6 Geschlechtstypische Gesprächsstile Gesprächsstile werden in den Anfängen der feministischen Gesprächsforschung als autoritär, dominant oder kooperativ charakterisiert. Welche kommunikativen Verhaltensweisen diesen Merkmalen zugrunde liegen und welche sprachlichen Mittel dazu führen, daß der weibliche Gesprächsstil weitgehend als kooperativ, der männliche hingegen als dominant (bestimmend) galt, wurde zunächst in quantitativen Analysen erforscht, später trat zu dieser oft eine qualitative hinzu. Seit den neunziger Jahren werden Geschlechterhierarchien nicht mehr als gegeben vorausgesetzt. Es wird auch nicht negiert, daß es sie gibt. In der neueren Forschungsliteratur hat sich jedoch die Blickrichtung geändert: Da Rangunterschiede jeweils in einer aktuellen Situation ausgehandelt werden, können kommunikative Phänomene nicht einfach einem Geschlecht zugeordnet werden. Weder Frauen noch Männer sprechen in einem bestimmten Stil, der unabänderlich zu ihnen gehörte. Und ihr soziales Geschlecht ist nicht allein ausschlaggebend dafür, daß es Rangunterschiede gibt. Einige konversationelle Handlungen werden jedoch mehr von Frauen oder mehr von Männern ausgeführt. Wenn hier von Gesprächsstilen die Rede ist, dann mit Kotthoff als von einer ideal typisch verkürzten Kategorie. Auch wenn es nach heutiger Sicht nicht möglich scheint, Universalien herauszufiltern oder Frauen dem einen, Männer dem anderen Gesprächsstil zuzuordnen, so ist das Konzept eines männlichen und weiblichen Gesprächsstils nicht so einfach beiseite zu legen. Unter Stil wird oft ein Verhalten verstanden, mit dem sich eine Sprecherin oder ein Sprecher als er/sie selber ausdrückt. Bestimmte Merkmale wurden kontextlos einem Geschlecht zugeordnet. Heute stellt sich heraus, daß die Forschungsergebnisse hierfür zu heterogen sind. Es ist aber möglich, von stilistischen Präferenzen beim Gebrauch verschiedener sprachlicher Mittel zu sprechen, und dies je nach aktuellem Kontext. Dominantes Gesprächsverhalten meint heute, daß sich Handlungen herauskristallisieren lassen, die manchmal und in einem jeweiligen aktuellen Kontext das Arrangement der Geschlechter hierarchisieren. Wie zum Beispiel wird Status ausgehandelt? Gibt es statusgenerierende Aktivitäten, denen eher Frauen 178 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile oder eher Männer zuneigen? In einem zweiten Gespräch spielt dies aber vielleicht keine Rolle, denn hier ist wiederum Expertenwissen vorrangig, und Geschlecht und Status spielen eine untergeordnete Rolle. Geschlecht wird als Identitätskategorie in der Kommunikation hergestellt, aber manchmal ist es nicht die vorrangige. In diesem Kapitel werden zum einen Analysekategorien beschrieben, die häufiger in der Forschung verwendet wurden. Sie sind in die jeweiligen Forschungsansätze einzubinden. In den Analysen werden unterschiedliche sprachliche Ebenen untersucht; die Verbindung wird über soziale Ordnungsmechanismen hergestellt, wie sie beispielsweise Gesprächskontrolle versus Gesprächsarbeit oder Durchsetzungsstrategien darstellen. Bei ihrer Beurteilung muß jedoch besondere Vorsicht walten, da einige der Forschungsergebnisse aus den Anfängen der feministischen Gesprächsforschung bereits revidiert wurden. Wie sehen die Konstruktionsprozesse der Geschlechtertypisierung aus? ist eine Frage, der auch im Doing-gender-Ansatz nachgegegangen wird. Die Forschung hat hier nicht ein bestimmtes Sein zum Ausgangspunkt, sondern hat das Tun des Individuums in einem jeweiligen aktuellen Kontext in den Mittelpunkt gestellt. 6.1 Themenkontrolle und Gesprächsarbeit Prinzipiell werden in einer empirischen Untersuchung, mit der geschlechtsspezifische oder -typische Kommunikationsweisen herausgearbeitet werden sollen, zunächst Hypothesen aufgestellt. Danach werden Analysekriterien oder -kategorien bestimmt, die die Grundmuster des kommunikativen Verhaltens erfassen. An ihnen werden die Hypothesen überprüft.1 Die Wahl von Analysekriterien in einer Gesprächsanalyse gestaltet sich als schwierig, da die theoretischen Ansätze so unterschiedlich sind wie der untersuchte Gegenstand. Es gibt auch kein geschlossenes Modell, das die verschiedenen Theorien zusammenführte. In der Gesprächsforschung feministischer Konvenienz werden die Hypothesen häufig von früheren Analysen übernommen und die Analysekriterien den entsprechenden Gesprächssituationen gemäß - etwa der öffentlichen Fernsehdiskussion Schmidt (1988), S. 49. 6.1 Themenkontrolle und Gesprächsarbeit 179 oder dem privaten Zweiergespräch - ausgewählt. Die Ergebnisse mehrerer einzelner Gesprächsanalysen dienen dazu, über die Verallgemeinerung einen Gesprächsstil zu bestimmen. Bei der Bestimmung des Geschlechtstypischen geht es um Eigenheiten eines Gesprächsstils, die häufiger von einem Geschlecht als von dem anderen gebraucht werden. Geschlechtsspezifisches Gesprächsverhalten hingegen meint besondere Merkmale nur bei einem der beiden Geschlechter. Dies ist in unserer mitteleuropäischen Kultur so nicht vorhanden, in der Ethnosoziologie wird hier weiter geforscht (vgl. Kapitel 1). Männliche Themenkontrolle und weibliche Gesprächsarbeit haben sich als bipolare Ausgangshypothese im Dominanz-Unterdrückungsansatz herausgestellt. Key (1975) verglich männliches und weibliches Sprach verhalten mit einer Musikkomposition. Hier wie dort dominierten die Männer die Melodielinie, während die Frauenstimmen nur Begleitfunktion hätten - indem sie in einem Gespräch Sicherheit gäben und vor allem dafür sorgten, daß der Mann weiterreden könne („keep the men going").2 Fishman (1978) formulierte daraufhin die folgende These: Männer kontrollieren die Gesprächsthemen, während Frauen die Arbeit leisten, das Gespräch zum Gelingen zu bringen.3 Die These von männlicher Themenkontrolle und weiblicher Gesprächsarbeit bietet die erste Grundlage für die Untersuchungen über das geschlechtsspezifische Sprechen seit den siebziger Jahren. Fritjof Werner (1981) stellte fest, daß sich Themenkontrolle und Gesprächsarbeit gegenseitig ausschließen. In einer universitären Arbeitsgruppendiskussion und in einem Paarkonfliktgespräch übernahmen die Männer zu wenig von der Gesprächsarbeit und bestimmten das Thema so, daß die Frauen keine Gelegenheit mehr hatten, ihre eigenen Positionen thematisch zu entwickeln. Die Frauen konnten sich nicht gegen die Vorgehensweise der Männer behaupten, weil sie zuviel von der Gesprächsarbeit übernahmen: Sie machten entweder thematische Redebeiträge oder stellten ihre Positionen nicht in Abgrenzung gegen andere Positionen dar, wie es die Männer taten.4 West/Zimmerman gehen insofern von einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Gesprächsführung aus.5 Das Geschlecht reicht 2Key (1975), S. 36. 