■■ f\ >r# se 1 I eigentlich gar keinen Wert. Das war immer so. Eine Übersetzung ist ein anderes Buch. Das hat mit dem Original gar nichts mehr zu tun. Das ist ein Buch dessen, der das übersetzt hat. Ich schreibe ja in deutscher Sprache. Die werden dann ins Haus geschickt, die Bücher, und entweder machen s' Spaß oder nicht Wenn sie scheußliche Umschläge haben, dann ärgern sie sich ja nur, und dann blättert man's durch und fertig. Das hat mit dem eigenen, außer mit einem verschrobenen anderen Titel meistens nichts gemeinsam. Nicht, man kann ja nicht übersetzen. Ein Musikstück, das spielt man, wie die Noten stehen, überall auf der Welt. Aber ein Buch, das müßte man überall in Deutsch, in meinem Fall, spielen. Mit einem Orchester. Sicher ist es eine Mordssache, wie fünfzig Klosetts, aber es ist mir auch wieder wurscht, ich bin ja da wieder in einer angenehmen Umgebung, weil, zum Beispiel, meine Geschwister sich überhaupt nicht interessieren. Die wissen ja gar nicht, was ein Stück oder ein Roman ist von mir. Das ist denen egal. Die ideale Umgebung. Ich meine, ich will mich ja nicht präsentieren, weder großartig noch schlecht. Ich habe ja mehr gesagt, wenn man die Bücher liest, aber die Bücher lesen ja die Leute nicht. Was ich seit fünfundzwanzig Jahren in allen Büchern geschrieben habe, das ist ja alles vollkommen eingetroffen. Jedes Buch von mir ist voller Resolutionen. 74 Das Theater als Sumpfverein Das Mieseste ist die Menschheit an und für sich. Sie können da nicht irgendwen ausschalten, glaub' ich. Alles, was man näher kennenlernt, wird unappetitlich und ungut, wenn sie sich näher damit beschäftigen. Wenn man näher hinschaut, dann ist das nicht zum Aushalten. Ich weiß halt, was ja sicher nicht schlecht ist, wie es bei berühmten Schauspielern war. Ich kann mich erinnern: Da bin ich immer in Proben gegangen, als Bub, in die Felsenreitschule in Salzburg. Dort war halt dann der Werner Krauss als Caesar. Ist ja allein schon komisch, wenn man das ausspricht, nicht, der Werner Krauss als Caesar. Das ist einfach blöd. Ich meine, das ist einfach grotesk bis dorthinaus! Und der Ewald Baiser als Brutus, nicht? Wo der Krauss wirklich ein großartiger Schauspieler war und der Baiser ein Nichts! Der war ja nichts, der hat nur eine sonore Stimme gehabt, völlig hohl, und sein Hirn war so wie sein Bauch, so dumm. Und da 75 weiß ich noch, daß der Josef Gielen, der damals Regie gemacht hat, dem alles hat erklären müssen, und da hab' ich mir gedacht, na, und die sind so berühmt! Wie man so dumm und so berühmt sein kann! Denen muß man eigentlich jeden Satz vollkommen erklären, und dann muß man ihnen sagen, schau, du mußt ja denken, was der gesagt hat, und du reagierst jetzt so drauf — das kapiert der nicht. Je berühmter sie sind, desto dümmer sind sie. Bei der Generalprobe ist das ganze Stück umgestoßen worden. Da hat's also geheißen: Die Soldaten nicht von rechts, sondern von links herein, und da war das totale Chaos hergestellt. Den haben die Nerven verlassen bei der Generalprobe, und die Premiere war im Grund halt gar nichts. Aber in der Felsenreitschule und dieser ganze Sternenhimmel, da sehen die Leute ja von Kunst eh nichts, da können s' ja machen, was sie wollen, wenn nur die Rüstungen lieb ausschauen und irgendwas gesagt wird. Was gesagt wird, ist gleich, es muß nur möglichst hohl und deutlich und bombastisch g'sagt werden. Dann können s' drei Stunden ausfüllen. Und beim Applaus, weiß ich