Hörverstehen 1. Hörverstehen und rezeptive Tätigkeiten 2. Die Entwicklung rezeptiver Fähigkeiten und Fertigkeiten an authentischen Texten 1. Hörverstehen und rezeptive Tätigkeiten Das Hörverstehen gewinnt erst in den 70er Jahren an der Bedeutung im Fremdsprachenunterricht: Bisher wurde vor allem Grammatik bzw. später die Sprechfähigkeit geübt. Allmählich setzte sich nämlich die Erkenntnis durch, dass das auditive Erfassen von Inhalten vom Hörer ein hohes Maß an Aktivität erfordere (vgl. JANÍKOVÁ, /MICHELS-McGOVERN, 2004, 40). HEYD bemerkt in diesem Zusammenhang, dass sich die rezeptiven Tätigkeiten zu den produktiven wie 5 : 6 verhalten, d.h. dass wir etwa 3,5mal so viel lesen wie wir schreiben (vgl. HEYD, 1991, 108). Ferner macht sie darauf aufmerksam, dass das im Fremdsprachenunterricht so bevorzugte Sprechen in der kommunikativen Umwelt an dritter Stelle stehe und hinter dem Lesen rangiere (vgl. ebd.). 2. Die Entwicklung rezeptiver Fähigkeiten und Fertigkeiten an authentischen Texten Die rezeptiven Fähigkeiten und Fertigkeiten sollten unbedingt an authentischen Texten geübt werden. Nun bedeute „authentisch“ nicht unbedingt, dass der Text dokumentarisch sein müsse. Er könne für den Unterricht adaptiert werden, muss aber die typischen Merkmale authentischer Texte aufweisen: * er muss etwas mitteilen wollen (und zwar nicht nur situativ verpackte Grammatik), * er muss sich an einen Hörer/Leser wenden * er muss die seiner Textsorte entsprechende Form aufweisen. NEUNER macht darauf aufmerksam, dass nicht jeder authentischer Text für den Unterricht geeignet sei; nicht jeder Text wirke schon dadurch motivierend, dass er „echt“ sei. Andererseits sei aber auch kein authentischer Text zu schwer. Die frage sei, was der Schüler an einem Text lernen solle (globales Verstehen oder einzelne Details?) und wie man ihm helfen sollte, die gesteckten Ziele zu erreichen (vgl. NEUNER/KRÜGER/GREWER, 1981, 153). Bei den rezeptiven Vorgängen des Lesen und Verstehens sowie des Hörens und Verstehens handele es sich um die äußerst aktiven Tätigkeiten des Auswählens, Ordnens und Interpretierens von Informationen. Wie laufen diese Vorgänge ab? Beim Muttersprachler verlaufe das verstehen eines Originaltextes etwa folgend: 1. Auswählen Der Muttersprachler erstelle sich praktisch eine vereinfachte Textstruktur, indem er sich beim Hören/Lesen auf die Schlüsselinformationen konzentriere. Syntaktische Gefüge entschlüssele er über Signalwörter (weil = Begründung, wenn = Bedingung). 2. Ordnen Der Muttersprachler habe eine bestimmte Erwartungshaltung gegenüber einem Text, er erwarte ganz bestimmte Informationen von ihm, denn er stelle sich auf die Textsorte ein. 3. Interpretieren Das was der Hörer/Leser dem Text entnommen habe, setze er nun in Beziehung zu seinem Vorwissen und seiner Voreinstellung zum Inhalt des Textes, die durch seinen kulturellen Hintergrund vorgeprägt sei. (vgl. HEYD, 1991,109f). BEISPIEL Das wird am Beispiel „Kochrezept“ gezeigt: An Informationen erwartet man: 1. Angaben der benötigten Zutaten bzw. Geräte, 2. Angaben der Arbeitsschritte (zeitliche Abfolge), An grammatischen Formen können auftreten: 1. Signalwörter, die eine zeitliche Abfolge anzeigen: zuerst, dann , danach, gleichzeitig, nach…Minuten; 2. Infinitivsätze (auf Verpackungen): unpersönlich, oder 3. Konjunktive (man nehme…): veraltet, oder 4. Imperative (nehmen Sie…) 5. Modale Fügungen (Zuerst musst du…): typisch für mündliche Erläuterungen eines Rezepts. Bei der Vorbereitung des Hörverständnisses muss sich der Lehrer entscheiden was für einen Text er wählt: Bei der Auswahl der Texte sollten die Hauptarten der gesprochenen Sprache berücksichtigt werden: + die spontane freie Rede, die sich auszeichnet durch viele Redundanz, Wiederholungen, abgebrochene