90 3 Sprachwandel unter dem Einfluß der Frauenbewegung 3.2 Personenbezogene Pronomen Sprachen, in denen es das grammatische Genus gibt und unterschiedliche Pronomen für [männlich] und [weiblich], zeigen darin männliche Herrschaftsstrukturen, daß das Pronomen für [männlich] für gemischtgeschlechtliche Gruppen benutzt werden muß („Der Mann dominiert auch in der Sprache"). Die feministische Sprachwissenschaft und herkömmliche Grammatiken bewerten den Bedeutungsgehalt des Indefinitpronomens man unterschiedlich. Der Bedeutungsgehalt des Indefinitpronomens man wird nach feministischer Meinung meistens an die Vorstellung des Männlichen geknüpft. Es wird deshalb wie ein maskulines Pronomen verwendet. Mit der Einführung neuer Pronomen für die Bedeutung [weiblich], die dem Indefinitpronomen man zur Seite gestellt wurden, haben die Feministinnen einen Sprachwandelprozeß eingeleitet. 3.2.1 Das Indefinitpronomen „man" Nach androzentrischem Sprachgebrauch abstrahiert das Indefinitpronomen (unbestimmte Fürwort) man vom Geschlecht einer oder mehrerer Personen und ist neutral. Es umfaßt singularische und pluralische Vorstellungen (vom Menschen).9 Das Pronomen man hat das semantische Merkmal [Person(en)]10 oder [Mensch(en)]. Die feministische Sprachkritik nimmt daran Anstoß, daß man auf Personen im allgemeinen referiert.11 Dies wird mit seiner „Nähe" zum Substantiv Mann begründet. Diese Nähe ist etymologisch und semantisch erfaßbar. Das Indefinitpronomen man ist aus dem Substantiv Mann entstanden, das wiederum in einer alten Sprachstufe, dem Althochdeutschen, gleichzeitig [Mann] und [Mensch] bedeutete. ^ „Die alte Bedeutung des Substantivs Mann, nämlich i ,Mensch', ist erhalten in jemand, niemand und im In- q^ definitpronomen man."12 C/3 9Duden „Grammatik der deutschen Gegenwartssprache" (1995), S. 351. ^ 10Weinrich (1993), S. 98. O nPusch(1984), S. 82 f. O 12Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1989), Berlin, S. 1059. 3.2 Personenbezogene Pronomen 91 Die Geschichte des Indefinitpronomens man sei an dieser Stelle wiedergegeben: „man Indef.pron. ,irgend jemand, manche oder alle Menschen', ahd. (8. Jh.), mhd. asächs. mnd. man, mnl. nl. men, aengl. man entwickelt sich aus dem ... Substantiv [Mann] in dessen alter Bedeutung ,Mann, Mensch', die im Ahd. meist, im Mhd. gelegentlich noch durchzufühlen ist. Eine parallele Entwicklung liegt vor bei afrz. frz. on ,man' (aus lat. homo ,Mann, Mensch')."13 Englisch man, französisch homme, italienisch uomo, spanisch hombre bedeuten sowohl [Mann] als auch [Mensch]. In ihrem Buch „Sexismus" überprüfte Janssen-Jurreit (1976) die philosophischen Definitionen vom Menschen. Tatsächlich schließen sie die Frau nicht mit ein. Die meisten Aussagen über den Menschen lassen vermuten, daß der Mensch männlich ist, und auch in unser aller Vorstellung ist der Mensch meistens ein Mann.14 Die Orthographieregeln legen seltsamerweise bei anderen Pronomen als man nah, daß Männer gemeint sind, auch wenn die Wortbedeutung nicht [männlich] ist. Im Unterschied zu dem Pronomen jedermann haben die Orthographienormer bei man die „männlich"-Semantisierung durch das Doppel-n nicht eingeführt. Bei jedermann wird durch die Orthographieregelung die Bedeutung [männlich] geradezu aufgedrängt.15 Die Neuschöpfung personenbezogener Pronomen für [weiblich] kann auf zwei Argumentationen zurückgeführt werden. Die feministische Sprachwissenschaft kritisiert, daß man männlich seman-tisiert sei und deshalb parallel dazu ein Pronomen für die Bedeutung [weiblich] fehle. Die Textgrammatik von Weinrich (1993) bietet die zweite Version als Grund an: Hat man nur die Bedeutung [Person(en)], so ist die (Bedeutungs-)Opposition [männlich] versus [weiblich] neutralisiert.16 Die feministische Kritik entzündet sich also nach Weinrich an der Neutralisation, die eine Dichotomie [männlich] 13Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (1989), Berlin, S. 1054. 