Heinrich Heine – Romantische Schule Über F. Schlegel: Ich habe schon in dem vorigen Abschnitt bemerkt, daß Friedrich Schlegel bedeutender war als Herr August Wilhelm; und in der Tat, letzterer zehrte nur von den Ideen seines Bruders und verstand nur die Kunst, sie auszuarbeiten. Fr. Schlegel war ein tiefsinniger Mann. Er erkannte alle Herrlichkeiten der Vergangenheit, und er fühlte alle Schmerzen der Gegenwart. Aber er begriff nicht die Heiligkeit dieser Schmerzen und ihre Notwendigkeit für das künftige Heil der Welt. Er sah die Sonne untergehn und blickte wehmütig nach der Stelle dieses Untergangs und klagte über das nächtliche Dunkel, das er heranziehen sah; und er merkte nicht, daß schon ein neues Morgenrot an der entgegengesetzten Seite leuchtete Der arme Fr. Schlegel, in den Schmerzen unserer Zeit sah er nicht die Schmerzen der Wiedergeburt, sondern die Agonie des Sterbens, und aus Todesangst flüchtete er sich in die zitternden Ruinen der katholischen Kirche. Diese war jedenfalls der geeignetste Zufluchtsort für seine Gemütsstimmung. Er hatte viel heiteren Übermut im Leben ausgeübt; aber er betrachtete solches als sündhaft, als Sünde, die späterer Abbuße bedurfte, und der Verfasser der »Lucinde« mußte notwendigerweise katholisch werden. Über Novalis: Novalis wurde geboren den 2ten Mai 1772. Sein eigentlicher Name ist Hardenberg. Er liebte eine junge Dame, die an der Schwindsucht litt und an diesem Übel starb. In allem, was er schrieb, weht diese trübe Geschichte, sein Leben war nur ein träumerisches Hinsterben, und er starb an der Schwindsucht im Jahr 1801, ehe er sein neunundzwanzigstes Lebensjahr und seinen Roman vollendet hatte. Dieser Roman ist in seiner jetzigen Gestalt nur das Fragment eines großen allegorischen Gedichtes, das, wie die »göttliche Komödie« des Dante, alle irdischen und himmlischen Dinge feiern sollte. Heinrich von Ofterdingen, der berühmte Dichter, ist der Held dieses Romans. Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen. ›Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben‹, sagte er zu sich selbst, ›fern ab liegt mir alle Habsucht; aber die blaue Blume sehne ich mich zu erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinne, und ich kann nichts anders dichten und denken. So ist mir noch nie zumute gewesen; es ist, als hätte ich vorhin geträumt, oder ich wäre in eine andere Welt hinübergeschlummert; denn in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hätte da sich um Blumen bekümmert; und gar von einer so seltsamen Leidenschaft für eine Blume habe ich damals nie gehört.‹« Mit solchen Worten beginnt »Heinrich von Ofterdingen«, und überall in diesem Roman leuchtet und duftet die blaue Blume. Sonderbar und bedeutungsvoll ist es, daß selbst die fabelhaftesten Personen in diesem Buche uns so bekannt dünken, als hätten wir in früheren Zeiten schon recht traulich mit ihnen gelebt. Über L. Tieck: Nach den Schlegeln war Herr Ludwig Tieck einer der tätigsten Schriftsteller der romantischen Schule. Für diese kämpfte und dichtete er. Er war Poet, ein Name, den keiner von den beiden Schlegeln verdient. Er war der wirkliche Sohn des Phöbus Apollo, und wie sein ewig jugendlicher Vater führte er nicht bloß die Leier, sondern auch den Bogen mit dem Köcher voll klingender Pfeile. Er war trunken von lyrischer Lust und kritischer Grausamkeit wie der delphische Gott. Hatte er gleich diesem irgendeinen literarischen Marsyas erbärmlichst geschunden, dann griff er mit den blutigen Fingern wieder lustig in die goldenen Saiten seiner Leier und sang ein freudiges Minnelied. Weit kostbarer noch als jene Dramen sind die Novellen, die Herr Tieck in seiner zweiten Manier geschrieben. Auch diese sind meistens den alten Volkssagen nachgebildet. Die vorzüglichsten sind: »Der blonde Eckbert« und »Der Runenberg«. In diesen Dichtungen herrscht eine geheimnisvolle Innigkeit, ein sonderbares Einverständnis mit der Natur, besonders mit dem Pflanzen- und Steinreich. Der Leser fühlt sich da wie in einem verzauberten Walde; er hört die unterirdischen Quellen melodisch rauschen; er glaubt manchmal im Geflüster