08/04/13 4:18 PMEichlers Eurogoals: Von köpfeln bis kopflos - Eichlers Eurogoals - FAZ Page 1 of 5http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/eichlers-eurogoals/eichlers-eurogoals-von-koepfeln-bis-kopflos-12141468.html http://www.faz.net/-gu2-788f0 HERAUSGEGEBEN VON WERNER D'INKA, BERTHOLD KOHLER, GÜNTHER NONNENMACHER, FRANK SCHIRRMACHER, HOLGER STELTZNER Sport Kolumne Aktuell Sport Fußball Eichlers Eurogoals Eichlers Eurogoals Von köpfeln bis kopflos 08.04.2013 ! Fußballsprache kann reine Poesie sein, zumindest wenn sie aus Österreich stammt. Doch Fußball kann auch brutal sein. So wie manche auftreten, wird das „köpfen“ bald zutreffen. Von CHRISTIAN EICHLER Ö sterreich ist ein Land, in dem Fußball nicht nur anders aussieht als in Deutschland. Sondern auch anders klingt. Warum der Fußball dort anders aussieht, hat der Kabarettist Werner Schneyder, ein Österreicher, mal so erklärt: „Der deutsche Fußballer zeigt seinem Publikum freudig und gerne, dass er es sich leisten kann, geradezu aus Lust noch mehr zu laufen, als es der Spielverlauf erforderte. Der österreichische Fußballer will vom Urbeginn an aus dem Stand gewinnen. Er hat nun erfahren müssen, dass das nicht geht. Also bringt er jetzt ein sichtbares Opfer – er läuft – aber er besteht darauf, dass das Opfer als solches anerkannt wird“. Warum Fußball sich dort auch anders anhört? Das hat mit der wunderbaren Wortkunst und schönen Schmählust dieser Nation zu tun. Dinge, die im Fußballdeutschen der Deutschen oft wie ein Auszug aus einer amtlichen Verordnung der obersten Ballbehörde klingen, klingen im Fußballdeutsch der Österreicher wie Poesie – so weit ein Schauspiel behaarter Männerbeine Poesie zulässt. Ein aktuelles Beispiel. Die Koordination und das Körperteil, mit denen Bastian © DPA Mario Balotelli: Meister der Kapriolen © DPA Werner Schneyder: Meister österreichischer Fußballpoesie 08/04/13 4:18 PMEichlers Eurogoals: Von köpfeln bis kopflos - Eichlers Eurogoals - FAZ Page 2 of 5http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/eichlers-eurogoals/eichlers-eurogoals-von-koepfeln-bis-kopflos-12141468.html Schweinsteiger das Tor zum vorzeitigen Meistertitel des FC Bayern erzielte, hatten etwas Kunstvolles. In dem dafür üblichen deutschen Fußballbegriff, mit seinen zweifach knallenden Doppelkonsonanten, haben sie eher etwas vom Klang strammstehender Rekruten auf preußischen Kasernenhöfen: Hackentrick. Im österreichischen Fußballdeutsch trägt dieselbe Sache einen so zärtlichen Namen, als handele es sich um eine Geliebte. Oder wenigstens eine Mehlspeise: Ferserl. Der Ball wird im Österreichischen zur Wuchtel, der Beinschuss zum Gurkerl. Auch um Worte wie den Zangler (der mit dem Ball was kann) und Tachinierer (der eine Verletzung vortäuscht) beneiden wir die Nachbarn. Während man den Stanglpass (Querspielen vor dem eigenen Tor) oder den Knödelreiter (Pferdekuss) besser meidet, aber doch gern hört. „Ball rund muss in Tor eckig“ Als Deutscher aber hat man es dort nicht einfach, das gilt auch für einen, der das Fußball-Deutsche um ein bleibendes Bonmot bereichert hat: Das Runde muss ins Eckige. Diesen Lehrsatz versucht Helmut Schulte, der den Satz vor zwanzig Jahren als Schalker Trainer in seiner Urfassung noch ein wenig dadaistischer formuliert hatte („Ball rund muss in Tor eckig“), nun auch den Fußballern in Österreich einzubläuen; allerdings