Grillparzer: Selbstbiographie Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Ausgewählte Briefe, Gespräche, Berichte, hg. von Peter Frank und Karl Pörnbacher, München: Carl Hanser, [1960-1965]. Bd. 4, S. 20-24 (Anfang, Beschreibung der Wohnung) Die Akademie fordert mich (nunmehr zum drittenmale) auf, ihr meine Lebensumstände zum Behufe ihres Almanachs mitzuteilen. Ich will es versuchen, nur fürchte ich, wenn sich das Interesse daran einstellen sollte, zu weitläuftig zu werden. Man kann ja aber später auch abkürzen. Ich bin zu Wien am 15 Jänner 1791 geboren. MeinVater war Advokat, ein streng rechtlicher, in sich gezogener Mann. Da seine Geschäfte und seine natürliche Verschlossenheit ihm nicht erlaubte, sich mit seinen Kindern viel abzugeben, er auch starb, ehe ich volle 18 Jahre alt war, und in den letzten Jahren seines Lebens Krankheit, die gräßlichen Kriegsjahre und der durch beides herbeigeführte Verfall seiner häuslichen Umstände, jene Verschlossenheit nur vermehrten, so kann ich von dem Innern seines Wesens mir und andern keine Rechenschaft geben. Sein äußres Benehmen hatte etwas Kaltes und Schroffes, er vermied jede Gesellschaft, war aber ein leidenschaftlicher Freund der Natur. Früher einen eigenen, später einen gemieteten Garten selbst zu bearbeiten und Blumen aller Art zu ziehen, machte beinahe seine einzige Erheiterung aus. Nur auf Spaziergängen, bei denen er, auf unglaubliche Entfernungen, manchmal die ganze Familie, häufig aber auch nur mich, noch als Kind, mitnahm, wurde er froh und mitteilsam. Wenn ich mich erinnere, daß es ihm, bei solchen Spaziergängen am Ufer der Donau, Vergnügen machte, den Inseln im Flusse, nach Art der Weltumsegler, selbstgewählte Namen zu geben, so muß ich glauben, daß in früherer Zeit die Regungen der Phantasie ihm nicht fremd gewesen sein müssen, ja noch später, in den Jahren meiner Lesewut, konnte ich ihm kein größeres Vergnügen machen, als wenn ich ihm Romane, aber ausschließlich Ritter- und Geistergeschichten zutrug, die dann der ernste Mann, am schwedischen Ofen stehend und ein Glas Bier dazu trinkend, bis in die späte Nacht hinein las. Neuere Geschichten waren ihm wegen ihres Konventionellen zuwider. Meine Mutter war eine herzensgute Frau, plagte sich mit ihren Kindern, suchte Ordnung herzustellen, die sie, die Wahrheit zu sagen, selbst nicht ganz genau hielt, und lebte und webte in der Musik die sie mit Leidenschaft liebte und trieb. Ich war der älteste von drei Brüdern, zu denen erst spät, als ich schon ziemlich erwachsen war, ein vierter hinzukam. Man hielt mich für den Liebling meines Vaters, obwohl er mir nie ein Zeichen davon gab. Im Gegenteile unterhielt er sich am liebsten mit dem dritten, der ihn, von Geschäften ermüdet, durch unschädliche Wunderlichkeiten in seinem Entwicklungsgange erheiterte. Der zweite war ihm durch sein trotziges und störrisches Wesen beinahe zuwider. Überhaupt kann man sich verschiedenere Charaktere als diese drei Brüder nicht denken. Von dem zweiten ist schon die Rede gewesen. Der dritte war ein bildschöner Knabe und dadurch von den Weibern verhätschelt. Da nun zugleich meine Mutter, wenn der Lärmen zu arg wurde, kein Mittel wußte, als die Schuldigen zu sich zu rufen und, in Form von Strafe, zu verhalten, an einem <> zu stricken, so hatte der Jüngste die Sache ernsthaft genommen und strickte und stickte wie ein Mädchen. Er hatte sich drei Ecken des Zimmers mit gedachten und auch benannten Frauen bevölkert, denen er wechselweise Besuche abstattete. Mein Vater, abends im Zimmer auf und niedergehend, versuchte ihm auch für die vierte Ecke eine vierte Frau aufzudringen, die aber, da der vorgeschlagene Name den Spott gar zu deutlich an sich trug, der Knabe durchaus nicht akzeptierte. Durch diese Grundverschiedenheit von meinen Brüdern entfernt gehalten, und da unser Vater zugleich sich von jeder Bekanntschaft abschloß, wuchs ich in völliger Vereinzelung