200 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile Werners Analyse von studentischen Arbeitsgruppendiskussionen und einem Paar-Konflikt-Gespräch (Werner 1981 und 1983) ergab, daß Frauen meistens auf die thematische Ausrichtung der Vorrednerinnen und Vorredner eingingen. Werner wertete dies als Gesprächsarbeit der Frauen. Die Themenkontrolle der Männer zeigte sich darin, daß sie die thematische Ausrichtung nicht wahrnahmen und sich statt dessen auf einen anderen Aspekt des Themas bezogen.62 Es war also häufig der Fall, daß die Männer die thematisch angemessene Fortsetzungsmöglichkeit im Anschluß an die vorangegangenen Beiträge der Frauen ausschlugen (mißachteten). Im untersuchten Konfliktgespräch nahm der Mann Beispiele, die die Frau gab, um ihre Meinung klarzumachen, wörtlich und stufte so die Bedeutung ihrer Redebeiträge herunter. Unter dem Kriterium „Redebeiträge ohne Bezug aufeinander" wurde die Mißachtung der thematischen Ausrichtung von vorangegangenen Redebeiträgen auch von Gräßel (1991) in fünf Fernsehdiskussionen untersucht. In diesen fünf Fernsehdiskussionen lieferten Männer im Allgemeinen und statushohe Männer im Besonderen mehr Redebeiträge ohne jeden Bezug auf den vorangegangenen als Frauen und statushohe Frauen. Es scheint in der öffentlichen Kommunikationssituation Fernsehdiskussion mit dem Status zusammenzuhängen, ob ein Bezug zum vorangegangenen Redebeitrag hergestellt wird, denn in vier von fünf Diskussionen lieferten auch Expertinnen mehr Redebeiträge ohne Bezug als andere Frauen.63 Die thematische Ausrichtung eines Redebeitrags wurde von Schmidt (1988) unter dem Aspekt der nonresponsiven und teilre-sponsiven Redebeiträge betrachtet. Für das dialogische Prinzip ist die Unterscheidung zwischen initiierenden und respondierenden (reagierenden) Redebeiträgen (turns) konstitutiv.64 Mit einem initiierenden Redebeitrag wird die andere am Gespräch teilnehmende Person zu einer Antwort (respondierender Redebeitrag) aufgefordert. In ei- 62Wemer (1981), S. 26, und (1983), S. 145. 63Gräßel (1991), S. 213. 84 Schmidt spricht mit Franck, Dorothea (1980): Grammatik und Konversation, Königstein, S. 50, von Gesprächszügen, die einen Sprechakt unter seinem kon-versationellen Aspekt bezeichnen (S. 71). Gesprächszüge sind danach nicht identisch mit Redebeiträgen, können aber mit ihnen zusammenfallen. Diese Unterscheidung übernehmen beispielsweise Brinker/Sager (1989), S. 69, nicht, sie verwenden den verbreiteten Ausdruck Gesprächsschritt für engl, turn, den ich in diesem Buch mit Redebeitrag wiedergebe. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 201 nem Gespräch wechseln sich die initiierenden und respondierenden Redebeiträge ab: Auf den initiierenden Redebeitrag einer Sprecherin oder eines Sprechers antwortet die/der nächste mit einem respondierenden Redebeitrag, der zugleich wieder initiierenden Charakter hat. Schmidt untersuchte die Verteilung initiierender und respondierender Redebeiträge. In ihrem Beispiel konnte nach einer Behauptung, mit der das Thema „Bürgerlichkeit" in die Examensvorbereitungsgruppe eingeführt wurde, erwartet werden, daß eine andere Sprecherin oder ein anderer Sprecher die Dialoghandlung weiterführt, zu Ende bringt oder auf sie eingeht. Der initiierende Redebeitrag stellt also eine Handlungsaufforderung dar. Darauf folgende respondie-rende Beiträge sind von den Erwartungen der Vorrednerinnen oder Vorredner bestimmt. Ein respondierender Redebeitrag zeigt also, wie die/der andere sich von den Erwartungen der Vorrednerin oder des Vorredners bestimmen läßt, wie sie/er sie abwendet oder wie sie/er seinerseits versucht, die Initiative zu übernehmen. Gesprächsakte sind unterschiedlich responsiv, das heißt, die Antwortenden gehen auf Intention und Inhalt des initiierenden Redebeitrags unterschiedlich ein; sie beachten also die thematische Ausrichtung des Redebeitrags unterschiedlich. Teilresponsiv bedeutet, daß die Antwortenden einen Teil des Inhalts isolieren und nur darauf eingehen; nonrespon-siv bedeutet, daß die Antwortenden weder auf Inhalt noch auf Intention eingehen.65 Ein nonresponsiver Redebeitrag kann beispielsweise ein Redebeitrag sein, der ohne Einfluß auf die weitere thematische Entwicklung des Gesprächs bleibt und damit „verpufft". Teil-und nonresponsive Redebeiträge stellen eine Mißachtung der thematischen Ausrichtung des vorhergegangenen Redebeitrags dar und insofern - nach Werner - Versuche, Themenkontrolle auszuüben.66 Schmidt fand in ihrer Studie mit gleich- und gegengeschlechtlichen Examensvorbereitungsgruppen für die Verteilung der initiierenden und respondieren Redebeiträge zunächst keine geschlechtsspezi-fischen Unterschiede. Sie interpretierte daher, daß dominantes Gesprächsverhalten - hier in Form von Einflußnahme auf die gesprächsthematische Steuerung - von Persönlichkeitstypen abhänge.67 Der 65 Vgl. hierzu Henne/Rehbock (1979), S. 212. 66Frank (1992), S. 46. "Schmidt (1988), S. 112. 