344 Karen Duve i999 •=. p - a Ě s Q g §•§ ex! 3 < o Sil Ä O ►—i II S 3 £ N pá > ^ "Í š ö í O v- O £ .C _Q -r bfi u "8 .ä 4) [íl C " °! H t< b c g 45 o P-i oj J2 N !-. ■ • ^^ — 4í -O rt 3 bq .Jž .S « n -5 -Q 'n u e o --i Q? V *o S -51 »Komm rein, du armer Hund«, sage ich. Der Collie zockelt herein, und ich mache die Tür wieder zu. »Danke«, sagt der Hund, »aber ich bin gar kein Hund.« »Ach - nicht ? « Er stinkt wie nasser Hund. »Nein«, sagt der Collie und lächelt. Sein Zahnfleisch hat die Farbe von Regenwürmern - mit Leopardenflecken. Ich setze mich ihm gegenüber - gerade weit genug entfernt, daß mich der faulige Geruch aus seinem Maul nicht mehr erreicht. »Und ...«, sage ich. »Ich bin ein magerer Wolf und heule nachts an den Mauern eurer Stadt. Dann binden die Jäger ihre Hunde fester. Die fettglänzenden Jagdköter werden unruhig, aber sie verstehen das Lied des Wolfes nicht mehr. >Usch<, sagen ihre Herren, >Usch! Wer gibt dir dein Futter ?< Und nachdem die Hunde etwas gefiept und gewinselt haben, legen sie ihre schweren Köpfe auf die Pfoten und schließen die Augen. Dann heule ich lauter, und die Hunde zittern und sträuben ihr Fell.« Ein pathetischer Collie - das hat mir gerade noch gefehlt. »Was redest du denn ? Hier gibt es seit dreihundert Jahren keine Stadtmauern mehr. Und besonders mager siehst du auch nicht aus.« »Stimmt. Ich bin gar kein magerer Wolf. In Wirklichkeit ... in Wirklichkeit bin ich dein verlorener Hund. Hallo, da bin ich wieder! Reiß die Arme auf! Wie wäre es, wenn du mir zur Begrüßung einen Napf mit Doko-Hundeflocken hinstellst?« »Bleib mir vom Leib, hörst du! Drei Meter Abstand. Ich habe keinen Hund. Nie gehabt.« »Wie ? Du verleugnest mich ? Sieht so meine Heimkehr aus ? Du verleugnest mich und trägst schwarze Handschuhe, damit man nicht sieht, daß deine Nägel herausgerissen sind ? Aber ich merke es doch, weil Blut heraustropft. Das sieht übrigens sehr sexy aus - die Handschuhe, meine ich.« Ich sehe auf meine Hände herunter, auf die Handschuhe. Tatsächlich tropft Blut heraus. Am Nachmittag habe ich Blumenstengel gekürzt und mir dabei in alle Finger geschnitten. »Warte, ich leck' dir das Blut ab«, sagt der Collie. »Weißt du was«, sage ich, »wenn du mir wirklich helfen willst, dann sei so gut und geh jetzt. Jeden Moment kommt ein netter und überaus gutaussehender Mann vorbei, um mich zu einer Party mitzunehmen, und außerdem kriege ich meinen Reißverschluß nicht zu. Also bitte: Geh, geh geh!« 1999 Karen Duve 345 »Heißt das, daß ich alles allein tun soll?« Er sieht mich aus blutunterlaufenen Augen an. »Was denn?« sage ich, streiche mein Kleid glatt und angele nach dem Reißverschluß auf meinem Rücken. »Was willst du denn ? Einen Knochen ? Hab' ich nicht. Guck in meinen Kühlschrank - alles leer. Warum klingelst du nicht nebenan? Frau Dabeistein ist eine reizende alte Frau, die sich immer langweilt und bestimmt über Besuch freut.« »Es geht um die Hundefrage«, beharrt der Collie. »Du mußt uns helfen. Schließlich bist du Dichterin.« »Schriftstellerin«, sage ich fest. »Dichterin«, sagt der hysterische Collie. »Und wenn schon. Was soll euch das helfen?« »Du bist der Lärm unserer stummen Schreie. Du bist die Wahrheit unserer schlimmen Träume. Du bist das Messer für unsere eitrigen Wunden.« »Na ja«, sage ich, »man gibt sich Mühe.« Draußen hält ein Auto. Wir gehen ans Fenster. Der Collie stemmt die Vorderpfoten auf die Fensterbank, und wir sehen hinaus. »Das ist der nette Mann, der mich abholt. Sieht gut aus, nicht?« »Nur äußerlich«, sagt der Collie. »Natürlich äußerlich. Wo denn sonst ? Der andere Mann ist übrigens sein Freund. Ein Idiot, ein Trottel. Wenn er auf Reisen ist, schleppt er immer seinen alten Stoff baren mit sich herum. Ich kann Männer, die niedlich sein wollen, nicht ausstehen. Männer sind nicht niedlich.« »Wer ist die Frau ?« »Die Freundin vom Freund. Wenn du mich fragst: etwas zu scharf auf den Mann dressiert.« Ich öffne die Tür. »He«, sagt der nette Mann, »hast du jetzt einen Hund?« Der Collie nickt, und ich sage ja. »Aber warum denn ausgerechnet so einen alten Lassie?