I. Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker ... Auch ich bin, wie Sie, über die Übersetzung Ossians für unser Volk und unsre Sprache, ebensosehr als über ein episches Original entzückt. Ein Dichter, so voll Hoheit, Unschuld, Einfalt, Tätigkeit, und Seligkeit des menschlichen Lebens, muß, /…/gewiß würken und Herzen rühren, die auch in der armen schottischen Hütte zu leben wünschen, und sich ihre Häuser zu solchem Hüttenfest einweihen - Auch Denis' Übersetzung verrät so viel Fleiß und Geschmack, teils glücklichen Schwung der Bilder, teils Stärke der deutschen Sprache, daß ich auch sie gleich unter die Lieblingsbücher meiner Bibliothek gestellt, und Deutschland zu einem Barden Glück gewünscht, den der schottische Barde nur geecket[1] - Aber Sie, der vorher so halsstarrig an der Wahrheit und Authentizität des schottischen Ossians zweifelte, hören Sie jetzt mich den Verteidiger, nicht halsstarrig zweifeln, sondern behaupten, daß trotz alles Fleißes und Geschmacks und Schwunges und Stärke der deutschen Übersetzung unser Ossian gewiß nicht der wahre Ossian mehr sei. Der Raum fehlt mir, das jetzt zu beweisen: ich muß also meine Behauptung nur, wie ein türkischer Mufti,[2] sein Fetwa hinsetzen, und hier der Name des Mufti.. Hätte der Herr D. die eigentliche Manier Ossians nur etwas auch mit dem innern Ohre überlegt - Ossian so kurz, stark, männlich, abgebrochen in Bildern und Empfindungen - Klopstocks Manier, so ausmalend, so vortrefflich, Empfindungen ganz ausströmen, und wie sie Wellen schlagen, sich legen und wiederkommen, auch die Worte, die Sprachfügungen ergießen zu lassen welch ein Unterschied! und was ist nun ein Ossian in Klopstocks Hexameter? in Klopstocks Manier? Fast kenne ich keine zwo verschiednere, auch Ossian schon würklich wie Epopöist betrachtet. /.../ Ihnen wollte ich nur in Erinnerung bringen, daß Ossians Gedichte Lieder, Lieder des Volks, Lieder eines ungebildeten sinnlichen Volks sind, die sich so lange im Munde der väterlichen Tradition haben fortsingen können - sind sie das in unsrer schönen epischen Gestalt gewesen? haben sie's sein können? - mein Freund, wenn ich mich zuerst gegen Ihre zweifelnde Halsstarrigkeit gegen die Ursprünglichkeit Ossians auf nichts so sehr, als auf in- neres Zeugnis, auf den Geist des Werks selbst berief, der uns mit weissagender Stimme zusagte: »So etwas kann Macpherson unmöglich gedichtet haben! so was läßt sich in unserm Jahrhunderte nicht dichten!« mit ebendem innern Zeugnis rufe ich jetzt ebenso laut: »Das läßt sich wahrhaftig nicht singen! in solchem Ton von einem wilden Bergvolke wahrhaftig nicht fortsingen und erhalten! folglich ist's nicht Ossian, derda sang, der so lange fortgesungen wurde!« Was sagen Sie zu meinem innern Beweise? - nächstens fülle ich Ihnen vielleicht damit Seiten! Nehmen Sie doch eins der alten Lieder, die in Shakespeare, oder in den englischen Sammlungen dieser Art vorkommen, und entkleiden Sie's von allem Lyrischen des Wohlklanges, des Reims, der Wortsetzung, des dunkeln Ganges der Melodie: lassen Sie ihm bloß den Sinn, so so, und auf solche und solche Weise in eine andre Sprache übertragen; ist's nicht, als wenn Sie die Noten in einer Melodie von Pergolese, oder die Lettern auf einer Blattseite umwürfen? wo bliebe der Sinn der Seite? wo bliebe Pergolese? Mir fälle eben das Liedchen aus Shakespeares »Twelfth-Night«[3] in die Hände, bei welchem der liebe- sieche Herzog von hinnen scheiden will: - that old and antik song Me thought it did relieve my passion much - More than light airs and recollected terms Of these most brisk and giddy - paced times. -- it is old and plain /../Song Come away, come away, death![4] And in