heran. Um das Formlose und Trübe meiner ersten Jahre begreiflich zu machen, muß ich sogar unsere Wohnung beschreiben. Mein Vater, mit der Absicht zu heiraten umgehend, suchte Quartier. Einmal abends bei einem Bekannten zu Gaste, kann er nicht fertig werden, die Wohnung des Wirtes zu loben. Zwei ungeheure, Saal-ähnliche Zimmer; den Zugang bildend ein minder großes, ganz geeignet für die Kanzlei des Advokaten, nach rückwärts noch einige Gemächer, zum Schlafzimmer und sonstigem Bedarf. Seinen ausgesprochenen Wünschen kommt der Inhaber der Wohnung mit der Äußerung entgegen, wie es leicht sei, sich den Besitz alles dessen zu verschaffen. Er selbst habe die Wohnung aufgekündet, und unter den Geladenen befinde sich der Hausherr, mit dem er sogleich sprechen könne. Gesagt, getan. Die Männer geben sich den Handschlag und mein Vater hat was er wünscht. Er hatte bemerkt, daß die Fenster der Wohnung nach zwei Seiten gehen. Was war also natürlicher, als daß die eine Hälfte die Aussicht auf die Straße, den <> hat und die andere in den ziemlich geräumigen Hof des Hauses. Bei späterer Besichtigung aber fand sich, daß es mit der Aussicht in den Hof allerdings seine Richtigkeit habe, die zweite Hälfte aber in ein enges, schmutziges Sack-Gäßchen ging, von dessen Existenz sogar viele Menschen in Wien gar keine Kenntnis haben. In diesem Hause wurde ich geboren und verlebte meine ersten Knabenjahre. Finster und trüb waren die riesigen Gemächer. Nur in den längsten Sommertagen fielen um Mittagszeit einzelne Sonnenstrahlen in das Arbeitszimmer unsers Vaters und wir Kinder standen und freuten uns an den einzelnen Lichtstreifen am Fußboden. Ja auch die Einteilung der Wohnung hatte etwas Mirakuloses. Nach Art der uralten Häuser war es mit der größten Raumverschwendung gebaut. Das Zimmer der Kinder, das so ungeheuer war, daß vier darin stehende Betten und einige Schränke kaum den Raum zu verengen schienen, empfing sein Licht nur durch eine Reihe von Glasfenstern und eine Glastüre von einem kleinen Hofe auf gleicher Ebene mit dem Zimmer, also wie das Zimmer selbst im ersten Stockwerke. Dieser Hof war uns streng versperrt, wahrscheinlich in Folge einer Konvention mit dem grämlichen Hausherrn, der den Lärm der Kinder scheute. Hierher verlegten wir im Gedanken unsere Luft- und Sommerfreuden. Nächst der Küche lag das sogenannte Holzgewölbe, so groß, daß allenfalls ein mäßiges Haus darin Platz gehabt hätte. Man konnte es nur mit Licht betreten, dessen Strahl übrigens bei weiten nicht die Wände erreichte. Da lag Holz aufgeschichtet. Von da gingen hölzerne Treppen in einen höhern Raum, der Einrichtungsstücke und derlei Entbehrliches verwahrte. Nichts hinderte uns, diese schauerlichen Räume als mit Räubern, Zigeunern oder wohl gar Geistern bevölkert zu denken. Das Schauerliche wurde übrigens durch eine wirkliche, lebende Bevölkerung vermehrt, durch Ratten nämlich, die in Unzahl sich da herumtrieben, und von denen einzelne sogar den Weg in die Küche fanden. Ein bei uns lebender Neffe meines Vaters und mein zweiter Bruder begaben sich manchmal, mit Stiefelhölzern bewaffnet auf die Rattenjagd, ich selbst konnte mich kaum ein paarmal entschließen, das Gewölbe zu betreten und mir Angst und Grauen zu holen. Von der Küche ab ging ein zweiter langer Gang in ein bis zu einem fremden Hause reichendes abgesondertes Zimmer, das die Köchin bewohnte, die in Folge eines Fehltritts mit dem auch Schreibersdienste leistenden Bedienten verheiratet war, welche beide dort eine Art abgesonderten Haushalt bildeten. Sie hatten ein Kind und zu dessen Wartung ein halberwachsenes Mädchen, als Magd der Magd. Der Zutritt auch zu diesem Zimmer war uns verboten und wenn manchmal das schmutzige Mädchen mit dem unsaubern Kinde, wenn auch nur im Durchgange erschien, so kamen sie uns vor wie Bewohner eines fremden Weltteils. In den ersten Jahren seit dem Erwachen meines Bewußtseins wurde das Traurige unserer