trat — seine alte Mutter und sein jüngerer Bruder hatten ihn abgeholt -, sah er einen großen struppigen Köter, der sich vor der Tür einer Schankwirtschaft herumtrieb. Er erklärte sogleich, das sei kein anderer als Frau Therese Endlichers verlaufener Bully, der auf den Namen Riki höre und 3. Bezirk, Ungargasse 23, gegen hohe Belohnung abzugeben sei. Er versuchte, sich dem Hund mit freundlichen Worten zu nähern. Der Hund knurrte, fletschte die Zähne und fuhr nach Georg Pichlers rechter Wade. Sie fuhren in der Elektrischen. Der Bruder trug den Rucksack und bot Georg «Ägyptische» an. Die Mutter verlangte, er solle etwas aus Rußland berichten. Georg Pichler sagte, aus Rußland wisse er nichts Erzählenswertes. Sein Blick war im Vorüberfahren auf das Firmenschild einer Rasierstube gefallen. «Friedrich Huschak, Friseur», las er: — «Ich möchte wissen, ob dieser Huschak ein Verwandter des Professors Huschak ist, der am 12.Oktober igiö im großen Saal des anatomischen Instituts den Vorschlag über den mikroskopischen Aufbau der menschlichen Lunge gehalten hat.» — Am Abend fand sich Georg Pichler in «Otto Remisch's Bierhalle», Mariahilfer Gürtel 18, ein. Er trat auf den Wirt zu und hielt ihm die Hand hin. «Meine herzlichsten Glückwünsche, wenn auch verspätet.» Der Wirt zog an dem Stummel seiner Zigarre und machte ein dummes Gesicht. «Meine allerherzlichsten Glückwünsche zum fünfundzwanzigsten Geschäftsjubiläum», wiederholte Pichler. «Ach so», meinte der Wirt. «Ist schon lang nimmermehr wahr. I' hab eh net wollen, daß 's in die Zeitungen einerkummt. Aber der Herr Doktor, der was alle Abend auf an G'spritzten herkommt - dort sitzt er, die Ehre, Herr Doktor, die Ehre! - hat sich's net nehmen lassen.» «Und wie ist denn eigentlich der Prozeß der Holzverwertungsgesellschaft ausgegangen?» fragte Pichler. Der Wirt erklärte, er hätte niemals einen Prozeß geführt. «Ich meine den interessanten Prozeß, den die Holzverwertungsaktiengesellschaft gegen das Ärar angestrengt hat.» Der Wirt sagte, von diesem Prozeß wisse er nichts. In Georg Pichlers Vorstellung waren die Personen, die er aus dem Zeitungsblatt vom 12.Oktober kannte, untrennbar miteinander verknüpft. Jeder wußte von allen anderen. Der Bezirksrichter Dr. Bendiener zitterte mit Frau Therese Endlicher um den Bully «Riki», der ihr abhanden gekommen war. Tief erschüttert schritt Professor Huschak im Leichenzug des nach kurzem Leiden verblichenen kaiserlichen Rates Kronfeld. «Der Prozeß», belehrte Pichler den Wirt, «fand am 12. Oktober 1916, dem Tag Ihres fünfundzwanzigjährigen Geschäftsju-buläums statt. Sie müssen unbedingt davon wissen.» Der Wirt sah ihn mißtrauisch an, machte dem Oberkellner ein Zeichen, zuckte die Achseln und verschwand hinter dem Schanktisch. Am nächsten Morgen las Georg Pichler die Zeitung. Die Lektüre langweilte ihn. Er fand in ihr Ereignisse, die ihn verwirrten, und Namen von Menschen, die ihm gar nichts bedeuteten. «Es ist merkwürdig», sagte er zu seinem Bruder, «wie wenig Interessantes seit einiger Zeit die Zeitungen bringen. Man liest die Sachen, und eine Stunde später weiß man nicht mehr, was man gelesen hat.» 36