der Bäume seinen eigenen Namen zu vernehmen; die breitblättrigen Schlingpflanzen umstricken manchmal beängstigend seinen Fuß; wildfremde Wunderblumen schauen ihn an mit ihren bunten sehnsüchtigen Augen; unsichtbare Lippen küssen seine Wangen mit neckender Zärtlichkeit; hohe Pilze wie goldne Glocken wachsen klingend empor am Fuße der Bäume; große schweigende Vögel wiegen sich auf den Zweigen und nicken herab mit ihren klugen, langen Schnäbeln; alles atmet, alles lauscht, alles ist schauernd erwartungsvoll: – da ertönt plötzlich das weiche Waldhorn, und auf weißem Zelter jagt vorüber ein schönes Frauenbild mit wehenden Federn auf dem Barett, mit dem Falken auf der Faust. Und dieses schöne Fräulein ist so schön, so blond, so veilchenäugig, so lächelnd und zugleich so ernsthaft, so wahr und zugleich so ironisch, so keusch und zugleich so schmachtend wie die Phantasie unseres vortrefflichen Ludwig Tieck. Ja, seine Phantasie ist ein holdseliges Ritterfräulein, das im Zauberwalde nach fabelhaften Tieren jagt, vielleicht gar nach dem seltenen Einhorn, das sich nur von einer reinen Jungfrau fangen läßt. Über das Volkslied: Der Charakter jener deutschen Handwerksburschen lebt und webt in dergleichen Volksliedern. Es ist eine merkwürdige Menschensorte. Ohne Sous in der Tasche, wandern diese Handwerksburschen durch ganz Deutschland, harmlos, fröhlich und frei. Gewöhnlich fand ich, daß drei zusammen auf solche Wanderschaft ausgingen. Von diesen dreien war der eine immer der Räsoneur; er räsonierte mit humoristischer Laune über alles, was vorkam, über jeden bunten Vogel, der in der Luft flog, über jeden Musterreuter, der vorüberritt, und kamen sie gar in eine schlechte Gegend, wo ärmliche Hütten und zerlumptes Bettelvolk, dann bemerkte er auch wohl ironisch: der liebe Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen, aber, seht einmal, es ist auch eine Arbeit darnach! Der zweite Weggeselle bricht nur zuweilen mit einigen wütenden Bemerkungen hinein; er kann kein Wort sagen, ohne dabei zu fluchen; er schimpft grimmig auf alle Meister, bei denen er gearbeitet; und sein beständiger Refrain ist, wie sehr er es bereue, daß er der Frau Wirtin in Halberstadt, die ihm täglich Kohl und Wasserrüben vorgesetzt, nicht eine Tracht Schläge zum Andenken zurückließ. Bei dem Wort »Halberstadt« seufzt aber der dritte Bursche aus tiefster Brust; er ist der jüngste, macht zum erstenmal seine Ausfahrt in die Welt, denkt noch immer an Feinsliebchens schwarzbraune Augen, läßt immer den Kopf hängen und spricht nie ein Wort. Wilhelm Müller – Die schöne Müllerin Der Dichter, als Prolog Ich lad euch, schöne Damen, kluge Herrn, Und die ihr hört und schaut was Gutes gern, Zu einem funkelnagelneuen Spiel Im allerfunkelnagelneusten Stil; Schlicht ausgedrechselt, kunstlos zugestutzt, Mit edler deutscher Roheit aufgeputzt, Keck wie ein Bursch im Stadtsoldatenstrauß, Dazu wohl auch ein wenig fromm fürs Haus: Das mag genug mir zur Empfehlung sein, Wem die behagt, der trete nur herein. Erhoffe, weil es grad ist Winterzeit, Tut euch ein Stündlein hier im Grün nicht leid; Denn wißt es nur, daß heut in meinem Lied Der Lenz mit allen seinen Blumen blüht. Im Freien geht die freie Handlung vor, In reiner Luft, weit von der Städte Tor, Durch Wald und Feld, in Gründen, auf den Höhn; Und was nur in vier Wänden darf geschehn, Das schaut ihr halb durchs offne Fenster an, So ist der Kunst und euch genug getan. Doch wenn ihr nach des Spiels Personen fragt, So kann ich euch, den Musen sei's geklagt, Nur eine präsentieren recht und echt, Das ist ein junger blonder Müllersknecht. Denn, ob der Bach zuletzt ein Wort auch spricht, So wird ein Bach deshalb Person noch nicht. Drum nehmt nur heut das Monodram vorlieb: Wer mehr gibt, als er hat, der heißt ein Dieb. Auch ist dafür die Szene reich geziert, Mit grünem Sammet unten tapeziert, Der ist mit tausend Blumen bunt gestickt, Und Weg und Steg darüber ausgedrückt. Die Sonne strahlt von oben hell herein Und bricht in Tau und Tränen ihren Schein, Und auch der Mond blickt aus der Wolken Flor Schwermütig, wie's die Mode will, hervor. Den