160 5 Feministische Gesprächsforschung 5.3.2 Die Theorie der „zwei Kulturen" Die Theorie der „zwei Kulturen" geht auf die Studien von Gum-perz (1982) zurück, der die Kommunikation zwischen Kulturen erforscht hatte. Maltz/Borker (1982, deutsch 1991) übertrugen diesen Ansatz auf Interaktionen zwischen den Geschlechtern, Tannen (1990, deutsch 1991) machte diese Lesart durch ihre populäre Darstellung bekannt. Die Theorie besagt, daß Frauen und Männer unterschiedlich sprechen und unterschiedlich kontextualisieren, weil sie die Regeln der Interaktion in getrenntgeschlechtlichen Gruppen bestimmter Altersstufen (Peergruppen) erwerben (vgl. Abschnitt 1.3). Als Differenzkonzept scheint es zunächst dem Dominanzkonzept gegenüberzustehen . Maltz/Borker (1991) beschreiben die Differenz zwischen den Geschlechtern als kulturelle Erscheinung. Für ihre Theorie übernehmen sie die Herangehensweise von Gumperz' interethnischen Studien und betrachten Gesprächskonflikte zwischen Frauen und Männern. Sie legen den Schwerpunkt ihrer Herangehensweise auf die unterschiedlichen Vorstellungen davon, was ein freundliches Gespräch ist und wie es durchgeführt wird, sowie auf die Interpretation dessen, was sich in diesen Gesprächen abspielt. Maltz und Borker meinen: Weil Interpretationskonventionen kulturell determiniert sind, gibt es für das gleiche Gespräch unterschiedliche Interpretationen. Deshalb kommen im Gespräch Interferenzen, wie wir sie vom Fremdsprachenerwerb her kennen (Übertragen von der Muttersprache in die Fremdsprache), zum Tragen. In freundschaftlichen Gesprächen rühren Unterschiede zwischen Frauen und Männern daher, daß sie andere Freundschaftskonventionen haben und entsprechend andere konversationelle Strategien anwenden. Nicht Schritt für Schritt, sondern in bestimmten Altersstufen eignen sich Kinder Unterschiede im Sprach verhalten an. Als Erwachsene müssen sie diese Unterschiede partiell wieder ausgleichen. Gumperz, auf den sich Maltz/Borker berufen, fand unterschiedliche Signalisierungstechniken (cues), die in Gesprächen angewendet wurden und mit denen den Gesprächspartnerinnen und -partnern nicht klar war, ob eine Frage gestellt oder ein Argument formuliert wurde. Höflichkeit, Abgabe des Rederechts, Unterbrechung, Ärgerlichkeit, innere Beteiligung oder Indifferenz wurden nicht klar interpretiert. Inderinnen in der Cafeteria des Londonder Flughafens 5.3 Kernpositionen der feministischen Gesprächsforschung 161 boten Soße mit fallender Intonation an („Möchten Sie Soße."). Sie selbst meinten, eine Frage gestellt zu haben („Möchten Sie Soße?"), und wußten auch, daß im britischen Englisch hierfür Frageformen zu benutzen sind. Sie wurden als extrem unfreundlich wahrgenommen, denn der steigende Tonfall signalisiert Fragen, nicht der fallende. Die Kenntnisnahme von Gumperz' Ansatz soll verhindern, daß Fremden böse Absicht unterstellt wird, wo unterschiedliche Interpretationsregeln der Mitglieder verschiedener Kulturen der Grund für Mißverständnisse sind. Es gibt auch nach Maltz und Borker verschiedene potentielle Quellen für Mißverständnisse. Die Muster des Verhaltens mit Gleichgeschlechtlichen stellen eine dieser Mißverständnisquellen gegenüber den Andersgeschlechtlichen dar. Nach der Theorie der „zwei Kulturen" werden diese Verhaltensmuster im Alter zwischen fünf und fünfzehn Jahren in gleichgeschlechtlichen Gruppen von Gleichaltrigen erlernt und nicht von Erwachsenen übernommen. Kindergruppen in diesem Alter sind - so Maltz und Borker - entweder reine Mädchenoder reine Jungengruppen. Die Kinder lernen hier, sich durch ihr Verhalten vom anderen Geschlecht abzugrenzen. Maltz/Borker listen die folgenden Sprachverhaltensmuster auf: Mädchen lernen, sprachlich damit fertig zu werden, daß ihre Gleichheitsideologie, auf die sich ihre Art, Freundschaften zu schließen, gründet, auf Konflikt und Differenz in der Mädchengruppe stoßen kann. Sie lernen, Mädchenfreundschaften einzugehen und aufrechtzuerhalten, die durch Nähe und Gleichheit bestimmt sind, aber auch Kritik zu üben und das Reden anderer Mädchen angemessen zu interpretieren. Zentrale soziale Kompetenzen von Mädchen sind: Sie kritisieren, ohne aggressiv zu werden oder als dominant zu erscheinen, sie verschleiern die Quelle von Kritik oder äußern die Kritik indirekt durch eine dritte Partei. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, Grade an Nähe oder auch aufkommende Kritik richtig zu interpretieren. Die soziale Welt der Jungen besteht daraus, Position und Gegenposition einzunehmen. Ihr Reden erfüllt vor allem die Funktion, die eigene Dominanzposition zu wahren, ein Publikum zu gewinnen und sich selbst einzubringen, wenn andere das Wort haben. Jungen geben Kommentare zu einer Geschichte ab oder fallen den Erzählenden dauernd ins Wort, um sich selbst zu inszenieren. Sie beabsichtigen aber nicht, das Thema zu ändern oder zu unterbrechen, wenn sie auf diese Weise angreifen. Dennoch gelten auch diese Dominanzmuster 162 5 Feministische Gesprächsforschung als Indizien für Machtgebaren. Noch erwachsene Männer debattieren hitzig und setzen sich verbal in Szene. In Frauengesprächen hingegen spielt nach der Theorie der „zwei Kulturen" die Kooperation die zentrale Rolle. Auch Tannen (1991) verfolgt mit ihrem Buch „Du kannst mich einfach nicht verstehen. Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden" diesen soziolinguistischen Ansatz. Geschlechtsspezifische Sprechweisen werden auch von ihr auf kulturelle Unterschiede zurückgeführt, die sich in den Peergruppen bilden. In der Welt der Jungen wird um Status gefeilscht. Status wird gewonnen und aufrechterhalten, indem man Befehle erteilt und die anderen dazu bringt, sie zu befolgen. In einer Mädchengemeinschaft ist das wichtigste Gut die Intimität. Auch hier ist Beliebtheit eine Form von Status, aber sie gründet auf Bindung. Das Gespräch zwischen erwachsenen Frauen und Männern wird zur interkulturellen Kommunikation. Tannen benutzt die Begriffe Berichts- versus Beziehungssprache (report-talk versus rapport-talk), öffentliches versus privates Sprechen. Tannens feministischer Ansatz besteht im Ziel, die Mißverständnisse zwischen den Geschlechtern auszuräumen, damit eine gemeinsame Sprache gefunden werden kann, in der über Interessenskonflikte verhandelt wird. Die Theorie der „zwei Kulturen" wird stark angegriffen. Lakoff (1996) weist beispielsweise darauf hin, daß Techniken, mit denen Frauen in privaten Gesprächen zum Schweigen gebracht werden, auch in öffentlichen Gesprächen eingesetzt werden, und es könne beim Zum-Schweigen-Bringen nicht von einem kulturellen Mißverständnis zwischen den Geschlechtern mit guter Absicht ausgegangen werden.32 Kritisiert wird auch, daß die von Maltz, Borker und Tannen angegebenen Sprachverhaltensmuster unhinterfragt den gängigen Geschlechtsrollenstereotypen entsprechen, obwohl sich zumindest im Berufsleben die Bereiche von Frauen und Männern immer stärker angleichen. Kritisch merkt hier Günthner (1992a) an, daß es ein flexibleres Verständnis von gender geben müsse, da es große individuelle Abweichungen von diesen als typisch gewerteten Interaktionsstrategien gebe. Auch seien die kommunikativen Handlungen von Kindern nicht durchgängig in Jungen- und Mädchengruppen geteilt. Kinder seien bei ihren Aktivitäten nur manchmal getrenntgeschlecht- Lakoff(1996),S. 40. 5.3 Kernpositionen der feministischen Gesprächsforschung 163 lieh organisiert, bei anderen wiederum seien sie Teil derselben Welt („With-then-apart-Strukturen").33 Die dichotome „ Rapport-report-Zuordnung" reduziere weibliches Interaktionsverhalten weiterhin auf traditionelle Stereotypen.34 Ein Bild, in dem Frauen nach Harmonie strebten, nach Nähe und Intimität, an Politik desinteressiert und unfähig zur von persönlichen Belangen losgelösten Diskussion seien sowie an mangelnder Durchsetzungsfähigkeit krankten, sei schlichtweg falsch. Das Geschlecht sei auch nicht der einzige Faktor für das Interaktionsverhalten einer Person: Auch andere Identitätsparameter müßten in der jeweiligen Gesprächssituation betrachtet werden (Akademikerin, Ausländerin, Expertin u.a.). Das Kommunikationsverhalten ist nach Günthner nicht so eingeschränkt wie oben dargestellt. Die Annahme verschiedener kommunikativer Regeln und stabiler Genderlekts sei in dieser Form zurückzuweisen. Trömel-Plötz wiederum merkte hier an, daß die Leserin nicht dazu gedrängt werde, die Verhältnisse zu ändern, die Theorie der „zwei Kulturen" bedrohe bzw. kritisiere also nicht den gesellschaftlichen Status quo. Obwohl Frauen weniger Macht zugestanden würde, müsse sich das nicht auf die Interaktion zwischen Individuen auswirken, die sich selbst als sozial gleichgestellt betrachten.35 Nach Uchida (1992) sind die Differenzen zwischen Frauen und Männern weder statisch noch konstant. Ethnische, kulturelle Zugehörigkeit, Alter und sexuelle Orientierung würden auch im Konzept der „zwei Kulturen" außer acht gelassen.36 Den Aspekt des hierarchischen Verhältnisses zwischen Frauen und Männern hier auszuschließen hieße, frauenfeindliches Verhalten als unschuldiges Mißverständnis, verursacht durch kulturelle Differenzen, zu legitimieren. Uchida tritt dafür ein, daß in der weiteren Forschung ein ganzheitlicher Ansatz gefunden wird, der die Verknüpfung des Dominanz-mit dem DifFerenzansatz herausstellt. Beide dürften nicht gegeneinander stehen. Differenz und Dominanz, vielleicht auch noch andere Dimensionen sollten als gleiche Komponenten für das Konstruieren von sozialem Geschlecht verstanden werden.37 Beide Ansätze - der Dominanz-Unterdrückungs-Ansatz wie der Ansatz der „zwei Kultu- 33Vgl. ebenso Uchida (1992), S. 556. 34 Günthner (1992a), S. 130. 35Trömel-Plötz, nach Uchida (1992), S. 553. 36Uchida(1992), S. 557. 37Uchida(1992), S. 563. 