Wohnung dadurch gemildert, daß mein Vater gemeinschaftlich mit seiner Schwiegermutter und einem seiner Schwäger ein großes Haus in Enzersdorf am Gebirge kaufte, das Raum genug bot, um drei Familien, ganz abgesondert von einander zu beherbergen. Das Beste daran war ein weitläuftiger Garten, in dem mein Vater, wenn er von Samstag abend bis Montag morgen hinauskam, seiner Gärtnerlust nachhing. Für uns Kinder wurde der Genuß dieses Gartens durch einen - wie uns damals vorkam - sehr großen Teich gestört, der sich an einem Ende desselben befand und der, obwohl man ihn mit einer schwachen Barriere eingefaßt hatte, doch eine immerwährende Gefahr des Hineinfallens darbot. Da war denn der Gebote und Verbote kein Ende und an ein Herumlaufen ohne Aufsicht war gar nicht zu denken. Besonders hatte der der Gartenmauerzugekehrte hintere Rand des Teiches, der nie betreten wurde, für mich etwas höchst Mysteriöses und ohne etwas Bestimmtes dabei zu denken, verlegte ich unter die breiten Lattigblätter und dichten Gesträuche alle die Schauder und Geheimnisse, mit denen in unserer Stadtwohnung das <> bevölkert war. Wir wurden gar nicht mit Gespenstern bedroht oder geschreckt. Demungeachtet als ich und mein zweiter Bruder einmal in dem gemeinschaftlichen Saale unterm Billard ganz allein spielten, schrieen wir beide zu gleicher Zeit auf. Als man herbeilief, erzählten wir, wir hätten einen Geist gesehen. Auf die Frage: wie er ausgesehen? sagte ich: wie eine schwarze Frau mit einem großen Schleier. Mein Bruder aber: wie ein <> (Hirschkäfer). Die Freude an dieser Landwohnung wurde nur zu bald gestört. Mein Vater trieb in dem gemeinschaftlichen Garten die Blumenzucht nicht ohne Pedanterie. Nun konnten sich aber meine damals noch unverheirateten Tanten gar keine andere Bestimmung für Blumen denken, als, wie eine hervorkam, sie abzureißen und entweder als Strauß an die Brust zu stecken oder in Wasser und Glas ans Fenster zu stellen. Noch ärger trieben es die schon etwas herangewachsenen und sich einer großen Ungebundenheit erfreuenden Kinder meines Onkels. Sie liefen ohne Umstände in den Beeten herum und zertraten die Pflanzen, ehe noch an Blumen zu denken war. Da gab es denn immerwährende Klagen, das Haus wurden allen drei Parteien verleidet und man war froh einen Käufer zu finden. Erst einige Jahre später mietete mein Vater einen Garten in Herrnals, wo wir den Sommer über wohnten und mein Vater als alleiniger Besitzer jede Störung von seinen geliebten Blumen abhielt. *** (Weimar-Besuch) S. 142-150 Je näher die Zeit meiner Abreise heranrückte, um so schwerer wurde mir das Herz. Es ging nun nach Weimar. Einerseits freute ich mich darauf, andrerseits aber sank meine ohnehin nicht große Meinung von mir selbst Grad für Grad in mir selbst zusammen. Übrigens mußte es sein und ich fuhr in der Landkutsche ab. In Weissenfels, wo der damals als Dichter und Kunstrichter geschätzte und gefürchtete Adolf Müllner wohnte, hielten wir Mittag. Ich fuhr weiter ohne ihn zu besuchen, obwohl mich sogar der Kellner im Wirtshause dazu aufforderte, mit dem Beisatze, daß der Herr Doktor sehr gern Fremde bei sich empfange. Der Mann hatte sich gar zu niederträchtig gegen mich benommen. Müllners Bosheit hinderte nicht, daß er doch so ziemlich der letzte sachkundige Kritiker in ästhetischen Dingen war. Es ist nämlich seitdem der Begriff von Kunst verloren gegangen, den Müllner wenigstens festhielt. Endlich kam ich nach Weimar und kehrte in dem damals in ganz Deutschland bekannten Gasthofe zum Elephanten, gleichsam dem Vorzimmer zu Weimars lebender Walhalla, ein. Von da sandte ich den Kellner mit meiner Karte zu Goethe und ließ anfragen ob ich ihm aufwarten dürfe. Der Kellner brachte die Antwort zurück: der Herr Geheimerat habe Gäste bei sich und könne mich daher jetzt nicht sehen. Er erwarte mich für den Abend zum Tee. Ich aß im Gasthause, durch meine Karte war mein Name bekannt geworden und