Experimentelle Archäologie- Steingerätetechnologie Franz Pieler Die Steinzeit- ein kulturhistorischer Überblick Die Benennung durch Montelius in seinem Dreiperiodensystem basierte aufgrund des hauptsächlich benutzten Werkzeugrohstoffes. Dieses Bild ist allerdings durch die erhaltungsbedingt stark verzerrt. Steinerne Werkzeuge bildeten nur einen kleinen Teilbereich im Leben der Menschen, die zentrale Rolle haben sie erst durch die Archäologie erhalten. Das sozio-kulturelle Umfeld sowie die äußeren Umwelteinflüsse bildeten die wesentlichen Faktoren zur Ausbildung jeweils spezifischer Geräteformen und Industrien. Die Steinzeit umfasst mehr als 95% der Menschheitsgeschichte, den weitaus größten Anteil davon hat die Altsteinzeit. Sie beginnt mit der Entstehung des Menschen vor etwa 3,5 Millionen Jahren und endet mit dem Ende des Würm II Glazials um 10.000 v. Chr. Sie kann entweder geologisch- klimatisch oder kulturell gegliedert werden. Die älteste Phase oder Altpaläolithikum endet etwa um 300.000 bp. (= before presence) Das folgende Mittelpaläolithikum fällt mit dem Eem- Interglazial zusammen, es handelt sich um kulturelle Hinterlassenschaften des Homo sapiens neandertalensis. Mit etwa 40.000 bp., vor Beginn des Würm Hochglazials, wird das Jungpaläolithikum angesetzt. Um 10.000 v. Chr. endet das Quartär, gleichzeitig auch das Jungpaläolithikum. Daran schließt sich die kurze Periode der Mittelsteinzeit an, die etwa um 5500 v. Chr. (im östlichen Mitteleuropa) in die Jungsteinzeit übergeht. Während das Mesolithikum durch nacheiszeitliche Jägerkulturen gekennzeichnet ist, finden wir im Neolithikum die ersten Ackerbauern und Viehzüchter. Dieser Übergang stellt den wohl größten Sprung in der Menschheitsgeschichte dar. Der Vorgang, der durch G. Childe als „Neolithische Revolution“ bezeichnet wurde, wird heute eher als ein komplexer Vorgang und allmählicher Wechsel in der Subsistenz innerhalb einiger Generationen gesehen. Neben der nun einsetzenden Produktion von Keramikgefäßen treten hier vor allem erstmals geschliffene Felssteinartefakte in großer Zahl auf. Durch Urbarmachung und Waldweidewirtschaft greift der Mensch erstmals massiv ins natürliche Ökosystem ein und bewirkt nachhaltige Veränderungen, vor allem was das Wald/Offenland Verhältnis betrifft sowie die Artenzusammensetzung der Vegetation. Obwohl möglicherweise bereits ab dem Mittelneolithikum vereinzelt Kupferartefakte auftreten verändert dies die agrarisch strukturierte Gesellschaft kaum. Im Spätneolithikum werden Tendenzen zur Spezialisierung innerhalb der Gesellschaft erkennbar, wobei das nicht eindeutig mit der zunehmenden Bedeutung der Kupfermetallurgie zusammenhängen muss. Artefakte wie Geweihäxte, die in beinahe normierter Form auftreten, wurden möglicherweise von Spezialisten hergestellt, was zuvor nicht beobachtet werden kann. 1 1. Steingerätetechnologie und experimentelle Archäologie Die materiellen Hinterlassenschaften der (Alt)steinzeit wurden lange Zeit ausschließlich nach rein formalen Kriterien gesammelt und gegliedert. Erst die außergewöhnlich gut erhaltenen Artefakte der Schweizer Seeuferstationen, die ab der Mitte des 19. Jhdts. entdeckt wurden, weckten das Interesse an der Funktionsweise derartiger Geräte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die letzten professionellen Steinschläger in Europa gerade erst wenige Jahre aufgehört, ihr Handwerk auszuüben. Durch die Umstellung der Militärbewaffnung von Feuersteingewehren auf Perkussionszündung waren derlei Künste brotlos geworden. Ethnologische Vorbilder: Ein Hopi- Indianer beim Obsidianbohren. Anhand