202 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile Unterschied bei den respondieren Redebeiträgen war jedoch signifikant. Die Frauen richteten sich sehr viel häufiger als die Männer mit ihrem Redebeitrag nach den Äußerungen des vorhergehenden Sprechers oder der vorhergehenden Sprecherin. Sie beachteten stark die Themenausrichtung der anderen und entwickelten sie weiter. Damit zeigten sie sich unter Beachtung der Themenaspekte der anderen allgemein kooperativ und handelten auch sprachlich kooperativ im Sinne einer gemeinsamen Themenbearbeitung.68 Bei den Männern lag das Gewicht bei der Beachtung der eigenen thematischen Interessen; das gemeinsame Erarbeiten von Themen trat in den Hintergrund. 2. Fokusveränderung. Als zweites kann der Themenwechsel herbeigeführt werden, indem der Fokus (thematische Brennpunkt) verändert wird (Werner 1981 und 1983). Dabei wird die thematische Ausrichtung des vorangegangenen Beitrags scheinbar beachtet, tatsächlich jedoch die interne Bedeutungsstruktur verändert. Es wird der Anschein erweckt, als werde über das gleiche geredet, indem dieselben oder semantisch ähnliche Wörter aufgenommen werden.69 Eine Fokusveränderung veranschaulicht Werner an dem untersuchten Paar-Konflikt-Gespräch, in dem es um die Mutter des Mannes geht. Der Mann verändert den thematischen Brennpunkt, indem er die Äußerung „gemerkt, wie" im vorangegangenen Redebeitrag der Frau durch „wissen, wie" ersetzt und später noch bestätigt, indem er betont: „weißt du wie sie ist".70 Beispiel: Fokusveränderung F: und ich hab gemerkt wie sie tatsächlich is das kann auch möglich sein /daß es von daher/ M: /ja glaubst du denn tatsächlich zu wissen/ wie meine Mutter tatsächlich is Fokusveränderungen sind nach Gräßel eine Extremform von Scheinbezügen. Sie ermittelte für jede Einzelperson, wie oft sie einen Scheinbezug auf Personen des eigenen Geschlechts oder der eigenen Statusgruppe beziehungsweise des anderen Geschlechts oder der ande- Schmidt (1988), S. 117. Werner (1983), S. 149. Werner (1983), S. 147. 6.2 Analysekriterien zur These der Gesprächskontrolle 203 ren Statusgruppe herstellte.71 Gräßel konnte feststellen, daß Männer mehr zu Redebeiträgen mit Scheinbezügen tendieren als Frauen, denn in den fünf von ihr ausgewerteten Fernsehdiskussionen stellten Männer und statushohe Männer mehr Scheinbezüge her als Frauen und statushohe Frauen.72 Für Frank (1992) stimmen die Ergebnisse aller 23 von ihr angeführten Untersuchungen in der Tendenz überein: Da es konsistent der Mann ist, der häufiger als die Frau die thematische Ausrichtung vorangehender Beiträge mißachtet, könnte dies ihrer Meinung nach daraufhindeuten, daß der Einfluß weniger auf individuelle Faktoren oder den Gesprächstyp als auf das Geschlecht der jeweiligen Sprecherinnen und Sprecher zurückzuführen ist.73 Ein herbeigeführter Themenwechsel muß nicht unbedingt männliches Dominanzverhalten beweisen. Er kann auch unproblematisch sein: Ist beispielsweise ein Thema für alle Beteiligten peinlich, so kann ein Themenwechsel durchaus angebracht sein. Stellt ein Beitrag eine bloße Wiederholung dar oder ist er ironisch, so ist auch hier ein Themenwechsel möglicherweise unproblematisch. Es kann auch eine Unterbrechung von außen, weil das Baby zu schreien beginnt, den Abbruch des Redebeitrags unproblematisch machen.74 Die eingangs gestellten Fragen lassen sich zusammenfassend folgendermaßen beantworten: Die Kontrolle des Gesprächsthemas nachzuweisen gelingt über die Kriterien des Nichtherstellens und des nur teilweise oder scheinbaren Herstellens von Bezügen auf den vorangegangenen Redebeitrag. Die thematische Ausrichtung des Redebeitrags wird bei diesen Kriterien mißachtet und ein Themenwechsel herbeigeführt. Es läßt sich feststellen, daß der Einsatz dieser kommunikativen Verhaltensweisen zur Themenkontrolle in den besprochenen Arbeiten häufiger von Männern gegenüber Frauen ausgeübt wird als umgekehrt. Zur Themeneinführung machen neben Fishman (1978) beispielsweise auch Lauper/Lotz (1984) und Schmidt (1988) Aussagen. Die Beachtung der thematischen Ausrichtung eines vorangegangenen Redebeitrags analysiert indirekt und unsystematisch bereits Trömel-Plötz (1985); bei Werner (1983), Schmidt (1988) und Gräßel (1991) 71 Gräßel (1991), S. 215. 72Gräßel (1991), S. 214. 73Frank(1992), S. 49. 74 Frank (1992), S. 58. 204 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile ist sie Analysekriterium. Schmidt forscht unter dem Aspekt der initiierenden und respondierenden Redebeiträge, Gräßel unter dem Aspekt der Redebeiträge ohne Bezug aufeinander. Ein Überblick über die wichtigste Forschungsliteratur zum „Einsatz thematischer Mittel der Themenkontrolle" findet sich bei Frank (1992) unter Berücksichtigung unveröffentlichter Magisterarbeiten. 6.3 Analysekriterien zur These der Gesprächsarbeit In dem klassischen Aufsatz von Fishman leisten Frauen die Gesprächsarbeit: Sie arbeiten daran, daß die Kommunikation überhaupt gelingt. Frauen halten die Unterhaltung in Gang und erleichtern sie. Beispielsweise stellen Frauen zu diesem Zweck Fragen und unterstützen die aktuelle Rednerin oder den aktuellen Redner mit Minimalreaktionen. Frauen geben nicht nur mehr Reaktionen als Männer, sondern sie produzieren auch mehr Äußerungen, die wiederum auf Reaktionen angelegt sind.75 Im folgenden werden Analysekriterien besprochen, mit denen die These der weiblichen Gesprächsarbeit überprüft wurde. 