3Fishman (1978), S. 405; dies übernahm auch Trömel-Plötz (1984a), S. 61, als vierte ihrer Hypothesen über gemischtgeschlechtliche Gespräche. 4 Werner (1981), S. 27. 5West/Zimmerman (1983), S. 110. 180 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile aber nicht aus, um zu erklären, warum die Frauen die Gesprächsarbeit übernehmen. Deshalb wurde in vielen Untersuchungen als zweite Grundlage das dominante Sprachverhalten untersucht: Wenn in einem Gespräch eine Person dominiert, etwa über Themenkontrolle, so sollte das als Indiz dafür gelten, daß zwei Personen mit ungleichem Status miteinander kommunizieren. Ungleicher Status wiederum wird in Gesprächen konstruiert (vergleiche Abschnitt 5.3) und kann ein Indiz für Macht sein. Die Mittel, mit denen Kontrolle über das Gesprächsthema ausgeübt wird, sind immer auch dazu da, bestimmend in den gesamten Gesprächsverlauf einzugreifen. Dies kann unterschiedliche Gründe haben. In feministischen Gesprächsanalysen wird überprüft, ob es stimmt, daß sie überwiegend von Männern angewendet werden. Dominante Formen des Gesprächsverhaltens wären dann in einer Generalisierung typisch für das männliche Geschlecht. In manchen Gesprächssituationen können auch die Frauen die dominante Rolle übernehmen - möglicherweise dann, wenn sie die Mehrheit in einer Gesprächsrunde haben oder wenn sie ein Fernsehgespräch moderieren. Ob dominante oder nichtdominante Formen geschlechtstypisch sind, also häufiger von Männern oder von Frauen angewendet werden, wird im Kontrast analysiert. In der feministischen Gesprächsforschung sind in empirischen Untersuchungen Analysekategorien wie Unterbrechung, Minimalreaktionen u. a. ausgewählt worden. Diese führen zu Fragestellungen, wie beispielsweise „Wer unterbricht häufiger und wer unterbricht wen?", „Wer gibt häufiger Minimalreaktionen?", „Wer redet länger, wer öfter?", „Wer führt Themen ein und wer setzt sich mit seinem Thema so durch, daß es Gesprächsthema wird?" und „Wer steuert/kontrolliert das Gesprächsthema, indem er Themenwechsel herbeiführt?". Andererseits wird gefragt: „Wer leistet die Gesprächsarbeit, indem er oder sie Bezüge zum vorangegangenen Redebeitrag herstellt?", „Wer bestätigt die gerade Sprechenden durch Minimalreaktionen?" oder „Wer stellt mehr Fragen?". In den Anfängen der feministischen Gesprächsforschung hatten sich die Forscherinnen auf eine quantitative Analyse beschränkt. Das Zählen von Unterbrechungen, Minimalreaktionen, Fragen usw. allein sagt noch nichts über ihre Bedeutung und Funktion aus. Deshalb wird mittlerweile auch untersucht, welche Funktion diese Kommunikationsmittel und kommunikativen Verhaltensweisen im Gespräch haben. Neben der quantitativen Analyse sind auch darauf aufbauende 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 181 und weitergehende Analysen wie beispielsweise die Inhaltsanalyse von Bedeutung, etwa um den Argumentationsverlauf in Gesprächen zur Abklärung thematischer Positionen herauszuarbeiten.6 Im folgenden werden ausgewählte Analysekriterien vorgestellt, die in den feministischen Gesprächsanalysen bestimmt und häufiger herangezogen wurden. Die Analysekriterien sind in mehreren Ansätzen angewendet worden (vgl. Abschnitt 5.3). Mit ihnen werden die feministischen Hypothesen zum weiblichen Sprach verhalten, wie sie zuerst von Lakoff, Key und in deren Nachfolge von Zimmerman, West und Fishman aufgestellt wurden, überprüft. An die Darstellung der einzelnen Kriterien knüpfen ausgewählte Untersuchungsergebnisse aus der vorliegenden Forschungsliteratur an. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle Mittel, mit denen die Themen des Gesprächs gesteuert oder kontrolliert werden können, sind einer dominanten Gesprächsführung zugeordnet worden. Sie werden benutzt, um etwa einen Themenwechsel oder einen Sprecher(innen)wechsel herbeizuführen oder die Sprecherin (oder den Sprecher) zum Schweigen zu bringen. Diese Mittel können aber auch unter dem Aspekt der Kooperation oder der Unterstützung eingesetzt werden. Welche Funktion sie jeweils in einer aktuellen Situation haben, geht aus den einzelnen Untersuchungen hervor. 6.2.1 Unterbrechungen und Unterbrechungsversuche Unterbrechungen sind nach dem Redebeitragswechsel-Modell von Sacks, Schegloff und Jefferson Regelverstöße des Gesprächsablaufs, denn mit einer Unterbrechung wird auf illegitime Weise ein Spre-cher(innen)wechsel herbeigeführt. West und Zimmerman werten die Unterbrechung als Verletzung des Rederechts („violation of speakers' turns at talk").7 Unterbrechungen wegen einer Nachfrage werden nicht initiiert, um einen Themen- oder Sprecher(innen)wechsel herbeizuführen; sie stellen aber dennoch Regelverletzungen im Modell 6Beispielsweise Schmidt (1988), S. 131. 7Zimmerman/West (1975), S. 115; West/Zimmerman (1983), S. 103. 182 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile dar. Unterbrechungen können (in einer mittleren Gesprächsphase) eine starke innere Beteiligung oder große Zustimmung ausdrücken. Sie müssen also nicht unbedingt auf ein dominantes Gesprächsverhalten verweisen. Nur Unterbrechungen, die das Rederecht einer Person beschneiden, weisen auf ein Dominanzverhaiten hin.8 Beispiel: Unterbrechung in einem Gespräch zwischen einem Arzt und einer Patientin. Die übereinander stehenden Bereiche zwischen zwei Schrägstrichen kennzeichnen simultanes Sprechen. Das Zeichen = steht für eine Pause.9 Physician: ... 'ly settle dow:n gradjully, a little bit, once yuh get used to it.= Patient: =The - press:: /ure's gonna - / Physician: /Well if it doe::sn',/ Secorbar:bital's not gonna help. Patient: Well, - Physician: It's gonna make things worse. Arzt: ... wird wahrscheinlich allmählich nachlassen ein bißchen, wenn Sie sich mal daran gewöhnen. Patientin: Der Druck /wird - / Arzt: /Nun, wenn er nicht/ nachläßt, wird Secorbarbital auch nicht helfen. Patientin: Also, - Arzt: Es verschlimmert die Dinge nur noch. Der männliche Arzt des Beispiels beginnt seine Äußerung „Well, if it doesn't, Secorbarbital's not gonna help", bevor die Patientin eine vollständige Äußerung getan hat - sie hört zu sprechen auf und läßt ihre Äußerung unvollständig.10 Als Folge einer Unterbrechung wird eine Sprecherin (oder ein Sprecher) daran gehindert, ein Thema zu entwickeln, ihre Position darzustellen oder auf ihre Weise zu argumentieren, auch wenn sie dafür etwas länger Zeit braucht. Wird sie häufig unterbrochen, kann sie kaum mehr etwas Vernünftiges sagen.11 Es ist sinnvoll, die Funktion von Unterbrechungen im Gespräch zu untersuchen, also zu fragen, 8Frank (1992), S. 54. 