SPIEGEL ONLINE SPIEGEL ONLINE 18. April 2008, 17:55 Uhr JENNY-GRÖLLMANN-URTEIL Gericht erklärt Stasi-Vorwurf für unzulässig Zwei Tote im Rosenkrieg: Der inzwischen verstorbene Schauspieler Ulrich Mühe hatte seiner ebenfalls mittlerweile verstorbenen Ex-Frau Jenny Gröllmann in einem Interview vorgeworfen, bei der Stasi gewesen zu sein. Ein Gericht erklärte diese Behauptung nun posthum für unzulässig. Berlin - Der Ex-Ehemann der 2006 verstorbenen Schauspielerin Jenny Gröllmann, Ulrich Mühe, hatte im April 2006 in einem Magazin-Interview Stasi-Vorwürfe gegen seine frühere Frau erhoben. Das Berliner Kammergericht hat diese Behauptungen nun für unzulässig erklärt. Es wies die Berufung des Nachrichtenmagazins "Focus" gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin zurück. Eine Revision ließ der 10. Zivilsenat nicht zu. Der "Focus" kündigte an, eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) einzulegen. Der inzwischen verstorbene Schauspieler Mühe in "das Leben der Anderen": Gericht erklärte Stasi-Vorwurf gegen seine frühere Frau für unzulässigDPA Der inzwischen verstorbene Schauspieler Mühe in "das Leben der Anderen": Gericht erklärte Stasi-Vorwurf gegen seine frühere Frau für unzulässig Gröllmann hatte sich nach dem Interview zur Wehr gesetzt, und die Verbreitung wurde per Gerichtsentscheid untersagt. Dagegen zog das Magazin vor das Kammergericht. "Focus"-Sprecher Uwe Barfknecht sagte, es sei ein "bizarrer Fall, bei dem zwei Verstorbene Opfer des dritten Ehemannes von Frau Gröllmann werden". Dieser vertritt die Interessen der verstorbenen Schauspielerin. Barfknecht fügte hinzu, das Magazin habe lediglich ein Interview mit Mühe veröffentlicht. "Es ist uns unverständlich, dass das Gericht die Pressefreiheit derart einschränkt", sagte er. Nach Auffassung des 10. Zivilsenats des Kammergerichts handelt es sich beim Inhalt der im "Focus"-Interview gestellten Fragen nicht um die zulässige Äußerung eines Verdachts. Vielmehr enthielten die Fragen in ihrem Kern die Tatsachenbehauptung, Gröllmann habe wissentlich mit dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zusammengearbeitet. Für die behaupteten Tatsachen habe das Magazin keine ausreichenden Beweise vorgelegt. Nach Ansicht des Senats genügt allein die Existenz einer Akte des MfS nicht. Die Akte enthalte keine Verpflichtungserklärung. Im Übrigen bestünden Unstimmigkeiten zwischen angeblichen Treffen mit dem Führungsoffizier und Bühnenauftritten der Schauspielerin, die Zweifel an einer bewussten Zusammenarbeit mit der Stasi ließen. Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus. Die Schauspielerin und ihr Ex-Mann hatten seinerzeit auch einen persönlichen Rechtsstreit ausgefochten. Im Juni 2006 urteilte das Landgericht Berlin, dass Mühe nicht mehr behaupten dürfe, dass seine Ex-Frau als Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet habe. Die Richter begründeten die Entscheidung damit, dass es zwar anhand der Stasi-Unterlagen "Verdachtsmomente" gebe. Es sei aber nicht zulässig, diese als Tatsache zu behaupten. In einer eidesstattlichen Erklärung vom April 2006 hatte Gröllmann versichert, zu keiner Zeit wissentlich mit dem MfS zusammengearbeitet und sich nie als IM verpflichtet zu haben. Vorausgegangen waren Vorwürfe Mühes in einem Interview anlässlich der Buchpremiere zu dem preisgekrönten