164 5 Feministische Gesprächsforschung ren" - versuchen, eine Beziehung zwischen sozialen Phänomenen, eben dem Geschlecht und konkreten kommunikativen Verhaltensweisen herzustellen. Einmal über den Faktor Macht, ein andermal über den Faktor der „kulturellen Differenzen". Beides hat seine Richtigkeit, denn „sowohl Machtstrukturen als auch geschlechtsspezifische Präferenzen bezüglich bestimmter kommunikativer Stile zeigen Aspekte, die unsere kommunikative Konstruktion von Geschlechteridentitäten leiten."38 5.3.3 Das Konzept des Doing gender Für das Sprachverhalten der Frauen und Männer wurde in der späteren Soziolinguistik der Begriff Genderlekt aus dem angloamerikani-schen Sprachraum oder, in schlechter Übersetzung, zu deutsch Sex-lekt geprägt. Er ist analog zu Dialekt oder Soziolekt (dialect, socio-lect) gebildet. Genderlekt bezeichnet demnach eine geschlechtsspezifische Sprachvarietät. Das englische gender beschreibt im Gegensatz zum biologischen oder natürlichen Geschlecht (engl, sex, lat. sexus) das soziale Geschlecht und wurde in die neuere linguistische Frauenforschung übernommen. Die Annahme, es gäbe stabile Genderlekte, hat sich nicht erhärtet. Auch das soziale Geschlecht erklärt die Unterschiede im Sprachverhalten von Frauen und Männern nicht allein. Hier spielen weitere Faktoren eine Rolle, die bisher weitgehend außer acht gelassen wurden, wie etwa die situative Dynamik eines Gesprächs oder die soziale Konstellation der Gesprächspartnerinnen und -partner zueinander. Die bisher einem Geschlecht zugeschriebenen sprachlichen Phänomene werden heute in einen vielfältigeren Bezugs- und Analyserahmen gestellt, denn das „sprechende Individuum steckt in einem engen Netz von Bestimmungsvariablen, die aufeinander wirken und in ihrer Gesamtheit analysiert werden müssen".39 Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind nicht so stereotyp, wie es das Gender-lektkonzept vorgibt, so daß nicht von stabilen Genderlekten als verschiedenen kommunikativen Regeln ausgegangen werden kann. Der Genderlekt-Begriff suggeriere, daß bestimmte sprachliche Elemente und das soziale Geschlecht kontextübergreifend korrelierten. Dies sei 38Günthner (1997), S. 130. 39Postl(1991), S. 30. 5.3 Kernpositionen der feministischen Gesprächsforschung 165 überzeichnet. Genderlekt könne nur von Differenzen und Ähnlichkeiten kommunikativer Strategien von Frauen und Männern in einer jeweiligen Kommunikationssituation ausgehen. Um dann vielleicht einen jeweiligen geschlechtsspezifischen Genderlekt zu bestimmen, brauche die Forschung jedoch noch viele Detailanalysen der Organisation von Sprechen innerhalb spezifischer Aktivitäten.40 Das Konzept des Doing gender ist ein weiterer, aus der amerikanischen Ethnomethodologie kommender Ansatz, mit dem die Unterschiede im weiblichen und männlichen Kommunikationsverhalten in der linguistischen Frauenforschung erklärt werden. Geschlechterdifferenzen werden nach diesem Ansatz vom Individuum in seiner Handlung vollzogen und sind daher nicht im Individuum als Wesensmerkmal zu suchen. Daraus ergibt sich eine neue Fragestellung in der feministischen Gesprächsforschung: „Existent ist ja zunächst nur das biologische Geschlecht (sex). Was sind die Methoden, dieses kulturell relevant zu machen, also gender zu konstruieren?"41 Die beiden vorgenannten Ansätze erklären situativ bestehende Unterschiede im Kommunikationsverhalten vieler Frauen und Männer in bestimmten sozialen Kontexten. Gesellschaftliche Machtverhältnisse sind jedoch nicht einfach da, ebenso nicht Weiblichkeit, Männlichkeit oder kulturelle Differenzen. Während wir interagieren, kommunizieren, stellen wir die Machtverhältnisse her, konstruieren Weiblichkeit oder kulturelle Differenzen. Es fragt sich nur, wie dies geschieht, und herade hier setzt das Konzept des Doing gender an, fragt nach Methoden der Mitglieder einer jeweiligen Gesellschaft. Da die Differenzen nach bestimmten Regeln konstruiert werden, gilt es, diese aufzuspüren. Kotthoff weist darauf hin, daß in der feministischen Kommunikationsforschung nie ein fixiertes weibliches oder männliches Wesen als Ausgangspunkt genommen worden sei, von dem sich heute absetzt werden müßte. Geschlechterforschung bedeute hier immer „Aufdeckung der Konstruktionsprozesse der Geschlechterty-pisierung, aber auch anderer Typisierungen wie Alter oder soziale Schicht"42. Hier hat ein Paradigmenwechsel eingesetzt. In ihrem wichtigen Aufsatz „Wechselnde Blicke auf die Kategorie Geschlecht" zeichnet Steffanie Engler (1999) diesen im Bereich der soziologischen Ge- 40Günthner (1992a), S. 140. 41 Kotthoff (1993), S. 80. 42Kotthoff (1993), S. 81. 166 5 Feministische Gesprächsforschung Schlechterforschung nach. Der Wechsel vollzog sich von den Differenz-theorien weg. Allen Differenzkonzepten liegt die Annahme zugrunde, daß es Frauen und Männer gibt und daß diese immer schon verschieden sind. Der zweite Standpunkt etablierte sich in den neunziger Jahren. Ihm liegen Konzepte der kulturellen und sozialen Konstruktion von Geschlecht zugrunde.43 Auch mit Blick auf gender wird das Sprachverhalten in der Interaktion untersucht. Geschlecht erscheint hier als eine Angelegenheit des doing, nicht des being44, es wird immer wieder hergestellt und bildet keine statische Größe. West/Zimmerman beschreiben doing gender folgendermaßen: „Das Herstellen von Geschlecht (doing gender) umfaßt eine gebündelte Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung, der Interaktion und der Alltagspolitik, welche bestimmte Handlungen mit der Bedeutung versehen, Ausdruck weiblicher oder männlicher 'Natur' zu sein. Wenn wir das Geschlecht (gender) als eine Leistung ansehen, als ein erworbenes Merkmal des Handelns in sozialen Situationen, wendet sich unsere Aufmerksamkeit von Faktoren ab, die im Individuum verankert sind, und konzentriert sich auf interaktive und letztlich institutionelle Bereiche. In gewissem Sinne sind es die