14Pusch (1984), S. 15 f., 156. 15Polenz (1985), S. 152. 16Weinrich (1993), S. 102. 92 3 Sprachwandel unter dem Einfluß der Frauenbewegung versus [weiblich] verhindert. Diese Dichotomie kann dann wünschenswert sein, wenn Frauen immer sichtbar benannt werden sollen. Letztlich führen beide Argumentationen zu einer Begründung der neuen personenbezogenen Pronomen für die Bedeutung [weiblich] und darüber hinaus für die „Feminisierung" der syntaktischen Kongruenzregeln. 3.2.2 Die neuen Indefinitpronomen Der von der feministischen Sprachkritik in Gang gesetzte Sprachwandel brachte unter den neuen Wörtern und Begriffen das Pronomen frau hervor, wie es von Verena Stefan in ihrem Buch „Häutungen" verwendet ist. Das neue Indefinitpronomen frau ersetzt das Indefinitpronomen man, wenn ein weiblicher Zusammenhang gegeben ist. Da Sätze wie „Wie kann man seine Schwangerschaft feststellen?" für viele Frauen befremdlich klingen, lehnten es immer mehr Frauen ab, man in frauenspezifischem Kontext - beispielsweise Schwangerschaft oder Stillen - zu benutzen. Das Indefinitpronomen frau ist dem Substantiv Frau semantisch nah; da es vom Substantiv abgeleitet ist, ist die Entstehungsgeschichte gleich. Grammatisch verhält es sich anders als man. Es kann im Nominativ sowohl durch sie als auch durch frau wieder aufgenommen werden: „Wenn frau stillt, muß sie mehr essen." oder „Wenn frau stillt, muß frau mehr essen." Man hingegen kann nicht durch er wieder aufgenommen werden. Es ist im frauenspezifischen Kontext also immer weniger üblich zu sagen „Wenn man stillt, muß man (nicht: er) mehr essen." Der Akkusativ heißt eine oder frau, der Dativ heißt einer oder frau, wie der folgende Satz zeigt: „Was kann einer (frau) passieren?"17 17Pusch (1984), S. 86 ff. 3.2 Personenbezogene Pronomen 93 Die Nähe zum Substantiv Frau zeigt sich dadurch, daß das Indefinitpronomen auch durch das Substantiv ersetzt werden kann, beispielsweise in dem Satz „Wenn (eine) Frau stillt, muß sie mehr essen". Dies ist der Grund, daß einige sprachbewußte Frauen und Männer nicht frau verwenden, sondern das Substantiv Frau oder eine Frau an seiner Statt bevorzugen. Die Stellung von frau im Satz orientiert sich am Substantiv Frau, nicht am Pronomen man. Vergleiche „Und deshalb bliebe auch einer Frau nichts anderes übrig" und „Und deshalb bliebe auch frau nichts anderes übrig". Das klein geschriebene frau steht grammatisch zwischen dem Pronomen und dem Substantiv.18 Da es sich wie das Substantiv Frau verhält, wird es auch als Pseudopronomen bezeichnet.19 Es ist durch Kleinschreibung den Weg vom Substantiv zum Pronomen gegangen. Zum Pronomen frau gibt es auch die Alternative des klein geschriebenen mensch. Wie das Substantiv Frau wurde auch Mensch durch die Kleinschreibung zum Pronomen. Es klingt im Frauenkontext jedoch wie man unpassend: „Wenn mensch stillt, muß er mehr essen." Auch das Substantiv Mann wird vereinzelt klein geschrieben und erhält so den Status eines Pronomens oder wird ohne Artikel benutzt: „Die Benutzung verallgemeinernder Begriffe wie ,der Arbeitnehmer' des Einigungsvertrages legt nahe, daß der Mann verallgemeinernd zum Maßstab für den Inhalt wurde und mann die Frau vergaß."20 Das Pronomen jedefrau soll jedermann ersetzen. Karl Kraus schrieb schon 1912 in der Fackel jedefrau sei das „einzig zeitgemäße Wort".21 Jedefrau wird im Splittingverfahren auch dem Pronomen jedermann zur Seite gestellt: 18Pusch(1984),S. 88. 19Hornberger (1993), S. 99. 20Grabrucker (1993), S. 27. 21 Das vollständige Zitat ist in Abschnitt 4.2 wiedergegeben. 