II. Die juristischen Berufe Jährlich bestehen in der BRD etwa 7.000 Juristinnen und Juristen die Zweite Staatsprüfung. Rechtlich stehen ihnen nun alle juristischen Berufe offen. Die Justiz und die öffentliche Verwaltung benötigen jährlich jedoch nur etwa 600 bis 1.000 Berufsanfänger. Diejenigen, die nicht im öffentlichen Dienst arbeiten wollen oder dort nicht zum Zuge kommen, müssen daher einen anderen juristischen Beruf einschlagen. 1. Die Richter Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern ist in Deutschland die Zahl der Richter sehr groß. Das hat mehrere Gründe. Zum einen liegt nach allen Verfah- Die juristischen Berufe 7 rensordnungen die Führung des Prozesses weitgehend nicht in den Händen der Parteien, sondern in den Händen der Richter. Die meisten Gerichte sind Kollegialgerichte. Es entscheidet also nicht ein Einzelrichter über den Fall, sondern ein Kollegium von meist drei Richtern. Bei den Obergerichten[1] gibt es daneben Senate von fünf Richtern und beim Bundesverfassungsgericht sogar von acht Richtern. Ferner ist die Begründung gerichtlicher Urteile in Deutschland üblicherweise besonders eingehend und umfassend. Schließlich spielt die Neigung der Deutschen, ihre Streitigkeiten im Zweifel vor Gericht auszutragen, eine Rolle, was durch die weite Verbreitung von Rechtsschutzversicherungen wahrscheinlich noch verstärkt wird. Ein Berufsanfänger kann sich daher in Deutschland durchaus das Berufsziel setzen, als Richter zu arbeiten. Der Beruf des Richters ist durch die richterliche Unabhängigkeit geprägt. Sie bedeutet, daß der Richter bei seiner Rechtsprechungstätigkeit keinen Anweisungen seitens seiner Vorgesetzten unterliegt. Niemand kann einem Richter vorschreiben, wann und wie er einen konkreten Fall zu entscheiden hat. Er ist nur Recht und Gesetz unterworfen. Diese Unabhängigkeit ist rechtlich dadurch gesichert, daß die Richter auf Lebenszeit (bis zur Pensionsgrenze) ernannt sind und gegen ihren Willen weder versetzt noch abgesetzt werden können. Eine gewisse tatsächliche Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit liegt darin, daß auch Richter befördert werden können. Der Richter an einem Kollegialgericht kann zum Vorsitzenden seines Kollegiums ernannt werden; der Richter an einem unteren Gericht kann an ein oberes Gericht berufen werden. Es ist nicht auszuschließen, daß ein Richter seine Entscheidungen bewußt oder unbewußt daran ausrichtet, sich eine solche Chance nicht zu verbauen. Die Richter an den Gerichten der Länder werden vom jeweiligen Justizministerium ernannt; die Bundesrichter vom Bundespräsidenten. Bei den Bundesrichtern sind auch Gremien des Bundestags und des Bundesrats an dem Ernennungsverfahren beteiligt, um die Möglichkeit "politischer" Entscheidungen der jeweils amtierenden Regierung in Grenzen zu halten. Augenfällig ist diese Gefahr bei der Ernennung der Richter des Bundesverfassungsgerichts. Außer den Berufsrichtern gibt es in der Handels-, Straf-, Arbeits-, Verwaltungsund Sozialgerichtsbarkeit Laienrichter[2]. Das sind Bürger ohne juristische Ausbildung, die zusammen mit Berufsrichtern gleichberechtigt an der Entscheidung von Rechtsfällen beteiligt sind. Sie werden nach Vorschlagslisten der Gemeinden ausgewählt. Ihre Zahl ist sehr groß, da der einzelne Laienrichter nur wenige Male im Jahr zu einer Sitzung herangezogen wird. Erstes Kapitel: Die juristische Ausbildung und