Individuen, die das Geschlecht hervorbringen. Aber es ist ein Tun, das in der sozialen Situation verankert ist und das in der virtuellen oder realen Gegenwart anderer vollzogen wird, von denen wir annehmen, daß sie sich daran orientieren. Wir betrachten das Geschlecht weniger als Eigenschaft von Individuen, sondern vielmehr als ein Element, das in sozialen Situationen entsteht: Es ist sowohl das Ergebnis wie auch die Rechtfertigung verschiedener sozialer Arrangements sowie ein Mittel, eine der grundlegenden Teilungen der Gesellschaft zu legitimieren."45 43Nach Engler (1999), S. 4, hat die Diskussion um die Gewichtung von biologischen und sozialen Geschlechtsunterschieden dazu geführt, daß diese Unterscheidung infrage gestellt wurde und auch das biologische Geschlecht als sozial konstruierter Sachverhalt betrachtet wird. Die Kategorien „Frauen" und „Männer" erscheinen dann nicht mehr als so selbstverständlich, wie unsere Wahrnehmung es uns glauben läßt. 44Vgl. Günthner (1997), S. 133 ff. 45 West/Zimmerman (1991), zit. nach Gildemeister/Wetterer (1995), S. 236 f. 5.3 Kernpositionen der feministischen Gesprächsforschung 167 Gender wird in Interaktionen erzeugt und geht aus unseren sozialen (Alltags-)Handlungen hervor.46 Wenn Weiblichkeit und Männlichkeit als sozial erlernte und geprägte Verhaltensweisen gedacht werden, wird auch „Geschlecht" zu einem sozialen Phänomen. Das soziale Geschlecht wird erzeugt, indem in Interaktionen Geschlechtsunterschiede aktiviert werden. Und es ist auch ein je nach Lebenswelt geprägtes kulturelles Konstrukt. Nach Goffmann sind Weiblichkeit und Männlichkeit damit Darstellungen kultureller Vorstellungen und Erwartungen. In jeder Situation können wir Geschlechterdifferenzierungen verbal und nonverbal aktivieren oder erzeugen (wir tun bzw. handeln also), indem Frauen ein Gespräch unter Frauen führen, indem sie lächeln, flirten, indem Frauen durch die von einem Mann aufgehaltene Tür gehen. Möglicherweise ist es aber in einem bestimmten Zusammenhang nicht nötig, das soziale Geschlecht zu aktivieren, und es ist innerhalb einer Kommunikation nicht weiter relevant. Mit der interaktiven Konstruktion des sozialen Geschlechts kann aber zugleich die soziale Unterordnung der Frau produziert werden, wenn die Aktivierung weiblicher Geschlechtsidentität von anderen an Stelle der Frau vorgenommen wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Frau, die gerade eine Geschichte erzählt, unterbrochen wird und ein mit anwesender Mann die Geschichte an ihrer Statt zu Ende erzählt. Hier wird ein niedrigerer Status und ein geringeres Prestige der Frau mitproduziert. Günthner (1992a) demonstriert die soziale Unterordnung am Beispiel eines Gesprächs zwischen dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Nixon und einer Journalistin. Nixon wechselt mitten im Gespräch das Thema, indem er plötzlich die Kleidung der Journalistin kommentiert. Dies ist unsachlich und hat mit dem bisherigen Gesprächsinhalt nichts zu tun. Mit diesem Wechsel der Gesprächsebene (Footing-Wechsel) konstruiert er „die Frau als Objekt" mit gleichzeitig niedrigerem Status.47 . Begriffe wie „Genderlekt" oder „Frauensprache" werden in der aktuellen Forschung nicht mehr gebraucht. Sie suggerieren eine größere Homogenität unter Frauen und größere Unterschiede zwischen Männern und Frauen, als tatsächlich gegeben sind.48 Der Ausdruck doing gender steht für ein Kommunikationsverhalten, mit dem die Individuen an der Konstruktion der Geschlechterdifferenz mitwirken, in- 46Goffman (1977); das Folgende geht auf Günthner (1992a), S. 131 f., zurück. 47Günthner (1992a), S. 132. 48Thorne/Kramarae/Henley (1983), S. 14. 168 5 Feministische Gesprächsforschung dem sie in der Interaktion ihr Geschlecht inszenieren, und dies auch über die Verwendung von Sprache. Kotthoff und Günthner haben hierbei das Gespräch noch einmal als Untersuchungsgegenstand legitimiert: „Zur Rekonstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit erwies es sich als notwendig, zwischenmenschliche Interaktionen zum Untersuchungsgegenstand zu erheben, denn sie verkörpern die wichtigsten Mittel, durch die soziale Normen, kulturelle Relevanzstrukturen und soziale Identitäten übermittelt, erneuert, und modifiziert werden. In bezug auf das soziale Geschlecht (gender) bedeutet dies, daß wir in zwischenmenschlichen Interaktionen unsere soziale Geschlechtszugehörigkeit kommunizieren und bestätigen."49 Eine wichtige Fragestellung in der feministischen Gesprächsforschung ist dann auch: Nach welchen Regeln werden Differenzen zwischen Männern und Frauen konstruiert? 5.3.4 Feministische Gesprächsforschung und Geschlechtsrollenstereotypen Schauen wir uns einmal an, welche Faktoren das Wahrnehmungsverhalten der Geschlechter bestimmen können. Unsere Sozialisation bestimmt unser Gesprächsverhalten mit, und die dabei weitergetragenen Geschlechtsrollenstereotypen haben einen Einfluß auf unsere Wahrnehmung des Gesprächsverhaltens von Frauen und Männern. Die Geschlechtsrollenstereotypen sind in Abschnitt 4.3 definiert und kurz beschrieben. Sie sind Vorstellungen davon, was typisch weiblich und was typisch männlich ist. Sie werden im Sozialisationspro-zeß verinnerlicht und legen unsere Verhaltenserwartungen fest. Mit ihnen erstellen wir unsere Selbst- und Fremdkonzepte. Frauen begreifen sich selbst oft als mangelhaft, weil männliche Merkmale ein höheres Ansehen genießen. Um zu verdeutlichen, welche Merkmalszuschreibungen immer wieder die soziale Kategorie Geschlecht mit beeinflussen, seien hier die Geschlechtsrollenzuschreibungen nach Rosenkrantz u. a. (1968) in der folgenden Tabelle zusammengestellt.50 Günthner (1997), S. 133. Rosenkrantz u.a. (1968), S. 291. Ich entnehme sie dem Schaubild in Ea- kins/Eakins(1978), S. 7. 