noch, daß der Werner Krauss sich in einem Trenchcoat und mit einer Aktentasche verneigt hat, weil draußen schon das Taxi gewartet hat, das ihn zum Flugplatz brachte, weil er in Hamburg in der Nacht Filmaufnahmen hatte. Da hab' ich mir gedacht, schau, das ist die große Theaterwelt. Das war in den fünfziger Jahren. Aber Musik ist immer schön. Oper ist immer schön, weil es ist ja wurscht, was die singen oder reden oder ob s' dumm sind. Wenn die Stimmen schön sind und die Einsätze stimmen und die Musik gut ist, dann kann nicht viel passieren. 76 Aber Geist auf einer Bühne, das ist nicht zu vermitteln, weil keiner da ist. Es ist halt scheußlich. Grad die Salzburger, die hassen mich ja, die müssen mich ja wie die Pest hassen. Das ist ja belustigend. Nur, wo nichts ist, kann auch kein Regisseur etwas machen. Ich bin ja nur für gute Arbeit, eine rücksichtslose, und aus, fertig. Ich könnt' ja nie mit diesem ganzen Kram, der da noch so mitspielt, was zu tun haben. Und mit der Aufsässigkeit dieser Leute dort, der Bühnenarbeiter und so, die da ganz straff organisiert sind und wie die Maurer dann alles hinhauen. Da kann man ja kein Theater machen. Das hat ja mit dem gar nichts zu tun, das ist ja ein Sumpfverein, aber kein Theater. Es ist wie überall in Österreich, wenn man hineingeht und alles aufmacht. Man hat dann das Gefühl, schon beim Hinausgehen, daß das alles im Grunde hinten schon wieder zusammenbricht Da wird schon wieder telefoniert und so, das hat keinen Sinn. Die Leuť kann man nicht einmal mit Verträgen an irgendwas binden. Sie finden immer Hintertürin und Juristen und Geschichten, mich interessiert das nicht Ich laß' mich mit sowas gar nicht mehr ein. Entweder es wird so gemacht, wie ich es mir vorstelle — es wird ja dann sowieso nicht wie man glaubt — oder halt nicht. In Salzburg war's ja das gleiche, da war ja auch alles Lug und Trug letzten Endes. Ich hab' ja auch keinen Kontakt zu den Schauspielern, das interessiert mich doch gar nicht Es gibt nichts fürchterlicheres als Schauspieler, wo sie dann nachher zusammensitzen, das mach' ich ja nie. Ich hab' doch ein einziges Mal so einen Blödsinn gemacht, dann werden sie von einem jeden 77 angestrahlt, und jeder glaubt, man muß zu ihm sagen, er war der Beste, das ist ja so primitiv. Die Haben ja ihren Beruf gewählt. Ich hab1 meinen auch gewählt, bewußt. Es gibt doch da keine Entschuldigung oder irgendwas. Das ist ein hartes Geschäft und fertig. Entweder du entsprichst oder du entsprichst nicht, es gibt ja nur das Kriterium, was anderes gibťs ja nicht. Da hat die Sentimentalität oder Verlogenheit nichts damit zu tun. Ich kann mir auch überhaupt nicht vorstellen, mit österreichischen Schauspielern was zu machen. Die können nicht einmal reden. Ich hab' mir in Wien dieses Begräbnis angeschaut, ich bin mit der Straßenbahn vorbeigefahren, wie diese Hörbiger-Geschichte war. Da habe ich diese Schauobelisken von der Leichenbestattung gesehen. Da hab' ich mir gedacht, ich steig' jetzt aus und schau' mir das an. Dann bin ich wie ein Journalist im hellen Manterl dagestanden, gierig diese Pseu-doleichengesellschaft anstarrend, und hab' mitgehört und mir die alle angeschaut, wie scheußlich sie alle ausschauen. Wie sie da so im Trott herumgehen, völlig abgetakelt, verkommen, erledigt, klapprig, verlogen, von fünfundneunzig angefangen bis zu den Jungen, die aber auch schon so mitschreiten, weil man so tun muß. So ist es. Schauspieler kriegen