6.3.1 Das Herstellen von Bezügen Werner (1983), Trömel-Plötz (1984b und c) und Gräßel (1991) verwenden das Analysekriterium der Bezüge dafür, die Annahme der weiblichen Gesprächsarbeit und der Kooperationsbereitschaft von Frauen zu überprüfen. Die Bezüge werden inhaltlich hergestellt -hierbei ist der thematische Brennpunkt in den Mittelpunkt des Interesses gerückt - oder liegen auf grammatischer Ebene. Inhaltliche Bezüge. Werner und Gräßel gehen davon aus, daß mit einer Äußerung ein Bezug hergestellt wird, wenn der thematische Brennpunkt eines vorangegangenen Redebeitrags, der Fokus, im folgenden Redebeitrag direkt oder indirekt thematisiert wird (siehe Abschnitt 6.2.5). In Werner (1981) (studentische Arbeitsgruppendiskussion ohne Gesprächsleitung und Paar-Konflikt-Gespräch) waren die Redebeiträge der Frauen thematisch weiterführend. Darüber hinaus Fishman (1978), S. 404. 6.3 Analysekriterien zur These der Gesprächsarbeit 205 beobachtete Werner, daß die Frauen auf die thematische Ausrichtung anderer eingingen, auch wenn diese das Thema der Frauen nicht beachteten. Trömel-Plötz (1984c) untersuchte, wie und in welchem Maße die Diskussionsteilnehmenden in der Fernsehdiskussion „Zwischen Verehrung und Verachtung: Haben Frauen in der Kirche noch eine Zukunft?" aufeinander Bezug nahmen. Es nahmen drei feministisch orientierte Frauen und ein Mann, der sich mit feministischer Theologie beschäftigte, an diesem Gespräch teil. Es herrschte, so Trömel-Plötz, eine offene, aggressionslose Atmosphäre. Es wurde gemeinsam ein Thema entwickelt, indem immer wieder aufgenommen, ausgebaut und ergänzt wurde, was eine andere Sprecherin oder ein anderer Sprecher sagte. Nach Trömel-Plötz werden Bezüge durch explizites Sichanschließen (joining)76, durch Sichbeziehen (Referieren) auf andere, durch Zurückkommen auf ein Thema und durch Einbeziehen von inhaltlichen Aspekten hergestellt. Mit joining bezeichnet sie vier Arten von Anschlüssen: den Anschluß an die Form, den Anschluß an den Inhalt, ironisches joining und den konventionellen Anschluß. Ein Beispiel, bei dem inhaltliche Aspekte, die schon von anderen geäußert wurden, einbezogen wurden, ist der folgende Redebeitrag: Beispiel: Inhaltlicher Anschluß „die Textauswahl ... hat mit dem etwas zu tun, was Sie gesagt haben, Frau Krattinger, man fühlt sich einfach so ganz klar definiert."77 Die Frauen nahmen in der genannten Fernsehdiskussion insgesamt wesentlich öfter Bezug als der Mann, jedoch erhielt der Mann die höchste Anzahl der Bezugnahmen: Die Frauen bezogen sich zweimal so oft auf ihn, als er sich auf sie bezog. Der Mann erhielt also nach Trömel-Plötz im Schnitt mehr Aufmerksamkeit als die Frauen, ohne daß er eine besondere Leistung vollbracht hätte. Bezüge auf der Ebene der Syntax. Gräßel (1991) untersuchte verschiedene grammatische Bezugnahmen, für die sie den aus der Textlinguistik stammenden Begriff der Kohäsion (lat. cohaerere, verknüpfen) verwendete. Der Begriff Kohäsion bezieht sich hier auf ^Trömel-Plötz (1984b), S. 300. "Trömel-Plötz (1984c), S. 373. 206 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile die grammatische Art der Verbindung zweier Redebeiträge. Mit den Kohäsionsmitteln oder Kohäsionselementen - Mittel, mit denen Bezüge auf der Ebene der Syntax hergestellt werden - brachte sie ein neues Analysekriterium in die Gesprächsforschung ein.78 Bei den Kohäsionsmitteln Proform (Ersetzen von bedeutungstragenden Elementen durch kurze, begrifflich leere Platzhalter: „Das heißt"), Ellipse und bei Modaladverbien zur Kennzeichnung der Einschätzung stellte Gräßel einen unterschiedlichen Gebrauch durch Frauen und Männer fest; mit den letzten beiden konnte sie die These der Gesprächsarbeit der Frauen stützten. Ellipse. Mit einer Ellipse stellten signifikant mehr Frauen einen Anschluß zum vorhergegangenen Redebeitrag her als Männer. Gräßel versteht unter einer Ellipse, daß im ersten Redebeitrag etwas genannt wird, was im darauffolgenden Redebeitrag nicht noch einmal genannt, sondern erspart wird:79 Beispiel. Elliptischer Anschluß. F 1: Und heut nacht lassen Sie sie? F 2: Bei der Großmutter. Die Frage wurde offen formuliert, so daß die Lücke nur noch gefüllt werden mußte bzw. der Satz vollendet werden konnte. Satzvollendungen sind als ein aufmerksames Hörverhalten zu werten.80 Gräßel fand hier eindeutig geschlechtstypische Unterschiede: Mit einem elliptischen Anschluß wurde in den fünf Fernsehdiskussionen zumeist eine Frage beantwortet, die die Moderation den Diskutierenden gestellt hatte. Es entstanden deshalb regelrechte „Fragerunden" zu Beginn der Sendungen als Einstieg. Frauen im Allgemeinen und Expertinnen schienen den elliptischen Anschluß zu bevorzugen.81 Modaladverbien zur Kennzeichnung der Einschätzung. Signifikant mehr Frauen als Männer stellten in den fünf von Gräßel untersuchten Fernsehdiskussionen einen Bezug her, indem sie ein „Modaladverb zur Kennzeichnung der Einschätzung und der Beurtei- 78 Weitere Kohäsionsmittel, die aber keine geschlechtsspezifischen Gebrauchsunterschiede in den von Gräßel (1991) untersuchten fünf Fernsehdiskussionen aufzeigten, siehe dort S. 142 ff., 230 ff. und 268 f. 79Gräßel(1991),S. 144. 