5.3 Kernpositionen der feministischen Gesprächsforschung 169 Tabelle: Geschlechtsrollenzuschreibungen der Mann die Frau aktiv ruhig abenteuerlustig sanft aggressiv hat Ambitionen ihre Sprache verletzt nicht konkurrierend handelt wie ein Führer drückt zärtliche Gefühle aus entscheidungsfreudig direkt taktvoll dominant objektiv selbstvertrauend sicherheitsbedürftig nicht so schnell verletzbar versteckt Emotionen taktvoll unabhängig geschwätzig mag Mathematik und mag Kunst und Literatur Naturwissenschaften denkt logisch ist religiös entscheidet leicht Mit dem Dominanz-Unterdrückungsansatz wie dem Ansatz der „zwei Kulturen" sind Hypothesen zum Genderlekt und zum weiblichen Register aufgestellt worden. Mit ihnen ist eine öffentliche Statussprache für Männer und eine private Beziehungssprache für Frauen postuliert worden. Ein weiterer Aspekt sind die Bilder über Frauen und Männer, die als Geschlechtsrollenstereotypen existieren. Einige Arbeiten untersuchen das Kommunikationsverhalten von Frauen und Männern mit Blick auf die Geschlechtsrollenstereotype. Eine weitere Fragestellung zum geschlechtstypischen Sprachverhalten bei Einbeziehen der Geschlechtsrollenstereotypen ist etwa: Welche Zusammenhänge kristallisieren sich zwischen allgemeiner, gesellschaftlicher Rollenzuweisung und Gesprächsrollenzuweisung von Frauen und Männern heraus? „Wenn ein sprachliches Mittel in einer bestimmten Situation besonders dazu dient, das soziale Geschlecht 'weiblich' zu kennzeichnen, können wir es 'typisch weiblich' nennen. Es gehört oft auch zu einem Stereotyp von weiblichem Sozialverhalten. Die Art 170 5 Feministische Gesprächsforschung der Kennzeichnung als 'weiblich', wie eine Eigenschaft in das Weiblichkeitsstereotyp gelangt, ist unterschiedlich."51 Wenn ein Kommunikationsverhalten als typisch weiblich eingestuft wird, so kann dies unter anderem bedeuten, daß gleiche kommunikative Verhaltenseigenschaften bei Frauen andere, stereotype Erwartungen und Deutungen erfahren als die der Männer, und zwar unabhängig von der ursprünglichen Intention. Es kann auch bedeuten, daß Verhaltensweisen, die nicht in das Stereotyp weiblichen Kommunikationsverhaltens passen, bis zu einem bestimmten Grad nicht wahrgenommen werden.52 Für Schmidt (1988), deren Fragestellung und Herangehensweise ich an dieser Stelle vorstellen möchte, erklärt vor allem das Geschlecht die Unterschiede im Sprechen von Frauen und Männern. Zur sozialen Kategorie Geschlecht zählt sie die situations- und rollenübergreifenden Typisierungsschemata von Weiblichkeit und Männlichkeit hinzu. Schmidt untersuchte, was typisch männlich und was typisch weiblich in unserer Vorstellung ist und wie diese Vorstellung immer wieder in Gesprächen aufgebaut und aufrechterhalten wird. Ihr Korpus bilden Gespräche von sieben studentischen Examensvorbereitungsgruppen. Schmidt begnügte sich nicht mit der Auszählung von Unterbrechungen, Fragen und anderen sprachlichen Verhaltensweisen, sondern fügte ihrer quantitativen Analyse eine qualitative hinzu. Im Ergebnis ihrer quantitativen Analyse zeigten sich die Frauen in ihrem Kommunikationsverhalten ausgesprochen kooperativ und betonten die Gemeinsamkeit der Gruppenarbeit. Das männliche Kommunikationsverhalten war deutlich nicht kooperativ. Männer stellten häufiger ihr eigenes Wissen in den Vordergrund, als daß sie mit den Frauen wirklich diskutierten. Für die anschließende qualitative Analyse suchte Schmidt fünf argumentative Situationen aus, weil sich in ihrer quantitativen Analyse gerade dort die Gesprächsdominanz der Männer gezeigt hatte. Sie arbeitete dann den spezifischen Argumentationsverlauf durch eine Inhaltsanalyse heraus. Ihr Untersuchungsinteresse galt hier der Frage, wie die Arbeitsgruppenteilnehmerinnen und -teilnehmer gegensätzliche thematische Positionen abklären und inwieweit sie die Argumentation mit einer von allen Seiten akzeptierten Lösung beendigen. Für 51 Schmidt, Antje (1995), S. 89. 52Ebd., S. 96. 