Gesprächseröffnungen, Unterbrechungen durch andere Sprecher, elliptische Sätze; + die vorbereitete freie Rede, wie sie in Diskussionen und Interviews anzutreffen ist, vorab geplant und damit stark gelenkt; + die schriftlich fixierte, vorgelesene oder vorgetragene Rede (Nachrichten, Kommentare, Vorlesungen), die stärker organisiert ist und größere Informationsdichte aufweist. (vgl. HEYD, 1991,116) Bei der Hörschulung unterscheidet man die Aufgaben vor dem Hören, während des Hörens und nach dem Hören. BEISPIEL: Vorentlastung des Hörtextes durch * Hinweise auf Situation und Thema: z.B.: „Thomas ist Student und sucht ein Zimmer. Er hat eine Annonce in der Zeitung gelesen und ist daraufhin zur Wohnung der Vermieterin gefahren. Sie hören jetzt die Unterhaltung zwischen ihm und der Vermieterin.“ Erwartung: zwei Stimme verschiedenen Alters, Wortfeld Zimmer mieten/ vermieten, sprachliche Aktivitäten: besichtigen, Zustimmung/Ablehnung ausdrücken. * Unterhaltung in der Fremd- oder in der Muttersprache über das Thema; * Organisation des Vorwissens (advance organizer, Collage…); * Hinweise auf Textsorte oder Besonderheit des Textes: „Jetzt hören Sie Nachrichten. Der Sprecher redet ziemlich schnell. Aber das Wichtigste können Sie trotzdem verstehen.“ * Hören einer sprachlich vereinfachten Version des Textes: Zuerst wird mit einem erstellten Text gearbeitet, danach mit der Originalaufnahme. * Lesen und Verstehen einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung. (vgl. NEUNER et al, 1980, 138). In der eigentlichen Hörphase können Vorgaben das Verständnis erleichten * Schlüsselwörter als Leitfaden durch den Text. Sie schulen den Lerner gleichzeitig, zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Die Schlüsselwörter müssen vor der Textpräsentation verstanden sein und können während der Hörphase schriftlich vorliegen. * Leitfragen an der Tafel; sie zeigen dem Lerner, worauf er beim Hören achten soll. Man kann aber auch gezielte Aufgaben stellen * selektiv zu hören, um bestimmte Informationen herauszufinden oder einen Teil des Textes besonders gut zu verstehen. Einzelne Gruppen konzentrieren sich auf verschiedene Teile des Hörtextes. * nur die Hauptideen/-informationen herauszufinden (Globalverstehen): Wer tut was? Was geschieht wo? wann? wie? warum? * zu jedem Abschnitt Schlüsselsätze oder wichtige Einzelheiten zu notieren, die für das Textverständnis von Bedeutung sind. Weitere Aufgaben in dieser Phase können sich beziehen auf * die Form: wiederkehrende Ausdrücke, bestimmte Begriffe, die Verbindung von Sätzen sollen besonders beachtet bzw. notiert werden; * die Textsorte: Die lerner sollen feststellen, ob der Text mehr informierenden oder mehr beeinflussenden Charakter hat; * die Absicht des Sprechers: will er mehr informieren oder beeinflussen? Entsprechende Sätze sind zu notieren. Der Lerner soll erkennen, dass sich Texte immer an Adressaten wenden und dass die kommunikative Absicht leichter zu erkennen ist, wenn man die Zielgruppe weiß. (vgl. HEYD, 1991,116f). Der Lerner hört den Text mehrmals, gegebenenfalls in kürzeren Abschnitten. Während des Hörens kann er z.B. ein Raster mit den gehörten Informationen ausfüllen. Er kann auch den Text in der geschriebenen Form, jedoch mit Lücken bekommen und in der Hörphase die Lücken ausfüllen. Diese Art von Hörschulung nennt man gelenktes Hören. Beim nichtgelenkten Hören hört der Lerner zuerst den Text, danach werden ihm die genannten Übungen gegeben. Sie überprüfen dann aber nur sein Hörverständnis, helfen nicht, es zu entwickeln. (vgl. ebd., 117) Aufgaben nach dem Hören * Erstellung der richtigen Reihenfolge z.B. von zugeordneten Bildern; * Zusammenfassung des Textes, frei oder mit Hilfe von Notizen, evtl. in der Muttersprache. (vgl. ebd.)