noch ohne durchschlagenden Erfolg. Seit vier Monaten ist der Sauerländer Sportdirektor bei Rekordmeister Rapid Wien, schon muss er sich verbal hinter Trainer Peter Schöttel stellen, dessen Team bei 22 Punkten Rückstand auf den Lokalrivalen Austria längst ohne Titelchance ist. Nach dem neunten sieglosen Spiel in Serie, einem 1:1 in doppelter Überzahl beim Tabellenletzten Wacker Innsbruck, droht dem Weltstadt-Klub nun sogar der Verlust eines EuropaLeague-Platzes, und das gegen einen Aufsteiger mit dem sehr un-weltstädtischen Namen „Riegler & Zechmeister Pellets Wolfsberger Athletik Club“. Der Kärntner Kleinstadtverein hat in den letzten neun Spielen, von denen er keins verlor und das neunte sensationell 4:0 bei Tabellenführer Austria gewann, 16 Punkte auf Rapid aufgeholt und liegt nur noch einen Punkt zurück. Köpfen oder köpfeln? Alles Kopfsache? Das führt uns zu einem weiteren österreichischen Fußballfachbegriff, dessen Feinheit man aber erst auf den zweiten Blick erkennt. Denn er unterscheidet sich nur in einem winzigen Buchstaben von dem Wort, das in Deutschland für dieselbe Sache gebräuchlich ist. Der Autor dieser „Eurogoals“ erinnert sich mit einer gewissen Reizbarkeit an einen österreichischen Leser, der vor einigen Jahren nahezu regelmäßig per Brief eine Korrektur verlangte, wenn in einem Fußballtext das Wort „köpfen“ stand. Es müsse vielmehr „köpfeln“ heißen – denn nach dem Köpfen ist der Kopf ab, nach © DPA Bastian Schweinsteiger: Deutscher Meister mit „Ferserl“ © DPA Helmut Schulte: Sportdirektor mit fußballerischem Lehrsatz 08/04/13 4:18 PMEichlers Eurogoals: Von köpfeln bis kopflos - Eichlers Eurogoals - FAZ Page 3 of 5http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/eichlers-eurogoals/eichlers-eurogoals-von-koepfeln-bis-kopflos-12141468.html dem Köpfeln aber noch dran. Und letzteres ist ja meistens der Fall beim Fußball. Allerdings sind uns in dieser Hinsicht zuletzt Zweifel gekommen, weswegen wir dem Einwand aus Österreich inzwischen etwas mehr Verständnis entgegenbringen. Bei einigen Szenen, die sich auf europäischen Plätzen in den letzten Wochen mit Tritten, Grätschen und Schussversuchen in Kopfhöhe abspielten und statt des Balles ein anderes kugelförmiges Gebilde, nämlich den Kopf eines Gegenspielers erwischten, scheint der Fußball des Jahres 2013 dem Köpfen im klassischen Wortsinne von 1789 gar nicht mehr so fern. Vor einer Woche verpasste der Stuttgarter Martin Harnik (übrigens ein Österreicher) der Nase des Dortmunders Marcel Schmelzer mit einem knallharten Tritt in Kopfhöhe eine eigenartige Verwandlung – sie erinnerte danach eher an ein modernes Kunstwerk, eines aus der kubistischen Periode von Picasso; oder eine dekonstruktivistische Arbeit, bei der ausschließlich die Farbe Rot zum Einsatz kam. Nun mögen robuste Naturen einwenden, dass beim Fußball schon mal eine Nase zu Bruch geht. Und dass es Schlimmeres gibt. Aber will man darauf wirklich warten? Es deutet sich Schlimmeres an. „Karatekick“ Stollen voran Beim 1:1 im englischen Abstiegsduell zwischen den Queens Park Rangers und Wigan am Sonntag unterzog Bobby Zamora mit einer von den englischen Zeitungen als „Karatekick“ bezeichneten Flugeinlage mit durchgestrecktem Bein, Stollen voran, das Genick von Jordi Gomez einer Belastungsprobe. Die Halswirbel des Wigan-Profis hielten ihr zum Glück stand. Rot war hier nur die Farbe der Karte, die