9West (1984), S. 189 ft". 10West (1984), S. 191. "Trömel-Plötz (1984a), S. 59. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 183 warum unterbrochen wird, und darüber hinaus zu analysieren, wer wen unterbricht. Sind Unterbrechungen unterstützend, kooperativ oder eine dominante Form des Sprechens? Als Unterbrechungsversuche - oder in der Terminologie von Henne/Rehbock (1979) Gesprächsschrittbeanspruchungen12 - gelten Äußerungen, die simultan zum Redebeitrag (Gesprächsschritt) einer Sprecherin oder eines Sprechers in der Absicht gemacht werden, die Rolle des Sprechers oder der Sprecherin zu übernehmen. Sie können als subtiles Mittel die Selbstwahl als nächste Sprecherin oder als nächster Sprecher ankündigen. Die Untersuchung von Unterbrechungsversuchen soll darüber Auskunft geben, wem es nicht gelingt, einen Sprecher(innen)wechsel herbeizuführen, wer sich also wem gegenüber nicht durchsetzen kann. Gegenüber Unterbrechungen und Unterbrechungsversuchen sind Überlappungen (overJaps) Irrtümer in der Beurteilung des Übergangs zwischen Redebeiträgen.13 Sie geschehen, wenn ein Punkt als geeignet für einen Sprecher(innen)wechsel identifiziert wird. Die nächste Sprecherin oder der nächste Sprecher beginnt zu früh zu sprechen, unterbricht jedoch nicht.14 Die Überlappung ist kein Analysekriterium, sie muß nur von der Unterbrechung oder deren Versuch abgegrenzt werden. Ergebnisse aus der Forschung. In ihrer ersten Untersuchung fanden Zimmerman und West (1975) heraus, daß 96 Prozent aller Unterbrechungen in elf untersuchten Unterhaltungen zwischen einem Mann und einer Frau, die in natürlichen Situationen15 aufgenommen wurden, von Männern initiiert wurden. Sie behaupteten daraufhin, daß Männer Frauen systematisch unterbrechen, Frauen hingegen Männer kaum unterbrechen würden.16 In einer weiteren Arbeit (West und Zimmerman 1977), in der Gespräche von Eltern und Kin- 12Henne/Rehbock (1979), S. 20 ff., ordnen Gesprächsschrittbeanspruchungen den Hörer(innen)aktivitäten zu; hingegen bedeuten Unterbrechungen eine Übernahme des Gesprächsschritts und sind insofern keine Hörer(innen)aktivität mehr. Redebeitrag und Gesprächsschritt fallen allerdings nicht unbedingt zusammen. 13 West (1984), S. 188 f. 14Gräßel(1991),S. 38. 15 Ein natürliches Gespräch kann spontan und arrangiert sein, es ist aber weder fiktiv noch inszeniert. Natürliche Gespräche sind real in gesellschaftliche Funktionsabläufe eingelassen. Vgl. Henne/Rehbock (1979), S. 33. leZimmerman/West (1975), S. 116, und Trömel-Plötz (1984a), S. 57. 184 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile dem analysiert wurden, initiierten die Eltern 86 Prozent aller Unterbrechungen. Durch den Vergleich mit der ersten Untersuchung ergab sich für Zimmerman und West, daß Frauen und Kinder in bestimmten Gesprächssituationen denselben Status zugesprochen bekamen, indem beiden Personengruppen nur ein eingeschränktes Rederecht (restricted right to speak) zuerkannt und sie nach Belieben ignoriert oder unterbrochen wurden.17 In einer anderen Untersuchung geht West (1984) davon aus, daß in den USA die meisten Ärzte dem folgenden Bild entsprechen: Sie sind männlich, weiß und protestantisch. West interessierte sich dafür, was in Gesprächen zwischen Arzt und Patientinnen bzw. Patienten passiert, wenn eines dieser Statusmerkmale für den Arztberuf entfällt: Der Arzt ist eine Ärztin. Dazu untersuchte West in zehn Gesprächen zwischen männlichen und weiblichen Ärzten mit ihren Patientinnen oder Patienten, wer wen unterbricht, also die Verteilung von Unterbrechungen. Während die männlichen Ärzte 69 Prozent aller Unterbrechungen initiierten, waren es bei den Ärztinnen nur 32 Prozent. Patienten und Patientinnen unterbrachen Ärztinnen ebenso häufig bzw. häufiger als die Ärztinnen sie. Eine symmetrische Verteilung von Unterbrechungen gab es zwischen Ärztinnen und Patientinnen. Männliche Patienten unterbrachen ihre Ärztinnen mehr als umgekehrt. West zog für diese Untersuchung den Schluß, daß die männlichen Ärzte die Unterbrechungen als Mittel benutzten, um Kontrolle über die Patientinnen und Patienten auszuüben.18 Nicht in allen Studien zu Zweiergesprächen konnte nachgewiesen werden, daß Männer Frauen häufiger unterbrechen als umgekehrt oder daß es geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Unterbrechungen gibt. Allerdings stellte sich in Untersuchungen von gemischtgeschlechtlichen Zweiergesprächen, bei denen ein Partner dominierte, heraus, daß die dominante Person häufiger unterbrach und bei diesen Gesprächen die geschlechtsspezifischen Unterschiede aufgehoben waren. Zunächst hatte Trömel-Plötz die Hypothese, daß Männer Frauen systematisch unterbrechen, in ihrer Untersuchung der Fernsehdiskussion „Opernhauskrawalle: Haben die Massenmedien versagt?" (1982 und 1984c) bestätigt. Ihr Zahlenmaterial ist jedoch angreifbar19, 17West/Zimmerman (1977), S. 525. 18 West (1984), S. 196. 19Gräßel(1991), S. 46. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 185 und sie unterscheidet die Überlappung nicht von der Unterbrechung. In einer anderen Fernsehdiskussion, an der vier Männer und zwei Frauen teilnahmen (Hummel 1984), wurden die Redebeiträge der statushöchsten Frau zu 85,7 Prozent durch Fremdentscheidung, Überlappungen und Unterbrechungen beendet, die des statushöchsten Mannes nur zu 37,5 Prozent. Demgegenüber wurde der statusniedrigste Mann ebenfalls zu 37,5 Prozent unterbrochen, die statusniedrigste Frau aber zu 53,3 Prozent. Gräßel (1991) untersuchte in fünf Fernsehdiskussionen die Verteilung der gesamten Unterbrechungen und ihre kommunikative Funktion. Sie unterscheidet Unterbrechungen in Verbindung mit einer Anrede, wegen eines Themen- oder Sprecher(innen)wechsels, wegen einer Nachfrage, wegen eines Widerspruchs und wegen eines Zusatzes. Allgemein konnte sie in den ausgewerteten Fernsehdiskussionen jedoch keine geschlechtstypische Verteilung von Unterbrechungen feststellen. Weder für größere gemischtgeschlechtliche Gruppen noch für Fernsehdiskussionen konnte sie bestätigen, daß Männer häufiger unterbrechen als Frauen. Für Zweiergespräche, die sie nicht analysiert hatte, schloß sie die vorangestellte These jedoch nicht aus. In Gräßels Untersuchung versuchten häufiger statushohe Personen, Personen des