Exposee: Studienreise nach Hamburg und Lüneburg zum Thema „Soziale Ungleichheiten und Randgruppen in Deutschland“, 8.-16. März 2014 An der Masaryk-Universität beschäftigen sich die Germanistikstudierenden hauptsächlich mit den klassischen Bereichen der Philologie (Sprach- und Literaturwissenschaft), während die Landeskunde als dritter – und gerade für die Auslandsgermanistik wichtiger – Teilbereich leider oft nur am Rande behandelt wird. die Studierenden haben wesentlich zur Ein- und Abgrenzung des Themas beigetragen und zeigten große Neugier auf Aspekte der Landeskunde, die außerhalb ihres Curriculums liegen und ihr Bild von Deutschland wesentlich verändern könnten. Zentrales Element der Studienreise ist dabei das empirische Erfahren des Fremden und das Wiedererkennen des Eigenen darin – das Bewältigen des sogenannten Kulturschocks durch kritische Reflexion, Selbst- und Fremdbeobachtung. Die Studierenden haben sich in einer von uns moderierten Diskussion in mehreren Sitzungen für die Region Hamburg entschieden, wo sich die (materiell) Ärmsten und Reichsten Deutschlands auf engem Raum nebeneinander finden. Dort wollen sie gemeinsam mit uns exemplarisch und empirisch erkunden, welche (vermeintlichen?) Randgruppen auf welche Weise an der Gesellschaft teilnehmen. Die Auswahl der Stationen unserer Studienreise wurde größtenteils von den Studierenden selbst getroffen, und sie waren es auch, die die Kontakte zu den akademischen Ansprechpartnern in Deutschland (unter unserer Beratung) angebahnt und ausgebaut haben; lediglich in der Endphase der Planung wurde die Korrespondenz von uns übernommen. Dabei ist hervorzuheben, dass unsere akademischen Partner in Deutschland sehr beeindruckt von der Kommunikationsfähigkeit unserer Studierenden waren. Im praktischen Fokus unserer Studienreise steht also das, was man in Deutschland nur widerwillig ‘Unterschicht’ und ‘Randgruppen’ nennt: Menschen ohne festes Zuhause und solche, die in Armut leben; Menschen, die Deutschland einst aus diesen Gründen verlassen haben, und solche, die heute aus diesen Gründen nach Deutschland einwandern. Zur historischen Einführung werden wir uns im Auswanderermuseum BallinStadt am Sonntag mit Armutsmigration im 19. Jahrhundert befassen, während wir am folgenden Montag den Flüchtlingsrat der Stadt Hamburg treffen, um uns im Vergleich dazu ein Bild über die aktuelle Lage von Armutseinwanderern nach Deutschland zu machen. Ob ein Besuch in der Kirche St. Pauli, wo derzeit etwa 80 Flüchtlinge der sogenannten ‘Lampedusa-Gruppe’ Zuflucht gefunden haben, und ein Gespräch mit einem der zuständigen Pastoren Wilm oder Paulekun möglich sein wird, ist leider wegen der derzeitigen instabilen Lage noch nicht abzusehen – Herr Paulekun hat jedoch versprochen, mit uns in Kontakt zu bleiben. Zur wissenschaftlichen Einführung am Montag wird uns Prof. Dr. Michael Lindenberg von der Evangelischen Hochschule Hamburg einen Vortrag zu dem Thema halten, welche Probleme Jugendliche aus gesellschaftlichen Randgruppen bei ihrer Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt haben, und was aus denen wird, die dabei ‘auf der Strecke’ bleiben oder ‘auf die schiefe Bahn’ geraten. Bei einer Führung durch das Rauhe Haus, in dem die Hochschule untergebracht ist, werden wir anschließend die verschiedenen Bereiche der Sozialfürsorge, um die sich die Diakonie in Hamburg kümmert, kennenlernen. Am Dienstag werden wir uns mit einer sprachlichen Minderheit im norddeutschen Raum beschäftigen, nämlich mit den Sprechern des Niederdeutschen, das in Hamburg seit 2010 auch als Schulfach unterrichtet wird. Dazu hat uns uns Prof. Ingrid Schröder an die Ger-manistik der Universität Hamburg eingeladen, wo wir uns mit Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern mit Schwerpunkt Niederdeutsch zur Lage und Förderung dieser bedrohten Regionalsprache austauschen werden. Anschließend werden wir der Türkisch-Islamischen Union e.V. (Ditib) einen Besuch in der Al-Aksa-Moschee abstatten, um uns bei Dr. Altug, dem Vereinsvorsitzenden in Hamburg, über die Situation von Muslimen in Deutschland informieren. Am Abend werden wir der Theatergruppe Obdach-fertig-los! bei einer Probe zu ihrem neuesten Stück über die Schulter sehen, um uns mit der Frage zu beschäftigen, wie Teilhabe der ‘Unterschicht’ an dem, was man – mitunter weniger widerwillig – ‘Hochkultur’ nennt, konkret aussehen kann. Am Mittwoch wollen wir einen Schritt tiefer in die Praxis wagen: Wir sind eingeladen, beim Fürsorgeverein Alimaus ein Tagespraktikum zu absolvieren und so mit Menschen, deren Einkommen kaum zum Leben reicht, in Kontakt zu treten. Alimaus kümmert sich vor allem um Essensund Kleiderausgabe für Bedürftige, und dort werden wir mit anpacken. Dazu werden wir uns in zwei Schichten (Früh- und Spätschicht) zu je vier Stunden aufteilen, und diese zwei Gruppen jeweils noch einmal teilen: Die eine Hälfte (je