derartiger Holzsicheln wurde 1892 zum ersten Mal das Phänomen des Sichelglanzes als Abnützungsspur beschrieben und durch Experimente bestätigt. Zu Beginn waren es wenige Enthusiasten und Autodidakten, die mit der Herstellung von Feuersteinartefakten experimentierten. Dabei standen besonders ethnologische Vorbilder, wie etwa der nordamerikanischen Indianer Pate, so etwa die im Südwesten Neumexikos lebenden Hopi, wo zu diesem Zeitpunkt die Obsidianbearbeitung noch ausgeübt wurde. Die eigentliche Initialzündung für konkrete ersuche bildete der Fund von komplett erhaltenen hölzernen Sicheln mit Steineinsätzen in Ägypten. Der auf diesen Einsätzen sichtbare Glanz wurde in Zusammenhang mit der Benutzung als Erntegerät gebracht. Durch Experimente konnte F. Spurell 1892 nachweisen dass alle Artefakte mit derartigen Spuren generell als Erntegerät anzusprechen sind. Die experimentelle Archäologie, soweit sie sich mit Steingerätetechnik und Artefaktmorphologie beschäftigt kann heute im Wesentlichen in zwei Bereich gegliedert werden: Zum einen sind dies die Artefaktbezogenen Experimente, wo es um die Herstellung und Funktionsweise bestimmter Typen geht, sowie dem anfallenden Abfall und Abnützungsspuren. Sehr bekannt, da spektakulär sind Experimente zu Abnützungs/Beschädigungsspuren an Geschoßspitzen. Für die Versuchsanordnung wurden gelegentlich Tierkadaver in Lebensstellung drapiert und beschossen. Die Beschädigungen folgten charakteristischen Mustern, die eine entsprechende Ansprache des archäologischen Fundmaterials erlaubten. Die zweite Gruppe sind die Fundstellenbezogenen Experimente, bei denen Handlungsabläufe und räumliche Organisation von Fundstellen aufgrund der Verteilung von Artefakten und Abfällen nachzuvollziehen. Derartige Experimente sind zumeist auf lange Zeiträume hin ausgelegt, da Verlagerungen durch Umwelteinflüsse und unterschiedliche Überlieferungsbedingungen als wesentliche Faktoren für die Verteilung von Objekten auf Fundstellen angesehen werden. 2 Artefaktbezogenes Experiment zu Beschädigungsspuren auf steinernen Geschoßspitzen. Fundstellenbezogenes Experiment: J. Hahn mit Studenten während der experimentellen Arbeiten am Spitzen Stein, daneben die Befundung des Geländes. 2. Materialien Im Folgenden sollen überblicksmäßig die wesentlichen Materialien, aus denen in der Steinzeit Artefakte hergestellt wurden, vorgestellt werden. Näher eingegangen wird dabei natürlich auf den Feuerstein, da er den weitaus größten Anteil am Fundmaterial hat. 2.1. Silex „Silex“ ist eine ungenaue Bezeichnung, die sich in der Archäologie eingebürgert hat. Es werden darunter generell Gesteine verstanden , die folgende Eigenschaften aufwiesen: Große Härte und Sprödigkeit und muscheliger Bruch. Geologisch -chemisch betrachtet handelt es sich um ein große Vielfalt verschiedener Gesteine. 3 Im Wesentlichen lassen sie sich nach ihrer Entstehung in drei Gruppen einteilen, einerseits die Gruppe der anorganisch entstandenen Gesteine Zu diesen zählen einerseits Vulkanite, wie den Obsidian der auch als vulkanisches Glas bezeichnet wird. Er ist durchscheinend schwarz und homogen, Varianten weisen Luftbläschen auf. Das nächste Vorkommen liegt im ungarischen Vulkangebiet im Bakony- Gebirge. Er entstand durch die schockartige Abkühlung von flüssigem Magma. Moldavit ist dem Obsidian äußerlich sehr ähnlich, es handelt sich allerdings um durch Impakt geschmolzenes Gestein. Dieser Impakt wurde höchstwahrscheinlich durch den Meteoriteneinschlag ausgelöst, bei dem das Nördlinger Rieß gebildet wurde. Moldavite sind sehr selten und treten in Bayern und Böhmen