80Gräßel(1991),S. 305. 81 Gräßel (1991), S. 290. 6.3 Analysekriterien zur These der Gesprächsarbeit 207 lung" benutzten.82 Damit sind in Gräßels Untersuchung Wörter wie „selbstverständlich", „ja" und „nein" bezeichnet. Beispiel: Einschätzung des vorangegangenen Redebeitrags durch das Modaladverb „nein" F 1: Denken Sie mal an den Kirchentag, an die Hunderttausenden, die da zusammenkommen, meinen Sie wirklich, daß die da hingehen, wenn sie überzeugt wären, Gott ist tot? F 2: Nein, die gehn sicher nicht hin, Frau M. „Ja" oder „nein" wurden hier nicht als redebeitragseinleitende Partikeln interpretiert, sondern wurden wegen ihrer kommunikativen Funktion der Zustimmung zu dem vorgestellten Kohäsionselement gezählt. Modaladverbien wie „ja", „zweifellos", „sicherlich", „bestimmt", „vielleicht", „kaum", „nein" können als Antwort auf eine Entscheidungsfrage gegeben werden („meinen Sie, daß die da hingehen?"). „Nein" bedeutet hier, daß für Menschen, die auf den Kirchentag gehen, Gott nicht tot ist.83 Frauen verwendeten dieses Kohäsionselement häufiger als Männer, um damit einen Bezug zum vorangegangenen Redebeitrag herzustellen.84 Insgesamt konnte Gräßel für die fünf von ihr analysierten Fernsehdiskussionen jedoch nicht die Hypothese bestätigen, daß Frauen mehr Bezüge herstellen als Männer. 6.3.2 Minimalbestätigungen Minimalbestätigungen (minimal responses) wie „mhm, hm", „genau", „richtig", „ja" im Deutschen werden nach Fishman (1978) während des Redebeitrags einer Sprecherin oder eines Sprechers simultan eingeworfen und nicht erst am Ende einer Äußerung wie die verzögerten Minimalreaktionen (siehe Abschnitt 6.2.2). Sie bekunden aktive Zuhörerschaft und Interesse und sind daher in ihrer Funktion unterstützend („support work").85 Die Minimalbestätigungen wie ^Gräßel (1991), S. 145. 83Gräßel (1991), S. 147. "Gräßel (1991), S. 290. 85Fishman (1978), S. 402 und Zimmerman/West (1975), S. 123. 208 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile „mhm" müssen lexikalisiert sein, das heißt, in der Bedeutung eines Wortes verwendet werden. Minimalbestätigungen in unterstützender Funktion können an einer möglichen Übernahmestelle oder in einer Pause plaziert werden. Stehen sie dennoch am Ende einer Äußerung, so haben sie Continuer-Funktion, und es muß nicht angenommen werden, die Rückmeldung beruhe auf Desinteresse. Solange Minimalbestätigungen nicht die Funktion des Vorreiters für einen anschließenden Unterbrechungsversuch haben - in diesem Fall müßte die Hörer(innen)rückmeldung als Versuch der Rederechtsübernahme gesehen werden -, bestätigen sie das bestehende Rederecht und die Entwicklung des Themas. Es ist kein Sprecher(innen)wechsel beabsichtigt. Insofern ist der Ausdruck Minimalbestätigungen im Deutschen sinnvoll. Die Minimalbestätigungen werden weitaus häufiger gegeben als verzögerte Minimalreaktionen am Ende einer Äußerung. Fishman geht ebenso wie Zimmerman und West davon aus, daß die gesellschaftlichen Machtpositionen auf der Ebene von Interaktionen reproduziert werden. Deshalb vertreten die Autorinnen und der Autor die These, daß vor allem Frauen Minimalbestätigungen äußern, um ihre (männlichen) Gesprächspartner in gemischtgeschlechtlichen Gesprächen aktiv zu unterstützen. Dies werten sie als ein Indiz für die Gesprächsarbeit der Frauen. Ergebnisse aus der Forschung. Die Interpretation der Minimalreaktionen als bestätigend erfolgt zum einen Teil intuitiv, zum anderen Teil über die Plazierung. In der Ausgangsuntersuchung von Fishman (1978) über 52 Stunden Alltagsgespräche zwischen Eheleuten erscheinen die während eines Redebeitrags plazierten Minimalbestätigungen bestätigend und als Teil des typisch weiblichen Gesprächsverhaltens, mit dem Interesse bekundet wird und Aufmerksamkeit gegenüber dem Gesagten sowie Teilnahme demonstriert wird. In der Untersuchung der Fernsehsendung „Zwischen Verehrung und Verachtung: Haben Frauen in der Kirche noch eine Zukunft?" von Trömel-Plötz (1984c) ist nicht angegeben, wo die Minimalbestätigungen plaziert sind. Trömel-Plötz interpretiert sie generell als Partikel, die sowohl das Einvernehmen auf der emotionalen als auch auf der inhaltlichen Ebene kundtun. 