« »Warum keinen Collie? Die sind lieb und zuverlässig.« »Ziemlich häßliches Vieh«, sagt der blöde Freund, und seine blöde Freundin kichert. »Warum bist du noch nicht fertig?« sagt der nette Mann. »Willst du so mitkommen ?« »Klar«, sage ich, »oder stimmt irgend etwas nicht mit mir?« »Du könntest dich wenigstens kämmen«, sagt die blöde Freun- 346 Karen Duve 1999 din, und ich sage: »Vielleicht komme ich gar nicht mit. Vielleicht habe ich etwas Besseres vor.« Der Mann, den ich einmal für nett gehalten habe, packt mich am Handgelenk. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?« Ich schaue den Collie an. Er nickt aufmunternd, und ich sage: »Ich bin ein magerer Wolf. Ich heule nachts an den Mauern eurer Stadt. Aber die Hunde verstehen mein Lied nicht mehr. Und dann kommen die Jäger und binden sie fester und ...« Der Mann, den ich einmal für nett gehalten habe, stößt mich von sich. »Du bist verrückt. Vollkommen verrückt. Mit so etwas will ich nichts zu tun haben.« »Na ja«, räume ich ein, »du mußt das natürlich im übertragenen Sinn verstehen. Es geht um Wahrheit. Nicht um philosophische Wahrheit - kriminalistische ...« »Verrückt bist du«, sagt der Mann, den ich einmal nett gefunden habe und der sehr gut aussieht. »Ich hatte schon einmal etwas mit einer Verrückten. Die hielt sich für Adolf Hitler. Das mache ich kein zweites Mal mit.« »Wirklich ? Sie hielt sich für Adolf Hitler ? Das ist interessant«, bemerkt der Collie. Ich fange an zu weinen. »Ha«, sagt der blöde Freund, »es ist doch jedesmal das gleiche. Gerade die Frauen, die immer so stark tun, sind nachher immer ganz klein und schwach.« Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Der Collie drückt seine feuchte Nase gegen mein Knie. »Das ist die Sorte, die zum Treten kommt, wenn einer am Boden liegt«, flüstert er. »Wahrscheinlich hat er jetzt einen stehen.« »Na, und?« schreie ich den blöden Freund an. »Hast du jetzt einen stehen, oder was?« Seine Freundin rümpft die Nase. »Du bist so klein. In Wirklichkeit bist du soooo klein.« Sie zeigt mit Daumen und Zeigefinger, wie klein ich bin. »Du miese Schnalle«, sage ich. »Du weißt doch gar nicht, was klein ist. Du denkst, ich bin klein, weil ich weine. Aber es bedeutet nichts, wenn ich weine. Ich weine ständig.« »Billy the Kid hat einmal über die Schönheit eines Gedichtes geweint, und direkt danach stand er auf und erschoß zwei Männer, ohne daß seine Hand zitterte«, sagt der Collie. x999 Julia Franck 347 »Jawohl«, sage ich, »ich weine sogar auf Bahnhöfen und bei Tierfilmen. Es bedeutet nichts, wenn ich weine. Hinterher stehe ich auf und erschieße zwei Männer, ohne daß mir die Hand zittert.« »Außerdem ist sie eine Dichterin«, sagt der Collie, »und Dichter und Dichterinnen müssen empfindsam sein.« »Ja«, sage ich. »Du kannst mich gar nicht verachten. Ich bin der Lärm deiner stummen Schreie.« »Was bist du?« fragt der Mann. Wie habe ich ihn je nett finden können ? Er geht aus der Tür, und mit ihm der Freund und die Freundin. »Macht bitte die Tür auch wieder zu! Wir heizen schließlich nicht für die Eichhörnchen«, sagt der Collie. Die Tür knallt ins Schloß. Dann das Geräusch des startenden Autos. Der Motor säuft ab. Erneutes Starten. Sie fahren weg. Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand und rutsche daran herunter, bis ich auf dem Boden sitze. Ich vergrabe mein Gesicht im stinkenden, feuchten Fell des Collies und weine. »Jetzt ist er weg«, sage ich. »Was soll ich bloß tun?« »Du könntest aufstehen und jemanden erschießen«, sagt der Collie. »Geweint hast du ja schon.« »Heute nicht mehr. Meine Hände zittern so.« »Ist dein Kühlschrank wirklich leer ?« fragt der Collie. »Ja, aber wir können zur Esso-Tankstelle gehen. Es ist nicht sehr weit.« Ich ziehe meinen Wollmantel an, stecke die nackten Füße in Gummistiefel und setze meine Waschbärmütze auf. »Hast du keine Leine ?« frage ich den Hund. »Die brauche ich nicht. Wir Collies sind lieb und zuverlässig.« Es hat aufgehört zu regnen. Alles ist voller Pfützen. Ich lege eine kleine Step-Nummer in Gummistiefeln hin, und der Collie kläfft anerkennend. Ein einzelner Stern steht am Himmel.