vier Personen) wird die Alimaus-Kunden betreuen, während die andere Hälfte das Praktikum beobachtend dokumentiert, um das Verhältnis von ‘Hilfegebenden’ und ‘Hilfenehmenden’ um eine dritte Perspektive zu ergänzen. Am Abend werden die beiden Frühschicht- und die beiden Spätschichtgruppen zusammen je einen gemeinsamen Erfahrungsbericht schreiben, in den beide Perspektiven miteinfließen sollen: Wie wurde das Praktikum im direkten Kontakt mit den Alimaus-Kunden erlebt, und wie verhalten sich die Beobachtungen aus der Distanz der Unbeteiligten dazu? Die jeweils andere Gruppe wird in der verbleibenden Zeit einen Rundgang auf den Spuren des jüdischen Lebens und seiner Auslöschung während der Nazi-Diktatur in Hamburg unternehmen; dieser Rundgang soll entlang ausgewählter ‘Stolpersteine’ verlaufen, anhand derer die Studierenden im Vorfeld vorbereitete Kurzreferate halten und so exemplarisch die Schicksale jüdischer HamburgerInnen besprechen. Dies soll noch einmal die historische Perspektive von Integration und Ausgrenzung von Minderheiten aufgreifen. Am Donnerstag werden wir die Redaktion der Straßenzeitung Hinz und Kunzt besuchen, um uns anzusehen, wie Journalismus ‘von unten’ gemacht wird. Auf Vermittlung dieser Zeitung hin werden die Zeitungsverkäufer, häufig Obdachlose und Immigranten, mit uns einen Stadtrundgang machen, der uns Hamburg aus ihrer Sicht zeigen soll. Als Ergänzungsaspekt der „Altersarmut in Deutschland“ hat uns am Donnerstagnachmittag der Geschäftsführer des Sozialverbands VdK Hamburg e.V., Herr Broll, zu einem Vortrag in die Räume des VdK eingeladen. Am Abend ist dann ein Besuch des weit über Hamburg hinaus bekannten autonomen Kulturzentrums „Rote Flora“ geplant, wo wir uns über wohn- und kulturpolitische Selbstverwaltung und den Umgang der autonomen Szene mit der voranschreitenden Gentrifizierung des Schanzenviertels informieren wollen. Am Freitag werden wir als Abschluss einer hoffentlich erkenntnisreichen Woche nach Lüneburg fahren, um unsere Eindrücke und praktischen Erfahrungen bei einem Workshop mit Studenten der Sozialpädagogik der Leuphana-Universität unter Leitung von Prof. Dr. Maria-Eleonora Karsten zu präsentieren und zu reflektieren. Dort steht auch ein Thema im Mittelpunkt, bei dem die Studierenden (in der Mehrheit weiblich) erstmals selbst als potenziell benachteiligte Randgruppe in den Fokus rücken: die Diskriminierung auf Grund von Geschlecht am Bildungs- und Arbeitsmarkt. Frau Karsten wird nicht nur selbst einen Vortrag zu dem Thema beisteuern, welche Unterschiede im Zugang zur und Verlauf der Hochschulbildung die sozialen Ungleichheiten in Deutschland widerspiegeln, sondern hat auch zwei ihrer studentischen Arbeitsgruppen zu verschiedenen Aspekten dieses Themas eingeladen (die genauen Titel der einzelnen Programmpunkte entnehmen Sie dem Programm der Studienreise). Besonderes Augenmerk wird dabei auf der Ungleichbehandlung der Geschlechter liegen, wozu auch die Studierenden aus beiden Ländern in der Abschlussdiskussion Gelegenheit haben werden, ihre eigenen Meinungen und Erfahrungen einzu- bringen. Umrahmt werden soll unsere Studienreise von einigen touristischen Eckpunkten, die uns weitere Besonderheiten der Region Hamburg nahebringen: Einem Besuch im Museum St. Pauli mit Rundgang zu ausgewählten Sehenswürdigkeiten des Kiezes am Ankunftstag, einer Rundfahrt durch den Hamburger Hafen und einem Besuch im Museum zur Hamburger Sturmflut 1962. Für den Abreisetag planen wir einen Besuch des Projektes „Dialog im Dunkeln“, welches uns das Leben in der Wahrnehmung blinder Menschen mitbringen soll; hier ist anschließend an die Führung durch das Museum ein Workshop vorgesehen, wo wir unsere Eindrücke didaktisch verarbeiten können. Über dieses im engeren Sinne auf das Thema abgestimmte Kernprogramm haben wir natürlich vor, die kulturellen Angebote Hamburgs in ihrer Vielfalt in Anspruch zu nehmen, v.a. in Form von Theaterabenden, Lesungen und dem Besuch des St.-Pauli-Musicals an der Heißen Ecke. Im Anschluss an diese Exkursion ist für den April 2014 eine studentische Tagung in Brünn geplant (die in Form eines studentischen Tutoriums auch Eingang in den Lehrplan finden wird), zu der die Studienreisenden paarweise zu verschiedenen wichtigen Programmpunkten Vorträge halten werden, um so ihre Erfahrungen mit den anderen Studierenden in Brünn zu teilen. Wir hoffen, mit diesem Programm der Komplexität unseres Themas gerecht zu werden, und den Balanceakt zwischen wissenschaftlicher Annäherung an das Thema und praktischen Erfahrungen zu meistern. Wir bestätigen hiermit, dass es sich bei dieser geplanten Studienreise nicht um eine Pflichtexkursion handelt, sondern die Studierenden freiwillig daran teilnehmen. Für weitere Fragen zu Inhalt und Organisation stehen wir natürlich gerne zur Verfügung. In der Hoffnung auf einen günstigen Bescheid von Ihnen: Zdeněk Mareček und Otto Schnelzer