auf, sie zeichnen die Streufläche des nach dem Einschlag hochgeschleuderten Materials nach. Ebenfalls zu den Anorganischen Bildungen zählen die Hydroquarzite. Es handelt sich hierbei um ausgefällte Erosionsprodukte des Serpentinits Die oberflächennahen Teile eines Serpentinitkörpers wurden durch die langanhaltende Einwirkung tropischer Niederschlagswässer regelrecht ausgelaugt, dabei ging auch das Element Silicium teilweise in Lösung. Zusammen mit Sauerstoff bildet es in der Folge Siliciumdioxid (SiO2), das sich in Hohlräumen des Gesteins als Quarz abscheidet. Je nach Art des inneren Aufbaues unterscheidet man zwischen amorphem Opal, feinkristallinem Chalcedon oder Quarz in gut ausgebildeten, klaren Bergkristallen (G. Trnka). Das farbliche Spektrum reicht von durchscheinend über gelblich- honigfarben bis zu bläulich braun und dürfte sich nach gelösten Spuenmineralien richten. Quarzite können ebenfalls zu dieser Gruppe der anorganischen Bildungen gezählt werden, hierbei handelt es sich jedoch um schwach metamorphen Sandstein. Bergkristall, Chalzedon und Opal (v.l.n.r.) Die organisch gebildeten Gesteine werden einerseits nach den in ihnen enthaltenen Mikrofossilien oder nach ihrem geologischen Alter eingeteilt. Es handelt sich um Kieselsäureanreicherungen in ehemaligen Meeressedimenten, die zumeist entweder aus dem Jura oder der Kreidezeit stammen. Jurassische Gesteine finden sich besonders in den Ostalpen 4 und in Südmähren, wie etwa das große Vorkommen im Krumauer Wald bei Brünn. Die reichen nordeuropäischen Vorkommen beispielsweise sind durchwegs jünger und datieren aus der Kreidezeit, weshalb sie auch als Kreidefeuersteine bezeichnet werden. Gebildet wurden diese Gesteine durch die zersetzten Skelette verschiedener Kleinstlebewesen (Plankton). Dese Skelette bestehen zum Großteil aus Kieselsäure, diese reicherte sich im Muttergestein in Klumpen oder Schichten an. Je nach der hauptsächlich beteiligten Spezies können Radiolarite (Radiolarien = Kieselalgen) oder Spongilite (von Schwammnadeln) unterschieden werden. Eie derartige Unterscheidung ist zumeinst aber nur mikroskopisch möglich. Typischerweise ist Radiolarit rot gefärbt, während Kreidefeuerstein oder Plattenhornstein grau –blau erscheint. Besonders bei den Radiolariten ist jedoch die Farbe kein ausschlaggebendes Merkmal, da in denselben Lagerstätten auch völlig abweichende Varietäten in blaugrau, grau oder grün auftreten können. Die Farbe dürfte sich in erster Linie nach eingelagerten Spurenmineralien richten, doch ist dies nicht restlos erforscht. Das qualitativ beste Material dieser Gruppe ist der Nordische Feuerstein oder Flint. Aufgrund seiner guten Qualität und relativ leichten Bearbeitbarkeit wird er zumeinst im Rahmen der experimentellen Archäologie verwendet. Dies hat außerdem den Grund, daß dieses Material in Österreich in der Urgeschichte nicht verarbeitet wurde und eventuelle Verunreinigungen prähistorischer Inventare daher leicht zu erkennen sind. Nordischer Flint oder Kreidefeuerstein (links) und Radiolarit aus den Ostalpen (Tirol) Plattenhornstein aus Abensberg, Bayern. Die Kieselsäure lagerte sich in horizontalen Schichten ab, die nach dem Auskristallisieren solche Platten ergab. Dieses Material wurde bis in den mittleren Donauraum und die Ostalpen verhandelt. 