Blinddarmentzündungen und sterben. Buchstaben sterben nicht, das ist der Vorteil der Prosa! Mit der Prosa verdien' ich sowieso kein Geld. Da können sie alle jungen Dichter nehmen, die verdienen alle viel mehr. Da ist nichts drinnen und schwingt sich über ein paar tausend Exemplare, wie bei Anfängern, überhaupt nicht hin- 78 aus. Das ist heut' noch so, da ist nichts zu holen, da kommt der Verleger grad auf seine Kosten, aber auch nicht mehr, weil er außerdem auch nichts tut, und ich ihn nicht zwing', weil mir das wieder gleich ist. Wenn ich ein Geld verdien', sind's nur die Stücke, oder wie man's halt nennen will. Ich weiß nicht, ob das Stücke sind, das ist auch wurscht, es ist halt was fürs Theater, Schluß. Und das ist eben für mich ein Spaß und für einen gewissen Schauspieler auch. Und vor allem ist es so: Wenn's für die keinen Spaß macht, machen sie's eh nimmer, da brauch' ich mich drum nicht zu sorgen. In dem Moment, wo das nicht einen Spaß macht, machťs ja niemand. Das ist ja alles so simpel und einfach. Es wird niemand gezwungen, irgendwo was aufzuführen oder irgendwas zu lesen, das ist bei all diesen Leuten der freie Wille. Nur kann man den ruhig auch verhindern, wenn man das Gefühl hat, dieser freie Wille ist eigendich nur Selbstzweck und schadet mir oder macht mir schlechte Laune. Dann werde ich das doch nicht machen. Bücher wären ja völlig unergiebig auf einer Bühne. Können Sie sich vorstellen, daß ein Landarzt mit seinem Sohn endlos dahingeht auf der Bühne, mit seinem Arzttascherl? Es würde in einer Viertelstunde oder in einer halben, bei ganz großen Schauspielern nach einer halben Stunde, der Vorhang fallen. Ich bin ja der Meinung, man könnt' auch einen Scheißdreck darstellen. Der Vorhang geht auf, und es liegt ein Gackhaufen dort, und immer mehr Fliegen kommen herein, und dann fällt halt wieder der Vorhang. Also ich mein1, letzten Endes — das geschieht ja am Theater, es war ja immer so. Ob der Vorhang aufgeht und ein Haufen Kuh- 79 dreck oder der Hermann Bahr dort liegt, auf der Bühne, ist ziemlich wurscht. Wenn's gut gemacht ist. Dagegen ist nichts zu sagen. Die Leute sind ja zu allem zu präparieren. Sie können ein Theater füllen mit bestimmten Leuten, die angereichert worden sind durch Zeitungen und so. Wenn ihnen monate-oder jahrelang gesagt wird, dort kommt das große Ereignis, dann können sie ja die Leute auch bestechen. Wie beim Allgemeinen Krankenhaus können sie es beim aligemeinen Theater genauso machen. Bestechen sie die Leute, und dann kriegen sie auch das Publikum und sie kriegen die Kritiker. Dann spielt sich drei Stunden halt so was ab, und die finden das grandios. Es könnte ja auch grandios sein, denn es ist ja gar nicht gesagt, daß es das nicht ist. Ich finde ja, wenn ein großer Schauspieler stundenlang nur dort sitzt und mit dem Fuß wackelt oder so, dann könnte es auch großartig sein. Ich glaub', spielen wollen mich bestimmt die Schauspieler. Also Theaterdirektoren lehnen das im Grunde ab, weil sie nicht viel damit verdienen, auch keinen Ruhm ernten beim Publikum, was die Stücke betrifft, aber den Schauspielern gibt es halt was. Ja, ich weiß, daß am Burgtheater Schauspieler sind, die diese Sachen im Grunde nicht spielen wollen, weil sie ihnen zu schwierig sind, zu langwierig, und außerdem im Hintergrund keine Garantie auf Erfolg von vornherein da ist. Die Schauspieler, die sind so. Die wollen ja, wie beim Zauner, köstliche Sachen servieren und sich des Preises sicher sein, den sie kriegen. Und das steht schon auf der Speisekarte drauf, was sie dafür kriegen. Bei mir servieren sie Dinge, und sie kriegen eigentlich nichts. 