jeweils anderen Geschlechts zu unterbrechen als Personen des eigenen Geschlechts. Die Frauen allgemein versuchten häufiger, Männer zu unterbrechen als Frauen. Männer hingegen versuchten gleich häufig, Männer und Frauen zu unterbrechen.20 Die Schlußfolgerung von Zimmerman und West (1975), Männer würden Frauen „systematisch" unterbrechen, hielt der Überprüfung von Frank (1992) nicht stand. Frank bestätigt allenfalls die Tendenz, daß eine Frau in gegengeschlechtlichen Geprächen häufiger von ihrem männlichen Gesprächspartner unterbrochen wird als umgekehrt.21 Unterbrechungen und Unterbrechungsversuche stellen nach Frank personale Gewalt dar, wenn dadurch das Rederecht der Person, die gerade spricht, mißachtet wird. Frank erläutert dies anhand eines Beispiels, wie es für Frauen leider fast alltäglich ist: Wenn ein Mann in einer größeren Gesprächsrunde eine Frau unterbricht, um ihre Geschichte weiterzuerzählen oder um auf etwas zu antworten, das sie noch gar nicht gesagt hat, geht von ihm (personale) Gewalt aus. Die von der Frau intendierte Themenentwicklung ist damit zwar nicht 20Gräßel (1991), S. 219. 21 Frank (1992), S. 36. 186 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile beeinträchtigt - sie ist ja nur von jemand anderem übernommen -, doch ist der Frau die Möglichkeit genommen, sich darzustellen.22 Für Frank ist es denkbar, daß Frauen und Männer aus unterschiedlichen Gründen unterbrechen und daß in bestimmten sozialen Situationen von Frauen und Männern die Unterbrechungen unterschiedlich eingesetzt werden.23 Die statistische (quantitative) Auswertung der Unterbrechungen in gemischtgeschlechtlichen Examensvorbereitungsgruppen zeigte in der Untersuchung von Schmidt (1988) eher die Abhängigkeit von Persönlichkeitstypen als die Abhängigkeit vom Faktor Geschlecht.24 Kotthoff(1992) bezieht sich auf den Ansatz der zwei unterschiedlichen Konversationsstile, die auf kulturellen Unterschieden von in der Jugendzeit erlernten Geschlechtsrollen basieren (Theorie der „zwei Kulturen", siehe Abschnitt 5.3). Auch nach Kotthoff darf nicht jede Unterbrechung gleich als Dominanzsignal gewertet werden, sie kann auch ein Involviertheitszeichen sein, je nachdem, ob sie als Widerspruch oder als Konsensäußerung interpretiert wird. Die relative Redezeit der am Gespräch Teilnehmenden muß ihrer Meinung nach ebenso berücksichtigt werden. Für die von ihr analysierte Fernsehdiskussion „Muttersöhne" kommt Kotthoff zu dem Schluß, daß ein Schüler oppositiv unterbrach, das Gespräch jedoch nicht dominierte, da er insgesamt wenig sagte. Zwei andere Sprecher nutzten die Unterbrechungen zur Herstellung ihrer Dominanz, eine Sprecherin verteidigte mit Unterbrechungen ihr Rederecht. Bei zwei Männern dienten die Unterbrechungen der offensiven Durchsetzung eigener thematischer Positionen.25 Kotthoff schließt daraus, daß die jeweilige geschlechtliche Minderheit sich fremdkulturell verhält. Auch Männer können in einer von Männern dominierten Situation wie einer Fernsehsendung unterlegen sein, wenn sie nicht den geforderten männlichen Interaktionsstil benutzen. Für die Fernsehsendung „Muttersöhne" wurden männliche Experten und weibliche Betroffene ausgewählt. Der männliche kommunikative Stil erschien hier deshalb als überlegener Stil, der „naturgemäß" den weiblichen kommunikativen Stil dominierte. Während die Männer ihren Expertenstatus aushandelten, inszenierten sie auch ihre Männlichkeit kommunikativ (doing 22Frank(1992),S. 54. 23Frank (1992), S. 55. 24Schmidt (1988), S. 129. 25Kotthoff (1992), S. 276. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 187 gender). Der andere Kommunikationsstil hatte keine Chance, sich 7A1 behaupten. Kotthoff folgerte daraus: „Die Geschlechterpolitik der Institution Fernsehdiskussion, die auf männlicher Dominanz basiert, wurde in beiden Gesprächen rekonstruiert und bestätigt."26 Inhaltliche Bewertung von Unterbrechungen. Unterbrechungen galten in der Forschung seit Zimmerman/West (1975) über das Kriterium des Quantums als Dominanzindikatoren. Becker (1995) hat dem gegenüber eine inhaltliche Beschreibung von Unterbrechungen vorgenommen. Ihr Motiv ist es, daß in den Forschungen seit zwanzig Jahren weder Sprecher(innen)wechsel noch Unterbrechung allgemein definiert wurden und es daher möglich ist, daß nicht immer dasselbe Phänomen betrachtet wurde und die Ergebnisse möglicherweise nicht vergleichbar sind. Becker argumentiert: Wenn Unterbrechungsversuche und Hörer(innen)signale (Minimalreaktionen, vgl. den folgenden Abschitt) nicht zu Unterbrechungen zählen, wie dies beispielsweise bei Henne/Rehbock (1979) der Fall ist, so werde hier nicht berücksichtigt, daß simultane Beiträge (Überlappungen) den Inhalt des Redebeitrags verändern. Für Becker gibt es eindeutig themen- und gesprächssteuernde Unterbrechungsversuche und Hörer(innen)signale, diese zählt sie zu den unterbrechenden Redebeiträgen hinzu. Die Unterbrechung ist ein Sprecher(innen)wechsel, der ohne vorherige Aufforderung geschieht. Die Ausgangsdefinition von Unterbrechung findet Becker bei Rath (1979), die Situation sei hier kurz geschildert: Ein Sprecher oder eine Sprecherin hat seinen/ihren Redebeitrag noch nicht beendet und möchte fortfahren. Eine Hörerin oder ein Hörer möchte zu sprechen beginnen und den Sprecher oder die Sprecherin veranlassen, mit Sprechen aufzuhören. Beim Unterbrechungsversuch des Hörers/der Hörerin kommt es zu simultanen Redesequenzen.27 Es ist jedoch nicht geklärt, ob Unterbrechungen gesprächsförderlich oder hinderlich sind. Der Regelverstoß könnte je nach Art der Talkshow durchaus auch Unterhaltungscharakter haben. Becker legt diese Definition der inhaltlichen Beschreibung und Bewertung von Unterbrechungen zugrunde. Auch hier bilden Talkshows im Fernsehen das Korpus. In die qualitative (inhaltliche) Analyse von Unterbrechungen bezieht Becker das Kom- 26Kotthoff (1992), S. 281. 27Becker (1995), S. 13. 188 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile munikationsmodell von Schulz von Thun28 mit ein. So besteht ihre inhaltliche Beschreibung einer Unterbrechung aus den Punkten Unterbrechungsart, den vier Wirkungsrichtungen als den vier Aspekten einer Nachricht nach Schulz von Thun - diesem untergeordnet aus jovialer (väterlich gegenüber Frauen), bovialer (störendes Handeln von Männern gegenüber Frauen), chauvialer (frauenverachtender) und neutraler Haltung - und als letztem aus dem Geschlecht. 