5.3 Kernpositionen der feministischen Gesprächsforschung 171 fünf untersuchte Gespräche ergab sich folgendes: Nur in der Frauengruppe war eine kooperative Form der Argumentation festzustellen, und die Frauen einigten sich auf eine gemeinsame Position. In einem gemischtgeschlechtlichen Gespräch endete die kontroverse Argumentation zwischen einem Mann und einer Frau mit einem Kompromiß, der auf die Initiative der Frau zurückging. Als männliches Kommunikationsverhalten konnte Schmidt dann Dominanz angeben, wenn es um die Einflußnahme auf die thematische Gesprächsentwicklung der Gruppe ging. Dazu gehörten das Verfolgen eigener Themeninteressen und das Streben nach Möglichkeiten der Profilierung, sie zeigten sich in der Nichtbeachtung oder in mangelndem Eingehen auf Gegenpositionen durch Strategien wie „Drumherumreden" und der Einführung eines neuen Themas.53 Auch die Untersuchung von Frank (1992) berücksichtigt die Denk-und Wahrnehmungsmuster, die hinter einem tatsächlichen Sprachgebrauch stehen. Sie trägt damit der folgenden von Postl formulierten Erkenntnis Rechnung: „Was Personen erwarten oder wie sie etwas wahrnehmen, ist sehr stark von Stereotypen beeinflußt, was sie jedoch in einer konkreten Situation sagen oder tun, ist nur in den seltensten Fällen vollkommen deckungsgleich mit den im Rahmen der Stereotypenforschung aufgestellten Persönlichkeitsmerkmalen."54 Frank konnte für einen Korpus von 23 untersuchten Face-to-face-Gesprächen zeigen, daß die Denk- und Wahrnehmungsmuster sich auf das erwartete, aber nicht auf das tatsächliche Verhalten der an einem Gespräch Teilnehmenden beziehen, daß es also konkret schlichtweg egal ist, wie sich eine Person verhält. Für das, was schließlich wahrgenommen wird, spielt das erwartete Verhalten die ausschlaggebende Rolle. Die Theorie der Geschlechtsrollenstereotypen (engl, sex-diaiect-hypothesis) stellt die Prozesse der Konstruktion und der Typisierung von Geschlechterunterschieden in den Mittelpunkt ihres Interesses. Bei der Betrachtung von Formen sprachlicher Durchsetzung spielen in diesem Ansatz die gesellschaftlich vermittelten Bilder der Geschlechter eine wesentliche Rolle. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, daß Unterschiede nicht objektiv vorhanden sind, sondern im Auge des Betrachters oder der Betrachterin entstehen. Diesem 53Schmidt (1988), S. 150 f. 54Postl(1991),S. 35. 172 5 Feministische Gesprächsforschung Ansatz wird in der Bundesrepublik wenig nachgegangen55, deshalb beziehe ich mich bei der folgenden Beschreibung auf zwei Beispiele in Thimm (1995). Thimm fragt, welche Auswirkungen die Geschlechts-rollenstereotypen auf die Durchsetzungsstrategien von Frauen haben. Gehen wir davon aus, daß es allgemein als selbstverständlich angesehen wird, daß es zwei Geschlechter gibt, und daß die meisten Menschen Vorstellungen von der „Natur" von Frauen oder Männern haben, so finden Kategorisierungsprozesse statt, das heißt, daß es zu Bewertungen wie „typisch Mann" oder „typisch Frau" kommt. Die traditionelle Frauenrolle (KKK) scheint sich nach Thimm hier eher zu verfestigen als daß sie überholt wäre. Die Theorie der Geschlechtsrollenstereotypen geht nicht davon aus, daß es nachweisbare Unterschiede im sprachlichen Verhalten von Frauen und Männern gibt, „sondern daß Urteile von sterotyp-gebundenen Erwartungen determiniert werden, das heißt im Sinne einer self-fulfilling prophecy bestätigt werden. Hier wird davon ausgegangen, daß der reale Geschlechtsunterschied der Sprechenden einen Bias evoziert und stereotype Vorstellungen aktiviert, auch wenn das Sprachverhalten von Frauen und Männern identisch ist."56 Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Wenn die Beurteilung von Kompetenz nicht mit unterschiedlichen Sprachstilen zusammenhängt, dann, so die Hypothese, mit den Typisierungsprozessen auf Ebene der Geschlechtsrollen. Anhand der Kommunikation und Perzeption von Kompetenz zeigt Thimm die unterschiedliche Bewertung des sprachlichen Handelns der Geschlechter auf. Gegenüber dem Vorurteil der geringeren Kompetenz von Frauen werden beispielsweise, je mehr Frauen dieses sachlich widerlegen und öffentlich Kompetenz zeigen, die Durchsetzungsstrategien besonders von Männern immer härter.57 Das Handlungsmuster Belehren findet sich Thimm zufolge sowohl in TV-Diskussionen als auch in privaten Auseinandersetzungen. Sie versteht unter Belehren die inhaltlich gefüllte Korrektur von Ansichten oder Positionen sowie die Zurückweisung von Ansprüchen oder Forderungen auf der Beziehungsebene, verbunden mit Status- oder Machtdemonstration. Belehren als Form der Selbstdarstellung gilt innerhalb der sogenannten Expertenrunden, die Kotthoff (1993) untersuchte, als Demonstration von männlicher Macht, Kompetenz und Thimm (1995), S. 125. Thimm (1995), S. 123. Thimm (1995), S. 125 f. 1.4 Untersuchungsbereiche 173 von Status (vgl. Abschnitt 6.4). Status kann durch Aufzeigen von Kompetenz gehoben werden. Eine andere, häufig gebrauchte Form der Durchsetzung ist das Diskreditieren. Hier wird Kompetenz abgesprochen, und hier wird der oder die andere beleidigt. Thimm gibt Untersuchungen aus dem parlamentarischen Untersuchungsfeld an, unter anderem Burkhardt (1992), bei der sich Zwischenrufe im Bundestag direkt auf die Person einer Kollegin bezogen. Die Abwertung der Politikerin mit dem Zwischenruf „Das ist eine Frage des Intellekts, Frau Kollegin" geschah mittels der Thematisierung ihres Geschlechts und mit der Unterstellung von Inkompetenz oder Unfähigkeit, statt auf der Sachebene zu argumentieren. Thimm schreibt dazu: „Der Erfolg von Durchsetzungsstrategien hängt maßgeblich von der stereotypgeleiteten Erwartung bezüglich der Rolle und Funktion von ,Weiblichkeit' bzw. ,Männlichkeit' für den ganz spezifischen Interaktionszusammenhang ab. Frauen müssen in einigen Situationen, wie in der Politik oder am Arbeitsplatz, mit ganz grundsätzlichen Formen von Widerstand rechnen. Dabei steht die implizite