147 Minimalbestätigungen kommen von Seiten der Frauen, nur drei von Seiten des einzigen Mannes in dieser Fernsehdiskussion. Der überwiegende Teil der unterstützenden Minimaläußerungen wird während des Redebeitrags des Man- 6.3 Analysekriterien zur These der Gesprächsarbeit 209 nes gemacht. Nach Trömel-Plötz kommunizieren die Frauen so „den starken Wunsch, den Mann anzunehmen, einzuschließen, die Unterschiede zwischen ihnen und ihm zu reduzieren".86 Die Frauen selbst gaben also dem Mann mehr Unterstützung als den anderen Frauen. Schmidt (1988) konnte ihre Ergebnisse in den Zusammenhang mit der Gruppenzusammensetzung stellen. In ihrer quantitativen Analyse erscheint die Haltung von Frauen kooperativer als die der Männer. Die aktive Hörerinnenrolle besteht darin, daß die Minimaläußerungen hauptsächlich zur Unterstützung eingesetzt wurden. Das geschlechtstypische Hörerinnenverhalten besteht folglich darin, daß Frauen besser zuhören.87 Gräßel (1991) sieht insgesamt hinsichtlich eines geschlechtsspezifischen Gebrauchs von Minimalbestätigungen nur die Tendenz, daß Frauen mehr Minimalbestätigungen geben als Männer. Interessanterweise gaben mehr Frauen anderen Frauen Minimalbestätigungen und nicht Männern. Die durchschnittliche Anzahl von Minimalbestätigungen stieg bei den fünf von Gräßel untersuchten Fernsehdiskussionen für beide Geschlechter auf der Ebene der statushohen Personen. Das bedeutet, daß statushohe Personen häufiger Minimalbestätigungen bekamen als statusniedrige. Auch statushohe Frauen gaben mehr statushohen Männern Minimalbestätigungen als statushohen anderen Frauen.88 Frank (1992) bestätigt nur bei sechs der 23 von ihr ausgewerteten Untersuchungen die Ausgangshypothese, nach der Frauen ihre männlichen Gesprächspartner häufiger durch Minimalbestätigungen unterstützen. Die Gruppenzusammensetzung spielt ihrer Meinung nach eine wesentliche Rolle, auch der Gesprächstyp. Maltz/Borker (1982) haben sich in ihrer Theorie der „zwei Kulturen" auch mit der Funktion der Minimalbestätigungen beschäftigt (vergleiche Abschnitt 6.3.2). Danach haben diese für Frauen und Männer unterschiedliche Funktionen und werden deshalb von beiden Personengruppen unterschiedlich gebraucht. Die jeweils andere Gruppe als Angehörige der jeweils anderen kulturellen Welt muß dies fehlinterpretieren. Während Frauen meinen, „mhm" bedeute „Ich höre zu, mach weiter" und es auch so benutzen, interpretieren Männer gleich „Ich bin einverstanden". In einem Gespräch den- 86Trömel-Plötz (1984c), S. 374. "Schmidt (1988), S. 105. R8Gräßel (1991), S. 300. 210 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile ken Männer dann, die Frauen stimmten mit ihnen überein. Wenn diese dann aber widersprechen, unterstellen Männer, mann könne nie wissen, was Frauen wirklich denken. Diese gegenseitige Fehlinterpretation führt nach Maltz/Borker dazu, daß sich Männer und Frauen mißverstehen. Maltz/Borker stellen die Hypothese auf, daß Frauen häufiger als Männer Minimalreaktionen äußern, weil sie öfter zuhören. Männer hingegen stimmen weniger zu. In der Theorie der „zwei Kulturen" werden solche Mißverständnisse durch unterschiedliche Gesprächsführungsstile unterschiedlicher Subkulturen erklärt.89 Weitere Aussagen zu Minimalbestätigungen treffen beispielsweise Leet-Pellegrini (1980), Aries (1982), Werner (1983), Trömel-Plötz (1985) und Kollock u.a. (1985). 6.3.3 Fragen Frauen müssen nach Fishman besondere Strategien benutzen, um Aufmerksamkeit zu finden. Fishman (1978,1984) fand heraus: Frauen stellen generell mehr Fragen jeglicher Art als Männer. In ihrer Studie über Privatgespräche von drei Paaren (1984) stellten die Frauen zweieinhalbmal soviel Fragen wie Männer, 263 zu 107, darunter waren 152 Bitten um Klärung oder Information, ein Drittel der Fragen waren Rückversicherungsfragen oder Fragen an der Stelle von Aussagen. Die These, daß Frauen die Frageform bevorzugen, statt Aussagesätze zu verwenden, bestätigte Gräßel (1991) für fünf Fernsehdiskussionen. Diese Form der Abschwächung benutzten in vier Diskussionen Frauen häufiger als Männer, was Gräßel als signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschied wertet.90 Auf der Ebene statushoher Personen ermittelte Gräßel, daß Expertinnen häufiger als Experten Fragen statt Aussagen formulierten; in drei Diskussionen formulierten Statushohe häufiger eine Frage statt einer Aussage, Statusniedrige in zwei Diskussionen. Während noch Lakoff (1975) die Rückversicherungsfragen und die Fragen, die an Stelle von Aussagen gestellt werden, als Indiz für die unsichere und zögernde Persönlichkeit von Frauen interpretierte, ist Fishman (1984) der Ansicht, damit lösten Frauen ihr Problem, 89Maltz/Borker (1991), S. 58. 90Gräßel (1991), S. 251 und 268. 6.3 Analysekriterien zur These der Gesprächsarbeit 211 als Nichtmächtige eine Konversation überhaupt erst herzustellen beziehungsweise zu initiieren. Mit dem Fragenstellen allgemein werde versucht, eine Voraussetzung für Konversation zu schaffen. Die Kom-munikationspartner zeigten damit nach Fishman, daß sie bereit seien, miteinander zu sprechen und einander zu antworten als Zeichen einer gegenseitigen Orientierung. Da Fragen den ersten Teil eines Äußerungspaares bilden und Antworten den zweiten (vergleiche initiierenden und respondierenden Redebeitrag in Abschnitt 6.2.4), seien Fragen interaktiv stärkere Formen als Aussagen. Aussagen könnten nämlich einfacher ignoriert werden als Fragen. Auch Eingangsbemerkungen wie „Das ist aber wirklich interessant" stellen nach Fishman die nötige Aufmerksamkeit her, da in einer Konversation die Äußerungen