folgte. Noch brutaler ging es im ungleichen Duell von Fuß und Kopf vor zwei Wochen zu, beim 2:1-Sieg der Ukrainer in der WM-Qualifikation gegen Moldau, als ein mit voller Wucht ausgeführter Tritt mit gestrecktem Bein in zwei Metern Höhe einen moldauischen Spieler fast wie eine Guillotine am Übergang vom Nacken zum Schädel erwischte, wie in diesem Youtube-Video zu sehen ist. © AFP Martin Harnik (rechts): Tritt in Kopfhöhe © DPA Marcel Schmelzer: Nase geht schon mal zu Bruch © AFP Bobby Zamora (Mitte): Stollen voran ins Genick des Gegners 08/04/13 4:18 PMEichlers Eurogoals: Von köpfeln bis kopflos - Eichlers Eurogoals - FAZ Page 4 of 5http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/eichlers-eurogoals/eichlers-eurogoals-von-koepfeln-bis-kopflos-12141468.html © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2012 Alle Rechte vorbehalten. Das Unglaublichste daran war die gespielte Überraschung von Taras Stepanenko über die Rote Karte, die er erhielt. Und tatsächlich gab es auch hier Stimmen, die ihn verteidigten, mit der Begründung, er habe ja nur auf den Ball geschaut. Wer aber in einem dicht besiedelten Strafraum den Fuß derart hoch führt, macht ihn zur Waffe. Und weiß, dass er die Gesundheit anderer riskiert, selbst wenn er sie nicht sieht. Wird Balotelli etwa erwachsen Die Ellbogenschläge zum Gesicht, noch vor ein paar Jahren eine hässliche Plage, hat man durch konsequente Bestrafung deutlich eingedämmt. Bei den Tritten zum Gesicht dagegen gilt unbegreiflicherweise bei vielen offenbar immer noch die Unschuldsvermutung. Wenn das so weiter geht, endet es irgendwann nicht mehr mit kaputten Nasen oder losen Zähnen, sondern mit einem gebrochenen Schädel. Diese zunehmende Unsitte ist rücksichtslos, hirnlos, kopflos. Es ist halt nie ganz genau zu sagen, was im Kopf von Fußballern so vor sich geht, am wenigsten allerdings bei Mario Balotelli. Der unberechenbare Stürmer, der im Januar nach Italien zurückgekehrt war, hat ein bisschen gebraucht, bis er seine vorübergehend irritierten Fans wieder beruhigen konnte. Sieben Spiele, sieben Tore, keine Kapriolen, der wird doch nicht etwa erwachsen geworden sein? Nein, keine Angst. Am Samstag, auf dem Weg zum Auswärtsspiel nach Florenz (wo der AC Mailand nach 2:0-Führung in Überzahl nur 2:2 spielte), wurde Balotelli von einem Schaffner beim Rauchen in der Zugtoilette ertappt. Klub-Chef Adriano Galliani kündigte an, ihm „die Ohren langzuziehen“. Denn das ist natürlich verboten für Zugreisende in Italien und für Fußballprofis in aller Welt – das, was der Österreicher gern auch als eine bölfern, schmelzen, stauben, stucken, tschedern oder tschicken bezeichnet. Der Deutsche wiederum als: eine paffen, schmöken, anzünden – wobei Balotelli ja auch schon mal, wie in Manchester, nicht nur eine Zigarette anzündet, sondern ein ganzes Badezimmer. Fassen wir es so zusammen: Er hat mal wieder den Balotelli gemacht. Weitere Artikel F.A.Z.-Themenseite Eichlers Eurogoals 1:0 in Frankfurt: Hacke, Spitze, Schweinsteiger Quelle: FAZ.NET Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben © AFP Mario Balotelli: bölfern, schmelzen, stauben Suchbegriff eingeben 08/04/13 4:18 PMEichlers Eurogoals: Von köpfeln bis kopflos - Eichlers Eurogoals - FAZ Page 5 of 5http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/eichlers-eurogoals/eichlers-eurogoals-von-koepfeln-bis-kopflos-12141468.html