www.graf-gutfreund.at copyright by I G G SABIT Als ,,Gastarbeiter" in Österreich Ich sah das Inserat in meiner türkischen Heimatstadt auf dem Gemeindeamt: ,,Österreich sucht dringend Arbeitskräfte! Wenn Sie sich für einen Arbeitsplatz in Europa interessieren, melden Sie sich bitte innerhalb einer Woche." Das war 1973. Ich war damals 26 Jahre alt, bereits verheiratet und hatte drei Kinder, denen ich eine Ausbildung und einen guten Lebensstandard bieten wollte. Ich besprach die Sache mit meiner Frau und meldete mich. Ein paar Tage darauf wurde ich schon nach Istanbul zur amtsärztlichen Untersuchung eingeladen. Die Blutwerte wurden gecheckt, wir wurden auf Krankheiten getestet und der ganze Körper wurde auf Verletzungen oder Operationsnarben untersucht. Wer schlechte Zähne hatte oder physisch nicht topfit war, wurde abgewiesen, Frauen wie Männer. Den Männern, deren Haarwuchs infolge des Alters bereits spärlich war, wurde geraten, sich eine Perücke zu besorgen. Ich gehörte zu den Auserwählten und bekam ein Ticket nach Österreich. Die Arbeit begann schon am nächsten Tag. Ich wurde als Eisenbieger auf der Großbaustelle Karlsplatz mitten in Wien eingesetzt. Ich fand eine kleine Wohnung, konnte sie mit dem Geld bezahlen, das ich wöchentlich verdiente und für meine Familie blieb auch noch was übrig. Dem Vermieter musste ich versprechen, dass keine Kinder in der Wohnung leben würden. Mietvertrag bekam ich keinen, ich ging davon aus, dass wie in der Türkei die mündliche Abmachung gilt. Mein ursprünglicher Plan war, nur zwei bis drei Jahre in Österreich zu arbeiten, um danach wieder in die Türkei zurück zu kehren. Aber ich stellte fest, dass das Leben hier nicht viel anders als bei uns ablief, dass es genug Arbeit gab und dass vielleicht auch meine Familie, die ich sehr vermisste, sich hier eingewöhnen könnte. Ohne Frau und Kinder hielt ich es nämlich gerade nur ein Jahr aus. Während des ersten Türkeiurlaubs beschlossen meine Frau und ich, dass wir die Trennung nicht länger ertragen wollten und so kam meine Familie mit mir nach Österreich. Aber ich hatte ja den Wohnungsvermieter mein Wort geben müssen, dass es niemals Kinder in der Wohnung geben würde. In Wien angekommen bemühten wir uns alle ganz leise zu sein, aber bei normalen Kindern geht so was natürlich nicht lange gut. Eine Woche später war es geschehen: Der Vermieter sah meine Kinder, klingelte an der Tür und sagte: ,,Du hast mich angelogen. Ich gebe dir drei Wochen, um mit Sack und Pack zu verschwinden!" Hätte ich meine Kinder wegschmeißen sollen? Am Arbeitsplatz schilderte ich meine missliche Lage und alle versuchten mir bei der Wohnungssuche zu www.graf-gutfreund.at copyright by I G G helfen. Aber es blieb nur wenig Zeit dafür. Schließlich fand sich ein einzelnes Zimmer am Stadtrand, ohne Wasser, ohne Küche, ohne WC, es war einfach nur ein umgebauter ehemaliger Schweinestall ­ für 1.800 Schilling (130 Euro) monatlich. Das war 1973 sehr viel Geld. Einen Monat verbrachten wir dort, dann hörte ich von einer freien Wohnung und sprach bei deren Besitzerin vor. Sie wollte 10.000 Schilling Ablöse und ich bemühte mich, zumindest die Hälfte davon bei Freunden zu borgen. Den Rest wollte ich per Ratenzahlung begleichen. Als ich das nächste Mal bei ihr vorsprach, verlangte sie plötzlich 30.000 Schilling, dafür sollte die Miete niedrig bleiben. Ich willigte ein, was blieb mir anderes übrig? Ich konnte meiner Familie den Schweinestall nicht länger zumuten. Dass es so etwas wie einen Mietvertrag gab, wusste ich noch immer nicht. Nach ein paar Monaten klingelte die Hausbesitzerin an meiner Tür: ,,Sie zahlen ab sofort den dreifachen Zins. Was glauben Sie, Sie sind in Österreich, da werden Wohnungen nicht verschenkt!" Jedes Jahr stieg der Zins weiter und weiter. Einige Jahre danach, wir hatten uns bereits eingelebt, kam ich mit meinem Nachbarn ins Gespräch. Er erzählte, dass er wegen seiner überhöhten Miete vor Gericht gehen wolle und fragte mich, ob ich mitziehen wolle und wo mein Mietvertrag sei. ,,Was ist das?", war meine Antwort und er klärte mich auf. Ich ging zur Hausbesitzerin, fragte nach, doch sie wies mich ab. Ich drängte nicht darauf, denn ich hatte Angst, dass sie mich aus der Wohnung schmeißen würde. Aber ich brauchte eine Bestätigung für das Finanzamt, dass ich einen festen Wohnsitz hatte. Und diesen Zettel stellte sie mir handschriftlich aus. Schließlich gelang es mir, mithilfe dieses Schriftstücks vor Gericht die Rechtmäßigkeit meines Mietverhältnisses durchzusetzen. Inzwischen sind 34 Jahre vergangen. Meine mittlerweile sechs Kinder sprechen alle perfekt Deutsch, haben einen Beruf erlernt, arbeiten hier und haben bereits selber wieder geheiratet und Kinder bekommen. Ich bin glücklicher Opa von neun Enkelkindern. Das jüngste ist drei Jahre alt und heißt Michi. Sabit K. lebt in Wien