sad cypress let me be laid! Fly away, fly away, breath! I am slain by a fair cruel maid! /…/ Der sollte nicht mein Freund sein, der bei diesem so einfältigen, nichtssagenden Liede, insonderheit lebendig gesungen, nichts mitfühlte! Indessen, wenn es übersetzt würde (Wieland hat es, so wie die meisten dieser Art, nicht übersetzt!) wenn der Einige fast, dem ich hiezu Biegsamkeit zutraue, der Sänger des Skaldengesanges und der Grabschrift Aspasiens,/…/wenn dieser Dichter, der so mancherlei, und dies Mancherlei so vortrefflich sein kann, es übersetzte, wie anders erhält er den Abdruck der innern Empfindung, als durch den Abdruck des Äußern, des Sinnlichen, in Form, Klang, Ton, Melodie, alles des Dunklen, Unnennbaren, was uns mit dem Gesange stromweise in die Seele fließet. /…/Wissen Sie also, daß je wilder, d.i. je lebendiger, je freiwirkender ein Volk ist (denn mehr heißt dies Wort doch nicht!), desto wilder, d.i. desto lebendiger, freier, sinnlicher, lyrisch handelnder müssen auch, wenn es Lieder hat, seine Lieder sein! Je entfernter von künstlicher, wissenschaftlicher Denkart, Sprache und Letternart das Volk ist: desto weniger müssen auch seine Lieder fürs Papier gemacht, und tote Lettern Verse sein: vom Lyrischen, vom Lebendigen und gleichsam Tanzmäßigen des Gesanges, von lebendiger Gegenwart der Bilder, vom Zusammenhange und gleichsam Notdrange des Inhalts, der Empfindungen, von Symmetrie der Worte, der Silben, bei manchen sogar der Buchstaben, vom Gange der Melodie, und von hundert andern Sachen, die zur lebendigen Welt, zum Spruch- und Nationalliede gehören, und mit diesem verschwinden - davon, und davon allein hängt das Wesen, der Zweck, die ganze wundertätige Kraft ab, die diese Lieder haben, die Entzückung, die Triebfeder, der ewige Erb- und Lustgesang des Volks zu sein! Das sind die Pfeile dieses wilden Apollo, womit er Herzen durchbohrt, und woran er Seelen und Gedächtnisse heftet! Je länger ein Lied dauern soll, desto stärker, desto sinnlicher müssen diese Seelenerwecker sein, daß sie der Macht der Zeit und den Veränderungen der Jahrhunderte trotzen - wohin wendet sich nun die Sache? Ohne Zweifel waren die Skandinavier, wie sie auch in Ossian überall erscheinen, ein wilderes rauheres Volk, als die weich idealisierten Schotten: mir ist von jenen kein Gedicht bekannt, wo sanfte Empfindungströme: ihr Tritt ist ganz auf Felsen und Eis und gefrorner Erde, und in Absicht auf solche Bearbeitung und Kultur ist mir von ihnen kein Stück bekannt, das sich mit den Ossianschen darin vergleichen lasse. Aber sehen Sie einmal im Worm, im Bartholin, im Peringskiöld, und Verel ihre Gedichte an - wieviel Silbenmaße! wie genau jedes unmittelbar durch den fühlbaren Takt des Ohrs bestimmt! ähnliche Anfangssilben mitten in den Versen symmetrisch aufgezählt, gleichsam Losungen zum Schlage des Takts, Anschläge zum Tritt, zum Gange des Kriegsheers. Ähnliche Anfangsbuchstaben zum Anstoß, zum Schallen des Bardengesanges in die Schilde! Disticha und Verse sich entsprechend! Vokale gleich! Silben konon - wahrhaftig eine Rhythmik des Verses, so künstlich, so schnell, so genau, daß es uns Büchergelehrten schwer wird, sie nur mit den Augen aufzufinden; aber denken Sie nicht, daß sie jenen lebendigen Völkern, die sie hörten und nicht lasen, von Jugend auf hörten und mitsangen, und ihr ganzes Ohr darnach gebildet hatten, ebenso schwer gewesen sei. Nichts ist stärker und ewiger, und schneller, und feiner, als Gewohnheit des Ohrs! Einmal tief gefaßt, wie lange behält dasselbe! In der Jugend, mit dem Stammlen der Sprache gefaßt, wie lebhaft kommt es zurück, und so schnell mit allen Erscheinungen der lebendigen Welt verbunden, wie