80 Das Burgtheater ist so, ich kann mich erinnern, daß das erste Stück von mir am Burgtheater, das war ja die „Jagdgesellschaft" damals, es war gedacht, daß das die Wessely spielt und der Bruno Ganz, und für die war das ja auch geschrieben. Und der Ganz hat sogar Sachen aufgegeben, Stücke an der Schaubühne, nur daß wir das halt dort machen, und dann sind im Burgtheater die Schauspieler alle aufgestanden und sind als Abordnung in die Direktion gegangen, ich weiß nicht wieviel, und haben gesagt, der kommt uns nicht ans Burgtheater, dann machen wir einen Stunk oder irgendsowas, und die Wessely haťs davon abhängig gemacht, ja wenn der nicht spielt, mach' ich es auch nicht, und ich hab' so einen blöden Vertrag gehabt, daß ich nicht mehr aussteigen hab1 können, ohne mich völlig zu ruinieren, und dann ist das eben jämmerlichst, muß ich sagen, mit dem Bissmeier, halt so gelaufen. So ist das Burgtheater. Es ist wie überall in Österreich. Mit normalen Schauspielern kann man eh nichts machen, das sind höchstens sechs Wochen, also in sechs Wochen kann man so etwas nicht proben. Das geht, wenn der Minet-ti das gespielt hätte, weil der hat sich nichts dreinreden lassen, der hat das völlig für sich gemacht, und der Dorn, der ist halt daneben gestanden, und der Minetti hat sich das arrangiert. Dann geht's. Halbwegs. Bernhard Minetti hat halt eine unglaubliche Erfahrung, Jahrzehnte, und hat ganz bewußt mitgemacht. Also nicht nur als beamteter Schauspieler, sondern mit allem Raffinement, mit aller Scheußlichkeit Mit dem kann man sehr angenehm reden. Weil er völlig offen ist, also gut erhalten. Er wirkt eigentlich jung, aber mit 81 der Erfahrung dazu, die er eben hat. Oft reagiert er wie ein Zweiundzwanzigj ähriger, während diese anderen Leute, wenn sie fiinfunddreißig sind, schon verbraucht sind und nur noch Marionetten der Theaterwelt sind. Sie lassen sich jonglieren und haben nichts Eigenes mehr. Dabei hat er aber Operationen und lauter Nägel in den Knochen, das ist alles verchromt und verschraubt. Und immerhin, wenn ich mir das vorstelle, jetzt ist er beinahe achtzig und spielt da viermal in der Woche den ganzen Abend. Dann fliegt er nach Bochum, legt sich eine Stunde hin, dann spielt er wieder und ist Stunden auf der Bühne, den ganzen Abend. Dann geht er bis zwei Uhr früh aus, und dann sagt er, er möchte aber beim Frühstück wieder dabei sein. Und mit sechzig sind die meisten Leuť uralt, lassen sich in nichts mehr ein, haben ihr Einf amihenhaus irgendwo und machen davon abhängig, wie ihre Theatersache weitergeht, also vom Gemüsegärtlein und vom Lieblingsspaziergang, den sie machen. Ich hab' das Glück mit dem Peymann. Man darf halt keine schlechten Leute nehmen. Dann geht's daneben. Und immer, wenn ich einen Kompromiß gemacht habe, war die Sache tot Ich war selber schuld, weil ich das selber hätte sehen müssen, auch gesehen hab', aber schwach geworden bin. Und wenn man schwach wird, ist alles hin. Und sie kriegen dann noch alle Schuld aufgeladen, selbstverständlich, logischerweise fällt ihnen alles auf den Kopf. Es gibt so wenig intelligente Schauspieler, in Wien findet man gar keine. Es muß ein Schauspieler ja nicht weiß ich wie gebildet oder hochintelligent sein, aber dann muß er 82 wieder eine Qualität haben, wie ~~ ich