der Geruch desselben verbreitete sich in der Stadt, so daß es an Bekanntschaften nicht fehlte. Gegen Abend ging ich zu Goethe. Ich fand im Salon eine ziemlich große Gesellschaft, die des noch nicht sichtbar gewordenen Herrn Geheimerats wartete. Da sich darunter- und das waren eben die Gäste die Goethe mittags bei sich hatte - ein Hofrat Jakob oder Jakobs mit seiner ebenso jungen als schönen und ebenso schönen als gebildeten Tochter befand, derselben die sich später unter dem Namen Talvj einen literarischen Ruf gemacht hat, so verlor sich bald meine Bangigkeit und ich vergaß im Gespräche mit dem liebenswürdigen Mädchen beinahe, daß ich bei Goethe war. Endlich öffnete sich eine Seitentüre und er selbst trat ein. Schwarzgekleidet, den Ordensstern auf der Brust, gerader, beinahe steifer Haltung trat er unter uns wie ein Audienz gebender Monarch. Er sprach mit diesem und jenem ein paar Worte und kam endlich auch zu mir, der ich an der entgegengesetzten Seite des Zimmers stand. Er fragte mich, ob bei uns die italienische Literatur sehr betrieben werde? Ich sagte ihm der Wahrheit gemäß, die italienische Sprache sei allerdings sehr verbreitet, da alle Angestellten sie vorschriftsmäßig erlernen müßten. Die italienische Literatur dagegen werde völlig vernachlässigt und man wende sich aus Modeton vielmehr der englischen zu, welche bei aller Vortrefflichkeit, doch eine Beimischung von Derbheit habe, die für den gegenwärtigen Zustand der deutschen Kultur, vornehmlich der poetischen, mir nichts weniger als förderlich scheine. Ob ihm diese meine Äußerung gefallen habe oder nicht, kann ich nicht wissen, glaube aber fast letzteres, da gerade damals die Zeit seines Briefwechsels mit Lord Byron war. Er entfernte sich von mir, sprach mit andern, kam wieder zu mir zurück, redete, ich weiß nicht mehr von was, entfernte sich endlich und wir waren entlassen. Ich gestehe, daß ich mit einer höchst unangenehmen Empfindung in mein Gasthaus zurückkehrte. Nicht als wäre meine Eitelkeit beleidigt gewesen. Goethe hatte mich im Gegenteile freundlicher und aufmerksamer behandelt als ich voraussetzte. Aber das Ideal meiner Jugend, den Dichter des Faust, Clavigo und Egmont als steifen Minister zu sehen, der seinen Gästen den Tee gesegnete, ließ mich aus all meinen Himmeln herabfallen. Wenn er mir Grobheiten gesagt und mich zur Türe hinausgeworfen hätte, wäre es mir fast lieber gewesen. Ich bereute fast nach Weimar gegangen zu sein. Demnach beschloß ich den nächstfolgenden Tag zur Besichtigung der Merkwürdigkeiten Weimars zu verwenden und bestellte im Gasthaus die Pferde für übermorgen. Des nächsten Vormittags kamen Besuche aller Art, darunter der freundliche und ehrenhafte Kanzler Müller, vor allen aber mein Landsmann, der seit mehreren Jahren in Weimar angestellte Kapellmeister Hummel. Er hatte Wien verlassen eh ich durch meine poetischen Arbeiten die Aufmerksamkeit auf mich gezogen, wir kannten uns daher von früher gar nicht. Nun war aber die Freude fast rührend, mit welcher der sonst im Umgange trockene Mann mich begrüßte und sich aneignete. Einerseits brachte ich ihm wohl die Erinnerung an seine schwerverlassene Vaterstadt zurück, dann mochte es ihm wohltun in Weimar, wo er nur abschätzige Urteile über die geistige Begabung Österreichs zu hören bekam, einen Landsmann literarisch geehrt und geachtet zu finden. Endlich bekam er Gelegenheit mit einem Wiener Wienerisch zu sprechen, welche Mundart er mitten unter Anderssprechenden rein und unverfälscht erhalten hatte. Ich weiß nicht, war es der Abstich, oder habe ich in meinem Leben nicht so schlecht deutsch sprechen gehört. Während wir den Besuch einzelner Merkwürdigkeiten Weimars verabredeten und Kanzler Müller, der meine Herabstimmung bemerkt haben mochte, mir versicherte, die Steifheit Goethes sei nichts als eigene Verlegenheit sooft er mit einem Fremden das erstemal zusammentreffe, trat der Kellner ein und brachte eine