1. Unterbrechungsarten. Es gibt Redebeiträge, die zu Unterbrechungen reizen: Inhaltliche Provokation, Vorwurf. Keine Unterbrechung fand sich ohne Themenbezug, sie bedeuteten eher Ablehnung als Zustimmung. Becker fand geschlechtsspezifische Unterschiede in der Unterbrechungsart. Nur Frauen verwendeten den Einwand. Sowohl Gesprächs- als auch Themenkontrolle können nur stattfinden, wenn die Unterbrechung akzeptiert wird. 2. Wirkungsrichtungen. Die untersuchten Talkshows waren sacheben-orientiert. Mit der Zunahme der Unterbrechungen stieg der Informationsgehalt. Auf der Beziehungsebene gab es Dominanzunterschiede der Gesprächsteilnehmenden. Statusunterschiede führten zu Konkurrenz oder Zurückweisung. Die Wirkungsrichtungen waren hier allerdings ein subjektiv zu interpretierendes Analysekriterium. 3. Geschlecht. Hier ließen sich tendenziell unterschiedliche Haltungen ausmachen. Männer unterbrachen Männer eher provozierend, mehr Männer unterbrachen Männer als Frauen, oft aggressiv. Frauen waren im Bereich des „diplomatischen Umgangs" auch bei ablehnendem Themenbezug nicht ausfallend, wenn sie unterbrachen. Funktionale Bewertung von Unterbrechungen. Eine besondere rollenspezifische Anforderung stellen Interviews von Politikerinnen und Politikern dar. Kowal u. a. (1998) finden in einem ersten Ergebnisbericht über ein Forschungsprojekt fünf verschiedene Funktionen für das Auftreten von Unterbrechungen, „alle haben mit den Besonderheiten der Textsorte zu tun und den gesprächsorganisierenden Aufgaben, die den Interviewerinnen und Interviewern darin zukommen ... ".29 Untersuchungsleitend war die Frage, ob Unterbrechungen unterstützend, kooperativ oder dominant sind. Im Prinzip bestätigen sie die Beobachtung, daß es meistens keine signifikanten 28Schulz von Thun, Friedrich (1981): Miteinander reden 1. Störungen und Klärungen - Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Reinbek. 29Kowal u.a. (1998), S. 293. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 189 Unterschiede zwischen Frauen und Männern in initiierten Unterbrechungen gibt. Wenn schon „echte" Unterbrechungen selten waren, so wurde in drei von 12 Interwiews gar nicht unterbrochen, und mehr als die Hälfte aller Unterbrechungen durch Interviewerinnen und Interviewer waren von einem einzigen Mann. Kowal u. a. geben fünf Beispiele für Unterbrechungen: um den Befragten detailliertere Antworten entlocken zu können (im angegebenen Beispiel folgte die Unterbrechung ohne simultane Rede und direkt an die Antwort mit steigender Intonation am Ende), wenn die Beiträge der Politikerinnen oder Politiker nicht enden wollten; wenn die Interviewten eine Information zurückhielten, unterbrachen die Interviewer oder Interviewerinnen mit „aber"; wenn die Sendezeit begrenzt war, unterbrachen die Interwiewerinnen oder Interviewer gegen Ende. Es fanden sich auch kooperative Unterbrechungen, als der interviewte Politiker steckenzubleiben drohte.30 Unterbrechungen und Unterbrechungsversuche behandeln über die genannten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinaus Klann (1981), Eakins/Eakins (1978), Leet-Pellegrini (1980), Trömel-Plötz (1982, 1984 a,b,c) Werner (1983), West/Zimmerman (1983, 1985), West (1984), Hummel (1984), Lauper/Lotz (1984), Kollock u.a. (1985), Claudia Schmidt (1988), Gräßel (1991, 1997) auch zusammenfassend bei Berücksichtigung der amerikanischen Literatur sowie Günthner (1992). Ein Überblick, der durch unveröffentlichte Magisterarbeiten ergänzt ist, findet sich bei Frank (1992). Des weiteren analysieren Altenried/Trömel-Plötz (1996), Schnyder (1997) und Antje Schmidt (1998) Unterbrechungen. 6.2.2 Verzögerte oder ausbleibende Minimalreaktionen Minimalreaktionen (minima] responses) sind Äußerungen der Hörerin oder des Hörers wie „ja", „mhm", „hmm" in einem Gespräch; sie sind, in einer anderen Terminologie, Rückmeldungspartikel.31 Rückmeldungen, die während der Redebeiträge anderer Personen gegeben werden, werden auch als Hörer(innen)rückmeldungen (Henne/Rehbock 1979), Hörer(innen)signale (Schwitalla 1976) oder Hörer(innen)-aktivitäten (Lauper/Lotz 1984) bzw. Höraktivitäten (Schnyder 1997) 30Kowal u.a. (1998), S. 292 ff. 31 Henne/Rehbock (1979), S. 176 ff. 190 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile bezeichnet. Die Hörerin oder der Hörer hört aktiv zu und gibt die Rückmeldung als sprachliche Aktivität. Die/Der Hörer(in) versteht nicht nur, sie (er) nimmt auch Einfluß und kann das Gespräch sogar steuern. Neben den Minimalreaktionen wie „mhm, hm" gibt es auch spontane Kommentare der Hörerin oder des Hörers und Unterbrechungsversuche. Der Unterbrechungsversuch muß per definitionem zurückgewiesen werden. Da er nicht zum Erfolg führt (sonst wäre von einer Unterbrechung die Rede), zählt er zu den Hörer(innen)aktivitäten. Bei einer Unterbrechung hätte demgegenüber ein Sprecher(innen)-wechsel stattgefunden. Die Minimalreaktionen können als eigenständige Antwort für einen ganzen Redebeitrag stehen, als Reaktion auf einen Redebeitrag folgen oder auch simultan während eines Redebeitrags gegeben werden. Andere Hörer(innen)rückmeldungen haben die Form von „Aktionen" und sind Kommentare oder Zwischenrufe. Auch durch sie können die Hörer oder Hörerinnen eine Diskussion steuern.32 Die Satzvollendung, die Bitte um Klärung, wiederholende Bemerkungen des Hörers oder der Hörerin und nonverbales zustimmendes Verhalten sind Hörer(innen)rückmeldungen, die von den minimalen „mhms" abgegrenzt werden müssen. Minimalreaktionen haben in Gesprächen vor allem zwei Funktionen: Sie können unterstützend sein (Minimalbestätigungen, vergleiche Abschnitt 6.3.2), können aber ebensogut eingesetzt werden, um Themenkontrolle auszuüben. Werden Minimalreaktionen meßbar verzögert gegeben, verwenden Zimmerman und West (1975) den Ausdruck „verzögerte Minimalreaktionen" (delayed minimal responses).33 Sie betrachten die Realisierung von Minimalreaktionen zusammen mit den ihnen vorausgehenden Pausen (prosodische Realisierung).34 Ist eine Minimalreaktion - innerhalb einer Gesprächssequenz betrachtet - am Ende einer (längeren) Äußerung plaziert, interpretieren dies Fishman und Zimmerman/West als Zeichen von Desinteresse beziehungsweise als Bestreben, sich aus der Interaktion zurückzuziehen. Wird die Minimalreaktion verspätet gegeben oder bleibt sie gar ganz aus, muß damit gerechnet werden, daß die Sprecherin oder der Sprecher ihren 32Gräßel(1991), S. 176. 33Zimmerman/West (1975), S. 123. 34 Vgl. Günthner (1992 a), S. 134. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 191 oder seinen Redebeitrag beendet. Das Ausbleiben von Minimalreaktionen kann als Desinteresse, als Unaufmerksamkeit oder als Aufforderung, den Beitrag möglichst schnell zu beenden, verstanden werden. Verspätete oder ausbleibende Minimalreaktionen können also Schweigen hervorrufen. Die Sprecherin oder der Sprecher verstummt, wenn die Minimalreaktion die Vorreiterfunktion für eine Unterbrechung einnimmt.35 Das folgende Beipiel für verzögert gegebene Minimalreaktionen ist Fishman (1978) entnommen.36 Es handelt sich um ein Paargespräch. Der Mann (M) bereitet einen Salat zu, während die Frau (F) ein Buch liest. Die Frau beginnt (initiiert) das Gespräch. Die Zahlen in Paranthese geben die Sekunden einer Pause an; bei (=) ist die Pause kürzer als eine Sekunde; in eckiger Klammer sind Kommentare von Fishman. Die betreffenden Minimalreaktionen sind von mir hervorgehoben. Beispiel: Verzögerte Minimalreaktionen F: I didn't know that. (=) M: Hmmm? (=) F: Um you know that [garbage disposal on] that organizational stuff about Frederick Taylor and Bishopsgate and all that stuff?(=) M: UmHm [yes] F: In the early 1900's people were trying to fight favorism to the schools (4) M: That's what we needed. (18) I never did get my smoked oysters, I'm going to look for [inaudible] (14) Should we try the Riviera French Dressing? (=) F: OK. That's a change. (72) Hmm. That's very interesting. Did you know that teachers used to be men until about 1840's when it became a female occupation? (2) M: Nhhmm [no](=) F: Because they needed more teachers because of the increased enrollment. (5) F: Das wußte ich nicht. (=) M: Hmmm? (=) 35Zimmerman/West (1975), S. 122 ff. 36Fishman (1978), S. 403. 192 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile F: Ah, kennst Du den ((macht den Mülleimer auf)) den organisatorischen Kram über Frederick Taylor und Bishopsgate und all das ganze Zeug?(=) M: Mhm [ja] F: Anfang des 19. Jahrhunderts versuchten die Leute, für die Beliebtheit der Schulen zu kämpfen (4) M: Das haben wir gebraucht. (18) Ich habe meine geräucherten Austern nicht bekommen, ich werde [unhörbar] suchen (14) Sollen wir das Riviera French Dressing probieren? (=) F: OK. Das ist mal was anderes. (72) Hmm. Das ist aber interessant. Wußtest du, daß Lehrer bis etwa 1840 normalerweise Männer waren? Danach wurde es ein weiblicher Beruf. (2) M: Nhhmm [nein](=) F: Weil sie mehr Lehrer brauchten wegen der gestiegenen Schülerzahl. Die Interpretation der Hörer(innen)signale als verzögert geht auf die Zeitangabe für die Pause vor der jeweiligen Minimalreaktion zurück. Die Ausgangshypothese der feministischen Gesprächsforschung läßt sich als Zusammenfassung der Thesen von Zimmerman/West (1975) und von Fishman (1978)37 formulieren: Männer und Frauen benutzen Minimalreaktionen unterschiedlich. Verzögert gegebene Minimalreaktionen in Verbindung mit Unterbrechungsversuchen stellen überwiegend von Männern benutzte Mittel dar, die Gesprächsthemen zu kontrollieren. Mit dem Ausbleiben oder mit der Verspätung der Minimalreaktion kann eine Beendigung des Themas hervorgerufen werden.38 Die verspäteten Minimalreaktionen der Männer dienen der Entmutigung oder signalisieren Desinteresse. Ergebnisse aus der Forschung. Frank (1992) bestätigt die Ausgangshypothese, wonach Frauen ihre männlichen Gesprächspartner häufiger durch Minimalbetätigungen unterstützen, während Männer häufiger verspätete Minimalreaktionen geben. Sie bemängelt allerdings, daß vor allem Untersuchungen von Gesprächen, in denen die Frau einen situativ höheren Status innehat als der Mann, fehlen. Allerdings habe die Gruppenzusammensetzung einen Einfluß auf die Ergebnisse, so daß eine weibliche Minderheitenposition zu einer Umkehrung der Ergebnisse führen könne. Sie nimmt ferner an, daß bei 37Zimmerman/West (1975), S. 122 ff. und Fishman (1978), S. 402. 38Zimmerman/West (1975), S. 124. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 193 der Verteilung der Minimalreaktionen nicht nur das Geschlecht, sondern auch der Gesprächstyp eine entscheidende Rolle spielt.39 Wird eine Minimalreaktion nur verspätet oder gar nicht gegeben, so kann sie nach Frank eine Einschränkung darstellen: wenn sie nämlich von der Hörerin als Signal für Desinteresse und Unaufmerksamkeit oder als Aufforderung, den Beitrag möglichst schnell zu beenden, aufgefaßt wird. Sobald ein solches Verhalten eine Person davon abhält, sich ihren eigenen Interessen gemäß zu verhalten, stellt es Gewalt dar.40 Die Interpretation von Minimalreaktionen als verzögert ist komplizierter, als Zimmerman/West und Fishman vorgeben. Die Zeitangabe der Pausen allein sagt nämlich wenig über die Wahrnehmung der Verzögerung aus, vielmehr sollten allgemeines Gesprächstempo und rhythmische Gestaltung des Gesprächs ebenso berücksichtigt werden.41 Die pauschale Bewertung der Minimalreaktionen durch Zimmerman, West und Fishman mit Bekunden von Desinteresse oder Entmutigung wird den verschiedenen Funktionen, die Minimalreaktionen innerhalb von Gesprächen aufweisen können, nicht gerecht. Am Ende einer längeren Äußerung haben Minimalreaktionen beispielsweise eine Continuer-Funktion.42 Eine Minimalreaktion an dieser Stelle in Continuer-Funktion signalisiert, daß die Hörerin oder der Hörer den nächsten Redebeitrag nicht übernehmen wird. Die Hörerin oder der Hörer ermutigt die sprechende Person, mit ihrer Äußerung fortzufahren. Deshalb können Minimalreaktionen und Minimalbestätigungen (siehe Abschnitt 6.3.2) unterschieden werden, die jeweils andere interaktive Funktionen haben. Wenn nun nach der These von Zimmerman/West und Fishman Männer eher verzögerte Minimalreaktionen geben und Frauen eher Minimalreaktionen in bestätigender Funktion, so zeigt dies allenfalls die Reproduktion gesellschaftlicher Machtunterschiede im Gespräch, es kann jedoch nicht daraus geschlossen werden, daß Minimalreaktionen unterschiedliche interaktive Bedeutung für Frauen und Männer hätten, wie Maltz/Borker es behaupten. Die Theorie der „zwei Kulturen" erklärt den unterschiedlichen Gebrauch von Minimalreaktio- 39Frank(1992), S. 40. 40Frank (1992), S. 55. "Günthner (1992a), S. 136. 42Günthner (1992a), S. 134. 194__________________________6 Geschlechtstypische Gesprächsstile nen aus der unterschiedlichen Enkulturation der Geschlechter, die zu Mißverständnissen in der Kommunikation führen. 