94________3 Sprachwandel unter dem Einfluß der Frauenbewegung „In unserer Abteilung wird ein ansprechendes Training für jedermann/frau geboten."22 Die neuen Pronomen jefraud und niefraud für jemand und niemand werden nur vereinzelt gebraucht. Jefraud und niefraud werden oft von Gegnern der feministischen Sprachbetrachtung als Beispiele angeführt, um die Künstlichkeit, ja Verkehrtheit eines solchen Neologismus zu betonen. Jefraud und niefraud sind keine allgemeine Sprachgewohnheit geworden, die aus dem feministischen Gruppenbereich „herausgeschwappt" wäre. Wenn Frauen in das Pronomen man seit ungefähr fünfzehn Jahren die Bedeutung [männlich] hineindeuten und ihm das klein geschriebene frau als sprachliche Neuerung zur Seite stellen, so ist das schon - egal, durch welche Sprachreflexion es zustande kam, wie Dieckmann konstatiert23 - eine sprachgeschichtliche Tatsache. Das heißt weiter, daß Frauen hier, durch die Verbreitung des neuen Pronomens frau, ein Stück Sprachgeschichte geschrieben haben. Frau beziehungsweise die Dichotomisierung man/frau verbreitete sich allerdings nur in den westlichen deutschsprachigen Ländern. In den Wortschatz der DDR-Frauen und der offiziellen DDR wurde es bis zur Vereinigung beider deutscher Staaten nicht aufgenommen. Die offizielle Sprachbeschreibung der DDR hielt die faktische Frauenemanzipation für so weit fortgeschritten, daß es „einer solchen vordergründigen Agitation nicht mehr bedarf".24 3.2.3 Feminisierung von „wer" und Jemand" Neben man sind auch die Pronomen wer und jemand nach androzen-trischer Auffassung geschlechtsabstrahierend. Sie können dennoch nur durch maskuline Pronomen wieder aufgenommen werden. Die Sätze „ Wer kann mir sein Fahrrad leihen?" und „Ist da jemand, der mir sein Fahrrad leiht?" Festschrift des Judo-Clubs Geisenheim zum zwanzigjährigen Jubiläum der Abteilung Alte Herren, August 1992, S. 19. 23Dieckmann (1988), S. 1. 24Fleischer [Hrsg.] (1987), S. 104. 3.3 Feminine Berufsbezeichnungen 95 sind grammatisch korrekt. Da eine feministische Sprecherin niemals sich selbst oder andere Frauen mit einem Maskulinum bezeichnet (feministische Kongruenzregel)25, wird sie versuchen, den syntaktischen Anschluß des Fragepronomens wer oder des Pronomens jemand, sofern sie beide nicht ersetzt, mit einem femininen Pronomen zu vollziehen. Die Sätze lauten dann „ Wer kann mir ihr Fahrrad leihen?" und „Ist da jemand, die mir ihr Fahrrad leiht?". Die letzten beiden Sätze verletzen die grammatische Kongruenzregel, nach der geschlechtsabstrahierende Pronomen im Maskulinum nur durch Maskulina wiederaufgenommen werden. Sie sind aber „feministisch kongruent". Die allgemeine Feminisierungstendenz (von Wörtern) wurde damit auch auf den syntaktischen Anschluß übertragen: Es ist anzunehmen, daß im weiteren Verlauf des Sprachwandelprozesses jemand einfach wie ein Femininum behandelt wird -und auch in seiner Bedeutung „feminisiert" wird -, indem jemand mit dem Artikel die angeschlossen wird. 3.3 Feminine Berufsbezeichnungen Die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft vom Februar 1976 zur Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben hat in der BRD eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen bewirkt. 1979 wurde geregelt, daß künftig männliche und weibliche Berufsbezeichnungen in Ausbildungsanordnungen verwendet werden müssen. In der Presse hieß es da etwa: „Die erste Ausbildungsanordnung, die dieserart umgestaltet wurde, ist die ,Verordnung über die Berufsausbildung zum Koch/zur Köchin'. Später soll aus dem Mechaniker dann die Mechanikerin, aus dem Elektriker die Elektrikerin werden. Die Änderung der Ausbildungsanordnungen wird ... ,als Beitrag zur Verbesserung der Berufswahlchancen für Frauen' von der Bundesregierung für erforderlich gehalten."26 1980 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch um 25Pusch (1984), S. 41. 26Der Tagesspiegel, 28. 7.1979.