. Er nennt sie „das wichtigste Umschaltelement zwischen Leser und Text“(1970: 33). Unbestimmtheit sieht er als aktivierendes Element zur Mitgestaltung des Textes durch den Leser, der einen festen Platz in der Textstruktur einnimmt. Literarischer Text und Leser bedingen sich folglich gegenseitig. Außerdem kann durch die Leerstellen die Fremderfahrung der Texte zu einer privaten Erfahrung des Lesers gemacht werden und zwar insofern als das Fremde an die eigene Erfahrungsgeschichte angeschlossen werden kann(vgl. Iser 1970: 34). Auf diese Weise ist es möglich, Erfahrungen mithilfe eines literarischen Texts über sich selbst zu machen. Dies ist wohl auch ein wichtiger Grund, warum Leser immer wieder bereit sind, sich auf einen Text einzulassen. Ein Beispiel für einen solchen Text soll im Folgenden zitiert werden : Die Frau von nebenan(Wolfgang Kunz): Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 33 Tür an Tür hör ich dich kommen und gehen. Dein Leben. Mein Leben. So nah. So fern. Wie der Lehrbuchtext fordert auch dieser Text zum Nachsprechen auf, er lädt den Leser aber auch dazu ein, die Situation auf sich zu beziehen und das Du individuell zu besetzen. Der Text regt auch dazu an, kreativ zu werden. Unterrichtsbeispiele anhand weiterer Texte werden im Folgenden dargestellt. 3.3 Unterrichtsbeispiele und didaktische Vorschläge In einem Kurs, bestehend aus Studierenden aus unterschiedlichen Ländern, wurde die Verschiedenheit in der Wahrnehmung von Literatur beeindruckend vor Augen geführt.6) Das ausgewählte Gedicht Inventur von Günter Eich beschreibt die Notlage des lyrischen Ichs am Ende des ersten Weltkrieges. Es handelt sich dabei nicht nur um die Darstellung einer persönlichen Bedrohung, sondern auch um eine die ganze Nation betreffende Notlage. Ich hielt den Text für angemessen, da der Inhalt verständlich und vom Vokabular her nicht zu schwierig ist. Dadurch, dass der Text zeitlich nicht so fern ist, könnte er auch den ausländischen Studenten genug Anknüpfungspunkte geben, um ihn auf die deutsche Geschichte beziehen zu können. Da der Text andererseits aber wieder sehr allgemein gehalten ist, bietet er außerdem 6)Der Kurs wurde im Sommersemester2008an der Universität Eichstätt-Ingolstadt gehalten. 34 言語文化研究 第31巻 第2号 die Möglichkeit, ihn auf andere Situationen zu beziehen. Er ist also nicht zu spezifisch. Wichtig ist, dass er den fremdkulturellen Leser an die fremde Kultur heranführt und ihm ermöglicht, an seinem eigenen Erfahrungshorizont und seinen eigenen Vorerfahrungen anzuknüpfen. Zudem bietet er genügend Leerstellen, die der Leser mit seinen eigenen Vorstellungen füllen kann. Wie Iser in seinem Aufsatz schreibt, ist der Leser, je unbestimmter die Texte sich darstellen, „desto stärker(…)in den Mitvollzug ihrer möglichen Intention eingeschaltet“(1971: 8). In der Folge kann dann auch die Toleranzgrenze des Lesers überschritten werden, wodurch dieser sich im Extremfall derart strapaziert fühlen kann, dass er sich vom Text abwendet. Wichtig ist auch, dass der Text nicht abstrakt geschrieben ist und kein zu schwieriges Vokabular enthält. Das lyrische Ich zählt vielmehr Habseligkeiten auf, die zum Grundwortschatz gehören, von einigen Vokabeln wie „Zwirn“ oder „Zeltbahn“ einmal abgesehen. Eine zweite Möglichkeit wäre auch das Rudolf Otto Wiemers Gedicht unbestimmte Zahlwörter gewesen, das ich prinzipiell für den Sprachunterricht für sehr geeignet halte, das jedoch vermutlich nur für deutsche Leser auf die Unwissenheit der Bevölkerung in Bezug auf die Geschehnisse des Dritten Reiches hindeutet. Die Spannbreite reicht von „alle haben davon gewusst“ bis hin zum verdrängenden „niemand hat davon gewusst“. Die Skala zwischen beiden Polen ließe sich gut für die Einführung bzw. die Wiederholung von Zahlwörtern verwenden. Eine