5 Lagerstätten Es wird zwischen primären und sekundären Lagerstätten unterschieden, je nachdem ob sich das Material noch am Ort seiner Entstehung befindet. Bei Umlagerungen in der Nähe des primären Aufschlusses spricht man von Residual-Lagerstätten. Wesentliches Kriterium ist hierbei die Nachvollziehbarkeit der exakten Provenienz. Primäre Lagerstätten sind in der Regel nur durch Aufschlüsse zugänglich, diese können natürlich entstanden sein, wie etwa durch Bachtäler, oder aber durch Bergbau. Ein sehr schönes Beispiel eines primären Aufschlusses ist beispielsweise die Fundstelle im Höllgraben bei Drosendorf, dort schneidet ein kleiner Bach tief durch eine Calzedonader. Aufschluß einer Chalzedonader durch einen Bach im Höllbachgraben bei TrabersdorfPrimmersdorf in der Nähe von Drosendorf, Niederösterreich. (Foto: Trnka) Beispiele für bergmännische Gewinnung von Feuerstein aus primären Lagerstätten wäre etwa die bekanntesten Anlagen von Mauer- Antonshöhe und Lainz Roter Berg bei Wien. Für weite Strecken der Urgeschichte bedeutender waren wohl die sekundären Lagerstätten in den Flussschottern der (Ur)Donau und ihrer alpinen Zuflüsse. Entsprechend seiner Materialeigenschaften weist die Oberfläche eines Radiolarit- oder Chalzedongeröll eine sehr typische genarbte Oberfläche auf. Typische genarbte Oberfläche von Silexgeröllen. Links Chalzedon, rechts Radiolarit.(Foto li. Trnka) 6 3. Schlagtechnik Indirekter (links) und direkter(rechts) Schlag.(nach Honoré 1969) Feuerstein ist, wie oben bereits bemerkt, sehr hart, spröde und bricht muschelig. Diese Eigenschaften können zur Herstellung von Geräten genutzt werden. Dazu werden Phänomene der Bruchmechanik angewendet. Grundsätzlich gibt es 2 Bearbeitungstechniken: Schlagtechnik oder Perkussion, wobei harter und weicher sowie direkter und indirekter Schlag unterschieden werden. Der harte direkte Schlag wird mit einem Schlagstein geführt, der weiche Schlag mit einem Geweih oder Holzhammer. Beim indirekten Schlag wird ein Zwischenstück oder Punch benutzt. Bei der Drücktechnik oder Pression, wird entweder mittels Hebel oder mit Drückstab gearbeitet. Pressionstechnik mittels Drückstab (links) und Hebel (rechts) diese Technik ist besonders bei sehr homogenem Material, wie etwa Obsidian anwendbar. (nach Honoré 1969) Bezüglich der Steingerätetechnik können zwei grundsätzlich verschiedene Industrien unterschieden werden. Einerseits die Kerngeräte, die durch Zurichten des Ausgangsstücks hergestellt werden, und die Abschlagindustrien, die mehrteilige Fertigungsprozesse durchmachen. Unterschiedliche Bearbeitungskonzepte: Kerngerät (links) und Abschlagindustrie (rechts) 7 Schlagfläche Abbaukante Abbaufläche mit Negativen Reduktions- spuren Der Kern Leitgrat für weitere Abschläge Die Abschlagindustrien benötigen einen Kern als Ausgangspunkt für die Grundproduktion. Aus diesen Abschlägen oder Klingen werden in einem zweiten schritt (Sekundärproduktion) die endgültigen Werkzeuge gefertigt. Die Abschläge werden durch Schlagen entlang der Abbaukante von der Abbaufläche abgetrennt. Ventralfläche Dorsalfläche Schlagflächenrest Dorsale Reduktion Abschlagnegativ mit Angelbruch Wallnerlinien länglicher Abschlag mit Schlagmerkmalen basal terminal sinistrolateral dextrolateral Schlagkegel (Bulbus) Wallnerlinien Schlagmerkmale sind typische Bruchmuster die nur durch anthropogene Einwirkung entstehen. Besonders wichtig ist hierbei der Bulbus. Der Schlagflächenrest mit der ehemaligen Abbaukante gibt Auskunft über die Zurichtung des Kerns. 8 Schlagtechnik: wesentlich ist der richtige Winkel, um ein bestmögliches Resultat zu erzielen. Idealerweise sollte er etwas unter 90° betragen.(nach Whittaker 1995) Weiter ist der Winkel zwischen der Schlagfläche und der Abbaufläche zu beachten. Er sollte ebenfalls etwas unter 90° betragen.