reich und mächtig kommt es wieder. Aus Musik, Gesang und Rede könnt ich Ihnen eine Menge sonderbarer Phänomene anführen, wenn ich einmal psychologisieren wollte! Denken Sie nicht, daß ich übertreibe. Unter 136 Rhythmusarten der Skalden, habe ich nur einen, den »Sangbaren«, in Worm näher studiert (denn ihre eigentliche Prosodie, der zweite Teil der »Edda« ist meines Wissens noch nicht erschienen!) und was denken Sie, wenn in diesem Rhythmus von 8 Reihen nicht bloß 2 Disticha, sondern in jedem Distichon 3 anfangähnliche Buchstaben, 3 konsone Wörter und Schälle, und diese in ihren Regionen wieder so metrisch bestimmt sind, daß die ganze Strophe gleichsam eine prosodische Runentextur geworden ist – und alles waren Schälle, Laute eines lebenden Gesanges, Wecker des Takts und der Erinnerung, alles klopfte, und stieß und schallte zusammen! - Machen Sie nun die Probe, und studieren Regner Lodbrogs Sterbegesang in den »Runen« des Worms, und lesen denn die feine, zierliche Übersetzung, die wir davon im Deut- schen, in ganz anderm Ton und ganz anderm Silbenmaße haben - der verzogenste Kupferstich von einem schönen Gemälde! ... Sie lachen über meinen Enthusiasmus für die Wilden beinahe so, wie Voltaire über Rousseau, daß ihm das Gehen auf vieren so wohl gefiele: Glauben Sie nicht, daß ich deswegen unsre sittlichen und gesitteten Vorzüge, worin es auch sei, verachte. Das menschliche Geschlecht ist zu einem Fortgange von Szenen, von Bildung, von Sitten bestimmt: wehe dem Menschen, dem die Szene mißfällt, in der er auftreten, handeln und sich verleben soll! Wehe aber auch dem Philosophen über Menschheit und Sitten, dem seine Szene die einzige ist, und der die erste immer, auch als die schlechteste, verkennet! Wenn alle mit zum Ganzen des fortgehenden Schauspiels gehören: so zeigt sich in jeder eine neue, sehr merkwürdige Seite der Menschheit - und nehmen Sie sich nur in acht, daß ich Sie nicht nächstens mit einer »Phsychologie aus den Gedichten Ossians« heimsuche. Die Ideen wenigstens dazu liegen tief und lebendig genug in meiner Seele, und Sie würden manches Sonderbare lesen! Für jetzt. Wissen Sie, warum ich ein solch Gefühl teils für Lieder der Wilden, teils für Ossian insonderheit habe? Ossian zuerst, habe ich in Situationen gelesen, wo ihn die meisten, immer in bürgerlichen Geschäften, und Sitten und Vergnügen zerstreute Leser, als bloß amüsante, abgebrochene Lektüre, kaum lesen können. Sie wissen das Abenteuer meiner Schiffahrt; aber nie können Sie sich die Würkung einer solchen, etwas langen Schiffahrt so denken, wie man sie fühlt. Auf einmal aus Geschäften, Tumult und Rangespossen der bürgerlichen Welt, aus dem Lehnstuhl des Gelehrten und vom weichen Sofa der Gesellschaften auf einmal weggeworfen, ohne Zerstreuungen, Büchersäle, gelehrten und ungelehrten Zeitungen, über einem Brette, auf offnem allweiten Meere, in einem kleinen Staat von Menschen, die strengere Gesetze haben, als die Republik Lykurgus', mitten im Schauspiel einer ganz andern, lebenden und webenden Natur, zwischen Abgrund und Himmel schwebend, täglich mit denselben endlosen Elementen umgeben, und dann und wann nur auf eine neue ferne Küste, auf eine neue Wolke, auf eine ideale Weltgegend merkend - nun die Lieder und Taten der alten Skalden in der Hand, ganz die Seele damit erfüllet, an den Orten, da sie geschahen - hier die Klippen Olaus vorbei, von denen so viele Wundergeschichte lauten dort dem Eilande gegenüber, das jene Zauberase[5], mit ihren vier mächtigen sternebestirnten Stieren abpflügte, »das Meer schlug, wie Platzregen, in die Lüfte empor, und wo sich, ihren schweren Pflug ziehend, die Stiere wandten, glänzten 8 Sterne vor ihrem Haupte«, über