aller Sprechenden von Interesse sind („attention-getting-devices"). Die Eingangsfrage „Weißt du was?" garantiert nicht nur eine Antwort, sondern provoziert auch die Gegenfrage „Was?". Auch dieses Mittel benutzten in Fishmans Untersuchung die Frauen doppelt so oft wie die Männer. Da auch Kinder „Weißt du was?" benutzten, bietet die Frage nach Fishman eine strategische Lösung, trotz eingeschränkten Rederechts zu Wort zu kommen. Sowohl der Gesprächstyp als auch die Funktion des Fragenstellens müssen hierbei jedoch mit berücksichtigt werden. Bei vier gemischtgeschlechtlichen Arbeitstreffen in einem Industriebetrieb (Johnson 1980) stellten Ingenieurinnen und Ingenieure am häufigsten Fragen, um Informationen zu erhalten. Der Leiter des Arbeitstreffens stellte von allen seinen Fragen mehr als die Hälfte, um das Gespräch aufrechtzuerhalten. Die Berücksichtigung von Rolle und Intention der Sprecher und Sprecherinnen ist nach Johnson wichtiger als das Geschlecht. Die Sprecher(innen)intention muß auch nach Krama-rae (1981) berücksichtigt werden, um die Konversationsstrategie zu beschreiben, und das Geschlecht ist nicht der wichtigste Indikator dafür, ob Gesprächsarbeit geleistet wird oder nicht.91 Mit der Strategie des Fragenstellens sind unterschiedliche Intentionen verbunden. Vier davon seien hier genannt. Fragenstellen zur Themeneinfuhrung. Bei der Initiierung eines Gesprächs hat der oder die Antwortende die Freiheit, unter den Erwiderungsalternativen entsprechend seinen oder ihren Interessen zu wählen, kann sich ihnen aber auch entziehen - unter Umständen 91 Gräßel (1991), S. 74. 212 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile mit negativen Auswirkungen auf den Gesprächsverlauf. Für Fishman spielen Fragen auch beim Versuch, ein Thema einzuführen, eine besondere Rolle (vergleiche auch Abschnitt 6.2.5). Von 18 Versuchen von Frauen, mit Fragen ein Thema zu einem Gesprächsthema zu machen, gelangen 13; die Erfolgsrate war dabei mit 72 Prozent doppelt so hoch wie die generelle Erfolgsrate von 38 Prozent. Da Frauen im Vergleich zu Männern nach Fishman die größeren Schwierigkeiten haben, ein Gespräch in Gang zu bekommen, versuchen sie nach dieser Interpretation mit Fragenstellen, eine Reaktion auf ihre Äußerungen zu erhalten.92 Unschärfemarkierungen (hedges). Zu den Unschärfemarkierun-gen zählt Lakoff (1975) Äußerungen wie „sorta", „like", zu Deutsch etwa „irgendwie", „oder so", „finde ich". Hierzu zählt auch ein angehängtes „weißt du?". Diese Äußerungen benutzen nach Fishman (1984) Frauen fünfmal so oft wie Männer. Fishman stellte in ihrer Untersuchung von 52 Stunden Gesprächen dreier Paare fest, daß 30 von 87 „Weißt du?" an Stellen vorkamen, an denen die Frauen ohne Erfolg versucht hatten, ihre Themen zu entwickeln. Die Frage kam in langen Redebeiträgen vor, unmittelbar vor und nach den Pausen im Beitrag einer Sprecherin. Im Gegensatz zu Lakoff interpretiert Fishman „weißt du?" nicht als ein die Unsicherheit dokumentierendes Mittel von Frauen, sondern als eine Vergewisserung, ob der Partner wirklich zuhört, dem eigenen Gesprächsbeitrag folgt und ihn beachtet. Minimalreaktionen als Antwort zeigen minimale Orientierung und nicht die volle Teilnahme. Damit sind zwar die Regeln des Sprecher(innen)wechseis eingehalten, sie tragen aber nicht zum substantiellen Fortschritt der Unterhaltung bei. Die Frauen der Studie versuchten entweder, überhaupt eine Antwort zu erhalten, oder sie hatten eine nicht zufriedenstellende bekommen. So wird das Mittel, die Frage „weißt du?" anzuhängen, für Fishman zum Beweis für die Arbeit, die Frauen leisten, wenn sie versuchen, unsichere Unterhaltungen in erfolgreiche umzuwandeln. Die Unsicherheit liegt also im Gespräch und nicht, wie Lakoff annimmt, in der Persönlichkeit von Frauen begründet. Die Gesprächsarbeit wird von den Frauen nach Fishman auch ausdrücklich verlangt. Leisten sie diese nicht, so sind sie dominant und nicht weiblich, denn sie widersprechen dem Ge-schlechtsrollenstereotyp. Fishman (1984), S. 135. 6.3 Analysekriterien zur These der Gesprächsarbeit 213 Rückversicherungsfragen (tag questions). Nach Lakoff (1975) gibt es keine syntaktische Regel, die ausschließlich von Frauen benutzt wird. Aber gerade die Rückversicherungsfragen verwenden ihrer Meinung zufolge die Frauen in Gesprächen weitaus häufiger als Männer (vergleiche Abschnitt 1.3.1). Diese festen Wendungen verschaffen das Mittel, mit dem eine Sprecherin sich nicht festlegen muß. Sie gerät mit dem Adressaten deshalb auch nicht in Konflikt: Für ihn erscheint sie unsicher. Er wird sich deshalb bemühen, sie zu bestätigen und nicht in Konkurrenz zu ihr zu treten. In Fernsehdiskussionen konnten weder signifikante Unterschiede noch Tendenzen zur Frage des geschlechtsspezifischen Gebrauchs von Rückversicherungsfragen ermittelt werden. Hinsichtlich Geschlecht, Expertentum und Status ergab sich in der Untersuchung von Gräßel (1991), daß Männer und Experten in drei Diskussionen häufiger als Frauen und Expertinnen Rückversicherungsfragen stellten, in zwei Diskussionen