Karte mit der Einladung zum Mittagmahl bei Goethe für den nächstfolgenden Tag. Ich mußte daher meinen Aufenthalt verlängern und bestellte die bereits für morgen besprochenen Pferde ab. Der Vormittag verging mit Besichtigung der literarisch berühmt gewordenen Örtlichkeiten der Stadt. Am meisten interessierte mich Schillers Haus, vor allem aber der Umstand, daß in des Dichters Arbeitszimmer, einem eigentlichen Dachstübchen im zweiten Stockwerke, ein Greis, der noch zu Schillers Zeit als Souffleur beim Theater gestanden haben soll, einen kleinen Knaben, seinen Enkel, im Lesen unterrichtete. Die offene und geistig angeregte Miene des Kleinen gab der Illusion Raum als ob aus der Studierstube Schillers dereinst ein neuer Schiller hervorgehen könnte; was freilich nicht eingetroffen ist. Die Ordnung der Tage verwirrt sich mir. Ich glaube es war an diesem ersten, daß ich bei Hummel zu Mittage aß und zwar ganz allein mit seiner Familie. Ich fand da seine Gattin, die einst so hübsche Sängerin Mamsell Röckel, die mir in Pagenkleidern und prallen seidenen Trikots noch immer vor der Erinnerung schwebte. Jetzt war sie eine tüchtige, ehrenwerte Hausfrau, die mit ihrem Gatten an Freundlichkeit wetteiferte. Ich fühlte mich zur ganzen Familie mit Liebe hingezogen, so wie ich Hummel, trotz etwas Handwerksmäßigen in seiner Gesinnung, doch als denl etzten unverfälschten Schüler Mozarts achtete und verehrte. Abends ging ich mit Kanzler Müller ins Theater, wo man ein unbedeutendes Stück gab, in dem aber Graff spielte, der der erste Wallenstein Schillers gewesen war. Ich fand ihn durch nichts ausgezeichnet, und als man mir erzählte, daß nach jener ersten Vorstellung Schiller aufs Theater geeilt sei, Graff umarmt und ausgerufen habe: jetzt erst verstehe er seinen eigenen Wallenstein! dachte ich mir: um wie viel größer wäre der große Dichter geworden, wenn er je ein Publikum und echte Schauspieler gekannt hätte. Übrigens bleibt merkwürdig wie der im Grunde wenig objektive Schiller sich in der Darstellung so ganz und gar objektivieren läßt. Er wurde bildlich während er nur beredt zu sein glaubte. Ein Beweis mehr für sein unvergleichliches Talent. Bei Goethe ist gerade das Gegenteil. Während er vorzugsweise objektiv genannt wird und es großenteils auch ist, verlieren seine Gestalten in der Darstellung. Seine Bildlichkeit ist nur für die Imagination, in der Wirklichkeit verliert sich der zarte poetische Anhauch mit einer Art Notwendigkeit. Das sind übrigens spätere Reflexionen, die gar nicht hierher gehören. Endlich kam der verhängnisvolle Tag mit seiner Mittagsstunde und ich ging zu Goethe. Die außer mir geladenen Gäste waren schon versammelt, und zwar ausschließlich Herren, da die liebenswürdige Talvj schon am Morgen nach jenem Tee-Abende mit ihrem Vater abgereist, und Goethes Schwiegertochter, die mir mit ihrer frühgeschiedenen Tochter später so wert geworden ist, damals von Weimar abwesend war. Als ich im Zimmer vorschritt, kam mir Goethe entgegen und war so liebenswürdig und warm, als er neulich steif und kalt gewesen war. Das Innerste meines Wesens begann sich zu bewegen. Als es aber zu Tische ging und der Mann, der mir die Verkörperung der deutschen Poesie, der mir in der Entfernung und dem unermeßlichen Abstande beinahe zu einer mythischen Person geworden war, meine Hand ergriff um mich ins Speisezimmer zu führen, da kam einmal wieder der Knabe in mir zum Vorschein, und ich brach in Tränen aus. Goethe gab sich alle Mühe um meine Albernheit zu maskieren. Ich saß bei Tisch an seiner Seite und er war so heiter und gesprächig, als man ihn, nach späterer Versicherung der Gäste, seit langem nicht gesehen hatte. Das von ihm belebte Gespräch ward allgemein. Goethe wandte sich aber auch oft einzeln zu mir. Was er aber sprach, außer einem guten Spaß über Müllners Mitternachtsblatt, weiß ich nicht mehr. Ich habe leider über diese Reise nichts aufgeschrieben. Oder