oder explizite Zuweisung von Inkompetenz, bzw. die Unterstellung eines Mangels an Kompetenz, im Zentrum männlicher Durchsetzung. Haben Männer verschiedene Strategien entwickelt, ihre eigenen Leistungen und Kompetenzen herauszustellen, so fällt dies Frauen auch deshalb schwer, da sie bei der Betonung ihrer Leistungen eher mit negativen Reaktionen rechnen müssen."58 1.4 Untersuchungsbereiche der feministischen Gesprächsforschung Die Untersuchungen im Kontext feministischer Gesprächsforschung wollen die alltägliche Geschlechterproblematik anhand von Gesprächsanalysen nach vollziehen, interpretieren und bewerten. Hierfür werden Gesprächsanalysen aus verschiedenen Bereichen als Grundlage genommen. Doch nicht jede Forscherin versteht sich als Feministin. Wenn Differenzen zwischen den Geschlechtern untersucht werden, so bescheinigt Schoenthal (1998) der feministischen Gesprächsanalyse zwar keine feministischen Ergebnisse, aber ein feministisches Thimm (1995), S. 127. 174 5 Feministische Gesprächsforschung Erkenntnis- und Veränderungsinteresse (vgl. Kapitel l).59 Die Frage nach geschlechtstypischem Kommunikationsverhalten ist heute auch in die soziolinguistische Gesprächsforschung eingruppiert. Zentrale Schwerpunkte in den Untersuchungsbereichen vor allem der deutschsprachigen Forschungsliteratur sind von Günthner und Kotthoff bei einer Zusammenstellung über „Untersuchungen zum geschlechtsspezifischen Gesprächsverhalten in verschiedenen Kontexten"60 aufgelistet worden. Sie bezogen sich dabei vor allem auf die im deutschsprachigen Raum leicht zugänglichen Sammelbände Trömel-Plötz [Hrsg.] (1984) und Günthner/Kotthoff [Hrsg.] (1991), ich ergänze und aktualisiere sie mit einer Auswahl weiterer Schwerpunkte der neueren Forschungsliteratur bis 1999 sowie mit einigen Übersetzungen aus dem englischsprachigen Bereich. Die trivialen Alltagsgespräche zeigen nach einer Hauptthese feministischer Gesprächsforschung in der Konversation eine Arbeitsteilung, die die gesellschaftlichen Positionen von Macht und Ohnmacht unterstützt (Fishman). Auch Fernsehdiskussionen zeigen ein Stück alltäglicher Geschlechterpolitik, auch wenn die Imagepräsentation einer Sprecherin oder eines Sprechers beispielsweise erfolgsorientierter ausfällt als in Alltagsgesprächen.61 Die Anfänge der feministischen Sprachwissenschaft liegen, wie bereits im ersten Kapitel dieses Buches dargestellt wurde, in den USA. So sind die Untersuchungen der ersten Dekade in den siebziger und achtziger Jahren auch dort angesiedelt. Das Dominanz-Unterdrückungs-Konzept mit seinen verallgemeinernden Aussagen zur „Frauensprache" findet sich im Untersuchungsbereich der alltäglichen Paargespräche wieder, wie sie beispielsweise Fishman (1978 und 1984) untersuchte. Im deutschsprachigen Raum gilt als Hauptvertreterin dieser Richtung Trömel-Plötz (1984, 1996), der Untersuchungsbereich verlagerte sich jedoch hin zum Fernsehen. Fernsehdiskussionen spielen beim Ermitteln von geschlechtsspezifischen oder -typischen Unterschieden im Sprachverhalten eine besondere Rolle. Teilweise werden Fernsehdiskussionen als Materialbasis genommen, weil die Aufnahme von natürlichen Gesprächen sehr viel aufwendiger ist. Tonbänder müssen bereitgestellt werden, und die am Gespräch Teilnehmenden können das Tonbandgerät ein- und abschalten bzw. die Aufnahme kontrollieren und damit s9Schoenthal (1998), S. 166. 60Günthner/Kotthoff(1991), S. 19. 61 Kotthoff (1992), S. 260. 5.4 Untersuchungsbereiche 175 das gesamte Gespräch, wie es in Fishmans Untersuchung von Paargesprächen (1984) geschah. Dort hatten die Männer die Tonbänder an- und abgeschaltet und so kontrolliert, was aufgenommen wurde. Andererseits bietet das nichtverbale Kommunikationsverhalten als zusätzliche Komponente die Möglichkeit, Sprachhandlungen genauer zu interpretieren. Prinzipiell wird bei der Analyse von Fernsehdiskussionen angenommen, daß das Fernsehen das öffentlichkeitswirksam-ste Medium ist und ihm damit auch besondere Relevanz zukommt, gesellschaftliche Verhältnisse und damit auch das Verhältnis zwischen Frauen und Männern darzustellen.62 Fernsehdiskussionen unterscheiden sich von anderen Gesprächen vor allem dadurch, daß die eigenen Positionen hervorgehoben werden können. Es ist weniger wichtig, dem Gegenüber angemessen zu antworten, als dem Publikum die eigenen Ideen zu demonstrieren. Die kommunikative Selbstpräsentation der Geschlechter fällt im Fernsehen weit normativer aus als in anderen Gesprächstypen.63 Den Bereich Fernsehen untersuchen beispielsweise Trömel-Plötz (1982, 1984a,b,c, 1985, 1996), Zumbühl (1984), Lauper/Lotz (1984), Hummel (1984), Gräßel (1991, 1997), Kotthoff (1992, 1993), Becker (1995), Altenried/Trömel-Plötz (1996) und Gomard (1997). Ein anderer Bereich, in dem Geschlechterdifferenzen nachgegangen wurde, ist die Institution Universität. Hierzu forschten Werner (1983), Kotthoff (1984), Claudia Schmidt (1988 und 1992), Antje Schmidt (1995), Günthner (1992), Kuhn (1992 und 1996). Der Bereich der Schule wurde von Spender (1984) und Homes (1996) untersucht sowie von Fuchs (1998), Baron (1998) und Meißner (1994). Frauengruppen untersuchte Aries (1984), Gespräche unter Freundinnen Coates (1996). Trömel-Plötz (1996a) geht ebenfalls der Kommunikation unter Frauen nach und stellt außerdem die These auf, daß weibliches Reden gleiche Eigenschaften haben kann wie psychotherapeutisches Reden und also heilend wirken kann. Eine Untersuchung zu Therapie und Psychiatrie ist Wodak (1981b), Arzt-Patient-Gespräche untersuchen Fisher (1984) und West (1984, 1992, 1996) sowie Hartog (1992). Gespräche vor Gericht sind von Leodolter (1975), Hirsch (1991), Schlyter (1992), Lakoff (1992) untersucht worden. Einschlägige Arbeiten zum Sprechen im Parlament sind Burkhardt (1990) und mit 62Gräßel (1991), S. 116. 