Frauen und statushohe Frauen, in einer Diskussion stellten Männer keine Rückversicherungsfragen. Allerdings ermittelte Gräßel eine statusspezifische Tendenz, wonach statushohe Personen häufiger Rückversicherungsfragen stellten als statusniedrige.93 Fragenstellen zur Themenbestimmung. Nach Schmidt (1988) dienen initiierende Redebeiträge, also Handlungsaufforderungen wie Fragen, Meinungskundgaben oder direkte Aufforderungen, auch der Themenbestimmung. Frauen äußerten in den untersuchten Examensvorbereitungsgruppen im Durchschnitt doppelt so viele initiierende Redebeiträge in Form von Fragen wie Männer. Damit sieht Schmidt die amerikanischen Untersuchungen bestätigt, wonach Frauen in Gesprächen häufiger fragen als Männer. Dabei ist jedoch eine andere Funktion von Fragen angeschnitten als von Fishman (1978) und Trömel-Plötz (1982) behandelt: Während für Fishman Fragen von Frauen eingesetzt werden, um das konversationeile Problem zu lösen, eine Reaktion auf Äußerungen zu bekommen und damit ein Thema zum Gesprächsthema zumachen, wird hier nicht die interaktive Eigenschaft von Fragen untersucht, sonderen deren allgemeine kommunikative Funktion. Schmidt untersucht, was Fragen bewirken, etwa Unruhe, Spannung, Anteilnahme oder Solidarisierung.94 Nach Schmidt sind es vor allem prob lem atisierende Fragen, typisch für 93Gräßel(1991), S. 250. 94Schmidt (1988), S. 115. 214 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile eine Arbeitsgruppensitzung, die Frauen häufiger als Männer zur gesprächsthematischen Steuerung einsetzten. Mit Problematisierungs-fragen schnitten die Frauen ein theoretischen Problem an („Wofür steht jetzt das fremde Kind für euch?") und unterstellen damit den Hörerinnen und Hörern, an einer diskursiven Lösung in gleicher Weise interessiert zu sein wie sie.95 Mit dem Einsatz der problematisieren-den Fragen betonten die Frauen die Gemeinsamkeit der Themenbearbeitung in der Arbeitsgruppensitzung. 6.4 Analysekriterien im Doing-gender-Ansatz Doing gender haben wir schon in Kapitel 5 als das Herstellen von (sozialem, kulturellem) Geschlecht in einer konkreten Interaktion kennengelernt. Kotthoff (1993) hat die Fragestellungen, die aus diesem Ansatz resultieren, formuliert: Wie wird Geschlecht als gesellschaftliche Kategorie relevant gemacht? Was unternimmt eine Kultur täglich, um GeschlechterdifFerenzen herzustellen? Was sind die Methoden, das biologische Geschlecht kulturell relevant zu machen, also Gender zu konstruieren?96 Auch wenn in der aktuellen Interaktion Geschlechterdifferenzen vollzogen werden, so wird dennoch nicht alles ständig neu inszeniert. Bestimmte kulturelle Verhältnisse existieren bereits und dauern fort. Der biologische Unterschied gewinnt nur dann gesellschaftliche Relevanz, wenn die kulturellen Verhältnisse tatsächlich inszeniert werden. Kotthoff macht in ihrer Untersuchung Expertentum als situative Identität im Fernsehen aus. In einer Fernsehdiskussion ist ein Experte nur dann aktuell ein Experte und eine Expertin eine Expertin, wenn sie sich als solche präsentieren und diese Rollenaushandlung von den anderen bestätigt wird. Kotthoffs Methode ist es, einzelne Aktivitäten zu isolieren und zu beschreiben, die am ungleichen Arrangement der Geschlechter im Mediendiskurs teilhaben. In vier Diskussionen fanden sich unterschiedliche Ausmaße alltäglicher Geschlechterpolitik. Als situative Identitäten gab es Betroffene und Expert(inn)en, wobei die Fernsehanstalten schon gezielt eingeladen hatten: mehr weibliche Betroffene, mehr männliche Experten. 95 Schmidt (1988), S. 75. 96Kotthoff (1993), S. 79 f. 64 Analysekriterien im Doing-gender-Ansatz 215 Die Analyse von konversationeilen Vorträgen, hier speziell von Belehrungen in Fernsehdiskussionen tritt bei Kotthoff (1993, 1995) in den Vordergrund, da sie bei der Inszenierung von Expert(inn)enstatus von Bedeutung sind. Im öffentlichen Kontext halten ihrer Analyse zufolge mehr Männer als Frauen Belehrungsvorträge, wobei gesellschaftlicher Status und Gesprächsstatus eng zusammenhängen. Kotthoff grenzt Erklärung und Belehrung voneinander ab. Die Erklärung als selbst- oder fremdinitiierte Wissensdarlegung ist ihrer Definition zufolge ohne Absolutheitsanspruch, die Belehrung korrigiert Wissen, Haltungen oder Standpunkte, die im Gespräch bereits deutlich wurden, kommuniziert außerdem Überlegenheit. In sieben von zehn untersuchten Fernsehdiskussionen spielten konversationeile Belehrungsvorträge eine Rolle bei der Produktion eines hierarchischen Arrangements der Geschlechter. Kotthoff (1993) stellt fest, daß Männer in Fernsehdiskussionen deutlich häufiger als Frauen konversationelle Vorträge halten. Als Beispiel einer Belehrung führt sie die „Ötzi-Diskussion" in der österreichischen Fernsehsendung Club II an. Hier wurde eine Frau als Expertin angesprochen, ihr Rederecht wurde durch die konversationeile Belehrung behindert. Kotthoff führt dazu nur aus, daß Herr Szilvassy unvermittelt die weiteren Ausführungen übernimmt, obwohl er an der vorherigen Klärungssequenz des Abschnittes nicht teilhatte. Sie reagiert nicht darauf. Die Stelle ist nicht als Unterbrechung bzw. durch simultanes Reden bzw. Überlappungen gekennzeichnet. Ich zitiere aus der vorherigen Sequenz zwischen dem Moderator Nagiller und der von ihm angesprochenen Expertin Osterwalder nur die letzten Zeilen. Danach folgt der konversationelle Belehrungsvortrag von Gerichtsmediziner Szillvassy. Die Interpunktion entpricht bei Kotthoff den Intonationskonturen.97 Beispiel: Belehrung N: ja 0: jaHEHEHE N: Alpen sind bloß die Berge 0: Problem der Fremdspachen. genau. S: wenn ich dazu etwas bemerken darf, die Frage woher dieser Mann kam, der kann vielleicht vom 17Kotthoff (1993), S. 85. 