6.2.3 Redezeit, Anzahl und Dauer der Redebeiträge Andere konversationeile Mittel, die den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Themenkontrolle beleuchten sollen, sind Redezeit, Anzahl und Dauer der Redebeiträge. „Redezeit" bezeichnet den Anteil einer einzelnen Sprecherin oder eines einzelnen Sprechers an der Gesamtredezeit - der gesamten Redezeit aller Beteiligten im ganzen Gespräch - eines Gesprächs, also nicht die Dauer eines einzelnen Redebeitrags.43 Zur Bestimmung der Redezeit einer einzelnen Sprecherin oder eines einzelnen Sprechers werden von der Gesamtredezeit eines Gesprächs die Pausen, simultanes Sprechen mehrerer Personen und die Redezeit anderer abgezogen. Mit Redezeit wird also die Summe der Zeit angegeben, die eine Sprecherin oder ein Sprecher im Gespräch zur Verfügung hat. Wie sich die Redezeiten auf die einzelnen Sprecherinnen und Sprecher verteilen, kann durch die Zahl und Dauer der Redebeiträge bestimmt werden. Die Redemenge (Anzahl der gesprochenen Wörter) hingegen ist nur in manchen Untersuchungen relevant.44 Für die feministische Gesprächsforschung ist die Redezeit von Interesse, weil die Autorinnen annehmen, daß die Selbstdarstellung der Sprecherin oder des Sprechers von ihrer Dauer abhängt. Sie nehmen an, mit einer längeren Redezeit könne ein größerer Einfluß auf die Gesprächspartnerinnen und -partner genommen werden, und die Sprecherin oder der Sprecher könne versuchen, auf Entscheidungs-prozesse einzuwirken.45 Folgende Beobachtungen werden als Benachteiligung der Frauen gewertet: Männer beanspruchen mehr Redezeit als Frauen, haben außerdem häufiger das Wort und liefern längere 43Der Terminus wird unterschiedlich gebraucht. Trömel-Plötz (1984a) und Gräßel (1991) sprechen auch von der Gesamtredezeit einer einzelnen Sprecherin oder eines einzelnen Sprechers statt von der Redezeit. Gesamtredezeit bezeichnet hier nur die gesamte Redezeit aller Beteiligten im Gespräch; sie ist nur rechnerisch von Belang. 44Beispielsweise Schmidt (1988); vgl. hierzu Frank (1992), S. 22. 45Vgl. Bales (1970); nach Frank (1992), S. 51. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 195 Beiträge. Damit nehmen sie das Rederecht mehr für sich in Anspruch und gestehen es den Frauen weniger zu.46 Konversationelle Macht und Dominanz zeigen sich also nach dieser Hypothese in der Redezeit. Ergebnisse aus der Forschung. In der Fernsehdiskussion „Opern-hauskrawalle" zählte Trömel-Plötz (1982 und 1984a) aus, daß die Redezeit aller acht männlichen Diskussionsteilnehmer zusammen 60 Minuten 21 Sekunden betrug, das waren pro Mann durchschnittlich 7 Minuten 30 Sekunden. Die Redezeit der einzigen Diskussionsteilnehmerin betrug hingegen 3 Minuten 56 Sekunden. Die Männer kamen im Durchschnitt anderthalbmal so oft zu Wort wie die Frau und redeten durchschnittlich zweimal so lang. Die Redezeit des Züricher Stadtpräsidenten betrug allein 24 Minuten.47 Trömel-Plötz sieht in der sehr viel kleineren Redezeit der Frau eine gewollte Beschneidung ihrer Redezeit, die selbstverständlich gegen sie als Frau gerichtet sei. Es liegt nach Trömel-Plötz deshalb auch Gewalt gegen die Frau vor; diese Form von Gewalt fällt unter sexistische Gewalt. Asymmetrien in der Verteilung von Redezeit allein bedeuten jedoch noch nicht, daß jemand mit sprachlichen oder außersprachlichen Mitteln daran gehindert wird, ihren oder seinen Anteil an der Gesamtredezeit zu beanspruchen. Personale Gewalt ist die Okkupation von Redezeit von Seiten eines Geschlechts.48 In der gleichen Fernsehdiskusssion zählte Trömel-Plötz 65 Redebeiträge aus, von denen die Männer 60 lieferten; jeder Mann hatte im Durchschnitt 7,5 Redebeiträge, die einzige anwesende Frau hatte dagegen nur 5 Beiträge. Die Männer kamen also anderthalbmal so oft zu Wort. In der Fernsehdiskussion „Nach den Straßenschlachten" (Trömel-Plötz 1984a und Hummel 1984) lieferte ein Mann im Durchschnitt sechs Redebeiträge (alle Männer zusammen 24), eine Frau dagegen elf (beide Frauen zusammen 22). 15 der 22 Frauenredebeiträge kamen von einer der beiden Frauen, die aber eine Gesamtredezeit von nur 2 Minuten 40 Sekunden hatte. Daraus läßt sich eine sehr kurze durchschnittliche Redebeitragslänge dieser Frau von 16 Sekunden ausrechnen. Gerade dieses Trömel-Plötzsche Beispiel geriet in Kritik, denn die Anzahl der Redebeiträge einer Sprecherin oder eines 46Trömel-Plötz (1984a), S. 58. 47Trömel-Plötz (1982), S. 175, 193, und (1984 a), S. 58. 48Frank(1992), S. 11. 196 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile Sprechers hängt auch von der Gesprächssituation ab. Natürlich rer det die einzige an der Diskussion teilnehmende Frau nicht so oft wie die Männer. Die Anzahl der Redebeiträge war schon durch die Auswahl der überwiegend männlichen Diskussionsteilnehmer und nur einer Frau durch die Fernsehredaktion vorgegeben. Diese quantitative Argumentation ist also kaum weiterhin haltbar. In mehreren anderen Untersuchungen wurde jedoch nachgewiesen, daß Männer tatsächlich mehr Redezeit beanspruchen als Frauen. Dies gilt beispielsweise für männliche Experten in gemischtgeschlechtlichen Zweiergesprächen, wenn die Gesprächspartnerinnen unin-formiert sind (Leet-Pellegrini 1980) oder für Gespräche zwischen Ehepartnern in „traditionellen" Beziehungen, in denen der Mann dominiert; in gleichberechtigten Beziehungen sprechen Männer nur geringfügig mehr als Frauen (Kollock u. a. 1985). Bei der gleichen Redezeit von Männern in 14 Paargesprächen zeigte sich, daß frauenbewegte Ehefrauen mehr Redezeit beanspruchten als „traditionelle" (Hershey/Werner 1975). Dieser „Überhang" der Männer wird auch für sechs Fernsehdiskussionen bestätigt.49 In ihrer Analyse von fünf weiteren Fernsehdiskussionen fand Gräßel (1991) heraus, daß weniger das Geschlecht eine Rolle spielte, daß aber Statushohe mehr Redezeit beanspruchten und auch mehr Redebeiträge lieferten als Statusniedrige.50 Die Verteilung der Redebeiträge im universitären Rahmen untersuchten auch Eakins/Eakins (1978). Sie gaben eine Tendenz an: Je größer die Macht der Gesprächsteilnehmenden war, desto mehr Redebeiträge lieferten sie auch.51 Die Studenten redeten in einer anderen gemischt geschlechtlichen Seminardiskussion, die Klann untersuchte, weitaus häufiger als die Studentinnen; die Anzahl ihrer Redebeiträge betrug 77 Prozent, 23 Prozent waren weibliche Redebeiträge.52 Klann untersuchte auch, ob Männer länger reden, wenn sie an der Reihe sind. In der von ihr untersuchten gemischtgeschlechtlichen Seminardiskussion lieferten wiederum die männlichen Studenten mehr Redebeiträge, die aus mehr als zwei Sätzen bestanden, also keine Minimaläußerung waren (108 zu 46). In Gräßels Forschungsüberblick läßt sich die Hypothese für acht von zehn Unter- 49Gräßel(1991),S. 50 ff. 50Gräßel (1991), S. 271. 