dem Sandlande hin, wo vormals Skalden und Vikinge mit Schwert und Liede auf ihren Rossen des Erdegürtels (Schiffen) das Meer durchwandelten, jetzt von fern die Küsten vorbei, da Fingals Taten geschahen, und Ossians Lieder Wehmut sangen, unter eben dem Weben der Luft, in der Welt, der Stille – glauben Sie, da lassen sich Skalden und Barden anders lesen, als neben dem Katheder des Professors. Wood mit seinem Homer auf den Trümmern Trojas, und die Argonauten, Odysseen und Lusiaden unter wehendem Segel, unter rasselndem Steuer: die Geschichte Uthals[6] und Ninathoma im Anblick der Insel, da sie geschahe; wenigstens für mich sinnlichen sinnlichen Menschen haben solche sinnliche Situationen so viel Würkung. Und das Gefühl der Nacht ist noch in mir, da ich auf scheiterndem Schiffe, das kein Sturm und keine Fluth mehr bewegte, mit Meer bespült, und mit Mitternachtwind umschauert, Fingal las und Morgen hofte . . . Verzeihen Sie es also wenigstens einer alternden Einbildung, die sich auf Eindrücke dieser Art, als auf alte bekannte und innige Freunde stützet. – […] Da die Gedichte der alten, und wilden Völker so sehr aus unmittelba- rer Gegenwart, aus unmittelbarer Begeisterung der Sinne, und der Einbildung entstehen, und doch so viel Würfe, so viel Sprünge haben: so hat mich dies längst, aus vielen Wahrnehmungen, auf die Gedanken gebracht, die ich Ihnen hier zum freundschaftlichen Gutachten mitteile. Zuerst, sollten also wohl für den sinnlichen Verstand, und die Einbildung, also für die Seele des Volks, die doch nur fast sinnlicher Verstand und Einbildung ist, dergleichen lebhafte Sprünge, Würfe, Wendungen, wie Sie's nennen wollen, so eine fremde böhmische Sache sein, als uns die Gelehrten und Kunstrichter beibringen wollen? ... Sie glauben, daß auch wir Deutschen wohl mehr solche Gedichte hätten, als ich mit der schottischen Romanze angeführet; ich glaube nicht allein, sondern ich weiß es. In mehr als einer Provinz sind mir Volkslieder, Provinziallieder, Bauerlieder bekannt, die an Lebhaftigkeit und Rhythmus, und Naivetät und Stärke der Sprache vielen derselben gewiß nichts nachgeben würden; nur wer ist der sie sammle? der sich um sie bekümmre? sich um Lieder des Volks bekümmre? auf Straßen, und Gassen und Fischmärkten? im ungelehrten Rundgesange des Landvolks? um Lieder, die oft nicht skandiert, und oft schlecht gereimt sind? wer wollte sie sammlen - wer für unsre Kritiker, die ja so gut Silben zählen, und skandieren können, drucken lassen? Lieber lesen wir, doch nur zum Zeitvertreib, unsre neuere schöngedruckte Dichter - Laß die Franzosen ihre alte Chansons sammlen! Laß Engländer ihre alte Songs und Balladen und Romanzen in prächtigen Bänden herausgeben! Laß in Deutschland etwa der einzige Lessing sich um die Logaus und Scultetus[7] und Bardengesänge bekümmern! Unsre neuen Dichter sind ja besser gedruckt und schöner zu lesen; allenfalls lassen wir noch aus Opitz, Fleming, Gryphius Stücke abdrucken. – Der Rest der ältern, der wahren Volksstücke, mag mit der sogenannten täglich verbreitetern Kultur ganz untergehen, wie schon solche Schätze untergegangen sind – wir haben ja Metaphysik und Dogmatiken und Akten - und träumen ruhig hin – Und doch, glauben Sie nur, daß wenn wir noch in unsern Provinzialliedern, jeder in seiner Provinz nachsuchten, wir vielleicht noch Stücke zusammenbrächten, vielleicht die Hälfte der Dodsleyischen Sammlung von »Reliques«, aber die derselben beinahe an Wert gleichkäme! Bei wie vielen Stücken dieser Sammlung, insonderheit den besten schottischen Stücken sind mir deutsche Sitten, deutsche Stücke beigefallen, die ich selbst zum Teil gehöret – haben Sie Freunde in Elsaß, in der Schweiz, in Franken, in Tirol, in Schwaben, so bitten Sie – aber zuerst, daß sich diese Freunde ja der Stücke nicht schämen; denn die dreusten Engländer haben sich z. E. nicht schämen wollen und dörfen. Selbst die Melodie des Ihnen einmal angeführten: »Come away, come away, death!