(nach Whittaker 1995) Falls die Abbaukante zu dünn ausläuft, besteht die Möglichkeit diese durch kleine Schläge zu modifizieren, um eine bestmögliche Klinge zu erhalten (b) Diese Arbeitsspuren bleiben als Negative auf dem Abschlag erkennbar und sind kennzeichnend für eine fortgeschrittenen Technologie.(nach Whittaker 1995) 9 Im Moment des Abschlagens wirken zahlreiche Kräfte auf den Abschlag ein. Bei Materialunregelmäßigkeiten oder zu geringer Schlagenergie kann das Stück abbrechen, es entsteht ein typischer Angelbruch. (nach Whittaker 1995) Primärproduktion: Klingen und Abschläge. Als Klingen werden Artefakte mit einem LängenBreiten Verhältnis von mindesten 3:2 bezeichnet. Diese Geräte sind zum Schneiden bereits bestens geeignet, doch wurden sie oft modifiziert, um sie in Schäftungen einzupassen oder auch für andere Arbeiten verwenden zu können. Diesen Schritt bezeichnet man als Sekundärproduktion . Die Abschläge der Primärproduktion können mithilfe der Pressionstechnik zu Geräten zugerichtet werden. Der Druckstab oder Retucheur ist hierbei in einem anderen Winkel anzusetzen als dies bei der Schlagtechnik notwendig wäre.(nach Whittaker 1995) 10 Retucheur aus Lindenholz mit einem eingesetzten Pfriem aus Geweih (Links, nach Fleckinger und Steiner 1999),Das Prinzip der Kantenbearbeitung: durch Druck auf einer Seite löst sich ein Splitter an der entgegengesetzten Seite. (Mitte, nach Whittaker 1995), Herstellung von Segmenten durch ankerben und durchbrechen(rechts, nach Scheer 1995). Sekundärproduktion: Herstellung eines Schabers aus einem Abschlag. Die Punkte auf der linken Darstellung markieren die Auftreffpunkte für die Retuschen, rechts das fertige Stück. (nach Whittaker 1995) Entwicklung der Schlagtechnologie Die Steingeräte sind unsere Hauptsachquelle für einen Zeitraum von etwa 2 Millionen Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums war der Mensch und seine Vorfahren eine wechselvolle Entwicklung durch, die sich nicht zuletzt auch in den von ihm erzeugten und benutzten Werkzeugen nachvollziehen lässt. Grob kann man die Steingeräte in drei technologische Stufen unterscheiden, in die altpaläolithischen Kerngeräte, die mittelpaläolithische Breitklingenindustrie und in die jungpaläolithischen Schmalklingenindustrien. Im Altpaläolithikum wurden in erster Linie Geröllgeräte hergestellt und benutzt, eine Knolle oder ein Geröll wurde solange bearbeitet, bis es eine Arbeitskante aufwies, der dabei entstandene Abfall wurde nicht weiter verwertet. Die hauptsächlichen Typen bilden Chopper, Chopping Tool, die auch als Geröllgeräte oder Pebble Tools bezeichnet werden. Chopper wurden von einer Seite zugerichtet, Copping Tools jedoch beidseitig. Sie stellen die ältesten Steinwerkzeuge des Menschen dar. 11 Erzeugung (chaine opèratoire) eines Chopping tools. (nach Genéste 1990) Höher entwickelte Formen sind Protobiface, Protofaustkeil und Faustkeil. Diese sind teilweise (Protoformen) oder vollständig flächig retuschiert. Es treten rundlich- ovale bis fast dreieckig oder herzförmige Stücke auf. Hinsichtlich ihrer Verwendung handelt es sich um wenig bis nicht spezifizierte Multifunktionswerkzeuge. Erzeugung (chaine opératoire) eines Faustkeils, (nach Genéste 1990) 12 Erzeugung einer Klinge in der Levallois-Technik.