216 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile wissenschaftlichen Standpunkt aus, vom anthropologischen Standpunkt aus, beurteilt werden, in der Bronzezeit lebten drei Gruppen von Menschen, also drei Populationstypen, einmal waren es hochgesichtige eh Menschen, mit einem schmalen langen Schädel, wie ebendieser Similaunmann, und die von mittlerer Körpergröße waren, und diese Menschen werden oft (Bandkeramiker?) bezeichnet, daneben gibt es aber dann auch noch die -breitgesichtigeren, derber modellierten eh Menschen, die eh als eh als Cromanide vom anthropologischen Standpunkt aus betrachtet werden ... Herr Szillvassy ist nicht Experte. Frau Osterwalder selbst hatte ihren Expertinnenstatus vorher mit bestimmten Wendungen heruntergespielt („wie sagt man dem"). Szillvassy hingegen baute seinen Expertenstatus mit einer Bluffstrategie auf, indem er allgemeine Wendungen wie „vom wissenschaftlichen Standpunkt aus" benutzte. Während sie ihre Information unspektakulär darzustellen versuchte, holte er zu der monologischen Aktion aus. Frau Osterwalder war die statushöchste Person in dieser Fernsehdiskussion, doch erst nach anderhalb Stunden gelang es ihr, sich gegen den expertenhaft auftretenden Gerichtsmediziner und andere Laien als Expertin zu behaupten.98 Wie Kotthoff ausführt, finden sich solche Redebehinderungen nur in der Konstellation Mann-Frau. Zur Funktion von Belehrungen innerhalb solcher Expertenrunden gibt auch Thimm (1995) an, daß sie eine Form der Selbstdarstellung seien, mit der vor allem Männer Kompetenz demonstrieren. Sie bezeichnet das konversationeile Handlungsmuster kritisch als „patronisieren".99 6.5 Elemente weiblicher und männlicher Gesprächsstile in unterschiedlichen Kontexten Die oben besprochenen konversationeilen Mittel und Analysekriterien müssen tauglich sein, um mit ihnen ein geschlechtsspezifisches 98Genauer nachzulesen in Kotthoff (1993), S. 84-86 und (1995), S. 58ff. "Thimm (1995), S. 126. 6.5 Elemente weiblicher und männlicher Gesprächsstile oder geschlechtstypisches Gesprächsverhalten zu beschreiben. Im Anschluß an ihre Analysen haben es einige Forscherinnen und Forscher unternommen, einen Gesprächsstil abzuleiten. Die Begründung dafür, daß ein für die Geschlechter typischer oder für ein Geschlecht spezifischer Gesprächsstil überhaupt angenommen wird, liefern vor allem die unterschiedlichen Strategien von Männern und Frauen, mit ihrer Muttersprache umzugehen.100 „Stil" ist nach der Definition von Goffman (1980) das, was jemand tut und was sie (oder ihn) gleichzeitig als unverwechselbar erscheinen läßt. Der Gesprächsstil bezeichnet dann die Gesamtheit aller expressiven Seiten des Sprachverhaltens, anhand derer sich die Sprecherin oder der Sprecher im Kommunikationsprozeß immer wieder identifizieren läßt.101 Dieser Gesprächsstil kann jedoch nicht unabhängig von den Geschlechtsrollenstereotypen, also von unseren Vorstellungen, wie eine Frau oder ein Mann sein sollte, gesehen werden. Diese Bilder - so müssen wir uns vergegenwärtigen - beeinflussen auch unsere Vostellung, wie der weibliche Gesprächsstil ist. Eine Verknüpfung des Doing-gender-Ansatzes mit dem Stereotypenansatz findet sich bei Gottburgsen (1995). Es handelt sich hier nicht um eine Gesprächsanalyse, sondern um die sprachlich-stilistische Anla-lyse von Kontaktanzeigen, einer schriftkonstituierten Kommunikationsform mit monologischer Kommunikationsrichtung.102 Gottburgsen fragt hier ebenfalls, ob und wie Kontaktsuchende in Anzeigen ihr soziales Geschlecht her- bzw. darstellen und welcher sprachlichen Mittel sie sich dabei bedienen. Der weibliche Gesprächsstil kann kontrastiv zum männlichen und über Frauengruppen bestimmt werden. Eine allgemeine Bestimmung von weiblichem und männlichem Gesprächsstil gibt Trömel-Plötz (1984c). Eine solche Verallgemeinerung wurde in anderen Studien nicht mehr vorgenommen, sondern es wurde vorsichtig versucht, einen weiblichen oder männlichen Gesprächsstil ausschließlich für die untersuchten Gesprächssituationen zu bestimmen. Wir müssen davon ausgehen, daß das weibliche Gesprächsverhalten in Fernsehdiskussionen anders ist als in privaten Gesprächen, anders in Konfliktsituationen als in konfliktlosen Zweiergesprächen, anders in Gesprächen zwischen zwei Eheleuten als zwischen Sprecherinnen und Sprechern in 100Trömel-Plötz (1984c), S. 362. 101 Nach Goffman (1980), S. 318. 102Gottburgsen (1995), S. 264.