Film "Das Leben der Anderen", in dem er die Hauptrolle spielte. Unter Androhung einer Zahlung von 250.000 Euro hatte Gröllmann ein einstweiliges Redeverbot gegen Mühe erwirkt und derartige Buchpassagen verbieten lassen. Mühe hatte Widerspruch eingelegt. Gröllmann und Mühe waren sechs Jahre verheiratet und wurden 1990 geschieden. Beide starben an Krebs. Nathalie Waehlisch, ddp URL: · http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,548286,00.html © SPIEGEL ONLINE 2008 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH SPIEGEL ONLINE SPIEGEL ONLINE 15. April 2008, 17:43 Uhr ARD-STASI-DRAMA Geliebtes Schnüffel-Schwein Von Christian Buß Ein Stasi-Scherge und eine politische Gefangene amourös vereint – darf das sein? Nein, sagen die Opferverbände und laufen Sturm gegen "12 heißt: Ich liebe dich". Zu Unrecht, denn der ARD-Film gibt ungeschönt Auskunft über die Banalität des Bösen. Wir suchen das Böse und finden Banales. Der Unrechtsstaat DDR ist abgewickelt, Genugtuung für die Opfer gibt es nicht. Und die Täter? Wenn sie aufgespürt und an den Pranger gestellt werden, taugen sie auf einmal nicht mehr als Monstren, sie schrumpfen zu Menschen. Zu kleinen, jämmerlichen, pragmatischen Menschen, die für alles ihre Gründe gehabt haben. Möchte man denen überhaupt zuhören? Jan ist einer dieser Täter. In den letzten Tagen der DDR-Diktatur arbeitete er als Vernehmer für die Stasi. Er war ein kleines Tier, führte aber gewissenhaft aus, was die großen Tiere von ihm verlangten. Jetzt, Jahre nach dem Ende des realen Sozialismus, sitzt er vor der Direktorin einer Opfer-Gedenkstätte und erklärt sein Handeln: "Ich habe mich einfach geschmeichelt gefühlt, ich hatte Macht, ich war wichtig." So weit, so plausibel, so pädagogisch wertvoll. Doch dann sagt der ehemalige Stasi-Offizier, der inzwischen im wiedervereinigten Deutschland als Buchhalter arbeitet: "Ich habe funktioniert, und ich tue das immer noch, aber in einem anderen System." Das geht der Opfer-Vertreterin zu weit: "Sie wollen die Diktatur der DDR mit einem Rechtsstaat vergleichen?" Das nicht, aber was soll Jan machen: "Ich tue immer das, was man von mir erwartet." Es ist ein so einfacher wie erhellender Dialog, der da am Ende des Stasi-Dramas "12 heißt: Ich liebe dich" steht: die Selbstdemontage eines Mitläufers. Banale Worte – voll böser Wahrheit. Romantikfreies Drama ohne Relativismus Dass da ein Täter so ausführlich sprechen darf, sorgte schon im Produktionsstadium von "12 heißt: Ich liebe dich" für Aufregung: Vertreter von Opfer-Verbänden liefen Sturm, letzte Woche versuchte man die Ausstrahlung des fertigen Filmes zu verhindern. Als besonders anstößig wird empfunden, dass der Überwachungs-Scherge ausgerechnet durch die Liebe zu einem seiner Opfer zu später Einsicht gelangt. Ein Stasi-Offizier in Liebe – darf das sein? Ja, darf es. Denn durch den Versuch, die handelsübliche Fernsehdidaktik zu überwinden, schafft man neue Möglichkeiten der Geschichtsaufarbeitung und schärft die Sinne. Auch schlechte Menschen hören gute Lieder, auch Verbrecher haben Gefühle – nur macht sie das kein bisschen weniger schuldig. Und so wird in diesem leisen, zermürbenden, romantikfreien Drama trotz seiner riskanten Annäherung an den Täter als Menschen zu keinem Zeitpunkt Relativismus betrieben. Ungeschönt nimmt die grausame