(nach Genéste 1990) Im Mittelpaläolithikum wurde eine richtungsweisende neue Technologie entwickelt, die Abschlagsindustrie. Rohmaterialknollen wurden zunächst zugerichtet, um primäre Abschläge zu gewinnen, aus diesen wurden dann Werkzeuge hergestellt. Nach dem französischen Fundort Le Moustier wird die mittelpaläolithische Industrie als Moustérien bezeichnet. Rohmaterialknollen wurden an allen Seiten so präpariert, dass mit dem letzten Schlag ein fertiges Gerät abgetrennt wurde. Diese Technik wird als Schildkern- oder Levallois Technik bezeichnet. Typischerweise sind auf den fertigen Geräten die Negative der distalen Enden der Präparationsabschläge zu erkennen. Das Jungpaläolithikums ist im Gegensatz zum Moustérien durch Klingenindustrien charakterisiert. Das Jungpaläolithikum kann nach den jeweils vorherrschenden Abschlagindustrien in Aurignacien, Gravettien und Magdalenien unterschieden werden. Die Rohknollen werden zu Kernen zugerichtet, von denen Klingen abgebaut werden. Die Klingen wiederum bilden die Ausgangsform für alle anderen Geräte. Es handelt sich um die Trennung von Grundproduktion und eigentlicher Geräteherstellung. Im Aurignacien wurden die Kerne nur wenig vorpräpariert, man erzielte meist relativ breite und dicke Klingen. Vorwiegend wurden sie zu Kratzern und Sticheln verarbeitet. Kratzer haben per definitionem eine Steilretusche am distalen oder proximalen Ende des Abschlags, als Stichel bezeichnet man Geräte mit charakteristischen Abschlagnegativen entlang der Kanten. Beide Gerätetypen dienten in erster Linie zum Abschaben von Tierhäuten. Im nachfolgenden Gravettien treten vermehrt lang- schmale klingen auf, was auf eine verbesserte Präparation der Kerne zurückzuführen ist. Charakteristisch für diese Inventare sind Klingen mit Rückenretusche, besonders in Form der (namengebenden) Gravettespitze. Diese Stücke sind außerdem partiell flächig retuschiert, funktional werden sie meist als Geschossköpfe interpretiert. Im Magdalenien setzt sich der schon vorher beobachtbare Trend der Verkleinerung der Geräte fort. Typisch für diese Stufe sind vor allem kleine Rückenmesser, konvexe oder geknickte Rückenspitzen und Bohrer. Es ist wohl davon auszugehen dass solche Geräte eine Schäftung 13 besessen haben, obwohl nur sehr selten Spuren davon, etwa Pechreste von der Verklebung oder Scheuerspuren am Artefakt sichtbar sind. Im Mesolithikum wird der Trend zu Verkleinerung der Geräte auf die Spitze getrieben, besonders typisch sind geometrische Formen wie Kreissegmente, Dreiecke und Trapeze. Es handelt sich sicherlich um Kompositgeräte, die aus mehreren Einzelelementen in einer Schäftung zusammengesetzt waren. Bei Beschädigung an einer Stelle musste somit nur mehr das betreffende Segment ausgetauscht werden. Mehrteilige chaine opératiore des Jungpaläolithikums (nach Genéste 1990) 4. Literatur F. Bordes, Typologie du paleolithique ancient et moyen, presses de CNRS, 1988. Michael Brandl: Silexlagerstätten in der Steiermark. Österreichische Akademie der Wissenschaften ÖAW, Philosophisch-historische Klasse, Mitteilungen der Prähistorischen Kommission Band 69, Wien 2009. J. Coles, Erlebte Steinzeit. Experimentelle Archäologie, München 1973. P.-Y. Demars, P. Laurent, Types dóutils lithiques du palaeolitique superieur en Europe, Presses du CNRS, 1992. J. Hahn, Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Einführung in die Artefaktmorphologie, Archaeologia Venatoria 10, 1991. P. Honoré, Es begann mit der Technik, Stuttgart 1969. J.-P. Lhomme, S. Maury, Tailler le silex, Périgueux 1990. I. Mateiciucová, Talking stones: the chipped stone Industry in lower Austria and Moravia and the Beginnings of the Neolithic in Central Europe (LBK) 5700-4900 BC, Dissertationes Archaeologicae Brunenses Pragensesquae 4, 2008. A. Scheer (Hrsg.), Eiszeitwerkstatt, Experimentelle Archäologie, Museumsheft 2 Urgeschichtliches Museum Blaubeuren, 1995. J.C.Whittaker, Flintknapping, making & understanding Stone tools, University of Texas press, 1995. 14