« erinnere ich mich, einmal dunkel gehört zu haben, und noch nicht vor langer Zeit erinnere ich mich eines Bettlerliedes, das an Inhalt so gemischt und voll Sprünge war, und in seiner sehr lyrischen alten und zu unsern Zeiten wird so viel von Liedern für Kinder gesprochen: wollen Sie ein älteres deutsches hören? Es enthält zwar keine transzendente Weisheit und Moral, mit der die Kinder zeitig genug überhäuft werden – es ist nichts als ein kindisches Fabelliedchen Es sah ein Knab ein Röslein stehn Ein Röslein auf der Heiden. Er sah, es war so frisch und schön Und blieb stehn, es anzusehen Und stand in süßen Freuden. Ich suppliere diese Reihe nur aus dem Gedächtnis, und nun folgt das kindische Ritornell bei jeder Strophe: Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden! Der Knabe sprach: »Ich breche dich! Röslein« etc. Das Röslein sprach: »Ich steche dich, Daß du ewig denkst an mich Daß ich's nicht will leiden!« Röslein etc. Jedoch der wilde Knabe brach, Das Röslein etc. Das Röslein wehrte sich und stach, Aber er vergaß darnach Beim Genuß das Leiden! Röslein etc. Ist das nicht Kinderton? Und noch muß ich Ihnen eine Änderung des lebendigen Gesanges melden. Der Vorschlag tut bei den Liedern des Volks eine so große und gute Würkung, daß ich aus deutschen und englischen alten Stücken sehe, wieviel die Minstrels darauf gehalten: und der ist nun noch im Deutschen wie im Englischen in den Volksliedern meistens der dunkle Laut von the in beidem Geschlecht (de Knabe)'s statt das ('s Röslein) und statt ein ein dunkles a, und was man noch immer in Liedern der Art mit ' ausdrücken könnte. Das Hauptwort bekommt auf solche Weise immer weit mehr poetische Substantialität und Persönlichkeit ' Knabe sprach ' Röslein sprach, usw. in den Liedern weit mehr Akzent, und endlich lassen Sie mich noch mit einer weitern Anmerkung hieraus schließen. In schnellrollenden, gereimten komischen Sachen, und aus dem entgegengesetztesten Grunde in den stärksten, heftigsten Stellen der tragischen Leidenschaft, dort insonderheit in leichtsinnigen Liedern, hier am meisten in den gedrungnen Blankversen haben Sie es da nicht oft bemerkt, wie schädlich es uns Deutschen sei, daß wir keine Elisionen[8] haben, oder uns machen wollen? Unsre Vorfahren haben sie häufig und zu häufig gehabt: die Engländer mit ihren Artikeln, mit den Vokalen bei unbedeutenden Wörtern, Partikeln usw. haben sie zur Regel gemacht: die innre Beschaffenheit beider Sprachen ist in diesem Stücke ganz einerlei: uns quälen diese schleppende Artikel, Partikeln usw. oft so sehr, und hindern den Gang des Sinns oder der Leidenschaft – aber wer unter uns wird zu elidieren wagen? Unsre Kunstrichter zählen ja Silben, und können so gut skandieren! Sie also, der kein Kunstrichter ist, erlauben Sie also in dergleichen Fällen mir wenigstens, mich freiherrlichermaßen des Zeichens (') bedienen zu können, nach bestem Belieben usw. Irre ich mich, oder ist's wahr, daß die schönsten lyrischen Stücke, die wir schon jetzt haben, und längst gehabt haben, schon mit diesem männlichen, starken, festen deutschen Ton übereinkommen, oder sich ihm nähern – was wäre nicht also von der Aufweckung mehrerer solcher zu hoffen! – Nachschrift Ja Nachschrift! wo keine Schrift, wo lauter Umrede rings um das leider! halb erloschne und entstellte Schaustück der menschlichen Natur Ossian, ist, oder es höchstens ewige Vorrede wird, zu dem was kom- men will und kommen soll und nie kommt. usw. wo nicht jedermann, so doch gewiß uns Deutschen zurufen müßte: »Nicht nachgeahmt, oder ihr bleibt ewig hin- ten! und es wird ewig Schande sein, einen Münter an Metastasio zu messen!