Liebesgeschichte 1985 ihren Anfang: Da sitzt die junge Dissidentin Bettina (Claudia Michelsen) zum ersten Mal vor dem Verhörspezialisten Jan (Devid Striesow). Acht Monate lang wird er ihr einziger regelmäßiger menschlicher Kontakt sein. Bald stellt sich jedoch eine sonderbare Vertrautheit ein; Bettina sehnt sich nach jeder Sitzung, obwohl der Mann auf der anderen Seite des Tisches ihr doch feindlich gesonnen ist. Während Jan bis in den Morgen die Protokolle abtippt, findet die ansonsten schlaflose Bettina ihm gegenüber in einem unbequemen Stahlsessel ein bisschen Ruhe. Statt Berührungen werden Zigaretten ausgetauscht. Auch eine Art eine verbotene Verbindung aufzubauen: Jan gewöhnt sich wieder das Rauchen an, um der Gefangenen nahe zu sein. Dass dieses absurde Tete-`a-tete nicht verharmlosend wirkt, ist vor allem den beiden Hauptdarstellern zu verdanken. Wie die durch die Isolationshaft in eine Art Angststarre verfallene Bettina ausgerechnet in ihrem Peiniger Hoffnung auf Erlösung findet, spielt Claudia Michelsen mit beängstigender Feinnervigkeit. Und Devid Striesow hält seinen dienst- und liebesbeflissenen Stasi-Aufsteiger über weite Strecken im Schwebezustand. Sind seine Annäherungsversuche Teil einer besonders perfiden Verhörtaktik – oder Zeichen echter Zuneigung? Bitter: Sie sind wohl beides. Striesow verleiht dem Lover und Biedermann eine unglaubliche Doppelbödigkeit. Liebe als Motor des Erkennens Connie Walther (Regie) und Scarlett Kleint (Buch) haben "12 heißt: Ich liebe Dich" nach einer wahren Geschichte in Szene gesetzt. Einige Szenen verstören, andere bleiben seltsam unaufgelöst, das Rückblendengeflecht kommt arg ungeschmeidig daher. Die Filmemacherinnen wollten sich wohl nicht dem Vorwurf aussetzen, romantisches Kapital der heiklen Story zu schlagen. Zumal ihr Film fast so was wie ein happy end hat. Denn knapp zehn Jahre später stöbert Bettina ihren geliebten Peiniger wieder auf, die beiden sind mehr denn je auf gespenstische Weise von einander angezogen. Erst wird wieder nur rauchend die gemeinsame Sehnsucht sublimiert, dann kommt es zu einer alle Konventionen brechenden Vereinigung: Jan verlässt Frau und Kind, Bettina löst sich aus ihrer Verbindung, und die beiden sind dabei offensichtlich auch noch glücklich. Wo bleibt da denn die höhere Gerechtigkeit? So mögen die Vertreter der Opferverbände fragen. Tatsächlich: Hier wird niemand abgestraft. Als Erbauungsdrama zur DDR-Vergangenheit taugt "12 heißt: Ich liebe dich" nicht. Dafür wird die Liebe zum Motor des Erkennens – des Erkennens der eigenen Schuld. Vielleicht braucht es diesen dramatischen Kunstgriff, auf dass ein Stasi-Scherge endlich einmal bedingungslos über das eigene moralische Versagen Auskunft gibt. Wer etwas über die böse Banalität totalitärer Systeme lernen will, muss das aushalten. ---------------------------------------------------------------------------------------------- "12 heißt: Ich liebe Dich", Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD URL: · http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,547539,00.html ZUM THEMA AUF SPIEGEL ONLINE: · Fernseh-Drama: Opfer-Verbände protestieren gegen Stasi-Romanze (03.04.2008) http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,545063,00.html © SPIEGEL ONLINE 2008 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH