Vortrag zu Aktuellen Forschungsfragen der Mehrsprachigkeitsdidaktik Christoph Merkelbach, Technische Universität Darmstadt Ziel der Veranstaltung ist es, einen Bogen von den gegenwärtigen Forschungsanliegen zu sprachenpolitischen Anliegen in der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu schlagen. Das in der Wissenschaft oft noch als Normalfall angesehene Konstrukt der Einsprachigkeit und der sukzessiv darauf aufbauenden Mehrsprachigkeit ist so eindeutig nicht zu halten. Die Realität ist in Schulen, in Universitäten, in Betrieben, kurz gesagt, in allen Gesellschaftsbereichen dieser Welt mehrsprachig, und das nicht erst seit den großen Flüchtlingsströmen, die in den letzten Jahrzehnten weltweit beobachtet werden konnten. Zunächst werden Überlegungen angestellt, was die Begriffe Einsprachigkeit, Zweisprachigkeit und Mehrsprachigkeit voneinander abgrenzt. Der Unterschied zwischen den ersten beiden Begriffen scheint eindeutig; der Unterschied zwischen den letzten beiden Begriffen – also Zwei- und Mehrsprachigkeit – wird aus verschiedenen Gründen gerne marginalisiert, bedarf aber einer exakten Trennschärfe, um die Erforschung von multiplem Sprachenlernen zu ermöglichen. Der Begriff der Mehrsprachigkeit muss also genauer beleuchtet werden, damit man sich einer präzisen Begriffsbestimmung nähern kann. Berücksichtigt werden in diesem Zusammenhang die verschiedenen Arten der Mehrsprachigkeit. Der politische Wille zur Mehrsprachigkeit und zum multiplen Sprachenlernen drückt sich u. a. im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen aus, der auf Anregung des Europarates erarbeitet wurde. Er setzt sich zum Ziel, für das Fremdsprachenlernen eine größere Einheitlichkeit und Transparenz zu schaffen, um die Mobilität zwischen den verschiedenen Ländern der EU zu steigern und nicht zuletzt die Einheit Europas zu stärken. In vielen anderen Regionen der Welt wurde dieses Werk als Grundlage für eine Fremdsprachenpolitik übernommen. Der Referenzrahmen definiert Niveaustufen, die das Sprachkönnen in den vier verschiedenen Fertigkeiten feststellt, er zeigt aber keinen Weg auf, wie multiples Sprachenlernen vonstattengeht und Mehrsprachigkeit vermittelt werden kann. Auch berücksichtigt er nur das Bedingungsgefüge der europäischen Sprachen (inklusive der autochthonen Minderheitensprachen). Der Frage nachzugehen, wie multiples Sprachenlernen stattfindet und gefördert werden kann, ist unter anderem die Aufgabe der Mehrsprachigkeitsforschung. Diese stellt die individuellen Hintergründe der Lernenden in den verschiedenen Lernsituationen in den Mittelpunkt ihrer Forschung. Es ist eine Tatsache, dass die Lernenden über eine wesentlich breitere sprachliche Erfahrung, auf deren Basis sie sich an die neue Sprache begeben, verfügen, als von Lehrenden bzw. den Lehrwerken angenommen wird. Seit der Jahrtausendwende sind unterschiedliche Modelle des multiplen Sprachenlernens Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses der Mehrsprachigkeitsdidaktik, die jeweils in Bezug auf verschiedene Faktoren (z.B. psycholinguistische, kontrastiv-linguistische, angewandt-linguistische etc.) ihre Berechtigung haben. Der Workshop geht auch weiteren Fragestellungen nach: Welche Faktoren tragen zum multiplen Sprachenlernen bei? Welche Richtlinien kann man für eine Mehrsprachigkeitsdidaktik formulieren? Gibt es überhaupt die eine Didaktik der Mehrsprachigkeit? Müssen oder können die allochthonen Herkunftssprachen beim multiplen Sprachenlernen eine Rolle spielen? Welche Akteure übernehmen welche Funktionen beim multiplen Sprachenlernen? Welche forschungsmethodischen Probleme kann man aufgrund der hohen Komplexität bei der Mehrsprachenlehrlernforschung beobachten? Christoph Merkelbach (Jg. 1966) ist in einer zweisprachigen Familie (Deutsch und Gebärdensprache) und in einem multikulturellen Umfeld an der deutsch-belgisch-niederländischen Grenze aufgewachsen, studierte und promovierte an der Humboldt Universität zu Berlin in den Fächern Erziehungswissenschaften, Deutsch als Fremdsprache und Moderne Sinologie. Von 1994 bis 2014 arbeitete er in Taiwan an verschiedenen Sprachlehrinstituten bzw. Universitäten, zuletzt an der National Taiwan University als Associate Professor für Deutsch und Didaktik DaF. Seit Juli 2104 leitet er die Geschäfte des Sprachenzentrums der Technischen Universität Darmstadt und auch das dortige Zentrum für interkulturelle Kompetenz. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Fremdsprachenlehrlernforschung, insbesondere im Bereich Tertiärsprachenerwerb, E-Lernen, Fachsprachen sowie kultur- und sprachsensiblem Unterricht. In den letzten Jahren hat er mehrere Bücher und internationale Journale zu verschiedenen Schwerpunkten der Fremdsprachenlehrlernforschung herausgegeben.