51 Gräßel (1991), S. 52. 52Klann (1981), S. 34. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 197 suchungen bestätigen, bei einer Untersuchung reden Frauen länger, eine ergibt keine Unterschiede.53 Bei Schmidt (1988), die die Redemenge (also die Anzahl von Wörtern) untersuchte, sind die gefundenen Unterschiede nicht signifikant. In ihrer Untersuchung äußerten die Frauen in den gemischtgeschlechtlichen Examensvorbereitungsgesprächen 39,9 Wörter pro Redebeitrag, die Männer 36,6 Wörter. Beide Personengruppen nutzten also die Gesprächsrunde gleichermaßen zur Vorbereitung auf das Examen. Schmidt bestätigt insgesamt aber die Tendenz, daß Männer häufiger und mehr reden als Frauen. Aussagen zur Dominanz können ihrer Meinung nach nur getroffen werden, wenn auch die Steuerung des Gesprächsthemas mit einbezogen wird.54 Auch für Alltagsgespräche55 kann nicht pauschal bestätigt werden, daß krasse Unterschiede in der Redezeit und der Dauer der Redebeiträge zu Lasten der Frauen gingen. Es hängt entscheidend von der Kommunikationssituation ab. Bei Einbeziehen sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse zeigt sich, daß nicht unbedingt die tatsächliche Redezeit den Einfluß einer Person auf Entscheidungen dokumentieren muß, vielmehr ist die Wahrnehmung der übrigen am Gespräch Teilnehmenden maßgebend. Wenn jemand wenige, aber gehaltvolle Beiträge liefert, kann die Redezeit durchaus länger als tatsächlich erfolgt wahrgenommen werden. Das Stereotyp der weiblichen Geschwätzigkeit schließlich konnte insgesamt nicht anhand der Analysekriterien Redezeit, Anzahl oder Dauer der Redebeiträge bestätigt werden.56 Aussagen zu Redezeit, Anzahl und Dauer der Redebeiträge treffen auch Wagner u.a. (1981), Trömel-Plötz (1984c), Frank (1992); gemessen in Wörtern statt in Zeit Edelsky (1984) und Schmidt (1988). 6.2.4 Steuerung des Gesprächsthemas Auch die Betrachtung der thematischen Ebene von Gesprächen soll Aufschluß darüber geben können, wie Macht in Gesprächen funktio- 53 Gräßel (1991), S. 52 f. 54Schmidt (1988), S. 98. 55 Hier: nichtöffentliche Gespräche zwischen bis zu sechs situativ statusgleichen Personen (Frank 1992, S. 28). 56Gräßel(1991), S. 56. 198 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile niert.57 Die feministische Gesprächsforschung will deshalb wissen, wer das Gespräch wie thematisch steuert. Folgende Fragen werden hierfür relevant: 1. Wer führt neue Themen ein? Wessen Thema wird zum Gesprächsthema? 2. Wer führt einen Themenwechsel herbei? 3. Wird die thematische Ausrichtung eines Redebeitrags beachtet? Themeneinführung und Gesprächsthema. Fishman erörterte das Thema „Macht", indem sie in Paargesprächen untersuchte, wessen vorgeschlagene Themen auch wirkliche Konversationsthemen werden. Nach ihrer These hat, wessen Themeninitiierung erfolgreich ist, nicht nur „gewonnen", sondern auch möglicherweise die konversatio-nelle Macht. Die Einführung eines Gesprächsthemas wertete Fishman als Versuch, ein Gespräch zu beginnen. Das Thema ist dann erfolgreich eingeführt, wenn es tatsächlich Gegestand des Gesprächs wird. Fishman fand in ihrer quantitativen Analyse von Paargesprächen heraus, daß von 76 initiierten Gesprächsthemen die Frauen 47, die Männer 29 eingebracht hatten. Die Frauen führten also anderthalbmal bis doppelt so viele Gesprächsthemen ein wie die Männer. 17 von den 47 Themen, die die Frauen eingebracht hatten, wurden tatsächlich auch Gesprächsthema, bei den Männern lag die Erfolgsquote deutlich höher: Von 29 eingebrachten Gesprächsthemen waren 28 erfolgreich. Den Grund dafür, daß so viele von den Frauen eingebrachte Themen nicht zum Gesprächsthema wurden, sah Fishman darin, daß die Männer nicht aufmerksam genug reagierten, indem sie über lange Zeit keine Beiträge lieferten oder nur Minimalreaktionen gaben, mit denen das Gespräch nicht fortzuführen war.58 Die Männer kontrollierten nach der Interpretation Fishmans damit, was wichtig und was unwichtig für das Paar war bzw. welche Themen es wert waren, diskutiert zu werden, und welche nicht.59 Themenwechsel. Die Forschung seit Werner (1983) richtet ihr Augenmerk auf den Bezug zwischen zwei aufeinanderfolgenden Redebeiträgen. Dabei ist es interessant zu erfahren, wer sein oder ihr "Fishman (1984), S. 132. 58Fishman (1978, 1984) behandelt die Continuer-Funktion der Minimalreaktionen nicht, vergleiche Günthner (1992a), S. 134. 59Fishman (1984), S. 132. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 199 Thema gegen das Thema des vorangegangenen Redebeitrags durchsetzt. Ein solcher Themenwechsel kann mit verschiedenen Mitteln erfolgen. Es muß darüber hinaus entschieden werden, ob mit diesen Mitteln das Gesprächsthema so gesteuert wird, daß von Themenkontrolle die Rede sein kann. Bei der Frage, wer das Gesprächsthema im Sinne von Themenkontrolle steuert, wurde von Werner (1983), Schmidt (1988) und Gräßel (1991) betrachtet, wie der Themenwechsel herbeigeführt wird. Dabei können beispielsweise folgende Verhaltensweisen eine Rolle spielen: Die thematische Ausrichtung vorangegangener Redebeiträge kann mißachtet werden oder der Fokus (thematische Brennpunkt) kann verändert werden. 1. Mißachtung der thematischen Ausrichtung vorangegangener Redebeiträge. Werner (1983) definierte die thematische Ausrichtung eines Redebeitrags als die in ihm angelegten thematisch angemessenen FortsetzungsmögJicMeiten.60 Jemand mißachtet die so vorgegebenen Möglichkeiten des aktuellen Redebeitrags, indem sie oder er beispielsweise nicht abwartet, was der Vorredner oder die Vorrednerin sagen will, und setzt mit seinem oder ihrem Redebeitrag ein. Häufig wird die aktuelle Sprecherin oder der aktuelle Sprecher dadurch unterbrochen und läßt das von ihr oder ihm angeschnittene Thema fallen. In dem von Werner angegebenen Beispiel aus der „Papierdiskussion" setzt der Mann ein, als von dem Redebeitrag der Frau nur erkennbar ist, daß sie glaubt, die schlechte Druckqualität liege nicht am Abzugspapier.61 Beispiel: Mißachtung der thematischen Ausrichtung. F: nja eigentlich is das papier schon ganz gut F: aber aber wir ham das /also hier/ M: /s is platzsparend ne/ Der Mann mißachtet die thematische Ausrichtung des Redebeitrags der Frau, indem er sich auf den ersten ausgeführten Teil bezieht („eigentlich ist das Papier ganz gut") und darauf antwortet („s is platzsparend ne"). Außerdem unterbricht er sie, indem er sie nicht ausführen läßt, woran die schlechte Druckqualität ihrer Meinung nach liegt. 60 Werner (1983), S. 145. 61 Werner (1983), S. 144.