weiß nicht, wie Käthe Gold oder so wer. Der Peymann ist halt auch umgeben von lauter Idioten, muß sich einlassen mit politischen Leuten, weil er sonst einpacken und morgen wegfahren müßt'. Das ist doch alles scheußlich. Der muß mit lauter Leuten essen gehen, die einem die Schuhe ausziehen, und ist von lauter Hemmschuhen umgeben, von lauter Arschlöchern, die sich wie Blei dranhängen, und die nur Schmalz um den Mund schmieren. Das ist doch alles furchtbar in Wien. Das ist mir ganz wurscht eigentlich, wo er das aufführt, letzten Endes. Ich mag den Peymann gern, aus, fertig. Als Person. Man sagt, es geht niemand hinein, es ist fad. Das ist ja alles falsch. Weil in meine Stücke so viel Leuť hineingehen wie bei keinem anderen lebenden Autor. Das ist doch alles falsch, was die Leute glauben. Wenn ich denk', schon neunzig Male bei ausverkauftem Schillertheater, können Sie sich das vorstellen? Ein Einpersonenstück mit einem kleinen Mäderl. Ich hab' gesagt, er kann machen damit, was er will. Ich hab' nie gedacht, daß der das überhaupt spielt, neunzig Mal, das muß man sich vorstellen. Und dann sagt aber der Herr Blaha, das ist ein Autor, wo alle hinausgehen, weiľs so langweilig ist Ich kenn' auch nichts anderes, wo sich die Leuť so gut unterhalten. Das sagt aber nicht, daß mir das schon genügt Der Spaß ist eben die Zusammenarbeit mit diesen Leuten, das ist der Hauptgrund. Hingegen bei der Prosa, was können s' machen? Sie können das abliefern und sagen, ich mochť, daß das so ausschaut. Meine Umschläge entwerfe ich auch selber. Ich mache alles selber, weil das ja sonst auch alles blöd wird. Weil, nur wenn 83 s' was Simples machen, schaut das gut aus und wirkt auch. Wenn s' Graphiker, die da drin berserkern, drüberlassen, dann ist es ja nicht zum Anschauen, abschreckend und grauenhaft. Das schalt1 ich ja alles aus. Bei mir kommt da kein Graphiker mehr drüber, der dann glaubt, man muß einen Schuh abbilden drauf, weil wer geht in dem Buch. Das ist ja so primitiv. Und Theater an sich hat mich schon immer fasziniert, von Kind an. Das ist ja nichts Neues, damit spielt man halt Sie schreiben ein Stück, das für die und die Leute ist und das die dann spielen, wenn sie's machen. Theater ist ja eine diffizile, charakterlose Angelegenheit. Mit Charakter ist ja noch kein Theaterstück entstanden, mit Moral auch nicht Sind lauter Schweinigeln und lauter schwache Leuť. Und aus dem kann unter Umstanden was Größeres oder weniger Scheußliches entstehen. Und außerdem, so großartig sind die Sachen alle nicht. Ich war neulich im Theaterhaus, und das war so scheußlich, das war so grauenhaft, wie ich in meinem Leben überhaupt noch nie eine Aufführung gesehen hab'! Unmotiviert, hirnlos, und die Leute haben auch richtig reagiert, indem sie drin gesessen sind und das für bare Münze genommen haben. Es war eben nichts. Weil die Schauspieler unmöglich waren. Die spielen das jetzt schon so, nach einem Jahr. Da fahr' ich hin und zieh' das ab und fahr wieder weg. Das hat ja mit Theater, wie ich's mir vorstelle, nichts zu tun. Das gelingt eh meistens nur zehn, zwölf Vorstellungen lang. Da wird's am besten, dann sackt's ja wieder ab. Da müßt' man's am Besten wieder in die Hand nehmen, die alle auspeitschen und noch einmal von vorne an- 84 fangen und ihnen sagen, wie scheußlich sie alle sind. Wenn man's laufen läßt, wird es so grauenhaft, daß man damit gar nichts mehr zu tun haben kann und will. Das ist wie die Buttererzeugung