Hintergrund umkränzt ein hoher Wald, Der Hund schlägt an, das muntre Jagdhorn schallt; Hier stürzt vom schroffen Fels der junge Quell Und fließt im Tal als Bächlein silberhell; Das Mühlrad braust, die Werke klappern drein, Man hört die Vöglein kaum im nahen Hain. Drum denkt, wenn euch zu rauh manch Liedchen klingt, Daß das Lokal es also mit sich bringt. Doch, was das Schönste bei den Rädern ist, Das wird euch sagen mein Monodramist; Verriet' ich's euch, verdürb ich ihm das Spiel: Gehabt euch wohl und amüsiert euch viel! Der Dichter, als Epilog Weil gern man schließt mit einer runden Zahl, Tret ich noch einmal in den vollen Saal, Als letztes, fünfundzwanzigstes Gedicht, Als Epilog, der gern das Klügste spricht. Doch pfuschte mir der Bach ins Handwerk schon Mit seiner Leichenred im nassen Ton. Aus solchem hohlen Wasserorgelschall Zieht jeder selbst sich besser die Moral; Ich geb es auf, und lasse diesen Zwist, Weil Widerspruch nicht meines Amtes ist. So hab ich denn nichts lieber hier zu tun, Als euch zum Schluß zu wünschen, wohl zu ruhn. Wir blasen unsre Sonn und Sternlein aus – Nun findet euch im Dunkel gut nach Haus, Und wollt ihr träumen einen leichten Traum, So denkt an Mühlenrad und Wasserschaum, Wenn ihr die Augen schließt zu langer Nacht, Bis es den Kopf zum Drehen euch gebracht. Und wer ein Mädchen führt an seiner Hand, Der bitte scheidend um ein Liebespfand, Und gibt sie heute, was sie oft versagt, So sei des treuen Müllers treu gedacht Bei jedem Händedruck, bei jedem Kuß, Bei jedem heißen Herzensüberfluß: Geb' ihm die Liebe für sein kurzes Leid In eurem Busen lange Seligkeit! Winterreise Gute Nacht Fremd bin ich eingezogen, Fremd zieh ich wieder aus. Der Mai war mir gewogen Mit manchem Blumenstrauß. Das Mädchen sprach von Liebe, Die Mutter gar von Eh' – Nun ist die Welt so trübe, Der Weg gehüllt in Schnee. Ich kann zu meiner Reisen Nicht wählen mit der Zeit: Muß selbst den Weg mir weisen In dieser Dunkelheit. Es zieht ein Mondenschatten Als mein Gefährte mit, Und auf den weißen Matten Such ich des Wildes Tritt. Was soll ich länger weilen, Bis man mich trieb' hinaus? Laß irre Hunde heulen Vor ihres Herren Haus! Die Liebe liebt das Wandern, – Gott hat sie so gemacht – Von einem zu dem andern – Fein Liebchen, Gute Nacht! Will dich im Traum nicht stören, Wär Schad um deine Ruh, Sollst meinen Tritt nicht hören – Sacht, sacht die Türe zu! Ich schreibe nur im Gehen Ans Tor noch »Gute Nacht«, Damit du mögest sehen, Ich hab an dich gedacht. Der Lindenbaum Am Brunnen vor dem Tore Da steht ein Lindenbaum: Ich träumt in seinem Schatten So manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde So manches liebe Wort; Es zog in Freud und Leide Zu ihm mich immerfort. Ich mußt auch heute wandern Vorbei in tiefer Nacht, Da hab ich noch im Dunkel Die Augen zugemacht. Und seine Zweige rauschten, Als riefen sie mir zu: »Komm her zu mir, Geselle, Hier findst du deine Ruh!« Die kalten Winde bliesen Mir grad ins Angesicht, Der Hut flog mir vom Kopfe, Ich wendete mich nicht. Nun bin ich manche Stunde Entfernt von jenem Ort, Und immer hör ich's rauschen: Du fändest Ruhe dort! Im Dorfe Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten. Die Menschen schnarchen in ihren Betten, Träumen sich manches, was sie nicht haben, Tun sich im Guten und Argen erlaben: Und morgen früh ist alles zerflossen. – Je nun, sie haben ihr Teil genossen, Und hoffen, was sie noch übrig ließen, Doch wieder zu finden auf ihren Kissen. Bellt mich nur fort, ihr wachen Hunde, Laßt mich nicht ruhn in der Schlummerstunde! Ich bin zu Ende mit allen Träumen – Was will ich unter den Schläfern säumen? Der Leiermann Drüben hinterm Dorfe Steht ein Leiermann, Und mit starren Fingern Dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise Schwankt er hin und her; Und sein kleiner Teller Bleibt ihm immer leer. Keiner mag ihn hören, Keiner sieht ihn an; Und die Hunde brummen Um den alten Mann. Und er läßt es gehen Alles, wie es will, Dreht, und seine Leier Steht ihm nimmer still. Wunderlicher Alter, Soll ich mit dir gehn? Willst zu meinen Liedern Deine Leier drehn?