63Kotthoff (1992), S. 262. 176 5 Feministische Gesprächsforschung eigenen Erfahrungen als Parlamentarierin Thimm (1993, 1995). Ein weiterer interessanter Untersuchungsbereich ist die Kommunikation am Arbeitsplatz. Hier sind wiederum Thimm (1998) und unter dem Aspekt der Theorie der „zwei Kulturen" Tannen (1994, dt. 1995) zu nennen. Da ich mich in diesem Buch auf die Untersuchungen des verbalen Kommunikationsverhaltens von Frauen und Männern beschränke, sind hier Untersuchungen über schriftliche und mündliche Leistungen zum schichtspezifischen Sprachverhalten von Kindern und Jugendlichen, die das Geschlecht mit einbeziehen, nicht berücksichtigt. Literatur hierzu sind etwa Oevermann (1972), Klann-Delius (1980) sowie Wodak (1981a) und Wodak/Moosmüller (1981). Sprache in der geschriebenen Form von Tagebuchaufzeichnungen wurde von Kohlbrecher (1990) auf geschlechtsabhängige Unterschiede in der Syntax hin untersucht. Er greift den feministischen Forschungsansatz auf. Jugendmagazine untersucht Frank (1997), DDR-Kinderbücher Kleinke (1997), Kontaktanzeigen Gottburgsen (1995). Untersuchungen zu Geschlechtsunterschieden im Bereich der nonverbalen Kommunikation wie Lächeln und Berühren werden in diesem Buch ebenso nicht behandelt. Damit beschäftigen sich beispielsweise Wex (1979, 1983), Henley (1984,1988), Groth (1992) und Kotthoff [Hrsg.] (1988). Über Scherzkommunikation arbeitet und veröffentlicht vor allem Kotthoff [Hrsg.] (1996). Die Ergebnisse dieser beispielhaft angeführten Einzeluntersuchungen sind heterogen, Verallgemeinerungen können nicht vorgenommen werden. „Das bedeutet, die eine Differenz durch Differenzen zu ersetzen, die in Abhängigkeit von situativen, institutionellen und kulturellen Kontextfaktoren herausgearbeitet werden."64 Es ist noch ein großer Bedarf an Untersuchungen in unterschiedlichen Bereichen vorhanden, um geschlechtsverbundene Kommunikationsweisen zu analysieren oder um zu erklären, wie das Konstruieren des sozialen Geschlechts in einer Interaktion jedesmal vonstatten geht. Im folgenden Kapitel werden einzelne Ergebnisse aus der Forschung vorgestellt. Die Zusammenschau von Analysekriterien soll unterschiedliche Fragemuster und Ansätze, die die Forschungsergebnisse auch so heterogen gemacht haben, veranschaulichen. Damit ist eine erste Handhabe gegeben, um im jeweils angesprochenen Bereich weiterzuforschen. Schoenthal (1998), S. 161. 6 Geschlechtstypische Gesprächsstile Gesprächsstile werden in den Anfängen der feministischen Gesprächsforschung als autoritär, dominant oder kooperativ charakterisiert. Welche kommunikativen Verhaltensweisen diesen Merkmalen zugrunde liegen und welche sprachlichen Mittel dazu führen, daß der weibliche Gesprächsstil weitgehend als kooperativ, der männliche hingegen als dominant (bestimmend) galt, wurde zunächst in quantitativen Analysen erforscht, später trat zu dieser oft eine qualitative hinzu. Seit den neunziger Jahren werden Geschlechterhierarchien nicht mehr als gegeben vorausgesetzt. Es wird auch nicht negiert, daß es sie gibt. In der neueren Forschungsliteratur hat sich jedoch die Blickrichtung geändert: Da Rangunterschiede jeweils in einer aktuellen Situation ausgehandelt werden, können kommunikative Phänomene nicht einfach einem Geschlecht zugeordnet werden. Weder Frauen noch Männer sprechen in einem bestimmten Stil, der unabänderlich zu ihnen gehörte. Und ihr soziales Geschlecht ist nicht allein ausschlaggebend dafür, daß es Rangunterschiede gibt. Einige konversationelle Handlungen werden jedoch mehr von Frauen oder mehr von Männern ausgeführt. Wenn hier von Gesprächsstilen die Rede ist, dann mit Kotthoff als von einer idealtypisch verkürzten Kategorie. Auch wenn es nach heutiger Sicht nicht möglich scheint, Universalien herauszufiltern oder Frauen dem einen, Männer dem anderen Gesprächsstil zuzuordnen, so ist das Konzept eines männlichen und weiblichen Gesprächsstils nicht so einfach beiseite zu legen. Unter Stil wird oft ein Verhalten verstanden, mit dem sich eine Sprecherin oder ein Sprecher als er/sie selber ausdrückt. Bestimmte Merkmale wurden kontextlos einem Geschlecht zugeordnet. Heute stellt sich heraus, daß die Forschungsergebnisse hierfür zu heterogen sind. Es ist aber möglich, von stilistischen Präferenzen beim Gebrauch verschiedener sprachlicher Mittel zu sprechen, und dies je nach aktuellem Kontext. Dominantes Gesprächsverhalten meint heute, daß sich Handlungen herauskristallisieren lassen, die manchmal und in einem jeweiligen aktuellen Kontext das Arrangement der Geschlechter hierarchisieren. Wie zum Beispiel wird Status ausgehandelt? Gibt es statusgenerierende Aktivitäten, denen eher Frauen