die juristischen Berufe 2. Die Staatsanwälte Die Anklage des Täters einer Straftat vor Gericht ist grundsätzlich Sache des Staatsanwalts. Er führt das Ermittlungsverfahren, überwacht dabei die Tätigkeit der Polizei und vertritt die Anklage in der Hauptverhandlung vor dem Strafgericht. Die Laufbahnen der Richter und Staatsanwälte sind in den meisten Bundesländern durchlässig. Wer als Staatsanwalt angestellt wurde, kann später Richter sein und umgekehrt. In einigen Bundesländern kann sogar nur derjenige zum Richter auf Lebenszeit ernannt werden, der zuvor als Staatsanwalt tätig gewesen ist. Im Gegensatz zum Richter ist der Staatsanwalt nicht unabhängig, sondern Beamter, der den Anweisungen seiner Vorgesetzten zu folgen hat. Er muß deshalb auch -anders als ein Richter - festgesetzte Dienststunden einhalten. Staatsanwaltschaften bestehen bei allen Gerichten, bei denen Strafsachen verhandelt werden, also bei den Gerichten der Länder und beim Bundesgerichtshof. In jedem Land amtiert ein Generalstaatsanwalt, der die Aufsicht über die Staatsanwälte in diesem Land führt. Dagegen übt der Generalbundesanwalt[3] beim Bundesgerichtshof keine Aufsicht über die Staatsanwälte der Länder aus. 3. Die Rechtsanwälte Die Vertretung der rechtlichen Interessen der Bürger vor Gericht oder vor Verwaltungsbehörden und ihre Beratung in allen Rechtsangelegenheiten ist Sache der Rechtsanwälte. Rechtsanwälte sind freiberuflich tätig. Für den Beruf des Rechtsanwalts gibt es keine zahlenmäßigen Beschränkungen. Jeder Jurist, der die Zweite Staatsprüfung bestanden hat, kann die Zulassung als Rechtsanwalt beanspruchen. Durch die hohe Zahl von Absolventen, die keine Anstellung in einem anderen juristischen Beruf gefunden haben, ist die Zahl der Rechtsanwälte -besonders in Großstädten - in den letzten Jahren stark angestiegen. Es gibt in Deutschland über 80.000 Rechtsanwälte. Der Rechtsanwalt vertritt nur seinen Auftraggeber. Er muß dessen Interessen wahrnehmen. Die gleichzeitige Beratung der anderen Partei in derselben Sache ist ihm ausdrücklich verboten. Der Rechtsanwalt hat gleichzeitig ein Beratungsmonopol: Andere Personen als Rechtsanwälte dürfen die geschäftsmäßige Rechtsberatung und die Vertretung vor Gericht grundsätzlich nicht betreiben. Rechtsanwälte sind Berater ihrer Auftraggeber in allen Rechtsangelegenheiten. Allerdings hat die zunehmende Kompliziertheit der einzelnen Rechtsgebiete dazu Die juristischen Berufe geführt, daß sich auch Rechtsanwälte spezialisiert haben. Wenn sie sich auf einem bestimmten Gebiet fortgebildet haben, dürfen sie sich nach der Beibringung von Leistungsnachweisen als "Fachanwalt" bezeichnen und auch ohne eine solche Prüfung Schwerpunkte ihrer Tätigkeit angeben. Dagegen ist es ihnen verboten, um Kundschaft zu werben, etwa durch reißerische Zeitungsanzeigen oder übergroße Büroschilder. Mehrere Rechtsanwälte verbinden sich häufig untereinander oder auch mit Angehörigen anderer Berufe, wie Wirtschaftsprüfern[4] oder Steuerberatern, zur gemeinsamen Ausübung des Berufs. Auch das ermöglicht eine Spezialisierung auf bestimmte Tätigkeitsbereiche. 