Möglichkeit wäre auch, weitere bekannte oder unbekannte Zahlwörter(etliche, mehrere)mit einzubeziehen und sie an der richtigen Stelle zu ergänzen. Wie Günter Eichs Inventur ist auch dies ein Gedicht, das sich auf viele Situationen beziehen kann, sei es auf private oder auch auf öffentliche und politische Situationen, in denen Verdrängung aus Bequemlichkeit oder anderen Gründen stattgefunden hat. Die Inventur erschien mir jedoch etwas greifbarer, da es mehr Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 35 Inhalt bietet. Die Studenten fassten die Situation des lyrischen Ichs als eine existenzielle Notlage auf, die, obwohl sie schwierig ist, dennoch einen Hoffnungsschimmer erahnen lässt. Mehrmals tauchte das Adjektiv „obdachlos“ auf. Einige verstanden das Gedicht lediglich als bloße Aufzählung von Habseligkeiten, als bloße Bestandsaufnahme. Keiner jedoch assoziierte es mit Krieg oder der Situation nach 1945. Bei einer chinesischen Studentin trat vielmehr der Wunsch auf, das Gedicht auf das schwere Erdbeben in China zu beziehen. Deutlich wurde jedoch schon aus diesem kurzen, etwa viertelstündigen Dialog, dass die unterschiedlichen Erwartungshorizonte der Leser einen entscheidenden Einfluss auf die jeweilige Lesart hatten. Im Vorfeld des Referats hatte ich mir überlegt, dass wohl die meisten Studenten darauf kommen könnten, aus welcher Zeit das Gedicht möglicherweise stammt, was jedoch durchaus nicht der Fall war. Die in der Arbeit bereits angesprochene Fremd- als Selbstwahrnehmung ist hier natürlich ebenfalls erwünscht. Jedes Land hat seine spezifischen Schwierigkeiten und Lasten zu tragen, die durch den Text, eigentlich auf eine typisch deutsche Situation gemünzt, in der Wahrnehmung des Lesers deutlich werden. Das folgende Beispiel stammt aus einem Lesekurs, abgehalten an der Universität Matsuyama im Sommersemester2011. Feind Über mir wohnt ein Mann Ich höre ihn heimkommen nachts Höre, wenn er sich Kaffee kocht Viel ist das nicht Gerade genug, um zu wissen Dass er 36 言語文化研究 第31巻 第2号 Mein Feind ist. Das vorliegende Gedicht von Dieter Leisegang ist kurz, prägnant und leicht verständlich. Es beinhaltet ein gewisses narratives Element und ist kontextuell schwach besetzt. Die Hauptfigur ist klar markiert und es gibt ein Gegenüber(Ich). Das Gedicht ist nicht in einen Kontext eingebettet und ohne Vorwissen verstehbar. Die Verse bilden eine Alltagssituation ab : die Heimkehr des Nachbarn am Abend und die Gedanken des Ichs, das den Nachbarn als Feind empfindet. Warum dieser ein Feind für das lyrische Ich ist, wird nicht näher ausgeführt und löst Betroffenheit und Verwunderung aus. Wie kann jemand, über den man kaum etwas weiß eigentlich nur, dass er spät nach Hause kommt und sich dann Kaffee(?)kocht - als Feind empfunden werden ? An dieser Stelle setzt die Diskussion an. Eine Möglichkeit, wie das Gedicht behandelt werden könnte, möchte ich im Folgenden vorstellen(vgl. dazu auch Hunfeld 1994: 42). Das Gedicht wurde zunächst im Plenum ohne Titel und Zeile für Zeile präsentiert. Der letzte Vers wurde vorerst nicht gezeigt. In Gruppenarbeit sollten die Studenten für jeden Vers weitere mögliche Ausdrücke finden und den letzten Satz zu Ende führen. Dadurch können sich die Studenten dem Text annähern und ein Gefühl für die Struktur des Textes bekommen. Dieses Vorgehen gibt auch Zeit, den Text genau zu verstehen, um dann produktiv auf ihn reagieren zu können. Eine umgekehrte Vorgehensweise wäre ebenso denkbar. Der Begriff „Feind“ löst unweigerlich gewisse(negative)Assoziationen aus, die vor dem Lesen des kompletten Textes gesammelt werden könnten, um dann mit dem Original verglichen zu werden. Im vorliegenden Gedicht wird ein reibungsloser Abschluss verweigert und Irritation beim Leser ausgelöst ; Gesprächsbedarf