« Was das aber nun für eine Gattung Poesie sei, die wahre Mittelgattung zwischen Gemälde und Musik! und was das für eine Gattung Musik sei, die über Poesie nicht herrschet - - [Herder: Von deutscher Art und Kunst, S. 77. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 41880 (vgl. SuD-Nicolai Bd. 1, S. 300)] ________________________________ [1] mit Ecken versehen [2] Islamischer Rechtsgelehrter [3] Was ihr wollt (engl. Twelfth Night, or What You Will). Die von Shakespeare entwickelten Konstellationen, nach denen dann letztlich ein Mann eine Frau spielt, die sich wiederum als Mann ausgibt, ziehen leitmotivisch viele Gags nach sich. Typischerweise ist dem Publikum dabei durch sein Vorwissen um die Entwicklung der Geschichte klar, welcher Charakter wer ist und als wer er sich ausgibt; die Figuren in Was ihr wollt hingegen verkennen die Identität ihrer Gegenüber oftmals – mit entsprechenden Folgen. [4] Schlegel: Komm herbei, komm herbei, Tod, Und versenk' in Cypressen den Leib; Lass mich frei, lass mich frei, Not, Mich [erschlägt]1 ein holdseliges Weib. [ Mit Rosmarin mein Leichenhemd, O bestellt es! Ob Lieb' ans Herz mir tötlich kommt, Treu' hält es.]2 Keine Blum, keine Blum süß, Sei gestreut auf den schwärzlichen Sarg; [ Keine Seel', keine Seel' ]3 grüß mein Gebein, wo die Erde es [verbarg.]4 [Um Ach und Weh zu wenden ab', bergt alleine mich, wo kein Treuer wall' ans Grab und weine.]5 [5] Odin, Thor und andere: das jüngere Göttergeschlecht in der nordischen Mythologie, das ältere Geschlecht waren Wanen.Den Asen werden Eigenschaften wie Stärke, Macht und Kraft zugeschrieben. Sie sind weitgehend vermenschlicht, haben also einen irdischen Alltag. Wie die Menschen sind sie sterblich. Nur durch die Äpfel der Idun halten sie sich jung, bis fast alle von ihnen zur Ragnarök getötet werden. [6] Uthal was handsome, and, by the ladies, much admired. Nina-thoma, the beautiful daughter of Tor-thoma, a neighboring prince, fell in love and fled with him. He proved inconstant; for another lady, whose name is not mentioned, gaining his affections, he confined Nina-thoma to a desert island, near the coast of Berrathon. She was relieved by Ossian, who, in company with Toscar, landing on Berrathon, defeated the forces of Uthal, and killed him in single combat. Nina-thoma, whose love not all the bad behavior of Uthal could erase, hearing of his death, died of grief. In the mean time Larthmor is restored, and Ossian and Toscar return in triumph to Fingal. [7] Der Schustersohn Scultetus floh vor der Gegenreformation nach Liegnitz und besuchte von 1639 bis 1642 das Jesuitengymnasium in Breslau, wo er mit Angelus Silesius und Andreas Tscherning befreundet war. 1644 hielt er sich in Brünn auf, danach war er Lehrer des Jesuitenkollegs in Troppau. In seinem „Gesang“ „Friedens Lob und Krieges Leid“ (1641) schilderte er eindringlich die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges und beschwor die Hoffnung auf Frieden. Sein episches Gedicht „Blutschwitzendtodesringender Jesus“ von 1643 ist die erste neuhochdeutsche Messiasdichtung. 1642 erschien die auf dem mystischen Gedankengut Jakob Böhmes beruhende Gedichtsammlung „Österliche Triumph-Posaune“. Andreas Scultetus´ Werk wurde schnell vergessen und erst von Gotthold Ephraim Lessing wiederentdeckt, der seine Gedichte 1771 herausgab. [8] Ausstoßung eines unbetonten Vokals im Inneren od. am Ende eines Wortes (z.ÿB. ew'ge, glaub [statt glaube] ich).