vielmehr ich fing an ein Tagebuch zu halten. Als mir aber durch meine Verwundung in Berlin das Schreiben anfangs unmöglich, später schwer wurde, entstand eine große Lücke. Das verleidete mir zum Teil die Fortsetzung, zum Teil währte die Schwierigkeit des Schreibens selbst noch in Weimar fort. Ich beschloß daher unmittelbar nach der Rückkunft in Wien, bei noch frischer Erinnerung das Fehlende nachzutragen. Als sich aber dort, wie man sehen wird, sogleich eine andere Beschäftigung aufdrang, kam die Sache in Vergessenheit und ich habe von diesem, ich hätte bald gesagt: wichtigsten Moment meines Lebens, nichts als die allgemeinen Eindrücke im Gedächtnis behalten. Von den Tisch-Ereignissen ist mir nur noch als charakteristisch erinnerlich, daß ich im Eifer des Gespräches, nach löblicher Gewohnheit, in dem neben mir liegenden Stücke Brot krümmelte und dadurch unschöne Brosamen erzeugte. Da tippte denn Goethe mit dem Finger auf jedes einzelne und legte sie auf ein regelmäßiges Häufchen zusammen. Spät erst bemerkte ich es und unterließ denn meine Handarbeit. Beim Abschied forderte mich Goethe auf, des nächsten Vormittags zu kommen um mich zeichnen zu lassen. Er hatte nämlich die Gewohnheit alle jene von seinen Besuchern, die ihn interessierten, von einem eigens dazu bestellten Zeichner in schwarzer Kreide porträtieren zu lassen. Diese Bildnisse wurden in einen Rahmen, der zu diesem Zwecke im Besuchzimmer hing, eingefügt und allwochentlich der Reihe nach gewechselt. Mir wurde auch diese Ehre zu teil. Als ich mich des andern Vormittags einstellte, war der Maler noch nicht gekommen. Man wies mich daher zu Goethe, der in seinem Hausgärtchen auf und nieder ging. Nun wurde mir die Ursache seiner steifen Körperhaltung gegenüber von Fremden klar. Das Alter war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Wie er so im Gärtchen hinschritt, bemerkte man wohl ein gedrücktes Vorneigen des Oberleibs mit Kopf und Nacken. Das wollte er nun vor Fremden verbergen und daher jenes gezwungene Emporrichten, das eine unangenehme Wirkung machte. Sein Anblick in dieser natürlichen Stellung, mit einem langen Hausrock bekleidet, ein kleines Schirm-Käppchen auf den weißen Haaren hatte etwas unendlich Rührendes. Er sah halb wie ein König aus und halb wie ein Vater. Wir sprachen im Auf- und Niedergehen. Er erwähnte meiner Sappho, die er zu billigen schien, worin er freilich gewissermaßen sich selbst lobte, denn ich hatte so ziemlich mit seinem Kalbe gepflügt. Als ich meine vereinzelte Stellung in Wien beklagte, sagte er, was wir seitdem gedruckt von ihm gelesen haben: daß der Mensch nur in Gesellschaft Gleicher oder Ähnlicher wirken könne. Wenn Er und Schiller das geworden wären, als was die Welt sie anerkennt, verdankten sie es großenteils dieser fördernden und sich ergänzenden Wechselwirkung. Inzwischen kam der Maler. Wir gingen ins Haus und ich wurde gezeichnet. Goethe war in sein Zimmer gegangen, von wo er von Zeit zu Zeit herauskam und sich von den Fortschritten des Bildes überzeugte, mit dem er nach der Vollendung zufrieden war. Nach Verabschiedung des Malers ließ Goethe durch seinen Sohn mehrere Schaustücke von seinen Schätzen herbeibringen. Da war sein Briefwechsel mit Lord Byron; alles was sich auf seine Be-kanntschaft mit der Kaiserin und dem Kaiser von Östreich in Karlsbad bezog; endlich das kaiserlich östreichische Privilegium gegen den Nachdruck für seine gesammelten Werke. Auf letzteres schien er große Stücke zu halten, entweder weil ihm die konservative Haltung Östreichs gefiel, oder, im Abstich der sonstigen literarischen Vorgänge in diesem Lande, als Kuriosum. Diese Schätze waren, halb orientalisch, jedes Zusammengehörige einzeln in ein seidenes Tuch eingeschlagen und Goethe benahm sich ihnen gegenüber mit einer Art Ehrfurcht. Endlich wurde ich aufs liebevollste entlassen. Im Laufe des Tages forderte mich Kanzler Müller auf, gegen Abend Goethe zu besuchen. Ich würde ihn allein treffen und mein Besuch ihm durchaus nicht unangenehm sein. Erst später fiel mir auf, daß Müller das nicht ohne Goethes Vorwissen gesagt haben konnte. Nun begab sich meine zweite Weimarische Dummheit. Ich fürchtete mich mit Goethe einen ganzen Abend allein zu sein, und ging, nach manchem Wanken und Schwanken, nicht hin. Diese Furcht bestand aus mehreren Elementen. Einmal schien mir in dem ganzen Bereich meines Wissens nichts was würdig gewesen wäre, Goethen gegenüber vorgebracht zu werden. Dann habe ich meine eigenen Arbeiten erst später im Vergleich mit den Zeitgenossen schätzen gelernt, im Abstande von dem Frühergewesenen, namentlich hier in der Vaterstadt der deutschen Poesie, kamen sie mir höchst roh und unbedeutend vor. Endlich habe ich schon gesagt, daß ich Wien mit dem Gefühle eines gänzlichen Versiegens meines poetischen Talentes verlassen hatte, welches Gefühl sich in Weimar bis zur eigentlichen Niedergedrücktheit vermehrte. Goethen aber Klagelieder vorzusingen und von ihm durch nichts verbürgte Tröstungen entgegenzunehmen, schien mir doch gar zu erbärmlich. In diesem Unsinn war übrigens doch auch ein Körnchen Sinn. Goethes damalige Abneigung gegen alles Heftige und Gewaltsame war mir bekannt. Nun war ich aber der Meinung, daß Ruhe und Gemessenheit nur demjenigen anstehe, der imstande ist einen so ungeheuren Gehalt hineinzulegen, als Goethe in der Iphigenie und im Tasso getan hat. Zugleich meinte ich, daß jeder die Eigenschaften ins Spiel bringen müsse, in denen er seine Stärke hat. Das waren nun bei mir damals warme Empfindung und starke Phantasie. Die Gründe einer solchen Abweichung von seinen Ansichten ihm selbst gegenüber zu verteidigen, fühlte ich mich, auf meinem damaligen Standpunkte der unbefangenen Anschauung, viel zu schwach; sein Darlegung aber mit einer geheuchelten Billigung oder einem lügenhaften Stillschweigen hinzunehmen, dazu hatte ich vor ihm viel zu viel Ehrfurcht. Wie nun immer, ich ging nicht hin, und das hat Goethen verstimmt. Mit Recht mochte es ihm auffallen, daß ich die dargebotene Gelegenheit mich über meine Arbeiten und mich selbst aufzuklären, so gleichgültig versäumte. Oder er kam der Wahrheit näher und meinte, daß die Ahnfrau und die Vorliebe für ähnliche, ihm widerliche Ausbrüche bei mir noch nicht erloschen sei. Oder er durchsah meine ganze Stimmung und urteilte, daß Unmännlichkeit des Charakters auch ein bedeutendes Talent zu Grunde richten müsse. Er war von da an viel kälter gegen mich. Was aber jene Unmännlichkeit betrifft, so gestehe ich, und habe schon gestanden meine Schwäche sooft ich mich einer verworrenen Masse von kleinen Beziehungen, vor allem aber dem Wohlwollen, der Ehrfurcht und der Dankbarkeit gegenüber befinde. Sooft ich mir das Widerstrebende scharf begrenzen konnte, so wie im Ablehnen des Schlechten und im Beharren auf der Überzeugung habe ich früher und später eine Festigkeit bewiesen; die man freilich auch Hartnäckigkeit nennen könnte. Im allgemeinen aber kann man wohl aussprechen: Nur aus der Verbindung eines Charakters mit einem Talente geht das hervor was man Genie nennt. An einem dieser Tage wurde ich auch zum Großherzoge beschieden, den ich im sogenannten römischen Hause in all seiner Schlichtheit und Natürlichkeit antraf. Er unterhielt sich über eine Stunde mit mir und meine Schilderung der östreichischen Zustände schien ihn zu interessieren. Nicht er, aber die meisten übrigen ließen einen Wunsch durchblicken, mich für das Weimarer Theater zu gewinnen, ein Wunsch der nicht zugleich der meinige war. Als ich am vierten Tage meines Aufenthalts von Goethe Abschied nahm war er freundlich aber abgekühlt. Er wunderte sich, daß ich schon so früh Weimar verlasse und fügte hinzu, daß wenn ich später von mir Nachricht geben wolle, es sie sämtlich erfreuen werde. Also <> in vielfacher Zahl, nicht ihn. Er ist mir auch in der Folge nicht gerecht geworden, insofern ich mich nämlich denn doch, trotz allem Anstande, für den Besten halte, der nach ihm und Schiller gekommen ist. Daß das alles meine Liebe und Ehrfurcht für ihn nicht vermindert hat, brauche ich wohl nicht zu sagen. Am Tage meiner Abreise gab mir das sämtliche Weimar einen Abschiedsschmaus, zu dem Goethe auch seinen Sohn hinausgeschickt hatte. Es ging sehr lebhaft her und auf mein Wohl und eine glückliche Reise wurde vehement getrunken. Ich war damals eine deutsche Zelebrität. Das Interessanteste war mir mein Landsmann Hummel, der sich zum Schluß ans Klavier setzte und phantasierte, wobei er die Melodie des sächsischen Posthorns zum Thema nahm. Ich habe ihn weder früher noch später so hinreißend spielen gehört. * * * (Schluss ) S. 176 Unterdessen war in meinem Vaterlande Kaiser Franz zu seinen Vätern versammelt worden und an seiner Stelle regierte Kaiser Ferdinand, oder vielmehr an dessen Stelle sein Oheim Erzherzog Ludwig. Ungefähr um diese Zeit wurde der Dienstplatz eines Bibliothekars der Wiener Universitäts-Bibliothek erledigt. Mir war die Gelegenheit erwünscht, von dem Aktenwesen loszukommen und ich setzte mich dafür in Bewerbung. Eigentlich war es nur ein Dienst-Tausch, da mit beiden Stellen der nämliche Gehalt verbunden war. Ich mußte der Übung gemäß dem Stellvertreter des Kaisers, Erzherzog Ludwig meine persönliche Aufwartung machen. Man machte mich im voraus aufmerksam, daß der Erzherzog die Gewohnheit habe den Bittsteller anzuhören ohne selbst ein Wort zu sprechen, daß sein Stillschweigen aber gar kein Vorzeichen einer ungünstigen Entscheidung sei. Wie war ich daher am Audienztage erstaunt, als mir der Erzherzog entgegen trat, mich freundlich anredete, sich mit mir längere Zeit unterhielt und mich endlich ebenso wohlwollend entließ. Die Stelle selbst aber erhielt nicht ich, sondern, trotz dieser hoffnungerregenden Freundlichkeit, ein Schreibersknecht der Hofbibliothek, der mir an Dienstjahren und Gehalt um die Hälfte nachstand, aber von einem dortigen Vorgesetzten empfohlen war, der selbst einer Empfehlung bedurft hätte um jemanden andern empfehlen zu können. Dieser selbe Vorstand gehörte übrigens untermeine begeistertsten Freunde und Bewunderer. Im allgemeinen herrschte rücksichtlich meiner eine Art Blödsinn, vermöge dessen man glaubte mit Lob und Wertschätzung mich vollkommen abgefunden zu haben. Ich kehrte daher zu meinen Akten zurück, die mir täglich widerlicher wurden, indes sie mich anfangs wenigstens historisch interessiert hatten. Auch ein neuer dramatischer Stoff fand sich, oder vielmehr ein alter, den ich wieder aufnahm: Hero und Leander. Eine wunder schöne Frau reizte mich, ihre Gestalt, wenn auch nicht ihr Wesen, durch alle diese Wechselfälle durchzuführen. Der etwas prätios klingende Titel: des Meeres und der Liebe Wellen, sollte im voraus auf die romantische oder vielmehr menschlich allgemeine Behandlung der antiken Fabel hindeuten. Mein Interesse konzentrierte sich auf die Hauptfigur und deshalb schob ich die übrigen Personen, ja, gegen das Ende selbst die Führung der Begebenheit mehr zur Seite als billig. Aber gerade diese letzten Akte habe ich mit der eigentlichsten Durchempfindung, jedoch wieder nur der Hauptperson, geschrieben. Daß der vierte Akt die Zuseher ein wenig langweile, lag sogar in meiner Absicht, sollte doch ein längerer Zeitverlauf ausgedrückt werden. Aber auch sonst ist nicht alles wie es sein sollte. Man kann eben nicht immer was man will. Als es zur Aufführung kam, erhielten die drei ersten Akte begeisterten Beifall, die zwei letzten gingen leer aus. Erst nach mehreren Jahren gelang es einer begabten Schauspielerin das Ganze zu Ehren zu bringen, ohne übrigens meine Überzeugung von den Kompositions-Fehlern dieser letztern Akte aufzuheben. In Deutschland wurde es nirgends gegeben. Es fehlte nämlich, wie an Dichtern, so auch allgemach an Schauspielern und endlich sogar an einem Publikum.