im Milchhof. Ich bin ein Gegner von Anweisungen, das erdrückt ja jedes Stück. Regieanweisungen ergeben sich von selbst aus dem ^ Text. Und Schriftsteller, die so was machen, sind immer die schlechten. Je mehr Anweisungen, desto weniger Freiräume, für den Schauspieler und den Regisseur. Es müßte der Text so zwingend sein, daß völlig daraus hervorgeht, was das ist, und wenn der Text die Kraft nicht hat, dann nützt das gar nichts, wie beim Hochhut oder so Leuten, wo's dann fünf Viertel Anweisungen gibt und ein Viertel unmöglichen, lahmen Text, nämlich ungeistig, unemotional, unpoetisch, also alles mit „un". Beim Shakespeare, da gibt's keine Anweisungen. Mehr als „das steht in einem Palast oder auf einem Thron", „links" oder „rechts", gibt es nicht. Es ergibt sich alles aus dem Text. So müßte es eigentlich sein. Das heißt, man sieht ja alles, das muß man ja nicht hineinschreiben. Nur sind die Schauspieler so primitiv und blöd, daß man ihnen eigendich immer alles sagen muß, wenn es nicht hervorragende sind. Aber Berühmtheit schützt vor Blödheit nicht. Ich habe mit siebzehn, achtzehn Jahren bei Proben, wo ich mir an den Kopf gegriffen hab', gedacht, was ist das, ein weltberühmter Mann, und dem muß der Regisseur noch sagen, wenn dein Partner das sagt, mußt du das denken. Und so arbeiten die an den Stücken. Ist doch unmöglich. Und bei Namen, wo man als Kind auf den Hintern fällt vor Bewunderung. Und die Leuť sind nicht einmal wert, daß 85 man ihnen mit dem Kochlöffel eine auf die Finger gibt Das gibťs aber immer und überall. Das Theater bringt mir außer Geld einfach die Erhaltung meiner Freundschaften, oder Menschen, Beziehungen zu Menschen. Weil sie im Theater zwangsweise, ob sie wollen oder nicht, mit Leuten zusammenkommen. Kommen s' mit einem Bühnenbildner zusammen, mit dem reden s' und unterhalten sich, wie das sein soll, und da treffen sie einen Schauspieler, und dann sehen sie, aha, vor drei Jahren haben s' ihn gesehen, jetzt ist er drei Jahre älter und sie sind es auch, jetzt hat er mehr Humor oder weniger, jetzt hinkt er am linken Bein oder nicht, das ist alles sehr spannend. Und der eine wird krank und der andere stirbt, der dritte mag dann nicht mehr, das ist doch alles aufregend. Die Möglichkeiten von so einem Schauspieler sind ja eigentlich noch größer, aber die Sache selbst ist auch wieder eine lahme, die Verwirklichung ist immer lahm. Es wird einerseits oft was Besseres, als ich es mir vorgestellt habe, aber oft was anderes. Also ist es wieder unbefriedigend. 86 Ich beschimpfe überhaupt niemanden Kein Mensch ist so objektiv, daß er irgendwie einen anderen einschätzen könnte. Wenn er das macht, so ist es aus irgendwelchen Beweggründen: Entweder aus Selbsterhaltung lobt er ihn, oder er verachtet ihn. Das ist immer Diplomatie. Wenn sie den Pollini fragen würden: „Signore Pollini, wie rinden Sie den Herrn Benedetti Michelangelo?", dann gibt er ihnen entweder eine Watschn oder er findet das einfach empörend. Das kann man nicht beantworten. Nur wenn sie dann ganz alt sind, so wie der Rubinstein, dann sagen sie, alles ist ein Scheißdreck, außer das, was ich mache. Und ich bin auch restlos überzeugt, weil er absolut der Beste ist. Und da kann er das ruhig sagen. Und wenn er dreimal sowas macht, ist es völlig eindeutig, daß er alle Jungen noch einsteckt und besser ist Nur, er stirbt, und ein anderer ist wieder so gut. Als junger Mensch wollen s' ja überall hinein. Da schreibt 87