sollte also vorhanden sein. Die unverfängliche und den Studenten bekannte Sprachübung, nämlich einen Mustersatz zu ergänzen, zu erweitern und Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 37 umzuschreiben, wird in dem Moment „mehr“, in dem der Text vom Leser mehr zu erwarten scheint als das bloße Nachsprechen und Nachschreiben eines Musters. Gerade im Fremdsprachenunterricht, in dem neben dem Erlernen einer Sprache auch das Kennenlernen einer Kultur und auch die Überwindung von Vorurteilen ein wichtiger Aspekt ist, kann ein solcher Text auf fruchtbaren Boden fallen. Das lyrische Ich beschreibt zunächst lediglich seine auditiven Eindrücke und kommt in den letzten Versen zu einer Interpretation. Der Leser hat nun die Wahl, diese Interpretation zu übernehmen oder die Situation für sich umzudeuten. Im Kurs wurden unter anderem folgende Vorschläge geäußert : Viel ist das nicht, Gerade genug, um zu wissen Dass er ein Nachbar ist. / viel arbeitet. / Kaffee gerne trinkt. / wahrscheinlich müde ist. Der Vergleich mit dem Originaltext löste deshalb Erstaunen aus, da sich die Studenten nicht erklären konnten, warum jemand, über den man kaum etwas weiß, ein Feind ist. Weitere Fragen, die man sich stellte, waren auch, was man eigentlich selbst über seinen Nachbarn weiß, was unter Umständen noch weniger sein kann, als das in dem Gedicht Dargestellte. Den Unbekannten dennoch als Feind zu bezeichnen erschien den Studenten nicht einleuchtend. Soviel Frust gegenüber jemandem, der einem nichts getan hat, könnte, so eine Studentin, eventuell von schlechten Erfahrungen mit Nachbarn allgemein, herrühren. Es wurde die Vermutung geäußert, dass in Deutschland das Feindbild Nachbar im Vergleich zu anderen Ländern möglicherweise stärker ausgeprägt ist. Hier soll nicht weiter auf das Nachbarschaftsverhältnis in Deutschland bzw. Japan eingegangen werden, aber die Grundorientierung einer Gesellschaft bezüglich individualistisch 38 言語文化研究 第31巻 第2号 (Deutschland) bzw. kollektivistisch (Japan) legt nahe, dass die Nähe des Nachbarn anders empfunden wird. Im Falle einer individualistischen Gesellschaft, deren Mitglieder nach Hall mehr Wert auf die Erfüllung ihrer persönlichen Interessen und Wünsche legen und sich weniger als Teil eines Beziehungsgefüges sehen, kann der Zusammenprall unterschiedlicher Bedürfnisse, beispielsweise in Bezug auf Lärm, heftiger sein. Zum Repertoire des handlungsorientierten Unterrichts gehören neben der Umgestaltung und der Weiterführung eines Textes aber auch folgende Vorgehensweisen, die hier angewendet werden können : dem Nachbarn einen Brief schreiben, einen Dialog zwischen dem lyrischen Ich und dem Nachbarn führen, einen Tagebucheintrag des lyrischen Ichs schreiben oder die Perspektive des Nachbarn einnehmen(vgl. Bischof, Kessling, Krechel1999: 33). Ein weiteres Gedicht, das zum Themengebiet Wohnen passt und das aufgrund der einfachen Sprache auch im Anfängerunterricht verwendet werden kann, ist das Gedicht „Wohnen“ von Brigitte Wiers :7) In der Stadt wohnen Auf dem Land wohnen Am Ende der Welt wohnen In einer Villa wohnen In einer Baracke wohnen In einem Loch hausen Dieses Gedicht erscheint auf den ersten Blick weniger poetisch sondern eher wie eine Wortschatzübung, aber auch hier ist es der letzte Vers, der deutlich macht, 7)übernommen aus Hunfeld(1994). Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 39 dass es um mehr geht als um Präpositionen und Vokabeln. Nichtsdestotrotz ist dies auch hier der erste Schritt : Der Lerner - um die oben ausgeführte Gegensätzlichkeit Lerner und Leser beizubehalten - denkt sich unterschiedliche Wohnvarianten aus : Wo kann man wohnen ? Hier können, beispielsweise mithilfe eines Assoziogramms an der Tafel oder in Partnerarbeit, verschiedene Wohnmöglichkeiten gesammelt werden. Mögliche Antworten können sein : im Hochhaus wohnen, im Landhaus wohnen, im Zelt campen, im Wohnwagen wohnen, im Reihenhaus wohnen, im Wohnblock wohnen. Wichtig wäre hierbei auch, die verschiedenen Wohnmöglichkeiten anhand Fotos zu veranschaulichen, um die Unterschiede zwischen einem Haus oder einer Wohnsiedlung in Deutschland bzw. in Japan feststellen zu können. Denkbar wäre auch, im Unterricht einen Sachtext auszuteilen, der das Wohnverhalten von Studenten beschreibt. Wohngemeinschaften etwa sind vor allem in Deutschland sehr beliebt, wohingegen diese Wohnform in Japan eher unbekannt ist. Im letzten Vers werden dann die sozialen Verhältnisse thematisiert und der Leser wird angesprochen. Hierbei ist es wichtig, den negativen Beiklang des Verbs „hausen“ zu thematisieren und möglicherweise auch Verben für das luxuriöse Wohnen zu suchen(z. B. in einem Schloss residieren). Ein weiteres für die Anfängerstufe angemessenes Gedicht, das ebenfalls als Anstoß zum Kreativen Schreiben dienen kann. Auf der Schwelle des Hauses(Günter Kunert) In den Dünen sitzen. Nichts sehen Als Sonne. Nichts fühlen als Wärme. Nichts hören Als Brandung. Zwischen zwei Herzschlägen glauben : Nun 40 言語文化研究 第31巻 第2号 Ist Frieden. Dieses Gedicht kann als Lückentext präsentiert werden. Durch das Einsetzen von Wörtern und Wortgruppen entstehen Gedichte, die individuelle Eindrücke beschreiben. Als Hilfestellung können Bilder oder Fotos angeboten werden, die das Einfühlen in eine bestimmte Situation erleichtern, zum Beispiel im Wald, an einem See, auf einer Insel, in einem Heißluftballon, zu Hause auf dem Sofa. Der Text lädt auch dazu ein, sich einen Platz außerhalb des Klassenzimmers zu suchen und dort seine Eindrücke aufzuschreiben : in einem Café, auf einer Parkbank oder am Fluss. sitzen. Nichts sehen als . Nichts fühlen als . Nichts hören als . Zwischen zwei Herzschlägen glauben : 4. Schluss Inwieweit man literarische Texte in den Anfängerunterricht einbeziehen kann, hängt von vielen Faktoren ab. Dass es möglich ist, sollte im vorliegenden Aufsatz dargestellt werden. Interesse der Studierenden und des Lehrenden ist jedenfalls eine wichtige Voraussetzung, ohne die das Unternehmen Literatur im Anfängerunterricht wohl scheitern würde. Dass hier vor allem die Förderung der Fremdsprache im Vordergrund steht, ist unumstritten. Dennoch sollen von Anfang an auch die Besonderheiten der Zielkultur mit einbezogen werden. Neben landeskundlichem Literatur im DaF-Unterricht für Anfänger 41 Material, wie Fotos, Filmausschnitte etc., können auch literarische Texte eingesetzt werden, die alle vier Fertigkeiten unterstützen. Texte können vorgetragen werden, d. h. man hört bzw. liest sie, sie geben Anlass für ein „echtes“ Gespräch und sie bieten Schreibanlässe. Man muss dafür jedoch „die Literatur entmystifizieren, Berührungsängste abbauen und vor allem stets von der Erkenntnis ausgehen, dass kein Text verfasst worden ist, um nur von Philologen interpretiert zu werden“ (Koppensteiner 2001: 15). Literatur kann seiner Meinung nach als „Lockmittel“ für grammatische Übungen eingesetzt werden(2001: 16). Dennoch ist es wichtig, nicht nur bei Sprachübungen stehen zu bleiben, sondern auch zu versuchen, über den Text und die Leseerfahrungen zu sprechen. Von Bedeutung ist außerdem, einen Text zu wählen, der möglichst viele Lerner anspricht und eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Lerner zu äußern trauen. Literarische Texte können dann nicht nur einen dienenden Charakter haben und grammatische Phänomene vermitteln, sondern auch als Literatur wahrgenommen werden. Literatur Baasner, Rainer / Zens, Maria(2001): Methoden und Modelle der Literaturwissenschaft. Eine Einführung. Berlin : Erich Schmidt Verlag. 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