4. Die Notare Die Notare sind anders als die Rechtsanwälte unabhängige und unparteiliche Betreuer der Bürger in nichtstreitigen Rechtsangelegenheiten, besonders beim Abschluß von Verträgen, die auf Grund gesetzlicher Bestimmungen nur von einem Notar beurkundet werden können. Der Notar muß den Willen der Beteiligten ermitteln und verhindern, daß bei einem Vertragsteil Unkenntnis oder Unerfahrenheit ausgenutzt werden. Er ist auch für die Errichtung von Testamenten und für die Beglaubigung von Unterschriften[5] zuständig. Der Zugang zum Notarberuf ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. In einigen Bundesländern ist Notar ein besonderes Amt, das nicht gleichzeitig mit anderen Berufen ausgeübt werden darf. Diese sogenannten Nurnotare[6] werden in einem dreijährigen Vorbereitungsdienst, der sich an die Zweite Staatsprüfung anschließt, auf ihre Aufgaben vorbereitet. In anderen Bundesländern können Anwälte nach einer bestimmten Zeit und dem Besuch zusätzlicher Kurse zu Notaren bestellt werden; sie sind sogenannte Anwaltsnotare. Auch ein Anwaltsnotar darf allerdings in der gleichen Sache nur entweder als Anwalt oder als Notar tätig sein. In beiden Systemen ist die Zahl der Notare beschränkt und wird jeweils von der Justizverwaltung festgelegt. Neue Notare werden nur dann ernannt, wenn Stellen frei geworden sind. 5. Die juristischen Verwaltungsbeamten Die Zweite Staatsprüfung ist auch Voraussetzung dafür, bei einer Bundes-, Landes- oder Gemeindebehörde die Laufbahn eines juristischen Beamten im höheren Dienst einschlagen zu können. Natürlich arbeiten in jeder Verwaltung auch 10 Erstes Kapitel: Die juristische Ausbildung und die juristischen Berufe Dienstkräfte ohne volljuristische Ausbildung; die Führungspositionen sind aber Juristen vorbehalten, die die Zweite Staatsprüfung abgelegt haben. In Deutschland sind auch die leitenden Beamten von Fachbehörden wie etwa Umweltämtern, Landwirtschaftsämtern oder Gewerbeaufsichtsämtern[7] normalerweise nicht Absolventen der einschlägigen Fachrichtung, sondern Juristen. Man spricht geradezu vom Juristenprivileg. Diese Erscheinung ist nicht rechtlich, sondern rein historisch bedingt. Sie führt dazu, daß eine sehr große Zahl von Juristen ihren Arbeitsplatz in Behörden findet, bei denen die Mehrzahl der Mitarbeiter eine technische oder naturwissenschaftliche Ausbildung haben, die leitenden Beamten aber Juristen sind. Erst recht sind natürlich in der eigentlichen Staatsverwaltung und in den Ministerien vornehmlich Juristen mit der Ausführung und Anwendung, aber auch mit der Ausarbeitung der gesetzlichen Bestimmungen und mit der Aufsicht über die Fachbehörden befaßt. Die Zahl der juristischen Verwaltungsbeamten dürfte insgesamt höher sein als die der in den klassischen juristischen Berufen arbeitenden Juristen. 6. Die Wirtschaftsjuristen Zahlenmäßig sehr groß ist auch die Zahl derjenigen Juristen, die weder in einem klassischen juristischen Beruf noch in der öffentlichen Verwaltung, sondern in einem Wirtschaftsunternehmen tätig sind. Hier spielen der Abschluß in der Zweiten Staatsprüfung und die Examensnote keine so entscheidende Rolle wie im Staatsdienst. Auch Juristen, die die Zweite Staatsprüfung nicht bestanden haben oder aus irgendwelchen Gründen ihre Ausbildung nach der Ersten Staatsprüfung abgebrochen haben, können als Wirtschaftsjuristen tätig sein. Vor allem auf Tätigkeitsfeldern, auf denen die juristische Beurteilung eines Sachverhalts normalerweise einfach ist, werden sie von Unternehmen wegen ihrer geringeren Gehälter gerne eingestellt, z. B. als Sachbearbeiter bei Versicherungsgesellschaften. Leitende Stellungen sind aber auch hier normalerweise den Volljuristen vorbehalten. Die Tätigkeit des Wirtschafts Juristen unterscheidet sich ihrem Charakter nach erheblich von der eines Richters oder Rechtsanwalts. Während die Tätigkeit dieser Berufe und auch die juristische Ausbildung weithin darauf ausgerichtet sind, in streitigen Kategorien, also in den Begriffen von Anspruch, Klage und Urteil zu denken, sieht der Wirtschaftsjurist das Ziel seiner Tätigkeit vor allem in der Streit- und Problemvermeidung. Er hat deshalb vielfach mit dem Entwer- fen oder Überprüfen von Verträgen und mit der außergerichtlichen Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung zu tun. Kommt es zu Rechtsstreitigkeiten, muß er beurteilen, wie die Prozeßchancen seines Unternehmens sind. Der Wirtschaftsjurist spezialisiert sich regelmäßig auf die Rechtsfragen, die in seinem Unternehmen tatsächlich zu beurteilen sind, und hat auf diesen Gebieten oft wesentlich umfassendere Kenntnisse als ein durchschnittlicher Rechtsanwalt. Die Führung von Prozessen für seinen Arbeitgeber gehört normalerweise nicht zum Aufgabenbereich des Wirtschaftsjuristen. Hier wird das Unternehmen in der Regel einen externen Rechtsanwalt beauftragen, den der Wirtschaftsjurist dann informiert und mit dem er zusammenarbeitet. Eine besondere Form des Wirtschaftsjuristen ist der Syndikusanwalt. Darunter versteht man einen Wirtschaftsjuristen, der bei einem Unternehmen fest angestellt ist, aber gleichzeitig als Rechtsanwalt zugelassen ist. Syndikusanwälte müssen deshalb stets Volljuristen sein. An der Vertretung ihres Unternehmens in Prozessen sind sie aber regelmäßig durch Vorschriften des Prozeßrechts gehindert. ------------------------------- [1] Der Brockhaus Recht (2002) kennt nur Oberlandesgericht. In Berlin heißt das OLG Kammergericht. Vrchní soud nebo ve významu odvolací soud. Vgl. Gerichtsverfassungsgesetz. Obergericht: (schweiz.): Kantonsgericht. [2] Schöf|fe, der; -n, -n [mhd. scheffe(ne), schepfe(ne), ahd. sceffino, scaffin, eigtl.y= der (An)ordnende, zu schaffen in dessen alter Bed. <>]: bei Strafgerichten ehrenamtlich eingesetzter Laie, der zusammen mit dem Richter die Tat des Angeklagten beurteilt u. das Maß der Strafe festlegt. (c) Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 5. Aufl. Mannheim 2003 [CD-ROM]. [3] insbesondere für Staatsschutzdelikte zuständig [4] öffentlich bestellter u. vereidigter Prüfer von Jahresabschlüssen wirtschaftlicher Unternehmen (Berufsbez.). Auditor: Tsch. auditor. Abschlussprüfungen, Sonderprüfungen [5] Nicht beglaubigt werden dürfen im Rathaus Abschriften und Unterschriften, die der öffentlichen Beglaubigung bedürfen. Hierzu gehören Beglaubigungen von Verträgen,Grundstücksangelegenheiten Vereins- und Handelsregistersachen und Erklärungen auf dem Gebiet des Familien- und Erbrechts. [6] Um Notar zu werden, müssen sie zumindest 5 Jahre beanstandungsfrei ihren Beruf als Rechtsanwalt ausgeübt, eine Vielzahl von Fortbildungskursen besucht haben und verschiedene weitere Kriterien erfüllen, die von Gesetz und Landeserlass vorgegeben sind. Anwaltsnotare finden Sie in den Ländern Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein. Nur-Notare sind in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Saarland sowie in den neuen Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern tätig. [7] odbor ¾ivotního prostøedí, odbor vodního, lesního hospodáøství a zemìdìlství , ¾ivnostenský úøad,